Viel zahlreicher als die zu Dekorationszwecken kultivierten Ziergräser sind die zu Trockenbindereien verwendeten
Arten. Es eignen sich hierzu alle jene Grasarten, deren Blütenstände
(Ähren und
Ährchen)
[* 2] beim
Trocknen nicht zerfallen. Weitere
wesentliche
Momente sind, daß die Blütenstände nicht zu kurz sind, und daß sie sich bleichen und färben
lassen. Die außerordentliche Mannigfaltigkeit der Blütenstände sowie ihre verschiedene
Farbe gestatten eine sehr verschiedene
Verwendung.
Sie werden entweder für sich allein oder in
Verbindung mit getrockneten
Blumen und Blättern zu runden oder flachen
Sträußen
gebunden (Grassträuße, Trockensträuße, Makartsträuße). Die zum
Trocknen bestimmten Ziergräser werden entweder
unmittelbar
vor derBlüte
[* 3] oder bald nach derselben, oder endlich auch erst nach beendeter Fruchtreife möglichst lang abgeschnitten,
in nicht zu dicke Bündel zusammengebunden und an luftiger, trockner
Stelle verkehrt aufgehängt.
Erfahrungsgemäß halten die
Ährchen nach dem
Trocknen um so fester zusammen, je zeitiger die Blütenstände
abgeschnitten wurden. Zum
Bleichen werden die
Gräser
[* 4] mit
Chlor oder schwefliger
Säure behandelt, bis sie vollständig weiß
geworden sind. Zum
Färben werden die gebleichten Ziergräser in kochende Anilinfarbenlösungen gelegt. Durch schnelles, scharfes
Trocknen im heißen Luftstrom, wozu man eigne Dörrapparate verwendet, werden die Ziergräser starr, während
sie beim langsamen
Trocknen weich und geschmeidig bleiben.
Man wendet erstere
Methode daher bei Ziergräsern mit relativ großen, zahlreichen
Ährchen auf dünnen, langen Stielchen an
(z. B.
Zittergras,
Hafer
[* 5] etc.), während die letztere
Methode sich für kompaktere Blütenstände mit langen, weichen
Grannen
eignet (z. B.
Pampasgras,
Arundo, Chloropsis, Lagurus etc.). Statt mit
Anilinfarben färbt man die gebleichten
Ziergräser auch mit
Bronzefarben. Außer heimischen Ziergräsern verwendet man vielfach fremdländische, welche in großen
Quantitäten
teils aus der
Heimat, teils aus Südfrankreich, wo man sie im großen zu diesem
Zwecke kultiviert, importiert werden.
In den letzten
Jahren macht sich der
Markt aber mehr und mehr vom
Ausland unabhängig, da die Ziergräser jetzt auch
bei uns in großen
Mengen kultiviert werden. Die kleinern
Formen, namentlich die einjährigen, erfordern sehr wenig
Pflege,
nehmen auch, wenn nur reichlich
Wasser vorhanden ist, mit jedem
Boden vorlieb und liefern einen verhältnismäßig hohen
Ertrag,
so daß ihr Anbau mehr und mehr Eingang findet. Hauptmärkte sind
Berlin
[* 6] und
Erfurt.
[* 7] Die hauptsächlichsten
Ziergräser dieser
Kategorie sind: Agrostis
[* 8] nebulosaBoiss. (Nebelstraußgras), einjährig, aus
Spanien;
[* 9]
die
Rispe der 30-35
cm hohen
Pflanze
wird durch 4-10
Quirle haarförmiger
Äste gebildet, welche ihrerseits wieder sehr verzweigt sind und eine Unzahl sehr kleiner,
länglich-eiförmiger, erst rötlichgrüner, zur Zeit der
Reife an ihren obern Teilen hellrot und unten
dunkelgrün gefärbter Blütenährchen tragen. A. pulchella, ähnlich;
Chloropsis Blanchardiana, Blütenstände
aus zahlreichen,
ca. 10
cm langen, einseitigen, fein begranntenÄhren, welche in einem
Quirle zusammenstehen,
gebildet.
Digitaria sanguinalis, blutrotes Fingergras,
Ähren 6-10
cm lang, zu 5-8 am Ende des
Halmes quirlförmig auseinander
gespreizt stehend;
Erianthus
Ravennae (Zuckergras), ausdauerndes,
sehr ornamentales, 1,5-2 m hohes Ziergras;
die
Halme tragen an ihrer
Spitze langeRispen, welche anfangs
violett sind, sich später aber zusammenziehen und dann seidenartig grauweißlich erscheinen;
sie bestehen aus paarweise
stehenden
Ährchen, von denen das eine sitzend, das andre gestielt ist.
Zur Abröstung der
Zinkblende hat sich der mechanische Röstofen der
GesellschaftVieilleMontagne
als praktisch bewährt, insbesondere in Gegenden, wo die
Arbeitslöhnehoch und das Brennmaterial billig ist. Die Abröstung
findet in Muffelöfen statt, die Vorröstung auf möglichst wagerechten
Gewölben mit umlaufenden Rührvorrichtungen. In Betrieb
befindet sich der Röstofen z. B. bei der
Gesellschaft Rhenania in
Stolberg
[* 13] sowie in
Oberhausen.
[* 14] Röstofen, welche neuerdings
von der
Gesellschaft Rhenania in
Stolberg erbaut und betrieben werden, bestehen aus einer
Reihe übereinander liegender
Muffeln,
welche von Feuerungsgasen umspült werden.
