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Lothringen und in Bayern [* 2] findet sie sich nur spärlich, in Baden [* 3] an einigen Punkten des Bodensees als Brutvogel. Das mittlere Westfalen [* 4] und ein Teil von Hessen-Nassau [* 5] scheint diese Art ganz zu entbehren.
Seite 18.774 Jahres-Supplement 1890-1891
Lothringen und in Bayern [* 2] findet sie sich nur spärlich, in Baden [* 3] an einigen Punkten des Bodensees als Brutvogel. Das mittlere Westfalen [* 4] und ein Teil von Hessen-Nassau [* 5] scheint diese Art ganz zu entbehren.
François, Satiriker.
Vgl. Stapfer, Rabelais, sa personne, son génie, son œuvre (Par. 1889).
s. Gipsdrahtbau. ^[= Bauweise in Gips mit Einlage von Eisendrahtgeweben oder -Gespinsten als Träger ...]
Johann, Graf, österreich. Feldmarschall.
Vgl. Kunz, Die Feldzüge des Feldmarschalls in Oberitalien [* 6] 1848 und 1849 (Berl. 1890).
s. Eisenbahnbau, ^[= Der Bau einer Eisenbahn beginnt mit der Projektierung der Bahntrace. Letztere liefert eine Darlegung ...] [* 7] S. 223 f.
Vgl. K. v. Lützow, Raffaels Bildungs- und Entwickelungsgang (Wien [* 8] 1890).
Padma, s. Schmarotzerpflanzen. ^[= s. Schmarotzer.] [* 9]
Samuel Jackson, amerikan. Staatsmann, geb. zu Philadelphia, [* 10] erhielt eine akademische Ausbildung, ließ sich darauf als Geschäftsmann in seiner Vaterstadt nieder, war vier Jahre lang Mitglied der städtischen Verwaltungsbehörden, wurde 1858 in den pennsylvanischen Staatssenat gewählt, trat 1862 als Demokrat in den Kongreß und hat als solcher demselben fast bis zu seinem Tode angehört. Als 1875 die demokratische Partei das erste Mal seit dem Bürgerkrieg im Repräsentantenhaus die Mehrheit erhielt, wurde Rich. Kerr Sprecher, und nach dessen Tod (1876) war Randall sein Nachfolger. In dieser Eigenschaft benutzte er seinen Einfluß, um das Haus durch die gefährliche Krisis hindurchzuführen, welche durch die Ungewißheit der Präsidentenwahl, die zwischen Hayes und Tilden schwankte, verursacht war, indem er die Einsetzung eines Wahlausschusses befürwortete, der die streitigen Punkte entscheiden sollte, und es dahin brachte, daß das Haus diese Entscheidung annahm, wodurch wahrscheinlich der Ausbruch eines zweiten Bürgerkriegs vermieden wurde.
Seine Geschicklichkeit und Diskretion in der Verwaltung des Sprecheramtes hatte zur Folge, daß er in mehreren Nationalkonventionen als Kandidat der demokratischen Partei zur Präsidentschaft aufgestellt wurde. Er blieb Sprecher bis 1881, als das Haus wieder unter die Kontrolle der Republikaner kam. Randall beschäftigte sich hauptsächlich mit Finanz- und Tariffragen. Im J. 1888 zog er sich vom öffentlichen Leben zurück und starb im April 1890 in Washington. [* 11]
(Rangabé), Alexandros Risos, neugriech.
Gelehrter und Staatsmann, trat 1887 in den Ruhestand.
Sein Sohn Kleon ist seit März 1891 griechischer Gesandter in Berlin. [* 12]
1) Leopold von, Geschichtschreiber.
Aus seinem Nachlaß erschienen eine neue Folge der »Abhandlungen und Versuche« (hrsg. von Dove und Wiedemann, Leipz. 1888) und »Zur eignen Lebensgeschichte« (hrsg. von Dove, das. 1890).
s. Fette. ^[= eine durch ihre physikalischen und chemischen Eigenschaften scharf charakterisierte Gruppe von ...]
Wilhelm, deutsch-amerikan. Journalist und Politiker, geb. zu Lindau [* 13] in Bayern als Sohn eines Pfarrers, studierte in Tübingen [* 14] Theologie, nahm an der freiheitlichen Bewegung von 1848/49 in Schrift und That lebhaften Anteil, wurde nach dem Scheitern der badischen Revolution auf der Flucht nach der Schweiz [* 15] an der Grenze ergriffen, saß ein Jahr auf dem Asberg, ging nach seiner Freilassung in die Schweiz, wo er zu Ilanz im Kanton Graubünden [* 16] als Lehrer wirkte, siedelte 1851 nach Amerika [* 17] über und widmete sich dort dem Zeitungsfach.
Von 1853 bis 1856 redigierte er die »Turnzeitung« in Philadelphia und Cincinnati und übernahm 1857 die Leitung des Baltimorer »Wecker«, die er in so entschieden republikanischem Sinne führte, daß der Pöbel der rebellenfreundlichen Stadt das Geschäftslokal der Zeitung stürmte, wobei Rapp mit knapper Not den Händen der wütenden Rotte entrann. Nach fünfjähriger redaktioneller Thätigkeit an der »Illinois-Staatszeitung« kehrte er 1866 an den »Wecker« zurück, wirkte 1870 durch Reden in zahlreichen Versammlungen mit großem Erfolg für den Fonds, der für die deutschen Verwundeten in Amerika zusammengebracht wurde, und trat 1872 von neuem in die Redaktion der »Illinois-Staatszeitung« ein, in welcher er noch heute hervorragend thätig ist, stets eifrig für Aufrechterhaltung der deutschen Sprache [* 18] und Sitte eintretend. Hauptsächlich seiner kräftigen Leitung verdanken die Deutschen in Illinois und Wisconsin ihren 1890 errungenen Sieg für ihre Sprache und Schule. Seine größern Reden und seine Reisebriefe aus Deutschland [* 19] sind unter dem Titel: »Erinnerungen eines Deutsch-Amerikaners an das deutsche Vaterland« (Chicago 1890) erschienen.
und -Physiologie, s. Akklimatisation. ^[= die Gewöhnung lebender Wesen an die klimatischen Einflüsse eines ihnen fremden Landes. Es ...]
