der ursprünglich in St. Bavo zu Gent aufgestellt war und dessen einzelne Teile jetzt in verschiedenen Orten zerstreut sind. (Das Altarwerk hatte der Bürger Joest Vyd gestiftet.) An diesem sind die künstlerischen Eigenheiten der Meister vollständig zu erkennen. Die großzügige Anordnung und die hohe gedankliche Auffassung, welche in dem geistigen Ausdruck der Hauptgestalten sich kundgeben, sind ebenso beachtenswert wie die lebensvolle Naturwahrheit in Haltung, Bewegung und den Körperformen. Den Farbenreiz kann die Abbildung allerdings nicht verdeutlichen, dennoch läßt sich ersehen, wie meisterlich die Luft behandelt, Licht und Schatten verteilt sind. Die scharfe Beobachtung der Wirklichkeit paart sich mit der Fertigkeit, das Geschaute auch richtig wiederzugeben und mit der freien Beherrschung der Ausdrucksmittel (Seite 399).
Daß solche Vorzüge Jan van Eyck befähigten, in der Bildnismalerei ganz besonders Hervorragendes zu leisten, ist begreiflich, und wir finden ihn daher hauptsächlich in diesem Fache thätig. Das Erfassen der persönlichen Eigenart des Dargestellten und die vollendete Form in der Wiedergabe desselben stehen auf gleicher Höhe und in dieser Hinsicht wurde er von keinem seiner Zeitgenossen erreicht (Fig. 394 und 395).
Die Einwirkung auf die Malkunst der Zeitgenossen war tiefgreifend und nachhaltig. Wohl besitzen wir nur geringe Kunde von unmittelbaren Schülern und Nachfolgern, unter denen auch keiner sich zu der Höhe des Meisters erhob, aber die zahlreichen, namenlosen Werke bezeugen, daß die flandrische Malerei den Bahnen Eycks folgte. Wie gewöhnlich verfielen aber auch hier die späteren Nachfolger in Einseitigkeit; indem sie die Wirklichkeits-
^[Abb.: Fig. 392. Wohlgemut: Auferstehung Christi.
München. Pinakothek.] ¶
treue übertrieben, vernachlässigten sie das rein Malerische und verlernten es, auf den schönen Einklang der Farbenstimmung zu achten.
Brabant. - Rogier van der Weyden. Fast gleichzeitig mit den Eycks war auch in Brabant ein Meister aufgetreten, der für die Entwicklung der niederländischen Kunst von Bedeutung wurde.
Rogier van der Weyden aus Tournay (+ 1464) ist von ganz anderer Eigenart, als die Eycks. Er fußt noch auf den Ueberlieferungen der früheren Zeit, und entnimmt seine Formen der Steinbildnerei; das Hauptgewicht legt er auf die lebensvoll bewegte Handlung, auf das Erhabene und Eindrucksvolle; seine Farbengebung entbehrt der Wärme und wirkt mit den grauen Schatten geradezu erkältend. Man wird aus dem Gesagten ersehen, daß er so ziemlich im geraden Gegensatz zu den Eycks stand und noch weit entfernt von der wahrhaften Farbenkunst, dem rein Malerischen ist. Rogier könnte eigentlich als Vertreter der Malerei «gotischen Stiles» betrachtet werden, in dessen Geiste seine Werke empfunden und gebildet sind. In diesem Sinne hat er allerdings das Höchste erreicht, was innerhalb einer solchen Stilgebundenheit möglich war, und der neuen Richtung der Eycks gegenüber bringt er sicherlich die «alte Zeit» mit Ehren zur Geltung. (Fig. 396).
Memling. Er fand auch bedeutenden Anhang, wie zahlreiche Werke in seiner Art beweisen, deren Urheber man jedoch nicht kennt. Aus seiner Schule ging auch einer der trefflichsten Künstler hervor, welcher auf die niederländische Kunst befruchtend wirkte, indem er ihr einige Züge vermittelte, die bei Rogier ganz fehlten. Es war dies ein Deutscher, Hans Memling aus Mömlingen bei Aschaffenburg (+ 1495), der wahrscheinlich schon am Rhein sich vorgebildet hatte, ehe er nach Brüssel zu Rogier kam. Im ganzen nahm er, was Auffassung und Farbengebung anbelangt, die Malweise des Lehrers an, bekundete aber seine Selbständigkeit darin, daß er die Härte der Formen mildert, das Erhabene durch Sinnigkeit und Empfindung ersetzt und überhaupt die Züge des anmutig Schönen einführt. Das deutsche «Gemüt» kommt zum Durchbruch und verleiht seinen Werken einen ansprechenden Reiz. Sie nehmen in gewissem Sinne eine Mittelstellung zwischen den Rogierschen mit ihrer Wirklichkeitstreue und den Kölnischen mit ihrer Lieblichkeit ein; die Einbildungskraft spielt in höherem Maße mit, als bei Rogier. Die Zahl seiner Bilder ist beträchtlich,
^[Abb.: Fig. 393. Michael Pacher: Flügelaltar.