Die feingemahlenen
Erze werden durch Trichter in die obere
Sohle eingefüllt und von dort allmählich durch
Arbeiter von
Muffel
zu
Muffel unter häufigem Umrühren geschaufelt. Am Ende der untern
Sohle angelangt, sind die
Erze vollkommen
entschwefelt. Die entweichende
schweflige Säure wird in
Bleikammern geführt und zur Schwefelsäurefabrikation benutzt. Die
Erzmengen, welche auf einmal aus dem
Ofen gezogen werden, betragen 400-450 kg. In 24
Stunden liefert der
Ofen, welcher nur zwei
Mann zur Bedienung erfordert, 3000-3500 kg gerösteteZinkblende. Die Abröstung erfolgt bis auf 0,35-1,1
Proz.
Schwefel.
(Geschichte und Zukunft). Zur Zeit, wo das
Licht
[* 15] der Geschichte die
Völker zum erstenmal bescheint, finden
wir viele von ihnen schmachtend unter der
Last von Wucherzinsen.
SchonRamses II.,
Sesostris von
Ägypten
[* 16] und
Solon in
Athen
[* 17] sind
genötigt, Schuldenerlasse zu gewähren. In
Rom
[* 18] benutzt die
Plebs einen jener ersten bescheidenen
Siege,
die sie im
Kampfe mit dem Patriziat davonträgt, um dem
Zins eine gesetzliche
Grenze zu ziehen. Die Libyer waren den Karthagern
verschuldet, die Helveter dem Orgetorix, ähnlich die
Gallier ihrem eignen
Adel, die Briten dem
Lehrer des
Tiberius,
Seneca. In
Rom erklärt das Zwölftafelgesetz eine Zinsfixierung von 10 Proz. für das Jahr als legitim.
Aber das
Gesetz that in
Wahrheit dem berufsmäßigen
Wucher des Patriziats wenig
Eintrag und bewirkte nur, daß er andre
Formen
wählte. Ganz ähnlich hat man auch über die Zinsbeschränkungen der spätern
Republik (insbesondere die lex 357
v. Chr.,
welche für den
Verkehr unter
Römern einen
Zins von 5 Proz. statthaft erklärt, und die lex genucia von 342, welche allen Darlehnszins
verpönt) zu urteilen.
Fast immer sind es jedoch konsumtive Notdarlehen, um die es sich hier handelt. Der regelmäßige Zinsfuß stand
für diese
¶
mehr
noch im ersten Jahrhundert vor Christi nicht unter 30 Proz. Was dagegen das Produktivdarlehen betrifft, so scheinen vom 4. bis
ins 1. Jahrh. v. Chr. ziemlich allgemein in der Handelswelt, ebensowohl in Griechenland
[* 20] als auch in Rom, wie auch in Alexandria, 12 Proz.
Zinsen genommen worden zu sein. Man rechnete 1/100 des Kapitals für einen Monat, was 12/100 = 12 Proz.
fürs Jahr ergab. Etwas niedriger war der Zinsfuß wohl eine Zeitlang nach der Eroberung des Perserreichs durch Alexander.
Ähnlich nach der EroberungÄgyptens durch Augustus im 1. Jahrh. v. Chr., wo zeitweilig Geld genug sogar zu 4 Proz. zu haben
war. Während der römischen Kaiserzeit, und insbesondere gegen das Ende derselben, nimmt der Zinsfuß aber
allgemein ein niedrigeres Niveau an. Er war damals meist etwa zwischen 6 und 10 Proz. Justinian setzte im 3. Jahre seiner
Regierung den regelmäßigen Zinsfuß auf 6 Proz. herab. Für gewisse Fälle sollten 8, für andre dagegen 4 und
nur ausnahmsweise die früher üblichen 12 Proz. erhoben werden. In einer spätern Novelle wurden 4 Proz. für den gesamten
Bauernstand als maßgebend erklärt. Auch der Anatozismus, die Berechnung des Zinses vom Zins, ward verboten. Endlich wurde erklärt,
daß dem Schuldner überhaupt niemals mehr an Zinsen abgefordert werden dürfe, als das Schuldkapital beträgt
(alterum tantum).
Im Mittelalter, das ja in seiner ersten Zeit einen völligen Rückfall in die Naturalwirtschaft bedeutet, spielt das Darlehen
vorerst eine sehr geringe Rolle. Erst vom 13. Jahrh. an wird dies anders. Von dieser Zeit an bis ins 16. und 17. Jahrh.
hinein sind aber streng auseinander zu halten die Zinsen, die für das sogen. freie Darlehen gefordert
und gegeben wurden, und jene, die dem Rentenkauf galten, jener durch das kanonische Recht und sein Zinsverbot provozierten
Darlehnsform, wo der grundbesitzende Schuldner sich zur Leistung einer Rente als Äquivalent für Zins- und Schuldbetrag an den
Gläubiger verpflichtete.
Beim Rentenkauf kehrt in Deutschland
[* 21] im 13. Jahrh. der Satz von 10 Proz. am häufigsten wieder. 6 und 15 Proz. scheinen
Minimum und Maximum gewesen zu sein. Im 14. Jahrh. ermäßigt sich der Satz, die Grenzen
[* 22] sind 5 und 12½ Proz., und der Zinsfuß wird
gleichmäßiger über das ganze Gebiet hin. Diese Entwickelung setzt sich dann im 15. Jahrh. fort, und
zu Schluß desselben sind 5 Proz. für den Rentenkauf im ganzen Westen des Reiches nahezu normal geworden. Der Osten dagegen
hat höhere Sätze, die aber selten 10 Proz. erreichen.
