der starken Inangriffnahme des ganzen
Körpers sind, ist bedingt durch die von dem
Alkohol hervorgerufene Herzschwäche und
verminderte Widerstandsfähigkeit des
Organismus. - Nach der
Brauer- und Hopfenzeitung
»Gambrinus« in
Wien
[* 2] betrug die Bierproduktion
1890:
Alexander, ungar.
Maler, geb. 1856 zu
Großwardein,
[* 3] begann seine künstlerische Thätigkeit als Retoucheur bei
einem Photographen daselbst und ging später nach
Wien, wo er sieben Jahre lang in gleicher
Eigenschaft thätig war, bis er
sich so viel erspart hatte, um ein Jahr lang die
Kunstakademie zu besuchen. Dann kehrte er in die
Heimat
zurück, wo er Bildnisse zu malen begann. Die
[* 1]
Figur eines
Bauern lenkte die
Aufmerksamkeit eines Kunstfreundes in
Budapest
[* 4] auf
ihn, der ihm die
Mittel zu einem Studienaufenthalt in
Paris
[* 5] gab, wo in das
Atelier von J. P.
Laurens trat.
Hier machte er so schnelle Fortschritte, daß er schon nach fünf
Monaten sein erstes humoristisches Genrebild aus dein ungarischen
Volksleben: die Cylinderhutprobe, malen konnte. Nachdem er noch ein Jahr bei
Laurens weitergearbeitet, machte er eine kurze
Studienreise nach
Italien
[* 6] und ging dann nach
Ungarn
[* 7] zurück, wo er sich immer tiefer in das Volksleben
versenkte.
Sein bevorzugtes Studienfeld ist die Gegend von
Szolnok, wo sein erstes Hauptwerk: die
Zigeuner mit der zerbrochenen
Geige vor dem Dorfrichter (1886, im
Besitz des
Kaisers von
Österreich),
[* 8] entstand. Die hier entfalteten Vorzüge einer
scharfen,
mannigfaltigen
Charakteristik und eines unbefangenen
Humors kommen auch in den Bildern: im Kreuzfeuer,
die Vergnügungsfahrt auf dem Zagyvafluß, der
Brautwerber und der Dorflump zur Geltung. Von einer ernstern Seite zeigte er
sich in einer Abendmahlzeit von
Bauern auf der Pußta und in einem rumänischen Leichenbegängnis.
Leon,
Ritter von, österreich. Nationalökonom und
Politiker (Bd. 18), seit 1878 Mitglied des galizischen
Landtags,
seit 1883 des
österreichischen Abgeordnetenhauses, schloß sich dem Polenklub an, zu dessen
Führern er bald gehörte. Während er eifrig
bedacht war, die herrschende
Stellung des Polenklubs im
Reichsrat für die materielle Bevorzugung
Galiziens
zu verwerten, erkannte er wohl, daß die
Polen der österreichischen
Monarchie »die Möglichkeit ihrer nationalen Entfaltung
gemäß ihrer großen historischen
Tradition zu verdanken hatten«. Anfang 1892 wurde er zum Generaldirektor der österreichischen
Staatsbahnen
[* 11] ernannt.
Unter dem gemeinsamen
Namen Bimsstein versteht man an den nordeuropäischen
Küsten angeschwemmtes
Material verschiedener Art, das seit langer Zeit beobachtet worden und bereits 1762 in einer
Schrift des
PfarrersHans Ström
erwähnt ist. Spätere Beobachter versuchten unter Berücksichtigung der von den Geographen und Reisenden ermittelten
Meeresströmungen
[* 14] diese angeschwemmten
Brocken aufbestimmte Ursprungsstätten zurückzuführen.
Bäckström hat nun das
Material einer vergleichenden
mikroskopischen Untersuchung und der chemischen
Analyse unterworfen und ist zu beachtenswerten
Resultaten
gelangt, indem er es mit derartigem
Material aus Gebieten verglich, welche durch die
Meeresströmungen mit den nordeuropäischen
Küsten in
Verbindung stehen. Er konnte auf diese
Weise die Ursprungsländer teils vollkommen sicherstellen, teils sehr wahrscheinlich
machen. So stammen, wie er zeigt, gewisse
Schlacken unzweifelhaft von den Kokshochöfen von
Clarence bei
Middlesborough an der Ostküste
Englands her.
Für diesen Ursprung spricht die vollkommene
Identität der angeschwemmten
Schlacken mit denjenigen, welche bei Middlesborough
in das
Meer geworfen werden, und welche sich von allen andern Hochofenerzeugnissen leicht unterscheiden lassen. Sie breiten
sich über die
Küsten von Südengland,
Holland,
Deutschland,
[* 15]
Dänemark,
[* 16]
Schweden
[* 17] und
Norwegen aus und erreichen
den nördlichen Teil der letztgenannten
Küste. Sie sind nachweislich verhältnismäßig jüngern
Datums, was wieder mit der
Thatsache übereinstimmt, daß in Middlesborough seit etwas über 50
Jahren ein und dasselbe
Erz verhüttet wird, weshalb auch
die
Schlacken konstante
Beschaffenheit besitzen.
