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Sub-Tage durch Volksabstimmung beschlossene Vereinigung der Stadt Zürich [* 2] mit ihren Vororten zu ermöglichen, wodurch Zürich nun die ausgedehnteste und volkreichste Stadt der Schweiz [* 3] geworden ist.
Seite 19.1028 Jahres-Supplement 1891-1892
Sub-Tage durch Volksabstimmung beschlossene Vereinigung der Stadt Zürich [* 2] mit ihren Vororten zu ermöglichen, wodurch Zürich nun die ausgedehnteste und volkreichste Stadt der Schweiz [* 3] geworden ist.
Der Gedanke, die Verbrechenserscheinungen allmählich dadurch zu vermindern, daß man dem Verbrechertum den jugendlichen Nachwuchs entzieht, ist nicht neu, wenn er auch zeitweise in Vergessenheit geraten sein mag. Auf diesem Gedanken beruhte zum Teil die Einrichtung der alten Zuchthäuser, welche vorwiegend Polizeianstalten, nicht Strafanstalten, waren und dazu dienten, arbeitsscheue Individuen, welche die Landstraßen unsicher machten, aufzuheben, um sie zu Zucht und Ordnung zu bringen.
Mit den Landstreichern wanderten auch viele Kinder, welche an dem unsteten Leben teilnahmen uud dabei zum Bettel sowie zum Verbrechen erzogen wurden, in die Zuchthäuser. Hier war der angedeutete Gedanke sehr unvollkommen verwirklicht, weil diese Anstalten ihren Zweck, Zucht, d. h. Erziehung zu geben, nur ganz äußerlich durch Einsperrung und überreichliche körperliche Züchtigung zu erfüllen suchten, während das Zusammenleben beider Geschlechter und von Angehörigen aller Altersstufen für sich allein genügen, um diese Häuser zu Brutstätten des Lasters und zu Pflanzschulen des Verbrechens zu machen.
Doch entstanden frühzeitig auch solche Anstalten, welche ausschließlich das Ziel der Zwangserziehung verwahrloster oder unbotmäßiger jugendlicher Personen verfolgten. Schon 1552 baten die Bürger von London [* 4] die Königin Elisabeth um Überlassung des Palastes zu Bridewell, um dort arme Kinder zu gewerblicher Arbeit zu erziehen. Daß dieser Plan verwirklicht wurde, und daß es sich hierbei um eine Art von Zwangserziehung verwahrloster Kinder handelte, dafür spricht der spätere Gebrauch des Wortes »Bridewell« als eines Gattungsnamens für Zuchthaus.
Als eine der ältesten Anstalten dieser Art auf dem europäischen Festlande wird die Casa di correzione (Besserungshaus) des Filippo Franci in Florenz [* 5] (17. Jahrh.) genannt. Verhinderung der gegenseitigen moralischen Ansteckung durch Isolierung mittels Unterbringung in Zellen sowie mittels Gesichtsmasken von Eisenblech und Besserung durch Arbeit waren hier die Erziehungsmittel. Berühmt ist ferner das 1703 von Clemens XI. zu Rom [* 6] gegründete »Böse Bubenhaus«, dessen Erziehungszweck betont war in der bekannten Inschrift: »Parum est, coercere improbos poena, nisi probos officias disciplina« (»Es ist unzureichend, über die Bösewichte den Strafzwang zu verhängen, wenn man sie nicht zugleich durch Erziehung bessert ^[Anmerkung: Schlusszeichen fehlt]), und in einer andern Inschrift: "Clemens XI. Pontifex Maximus Perditis adolescentibus corrigendis instituendisque, ut, qui inertes oberant, instructi reipublicae serviant" (»Papst Clemens XI. den verwahrlosten Jugendlichen, welche zu bessern und zu unterrichten sind, damit sie, die arbeitsscheu schädlich waren, nachdem sie zu arbeiten gelernt haben, dem Staate nützen«). Auch in Deutschland [* 7] hat der Gedanke der Zwangserziehung früh Wurzel [* 8] gefaßt und zur Gründung von Anstalten für »Bettelkinder« (Nürnberg [* 9] 1558, Hamburg [* 10] 1610) sowie zur Gründung von Waisenhäusern geführt; Waisenhaus und Zuchthaus wurden übrigens nicht selten unter einem Dache vereinigt.
Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrh. bekam diese Angelegenheit neue Anregung. In England brachte der Herzog von Leeds [* 11] 1788 Kinder transportierter Verbrecher zur Erziehung unter Leitung von Handwerkern in einigen Hütten [* 12] familienweise unter;
in Italien [* 13] errichtete Leopold I. von Toscana 1782 und Papst Leo XII. zu Rom 1824 eine Besserungsanstalt;
in Deutschland rief Joh. Dan. Falk 1813 zu Weimar [* 14] eine »Gesellschaft der Freunde in der Not« ins Leben mit dem Zwecke, die gewerbliche Erziehung verwahrloster Kinder zu vermitteln;
aus den Bestrebungen dieses Vereins ging die Falksche Erziehungsanstalt für verwahrloste Kinder (Lutherhof zu Weimar) hervor (1829), deren Eröffnung bald (1833) die Gründung des Rauhen Hauses zu Horn bei Hamburg folgte (s. Wichern, Bd. 16).
Im Laufe des 19. Jahrh. trat besonders in Deutschland eine große Anzahl von Privatanstalten ins Leben.
Aber auch die Gesetzgebung nahm sich unter Vorgang des französischen Code pénal (1810, Art. 66) dieser Aufgabe an. Dem französischen Gesetz wurde das preußische Strafgesetzbuch (1851) und das Reichsstrafgesetzbuch (§ 56) nachgebildet. Nach dem letztern ist ein Angeschuldigter, welcher zu einer Zeit, als er das 12., aber nicht das 18. Lebensjahr vollendet hatte, eine strafbare Handlung begangen hat, freizusprechen, wenn er bei Begehung derselben die zur Erkenntnis ihrer Strafbarkeit erforderliche Einsicht nicht besaß.
Und in diesem freisprechenden Urteil ist ferner zu bestimmen, ob der Angeschuldigte seiner Familie überwiesen oder in eine Erziehungs- oder Besserungsanstalt gebracht werden soll; in der letztern darf er so lange festgehalten werden, als die der Anstalt vorgesetzte Verwaltungsbehörde es für erforderlich erachtet, jedoch nicht über das vollendete 20. Lebensjahr hinaus. Diese aus dem französischen Recht stammende Vorschrift ist 1876 in der Novelle zum Strafgesetzbuch (§ 55) erweitert worden durch Zulassung einer entsprechenden Maßregel gegenüber Jugendlichen, welche bei Begehung der Handlung das 12. Lebensjahr nicht vollendet haben und deshalb nicht strafrechtlich verfolgt werden dürfen.
Gegen solche kann nach Maßgabe der Landesgesetze eine Unterbringung in eine Erziehungs- oder Besserungsanstalt angeordnet werden, nachdem durch Beschluß der Vormundschaftsbehörde die Begehung der Handlung festgestellt und die Unterbringung für zulässig erklärt ist. Auf Grund dieser letztern Bestimmung und zur Ausführung derselben wurden in mehreren Gliedstaaten des Reiches besondere Landesgesetze erlassen; so in Preußen [* 15] 1878, Oldenburg [* 16] 1880,Sachsen-Weimar 1881, Mecklenburg-Schwerin 1882, Lübeck [* 17] 1884, Baden [* 18] 1886, Hamburg 1887, Hessen [* 19] 1887. In andern Gliedstaaten begnügte man sich mit der schon vor 1876 vorhandenen Gesetzgebung, z. B. in Bayern [* 20] (Polizeistrafgesetzbuch 1871, Art. 81), Sachsen [* 21] (Gesetz, betr. das Volksschulwesen, 1873), Anhalt [* 22] (Gesetz, die Einstellung verwahrloster Kinder in eine Erziehungs- und Besserungsanstalt betr., 1873). Die Zwangserziehung sollte jedoch nicht davon abhängig sein, daß der Jugendliche eine Handlung begangen hat, welche den Thatbestand einer strafbaren Handlung erfüllen würde, wenn nicht die Zurechnung zur Schuld um des Alters willen ausgeschlossen wäre; sondern die Zwangserziehung ist schon dann gerechtfertigt und zur Verhütung strafbarer Handlungen angemessen, wenn das Verhalten überhaupt auf eine so erhebliche sittliche Verwahrlosung schließen läßt, daß die bisherige Familienerziehung ungenügend erscheint und mit den gewöhnlichen Erziehungsmitteln der Schule allein eine Besserung voraussichtlich nicht zu erzielen ist. Dieser Rücksicht tragen insbesondere die drei letztgenannten Gesetze Rechnung, ebenso das badische, hamburgische und hessische Gesetz, das preußische allgemeine Landrecht ¶
und das württembergische Polizeistrafgesetzbuch; endlich der Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich [* 24] § 1546. Ferner sind der Zwangserziehung nicht nur die wegen ihrer Jugend nicht verfolgbaren oder freigesprochenen Personen, sondern unter Umständen auch die zu einer Freiheitsstrafe verurteilten Jugendlichen bedürftig, sofern die kurze Dauer der Strafe eine hinreichende erzieherische Einwirkung durch den Vollzug nicht gestattet.
