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der Nahrungsmittel [* 2] eine ansehnliche Mehrausfuhr ergeben. Speziell die Weinausfuhr übertrifft mit 362 Mill. Pesetas weitaus die Ergebnisse der Vorjahre (308 Mill. im I. 1890 und 385 im I. 1889). Die Schiffahrt in den spanischen Häfen umfaßte im I. 1890, verglichen mit dem Vorjahre: 1889 1890 Eingelaufene Schiffe .. .. 18161 1955? Tonnengchalt .. .. .. 11528399 12285980 Tonnen Beförderte Waren. .. 3062986 3434190 Ausgelaufene Schiffe [* 3] .. .. 18555 18669 Tonnengchalt .. .. .. 12758024 12100910 Tonnen Beförderte Waren. .. 7 726824 8438463 Es zeigt sich somit im 1.1890 ein Aufschwung namentlich in der Verkehrsrichtung des Einlaufs, im Auslauf speziell eine Zunahme der Schiffszahl und der beförderten Warenmenge bei einer Abnahme des Tonnengehaltes der ausgelaufenen Schiffe.
^Handelspolitik.) Auch die spanische Handelspolitik ist vom System des Freihandels -,u dem des Schutzzolles übergegangen. Durch Dekret vom wurde die Bestimmung des Vuogetgefetzes vom womit die allmähliche Ermäßigung der Einfuhrzölle bis zu 15 Proz. des Wertes angeordnet worden war, aufgehoben und zunächst mit der Absicht des Schutzes der landwirtschaftlichen Produktion Spaniens die Erhöhung der Ginfuhrzölle für 16 Tarifpositionen, namentlich für Vieh, Fleisch, Neis, Getreide [* 4] und Mehl, [* 5] verfügt. Mit 1. Febr. 18V ist ein neuer allgemeiner Zolltarif (vom ins Leben getreten, welcher nach dem französischen Vorbilde Minimalsätze für die Einfuhr aus jenen Ländern, welche S. größere Zollbegünstigungen gewähren, ..und Maximalsätze für Länder, welche mit S. kein Übereinkommen geschlossen haben, feststellt.
Mit Ausnahme des unabänderlichen Zollsatzes auf Sprite und Liköre (160Pesetas pro Hektoliter/können übrigens die Minimalzollsätze im Vertragswege noch herabgesetzt werden. Zugleich wurden für den Termin des sämtliche die Klausel der Meistbegünstigung enthaltende Handelsverträge gekündigt. Da jedoch die Verträge mit Großbritannien, [* 6] den Niederlanden und Finnland erst zu Ende gehen, wurden diesen Ländern bis dahin die vertragsmäßigen Rechte gewahrt und mit einer Neihe von Staaten eine provisorische Verlängerung [* 7] des Vertragsuerhältnisses bis Ende Juni 1892 vereinbart (s. Handelsverträge, S. 428). In die neu abzuschließenden Handelsverträge soll die Klausel der Meistbegünstigung nicht mehr Eingang finden.
Für Cuba'und Puerto Rico wurde 1. Äug.' 1891 ein Handelsvertrag mit Nordamerika [* 8] abgeschlossen, durch welchen gegenseitige handelspolitische Konzessionen gewährt werden. Für die Philippinen ist mit ein neuer Zolltarif erlassen worden, welcher dem Handel und der Industrie sowohl des spanischen Mutterlandes als des Archipels gegenüber der fremden Konkurrenz Schutz gewährt. Den Boden der Arbeiterschutzgesetzgebung hat die spanische Regierung vorläufig nur durch Schaffung einer speziellen Kommission für soziale Reformen betreten, welcher die Beratung der Projekte, betreffend Aufhebung der Sonntagsarbeit, Einschränkung der Frauen- und Kinderarbeit und betreffend die Arbeitsunfälle, überwiesen wurde.
Bevölkerung [* 9] Spaniens Gnde 1887. Provinzen Einwohner Vnde 188? Zunahme gegen l auf 1877(-Abnahme)! 1 QKil. Alava Albacete Alicante Almeria Avila V.'.dajo; Vulearen .. .. . Barcelona [* 10] .. .. . Burgos Caceres Cadiz [* 11] (mit Ceuta) [* 12] Cast?llun. .. .. . ssindad Real .. . Cordova Coruna Cneuca Gerona Granada Guadalajara .. . Guiftuzcoa .. .. . Huelva Hncsca Iaen Kanarische Inseln Leon Lerioa Üogrono Lugo Madrid Malaga Murcia Navarra Orense Ovirdo Palencia. .. .. . Pontevedra. .. . Salamanca. .. . Eantander .. .. . Saragossa [* 13] .. .. . Segovia Sevilla Soria Tarragona .. .. . Teruel Toledo Valencia Valladolid .. .. . Niscaya Iamora Spanien: [* 14] Nordafrika (ohne Ceuta) Insgesamt: 92915 229105 483050 389452 198098 481508 312593 902 970 338551 339 793 429872 2^2437 292291 420^28 613881 242462 306583 484638 201518 181845 254881 255137 437842 291 625 380637 285417 181465 432165 682 644 519377 491436 304122 405127 595420 188845 443335 314472 244274 415195 154443 544815 151530 348579 241865 359562 733978 267 148 235659 270 072 17560352 5230 - 623 ^0040 21485 - 9624 1265? 48693 23558 66083 5926 381V9 663 8456 31988 35240 17445 6209 6881 5572 230 14638 44364 2898 14817 10U51 30427 78 7040 21355 88450 19055 39L25 - 6216292 19 0W 8074 - 8561 28 77? 8975 14 608 4391 38003 - 2122 18474 - 300 24524 54932 19690 45 705 20352 949 775 2804 31 15 77 89 25 22 62 117 24 1? 59 45 15 31 78 14 88 17 97 25 17 32 40 25 24 36 44 86 71 43 29 58 22 101 25 45 24 23 39 15 54 1K 24 68 35 10 Der Staatsvoranschlag für das Jahr 1891/9^ ist von der Regierung in den Einnahmen mit 733,8 Mill. Pesetas, in den Ausgaben mit 752, Mill.,sonach mit einem Fehlbetrag vonrund 18,9 Mill. Pesetas beziffert worden. Um dieses verhältnismäßig günstige Ergebnis zu erreichen, wurden an den Budgets sämtlicher Ministerien starke Abstriche gemacht. Indessen dürften sich in Wirklichkeit die Einnahmen niedriger, die Ausgaben und der Fehlbetrag dagegen, wie in den Vorjahren, höher stellen. Die offiziell zu gestandenen Fehlbeträge beliefen sich für 1885/86 aui 108, für 1886/87 auf 100, für 1687/88 auf 89, fin 1888/89 auf 138, für 1889/90 auf 81 Mill.;
für 1890/91 nen Provinzen verteilt sich die Bevölkerung wie folgt. < worden;
durch Veräußerung oder Verpfändung vor ¶
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Staatseigentum wurden ca. 200 Mill. beschafft;
die Gesellschaft, welche das Tabaksmonopol pachtete, borgte 84 Mill.;
an fälligen Eisenbahnsubventionen ist die Regierung 120 Mill. schuldig geblieben;
die anerkannte schwebende Schuld beträgt etwa ⅓ Milliarde;
den Rest hat die Bank von S. für Vorschüsse in laufender Rechnung zu fordern.