Von den schaumigen, porösen Erzeugnissen vulkanischer Thätigkeit, den echten
Bimssteinen, konnten mehrere verschiedene
Arten
durch die Untersuchung festgestellt werden, darunter solche, die mit Sicherheit auf
Island
[* 18] als Ursprungsland hinweisen. Die
interessantesten sind aber diejenigen, welche sich auf keins der von der bekanntesten und gewaltigsten
Meeresströmung berührten
Vulkangebiete zurückführen lassen, sondern entweder von der Azoreninsel
San Miguel herrühren müssen
oder von einem bisher unbekannt gebliebenen polaren Vulkangebiet oder endlich von der Westküste
Amerikas, in welch letzterm
Fall sie durch die Beringstraße westwärts nach
Grönland,
Spitzbergen und
Norwegen getrieben werden müßten. Bekanntlich sind
an den genannten
Küsten mehrfach ausSibirien stammende Treibhölzer gesammelt worden; auch hat man seiner
Zeit bei
Julianehaab an der südlichen Westküste
Grönlands Gegenstände Der Jeanette drei Jahre nach
¶
mehr
deren Untergang aufgefunden. Es ist aber bekannt, daß dies Schiff
[* 20] bei Wrangelland einfror, vom Eis
[* 21] nach den Neusibirischen Inseln
getrieben wurde und dort sank. Diese und viele andre Thatsachen machen es wahrscheinlich, daß als Ursprungsland für einige
an die Küsten Nordeuropas angeschwemmte, in ihrer Beschaffenheit und Zusammensetzung mit den Produkten der
westamerikanischen Vulkane
[* 22] durchaus identische Bimssteine jenes gewaltige, vom höchsten Norden
[* 23] bis zum äußersten Süden sich
erstreckende Vulkangebiet der Neuen Welt zu betrachten sei. Auch Nansen ist zu einem ähnlichen Ergebnis gelangt, indem er
annimmt, daß es eine von den Neusibirischen Inseln ausgehende, quer über die unbekannte Polargegend nach Grönland
führende Strömung gebe, welche er bei seiner nächsten Polarreise seinem Zweck dienstbar machen will.
LouisGustav, franz. Afrikareisender, geb. zu Straßburg,
[* 24] trat mit 18 Jahren in die Armee ein, machte
schon als junger Offizier wiederholte Reisen nach Senegambien und dem Sudan, auf denen er sich neben topographischen
Arbeiten besonders Sprachstudien widmete. Durch eine Arbeit über die Sprache
[* 25] der Bambara lenkte er die AufmerksamkeitFaidherbes
auf sich, der ihn zu seinem Ordonnanzoffizier ernannte. Im Frühjahr 1887 trat er, aufs beste vorbereitet, eine große Reise
vom Senegal bis zum Niger an, durch welche er eine bedeutende Lücke auf der KarteAfrikas ausfüllte. Von
Bakel am Senegal aus ging er über Bamako nach Sikaso, der Residenz des Häuptlings Tieba, von hier nach Überschreitung der
Wasserscheide zwischen Niger und Akba nach der bisher noch von keinem Europäer betretenen Stadt Kong, von wo aus er einen Abstecher
nach Mossi und Salaga machte. Von Kong aus kehrte er mit dem zu seiner Unterstützung ausgesandten Treich-Laplène
(gest. 1890) auf dem kürzesten Wege zur Küste zurück, welche er in Gran
[* 26] Bassam erreichte. Die Pariser geographische
Gesellschaft ehrte seine Verdienste durch Verleihung der goldenen Medaille. Sein Reisebericht erschien unter dem Titel: »DuNiger au golfe de Guinée par le pays deKong et le Mossi« (Par. 1892, 2 Bde.).
Gegenwärtig (Februar 1892) leitet Binger eine neue Expedition nach der Guineaküste zum Zweck der genauern Abgrenzung des französischen
und englischen Gebietes.
Otto, Fürst von, wurde im Frühjahr 1891 bei einer Nachwahl in einem hannöverschen Wahlkreis zum Reichstagsabgeordneten
gewählt, erschien aber im Reichstag nicht.
Obwohl bereits Stephenson das Blasrohr bei seiner Lokomotive
[* 29] anwandte und ihm wenigstens zum Teil zu verdanken hatte,
daß seine Lokomotive den Sieg errang, so ist noch jetzt die Frage, wie die Blasrohre am zweckmäßigsten
zu bemessen sind, offen geblieben. Man macht immer wieder die Beobachtung, welche hohe Wichtigkeit
die Verhältnisse des Blasrohres für die Anfachung des Kesselfeuers, also für die gute Verbrennung und Ausnutzung des Brennmaterials
haben. Viele Eisenbahnverwaltungen haben in den letzten Jahren den Auspuffverhältnissen ihre Aufmerksamkeit
zugewendet und eingehende Versuche darüber anstellen lassen, welchen Einfluß dieselben auf den Brennmaterialverbrauch ausüben.
Um nun die Wirkungen verschiedenartig bemessener Blasrohre direkt messen zu können, versuchte man mit verschiedenartigen
Meßapparaten die durch das in der Rauchkammer der Lokomotiven erzielte Luftverdünnung (das Vakuum) zu ermitteln.
