Bei dem Arbeiten mit Salpetersäure, namentlich der rauchenden, und des doppelten Scheidewassers ist in jeder Beziehung die grösste Vorsicht nothwendig; anhaltendes Einathmen von Salpetersäure- oder Untersalpetersäuredämpfen hat schon öfter den Tod herbeigeführt.
Uebergiessen von empfindlicheren Körpertheilen mit Salpetersäure ruft gefährliche Entzündungen hervor, wenn nicht sofort Gegenmittel angewandt werden; hierzu eignet sich am besten anhaltendes Waschen mit einem Brei aus Wasser und Natriumbicarbonat, Kreide oder Magnesia. Eine weitere Gefahr liegt in dem Umstände, dass Salpetersäure in Berührung mit organischen Körpern, wie Sägespähne, Stroh etc. eine so heftige Umsetzung bewirkt, dass die dabei entstehende Wärme unter günstigen Bedingungen sich bis zur Entzündung steigern kann.
Wird daher verschüttete Salpetersäure mit Sägespähnen aufgenommen, so sind die damit getränkten Spähne durch Wasser unschädlich zu machen oder sonst zu vernichten. Für den Eisenbahntransport hat daher die Behörde besondere Vorschriften erlassen (s. Anhang). Die Aufbewahrungsflaschen sind stets durch Glasstöpsel oder durch, solche aus gebranntem Thon verschlossen zu halten; wo dies, wie bei den Ballons, nicht immer angängig ist, kann man sie einigermaßen durch gut paraffinirte Korkstopfen ersetzen.
Tabelle über den Gehalt der wasserhaltigen Salpetersäure an wasserfreier Säure bei verschiedenen spez. Gewichten.
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Die Verbindung des Stickstoffs mit Wasserstoff NH3 = Ammoniak schliesst sich in ihrem ganzen Verhalten, namentlich in Betreff der Ammoniumsalze so sehr an die Alkalimetalle an, dass wir die Ammonverbindungen bei den Alkalien behandeln werden.
Kohlenstoff. Carboneum.
C 12.
Ueber die Natur des Kohlenstoffs siehe chemische Einleitung. Die eine Modifikation des Kohlenstoffs, der Graphit, ist schon bei den Drogen aus dem Mineralreich behandelt worden, während die mehr oder minder reinen Kohlenstoffe, welche wir als schwarze Farben benutzen, bei diesem Abschnitt ihre Besprechung finden werden. Auch die sog. Holzkohle, entstanden durch unvollständige Verbrennung von Holz unter Abschluss der Luft, findet in gepulvertem Zustand, gewöhnlich mit Carbo tiliae, Lindenholzkohle bezeichnet, medizinische Verwendung zu Zahnpulvern u. a. m.
Die zahllosen Verbindungen des Kohlenstoffs mit Wasserstoff, Stickstoff und anderen Elementen, die ohne Ausnahme Produkte des pflanzlichen oder thierischen Lebens sind, finden ihre Einreihung in der IL Abth. der Chemikalienkunde. Nur die Verbindung des Kohlenstoffs mit Sauerstoff, die Kohlensäure, wird gewissermaßen als Uebergangsglied von der organischen zur anorganischen Chemie betrachtet. Sie findet sich in zahlreichen Mineralien und wird, wie wir bei der Besprechung der Bereitung künstlicher Mineralwässer gesehen haben, durch Zersetzung kohlensaurer Verbindungen mittelst einer stärkeren Säure abgeschieden. Die Kohlensäure, ein farbloses Gas, lässt sich durch starken Druck (bei 0° C. bedarf sie 36 Atmosphären) zu einer Flüssigkeit komprimiren; diese flüssige Kohlensäure beginnt allmälig ein wichtiger Handelsartikel zu werden, vor Allem für die Zwecke der Mineralwasserfabrikation. Die Verbindung des Kohlenstoffs mit Schwefel, Carboneum sulfuratum, siehe Schwefel und seine Verbindungen.
Chlorum. +
Chlorine, Chlor.
Cl 35,5.
