b. Romanisches Zeitalter.
Antike Welt und Mittelalter. Im 10. Jahrhundert erscheint nicht nur die neue Völkerverteilung auf dem Boden der Weltkultur abgeschlossen, sondern auch das begründet, was man als den «Geist des Mittelalters» bezeichnen muß, das heißt: die maßgebenden und treibenden Anschauungen und Grundsätze, welche das Leben des Einzelnen wie der Gesellschaften bestimmen und die gegenseitigen Beziehungen derselben untereinander ordnen. Es ist daher am Platze, den Unterschied zwischen dem Geist der «antiken» Welt und jenem des Mittelalters kurz zu kennzeichnen.
Das volle Verständnis der Kunst - als einer Erscheinung und einem Ergebnis der jeweiligen Kultur - setzt voraus, daß man den Geist der Zeit erfaßt und erkannt hat. Dieses Erkennen ist für das Mittelalter wesentlich erleichtert, da die Quellen, aus welchen wir schöpfen können, reichlicher fließen, als für das Altertum; sodann treten auch die Persönlichkeiten, da sichere Nachrichten über sie und ihre Werke häufiger werden, auch deutlicher in Erscheinung, und es wird daher möglich, die Kunsterscheinungen in Grund- und Folgewirkung besser zu verstehen.
Das nötigt auch zu einer anderen Betrachtungsweise, die nunmehr auf das Einzelne eingehen muß. Wohl zeigt die Kunst in dem für die Entwicklung der Welt und Menschheit maßgebenden Kulturkreise - dem abendländischen - im Allgemeinen, d. h. in den Hauptgrundzügen, einen gleichen Entwicklungsgang, aber sie entfaltet im Einzelnen um so reichlichere Besonderheiten, nicht allein bedingt durch völkische Eigenart, sondern sogar durch enger begrenzte örtliche Verhältnisse.
Bis zu Ende des 4. Jahrhunderts v. Chr. hatte es, wie gezeigt wurde, verschiedene unabhängige Kulturkreise mit selbständiger Entwicklung gegeben; Alexander der Große begann und Rom vollendete dann die Schöpfung einer «Weltkultur», die man schlechthin als die «antike» bezeichnet. Ihre Grundlage war die national-griechische, die ihre geistige Vollendung bereits zur Zeit Platons (427-347 v. Chr.) erreicht hatte. Wir begegnen da, wie bereits an früherer Stelle angedeutet wurde, so manchen Anschauungen und Lehrsätzen, welche mit den christlichen übereinstimmen oder doch sich denselben nähern.
Das Wesen der hellenischen Geistesrichtung läßt sich in Kürze dahin kennzeichnen, daß die führenden Geister das Endziel in der «Sittlichkeit, auf Vernunft begründet,» sahen, die in der «Bethätigung reiner Menschlichkeit» ihren Ausdruck finde. Die Griechen setzten aber dabei voraus, daß «Vernunft» mit «griechischer Bildung» in solchem Zusammenhange stände, daß «vollendete Menschlichkeit» eben nur bei Griechen oder doch griechisch Gebildeten möglich sei. Dies prägte ihrer Kultur den Stempel nationaler Eigenart und Beschränkung auf. Dadurch, daß die Römer im wesentlichen die hellenische Weltanschauung übernahmen, wurde deren Geltungsgebiet wohl erweitert, ohne daß die Beschränkung grundsätzlich aufgehoben worden wäre.
Bedeutsamer ist jedoch, daß die Römer ihrerseits einen wichtigen Grundsatz hinzufügten und zur Geltung brachten: «die Unterordnung des Einzelnen unter die Gesamtheit.» Derselbe blieb auch für die Folgezeit wirksam, denn die christliche Weltanschauung behielt ihn bei, während der wesentliche Unterschied zwischen ihr und der «antiken» darin besteht, daß sie die «Sittlichkeit auf den Glauben begründet», und somit die «Bethätigung reiner Menschlichkeit» nicht mehr an eine nationale Bildung bindet, sondern «allgemein» möglich macht, da ja der «Glaube» allen Völkern gleichmäßig zugänglich ist.
Der Geist des Mittelalters. Jener reichsrömische Grundsatz bildet nun einen Anknüpfungspunkt zwischen der antiken und christlichen Richtung, und es ergab sich somit als «mittelalterliche» Auffassung: «daß der Einzelne sich der Gesamtheit unterzuordnen habe, diese letztere aber in zweifacher Form, in politischer Hinsicht durch den Staat, in geistiger durch die Kirche dargestellt sei.» Staat und Kirche sollten gemeinsam herrschende ¶
Gewalten sein; diese Doppelherrschaft mußte aber notwendigerweise zum Widerstreit führen, sobald Fragen ins Spiel kamen, an denen beide Gewalten beteiligt waren und jede derselben dann den Vorrang beanspruchte.