Doch waren die Apparate meist zu ungenau und ihre Handhabung zu umständlich und zeitraubend. Ein neuer Apparat der Compagnie
des chemins de fer de l'Est, ein Registrierapparat zum Messen des Vakuums in der Rauchkammer der Lokomotiven, soll mit der größten
Genauigkeit das Vakuum aufzeichnen. Der Apparat
[* 19]
(Fig. 1 u. 2) besteht im wesentlichen
aus einem Metallmanometer, dessen Druckäußerungen auf einen Papierstreifen übertragen werden. Die durch eine Feder bewirkten
Aufzeichnungen stellen einen zusammenhängenden Linienzug dar, dessen Abscissen den Zeiten und dessen Ordinaten den in der Luftkammer
erzeugten Luftverdünnungen emsprechen. Das Manometer
[* 30] wird aus einer Kapsel von gewelltem Messingblech gebildet, deren Inneres
durch ein Rohr C mit der Rauchkammer R inVerbindung gesetzt werden kann.
Je stärker die Luftverdünnung in der Rauchkammer, bez. in A ist, desto mehr
werden die Wände der Kapsel von dem Druck der umgebenden Luft eingedrückt. Die Bewegung des Mittelpunktes
der einen Wand wird mittels einer kleinen Schubstange G auf einen ungleicharmigen Winkelhebel H übertragen und durch diesen,
entsprechend vergrößert, mittels einer Feder auf dem Papierstreifen J verzeichnet, dessen Abwickelung durch ein Uhrwerk
mit einer Geschwindigkeit von 25 mm in der Sekunde bewirkt wird. Das Papier läuft von einer Rolle D
[* 19]
(Fig.
2) über zwei Führungsrollen E und F über eine kleine, unterhalb des Schreibstiftes K angebrachte Tischplatte N und schließlich
durch zwei
¶
mehr
Schleppwalzen L nach dem Aufwickelungscylinder M. Die obere Schleppwalze läßt sich von der untern abheben oder wieder aufsetzen,
so daß hierdurch der Papierstreifen unabhängig von der Uhrbewegung angehalten oder in Bewegung gesetzt werden kann. Die
Tischplatte kann in ihrer Höhenlage etwas verstellt und damit der Druck des Schreibstiftes auf das Papier
nach Bedarf geändert werden. Durch einen von dem Uhrwerk beeinflußten Morseapparat wird in jeder Sekunde einmal ein Farbrädchen
gegen den Papierstreifen gedrückt, so daß die dadurch erhaltenen Punkte in Entfernungen voneinander stehen, die je einer
Sekunde entsprechen.
Der Apparat ist so eingerichtet, daß die gerade Linie, auf welcher sämtliche Farbenpunkte liegen, genau
der Nulllinie oder atmosphärischen Linie entspricht, d. h. derjenigen Linie, welche der Apparat verzeichnen würde, wenn sein
Inneres mit der äußern Luft in Verbindung gebracht würde. Um die für genaue Untersuchungen erforderlichen Merkzeichen für
den Anfang und das Ende einer Beobachtung sowie auch für beliebige wünschenswerte Zwischenzeiten anbringen
zu können, ist ein beweglicher Druckstift O oberhalb der Tischplatte angeordnet.
Durch leichten Fingerdruck auf denselben erhält man einen Stich auf dem Papier, der infolge der Konstruktion des Registrierapparats 82 mm
vor dem in demselben Zeitpunkt durch die Feder gezeichneten Kurvenpunkte liegt. Die Werte der Ordinate der von der Feder
verzeichneten Kurve müssen auf Wassersäulenhöhe reduziert werden. Hierzu dient ein Maßstab,
[* 32] der dadurch erhalten wird,
daß die Angaben des Registrierapparats mit denjenigen eines Wassermanometers verglichen werden.
Sämtliche Zubehörteile des Registrierapparats sind in einem zweiteiligen Glaskasten untergebracht, und zwar enthält die
eine Kammer desselben den eigentlichen Apparat, die andre die zum Betrieb desselben erforderlichen elektrischen
Elemente. Der vorliegende Registrierapparat hat sich in der Praxis wiederholt bewährt. Er ist von der französischen Ostbahngesellschaft
an ihren verschiedenen Lokomotivgattungen angebracht und erprobt worden. Stets ist das betreffende Vakuum mit der größten
Genauigkeit verzeichnet worden, selbst bei der hohen Fahrgeschwindigkeit der Schnellzüge.
Der Apparat gestattet nun aber auch noch, die Zuggeschwindigkeit zu kontrollieren. Man braucht nur die
in der Sekunde verzeichneten Dampfauspuffe, welche sich auf dem Diagramm deutlich markieren, zu zählen und bei gewöhnlichen
Lokomotiven mit vier, bei Verbundlokomotiven mit zwei zudividieren,so hat man die Anzahl der Treibradumdrehungen. Multipliziert
man diese mit dem Umfang eines Treibrades in Metern, so hat man den von dem Treibrad in einer Sekunde zurückgelegten
Weg inMetern, d. h. die Geschwindigkeit.