Wie schon angedeutet, waren die Sätze des Rentenzinsfußes lokal verschieden, insbesondere in der frühern
Zeit. Gegenden mit lebhafterm Verkehr, stärkerm Geldzufluß, besserer Rechtsorganisation und Rechtspflege, wie überhaupt
besserer Verwaltung hatten Anwartschaft auf einen niedrigern Zinsfuß Gegenden, denen diese Eigenschaften nicht zukamen, mußten sich
mit einem höhern Zinsfuß abfinden. Am Oberrhein ist bereits im 13. Jahrh. der Zinsfuß für Gültenkauf
7-5 Proz. durchschnittlich. Zu Ende des 14. Jahrh. stieg er dann
freilich infolge der zahlreichen Fehden. In Norddeutschland ist er, wenn von Lübeck
[* 23] abgesehen wird, die ganze Zeit weit höher.
In Breslau
[* 24] verharrt er bis ins erste Jahrzehnt des 16. Jahrh. hinein gleichmäßig auf 10 Proz.
Völlig andre Ziffern als dieser Rentenzinsfuß zeigt der des freien Darlehens.
Man thut hier gut, Länder, in denen das freie Darlehen als Produktivdarlehen, und solche, wo es als Konsumtivdarlehen überwiegt,
zu unterscheiden. Nur indem man diese Einteilung macht, kann man die großen Unterschiede in der Zinshöhe,
die sich für
das freie Darlehen in verschiedenen Ländern ergeben, erklärlich finden. Das Privilegium, eigentliche Mobiliardarlehen
gegen Zins zu gewähren, stand im Mittelalter bekanntlich den Juden zu, wenn es ihnen auch nicht ausdrücklich zugesprochen
gewesen sein mag und vielfach verkümmert wurde.
Der ihnen entrichtete Zinswar inLändern vorwiegenden Konsumtivdarlehens außerordentlich hoch und überschritt nach unsern
Begriffen geradezu alles Maß. In Deutschland betrug er im 13. Jahrh. durchschnittlich 60-70 Proz.
pro Jahr. Indes ist das kein Maximum. So finden wir in Österreich,
[* 25] welches freilich das ganze Mittelalter hindurch immer zu
den Ländern des höchsten Zinsfußes gehört hat, eine Verordnung des letzten Babenbergers aus dem Jahre 1244, wonach
an Zinsen jährlich 174 Proz. zu nehmen gestattet sein soll. Bald darauf hebt 1254 Ottokar für die Juden der österreichischen
Länder jede Zinsgrenze auf, in seiner Hauptstadt Prag
[* 26] will er nicht über 104-140 Proz. jährlich an Zinsen eingezogen wissen.
KaiserRudolf I., in einer Verordnung von 1277, die er für die österreichischen Länder erläßt, kehrt
zu dem Satze jener Verordnung von 1244 mit 174 Proz. zurück.
Im darauf folgenden 14. Jahrh. jedoch gelten schon wesentlich niedrigere Zinssätze. HerzogAlbrecht II. von Österreich gestattet
den Juden nicht über 65-72 Proz. zu gehen. In Frankfurt
[* 27] wird ihnen ziemlich gleichzeitig, nämlich 1368, ein
Zins von 32½-43⅓ Proz. zugestanden. Und auch weiter setzt der Zinsfuß sein Sinken
fort. Im J. 1491, also zu Schluß des Mittelalters, werden den FrankfurterJuden 21⅔ Proz. gestattet, d. h. für das Konsumtiv-
und nur ausnahmsweise für das Produktivdarlehen.
Denn dort, wo Handel und Kaufmannschaft bereits in großem Stile thätig werden, und wo dem entsprechend
das freie Darlehen seine Natur als Notdarlehen verliert, kann der Zinsfuß unmöglich bei Sätzen wie den vorgenannten verharren.
Zinsen in solcher Höhe vermag keine kaufmännische Thätigkeit zu tragen. Und so trifft man denn in der That beispielsweise
in Flandern und Brabant, die verhältnismäßig früh zu großer wirtschaftlicher Blüte gelangt sind, bereits
im 13. Jahrh. den Zins bei 20-30 Proz. an. Wenn uns berichtet wird, daß die italienische Kaufmannschaft schon im 12. Jahrh.
einen Zins von bloß 20 Proz. entrichtet habe, so ist das wohl zurückzuführen darauf, daß das
kanonische Zinsverbot um jene Zeit noch nicht volle Kraft
[* 28] erlangt hatte.
Aber im 13. Jahrh. soll in Sizilien
[* 29] ein Zinsfuß von sogar nur 10 Proz. für freie Darlehen bestanden haben. In Italien
[* 30] und in jenem
Landgebiet, das sich in der Richtung des frühern Burgund, aber breiter als dieses gegen die heute belgische Küste hinzieht,
weiter in Südfrankreich erhält sich das ganze spätere Mittelalter hindurch der Zinsfuß auf verhältnismäßig
niedrigem Stande. Freilich hat er damit auch viel weniger Raum für seine Entwickelung nach unten. Der Satz von 10-12 Proz.,
wie ihn zu Anfang des 16. Jahrh. die südlichen Niederlande
[* 31] besitzen, war um diese Zeit ebenso in Südfrankreich und
Italien gebräuchlich, was aber nicht hinderte, daß unter Umständen hier überall auch noch 20 Proz.
gefordert und gegeben wurden. In Deutschland erfreuen sich nur Fürsten und Städte des Vorzugs so niedriger und unter Umständen
noch niedrigerer Zinse. Sie erhalten frühzeitig ihre Darlehen bereits zu 12-10 und gegen die Neuzeit hin
zu 8-7 Proz.
und örtliche Ausgleichung seiner Höhe im Gefolge. 5 Proz. Zinsen werden im 16. Jahrh. für den Rentenkauf gesetzlich. Aber
auch die Juden sollen nach den Reichspolizeiordnungen von 1548 und 1577 nicht über 5 Proz. nehmen.