Es kam sodann noch ein wichtiger Punkt hinzu. Die stramme Ausbildung der Staatsgewalt - nach deren Vorbild auch die kirchliche eingerichtet wurde - war römischer Art. Der obenerwähnte Grundsatz wäre leichter durchführbar gewesen, wenn das Römerreich mit seinen Einrichtungen und den für diese erzogenen Völkern fortbestanden hätte. Nun wurde aber das germanische Volkstum herrschend, welchem diese Staatsordnung wesensfremd war und geradezu widerstrebte, da die germanische Gesellschaftsordnung die «persönliche Freiheit» in den Vordergrund stellte. ¶
Den inneren Widerspruch zwischen den römischen und germanischen Ordnungsgrundsätzen suchte man in sinnreicher Weise zu lösen durch die Einrichtung des Lehenswesens. Die persönlich Freien sollten sich freiwillig an den Vertreter der Staatsgewalt binden und so zur Gefolgschaft, d. h. Unterordnung, verpflichtet werden. Wie jene Doppelherrschaft setzte auch diese Einrichtung «vollkommene» Menschen voraus, die es einfach nicht gab, und so führte sie denn auch nicht zu dem gewünschten Ziele, sondern wurde eine Quelle weiteren Widerstreites. In anderer Weise suchte der germanische Volksgeist sich mit dem Grundsatz der
^[Abb.: Fig. 238. St. Apostelkirche zu Köln.
Choransicht. (Nach einer Photographie von Hertel in Mainz.)] ¶
«Unterordnung» abzufinden, um wenigstens in beschränktem Maße die persönliche Freiheit gegenüber den Gewalten zur Geltung zu bringen. Dies geschah durch den Zusammenschluß der Einzelnen zu «Körperschaften», in denen jedoch wieder ein Widerspruch insofern sich geltend machte, als der Einzelne hier wirklich noch strenger gebunden wurde. - Wir sehen somit, wie alles mittelalterliche Wesen in sich den Grund zu Widerstreit und Gegensätzen trägt, und diese treten auch im ganzen Leben zu Tage. Aufopfernde Nächstenliebe und rücksichtslose Vergewaltigung der Mitmenschen, hingebende Treue und schnödeste Eigensucht, gehorsamer Glaube und Sittenlosigkeit finden sich oft bei den Einzelnen unvermittelt nebeneinander.
Das geistige Leben krankte an einem anderen Widerspruch. Man versuchte, die «Glaubenssätze» aus der «Vernunft» zu begründen, was an und für sich ein Widersinn ist. Denn der Glaube setzt ja voraus, daß die «Wahrheit unumstößlich gegeben» ist, und somit bedarf sie keines Beweises. Die «scholastische» Philosophie des Mittelalters erschöpfte sich daher in unfruchtbaren Wortstreitigkeiten und förderte ebenso wenig die Erkenntnis, wie ihre Gegner, die «Mystiker», welche das Erfassen der Wahrheit nicht durch den Verstand, sondern durch das Gemüt anstrebten. Bis zum 14. Jahrhundert kam man denn auch hinsichtlich der wissenschaftlichen Kenntnisse nicht über den Stand der Antike hinaus, da man sich mit der Erforschung der Natur und ihrer Erscheinungen nicht abgab.
Die Natur, wie alles Körperliche, galt ja als sündhaft, mit dem man sich nicht beschäftigen solle; die «Seele» war die ausschließliche Hauptsache, und nur das Geistige
^[Abb.: Fig. 239. Der Dom zu Worms.] ¶
hatte Wert. Auch diese Ertötung des Sinnes und Gefühles für die Natur stand mit dem germanischen Volksgeiste in Widerspruch.
Gerade diese Gegensätze und Widersprüche erzeugten aber eine erstaunliche Fülle von Gedanken und Empfindungen, die zwar vielfach unklar und verworren, aber von einer mächtigen Frische waren und einer gewissen Erhabenheit nicht entbehrten. Diese zum Ausdrucke zu bringen, hatte die mittelalterliche Kunst sich redlich bemüht, wenn sie auch oft nicht die richtige Form dafür finden konnte, da das Wollen stärker war, als das Können. Dieser «Widerspruch» prägt sich denn auch in der Kunst des 10. bis 14. Jahrhunderts aus.