Aus den mit dem Apparat aufgenommenen Diagrammen ist folgendes zu ersehen: Während des Stillstandes der Lokomotive erzeugt
der natürliche Schornsteinzug nur eine geringe Verdünnung von höchstens 5 mm Wassersäule. Während
der ersten Augenblicke des Anfahrens erfolgt der Dampfaustritt sehr langsam, und die vom Apparat verzeichnete Kurve weicht wenig
von einer geraden Linie ab. Je mehr jedoch die Fahrgeschwindigkeit wächst, desto mehr zeichnen sich auf der Linie die einzelnen
Dampfstöße in der Form von spitzen Kurven ab. Hieraus ist zu ersehen, daß die Luftverdünnung in der
Rauchkammer durchaus nicht gleichmäßig ist, sondern bei jedem Dampfstoß momentan schnell wächst, um sogleich wieder zu
fallen. Jede Änderung an der Füllung der Dampfmaschine
[* 33]
und in
Einen bedeutsamen Fortschritt in der Kenntnis der Lebensgeschichte der Blattläuse stellt die
Klarlegung der verwickelten Fortpflanzung der Tannenlaus (Chermes abietis) dar. Auch bei der Tannenlaus hat Blochmann durch Entdeckung
der bisher unbekannten Männchen die Existenz einer zweigeschlechtlichen Generation nachgewiesen. Der ganze
durch Blochmann und Dreyfus verfolgte Entwickelungscyklus der Tannenlaus, der sich auf zwei oder drei Jahre erstreckt und mehrere
aufeinander folgende, verschiedenartige Generationen umfaßt, wird dadurch kompliziert, daß die früher unter verschiedenen
Namen beschriebenen Generationen auf zwei Baumarten schmarotzend leben und dadurch in der Entwickelungsgeschichte
[* 36] der
Tannenlaus Parallelreihen entstehen.
Als erste Generation wird betrachtet eine aus befruchtetem Ei
[* 37] entstehende ungeflügelte weibliche Form, die am Knospenhals
der Fichte
[* 38] sitzend überwintert und hier eine Galle erzeugt; sie legt parthenogenetisch im Frühjahr eine beträchtliche Zahl
gestielter Eier,
[* 39] aus welchen die zweite Generation in Gestalt geflügelter weiblicher Blattläuse hervorgeht; von
diesen bleibt nur ein Teil auf der Fichte, während ein andrer Teil auf die Lärche auswandert und an deren Nadeln
[* 40] gestielte
Eier legt.
Aus diesen gehen als dritte Generation wiederum ungeflügelte parthenogenetische Weibchen hervor, die eine Zeitlang an den
Nadeln der Lärche saugen, dann abwärts wandern und in den Rindenrissen des Stammes überwintern; im folgenden
Frühjahr legen sie eine Anzahl grüner gestielter Eier, aus welchen sich nun die vierte Generation entwickelt; dieselbe besteht
wiederum aus parthenogenetischen, aber geflügelten Weibchen, welche im Mai zur Fichte zurückwandern und hier als fünfte
Generation ungeflügelte Männchen und Weibchen erzeugen.
Von diesen legen nach vorausgegangener Begattung die Weibchen nur ein größeres ungestieltes Ei, welches
sich sehr langsam entwickelt, und aus dem dann im Herbst die Stammmutter des nächsten Jahres ausschlüpft, die als erste Generation
den Cyklus wieder von vorn beginnt. Die auf der Fichte zurückbleibenden geflügelten Läuse der zweiten Generation legen Eier,
aus denen ungeflügelte parthenogenetische Weibchen (dritte Generation) hervorgehen, die gleich denen
auf der Lärche überwintern und im folgenden Frühjahr Veranlassung geben zur Entstehung einer Galle und einer geflügelten
vierten, auf Fichten lebenden Generation.
Wann die auf Fichten lebende Parallelreihe durch Erzeugung einer Geschlechtsgeneration wieder in den Entwickelungskreis der
auf Lärchen lebenden Parallelreihe sich einschließt, ist noch unbekannt. Vielleicht wandert überhaupt
erst die geflügelte vierte, auf Fichten lebende Generation auf Lärchen aus. In diesem Fall würden keine Parallelreihen existieren,
sondern die Zahl der zu einem Cyklus gehürigen Generationen würde sich auf sieben, die Zeit der völligen Entwickelung auf
drei Jahre erstrecken. Für die erwähnten fünf Generationen sind spezielle von Lichtenstein, Dreyfus und
Blochmann eingeführte Bezeichnungen üblich:
5) Geschlechtsgeneration, Sexuales. Von praktischer Bedeutung ist die noch zu entscheidende Frage, ob die von der Fichte auswandernden
Tannenläuse nur auf der Lärche ihre Existenzbedingung finden und ob diese Auswanderung für die Lebensfähigkeit der Art absolut
notwendig ist; in diesem Fall wäre zum Schutz junger Fichtenbestände vor dem Schmarotzer die erste Regel,
unter Fichten oder in die Nähe derselben keine Lärchen zu pflanzen. Wanderungen von Blattläusen von einer Baumart auf die
andre sind außer von der Tannenlaus auch noch von andern Blattläusen, besonders von den gallenbildenden Pemphigus-Arten, doch
auch von nicht gallenbildenden Aphis-Arten u. a. bekannt.