Indes scheint diese letztere Ordnung damals etwas verfrüht, und kaum wurde ihr auch nachgelebt; denn wir
wissen, daß beispielsweise 1538 in Frankfurt 10½ Proz. im Darlehnsverkehr gezahlt wurden, und selbst 1614 der übliche Satz
noch bei 8 Proz. stand.
Erst im 17. Jahrh. werden 5 und 6 Proz. allgemein. Die formelle
Aufhebung des kanonischen Zinsverbotes ist in Partikulargesetzgebungen schon vielfach im 16. Jahrh.
erfolgt. 1654 wird sie auch von Reichswegen ausgesprochen und 5 Proz. Zinsen als statthaft erklärt. Doch
haben viele Partikulargesetzgebungen unter dem Einfluß des römischen Rechts 6 Proz. nach Justinian angenommen, und so werden
denn allgemein 5 Proz. als legitim; aber doch erst mehr als 6 Proz.
als wucherisch erklärt.
Der Zins von 5 Proz. blieb nun, ähnlich wie jene 12 Proz.
des spätern Altertums, lange Zeit aufrecht im mittlern Europa.
[* 33] Allmählich aber bahnte sich, von Holland ausgehend, eine weitere
Erniedrigung des Zinses an. Holland ist im 17. Jahrh. an die Spitze der seefahrenden Nationen getreten. Im Handel mit Kolonialwaren
fallen ihm große Gewinne zu, welche nach Anlage suchen. Dies bewirkt ein Herabgehen des Zinsfußes. Bereits 1655 werden 4 Proz.
als gesetzlich erklärt, nachdem noch 1640 5 Proz. zur Taxe gestempelt worden waren.
Und weitere 15 Jahre später (1671) schreibt Pieter de la Court: »Es ist ein großer Vorteil für den holländischen Handel,
daß Geld dort gegen 3½ Proz., ja selbst gegen 3 Proz. jährlich, ohne
einiges Unterpfand, auch an Kaufleute geliehen wird.« Dürfen wir derart um diese Zeit 3½ Proz. als den in Holland üblichen
Zins ansehen, so haben wir im Laufe des darauf folgenden Jahrhunderts, bis gegen 1780, ein Sinken bis auf
2¾ und 3 Proz. zu konstatieren. Neidischen Blicks sieht das auf Hollands Macht eifersüchtige EnglandCromwells auf dieses
unanfechtbare Zeichen wirtschaftlicher Blüte bei seinem Rivalen. In England waren 10 Proz. Zins bis 1624 legitim gewesen. In
jenem Jahre wurde der Satz auf 8 Proz. und in der Mitte des 17. Jahrh.
(1651) auf 6 Proz. ermäßigt.
Weiter kam man zunächst nicht. Ja, in der Praxis scheint vielfach selbst jener gesetzliche Zins von 6 Proz. nicht beobachtet,
sondern statt seiner 7 Proz. noch das ganze 17. Jahrh. die Regel gewesen zu sein. Die Thatsache dieses höhern Zinses wurde
damals von der volkswirtschaftlichen Litteratur zum Gegenstand lebhafter Erörterung gemacht, und man
frug sich, wie es wohl anzustellen sei, um eines Zinsfußes wie des holländischen habhaft zu werden. Aus den hier gefallenen
Anregungen ging 1694 die Gründung der Bank von England hervor. Und im darauf folgenden 18. Jahrh., um die Mitte desselben,
holt Großbritannien
[* 34] endlich die Niederlande nahezu ein. In allmählichem Sinken geht der Zinsfuß insbesondere unter dem Einfluß
der Friedensperiode von 1714 bis 1739 bis auf 4 und 3 Proz. Die Konsols, das englische Rentenpapier, werden schon 1737 zu
einem Kurse gekauft, der nicht über 2⅘ Proz. an Zinsen abwirft. Auch im zentralen Mitteleuropa, in Deutschland,
ermäßigt sich um diese Zeit der Zins.
Die Zeit etwa von 1730 bis 1780 ist danach als eine erste Tiefstandsperiode für den europäischen Zinsfuß zu bezeichnen.
Gegen Schluß des vorigen Jahrhunderts stieg der Zinsfuß wieder. England sah sich in seinem Kriege mit Frankreich genötigt, die
Staatsschuld um 604 Mill. Pfd. Sterl.
zu vermehren. Ein noch weit größerer Betrag
wurde aber in Gestalt von Steuern der Bevölkerung
[* 35] abgefordert. Aus diesen Summen, die natürlich nur aus Überschüssen, aus
Ersparnissen der Anlehnszeichner und Steuerträger sich rekrutieren konnten, und wovon unter normalen Verhältnissen jedenfalls
sehr erhebliche Teile der Industrie, überhaupt der wirtschaftlichen Verwendung zugeflossen wären, war
nun nichts für den wirtschaftlichen Zweck verfügbar.
Der Zinsfuß erreichte unter dem Einfluß dieses und andrer Faktoren während des Krieges eine seit Jahrzehnten ungekannte Höhe.