Das Wesen des romanischen Stiles. Die Bezeichnung «romanischer Stil» ist im Grunde nur für die Baukunst zutreffend, während man bei der Bildnerei und Malerei von einem solchen in der eigentlichen Bedeutung des Wortes nicht sprechen kann. Da jedoch die Baukunst vorherrschend auftritt und alle anderen Künste in den Hintergrund und gewissermaßen in ihren Dienst drängt, so erscheint es gerechtfertigt, von einem Zeitalter des romanischen Stiles zu sprechen. Das Wort «romanisch» dagegen wäre eigentlich nicht gerechtfertigt, denn gerade die Kunstweise, die damit bezeichnet wird, ist ganz von germanischem Geiste erfüllt und hat ihre vollendetste Ausbildung auf deutschem Boden erfahren.
Seltsamerweise hat man jenen späteren Stil, der seine Entstehung in Frankreich hatte und, wenn auch aus dem Geiste des germanischen Grundteils im französischen Volkstum hervorgegangen, doch nicht mehr von rein germanischer Eigenart ist, den «gotischen» genannt und so die Meinung hervorgerufen, derselbe sei der eigentlich altdeutsche. Allerdings hat auch der gotische Stil bei den Deutschen seine schönste Entwicklung gefunden, aber wirklich «altdeutsch» ist der romanische Stil. Es läßt sich auch genau verfolgen, wie Geltung und Entwicklung desselben bei den verschiedenen Völkern von dem Maße abhängt, in welchem der germanische Grundbestandteil bei diesen hervortritt.
Entwicklung des romanischen Stiles. Dem allgemeinen Entwicklungsgesetze zufolge, daß jedes Kulturvolk bis zu einem gewissen Umfange die Erbschaft einer früheren Zeit antreten muß, ist es selbstverständlich, daß die germanische Kunstweise an die antike
^[Abb.: Fig. 240. Der Dom zu Mainz.
(Seitenansicht.)] ¶
anschloß, und zwar nicht an die «klassische Antike», sondern an deren Ausläufer, die «altchristliche», da ja zunächst alle hohe Kunst hauptsächlich im Dienste der Religion stand. Karl der Große hatte seinen germanischen Völkern die nähere Bekanntschaft mit der altchristlichen Kunst, wie er sie vor allem in Italien gefunden hatte, vermittelt. Die Zeit-Verhältnisse unter seinen nächsten Nachfolgern waren nicht danach, um eine erhebliche Kunstthätigkeit aufkommen zu lassen.
Die neugebildeten Staaten lagen untereinander im Kampfe und hatten die Angriffe fremder Völker abzuwehren, im Westen die Normannen, im Osten Slaven und Magyaren. Es fehlte auch vor allem an Wohlstand, und somit an Mitteln; der Boden mußte vielfach erst urbar gemacht werden, Gewerbe und Handel waren geringfügig. Die Bändigung der fremden Bedränger im 10. Jahrhundert, sowie die Begründung von Städten in Deutschland brachten einen erfreulichen Wandel, und nun war auch der Boden für die Kunst geebnet. Ueber die «irdischen Mittel» verfügte die Geistlichkeit, Bistümer und Klöster hatten ausgedehnte Ländereien erworben und waren «reich» geworden; aber auch die gesamte «geistige» Bildung der Zeit befand sich in ihrem Besitz.
Die Kunst erhielt daher auch eine vorwiegend kirchliche Eigenart; Malerei und Bildnerei dienten nahezu ausschließlich religiösen Zwecken, und für die Baukunst waren Kirchen und Klöster die Hauptgegenstände, neben welchen die weltlichen Bauten - Pfalzen und Burgen - keine bedeutende Rolle spielen. Die Kirchenbauten sind es daher, in welchen die Kunst des romanischen Zeitalters sich vornehmlich bethätigte.
Das Stilgefühl. Das romanische Zeitalter bekundet ein bewundernswert starkes «Gefühl für Stil», d. h. für die Gesetze, welche das Verhältnis zwischen Stoff und Form, zwischen Auffassung der Aufgabe und Behandlungsweise, zwischen dem gedanklichen Inhalt und dem äußerlichen Ausdruck betreffen. Das Wort «Gefühl» ist besonders zutreffend, denn man folgt jenen Gesetzen vielfach mehr unbewußt, als aus klarer Erkenntnis, die regsame schöpferische Einbildungskraft überwiegt noch den berechnenden Verstand, ohne dabei
^[Abb.: Fig. 244. Die Abteikirche zu Maria Laach.] ¶