Die Regierung hat nun beschlossen, um einige Ordnung in die Finanzlage zu bringen, eine 4proz. innerhalb 30 Jahren rückzahlbare Anleihe von 250 Mill. aufzunehmen, bei der Bank, von S. 150 Mill. zinsenfrei zu entleihen und gleichzeitig die Bank, welche längst am Ende ihrer verfüg-baren Mittel angelangt ist, in die Lage zu versetzen, weitere Vorschüsse machen zu können. Bisher war die Bank nur zur Ausgabe von 750 Mill. Pesetas in Papiergeld und unter der Voraussetzung berechtigt, diesen Notenumlauf mit einem Viertel durch Barreserven zu decken.
Nach dem neuen Bankgesetzentwurf soll die Bank künftig ohne Kapitalserhöhung in der Banknotenausgabe nicht beschränkt sein, vorausgesetzt, daß sie den wirklichen Notenumlauf mit einem Drittel durch Barbestände deckt. Dieses Drittel hat zur Hälfte aus Gold, [* 16] zur Hälfte aus Silber zu bestehen. Geichzeitig ^[korrekt: Gleichzeitig] sollte der Bank zur Entschädigung für die der Regierung zinsfrei zu gewährende Anleihe ihre im Jahre 1904 ablaufende Konzession schon jetzt bis 1921 verlängert werden.
Gegen diesen Entwurf hat sich lebhafter Widerstand seitens der Handelskammern erhoben, welche in der unbeschränkten, mangelhaft bedeckten Banknotenausgabe den ersten Schritt des Überganges zur Papiergeldwährung sahen, bei der nächsten größern Krisis die Einführung des Zwangskurses befürchteten und behaupteten, daß 750 Mill. Papiergeld das Maximum dessen bedeute, was der spanische Geldmarkt tragen könne. Die Bestimmung wurde auch wenigstens dahin beschränkt, daß das Recht der Bank zur Ausgabe von Noten auf das Maximum von 1500 Mill. Pesetas begrenzt wurde. -
Vgl. auch die S. betreffenden Abschnitte der Artikel Getreideproduktion, S. 390, Kolonien, S. 538, und Volksvertretung.
[Geschichte.] Den dringlichsten Geldbedürfnissen des Staates wurde im Sommer 1891 durch ein Gesetz abgeholfen, welches der Bank von S. gegen einen unverzinslichen Vorschuß von 150 Mill. Pesetas an die Regierung die Vermehrung ihrer Banknoten um 750 Mill. gestattete. Das bei der Eröffnung der Cortes 2. März versprochene Amnestiegesetz wurde von beiden Kammern genehmigt. Wenn dasselbe auch nicht so weit ging, die eidbrüchigen Unteroffiziere wieder in die Armee aufzunehmen, wie mehrere republikanische Abgeordnete verlangten, so gewährte es doch zahlreichen Republikanern die straffreie Rückkehr nach S., obwohl die Gemeinderatswahlen im Mai ein starkes Anwachsen der republikanischen Partei in den Städten bewiesen hatten. Zorrilla und andre Unversöhnliche machten dennoch von der Amnestie keinen Gebrauch. Auch ein Rekrutierungsgesetz, welches im Grundsatz für S. die allgemeine Wehrpflicht anordnete, wurde den Cortes vorgelegt, jedoch, noch ehe dieselben dies Gesetz und den Staatshaushalt durchtraten und genehmigt hatten, deren Sitzungen 15. Juli vertagt. Die schwierige finanzielle Lage Spaniens wurde aufs äußerste bedroht durch die schutzzöllnerische Politik Frankreichs, dessen von der Deputiertenkammer beschlossener neuer Zolltarif den Zoll auf Wein in einer Hohe und unter Bedingungen festsetzte, die eine fernere Einfuhr spanischen Weines nach Frankreich, die in den letzten Jahren 400 Mill. Frank jährlich betragen hatte, einfach unmöglich machten. Das Mißtrauen gegen den nördlichen Nachbar, das durch die herausfordernde französische Politik in Nordafrika schon erregt war, wurde dadurch gesteigert. Die öffentliche Meinung verlangte eine energische Abwehr der französischen Zollpolitik und eine wachsame Verteidigung der spanischen Interessen im Ausland. Der Marineminister Beranger wurde wegen Vernachlässigung der spanischen Seemacht heftig angegriffen und seine Verwaltung geradezu der Vergeudung der zum Ausbau der Flotte bestimmten Gelder beschuldigt. Beranger nahm infolgedessen seine Entlassung, und sein Rücktritt gab den Anstoß zu einer vollständigen Unigestaltung des konservativen Ministeriums Canovas welche demselben eine bei der heikligen Finanzlage und der schwierigen Zolltariffrage dringend notwendige feste Mehrheit in den Cortes sichern sollte. Zu diesem Zwecke verständigte sich Canovas mit dem konservativen Parteiführer Romero Robledo und den: liberalen Finanzpolitiker Camacho. Im November reichte das gesamte Ministerium seine Entlassung ein, die von der Regentin angenommen wurde. Darauf wurde Canovas mit der Neubildung des Kabinetts beauftragt, die Ende November zu stände kam. Die bisherigen Minister des Innern (Silvela), der öffentlichen Arbeiten (Isada) und der Kolonien (Fabié) schieden aus, Cos-Gayon übernahm statt der Finanzen die Justiz. Canovas de Castillo