Konsols fanden 1798 Käufer nur zu einem Kurse, der einer 6proz. Verzinsung und darüber entsprach. Aber auch nach Beendigung
des Krieges stellten sich die alten Verhältnisse nicht wieder ein. In England werden etwa 4 Proz. Zins die Regel. In Deutschland
und Frankreich bezahlt man um die gleiche Zeit 6, bald nachher 5 Proz. England hatte, während es Krieg mit Napoleon führte,
gleichzeitig seiner Volkswirtschaft die mächtigsten Impulse gegeben, d. h. eine eigentliche Großindustrie
geschaffen und sich auf ein wirtschaftliches Niveau hinaufgearbeitet, dem gegenüber seine ungeheuern Kriegsausgaben nicht
in derartigem Mißverhältnis standen wie in den kontinentalen Staaten. Es hatte Überschüsse bereit, die sich zur Anlage
anboten. Aber gleichzeitig war die Produktivität, die jeder Neuanlage von Kapitalien in dieser Zeit in Aussicht
stand, hoch genug, um den Zinsfuß sein früheres niedriges Niveau vorerst nicht gewinnen zu lassen. Bei alledem zeigte sich der
englische Zinsfuß wesentlich niedriger als jener in Frankreich und Deutschland.
Mit Beibehaltung der vorgenannten Unterschiede zwischen dem Zinsfuß Englands und dem des Kontinents geht derselbe in der Friedenszeit
des zweiten Viertels unsers Jahrhunderts zurück. Im dritten Viertel hebt er sich wieder. Es ist jetzt der
Ausbau der Eisenbahnen, der große MassenKapitals in Anspruch nimmt und festlegt. 1866 in England, 1870 in Deutschland erreicht
der Zinsfuß seinen Höhepunkt. Er ist, wenn man nach dem Kurse der zinstragenden Staatspapiere (dem besten Maßstab)
[* 36] urteilen will, in England 1866 3,4 Proz., in Preußen
[* 37] und zugleich auch im übrigen Deutschland 5 Proz. Seitdem ist der Zinsfuß wieder
gesunken.
Gegenwärtig steht der Kurs der zu 2¾ Proz. verzinslichen Konsols nahezu auf pari, d. h. 100. 1880-84 waren noch die damals
3proz. Konsols nur knapp über pari, im Durchschnitt jener 5 Jahre nämlich 100 17/80, so daß nur 1880-84
gegen 1890 zweifellos ein Sinken des Zinsfußes von 3 auf 2¾ Proz. vorliegt. Die Raschheit dieses Sinkens ist bemerkenswert.
Denn um von 3,4 Proz. auf 3 Proz. Zinsertrag
herabzugehen, hatten englische Konsols immerhin 15 Jahre (von 1866 bis auf 1881) gebraucht.
Weit stärker aber als auf dem englischen Markte ist das Sinken auf dem in den 60er und 70er Jahren noch durch hohe Zinsen ausgezeichneten
deutschen Markte gegangen. In Berlin notierte im Mai 1890 die 3½proz. Reichsanleihe 101⅕, derart, daß sie ein ganz klein
wenig unter 3½ Proz. abwirft. In Deutschland ist also der Zinsfuß für in Effekten niedergelegte Leihkapitalien
seit 1870 um volle 1½ Proz., nämlich von 5 auf 3½ Proz., gesunken.
Nicht anders steht es in Frankreich. In Paris
[* 38] notierte im Mai 1890 3½proz. Rente 89,80-89,90, was einem Zinsfuß von 3½ Proz.
entspricht. 1871 stand sie 50,35, warf also rund 6 Proz.
ab. Allerdings hing dieser Zinsfuß mit dem Kriegsunglück des Landes und den Schuldenmassen, die immer neu auf den Anlagemarkt
gesandt werden mußten, eng zusammen. Man geht
¶
mehr
besser von dem im übrigen niedrigsten Kurse der letzten Jahrzehnte aus. Es war der von 64,45 Fr. im J. 1864. Er ließ einen
Zinsengenuß von nicht viel unter 4¾ Proz. zu. In etwas längerm Zeitraum als in Deutschland ist der Zinsfuß also auch in Frankreich
um ungefähr 1½ Proz. gesunken.
Leroy-Beaulieu, der diese Bemerkung J. St. ^[JohnStuart] Mills registriert, will das »Wahrscheinlich« des
englischen Autors durch ein »Sicherlich« ersetzt wissen, und er macht seinerseits
(1883) die Prophezeiung, daß sehr wahrscheinlich binnen eines halben Jahrhunderts oder eines Jahrhunderts der Zinsfuß in Westeuropa
für sehr sichere und langfristige Anlagen bis auf 1½ und 2 Proz. heruntergehen würde. Es müßten,
fügt er hinzu, die neuen Länder, beispielsweise Afrika,
[* 44] sehr rasch durch europäische Kapitalien erschlossen werden, damit
einem solchen Sinken begegnet werde.
Alles spricht dafür, daß Leroy-BeaulieuRecht behält. Bereits hat der englische Finanzminister Goschen einen Zinsfuß von 2½ Proz.
für das zweite Jahrzehnt des folgenden Jahrhunderts eskomptiert, und die englische Kapitalistenwelt hat
sich ihm angeschlossen. Goschen hat die 3proz. englischen Konsols in solche konvertiert, die 2¾ Proz. bis 1913, von da an
2½ Proz. gewähren, und diese Konsols notieren heute al pari. Freilich steht der Zinsfuß der staatlichen Kreditpapiere in der Regel
noch etwas unter dem für die sichersten Anlagen andrer Art üblichen, weil sich die Nachfrage von vielen
Seiten her, insbesondere auch von überall, wo eine persönliche Wahl der Anlage seitens der Kapitalisten ausgeschlossen ist
(man denke beispielsweise an Waisengelder, aber auch an die Anlagen des mit dem Geldmarkt nicht vertrauten Kleinkapitalisten),
konzentriert.
Die Ursache für das Sinken des Zinsfußes wird vorzüglich darin gefunden, daß die besonders rentabeln
Kapitalanlagen großen Maßstabes heute erschöpft sind und nur Unternehmungen von geringerer Ergiebigkeit übrigbleiben. Die
Haupteisenbahnen sind ausgebaut, die Telegraphenlinien gezogen, die Industrie ist mit Dampfmaschinen
[* 45] versehen. Und wenn heute
auch Fälle höherer Rentabilität nicht ausgeschlossen sind, so sind sie doch nicht so gewöhnlich wie
bisher.