Hermann, deutsch-amerikan. Journalist und Staatsmann, geb. zu Zerbst, [* 20] studierte 1845-48 in Leipzig [* 21] und Berlin Philologie, Geschichte und Staatswissenschaften, beteiligte sich an den revolutionären Bewegungen des Jahres 1848 in Anhalt, [* 22] wanderte 1851 nach den Vereinigten Staaten [* 23] von Nordamerika [* 24] aus, leitete dort 16 Jahre die »New Yorker Abendzeitung«, korrespondierte zugleich für die ersten Zeitungen Deutschlands [* 25] und war einer der wertvollsten Mitarbeiter an Appletons »American Cyclopaedia«. 1867 siedelte er nach Chicago über, wo er die Leitung der »Illinois-Staatszeitung«, des zweitbedeutendsten deutschen Blattes in Amerika, übernahm, die er noch gegenwärtig führt.
Dort fand er Gelegenheit, als Mitglied der republikanischen Nationalkonventionen von 1868 und 1872 in erheblichem Maße bestimmend auf die Gestaltung der Programme seiner Partei einzuwirken, namentlich gebührt ihm ein großer Teil des Verdienstes dafür, daß die republikanische Partei im J. 1868 sich der sehr nahe an sie herantretenden Versuchung entzog, durch Abzahlung der Nationalschuld in Papiergeld den Nationalbankrott herbeizuführen. Auch hat er einen wesentlichen Anteil an der Begründung der öffentlichen Bibliothek in Chicago. Sein Wirken für die Hebung [* 26] der Macht und des Einflusses deutschen Wesens, deutscher Sprache und deutscher Bildung in den Vereinigten Staaten, namentlich im Westen derselben, hat ihm die Anerkennung nicht nur seiner Stammgenossen, sondern auch der Anglo-Amerikaner in hohem Grade erworben.
Als Schlußband der Biographie von Eggers erschien Band [* 27] 5: »Rauchs Werke« (130 Lichtdrucktafeln mit Text, Berl. 1890).
1) Gustav Waldemar von, preuß. General, geb. 1819, trat 1836 in ein Kavallerieregiment, ward 1860 Kommandeur des 8., dann des 11. Husarenregiments, an dessen Spitze er den Krieg von 1866 mit Auszeichnung mitmachte, führte sodann die 16. und 20. Kavalleriebrigade und wurde 1870 Generalmajor und Kommandeur der 15. Kavalleriebrigade, an deren Spitze er 16. Aug. bei Mars la Tour [* 28] schwer verwundet ward. Nach seiner Wiederherstellung wurde er 1871 Kommandant von Frankfurt [* 29] a. M., 1872 Kommandeur der 9. Division ¶
in Glogau [* 31] und Generalleutnant und 1879 Chef der Landgendarmerie. Rauch genoß das besondere Vertrauen des Kaisers Wilhelm I. Nachdem er 1887 als General der Kavallerie seinen Abschied erhalten hatte, starb er in Berlin. - Der General der Infanterie u. Chef der Landgendarmerie v. Rauch I. und der Oberstallmeister F. v. Rauch sind seine Brüder, der Präses der Generalordenskommission, General der Kavallerie v. Rauch II., sein Vetter.
2) Otto Jegorowitsch von, russ. General, geb. 1834 als Sohn eines Arztes, ward 1851 Offizier in einem Gardeinfanterieregiment, gelangte wegen seiner hohen Begabung früh in den Generalstab, zeichnete sich schon im Krimkrieg aus und wurde bereits 1868 General. 1877 im türkischen Kriege befehligte er die Vorhut des Generals Gurko beim ersten Vordringen über den Balkan und schlug die siegreichen Gefechte bei Jeni-Sagra und Eski-Sagra, erhielt im Winter das Kommando der 1. Gardeinfanteriedivision, mit welcher er zum zweitenmal den Balkan überschritt, und ward 1889 kommandierender General des 15. Armeekorps in Warschau; [* 32] hier starb er
s. Eis, ^[= # nimmt in mehreren Formen erheblichen Anteil an der Bildung der Erdrinde und ist in diesem Sinn ...] [* 33] S. 217.
In der Psychologie die Bewußtseinsthatsache, daß wir gewisse Empfindungen und die ihnen zu Grunde liegenden Objekte in einem Auseinander (Neben- und Hintereinander) anordnen. Obwohl die Psychologie die erkenntnistheoretisch-metaphysische Frage nach der Realität des Raumes nicht berührt, so weicht doch auch sie insofern von der natürlichen Auffassung ab, als sie den Raum nicht als ein Gefäß [* 34] für unsre Empfindungen, als etwa außer uns sich Erstreckendes, sondern als eine Bewußtseinsthatsache betrachtet.
Über die Entstehung dieser Thatsache liegen die Theorien des Nativismus und Empirismus vor. Wer die gesamte Raumanschauung für schlechthin angeboren erklärt, gerät mit Erfahrungen an Neugebornen, operierten Blindgebornen und bei Sinnestäuschungen in Widerspruch; wer die gesamte Raumanschauung für schlechthin anerworben, erlernt erklärt, scheitert an der Schwierigkeit, aus Qualitäten und deren Verhältnis das Auseinander abzuleiten. Um zu begreifen, wie Empfindungen in einer kontinuierlichen Ausdehnung [* 35] gruppiert werden, müssen daher ursprüngliche Raumelemente in der Seele vorausgesetzt werden: »Der Mensch kommt mit einer, wenn auch dunkeln Vorstellung eines äußern Etwas, mit einer gewissen Raumanschauung zur Welt.« (Kußmaul.) Von diesem Standpunkt eines gemäßigten Nativismus oder beschränkten Empirismus aus sollen die einzelnen Stufen der psychologischen Entwickelung dargestellt werden.