Das Chlor ist bei gewöhnlicher Temperatur ein gasförmiges Element (zur Gruppe der Haloide gehörend) von grünlich gelber Farbe, 2 ½ mal schwerer als die atmosphärische Luft und von erstickendem Geruch. Durch Druck oder starke Kälte lässt es sich zu einer dunkelgelben Flüssigkeit verdichten. Wasser absorbirt bei +10° 3 Vol., bei +16° 1 ½ Vol. desselben. Das Chlorgas ist eingeathmet ein sehr gefährliches Gift; man schützt sich am besten durch ein vorgebundenes, mit Alkohol und ein wenig Ammoniak getränktes Tuch; auch einige Tropfen Spiritus aethereus eingenommen verschaffen Linderung. ¶
Das Chlor kann auf sehr verschiedene Weise hergestellt werden; die gewöhnlichste ist die, dass man Salzsäure mit grobgekörntem Braunstein (Mangansuperoxyd) übergiesst und erhitzt; die Endprodukte der Umsetzung sind hierbei Manganchlorür, Wasser und Chlorgas.
Das Chlor für sich ist nicht als Heilmittel gebräuchlich, sondern wird höchstens zur Desinfizirung ex tempore bereitet, wohl aber eine Lösung desselben in Wasser als:
Aqua chlori, Aqua chloráta, Liquor chlori. **
Chlorwasser.
Klare, schwach gelblich grüne Flüssigkeit von unangenehmem, zusammenziehendem Geschmack und stechendem Geruch. Es bleicht Lackmuspapier und alle Pflanzenfarben. An der Luft verliert es fortwährend Chlorgas und zersetzt sich unter dem Einfluss des Sonnenlichtes in Salzsäure und freien Sauerstoff, indem es dem Wasser 1 Mol. Wasserstoff entzieht und sich damit zu Chlorwasserstoff verbindet. Es muss an dunklen, kühlen Orten in gut verschlossenen Flaschen aufbewahrt werden. Nur selten ist es ein Artikel des Handels, sondern wird fast ausschliesslich in pharmazeutischen Laboratorien durch Sättigung von kaltem Wasser mit Chlorgas hergestellt.
Anwendung findet es theils innerlich bei fieberhaften Krankheiten, auch bei Cholera wird es empfohlen; äusserlich zu Waschungen beim Biss giftiger Insekten und Thiere; dann aber auch technisch als Desinfektions- und Bleichmittel.
Von den Verbindungen des Chlors mit Sauerstoff (siehe chemische Einleitung) kommen für uns nur die unterchlorige Säure und die Chlorsäure, beide aber nur in Verbindung mit Basen, in Betracht. Wir werden dieselben daher bei den betreffenden Verbindungen kennen lernen. Desto wichtiger dagegen ist die Verbindung des Chlors mit Wasserstoff, die Salzsäure.
Acidum hydrochlorátum oder hydrochlóricum oder muriáticum. +
Salzsäure. HCl.
Die Salzsäure ist eine Auflösung von Chlorwasserstoffgas in Wasser: letzteres hat eine so grosse Affinität zu dem Chlorwasserstoff, dass es bei mittlerer Temperatur 475 Vol. desselben auflösen kann. Eine solche vollkommen gesättigte Lösung hat ein spez. Gew. von 1,160 = 22° Bé. und enthält etwa ein Drittel ihres Gewichtes an wasserfreiem Chlorwasserstoff. Man unterscheidet im Handel rohe und chemisch reine Säure.
Acidum hydrochloricum crudum (Spiritus salis), rohe Salzsäure. Klare, gelbliche, bis dunkel- oder grünlichgelbe Flüssigkeit von stechendem Geruch und stark saurem Geschmack. Sie stösst an der Luft weisse Dämpfe aus;
ihr spez. Gew. ist 1,150-1,160 = 20-22° Bé. Die ¶
gelbe Färbung rührt von einem ziemlich starken Gehalt an Eisen her; ausserdem ist sie gewöhnlich durch Thonerde, Chlornatrium, Schwefelsäure, schweflige Säure, Chlor, häufig auch durch arsenige Säure verunreinigt; letztere rührt aus der Schwefelsäure her. Die rohe Salzsäure wird in so grossen Massen als Nebenprodukt bei der Sodafabrikation nach dem Leblanc'schen System (s. d. ) gewonnen, dass die Industrie trotz zahlreicher Anwendungen dieselbe kaum bewältigen kann.