D'Aulnis de Bourouill hat noch auf eine weitere Thatsache aufmerksam gemacht. Er bemerkt, daß die Aussicht auf Anwendung
neuer großer Erfindungen, durch die eine Steigerung der Produktivität der Kapitalien und damit eine Erhöhung desZinsfußes
erzielt werden kann, auch deswegen geringer ist, weil die Verbesserungen meist auf einen Effekt abzielen,
der im Wesen bereits heute erreicht wird, nur daß die neue Erfindung eine Kostenverminderung mit sich bringt. Nun stehe aber
die einmal für die Erzielung des betreffenden Effekts vorhandene, wenn auch nicht gleich moderne.
Kapitalanlage der Nutzbarmachung solcher Erfindungen im Wege, bez. zu deren Kosten seien die Kosten jener
Kapitalanlagen, die ja nun
außer Kraft gesetzt werden sollen, zuzuschlagen, und unter solchen Verhältnissen würde häufig
auf die Ausnutzung der neuen Erfindung verzichtet (vgl. beispielsweise elektrisches Licht an Stelle des Gaslichts). So spricht
denn alles dafür, daß wir noch einem weitern Sinken des Zinsfußes entgegensehen. Nur ein allgemeiner
europäischer Krieg könnte dieser Entwickelung Halt gebieten durch die ungeheure Kapitalzerstörung, welche er bedeutet.
auch Neymarck, Les plus hauts et les
plus bas cours des principales valeurs depuis 1870 (Par. 1889);
über die Zukunft des Zinsfußes: Leroy-Beaulieu, Essai sur
la répartition des richesses (3. Aufl., Par. 1888), und d'Aulnis de
Bourouill, Der Zinsfuß. Die Ursachen seines Sinkens und seine nächste Zukunft (»Jahrbücher für Nationalökonomie«, neue Folge, Bd.
18).
Eugen, Afrikareisender, geb. zu Düsseldorf,
[* 47] studierte in Berlin, Bonn,
[* 48] Straßburg
[* 49] und Heidelberg
[* 50] die Rechte, erwarb sich die Doktorwürde und ging 1884 zuerst mit J. ^[Joseph] Chavanne an den Congo. 1886 wurde
er von der deutschen Reichsregierung nach Camerun
[* 51] geschickt, um daselbst Forschungsreisen zu leiten, und es gelang ihm
1889, von Camerun bis zum Benuë und nach Adamaua vorzudringen. Um die hierbei durchzogenen Länder dem Handel und dem Verkehr
von Camerun aus zu erschließen, unternahm Zintgraff 1890 von Barombi am Elefantensee eine neue Expedition in das
Innere, welche jedoch infolge großer Verluste bei einem Angriff der Bafutkrieger auf Baliburg
zur Küste zurückzugehen genötigt war.
belgischer Orden,
[* 52] gestiftet von König Leopold II. für bürgerliche Verdienste und mutige,
aufopfernde Handlungen, in zwei Abteilungen und fünf Klassen. Die Dekoration der ersten Abteilung (ersten und zweiten Klasse)
besteht in einem weiß emaillierten achtspitzigen Kreuz
[* 53] mit goldener, resp. silberner Einfassung, dessen
Mittelschild auf Weiß den doppelt verschlungenen Namenszug des Stifters (»L.«) in Gold,
[* 54] resp. Silber zeigt, während zwischen
den Winkeln die Arme eines Lilienstabes hervorragen. Die zweite Abteilung (dritte bis fünfte Klasse) trägt Medaillen mit dem
Kreuz, dessen Arme vollständig ausgefüllt sind. Das Band
[* 55] ist bei der Dekoration für treue öffentliche
Dienste
[* 56] viermal dunkelrot und dreimal schwarz gestreift, für mutige und aufopfernde Thaten dunkelrot mit zwei schwarzen,
gelb veränderten Streifen.
die in Gold zahlbaren Koupons und gezogenen Stücke der russischen Staatsanleihen, so genannt, weil sie bei
den russischen Zollämtern bei allen Zollzahlungen an Zahlungsstatt wie Gold angenommen werben.
mitteleuropäische. Seit dem Abschluß des Bundesvertrags zwischen Deutschland und Österreich-Ungarn
[* 57] und
seit dem Vordringen der amerikanischen Getreidekonkurrenz ist die Idee einer mitteleuropäischen Zollunion, insbesondere die
einer solchen zwischen den zwei erwähnten Bundesstaaten, Gegenstand mannigfacher Anregung und Erörterung gewesen. Das Bündnis
zwischen Deutschland und Österreich-Ungarn wurde bekanntlich im September 1879 abgeschlossen. Gleich damals
verlautete, daß dasselbe auch Punktationen betreffs einer künftigen zollpolitischen Gemeinschaft enthalte, was sich freilich
sehr bald als falsch erwies. Aber die damit
¶
Der Gedanke fiel vorerst nicht auf fruchtbaren Boden. 1880 nahm FürstBismarck Gelegenheit, sich über die Frage einer speziell
österreichisch-ungarisch-deutschen Zollunion in einem Briefe an den Siebenbürger v. Bauszern zu äußern. Er bezeichnete
hier die Zolleinigung als ein ideales Ziel, schien also ihre Möglichkeit für die nächste Zeit nicht
ins Auge
[* 61] zu fassen. Trotzdem wurde in den folgenden Jahren der Plan in der Publizistik und auf wissenschaftlichem Boden mehrfach
behandelt, unter andern nahmen sich Lujo Brentano und AlbertSchäffle seiner an, letzterer mit einem auf eine
Union zwischen Deutschland, Österreich-Ungarn und Rußland zielenden Vorschlag. 1880 und 1885 gab der deutsche volkswirtschaftliche
Kongreß, der von Freihändlern beschickt wird, sein Votum gegen eine deutsch-österreichische Zollunion ab. Hinwieder wollte
der in Pest anläßlich der ungarischen Landesausstellung veranstaltete internationale landwirtschaftliche Kongreß die ungarische
Regierung zur Inangriffnahme von Verhandlungen im Interesse einer Zollunion bestimmen, doch ohne Erfolg. 1888 wurde
abermals durch einen Franzosen, den GrafenPaul de Leuße, eine Anregung dieser Art gegeben und zwar in neuer Beleuchtung,
[* 62] indem
nicht mehr wie sonst in den 80er Jahren die Notwendigkeit eines Kampfes gegen die amerikanische Getreidekonkurrenz unter den
Gründen, welche für die Zollunion sprechen sollten, in den Vordergrund gestellt war, sondern die einem
solchen Zollbund zukommende Friedensmission.