Anderseits ist es, um den Umfang der Zwangserziehung zu ermessen, notwendig, darauf hinzuweisen, daß auch der Strafvollzug gegenüber Jugendlichen vorwiegend erzieherische Zwecke verfolgt. Es sind daher auch die gemäß § 57 des Strafgesetzbuches zur Verbüßung von Freiheitsstrafen bestimmten besondern Strafanstalten für Jugendliche ihrem Wesen nach zugleich Zwangserziehungsanstalten. Diese drei Gruppen: verurteilte, freigesprochene und sonstige verwahrloste Jugendliche, werden auch in der ausländischen Gesetzgebung unterschieden: England hat reformatory schools für bestrafte Jugendliche als bessernde Nachhaft, industrial schools für solche Jugendliche, welche der Richter straffrei ausgehen läßt;
in Frankreich unterscheidet man Colonies pénitentiaires für die wegen mangelnder Einsicht Freigesprochenen und die zu Freiheitsstrafe von 6 Monaten bis zu 2 Jahren Verurteilten, Colonies correctionelles für die zu längerer Freiheitsstrafe Verurteilten;
in Belgien [* 25] bestehen besondere Anstalten für die enfance coupable (Verurteilte und mangels Einsicht Freigesprochene) und andre Anstalten für die enfance abandonnée (Verwahrloste).
Reform in der angezeigten Richtung erscheint für das Deutsche Reich als ein um so dringenderes Bedürfnis, als die Anzahl der jugendlichen Verbrecher in erheblicher Weise gestiegen ist: von 30,719, welche im J. 1882 wegen Verbrechen oder Vergehen gegen Reichsgesetze verurteilt waren, auf 40,905 im J. 1890;
auf 10,000 Angehörige der Bevölkerung [* 26] im Alter von 12 bis unter 18 Jahren kamen 1882: 56,7 und 1890: 72,5 wegen Verbrechen oder Vergehen gegen Reichsgesetze verurteilte Jugendliche;
die Zunahme betrifft hauptsächlich Diebstahl, Raub, Hehlerei und Brandstiftung, in erhöhtem Maße durch Kinder von 12-15 Jahren verübt.
Die Gestaltung des Vollzuges der Zwangserziehung ist von der Lösung verschiedener Systemfragen abhängig.
1) Ist Familien- oder Anstaltserziehung mehr zu empfehlen? Der Internationale Gefängniskongreß zu Stockholm [* 27] 1878 hat sich zu gunsten der erstern ausgesprochen und die letztere nur für den Fall der Undurchführbarkeit jener befürwortet; auch der internationale Kongreß für Gefangenenfürsorge und Schutz der verwahrlosten Jugend (Antwerpen [* 28] 1890) hat die Familienerziehung grundsätzlich als das beste System anerkannt. Die Erziehung in einer Familie würde allerdings idealen Anforderungen mehr entsprechen als die Anstaltserziehung, weil das Kind nur in ersterer einen Ersatz für die eigne Familie finden kann und in der Anstalt das innige Band [* 29] fehlt, welches in der Familie sich in unzähligen Einzelheiten äußert und die Erziehung fördert.