Flächenanschauung wird durch Tastsinn und Gesichtssinn gewonnen und zwar zunächst durch beide als unabhängige Faktoren, die sich aber freilich aus praktischen Bedürfnissen der normalen Lebensentwickelung vollständig miteinander verkoppeln. Die einfachsten Distanzvergleichungen mit Hand [* 36] und Auge [* 37] beweisen, daß die Raumvorstellungen beider Sinne selbständige Bedeutung besitzen. A. Tastfläche. Dadurch, daß die Tastorgane ausgedehnt sind, können gleichzeitig verschiedene Reize auf dasselbe Glied [* 38] einwirken oder auch ein und derselbe Reiz gleichzeitig auf verschiedene Partien des Gliedes.
Die räumliche Ausbreitung der nervösen Endfasern in der Haut [* 39] ist angeboren und die natürliche Vorbedingung aller Raumanschauung. Ebenso verhält es sich mit dem Auge, und es ist kein Zufall, daß Hand (Fuß) und Auge zugleich diejenigen Organe sind, welche immer willkürlich bewegt werden können. Denn die Möglichkeit, den Reiz durch Bewegung der Finger zu wechseln, bez. dasselbe Objekt mit verschiedenen Punkten der tastenden Oberfläche zu berühren, verleiht der Bewegung die räumliche Bedeutung, während sie sonst bloß eine Kraftanstrengung wäre; der Blinde geht, indem er die Wand entlang tastet. B. Sehfläche.
Verschiedene Lichtstrahlen, die von mehreren Gegenständen ausgehen, erregen verschiedene Punkte der Netzhaut und verschiedene Fasern des Sehnervs. Auch bis zum Gehirn [* 40] hin, wo doch erst die Empfindung zu stande kommt, verlaufen die Erregungen des sensorischen Nervs unverschmolzen nebeneinander (Gesetz der isolierten Nervenleitung). Aber aus diesem physiologischen Thatbestand erklärt sich noch nicht die vom Sehzentrum nunmehr vorgenommene räumliche Verteilung der Empfindungen, denn die ebenfalls isoliert zugeleiteten Tonempfindungen werden nicht zu einer Flächenanschauung kombiniert.
Diese besondere Leistung der Seele für den Gesichts- (und Tast-) Sinn soll vielmehr ihren Grund darin haben, daß bei jeder Wahrnehmung von örtlichen Verhältnissen größere oder kleinere Augenbewegungen gemacht werden, die als Lokalzeichen (Lotze) uns die Vorstellung des Nebeneinander verschaffen. Die Lokalzeichentheorie meint, daß, wenn ich erst Punkt A und dann Punkt B sehe, mein Auge also eine Bewegung macht, diese die Vorstellung eines flächendimensionalen Abstandes hervorruft.
Nun zeigen jedoch Reaktionsexperimente, daß man weniger Zeit braucht, um Raumentfernungen zu perzipieren, als um Farben zu unterscheiden, die gerade etwas Ursprüngliches, Unvermitteltes sein sollen. Das Distanzsehen in der Fläche kann demnach nicht komplizierter sein als das Farbensehen, sondern muß als eine angeborne Begleitempfindung gewisser Sinnesempfindungen aufgefaßt werden. In der so gegebenen Anschauung einer ausgedehnten, farbigen Fläche findet sich keine Beziehung zu einer Tiefendimension und zur Entfernung von Objekten; diese Beziehung entwickelt sich allmählich aus gewissen Fähigkeiten des Auges. Tiefenanschauung. A. Monokulare Sehtiefe.
1) Das einzelne Auge stellt sich mittels seines Akkommodationsapparats auf jeden Gegenstand besonders ein; wir halten ein Objekt für desto näher, je stärker die Muskelempfindungen der Akkommodation bei deutlicher Wahrnehmung des Objekts sind.
2) Die Größe eines Netzhautbildes (die scheinbare Größe eines Objekts) und der Gesichtswinkel sind um so kleiner, je weiter entfernt der gesehene Gegenstand ist. An sich werden beide Umstände dem einzelnen Auge nicht zum Tiefensehen verhelfen. Bewege ich z. B. meine Hand vom Auge fort nach vorn, so sieht das Auge nur ein Kleinerwerden der Hand; indem sich aber mit solcher Wahrnehmung eine ausgiebige Bewegung verbindet, verwandelt sich die Wahrnehmung des Kleinerwerdens in die Anschauung der Tiefe. Ferner belehrt mich der Gesichtswinkel über die Entfernung eines Gegenstandes, dessen Größe ich bereits durch Abtasten kenne, denn dann weiß ich, ob die gesehene Größe der thatsächlichen nahe kommt oder mehr oder weniger hinter ihr zurückbleibt.
3) Infolge der Lichtabsorption und Lichtbrechung in der Atmosphäre wächst mit zunehmender Entfernung die Undeutlichkeit der Umrisse und Farben eines Objekts.
4) Die Anzahl der zwischen dem Beobachter und einem Gegenstand gelegenen. Objekte vermittelt die Vorstellung und Abschätzung einer Entfernung.
5) Die Verteilung von Licht [* 41] und Schatten [* 42] unterstützt das ¶
monokulare Tiefensehen. Denn wir wissen, daß ein leuchtender und ein schattenwerfender Körper sich stets vor der beleuchteten, bez. schattenauffangenden Fläche befinden müssen, und daß die beleuchtete hellere Seite eines Gegenstandes stets der Lichtquelle näher liegen muß als die schattige dunklere Seite.
6) Die Richtung, in welcher ein Objekt im Verhältnis zu uns liegt, ändert sich, wenn wir uns bewegen, um so weniger, je entfernter das Objekt ist. B. Binokulare Sehtiefe. Durch das Zusammenwirken beider Augen kommen folgende zwei Faktoren neu hinzu.