Seitdem haben sich die Äußerungen für eine mitteleuropäische, bez. österreichisch-deutsche
Zollunion gehäuft. Der österreichische Reichsratsabgeordnete Peez, einige österreichische landwirtschaftliche Vereine,
in bemerkenswerter Weise der österreichische Großindustrielle Leitenberger suchten die öffentliche Meinung oder die Regierung
für den Unionsgedanken zu gewinnen. Österreichische industrielle Korporationen sprachen sich freilich
zu gleicher Zeit gegen den Plan aus. 1890 trat Graf de Leuße mit einer neuen Publikation im Interesse des Zollvereins hervor;
im September des gleichen Jahres erörterte der anläßlich der internationalen landwirtschaftlichen Ausstellung in Wien
[* 63] tagende
internationale landwirtschaftliche Kongreß die Frage. Er nahm eine Resolution des Inhalts an: im Interesse
der mitteleuropäischen Land- und Forstwirtschaft sei die Schaffung einer mitteleuropäischen Zollliga, innerhalb welcher
event. mit Rücksicht auf die Interessen einzelner Produktionszweige sowie mit Rücksicht auf den Schutz besonderer staatlicher
Verbrauchssteuern Differenzialzölle zugelassen wären, notwendig.
Auf diesem Kongreß war die Unionsidee insbesondere von österreichischen Agrariern eifrig vertreten; von
deutschen Mitgliedern des Kongresses wurde der Plan kühl aufgenommen, von einem sich an der Diskussion beteiligenden Franzosen
geradezu abgelehnt. Wieder in ein neues Stadium ist die Frage mit dem Erlaß der amerikanischen Mac Kinley-Bill (s. d.) getreten,
welche ihre Tendenz bekanntlich gegen unsern Weltteil richtet
und die Einfuhr einer Anzahl europäischer
Produkte geradezu verhindern will. Seitdem haben sich nicht weniger in Frankreich als in Deutschland und ÖsterreichStimmen für
eine europäische Union erhoben.
Die Unionsidee ist nun selbstverständlich verschieden zu beurteilen je nach den Absichten, die man mit ihr verfolgt. Wie
schon erwähnt, war sie eine Zeitlang als Gegengewicht gegen die industrielle Suprematie Englands, dann
als solches gegen die agrikole Vorzugsstellung der amerikanischen Union und ist sie nun als Mittel gleichzeitig der politischen
Annäherung der europäischen Mächte und als wirtschaftliche Kriegserklärung an die Vereinigten Staaten
[* 64] aus Anlaß ihrer vorzugsweise
industriellen Schutzzollkampagne gedacht.
Unter dem Gesichtspunkt dieser letztern Absichten mag sie hier eine kurze Würdigung finden. Für die
Abwehr des amerikanischen Getreides bedarf es einer Zollunion sicher nicht; diese läßt sich bereits durch das Mittel bloßer
Prohibitivzölle erreichen. Ähnlich kann man Repressalien gegen die Mac Kinley-Bill auf dem Wege der Belegung amerikanischer
Provenienzen mit höhern Zöllen, als sie von den entsprechenden Waren anderweitigen Ursprungs erhoben werden,
ins Werk setzen.
Keinesfalls läßt sich eine solche differenzielle Behandlung Nordamerikas, durch die sich ein Land in höherm Grade den andern
öffnet, bereits als ein mit diesen eingegangener Zollverband bezeichnen. Der Schutz oder Kampf gegen Amerika fordert also noch
nicht zu einer Zollunion, heraus. Freilich wird kein Land die differenzielle Behandlung einem europäischen Staate zu gute kommen
lassen wollen, ohne von ihm eine Gegengabe zu verlangen. Und da könnte sich dann allerdings mit der Abschließung gegen
Amerika eine doppelseitige zollpolitische Annäherung unter den europäischen Staaten vollziehen.