blieb Ministerpräsident, der Herzog von Tetuan behielt das Portefeuille des Auswärtigen, General Azcarraga das des Krieges. Neu traten ein Romero Robledo für die Kolonien, Concha Castañeda für die Finanzen, Elduayen für das Innere, Linares Rivas für öffentliche Arbeiten und Admiral Montojo y Trillo für die Marine. Camacho wurde zum Gouverneur der Bank von S. ernannt. Nach dem in den Zeitungen veröffentlichten Programm der neuen Regierung sollte die schutzzöllnerische Richtung beibehalten, in der innern Politik aber der konservative Standpunkt der Regierung kräftiger zum Ausdruck gebracht und gegen die Republikaner weniger Nachsicht als bisher geübt werden. Zur Besserung der Finanzen beabsichtigte man Ersparnisse im Budget und die längst geplante Aufnahme einer Anleihe von 250 Mill. Pesetas zur Tilgung der schwebenden Schuld. Ein neuer Zolltarif wurde ausgearbeitet und veröffentlicht, der für die neu abzuschließenden Handelsverträge zur Grundlage dienen sollte. Derselbe setzte sehr hohe Zölle fest, unter anderm für Alkohol 160 Pesetas für das Hektoliter, um die inländische Erzeugung von Weinsprit zu fördern, überhaupt die Zolleinnahmen zu erhöhen. Doch erschwerte der neue Tarif die Verhandlungen mit den andern Mächten über die Erneuerung der Handelsverträge, die nur mit wenigen zu stände kam. Mit Frankreich hörte jedes Vertragsverhältnis auf; indes hatte S. seine Weinernte (6,2 Mill. hl) vorher nach Frankreich ausgeführt. Das den Cortes im Februar vorgelegte Budget setzte die Ausgaben auf 750, die Einnahmen auf 749 Mill. Pesetas fest; die Ersparungen beliefen sich auf 7, der Ertrag der neu einzuführenden Steuern auf 26 Mill. Doch erklärte das Ministerium noch weitere Steuern für unvermeidlich. Spanische Litteratur. [* 17] Die schöne Litteratur Spaniens hat in den letzten Jahren zwar an Umfang bedeutend zugenommen, die Zahl der einigermaßen hervorragenden und beachtenswerten Werke ist jedoch verhältnismäßig sehr viel geringer als in den ersten Jahren nach der Wiederaufrichtung des Bourbonenthrons. Auch der Charakter der schonen Litteratur hat ¶
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sich sehr verändert, und man kann nicht sagen: zu ihrem Vorteil. Dagegen zeigt sie mehr Anpassung an die in der übrigen Welt herrschende Geschmacksrichtung, weist mehr kosmopolitische Züge auf als die der Zeit ihrer Wiedergeburt, als die der Jahre 1875-80. Das Bestreben, welches sich damals in erster Linie und mit voller Kraft [* 19] geltend machte, war völlige Lossagung vom französischen Einfluß, Begründung einer echt nationalen Litteratur. Die besten Werke jener Zeit des Aufschwungs wurzelten im Idealismus, ohne jedoch darum eines gewissen gesunden Realismus zu entbehren. Es herrschte in den meisten derselben eine ausgeprägt liberale, demokratische Geistesrichtung und Weltanschauung.
Die neueste Litteratur weist dagegen mit voller Deutlichkeit den gestaltenden Einfluß des modernen Realismus und Naturalismus Frankreichs auf, so sehr die bessern Schriftsteller sich auch bemühen, ihren Werken den nationalen Stempel aufzudrücken. Die vorherrschende Richtung ist entschieden pessimistisch. Der Phantasie, der Dichtung ist nur ein sehr enger Spielraum gewährt; in der Technik vermißt man meist jedes höhere künstlerische Streben und künstlerische Fähigkeiten.
Möglichst genaue photographisch getreue Wiedergabe der Szenen und Ereignisse des realen Lebens, Anwendung der stärksten naturalistischen Würzen und Reizmittel sollen diesen Werken Wert verleihen, ihren Erfolg sichern. Wo Phantasie und Dichtung sich breit machen, da gehen sie ins Maßlose und stoßen den modernen Leser ab. Novelle und Roman sollen nicht nurdazu dienen, die unsre heutige Zeit bewegenden sozialen Fragen und Probleme in pikanter Weise zu behandeln, sondern auch persönliche und Parteiinteressen zu fördern.
Mehrere litterarische Schulen und Strömungen stehen sich feindlich gegenüber und suchen einander durch ihre Erzeugnisse und die ihnen dienenden Kritiker gegenseitig zu schädigen. Es fehlt der heutigen Belletristik an höhern Idealen, an festen ästhetischen Grundlagen, an sicherm Halt. Mehr als je macht sich überdies der Provinzialismus geltend. So wenig vorteilhaft eine vollständige Zentralisation des spanischen litterarischen Schaffens sein würde, so wenig dienlich ist aber auch die zum Teil durch politische Interessen geförderte Ausbildung von Provinziallitteraturen, die die Schilderung der engern Heimat zu einer ihrer Hauptaufgaben gemacht haben, den Gesichtskreis ihrer Leser beengen, statt ihn zu erweitern.