1) Die Stärke [* 44] der Konvergenz beider Gesichtslinien steht in direktem Verhältnis zur Nähe eines Gegenstandes. So gibt die Stärke der Konvergenzbewegung einen Begriff und Maßstab [* 45] der Entfernung des betreffenden Gegenstandes.
2) Die Unähnlichkeit der Netzhautbilder bei geringer Tiefe belehrt uns über diese letztere. Ganz nahe Gegenstände werden oft doppelt gesehen.
Die ist nun nicht bloß auf die begrenzte Anzahl der jeweilig zu sehenden und zu tastenden Gegenstände beschränkt, sondern erweitert sich mit Hilfe der Erinnerung und der Association zur Vorstellung eines uns von allen Seiten umgebenden Raumes. In diesem Raume bezeichnen wir als vorn befindlich die bei natürlicher Stellung deutlich gesehenen Objekte, als hinten befindlich die nach halber Achsenumdrehung des Körpers ebenso zu sehenden. Mäßig schwere Augenbewegungen in wagerechter Ebene nach der einen oder andern Körperhälfte hin verschaffen uns die Vorstellungen rechts und links.
Die Unterscheidung endlich von oben und unten, die gar nichts mit der umgekehrten Stellung der Netzhautbilder zu thun hat, geht einfach auf die Verschiedenheit der Muskelempfindungen zurück, welche bei der Bewegung des Auges zum Himmel [* 46] und zur Erde eintreten. Das Auge muß eine verhältnismäßig schwere Bewegung ausführen, wenn die Hand in die Höhe tastet, und es hat eine sehr geringe Anstrengung zu leisten, wenn es in diejenige Richtung blickt, in welche die schweren Körper fallen, und in welcher auch unsre Füße stehen.
Die Orientierung in dem so durch Tast- und Gesichtssinn bestimmten Raum wird sekundär durch den Hörsinn gefördert. Unter Raumanschauung des Ohres verstehen wir dessen Fähigkeit, Schalleindrücke zu lokalisieren, eine Fähigkeit, die wahrscheinlich auf Kopfbewegungen beruht, welche von den Bogengängen aus hervorgerufen werden. Der Beitrag des Gehörs zur Ausbildung einer ist ein dreifacher. a) Bei bekannter Normalstärke eines Tones gibt die Abweichung eines solchen eben gehörten Tones von seiner Normalstärke nach unten einen Anhalt für die Beurteilung einer Entfernung, da die Stärke eines Schalles um so geringer ist, je weiter entfernt die Schallquelle ist. b) Bei unbewegtem Kopfe und bei Mangel schallbrechender Wände verschafft der Unterschied in der Stärke, mit dem das rechte und das linke Öhr von einem Schall [* 47] getroffen werden, eine Schätzung der Lage (rechts, links, Mitte) der Schallquelle.
Denn jedes der beiden Ohren wird von einer auf seiner Seite gelegenen Schallquelle stärker affiziert als das andre Ohr. [* 48] c) Da die Stärke eines Schalles dann am stärksten ist, wenn der tönende Gegenstand ungefähr in der nach außen gezogenen Achse des rechten, bez. linken Gehörganges liegt, und wir, um genau zu hören, die entsprechende Kopfbewegung zu machen pflegen, so unterrichtet uns diese Veränderung der Kopfstellung über die Lage der Schallquelle im Raum.
Die Vorstellung einer Bewegung von Gegenständen im Raume entsteht:
1) wenn bei bewegtem Auge das Gesichtsbild sich nicht verändert;
2) wenn bei ruhigem Auge die Gesichtsbilder wechseln;
3) wenn Objekte an einer Hand sich befinden, die kontrahiert wird;
4) wenn Töne an- und abschwellen und andre Umstände eine Bewegung der Schallquelle vermuten lassen.
Vgl. Lotze, Medizinische Psychologie (Leipz. 1852);
Wundt, Physiologische Psychologie (3. Aufl., das. 1887).
in Physiologie und Psychologie Gegenwirkung des Körpers auf einen Reiz (s. d.). Man benutzt in der experimentellen Psychologie die um mit Hilfe des Hippschen Chronoskops die Zeitdauer zu messen, welche zur Auffassung eines Sinneseindruckes nötig ist. Im Augenblick des objektiven Auftretens eines Reizes, z. B. des durch Aufschlagen einer herabfallenden Kugel erzeugten akustischen Reizes, wird ein elektrischer Strom ausgelöst (geschlossen), der die Zeiger des Chronoskops in Bewegung setzt und sie wieder anhält, sobald die Hand der Versuchsperson durch einen Druck den elektrischen Kontakt beendet (geöffnet) hat.
Die Zeit, welche zwischen dem Auftreten des Reizes und der Reaktion durch die Bewegung der Versuchsperson verfließt, nennt man die einfache Reaktionszeit (Exner). Der Vorgang, welcher dieser Zeit entspricht, setzt sich aus folgenden einfachen Vorgängen zusammen:
1) aus der Leitung vom Sinnesorgan bis in das Gehirn, 2) aus dem Eintritt in das Blickfeld des Bewußtseins (s. d.) oder der Perzeption (s. Apperzeption), 3) aus dem Eintritt in den Blickpunkt der Aufmerksamkeit oder der Apperzeption, 4) aus der Willenserregung, welche im Zentralorgan die registrierende Bewegung auslöst, und 5) aus der Leitung der so entstandenen motorischen Erregung bis zu den reagierenden Muskeln [* 49] und dem Anwachsen der Energie in demselben. (Wundt.) L. Lange hat nun gezeigt, daß diese einfache Reaktion länger dauert, wenn die Aufmerksamkeit der Versuchsperson auf den zu erwartenden Sinnesreiz gerichtet ist, als wenn dieselbe sich der Bewegung oder den Bewegungsempfindungen zuwendet.