Sie entsteht aus der Zersetzung von Chlornatrium (Kochsalz ©der Steinsalz) mittelst Schwefelsäure oder durch schweflige Säure und gleichzeitiger Zuführung atmosphärischer Luft und Feuchtigkeit. Die Umsetzung geschieht in grossen, gusseisernen Retorten; denn, wenn auch die Schwefelsäure, wie auch die Salzsäure das Eisen bei gewöhnlicher Temperatur stark angreifen, so ist dies doch wenig der Fall in der Rothglühhitze. Die entweichenden Chlorwasserstoffgase werden nun entweder durch ein langes System von Röhren mit abwechselnd dazwischen geschobenen, zur Hälfte mit Wasser gefüllten Kammern geleitet und zwar so, dass die verbindenden Röhren nicht in das Wasser eintauchen dürfen; das Gas streicht nur über das Wasser hin und wird von diesem begierig aufgenommen. Oder man leitet die Gase in ziemlich hohe und weite Thürme, welche unten mit einem Sandsteinrost versehen sind. Diese Thürme, Kondensatoren oder Gloverthürme genannt, sind mit Kokesstücken angefüllt, oben durch einen zweiten Sandsteinrost bedeckt, gewöhnlich auch in der Mitte durch eine senkrechte Scheidewand
^[Abb: Fig. 186. Fabrikation der rohen Salzsäure. A Sulfatflammenofen. B Ableitungsrohr für die Salzsäuredämpfe. C Rezipienten (Theil einer längeren Kolonne). D Gloverthurm. E Wasserzufluss für den Gloverthurm. F Abzugsrohr der letzten Salzsäuredämpfe. G Sammelbassin für die durch F abgeleitete Salzsäure. H Ballon.] ¶
in 2 Hälften getheilt, so dass die Gase an der einen Seite hinauf- und an der andern hinabsteigen müssen. Die Gase treten durch den unteren Rost in den Kondensator ein, während ihnen durch den oberen Rost kaltes Wasser entgegen fliesst; dieses vertheilt sich über die Kokesstücke und sättigt sich beim Herabfliessen gänzlich mit Chlorwasserstoffgas, so dass unten eine konzentrirte Salzsäure abfliesst. Bei gut geregelter Zuleitung werden die Gase im aufsteigenden Theile des Kondensators fast völlig absorbirt, so dass aus dem absteigenden Theil nur eine verhältnissmäßig schwache Säure abfliesst.
Durch diese letztere, namentlich in England gebräuchliche Methode wird es den Sodafabriken möglich, ohne Belästigung der Umgebung zu arbeiten, weil alles Chlorwasserstoffgas absorbirt wird. Für einige Zwecke der technischen Verwendung ist es nothwendig, eine Salzsäure herzustellen, welche frei von jedem Chlorgehalt ist. Man verfährt hier nach der ersten Methode und sondert die zuerst und die zuletzt übergehende Säure ab; die mittleren Antheile sind fast rein und fast farblos.
Acidum hydrochloricum purum, reine Salzsäure. Klare, farblose, vollständig flüchtige Flüssigkeit von stark saurem Geschmack, welche nicht in reiner, wohl aber in ammoniakhaltiger Luft raucht. (Salzsäure stösst bei gewöhnlicher Temperatur und in reiner Luft erst weisse Dämpfe aus, wenn sie über 28% Chlorwasserstoff enthält. ) Das spez. Gew. ist 1,124, einem Gehalt von 25% HCl entsprechend. Sie wird in chemischen Fabriken durch Zersetzung von reinem Chlornatrium mit reiner, namentlich arsenfreier Schwefelsäure in gläsernen Retorten unter Vorlage von destillirtem Wasser hergestellt.
Acidum hydrochloricum dilutum der Pharmakopöe ist ein Gemenge von gleichen Theilen destillirten Wassers und reiner Salzsäure.
Identitätsnachweis der Salzsäure: 1. der eigenthümlich stechende Geruch derselben;
2. bringt man in die Nähe von Salzsäure einen mit Ammoniak benetzten Glasstab oder Stöpsel, so entstehen dichte, weisse Nebel;
3. fügt man zu einer salz säurehaltigen Flüssigkeit Silbernitratlösung, so entsteht ein weisser, käsiger Niederschlag, der in überschüssigem Ammoniak löslich ist.
Reine Salzsäure muss völlig frei von allen Beimengungen sein; für die genaue Prüfung giebt das Deutsche Arzneibuch ausführliche Anweisung.
Anwendung. Die reine Salzsäure hat ausser ihrer grossen, chemischen Verwendung eine medizinische Anwendung sowohl innerlich wie äusserlich;
innerlich in kleinen Dosen von 0,25-0,50 g als die Verdauung beförderndes, zugleich die übergrosse Magensäurebildung verhinderndes Mittel;
äusserlich zu Pinselungen für Croup, Mundfäule etc. etc. Rohe Salzsäure findet in der Technik in kolossalen Massen Verwendung;
zur Chlorkalkfabrikation, zum Auffrischen gebrauchter Knochenkohle in den Zuckerfabriken (eine einzige Zuckerfabrik mittlerer Grösse verbraucht jährlich 4-500 Ballons Säure), zum Ausziehen der Knochen bei der ¶
Leimbereitung, zur Darstellung des Chlorzinks und zahlloser anderer Chloride, zum Ausziehen armer Kupfererze etc. etc.