Manche der besten Schriftsteller der 70er Jahre haben sich bereits zur Ruhe gesetzt; andre sind in ihrer Leistungsfähigkeit bedeutend zurückgegangen, den jüngern Elementen aber, die das litterarische Leben beherrschen, fehlt es einerseits an den nötigen Fähigkeiten, um wirklich Bedeutendes zu leisten, oder sie suchen durch mehr oder minder gesunden Witz, durch Übertreibungen und andre auf den Erfolg abzielende äußerliche Hilfsmittel zu ersetzen, was ihnen an Kenntnis der litterarischen Kunstgesetze, an Wissen, Bildung und Ausdauer abgeht.
Der Hauptträger der idealistischen Richtung in der Belletristik, Juan Valera, hat in den letzten Jahren keinen neuen Roman mehr geschaffen. Die Neuauflage seiner bessern Werke aus früherer Zeit, Arbeiten überwiegend wissenschaftlichen Charakters, Essays für Zeitschriften beschäftigen ihn heute ganz ausschließlich, dabei wird manches Werk, das seinen Namen trägt, wie die Fortsetzung des großen Geschichtswerks über Spanien von Lafuente, nicht von ihm, sondern von seinen Hilfsarbeitern geschaffen. Zu erwähnen sind von ihm besonders die in den letzten Jahren in Zeitungen erschienenen, 1891 in Buchform herausgegebenen »Cartas americanas«,in denen hauptsächlich die litterarischen Zustände des gesamten spanischen Amerika [* 20] einer genauen Behandlung unterzogen sind.
Zorrilla, dem 21. und die höchste Ehre der Dichterkrönung in Granada [* 21] zu teil geworden, ist kaum mehr schaffensfähig; Campoamor, der Dichter der Doloras, schreibt wohl dann und wann noch einige Vierzeiler und andre kleine Gedichte, meist sogen. Humoradas, die von den Journalen und Zeitungen rasch der ganzen litterarischen Welt mitgeteilt werden, aber selbst ihnen merkt man schon die Altersschwäche ihres Verfassers an. Eine größere, im vorigen Herbst erschienene Dichtung »El drama universal« hat nur wenig Beachtung gefunden.
Gaspar Nuñez de Arce zehrt an seinem frühern Ruhm und besorgt Neuausgaben seiner »Gritos del combate«. Das politische Leben nimmt ihn stark in Anspruch und gewährt ihm zugleich die notwendigsten Existenzmittel. Castelar findet es nachgerade vorteilhafter, seine Zeit für Abfassung politischer Berichte und Essays für südamerikanische Zeitungen, die Revuen Amerikas, Englands, Frankreichs zu schaffen, als Bücher zu schreiben, denn die Honorare, die ihm für seine lediglich durch poetischen Stil und ermüdende Phrasen ausgezeichneten journalistischen Leistungen gezahlt werden, sind ungeheuer.
Dann und wann läßt er durch die Presse [* 22] verbreiten, daß er mehrere große Geschichtswerke vorbereitet. Die Wissenschaft verliert nichts, wenn sie ungeschrieben bleiben; werden sie geschaffen, so werden sie wie seine übrigen sogen. Geschichtswerke nur stilistischen, dichterischen, allenfalls politischen Wert haben, insofern sie seine persönlichen Anschauungen spiegeln. Pedro Alarcon, der gestorben ist, hatte in den letzten Jahren nichts mehr schaffen können.
Binnen kürzester Zeit wird nur noch ein Band [* 23] hinterlassener, bisher unbekannter Arbeiten von ihm erwartet. Der Begründer und Förderer der neukatalonischen Litteratur, Viktor Balaguer, ist zwar auf wissenschaftlichem Gebiet unermüdlich thätig, im übrigen beschränkt er sich darauf, wie viele jüngere Dichter und Schriftsteller, die es eigentlich noch gar nicht nötig hätten, eine Gesamtausgabe seiner Werke zu veranstalten. Neue belletristische Schöpfungen seiner Muse sind in den letzten Jahren nicht erschienen.
Seine große Geschichte Kataloniens, seine Geschichte der Troubadoure sind seine bei weitem bedeutendsten Leistungen. Das von ihm in Villanueva y Geltrú gegründete und nach ihm benannte Provinzialmuseum und die dazu gehörige Bibliothek bilden den Sammelpunkt aller wtalonistischen Bestrebungen, der Geschichte und der Litteratur Kataloniens. Balaguer ist immer noch die Seele der litterarischen Bewegung in dem alten Königreich Katalonien. Antonio Trueba ist in Bilbao [* 24] gestorben. In ihm hat Spanien einen seiner hervorragendsten Schriftsteller verloren.
Das Jahr 1889 war für die spanische Litteratur überhaupt ein sehr ernstes, es hat manche der leistungsfähigsten Arbeiter abgerufen. Am starb Antonio Arnao, der eine ganze Reihe von verdienstlichen Werken geschaffen hatte und sich namentlich an den Bestrebungen für Schaffung einer national-spanischen Oper beteiligt hat, für die er viele anziehende Textbücher schrieb. »La hija de Jefté«, »La Gitanilla«, »Pelayo«, »Guzman el Bueno« seien unter diesen besonders hervorgehoben. Von seinen Lustspielen ist »La Visionaria« das geschätzteste. Im April 1889 starb Cavanilles y Federici, der ¶
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Sohn des bekannten Geschichtschreibers Cavanilles, dessen Werk er fortzusetzen beabsichtigte. Am starb Galindo y de Vera, Mitglied der Akademie, Cortesdeputierter und bedeutender Rechtsgelehrter; er schrieb eine große Zahl juristischer und geschichtlicher Werke, die von dauerndem Wert sind. Am starb Jimenez Delgado, ein lyrischer und Komödiendichter, dessen Werke allgemeinen Beifall fanden. Am 17. Juli schied Salvador [* 26] Lastra aus dem Leben; er hat eine große Zahl von kleinen Lustspielen und Operettentexten geschrieben, die sich dauernd auf dem Repertoire halten, wie »Vivitos y coleando«, »En la tierra come en el cielo«, »El fantasma de los aires«. In Montalban Herranz verlor die juristische Wissenschaft einen ihrer bedeutendsten Vertreter und Schriftsteller.