Die erste, die vollständige, unverkürzte Reaktion bezeichnete man seitdem auch als sensorielle, die zweite, verkürzte dagegen als muskuläre. Über die Bedeutung des Unterschiedes zwischen der sensoriellen und muskulären ist man sich noch nicht einig. Während Wundt-Lange dahin neigen, eine wesentliche Verschiedenheit zwischen ihnen festzusetzen und die muskuläre Reaktion als einen einfachen Hirnreflex aufzufassen, während Münsterberg [* 50] sogar die Anwendbarkeit einer reflexartigen muskulären Reaktion auf komplizierte Wahlvorgänge behauptet, leugnen Martius und Dessoir diesen rein physiologischen Charakter der muskulären Reaktion und suchen den Anteil der Aufmerksamkeit an ihr nachzuweisen. Im Durchschnitt beträgt die einfache Reaktionszeit bei mäßiger Stärke der Reize ⅛-⅕ Sekunde, doch wechselt der Zahlenwert gemäß dem Sinnesorgan, welches affiziert wird, danach, ob der Reiz isoliert oder mit andern auftritt, und gemäß dem Alter, dem körperlichen Befinden, der Aufmerksamkeit und der Übung der Versuchsperson. Bei Vergiftungszuständen, bei gewissen Störungen des Nervensystems (besonders bei Tabes) sowie bei gewissen Geisteskrankheiten scheint die Reaktionszeit erheblich verlängert zu sein.
Vgl. Exner in Pflügers Archiv, Bd. 7 u. 8; Münsterberg, Beiträge zur experimentellen Psychologie, Heft 1 (Freiburg [* 51] 1888);
[* 52] Dem energischen Vorgehen gegen die Reblausgefahr auf Grund internationaler ¶
Vereinbarungen ist es zuzuschreiben, daß wenigstens in einigen Ländern die Reblaus nur sporadisch vorkommt und ihre Verbreitung keine größern Dimensionen annimmt, so daß die Hoffnung auftauchen kann, des Feindes allmählich gänzlich Herr zu werden. Im ganzen freilich ist unleugbar ein Fortschreiten in der Verseuchung der europäischen Weinberge zu konstatieren. In Bezug auf die Verseuchung der Weinberge zeigt Deutschland die günstigsten Resultate, indem fast stets bei den jährlich durch Sachverständige vorgenommenen Untersuchungen die ältern desinfizierten Herde reblausfrei gefunden und neue Herde meist nur in geringerm Umfang nachgewiesen werden. Am Ende der Jahre 1888 und 1889 lagen in Deutschland die Verhältnisse folgendermaßen, woraus zugleich der Erfolg der Vernichtungsarbeiten ersichtlich ist: In der preußischen Rheinprovinz [* 54] 1888: 46 Herde mit 467 Stöcken, 1889: 18 neue Herde mit 249 Stöcken, die vorjährigen Herde wurden reblausfrei gefunden;
Hessen-Nassau 1888: 12 Herde mit 69 Stöcken, 1889 keine neuen Herde;
Provinz Sachsen [* 55] 1888: 89 Herde mit je 1-10 Stöcken, 1889: die alten Herde reblausfrei, aber 156 neue Herde mit 3920 Stöcken;
Königreich Sachsen 1888: 28 Herde mit 396 Stöcken, 1889: alte Herde reblausfrei, 8 neue Herde mit 397 Stöcken;
Württemberg [* 56] 1888: 34 Herde mit 547 Stöcken, 1889: alte Herde reblausfrei, 25 neue Herde mit 181 Stöcken;
Reichslande 1888: 6 Herde mit 490 Stöcken, 1889: alte Herde reblausfrei, 24 neue Herde mit 849 Stöcken.
Die meisten neuen Herde fanden sich in der Nähe der alten, da zum Teil der Sicherheitsgürtel zu klein bemessen worden war; einigemal konnte auch Verschleppung des Insekts durch die Winzer konstatiert werden, mehrfach auch Infektion durch die geflügelte Form. Vollständig reblausfrei waren demnach am Schluß 1889 von größern Weinbaugebieten Bayern, Baden und die Rheinpfalz. In Frankreich galten Ende 1887 für reblausfrei nur noch die Departements Meurthe-et-Moselle, Meuse, Vosges, Ober-Saône, Marne, Aisne, Aube, Eure-et-Loire und Sarthe;
gleichwohl besaß Frankreich zu dieser Zeit noch 1,944,150 Hektar ertragsfähiges Weinland;
während der Jahre 1888 und 1889 hat die Reblaus von diesen Departements auch Aube, Ober-Saône und Sarthe ergriffen;
die Bekämpfung der Reblaus erfolgte auf einer Fläche von nahezu 100,000 Hektar. In Algerien [* 57] sind im ganzen seit 1885 der Reblaus rund 144 Hektar zum Opfer gefallen. In Spanien [* 58] waren 1888: 80,000 Hektar Rebland zerstört, namentlich die Provinzen Malaga [* 59] und Granada [* 60] leiden unter dem rapiden Rückgang ihrer Weinproduktion, was eine vermehrte Auswanderung der Bewohner zur Folge hat;
in Portugal sind 134,000 Hektar, ungefähr die Hälfte des gesamten Weinlandes, ergriffen, besonders die nördlichen Provinzen haben unter den Angriffen der Reblaus zu leiden, der Süden ist schon vielfach zerstört.