Die Familienerziehung bietet außerdem noch den Vorteil, daß der Zögling in der Familie auch für das spätere Leben eine wertvolle Stütze finden kann. Die Verwirklichung des Ideals stößt jedoch vielfach auf unüberwindliche Schwierigkeiten. Eltern, welche selbst Kinder haben, werden sich scheuen, dieselben in enge Gemeinschaft mit verwahrlosten Kindern zu bringen;
Eltern, welche eigne Kinder nicht haben, besitzen vielfach nicht die Lust oder nicht die nötigen Eigenschaften, welche eine Bürgschaft für gedeihliche Erziehung bilden;
immer besteht die Gefahr, daß, hauptsächlich das Streben nach materiellen Vorteilen den Beweggrund für die Übernahme der Erziehung abgibt. So bleibt meistens die Anstaltserziehung als der einzige Ausweg;
auch bietet diese gegenüber Kindern, deren Verwahrlosung so erheblich ist, daß der Staat eingreifen muß, wegen ihrer größern Planmäßigkeit mehr Aussicht auf Erfolg als die Familienerziehung.
Der internationale Gefängniskongreß zu Petersburg [* 30] (1890) hat sich daher für eine Verbindung der beiden Systeme ausgesprochen, wie sich dieselbe auch schon in der Praxis bewährt hat. Hiernach soll Familienerziehung zugelassen werden für körperlich gesunde Kinder in den ersten Lebensjahren, für verwahrloste Kinder und solche, welche eine strafbare Handlung begangen haben, erst, nachdem sie einige Zeit mit günstigem Erfolg der Anstaltserziehung unterworfen waren, endlich für Jugendliche, deren Zwangserziehung in einer Anstalt bewerkstelligt wurde, für welche aber noch eine Schutz« aufsicht zweckmäßig erscheint, so daß das Leben in der Familie als Übergangsstadium zu vollständiger Freiheit dient. Geeignete Familien sind durch die Organe besonderer Vereine oder der Vereine für entlassene Sträflinge auszuwählen und zu überwachen.
2) Sind Staats- oder Privatanstalten vorzuziehen? Notwendig sind erstere nur, soweit es sich um den Vollzug einer Erziehungszwecke verfolgenden Freiheitsstrafe handelt; im übrigen kann die Aufgabe der Zwangserziehung unter der Voraussetzung strenger staatlicher Aufsicht unbedenklich Privatanstalten überlassen werden.
3) Innerhalb der Anstalt verdient die Bildung familienähnlicher kleinerer Gruppen unter einem Erzieher vor dem Kollektivsystem den Vorzug, nach welchem Abteilungen von 50-80 Zöglingen in militärischer Ordnung zusammenleben. Dieses Kollektivsystem erschwert die Beobachtung der Individualität und noch mehr die Behandlung des Einzelnen nach seinen persönlichen Eigenschaften und Fähigkeiten, während das andre System, wenn es auch die Familie keineswegs ersetzt, doch ein familienähnliches Verhältnis, engern Anschluß der Zöglinge untereinander und an ihren Lehrer sowie individualisierende Behandlung gestattet; für diese letztere Einrichtung hat sich der Petersburger Gefängniskongreß ausgesprochen.