Die Katalonen verloren in Francisco Pelayo Briz einen der energischsten Vorkämpfer für dis Wiederbelebung der katalonischen Litteratur. Er war 1869 bereits zum Maestro en gay saber, 1875 zum Präsidenten der Blumenspiele in Barcelona erwählt worden; er übersetzte unter anderm auch Goethes »Faust«. Am 24. Okt. d. J. starb in Valencia [* 27] ein dortiger Vertreter des Katalonismus, Vicente Wenceslao Querol, der durch seine »Rimas« allgemein bekannt geworden ist.
In dem kurz nach seiner Rückkehr aus Rom, [* 28] wo er mehrere Jahre Botschafter Spaniens gewesen war, verstorbenen Marques de Molins, Don Mariano Roca de Togores, hat Spanien einen seiner bedeutendsten Staatsmänner, die Litteratur einen ihrer eifrigsten Förderer verloren. In allen Zweigen derselben zeichnete er sich vorteilhaft aus; er war Mitglied aller Akademien Madrids. Francisco Rodriguez Zapata, langjähriger Lehrer der Dichtkunst und selbst bedeutender Dichter, starb 14. Aug. Die Musikgeschichte Spaniens verlor in Baltasar Saldoni y Remendo, dem Verfasser des »Diccionario biográfico de músicos españoles«, einen ihrer wenigen gründlichen Bearbeiter.
An: 19. Dez. starb Francisco Sanchez de Castro, Professor der Madrider Universität und allgemein geichätzter dramatischer Schriftsteller und Litterarhistoriker;
Tarrazo y Mateos, ein Granadiner Novellist, starb 16. Nov. Einen schweren Verlust erlitt die spanische Wissenschaft durch den am erfolgten Tod Manuel Canñtes, der sich um die Erforschung der spanischen Litteraturgeschichte sehr verdient gemacht hat. Er bekleidete hohe Staatsämter, war Mitglied aller gelehrten Gesellschaften Spaniens und wurde als erste Autorität für alle auf die Geschichte der mittelalterlichen Litteratur bezüglichen Fragen betrachtet.
Unter denen, die heute eine bedeutende Rolle in der Belletristik spielen, muß zuerst Perez Galdos, genannt werden. Obgleich er der Versuchung nicht hat widerstehen können, die in Spanien an alle Männer herantritt, die sich auf irgend einem Gebiete der Geisteskultur auszeichnen, nämlich am politischen Leben aktiven Anteil zu nehmen und in die Cortes einzutreten, so hat er doch darum nicht nur nicht aufgehört, litterarisch thätig zu sein, sondern er hat seinen Fleiß womöglich noch gesteigert.
Selbst die häufigen Reisen nach den baskischen Provinzen, wo er sich ein Schloß bauen läßt, beeinträchtigen nicht seine litterarische Thätigkeit. Im Jahr 1889 erschienen von ihm die Novellen »La incógnita« und »El suplicio de Torquemada«. 1890 erschien ein Band kleinerer Schriften, 1891 dann der große dreibändige Roman »Angel Guerra«, der sehr ungleiche Beurteilung erfahren hat, und gleichzeitig der die sozialen Tagesfragen behandelnde Roman »La desheredada«. Im allgemeinen können sich alle seine neuern Arbeiten, so viel Schönes sie auch enthalten mögen, doch nicht mit den frühern messen.
Ermüdende Weitschweifigkeit ist einer der Hauptvorwürfe, welche Perez Galdos gemacht werden. Die neuern Werke dieses fruchtbaren Romanschriftstellers bekunden überdies eine wesentliche Veränderung der, Weltanschauung desselben. Er hat sich dem Einfluß des Realismus und Naturalismus nicht entziehen können. Wollte er seinen litterarischen Ruf bewahren, seine Stellung behaupten, so mußte er der von Frankreich her eingedrungenen Geschmacksrichtung Rechnung tragen, die in Spanien festen Boden gefaßt und mehrere der bedeutendsten Schriftsteller vollständig für sich gewonnen hat.
»Die Enterbte« , (»La desheredada«) behandelte nicht nur einen den Tagesfragen entlehnten Stoff, sondern wurde auch in naturalistischem Stil abgefaßt. Neuerdings gedenkt der Dichter verschiedene seiner Novellen für die Bühne zu bearbeiten, und seine Anhänger sind der Überzeugung, daß damit eine neue Ära für das, spanische Theater [* 29] beginnen wird. Das wird man, abwarten müssen; was indessen bis jetzt über den ersten derartigen Versuch berichtet wird, den er vorbereitet, über das Drama »Realidad« gibt noch keinen Anlaß zu derartigen überschwenglichen Vermutungen.
Die hauptsächlichsten Konkurrenten, welche Perez Galdos den Rang des ersten Novellisten streitig machen, sind José M. Pereda, ein früherer Karlist, und Emilia Pardo Bazan, die beide durchaus auf dem Boden des Realismus stehen, doni denen die letztere aber unbedingt als die Hauptvertreterin des weitestgehenden Naturalismus betrachtet werden muß. Beide weichen jedoch in ihren religiösen Ansichten bedeutend von den französischen Realisten und Naturalisten ab, sie stehen beide auf dem katholisch - kirchlichen Standpunkt, und dieser Umstand söhnt selbst die strengsten Verurteiler der französischen Naturalisten und ihrer spanischen Jünger und Nachahmer mit den Werken der beiden Genannten aus.