St. Wolfgang am Abersee.] ¶
^[Abb.: van Eyck: Genter Altar.
Teilstücke.] ¶
^[leere Seite] ¶
namentlich in Brügge, wo er die beste Zeit seines Lebens verbrachte. Das Gemälde: «Die sieben Freuden Marias» zeigt nicht nur die vorerwähnten Eigenheiten des Meisters, sondern auch sein Geschick in der Anordnung gestaltenreicher Darstellungen, worin er gleichfalls sich Rogier überlegen zeigt (Fig. 396).
Die Holländer - Dierick Bouts. Wenn die Vorgenannten, gerade so wie die Italiener und Deutschen, sich fast ausschließlich mit Darstellungen des Menschen befaßten und die unbeseelte Natur nur nebenher behandelten, so blieb es den Holländern vorbehalten, der letzteren auch einen breiteren Raum in der Kunst zu verschaffen. Aus den bisherigen Erörterungen wird man ersehen haben, welche nebensächliche Rolle im Anfange der Landschaft zukam und wie erst allmählich man ihre Bedeutung erfaßte und Beachtung widmete. Es spielt da noch etwas die mittelalterliche Anschauung hinein, nach welcher nur der Mensch als Ebenbild Gottes auch Gegenstand der künstlerischen Darstellung sein könne.
Auch als man die Natur zu beobachten und Naturtreue anzustreben begann, erstreckte sich dies vorerst nur auf das Menschliche und was mit diesem unmittelbar zusammenhing. Man war längst dazu gekommen, Bauwerke, Trachten, die Gegenstände des Hausrates, auch die Tiere nach der Wirklichkeit zu schildern, ehe man diese auch bei dem Landschaftlichen zur Richtschnur nahm. Selbst dann blieb es aber im Hintergrunde, und der Landschaft eine selbständige Bedeutung beizulegen, sie als «Hauptsache» aufzufassen und ihr das Menschliche unterzu-
^[Abb.: Fig. 394. Jan van Eyck: Maria mit Kind.
Frankfurt a. M. Städelsches Institut. (Photographie B.-A. Bruckmann.)] ¶
ordnen, fiel Niemandem ein. Daß auch die anscheinend unbeseelte Natur doch im gewissen Sinne auch beseelt ist, daß in ihr ein Leben waltet und sie imstande ist, Gedanken und Stimmungen in Geist und Gemüt zu erregen, welche ebenso ergreifend wirken können, wie Vorgänge des menschlichen Lebens, dazu war das Verständnis noch nicht in genügendem Maße vorhanden.
Es war bereits ein bedeutender Fortschritt, als man wenigstens die Landschaft in Beziehung und Uebereinstimmung mit der Hauptdarstellung brachte und ihr damit einen Anteil an der Gesamtwirkung zuerkannte.
Die deutschen Maler bekundeten noch am meisten Sinn und Freude an den reizvollen Erscheinungen dieser Art Natur, wenn sie ihre Madonnen in Gärten stellten und mit Blumen schmückten. - Es ist nun bemerkenswert, daß gerade in Holland, dessen Landschaft sicherlich nicht großartig, formenreich und eindrucksvoll ist, die Würdigung derselben zuerst in erhöhtem Maße stattfand.
Vielleicht lag jedoch just in dieser anscheinenden Reizlosigkeit der Antrieb, die feinen Reize der Natur, die «Stimmungen», genauer zu beobachten und zu beachten, und war dies einmal geschehen, so mußte ein echt künstlerischer Geist auch bald das Malerische darin erkennen.
Diese Richtung nahm ihren Ausgang von Haarlem, wo zur Zeit van Eycks schon ein Maler Albert van Ouwater lebte, bei welchem die Zeitgenossen die Wiedergabe der Landschaft besonders rühmten. Von einem Späteren, Gerrit van Haarlem, sind Werke vorhanden, deren Gestalten ziemlich steif und unkünstlerisch behandelt sind, während das Landschaftliche schon «stimmungsvoll» erscheint. Dieser Stadt entstammte nun Dierick Bouts, der in Löwen seinen Aufenthalt nahm und hier zahlreiche Werke schuf.
In der Formgebung zeigt er sich unbeholfen und in der Anordnung der Gruppen ungeschickt, für die Darstellung einer bewegten Handlung fehlt ihm die
^[Abb.: Fig. 395. Jan van Eyck: Der Mann mit der Nelke.
Berlin. Nationalgalerie.]
^[Abb.: Fig. 396. Rogier van der Weiden. Taufe Christi.
Frankfurt a. M. Städelsches Institut.] ¶