In den 16 ergriffenen Kreisen wurden 1887: 194,564 hl geerntet, vor dem Eindringen der Reblaus dagegen 410,828 hl. In der Schweiz fanden sich im Kanton Zürich 1887: 492 Infektionsherde, die sich aber bis 1888 um den dritten Teil verminderten;
im Kanton Neuenburg sank die Zahl der infizierten Stellen 1887-88 von 626 auf 438;
Kanton Genf besaß 1887: 111,1888: 99 infizierte Stellen mit zusammen 13,279 verseuchten Reben;
im Kanton Waadt fanden sich 1888: 10 Herde mit 128 Stöcken. In Italien [* 61] waren 1887 als verseucht bekannt 152 Gemeinden mit 85,000 Hektar Gesamtweinland, die 1888 neu aufgefundenen Reblausherde nahmen eine Fläche von rund 72 Hektar ein. In Österreich [* 62] hat die Reblauskrankheit 1888 beträchtliche Fortschritte gemacht;
es wurde das Vorhandensein der Reblaus amtlich festgestellt in Niederösterreich in 61 Ortsgemeinden auf einer Fläche von 4975 Hektar (1888 neu verseucht 26 Gemeinden), in Krain [* 63] in 26 Gemeinden auf 5443 Hektar (1888 neu verseucht 13 Gemeinden), in Steiermark [* 64] in 39 Gemeinden auf 4000 Hektar (1888 neu verseucht 14 Gemeinden), im Küstenland (Istrien, Triest, [* 65] Görz) [* 66] in 13 Gemeinden auf 8358 Hektar (1888 neu verseucht 6 Gemeinden), somit betrug die bis Ende 1888 in Österreich heimgesuchte Gesamtfläche 22,776 Hektar. In Ungarn [* 67] hatte die Reblaus bis Ende 1887: 810 Gemeinden in 38 Departements ergriffen;
das infizierte Terrain umfaßte 76,102 Hektar, wovon zu dieser Zeit bereits 31,978 Hektar vollkommen zerstört waren;
bis Ende 1888 war die Zahl der versuchten Gemeinden um 452, beinahe 55 Proz., gestiegen. Im Rußland wurden nur verstreute, sofort der Vernichtung unterworfene kleine Herde aufgefunden, nur im kaukasischen Gouvernement Kutais zeigt das Übel größere Ausdehnung. In Kleinasien wurde die in der Umgegend von Smyrna aufgefunden, und die Verheerung greift dort immer mehr um sich. In Afrika [* 68] wurde die Reblaus zuerst 1886 am Kap amtlich nachgewiesen, das Insekt tritt hier ebenso verheerend auf wie in Europa; [* 69]
die Verbreitung durch das geflügelte Insekt ist am Kap weit erheblicher als in nördlichen Gegenden, da die Flugzeit daselbst vier Monate dauert. In Amerika ist in Südamerika [* 70] die Provinz Buenos Ayres [* 71] von der Reblaus ergriffen, in Nordamerika nimmt die Verbreitung der in Kalifornien an Ausdehnung zu, und auch hier richtet das Insekt große Verheerungen an. In Australien [* 72] wurden bis Ende 1887 in der Kolonie Victoria [* 73] zur Verhinderung der Verbreitung der Reblauskrankheit die Reben auf einer Fläche von 873 Acker vernichtet, 1888 wurde in der Kolonie Neusüdwales ein Reblausherd entdeckt.
Die Bekämpfung der Reblaus geschieht in allen zur Reblauskonvention gehörigen Ländern nach denselben Grundzügen, und die Verschiedenheiten in der Ausführung sind untergeordneter und lokaler Natur. Werden Reblausherde aufgefunden, so erfolgt die Vernichtung der befallenen und nächststehenden Stöcke mittels Verbrennung und eine Desinfektion [* 74] des Bodens mit Insektengiften zur Tötung der in dem Boden und an den nicht ausgegrabenen Wurzeln befindlichen Rebläuse und deren Eier; [* 75] die Tiefe der hierzu gebohrten Löcher, ihr gegenseitiger Abstand, die Natur des angewandten Giftes und die zur Verwendung kommende Menge ist nach den einzelnen Methoden verschieden. In erster Linie kommen als Insektengifte Schwefelkohlenstoff und Petroleum zur Anwendung, letzteres dient auch zum Überbrausen der Bodenoberfläche und zur Desinfektion der bei der Arbeit gebrauchten Geräte und des Schuhwerks wie der Kleidung der Arbeiter selbst.
Solaröl hat sich als dem Petroleum ungefähr gleichwertig und gleichwirkend gezeigt. Versuche mit Kaliumsulfocarbonat lassen dieses Mittel weniger sicher erscheinen und seine Anwendung nur da empfehlen, wo bei sehr schwerem, undurchlassendem Thonboden und bei sehr nasser Witterung eine Desinfektion mit Schwefelkohlenstoff nur einen mangelhaften Erfolg ver. spricht; außerdem bedingt die Anwendung des Kaliumsulfocarbonats große Quantitäten Wasser. Die Beimengung kleiner Quecksilbermengen in die die Wurzel [* 76] umgebende Erde hat sich als nutzlos erwiesen. Während in manchen Ländern die Wurzeln sorgfältig ausgegraben und verbrannt werden, werden in andern statt dessen neue Schwefelkohlenstoffinjektionen ¶
in hoher Dosis gemacht. Eine für größere Strecken versuchten Landes besonders in Frankreich viel angewandte, aber den lokalen Bedingungen nach nur selten mögliche Methode ist das Unterwassersetzen der Weinanlagen, wobei das Wasser wenigstens 30 Tage lang ca. 8 cm hoch über der Erde stehen soll. In frankreich wurden 1889 von 100,000 Hektar 58,000 Hektar mit Schwefelkohlenstoff, 9000 Hektar mit Sulfocarbonaten behandelt und 30,000 Hektar unter Wasser gesetzt. In Frankreich und Ungarn werden zahlreiche Weinpflanzungen in Sandboden angelegt, da sich ergeben hat, daß der Sandboden der Reblaus feindlich ist. In Ländereien, wo die Verseuchung eine solche Ausdehnung angenommen, daß die Weinberge aufgegeben werden mußten, wie vielfach in Portugal, Italien, Frankreich und Ungarn, hat in großem Maßstab die Anpflanzungen amerikanischer Reben stattgefunden, die sich bis jetzt als reblausfest erwiesen haben;
am besten widerstehen von diesen der Krankheit die zu den Arten Vitis rotundifolia, V. aestivalis, V. cordifolia, V. riparia, V. cinerea und V. Berlandieri gehörigen Sorten;
da aber der Wein dieser Sorten von geringerer Qualität ist, werden sie in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle mit einheimischen Sorten veredelt. In Portugal hält die Bepflanzung mit amerikanischen Reben mit der Verwüstung durch die Reblaus völlig gleichen Schritt;
die amerikanischen Reben werden meist gegen geringe Entschädigungen von staatlichen Rebschulen den Weinbauern geliefert. In Frankreich waren 1889 schon 299,801 Hektar in 44 Departements mit amerikanischen Reben bepflanzt, von denen der größte Teil mit französischen Reben veredelt wurde. In Ungarn wurden neben den von den ungarischen Rebschulen gelieferten Reben außerdem noch durch Vermittelung der Regierung von 1881 bis 1888 aus Frankreich 6,296,097 amerikanische Schnittlinge eingeführt.