Pereda hatte 1888 »Bocetos al temple«, »Sotileza« und 1889 »La Puchera« veröffentlicht; 1890 und 1891 folgten die Romane »Al primer vuelo« und »Nubes de estío«. Der Verfasser geht auch in diesen neuern Werken nicht über den engen Rahmen seiner Heimat, der Provinz Santander, hinaus, was der weitern Verbreitung der Werke Peredas, namentlich im Ausland, sogar in Spanien selbst nicht dienlich ist. Überdies wird der Genuß der an sich meisterhaften Schilderungen durch Weitschweifigkeit recht beeinträchtigt.
Emilia Pardo de Bazan ist von dem Ehrgeiz beseelt, dis spanische Staël zu sein, das litterarische Leben ihrer Zeit womöglich zu beherrschen. Sie geht im Naturalismus bis an die äußersten Grenzen, [* 30] die die französischen Kollegen erreicht haben; unterstützt von einem starken Gefolge von Verehrern, Nachfolgern und Kritikern sucht sie die Gesellschaft Spaniens ihrer Geschmacksrichtung zu gewinnen; sie hat ihr eignes Journal gegründet, »Nuevo teatro critico«, in dem sie jede litterarische Neuigkeit von irgend welcher Bedeutung ihrer scharfen Kritik unterwirft, in dem sie alle litterarischen und sozialen Streit- und Zeitfragen behandelt, mit Unerschrockenheit alle ihre zahlreichen Gegner bekämpft und zu neuen Kämpfen herausfordert. Überall tritt sie für die modernen Forderungen des weiblichen Geschlechts ein, will diesem die Akademien und gelehrten Gesellschaften ¶
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schlossen wissen. Sie fehlt nirgends, wo sich Gelegenheit bietet, eine öffentliche Rolle zu spielen;
sie arbeitet an allen Zeitschriften und Zeitungen ersten Ranges mit, kurz, sie ist von einer erstaunlichen Energie, Arbeitsamkeit und Kampflust;
die Masse dessen, was sie schafft, ist kaum zu übersehen. 1888 bis 1889 erschienen von ihr an Buchwerken: »Un viaje de novios«, »De mi tierra«;
»Pascual Lopez«;
»Insolacion«;
1889-90: »Al pié de la torre Eifel«;
»Morriña«;
»Una cristiana«;
das Reisewerk »Por Francia y por Alemania«;
1891: »Pasos de Ulloa« und in Zeitschriften die mit »la cuestion palpitante« betitelten Aufsätze, in denen sie die litterarischen Zeitfragen einer genauen Untersuchung unterzog.
Diese von ungewöhnlicher Geistesschärfe, Mut, Radikalismus und Rücksichtslosigkeit zeugenden Artikel sind seitdem in einem Buch zusammengefaßt worden, das sich in den Händen aller befindet, die überhaupt ein litterarisches Interesse haben oder zu heucheln für notwendig halten. Soeben ist endlich ein neuer Roman erschienen: »la piedra angular«, der, wie jede einzige Auslassung und Veröffentlichung der Verfasserin, sicher eine große Polemik hervorrufen wird.
Man bezeichnet diesen Roman als einen anthropologisch-philosophischen und wirft der Verfasserin vor, daß sie in verschiedenen Schilderungen das Maß des Zulässigen etwas zu weit überschritten habe. Von der großen Zahl von anderen Romanschriftstellern und Schriftstellerinnen, die den spanischen Markt mit ihren Erzeugnissen überschüttet haben und fortfahren, dies zu thun, können wir im folgenden die hervorragendsten und ihre bedeutendsten Leistungen erwähnen.
Von Armando Palacio Valdés erschien 1889 »La hermana San Sulpicio«; 1891 »La Espuma«, ein die sozialen Verhältnisse der höchsten Gesellschaftsklassen scharf geißelnder Roman, und soeben ist von ihm ein neues, »La Fé« (»Der Glaube«) betiteltes Werk erschienen, das großen Beifall findet. Ein vortrefflicher Schilderer Andalusiens ist Salvador Rueda, der 1889 »El gusano de luz«, 1890 den Roman »La reja«, 1891 den »Himno á la carne«, »El secreto«, »Poema nacional«, »Tanda de valses« und vor kurzem die Novelle »Barrabas« herausgegeben hat.
Die Klerikalen, die Heuchler und Frömmler werden auf das schärfste gegeißelt in den Novellen und Romanen von José Zahonero und Octavio Hyacinto Picón. Von ersterm sind besonders zu erwähnen: »La divisa verde«, »La vengadora«, »Bullanga« und »Inocencio con Inocencia«, von letzterm die Romane: »La honrada«, »Dulce y sabrosa«, die vortreffliche Schilderungen des modernen sozialen Lebens enthalten. Besonders gepflegt wird in neuester Zeit das humoristische Genre, und es sind im Lauf der letzten Jahre eine große Anzahl von Werken entstanden, die wirklich viele sehr gute satirische Schilderungen des modernen Lebens enthalten, namentlich der gesellschaftlichen Zustände, welche in den höhern Schichten der Bevölkerung herrschen. Es sind dies teils größere Novellen oder Romane, teils Sammlungen kleinerer Novelletten, Erzählungen, einzelner Schilderungen und Szenen, die mehr oder minder lose miteinander verknüpft sind.
Hervorheben wollen wir nur einige der besten derartigen Schriften: Isidoro Fernandez Florez, der unter dem Namen Fernanflor schreibt, hat mehrere sehr hübsche Novelletten herausgegeben. Von Mariano de Cavia, der unter dem Namen Sobaquillo bekannt ist, sind besonders zu erwähnen: »Azotes y galeras«; »De pitón á pitón«; »Salpicon«; von Eduardo de Palacio: »Cuadros vivos á pluma y al pelo« mit Illustrationen von Angel Pons. Der unerbittliche Gegner der spanischen Akademie der Sprache [* 32] und ihrer »Unsterblichen« sowie ihrer Werke, die er mit seinem Spott und seiner scharfen, feinen Satire beständig verfolgt, Miguel de Escalada, bekannt unter dem Namen Antonio de Valbuena, hat zunächst in einer großen Reihe geistvoller Aufsätze das Wörterbuch der Akademie zerpflückt und die zahllosen Irrtümer und Ungereimtheiten desselben dem Spotte der spanischen Welt preisgegeben.