Nach der bei andern tierischen Parasiten gültigen Terminologie wird als Hauptnährpflanze der wandernden Blattläuse diejenige Pflanze
bezeichnet, auf welcher die Geschlechtsgeneration lebt und das befruchtete Ei ablegt, als Zwischenpflanze diejenige, auf welcher
die betreffende Blattlausart nur in parthenogenetisch sich fortpflanzenden Generationen vorkommt. Für viele
Arten, z. B. für die auf der Ulme als Hauptnährpflanze häufig vorkommende Tetraneura ulmiL., ist die Zwischenpflanze noch
nicht bekannt.
StarkeGründe sprechen dafür, daß auch bei der GattungPhylloxera und ihrer bekanntesten Art, der Reblaus,
[* 42] die Entwickelung
nicht so einfach verläuft, wie bisher angenommen wird, sondern daß auch hier, ähnlich wie bei der
Tannenlaus, Parallelreihen existieren und Formen, die bisher zu verschiedenen Arten gerechnet wurden, sich in Zukunft als Glieder
[* 43] eines und desselben Entwickelungskreises erweisen werden. Bei der Reblaus scheint ferner der Entwickelungskreis der Art durch
äußere Einflüsse und Bedingungen stark modifiziert zu werden.
Über die Art, wie die Blattläuse sich ernähren und verteidigen, verdanken wir Büsgen die ersten
genauen Untersuchungen. Er zeigt, daß die Mundwerkzeuge aus einem von der Ober- und Unterlippe gebildeten Rüssel bestehen,
der einer Anzahl langer Borsten (welche Ober- und Unterkiefer darstellen) als Schutzscheide dient und ihr Umbiegen beim Anstechen
der Pflanzengewebe hindert. Denn diese Borsten, die weit aus dem Scheidenrüssel hervorgestreckt werden
können, dienen als eigentliche Stech- und Saugorgane und arbeiten verschieden, je nachdem sie aus weichern oder härtern
Teilen den Saft herauszuholen haben.
Die Oberkieferborsten fungieren hauptsächlich als wegbahnende Stechapparate, die Unterkieferborsten formen dann einen Saugkanal,
in welchem die erbohrten Säfte teils durch Kapillarität, teils durch Saugen emporsteigen. Dieses Borstenbündel
dringt nun entweder, z. B. bei der Kochenille-Blattlaus, direkt in die Parenchymzellen ein, oder es schiebt sich durch die
äußern Zwischenzellräume der Epidermis
[* 44] und Rinde bis zu dem Eiweißstoffe führenden Weichbast (Siebteil) der Gefäßbündel.
[* 45]
Trifft das Borstenbündel dabei auf den Hartbast, dessen dickwandige Zellen den Weichbast nach außen
schützen, so durchbohrt es denselben nicht, sondern rückt seitwärts an dessen Oberfläche weiter, bis es eine leichter
durchbohrbare Stelle (Markstrahl) und so mit Hin- und Herbiegung den Weichbast erreicht. Doch findet bei manchen Rindenläusen
(Lachnus) auch direktes Eindringen bis zum Weichbast statt. Während des Stechens sondert das Insekt ein
aus einer eiweißartigen Substanz bestehendes Sekret ab, welches im Augenblick seines Austrittes aus dem
Borstenbündel erhärtet,
letzteres wie ein geschlossenes Rohr als Fortsetzung des Rüssels umgibt und sein Umbiegen an widerstandsfesten
Stellen verhindert. Die Ursache der Aufsuchung des Weichbastes mit Durchbohrung oder Umgehung der gerbstoffreichen äußern
Bastzellen, deren Inhalt den Tieren unangenehm ist, liegt wahrscheinlich in der Eiweißarmut dieser Zellsäfte,
denn nur der Saft, nicht die plasmatischen Stoffe, die auch den Saugkanal verstopfen würden, werden gesucht und in solchen
Massen aufgenommen, daß noch ein großer Teil der aufgesogenen und während der Verdauung teilweise in Traubenzucker umgewandelten
Zuckerstoffe durch den After wieder ausgeschieden wird und den Honigtau bildet, resp. von befreundeten
Ameisen genossen wird.
Früher glaubte man, daß dieser süße Saft aus den beiden Rückenröhren, mit denen viele Blattlauslarven versehen sind,
ausgespritzt würde, die daher in vielen Lehrbüchern auch als Honigröhren bezeichnet werden; allein Büsgen zeigte, daß
dieser Honigtau nur vom After ausgeschieden wird, während jene Röhren
[* 46] ein wachsartiges, leicht erstarrendes
Sekret ausscheiden, dessen sich die Blattläuse als eines Schutzmittels gegen Angreifer bedienen, namentlich gegen
die sogen. Blattlauslöwen (Florfliegenlarven) und Marienkäferlarven, die sie damit zu beschmieren suchen.
Man kann diese Tiere, z. B. die Rosenblattläuse, leicht durch Berührung ihres
Kopfes od. Rückens mit einer Nadel zu dieser Röhrenabsonderung veranlassen. Das Tier richtet dann die Röhren einzeln oder gemeinsam
gegen die Nadelspitze und wischt daran einen Tropfen der sofort erstarrenden und sehr klebrigen Ausscheidung ab. So verfährt
es auch gegen die genannten Angreifer, die von hinten her anrücken und ihre Zangen in den Leib des Tieres
schlagen, um den süßen Inhalt auszusaugen.