Diese Methode der Reblausbekämpfung wird übrigens erschwert durch die Schwierigkeit, für jeden Boden und jedes Klima [* 78] eine amerikanische Rebe zu finden, die sich mit wünschenswerter Leichtigkeit akklimatisiert, ohne an Ertragsfähigkeit zu verlieren. Neben den direkt zur Bekämpfung der Reblaus getroffenen Maßregeln haben sich ferner alle Staaten gegen das schädliche Insekt durch Gesetze zu schützen gesucht, welche sich auf die Einfuhr von Pflanzen und Pflanzenteilen aus reblauskranken oder reblausverdächtigen Gegenden beziehen. Als natürliche Feinde der Reblaus, die jedoch derselben bisher nur wenig nachweisbaren Schaden zu thun vermochten, werden angeführt eine kleine Thrips, welche die Eier frißt, Coccinella septempunctata, Anthacoris nemorum, die Larve eines Hemerobius, Trombidium sericeum, die Larve eines Syrphus und des Scymnus biverrucatus.
Vgl. die amtlichen »Denkschriften, betreffend die Bekämpfung der Reblaus« (Berl.).
vergleichende. Wie die Sprachgeschichte und historische Grammatik in der vergleichenden Sprachwissenschaft, so findet die Rechtsgeschichte durch die vergleichende Rechtswissenschaft, ihre notwendige Fortsetzung und Ergänzung. Zwar verhielt sich Savigny ablehnend gegen alles, was über das Gebiet der römischen und deutschen Rechtsquellen hinausging, und die von ihm begründete historische Schule suchte an dieser Selbstbeschränkung festzuhalten; immer mehr aber brach sich die Erkenntnis Bahn, daß die Frage nach der Entstehung der wichtigsten Rechtsinstitute nur durch vergleichende Studien gelöst werden kann.
Bachofen führte den Begriff des Mutterrechts in die Wissenschaft ein (1861), indem er nachwies, daß bei zahlreichen Völkern des Altertums das Verwandtschaftssystem auf der Abstammung im Weiberstamm, nicht im Mannesstamm beruhte. So benannten sich die alten Lykier nach der Mutter, nicht nach dem Vater, und hinterließen ihr Vermögen ausschließlich ihren Töchtern. Eine ähnliche Organisation der Verwandtschaft bestand bei den alten Ägyptern, Etruskern und andern Nationen, und selbst bei den Griechen finden sich, besonders in der Homerischen Epoche, Spuren dieses Mutterrechts.
Bachofen erklärte daher eine Epoche, wo alle Verwandtschaft nur durch mütterliches Blut vermittelt wird, für eine notwendige Durchgangsstufe bei allen Völkern und sprach dieser Epoche zugleich das Bestehen der Ehe völlig ab. Wenig später als Bachofen und zum Teil unabhängig von ihm gelangten Lubbock, M'Lennan, Girand-Teulon ^[richtig: Giraud-Teulon] und Morgan zu ganz ähnlichen Ergebnissen, jedoch mit Ausschluß der von Bachofen ebenfalls vorausgesetzten Gynäkokratie der Urzeit.
Während Lubbock (1870) den Hetärismus, d. h. Weibergemeinschaft innerhalb des Stammes, als den allgemeinen Urzustand ansah, teilte M'Lennan (zuletzt 1876), auf ein umfassendes, namentlich aus Reiseberichten gesammeltes Material gestützt, die Völker in endogame, d. h. innerhalb des Stammes, und exogame, d. h. außerhalb des Stammes heiratende, ein. Die Exogamie hat sich allerdings aus der Endogamie entwickelt, infolge der Sitte, weibliche Kinder auszusetzen, welche zum Brautraub führte.