4) Ist Erziehung zu gewerblicher oder zu landwirtschaftlicher Beschäftigung für die Zukunft des Zöglings ersprießlicher? Zu gunsten der Ausbildung für die Landwirtschaft läßt sich geltend machen, daß der Zögling auf diesem Wege später den Verführungen des städtischen Lebens fern gehalten wird und sich somit die Gefahr der Betretung der Verbrecherlaufbahn oder des Rückfalls in dieselbe wesentlich vermindert. Dazu kommt die Aussicht, landwirtschaftliche Arbeiter zu gewinnen, an denen thatsächlich Mangel ist, während die gewerbliche Arbeit angesichts des ohnehin starken Zuganges und der Zunahme des Maschinenwesens sowie der Großbetriebe verhältnismäßig weniger Aussicht auf gesicherten Broterwerb bietet, folglich schon deshalb, abgesehen von dem Einflusse städtischer Genüsse, die Gefahr der Arbeitslosigkeit und infolge hiervon des moralischen Sinkens viel größer ist als dort. Auch hat man in Amerika [* 31] mit der Unterbringung hilfloser und verwahrloster Kinder bei Farmern günstige Erfahrungen gemacht, da die Zöglinge, einmal erwachsen, willkommene Arbeitskräfte wurden und sich häufig gut versorgten. Diesen Erfahrungen steht ¶
jedoch auf dem europäischen Festlande die Befürchtung und die Thatsache gegenüber, daß diejenigen Zöglinge, welche aus der städtischen oder aus Fabrikbevölkerung stammen, nach der Entlassung aus der Zwangserziehung die Beziehungen zu ihrer Familie in der Stadt wieder aufsuchen und, da sie hier ihre landwirtschaftliche Ausbildung nicht verwerten können, leicht einem unregelmäßigen Leben und schließlich vollständig dem Müßiggang verfallen. Es empfiehlt sich deshalb vielleicht mehr, nur die Zöglinge, welche aus der ländlichen Bevölkerung stammen und mutmaßlich wieder zu derselben zurückkehren, zur Landwirtschaft anzuhalten, Abkömmlingen der städtischen Bevölkerung dagegen eine gewerbliche Ausbildung zu geben, soweit sich nicht ein Mittelweg, z. B. durch Vereinigung landwirtschaftlicher und gewerblicher Ausbildung, finden läßt. Ein andrer Ausweg ist die Bildung einer »Schiffsjungenklasse«, deren Angehörige schon in der Anstalt für den Schiffsjungendienst vorbereitet und unmittelbar aus der Anstalt in eine Schiffsjungenschule gebracht werden.
Die Einrichtung der Anstalt fordert möglichste Einfachheit, damit die Zöglinge nicht an Bedürfnisse gewöhnt werden, welche sie später voraussichtlich nicht befriedigen können. Die Zeit des Aufenthalts ist durch die Anstaltsverwaltung, bei Familienerziehung etwa durch den Vormundschaftsrichter, immer innerhalb einer gesetzlichen Grenze nach freiem Ermessen zu bestimmen. Die Zeit kann durch bedingte Entlassung abgekürzt werden, so daß der Entlassene noch eine bestimmte Frist nach erlangter Freiheit der Gefahr ausgesetzt ist, im Falle schlechter Führung wieder in die Anstalt eingeliefert zu werden; während dieser Probezeit ist eine Schutzaufsicht durch Vereinsorgane angemessen.
Vgl. v. Holtzendorff und v. Jagemann, Handbuch des Gefängniswesens Bd. 2, S. 280 ff. (Hamb. 1888);
Wines, The state of prisons and of child-saving institutions in the civilized world (Cambridge 1880);
Aschrott, Strafensystem und Gefängniswesen in England (Berl. 1887);
Derselbe, Die Behandlung der verwahrlosten und verbrecherischen Jugend (das. 1892);
v. Liszt in der »Zeitschrift für Strafrechtswissenschaft«, Bd. 12, S. 161 ff.; Münsterberg, [* 33] Zwangserziehung, in v. Stengels »Wörterbuch des Verwaltungsrechts«, Bd. 2 (Freib. i. Br. 1889);
Gutachten für den Petersburger Gefängniskongreß (1890) von Fuchs, [* 34] Voisin, Pratesi, Mouat, Toutchew, Taverni, Fowke, Lütken, Krajcsik, Gaal, Reeve, Clifton, Randall im »Bulletin de la Commission pénitentiaire internationale« 1888, 1889, 1890.
Verdichtung, s. Kraftversorgung.
Daß eine Verbindung zwischen den einzelnen Zwergvölkern, deren man bei genauerer Durchforschung Afrikas immer mehr unter den übrigen Stämmen verstreut aufgefunden hat, früher bestanden habe, gilt allen Forschern als unzweifelhaft. Die durchschnittliche Körpergröße ist als gemeinsames Merkmal dieselbe. Etwanige Abweichungen in der äußern Erscheinung können wegen der räumlichen Entfernung durch andre tellurische und klimatische Einflüsse oder durch eine verschiedene Lebensweise ihre Erklärung finden.