Besonders gut gelingt ihnen das bei den Marienkäferchen (Coccinelliden). Wenn eine Rosenblattlaus an ihren langen Beinen
die Annäherung dieses Feindes spürt, so sucht sie sich zunächst mittels derselben in Sicherheit zu bringen oder sich herabfallen
zu lassen. Gelingt ihr dies nicht, so beschmiert sie dem Käfer
[* 47] mit ihrer klebrigen Ausscheidung den ganzen
Vorderkörper, weshalb auch die Käfer sich kaum an die erwachsenen Blattläuse wagen und mehr die jüngern verfolgen, wobei sie freilich
ihrem eignen Vorteil noch dadurch dienen, daß sie das trächtige, sich stark vermehrende Thier schonen.
Der wichtigste Schutz der Blattläuse bleibt freilich ihre Ameisenleibgarde, die sie durch ihren reichlichen süßen
Saft anlocken und für ihre Dienste
[* 48] belohnen, weshalb sie von manchen Ameisenarten auch förmlich gezüchtet werden. Bei uns
üben die Ameisen besonders energisch ihr Amt gegen die Larven der Coccinelliden und verschiedener Fliegen.
[* 49] Man kann nach
Büsgen leicht beobachten, mit welcher Wut sie sich auf diese Tiere stürzen, wenn man diese in die Nähe einer Blattlauskolonie
mit Ameisen bringt. In wenigen Minuten sind sie von der Pflanze herabgestürzt oder davongeschleppt.
Auch scheinen die Larven ihre Feinde wohl zu kennen und eilen, sich bei deren Annäherung zu verbergen.
Da die Blattläuse sich nun von dem Pflanzensaft nicht nur selber ernähren, sondern auch noch Scharen von Schutzameisen erhalten und
eine Menge Saft als Honigtau vergeuden, so üben sie ernstlichen Schaden, und Büsgen berechnet für einen von Boussingault beschriebenen
Fall, daß die einer Linde von ihnen entzogene Menge von Kohlehydraten hingereicht haben würde, den sechsten
Teil der Krone neu zu erzeugen. Der Honigtau schadet vielleicht nicht direkt, da ihn der nächste Regen von den
¶
mehr
Blättern herabwäscht, aber er zieht Pilze
[* 51] an, die den Blättern weiter schaden. Man sollte daher auch den Ameisen, wo sie
als Stützen der Blattläuse auftreten, den Krieg erklären.
Bereits 1846 versuchte Bessemer, Stanniol und Bleiblech in der Weise darzustellen, daß er
über einem horizontal liegenden Walzenpaar eine horizontale Rinne anbrachte, aus welcher beständig das geschmolzene Metall
abfloß. Das Metall gelangte in zusammenhängender Schicht zwischen die rotierenden, von innen durch Wasser gekühlten Walzen
und verließ dieselben in Form von Blech, dessen Stärke
[* 52] durch den Abstand der Walzen voneinander bestimmt
war. Diese Erfindung wurde später in Amerika
[* 53] verwirklicht, auch auf andre Metalleübertragen, und vor zwei Jahren gelangte das
erste auf solche Weise hergestellte Bleiblech nach Europa.
[* 54]
Nach der Einführung des Bessemerverfahrens, welches flüssiges Schmiedeeisen liefert, kam Bessemer auf seine Erfindung zurück,
und es gelang ihm sehr schnell die Herstellung eines vortrefflichen zähen Eisenblechs ohne Schlacke und
Oxydation. Trotzdem geriet das Verfahren, da der Bessemerprozeß anfangs große Mühe hatte, sich einzubürgen ^[korrekt: einzubürgern],
in Vergessenheit und wurde erst in neuester Zeit so weit vervollkommt, daß an eine Verwertung in der Praxis gedacht werden
kann.
Der Erfolg ist wesentlich abhängig von der gleichmäßigen Zuführung des geschmolzenen Metalles, welche
namentlich dann in Betracht kommt, wenn Tafeln von stets gleichbleibender Breite
[* 55] u. frei von mitgerissenen Schlacken erhalten
werden sollen. Man legt deshalb über den Walzen ein Geleise an und transportiert auf diesem die Wagen, welche das geschmolzene
Metall enthalten. Letzteres fließt in die rinnenförmige Gießpfanne
[* 56] und aus Löchern im Boden der letztern
zwischen die gekühlten Walzen.
Die Drehungsgeschwindigkeit der Walzen kann so reguliert werden, daß das Metall gerade erstarrt ist, wenn es unten heraustritt.
Das B.wird dann von einer Führungsebene aufgefangen und durch zwei Walzenpaare von größerer Umdrehungsgeschwindigkeit
noch etwas zusammengedrückt. Von hier gleitet das Blech als endloses Band
[* 57] heraus, falls es nicht schon vorher durch eine Metallschere
in Tafeln von gewünschter Breite zerschnitten wurde. Als besondern Vorteil dieser Methode hebt Bessemer hervor, daß das Metall
bei seiner raschen Abkühlung verhindert wird, eine grobe kristallinische Struktur anzunehmen; es wird
also auch das größte Maß seiner Kohäsionskraft bewahren. Daß die neue Methode außerdem eine enorme Ersparnis an Zeit,
Arbeit und Materialaufwand repräsentiert, liegt auf der Hand.