Versandt wird die Säure bei uns in den bekannten Glasballons, während man in England zuweilen hölzerne Fässer verwendet, die innen mit einem Guttapercha-Ueberzug gedichtet sind.
Ueber den Transport von Säuren auf den Eisenbahnen siehe Anhang.
Tabelle über den Prozentgehalt der wässerigen Salzsäure an Chlor und wasserfreier Salzsäure.
Spez. Gewicht | Chlorgehalt | Salzsäuregehalt | Spez. Gewicht | Chlorgehalt | Salzsäuregehalt |
---|---|---|---|---|---|
1,2000 | 39,675 | 40,777 | 1,1287 | 25,392 | 26,098 |
1,1982 | 39,278 | 40,369 | 1,1267 | 24,996 | 25,690 |
1,1964 | 38,882 | 39,961 | 1,1247 | 24,599 | 25,282 |
1,1946 | 38,485 | 39,554 | 1,1227 | 24,202 | 24,874 |
1,1928 | 38,089 | 39,146 | 1,1206 | 23,805 | 24,466 |
1,1910 | 37,692 | 38,738 | 1,1185 | 23,408 | 24,058 |
1,1893 | 37,296 | 38,330 | 1,1164 | 22,912 | 23,650 |
1,1875 | 36,900 | 37,923 | 1,1143 | 22,615 | 23,242 |
1,1857 | 36,503 | 37,516 | 1,1123 | 22,218 | 22,834 |
1,1846 | 36,107 | 37,108 | 1,1102 | 21,822 | 22,426 |
1,1822 | 35,707 | 36,700 | 1,1082 | 21,425 | 22,019 |
1,1802 | 35,310 | 36,292 | 1,1061 | 21,028 | 21,611 |
1,1782 | 34,913 | 35,884 | 1,1041 | 20,632 | 21,204 |
1,1762 | 34,517 | 35,476 | 1,1020 | 20,235 | 20,796 |
1,1741 | 34,121 | 35,068 | 1,1000 | 19,837 | 20,388 |
1,1721 | 33,724 | 34,660 | 1,0980 | 19,440 | 19,980 |
1,1701 | 33,328 | 34,252 | 1,0960 | 19,044 | 19,572 |
1,1681 | 32,931 | 33,845 | 1,0939 | 18,647 | 19,165 |
1,1661 | 32,535 | 33,437 | 1,0919 | 18,250 | 18,757 |
1,1641 | 32,136 | 33,029 | 1,0899 | 17,854 | 18,349 |
1,1620 | 31,745 | 32,621 | 1,0879 | 17,457 | 17,941 |
1,1599 | 31,343 | 32,213 | 1,0859 | 17,060 | 17,534 |
1,1578 | 30,946 | 31,805 | 1,0838 | 16,664 | 17,126 |
1,1557 | 30,550 | 31,398 | 1,0818 | 16,267 | 16,718 |
1,1537 | 30,153 | 30,990 | 1,0798 | 15,870 | 16,310 |
1,1515 | 29,757 | 30,582 | 1,0778 | 15,474 | 15,902 |
1,1494 | 29,361 | 30,174 | 1,0758 | 15,077 | 15,494 |
1,1473 | 28,964 | 29,767 | 1,0738 | 14,680 | 15,087 |
1,1452 | 28,567 | 29,359 | 1,0718 | 14,284 | 14,679 |
1,1431 | 28,171 | 28,951 | 1,0697 | 13,887 | 14,271 |
1,1410 | 27,772 | 28,544 | 1,0677 | 13,490 | 13,863 |
1,1389 | 27,376 | 28,136 | 1,0657 | 13,094 | 13,457 |
1,1369 | 26,979 | 27,728 | 1,0637 | 12,698 | 13,049 |
1,1349 | 26,583 | 27,321 | 1,0617 | 12,300 | 12,641 |
1,1328 | 26,186 | 26,913 | 1,0597 | 11,903 | 12,233 |
1,1308 | 25,789 | 26,505 | 1,0577 | 11,506 | 11,825 |
Acidum chloro-nitrosum. Aqua regis. +
Königswasser.
Unter diesem Namen versteht man eine stets frisch zu bereitende Mischung aus 1 Theil konzentrirter Salpetersäure mit 2-3 Theilen konzentrirter Salzsäure. - Sie hat ihren Namen daher, weil sie das Gold, ¶