Jetzt hat er in »Ripios vulgares« und in »Capullos de novela« eine Anzahl kleine Erzählungen und Novelletten zusammengestellt, die sich in der Hauptsache auch gegen die sogen. Gebildeten und gegen die Gelehrten richten. José Estremera hat in »Fábulas y cuentos«, Luis Taboada in »Madrid [* 33] en broma« und »La Vida cursí«, Vital Äza in »Todo en broma«, Emilio Bobadilla unter dem Namen Fray Candil in »Capirotazos, sátiras y críticas« die Auswüchse des modernen sozialen Lebens der höhern Stände gegeißelt.
Besondere Erwähnung verdient endlich Leopoldo Alas, der unter dem Namen Clarin seit vielen Jahren die litterarische Kritik beherrscht, sich aber nachgerade durch seine oftmals in der That ungegründeten Rücksichtslosigkeiten so viele Feinde gemacht hat, daß infolge der daraus entstandenen Polemik die ganze litterarische Welt in zwei feindliche Lager [* 34] gespalten ist. Clarin hat sich seit einigen Jahren selbst in novellistischen Arbeiten versucht und damit bewiesen, dan sein eignes Können keineswegs sehr bedeutend ist.
Die Novelle »Su único hijo«, hat wenig Beifall gefunden. Der Streit ist dadurch natürlich noch belebt worden. Von andern belletristischen Werken der letzten Jahre seien noch erwähnt einige Arbeiten von Carlos Frontaura, Ortega Munilla, Alejandro Sawa, Ortega y Rubio (»Pequeños bocetos«),
die Novelletten von José de Siles, der Roman »Los huérfanos« von Ubaldo Romero Quiñones, die Novelle »Amor y amoríos« von Corrales y Sanchez. Zu Anfang des Jahres 1891 wurde Spanien aber durch das Erscheinen eines Romans, dem wir besondere Aufmerksamkeit zuwenden müssen, in eine bisher dort noch nicht vorgekommene Aufregung versetzt. Seit mehreren Jahren schon waren von dem Jesuitenpater und Professor der Jesuitenuniversität in Bilbao, José Coloma, Erzählungen und Novelletten erschienen, die zwar in den streng kirchlichen und orthodoxen Kreisen gelesen wurden, aber im übrigen keine besondere Aufmerksamkeit erregten. Im Frühjahr 1891 erschien nun von demselben Verfasser ein zweibändiger Roman »Pequeñeces« (»Kleinigkeiten«),
der eine geradezu vernichtende Kritik der Zustände übte, welche bis in die Hofkreise hinauf in der Madrider vornehmen Gesellschaft bestanden. Die geschilderten Vorgänge waren zwar in die Regierungszeit des Königs Amadeo verlegt, aber jeder, der nur einigermaßen mit den Madrider Verhältnissen vertraut war und in den höchsten Gesellschaftskreisen verkehrte, konnte für jede der gezeichneten Gestalten das lebende Vorbild nennen, und dieser Umstand sowie die rücksichtslose Enthüllung der Schattenseiten des modernen Gesellschaftslebens, der in diesen Schichten herrschenden Moral und Weltanschauung sicherten dem Buche einen ungeheuern Erfolg. In wenigen Wochen wurden 12,000 Exemplare abgesetzt, und die Summe derselben soll inzwischen auf über 40,000 gestiegen sein. Coloma sagte nicht mehr, als was die vorerwähnten schärfsten Satiriker und Naturalisten wie Emilia ¶
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Pardo de Bazan, Pereda, Perez Galdos etc. sagen konnten; in seinen Schilderungen ging er auch nicht über die der spanischen und französischen Naturalisten hinaus, blieb freilich auch nicht weit hinter ihnen zurück. Als litterarisches Kunstwerk betrachtet, war der Roman ziemlich schwach; die Charakteristik war stellenweise recht dürftig, ja selbst falsch, vielfach übertrieben und karikiert, aber jedermann wußte, daß ein solches Werk nur mit Vorwissen der Leiter des in Spanien allmächtigen und von der konservativ-klerikalen Regierung auf jede Weise protegierten Ordens geschaffen und veröffentlicht sein konnte, und dieser Umstand bedingte den ganz unverdienten Erfolg des Buches.
Die Kritik spaltete sich, schließlich mußten aber selbst manche der eifrigsten Verfechter der vermeinten ungewöhnlichen litterarischen Begabung des Verfassers zugeben, daß er der Vervollkommnung als Novellist noch fähig sein dürfte. Das Drama hat in den letzten Jahren wenige bedeutende Neuheiten aufzuweisen gehabt. »Un crítico incipiente« von José Echegaray, »Las personas decentes« von Enrique Gaspar, »Raquel« von Vicente Garcia de la Huerta sind eigentlich die einzigen erwähnenswerten Werke.
Besonders bevorzugt sind immer die leichtern dramatischen Gattungen, namentlich die »Zarzuela«, die echt spanische Operette, und hier werden auch beständig eine große Zahl von Novitäten geschaffen, die sich so lange auf dem Repertoire erhalten, bis das Publikum derselben müde ist, und bis sie durch andre prickelnde Neuheiten verdrängt werden. Es wird auf diesem Gebiet viel Gutes geschaffen, aber auch dieses hat doch nur wenig Lebensfähigkeit. Wir müssen nun noch einen Blick auf die stetig wachsende und völlig selbständigen, unabhängigen Charakter annehmende katalonische Litteratur werfen, die der kastilischen, allgemein spanischen, mehr und mehr den Rang streitig zu machen sucht, und die in der That sehr viel Schönes und Bedeutendes aufzuweisen hat.