Während einzelne Forscher die Zwergvölker anthropologisch von den sie umgebenden Völkerschaften scheiden wollen, sehen andre mit mehr Recht in ihnen nach ihren körperlichen Merkmalen nur eine Abart der Negerrasse. Von den als für sie charakteristisch angeführten Hängebäuchen, wie Schweinfurth sie bei den Akka, Fritsch sie bei den Buschmännern fanden, nahmen Emin, Casati, Stanley und Jephson nur bei ganz jugendlichen Mitgliedern etwas wahr. Der Grund für diese abweichende Erscheinung ist wohl darin zu suchen, daß die einen mehr animalische, die andern mehr vegetabilische Nahrung zu sich nehmen. Am Lulua, dem großen rechtsseitigen Zufluß des Kassai, fand Ludwig Wolf die Batua, an denen Wissmann auf seiner spätern zweiten Durchquerung Afrikas Messungen machen konnte.
Die Männer (nur solche bekam man zu Gesicht) [* 35] waren 1,40-1,45 m groß, von lichtgelber Farbe mit bräunlicher Schattierung, langgliederig, mager mit schönen, klugen Augen und feinen, durchaus nicht negerartigen, rosenroten Lippen. Ihre Sprache [* 36] hatte etwas Singendes. Wegen ihres Pfeilgiftes waren sie bei einigen der sie umgebenden Stämme sehr gefürchtet, während andre sie verachteten. Stanley fand auf seinem Zuge zum Entsatz Emins am obern Aruwimi Zwerge, die er als Batua und Wambutti unterscheidet, und bei denen er auch Weiber und Kinder zu Gesicht bekam.
Ihre Größe wechselte von 0,9-1,4 m; ihr Durchschnittsgewicht betrug 40 kg. Die Hautfarbe beschreibt er als der eines halbgebrannten roten Ziegelsteins ähnlich, die Kinnladen vorstehend, die Oberlippe in der Mitte steil nach oben geschwungen, die Gestalt wohlgeformt. Sie waren eifrige und geschickte Jäger, welche nomadisierend umherzogen, wegen ihrer tödlichen Giftpfeile bei den umwohnenden Stämmen gefürchtet, aber auch sehr geschätzt als außerordentlich wachsame Kundschafter.
Jephson, der seine Größenmaße den anthropologischen Aufzeichnungen Emins entnahm, welcher eine große Anzahl gemessen hat, sagt, daß sie 1,20-1,24, nie aber über 1,245 m groß sind und auf dem ganzen Körper einen dicken Filz von steifem, graulichem Haar [* 37] haben, der ihnen ein eigentümliches koboldartiges Ansehen gebe. Die Männer haben oft einen langen Bart, was bei den Negerrassen sehr ungewöhnlich ist, und beide Geschlechter einen eigentümlichen starken und höchst unangenehmen Geruch.
Die Wälder schienen sie vorzuziehen, die bei Emin und Stanley verweilenden Zwerge befanden sich im offenen Lande niemals wohl, sie schienen die Sonne [* 38] und die kalten Nächte nicht vertragen zu können und waren stets fieberkrank. Während die Zwergenfrauen, die im Gegensatze zu den Männern oft hübsche Formen haben, gute Dienerinnen abgeben und unermüdlich arbeitsam sind, sind die Männer weniger zu Diensten geneigt, beide aber, Männer wie Frauen, bewahren stets ein gewisses Unabhängigkeitsgefühl.
Nach Jephson scheint bei diesen Zwergen Kannibalismus getrieben zu werden. Casatis Beobachtungen im Lande der Monbuttu ergänzen die vor ihm von Schweinfurth gemachten. Nach ihm leben im S. der von den Sandeh bewohnten Gegenden, die zwischen die Stämme Medsche, Maigo, Monfu und Mabode eingeschoben sind, zahlreiche Kolonien kleiner, kühner, unabhängiger und gefürchteter Menschen. Die Efe, so nennen sie sich selber, werden von den Monbuttu Akka, von den Sandeh Tiki-Tiki, von den Monfu Moriu und von den Mabode Afifi genannt.