[* 58] Ein Walzwerk
[* 59] mit einem PaarWalzen von 4 FußDurchmesser und 18 ZollBreite vermag nach Bessemer 1 Tonne in 7,5 Min. zu produzieren.
PetrusJohannes, niederländ. Historiker, geb. 1855 zu Helder, studierte in Leiden
[* 63] und wurde 1884 Professor der Geschichte
in Groningen. Er schrieb sozial-politische Studien über niederländische Geschichte, vornehmlich des Mittelalters,
wie: »Eene Hollandsche stad en de middeleeuwen« (Haag
[* 64] 1883) und »Eene Hollandsche stad onder de Bourgondisch-Oostenrijksche
heerschappij« (das. 1884);
»Geschiedeneis von het Nederlandsche Volk« (Groningen 1892 ff.).
Maurel hat gefunden, daß das Blut der schwarzen Rasse in einem
bestimmten Quantum die größte Anzahl von roten Blutkörperchen,
[* 68] dagegen die weiße Rasse nur eine mittlere
Anzahl derselben und die gelbe Rasse die geringste Zahl von roten Blutkörperchen aufweist, und daß anderseits der Gehalt
des Blutes an weißen Blutkörperchen (Leukocythen) bei den besagten Rassen sich umgekehrt verhält.
Allgemeine Erfahrungen und der ganzen Menschheit gemeinsame Opfergebräuche mußten
nicht allein zu der wahren Erkenntnis führen, daß Blut »ein besonderer Saft« sei, sondern ein Saft von großer Wirksamkeit
nach den verschiedensten Richtungen. Die dem Jäger und dem Krieger sich aufdrängende Beobachtung, daß mit dem Blute das Leben
dahinströmt, mußte die nicht bloß den Juden eigentümliche Lehre
[* 69] erzeugen, daß in dem Blute die Seele,
Gesinnung, Individualität, Rasse, Gesundheit und Krankheit wohne, und daher vermischen fast bei allen Völkern zwei Menschen,
die einen Bund fürs Leben schließen, ihr Blut, entweder, wie es in Afrika
[* 70] geschieht, indem sie es sich gegenseitig einimpfen,
oder sie lassen es gemeinsam in eine Grube rinnen, wie die alten Germanen thaten, saugen es aus kleinen,
sich gegenseitig beigebrachten Wunden, wie die alten Meder, Lydier, Armenier, Iberer und Iren, oder trinken das vermischte mit
Wein, wie die alten Skythen, Mongolen, Romanen und Ungarn. Herodot, Plutarch u. Sallust schildern den letztern
Brauch auch noch bei Griechen und Römern zur Verkettung von Verschwörern, z. B. unter den Bundesgenossen des Tarquinius Superbus
und Catilina. Wenn bei diesen Blutsbruderschaften der Gedanke eines untrennbaren Seelen- und Herzensbündnisses im
¶
mehr
Vordergrunde stand, wenn einer ähnlichen Idee die Nekromantie oder Totenbeschwörung, die Belebung der Schatten
[* 72] durch vergossenes
Blut, zu Grunde lag, so mußte der wohl allen niedrigerstehenden Völkern gemeinsame Gebrauch, durch Opferung von Menschen oder
stellvertretenden Tieren den Zorn guter und böser Gottheiten zu versöhnen, einem ungeheuern Kreise
[* 73] abergläubischer Gebräuche
seinen Ursprung geben. Denn wir sehen in dem betreffenden Zeremoniell immer das Blut des Opfers die Hauptrolle
spielen; nur in seltenen Fällen wurden die Opfer erdrosselt oder unmittelbar dem Feuer übergeben, denn bei der Entsühnung
kam es auf das den Altar
[* 74] benetzende Blut an, in vielen Fällen wurden die Opfernden selbst mit dem Blute
bespritzt, ja bei den alten Taurobolien und Mithras-Opfern betraten die zu Entsühnenden eine Erdgrube, über welcher das
Opfertier sein Blut hergeben mußte.
Schon alte jüdische Bibelerklärer erläutern die Nachricht von dein Auszug der Juden aus Ägypten
[* 75] damit, daß der Pharao aussätzig
gewesen und jeden Abend und Morgen das Blut von 150 israelitischen Kindern gefordert habe, um darin zu baden. Auch Plinius
(XXVI, 1,5) kannte diese Sage, obwohl er die dem Volke unheilvolle Krankheit des Pharao als Elefantiasis bezeichnet. Moses von Chorene
und Cedrcnus berichten dieselbe Sage von Konstantin d. Gr., der aber bei dem Jammern der Mütter auf das Blutbad verzichtet
und nun durch die GnadeGottes gesund wird; in der in vielen Formen umlaufenden Sage von den beiden Freunden
(Amicus und Amelius) tötet der eine seine fünf Kinder, um mit deren Blute den andern von der Miselsucht (Aussatz) zu befreien;
in der Geschichte der Hirlanda soll König Richard vonEngland nicht nur das Blut eines neugebornen Kindes äußerlich anwenden,
sondern auch dessen Herz roh verzehren, um den Aussatz zu vertreiben.