Hier seien zunächst die 1887 und 1888 erschienenen Gedichtsammlungen des Verfassers der »Atlantida«, Jacinto Verdaguer, erwähnt. Sie sind meist religiösen, mystischen Charakters, ebenso die »Nazareth« betitelten, 1890 herausgegebenen Gedichte. Es überwiegen auch im übrigen die Gedichtsammlungen der hervorragendsten katalanischen, balearischen, valencianischen Lyriker, wie die »Posías catalanas« von Dolores Monserdá de Maciá, von Angel Guimerá, Miguel Costa y Llobera, Apeles Mestres.
Von größern Werken müssen hervorgehoben werden die epische Dichtung: »Mallorca cristiana« von Damas Calvet und namentlich das von der spanischen Akademie in Madrid 1888 preisgekrönte Drama »Las batalla de Reinas« von Frederich Soler. Auch sonst sind eine Reihe Dramen geschaffen, die über die Grenzen Kataloniens hinausgedrungen sind. Die Wissenschaften haben nach wie vor wenige wirklich bedeutende originelle Leistungen aufzuweisen. Hervorragendes wird ausschließlich auf den Gebieten der Geschichte und der Jurisprudenz geschaffen.
Verdienstlich ist es ferner, daß überall nach den bessern, für das Verständnis und die Aufhellung der frühern Geschichte und Kulturgeschichte wichtigen Quellenwerken geforscht, und daß diese publiziert werden. Derartige Sammlungen sind nachgerade so massenhaft geworden und haben so riesigen Umfang angenommen, daß sie zum Teil kaum minder schwer zu übersehen sind, wie die Originalschätze der Bibliotheken. Aus dem Gebiete der Geschichte sind zu verzeichnen: das große von der königlichen Akademie der Geschichte in Madrid herausgegebene und von ihren Mitgliedern geschriebene allgemeine Geschichtswerk über Spanien, das in der That verdienstvoll zu werden verspricht, da es auf den neuesten Quellenforschungen begründet ist.
Ferner das von der jetzigen jungen Herzogin von Alva herausgegebene Werk: »El archivo de la Casa de Alba«; [* 36]
die »Actas de las Cortes de Castilla«;
die »Colleccion de documentos inéditos para la historia de España«, wovon kürzlich Bd. 101 erschien;
die »Coleccion de documentos inéditos relativos al descubrimiento, conquista etc. de Ultramar«.
Überhaupt sind im Hinblick auf die bevorstehende 400jährige Feier der Entdeckung Amerikas eine beträchtliche Zahl von darauf bezüglichen Quellensammlungen, Monographien etc. erschienen, und sehr viel mehr derartiges ist in nächster Zeit zu erwarten. Die »Coleccion de documentos inéditos para la historia de America« wächst ebenfalls ins Ungeheure. Der Jesuit José Moret setzt seine »Anales del Reino de Navarro« fort, wovon kürzlich Bd. 6 erschienen ist. José Fernandez Montaña hat ein Werk: »Nueva luz y juicio verdadero sobre Felipe II« herausgegeben.
Von juristischen Werken sind zu erwähnen: die »Biblioteca jucicial«;
ferner Nobles Pozo, »Derecho procesal de España«;
Leon Medina y Manuel Marañon, »Leyes penales de España«;
das neue Gesetzbuch von Alonso Martinez;
das »Derecho penal« von Francisco Silvela;
»Historia de la legislacion española desde los tiempos mas remotos hasta nuestros dias« von José Maria Antequera;
»Legislacion de ferrocarriles« von Emilio Bravo y Moltó;
»Origen de la personalidad individual en el derecho« von Enrique Miralles y Prats;
»El dereocho électoral en España« von D. Ambrosio Tapia y Gil;
»Historia de la propriedad comunal« von Rafael Altamira y Crevea.
Von theologischen Werken ist das des Kardinals Gonzalez, »La bilia y la Ciencia«, zu nennen;
von philosophischen Perojos Übersetzung von Kants »Kritik der reinen Vernunft«;
Daurella y Rull, »Instituciones de metafísica«;
von encyklopädischen das »Diccionario encyclopédico hispano-americano«, das bei Montaner y Simon in Barcelona erscheint;
das biographische von Ossorio y Bernard;
das von A. E. de Molins, »Diccionario biográfico y bibliográfico de escritores y artistas catalanes«.
Die Litteraturgeschichte hat in Menendez y Pelayo ihren eifrigen Vertreter, der unermüdlich neue Werke schafft. Von Blanco Garcia ist »La literatura española en el Siglo XIX« (1. Teil, Madrid 1891) zu erwähnen;
ferner Javier Garrigo, »Estudio de la novela picaresca española« (das. 1891);
ferner Melchor de Palau, »Acontecimientos literarios«;
Vicente Barrantes, »El teatro Tagalo« (1890).
Von deutschen Werken sind zu nennen: Schäffer, »Geschichte des spanischen Nationaldramas« (Leipz. 1891, 2 Bde.);
Joh. Fastenrath, »Katalanische Troubadoure der Gegenwart« (das. 1890). Die Bibliographie, welche bis vor wenigen Jahren eine in Spanien beinahe unbekannte Wissenschaft war, wird jetzt auf das lebhafteste gepflegt. Erwähnen wollen wir: Picatoste y Rodriguez, »Apuntes para una biblioteca española del Siglo XVI«;
Allende Salazar, »Biblioteca del bascófilo«;
Arboli, »Biblioteca columbina 1888-91«;
Fern. Duro, »Coleccion bibliográfico-biográfica de noticias refer. á Zamora« (1891);
Gallardo, »Ensyo de una biblioteca española de libros raros y curiosos«, ein von der Nationalbibliothek gekröntes und ¶