Die einen, klein und flink, mit rötlichbrauner, reichbehaarter Haut, [* 39] sind Waldbewohner, die andern, von höherm Wuchs, stärkerm Gliederbau und von dunklerer Farbe der Haut, die mit dickerm, aber spärlicherm Haar bedeckt ist, bewohnen hohe, offen gelegene Ortschaften. Die Größe wechselt zwischen 1,30 und 1,50 m. Den Kopf bedeckt überreiches, rötliches Haar, das in einzelnen Fällen braun, gekräuselt, wollig ist; erwachsene Männer haben starke Bärte, doch mit nur wenig Haaren auf der Oberlippe. Sie sind Jäger, aber keine ¶
1017 Ackerbauer, und berauben oftmals die Felder ihrer Nachbarn. Als Krieger sind sie wegen ihrer Gewandtheit in Handhabung des Bogens, der Schnelligkeit ihrer Bewegungen und ihres angebornen Mutes sehr geschätzt. Der französische Reisende Crampel entdeckte den Zwergstamm der Bayaga im Gebiete der M'Fangs, nördlich vom Ogowe, unter 11° östl. L. und 2° nördl. Br. Die Bayaga sind Jäger, die M'Fangs dagegen Ackerbauer. Jeder Häuptling der letztern hat seine bestimmte Horde Bayagas, die im Wald in der Nähe des Dorfes, meist in der Stärke [* 41] von 15 Köpfen hausen. Ihre Lieblingsbeschäftigung ist die Elefantenjagd. Ihre Durchschnittsgröße ist 1,40 m; sie sind kräftig gebaut, mit vorstehenden Backenknochen, gebogener Nase, [* 42] sehr kurzem Hals, gewölbter Brust, starken Armen, gekrümmten Beinen und stark vorspringenden Knöcheln. Wie bei manchen andern Zwergstämmen wurde bei ihnen der eigentümlich scheue Gesichtsausdruck bemerkt.
Bei allen beobachteten Zwergstämmen fällt die eigentümliche politisch-soziale Absonderung auf. Was ihre geographische Verbreitung betrifft, so können wir heute süd-, zentral- und westafrikanische Verbreitungsgebiete dieser Völker unterscheiden, da keiner der kleinen Stämme nördlicher als 5° nördl. Br. und östlicher als 31° östl. L. v. Gr. beobachtet worden ist. Als die westlichsten müssen die von Lenz beschriebenen Babongo am untern Ogowe gelten, als die östlichsten die von Stanley am Semliki und von Wissmann am Ubudschwe beobachteten.
Außerdem fand Stanley Zwerge in einem Gebiete, das begrenzt wird durch Ugarrowas Station am Ituri im W., den Hochlandrand über dem Albertsee im O. und die Nordabhänge des Ruvenzori im S. Diese östlichen Stämme sind nach Rasse und Lebensweise nahe verwandt mit den Völkern, die in Südafrika [* 43] als Buschmänner, bei den Monbuttu als Akka, am Tschuapa als Watua, bei den Mabode als Balia, im Thale des Ihuru als Wambutti und von den Wäldern nördlich vom Ruvenzori bis zum Lulua als Batua bezeichnet werden. Im südlichen Kongobecken bewohnen sie nach François ein Gebiet von der Größe Bayerns. Über den Lomami, wo Grenfell sie traf, greifen sie in das östliche Kongogebiet über, wo wir sie am obern Uëlle, ihrem nördlichsten Punkt, bis südöstlich vom Kabambarreh in Manjema finden. Junker traf ihre nomadisierenden Kolonien südlich vom Bomokandi, Serpa Pinto im SW. als fernste Glieder [* 44] die Mukassequere.
s. Anthropologenkongreß, ^[= Die 21. allgemeine Versammlung der Deutschen Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und ...] S. 30.
s. Schaltknochen. ^[= entstehen entweder durch Auftreten ungewöhnlicher, am normalen Menschenschädel ...]
s. Wassernetzalge. ¶
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KLEMENS MERCK'S
WARENLEXIKON. ¶