Wenn nun die Länder größter Industrieentwickelung und die vorzugsweise agrikolen nicht aneinander stoßen, so ist dies
ein Verhängnis, welches aus dem Gesichtspunkt speziell der Abwehr gegen Amerika die Zollunion, schließlich doch
unmöglich macht. Abgesehen von Anregungen seitens einiger Gelehrter und der Zeitungspresse haben bisher übrigens nur österreichische
und ungarische Landwirte die Idee einer Zollunion, mit Eifer betrieben. Die gewerbliche Kaufmannschaft der europäischen Staaten und
begreiflicherweise auch die LandwirtschaftDeutschlands,
[* 65] Frankreichs etc. verhielten sich entweder indifferent oder geradezu
abweisend. Es ist unter diesen Umständen kaum anzunehmen, daß allein aus wirtschaftlichen (nicht politischen)
Erwägungen heraus eine mitteleuropäische Zollunion,, ob nun in größerm oder kleinerm Rahmen, eine Wahrscheinlichkeit hat. Das allerdings,
was meist gegen eine Zollunion,, die Österreich-Ungarn einbezöge, geltend gemacht wird, daß nämlich die ungeordneten Valutaverhältnisse
dieses Reiches eine derartige Verbindung mit ihm nicht zulassen, ist für uns nicht überzeugend. Überdies
scheint ja die PapierwährungÖsterreichs jetzt ihrem Ende entgegenzugehen.
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etc.Deutschlands, s. Handel Deutschlands^[= Der unverkennbare Aufschwung, den Deutschlands Handel seit der deutschen Wirtschaftsreform im ...] (S. 394).
Stationen. Der immer mehr in die Augen springende Vorteil, welchen zoologische Stationen für das Studium der Biologie der
Wassertiere gewähren (weshalb die zoologischen Stationen neuerdings auch vielfach als biologische Stationen bezeichnet werden),
führt ständig zu neuen Gründungen derartiger Anstalten, von welchen allen jedoch die zoologische Station
zu Neapel
[* 67] auch heute noch den ersten Platz einnimmt, sowohl was die äußern Verhältnisse als auch die wissenschaftliche
Bedeutung anbelangt.
Vielfach verfolgt die Gründung zoologischer Stationen praktische Zwecke, indem die Anstalten dann dem Studium bestimmter, auf
das Fischereiwesen bezüglicher Fragen dienen; manche zoologische Stationen sind sogen. schwimmende
(fliegende, wandelnde) Stationen, indem sie abwechselnd an diesem oder jenem Punkte der Küste aufgeschlagen werden. Zu den
zoologischen Meeresstationen sind in letzter Zeit auch Stationen zur Erforschung der Tierwelt des äußern Wassers hinzugekommen
(zoologische Binnenstationen, biologische lakustrische Stationen). Wir geben im folgenden eine Übersicht über die zur Zeit
bestehenden zoologischen Stationen, nach den einzelnen Meeren, an denen sie liegen, geordnet.
I. Meeresstationen. Das europäische Eismeer enthält nur in Solowetzks im WeißenMeere eine kleine, von der russischen Regierung
gegründete, wenig besuchte Station. Zahlreich sind die zoologischen Stationen der Nordsee. Seit 1879 ist die Universität zu
Aberdeen
[* 68] im Besitz eines kleinen, durch freiwillige Beiträge aufgebrachten Stationsgebäudes, welches
nach Bedürfnis jedes Jahr versetzt wird. In St. Andrews in Schottland findet sich eine kleine, unter dem Fischereiverein von
Schottland stehende Station, die ebenso wie die ebenfalls nur kleine Station von Granton bei Edinburg
[* 69] ausschließlich Fischereizwecken
dient.
An der deutschen Küste der Nordsee besitzt der Deutsche
[* 70] Fischereiverein, Abteilung für Küsten- und Hochseefischerei,
eine im J. 1888 gegründete wandernde Station, deren wissenschaftliche Arbeiten den verschiedenen Gebieten der Fischerei
[* 71] zu
gute kommen sollen; sie wurde erstmals in Doitzum am Dollart zum Zwecke des Studiums der Nordseegarneele aufgeschlagen. Auch
Holland besitzt an seinen Küsten eine 1876 gegründete, ebenfalls Fischereizwecken dienende fliegende
Station, welche von der Dierkuundige Vereeniging, also lediglich aus privaten Mitteln, geschaffen wurde und erhalten wird.
Auf der englischen Seite des Kanals ist 1888 von der Marine Biological Association der vereinigten KönigreicheGroßbritanniens
in Plymouth
[* 83] eine zoologische Station gegründet worden, die nächst der Station in Neapel die großartigste
von allen zu werden verspricht. Von den beiden Wasserbehältern, aus denen die Aquarien mit Seewasser gespeist werden, enthält
ein jeder 50,000 Gallons. Die Gesamtkosten des Baues, der Maschinerie und Ausrüstung betragen 250,000 Mk. Die Regierung liefert
einen jährlichen Zuschuß von 10,000 Mk. unter der Bedingung, daß neben rein wissenschaftlichen Forschungen
auch Untersuchungen über die Lebensgeschichte und Gewohnheiten der Nahrungsfische ausgeführt werden.
Am Atlantischen Ozean finden sich an dessen europäischer Seite ebenfalls französische Stationen. In Roscoff in der Bretagne
ist infolge der Bemühungen von ProfessorLacaze-Duthiers 1872 durch die Sorbonne zu Paris eine zoologische Station gegründet
worden, die heute zu einer der wichtigsten derartigen Anstalten geworden ist. In Sables d'Olonne befindet
sich ein Aquarium, und zu Concarneau an der Südküste der Bretagne eine schon 1859 infolge der Bemühungen von Coste von der
französischen Regierung gegründete Station; es ist diese Station das erste staatlich unterstützte derartige Unternehmen.
Der heutige Leiter ist Pouchet. Da Concarneau gerade im Mittelpunkt des von der Sardine aufgesuchten französischen
Küstengebietes liegt, so werden besonders auch Fragen der praktischen Fischerei zur Untersuchung herangezogen. Die Station
zu Arcachon unweit Bordeaux
[* 84] verdankt ihre Entstehung der Naturwissenschaftlichen Gesellschaft ersterer Stadt.