In der Dichtung des Hartmann von der Aue vom »armen Heinrich« und der altfranzösischen Gralssage wird das Blut einer reinen Jungfrau
zur Heilung des Aussatzes verlangt. Hierher gehören auch die Bäder in frischem Tierblut und das Einhüllen kranker Glieder
und ganzer Körper in die Häute frisch geschlachteter Tiere. Das Jungfrauenblut, und zwar nicht bloß das
durch Verwundung erlangte, sondern auch das Menstrualblut, spielt in der Volksmedizin eine große Rolle. Im Altertum galt es
für giftig, und die Naturvölker haben großen Abscheu davor, aber im Mittelalter galt es als Hauptmittel zur Vertreibung
von Hautunreinigkeiten (Flechten,
[* 76] Krätze, Muttermälern, Pestdrüsen, Leberflecken und Warzen) sowie als Liebesmittel, wobei
es aber innerlich beigebracht werden mußte.
warmen Menschenblutes heilen
zu können, und Plinius erzählt (XXVIII, 1, 2) daß Fallsüchtige das Blut
zum Tode verwundeter Fechter aus der Wunde wie aus einem lebendigen Becher
[* 77] tranken, um den Lebensodem des Opfers der Arena mit
einzusaugen, und solange es bei uns öffentliche Hinrichtungen auf dem Schafott gab, wiederholten sich die Szenen, daß Angehörige
solcher Kranken hinzustürzten, um das warme Menschenblut aufzufangen. Mannhardt berichtete noch aus den
letzten 30 Jahren von Fällen, in denen bei den Kassuben das Blut vermeintlicher Hexen zur Heilung der von ihnen erzeugten Krankheiten
angewandt wurde, und aus den polnischen DistriktenWestpreußens kamen vor 20 Jahren noch Fälle zur gerichtlichen Verhandlung,
in denen das halb verfaulte »Blut« der sogen. Vampyre (s. d., Bd.
16), d. h. ausgegrabener und heimlich enthaupteter Leichen, von den Familienangehörigen genossen wurde. Dieser Aberglaube
leitet zu demjenigen der Benutzung von Leichenteilen, namentlich der Totenhand über, die im Volke als das letzte Mittel zur
Beseitigung von Feuermälern, bösartigen Geschwüren, Krebsleiden und Flechten galten, welche man damit
bestrich, damit sie ebenso dahinschwinden sollen, wie nachher in der Erde die Totenhand verwest.
Gehört dieser Wahn aber mehr in das Kapitel von der Sympathie und zu dem von Paracelsus und van Helmont gepriesenen Wunderglauben
an die Kraft
[* 78] der Mumie, so schließen sich die noch in unsern Tagen fort und fort erfolgenden Morde schwangerer
Frauen an den schrecklichen Wahn von der Wunderkraft des unschuldigen Blutes ungeborner Kinder. Diebe und Mörder glauben sich
unsichtbar machen zu können oder das Fliegen zu lernen, schußfest zu werden und niemals ergriffen werden zu können, wenn
sie das Blut angeborner Kinder, die aber männlichen Geschlechts sein müssen, genossen und deren noch warme,
zuckende Herzen verzehrt haben. Es ist, als wollten sie sich damit einem bösen Dämon weihen, der diese Doppelmorde von ihnen
verlangt, damit er sie nachher beschütze.
Manche begnügen sich auch mit Blut und Fleisch ungetaufter Kinder oder kleiner Mädchen, wie ein 1888 in
Oldenburg
[* 79] abgeurteilter Verbrecher. Aus den Fingern oder dem Fette der ungebornen Kinder glauben sie außerdem die sogen. Diebslichter
verfertigen zu können, welche nur mit Milch löschbar sein, die Leute, während sie beraubt werden, in tiefem Schlaf erhalten
und den Dieb unsichtbar machen sollten. Noch 1865 wurde in Elbing
[* 80] ein Verbrecher abgeurteilt, der zu diesem
Zweck einem Mädchen ein handgroßes StückFleisch aus dem Leibe geschnitten, dasselbe zur Verfertigung eines solchen Lichtes
ausgebraten und die »Grieben« nach seinem Geständnis verzehrt hatte. Die noch in unsern Tagen vorkommenden, oft unbegreiflich
erscheinenden Massenmorde von weiblichen Personen und Kindern in bestimmten Gegenden scheinen meist durch
einen derartigen Aberglauben veranlaßt worden zu sein.
Zu einer andern und doch im Sinne verwandten Klasse von Aberglauben gehört die Beschuldigung des rituellen Mordes kleiner Kinder,
um deren Blut für religiöse Opfer bei verschiedenen Religionsgesellschaften zu verwenden. Diese Beschuldigung wurde zu oft
wiederholten Malen im römischen Reiche gegen die Christen erhoben und führte dann bei dem das Volk furchtbar
aufreizenden Charakter einer solchen Anklage zu blutigen Christenverfolgungen. JustinusMartyr, Tertullian und andre Kirchenväter
versuchten vergeblich, ihre
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