Giraud-Teulon (1874) gab eine sorgfältige Schilderung der zahlreichen Zwischenformen, welche von der regellosen Geschlechtsverbindung bis zur patriarchalischen Ehe führen. Schon früher hatte Morgan (1871) ein reiches sprachliches Material über die Verwandtschaftsnamen, besonders in Indianersprachen, gesammelt, welche deutliche Überreste der Gruppenehe und Polyandrie enthalten. Viele interessante Notizen brachten auch die Werke von Post (s. unten). An diese Vorarbeiten knüpfen die Untersuchungen der deutschen Juristen Kohler und Bernhöft an in der von ihnen begründeten »Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft,« (Stuttg. 1878 ff., bis jetzt 9 Bde.). So veröffentlichte Kohler im 5. Bande (1884) eine Abhandlung über Frauengemeinschaft, Frauenraub und Frauenkauf bei den Wotjaken, Lappen, Samojeden, Wogulen, Mongolen, Leptschas, Alëuten, Hova, Papua, verschiedenen Negerstämmen etc. und den indogermanischen Völkern und behandelte diese Fragen auch in speziellen Abhandlungen über das indische, birmanische, chinesische und andre minder bekannte Rechte. Bernhöft erörterte im 8. und 9. Bande seiner Zeitschrift (1889-90) die »Geschichte des europäischen Familienrechts« und die »Altindische Familienorganisation«, in der Festschrift zum Windscheid-Jubiläum (1888) die »Verwandtschaftsnamen und Eheformen der nordamerikanischen Volksstämme« und zog schon früher in der Schrift über »Staat und Recht der römischen Königszeit« (Stuttg. 1882) die Konsequenzen der neuen Lehre [* 79] für das römische Recht, indem er die entscheidende Geltung der mütterlichen Abstammung bei den römischen Sklaven, bei Konkubinaten und bei den Ehen der Plebejer in der ältern Zeit als Überreste des Mutterrechts bei der italischen Urbevölkerung erklärte, während der Name der Patrizier nach Bernhöft mit »Vatersöhne« zu übersetzen ist. In einer Monographie über »Mutterrecht und Raubehe« (Bresl. 1883) gab der Jurist Dargun eingehende Nachweise über die Verbreitung dieser beiden Institute, erörterte insbesondere ihr Vorkommen bei den Germanen und teilte den Brautraub, der eine fast universelle Einrichtung ist, ¶
in mehrere Hauptarten ein, je nachdem er im Ernst oder Scherz geübt wird, der Gewalthaber seine Zustimmung gibt oder nicht, oder nachträglich mit einer Buße abgefunden wird etc. Der Kulturhistoriker Lippert (»Geschichte der Familie«, Stuttg. 1884; »Kulturgeschichte der Menschheit«, das. 1886-87,2 Bde.) zeichnete, im Anschluß an die Bachofenschen Ideen, eingehend das Bild der Urfamilie, kleiner, durch das Prinzip der Mutterfolge zusammengehaltener Stämmchen, innerhalb deren es keine Ehe und engere Verwandtschaft gab, sondern nur die ältern und jüngern Generationsschichten unterschieden wurden.
Freilich hat es auch an Widerspruch gegen diese Theorien seitens der Ethnologen, wie Peschel und Ratzel, und der Juristen nicht gefehlt. Daß bei den indogermanischen Völkern schon vor ihrer Trennung das Vaterrecht zur Entwickelung gelangt war, zeigt die sehr weit gehende Übereinstimmung der Verwandtschaftsbezeichnungen, die neuerdings von Delbrück zusammengestellt worden sind (»Die indogermanischen Verwandtschaftsnamen«, Leipz. 1889). Eine von diesen und andern Ergebnissen der Sprachvergleichung ausgehende Darstellung des ursprünglichen Rechtes der Indogermanen zu geben, unternahm Leist (»Gräcoitalische Rechtsgeschichte«, Jena [* 81] 1884; »Altarisches Jus gentium«, das. 1889). Anderseits sind auch die Überreste des Mutterrechts bei verschiedenen andern Völkern zum Gegenstand gelehrter Monographien gemacht worden, unter welchen die Schriften von Rechtswissenschaft, Smith (»Kinship and marriage in early Arabia«, Cambr. 1885) und Wilken (»Over de verwantschap bij de volken van het Maleische ras«, Amsterd. 1883; »Het matriarchaat bij de oude Arabieren«, das. 1884) hervorzuheben sind.
Auch das Eigentum hat sich ähnlich wie die Familie entwickelt, indem das Individualeigentum der modernen Kulturvölker überall auf eine ältere Stufe des Gesamteigentums weiterer Verbände, Familien, Geschlechtsgenossenschaften oder Dorfgemeinden zurückgeht. Allerdings ist für die eigentliche Urzeit überall von dem Sondereigentum auszugehen; denn gerade die rohesten Völker, wie z. B. die Jägervölker Amerikas und die Australneger, kennen bei Mobilien wie bei Immobilien nur das Eigentum einzelner.
Aber bei allen Völkern, die zu Ackerbau und seßhaftem Leben gelangt sind, findet sich die Feldgemeinschaft, deren bekanntestes Beispiel der russische Mir bildet. Der Mir ist die Gesamtheit der Dorfbewohner, die entweder die Felder gemeinsam bestellen und den Ertrag verteilen, oder, was das Gewöhnliche ist, periodische Verteilungen des der Gemeinde gehörigen Ackerlandes vornehmen. Von ähnlichen Landverteilungen bei den alten Germanen berichten uns Cäsar und Tacitus, und sehr bedeutende Überreste dieser alten Feldgemeinschaft haben sich in den Markgenossenschaften, in den Allmenden des südwestlichen Deutschland und der Schweiz, in den Gehöferschaften von Trier [* 82] etc. erhalten.
Auch die Dreifelderwirtschaft und der Flurzwang hängen damit zusammen. Für England hat Nasse das einstmalige Bestehen der gleichen Feldverfassung nachgewiesen;
bei den Römern spielte der ager publicus eine große Rolle;
im alten Sparta fanden häufige Landverteilungen statt;
die altirischen Gesetze zeigen ähnliche Einrichtungen;
in Indien kennen manche Dorfgemeinden des Pandschab noch die ursprünglichste Form der Feldgemeinschaft mit gemeinsamer Bodenbestellung und Verteilung des Ertrags.
Außerhalb des Bereichs der indogermanischen Völker findet man das Gesamteigentum der Gemeinde z. B. auf der Insel Java, im mohammedanischen Recht, bei den Maori auf Neuseeland; das Ideal eines rein kommunistischen Ackerbaustaats aber stellte Peru [* 83] unter der Herrschaft der Inka [* 84] dar, wo Jahr für Jahr die Verteilung der Ackerlose auf dem Hauptplatz des Dorfes stattfand. Das Gesamteigentum der Familie bildet eine weitere Stufe in der Entwickelung des Eigentums. Dahin gehört die Hauskommunion oder Zadruga der Südslawen, aus 20-30 oder noch mehr Köpfen bestehend, die Familiengenossenschaften in Indien, China, [* 85] Armenien etc. An der Spitze der Hauskommunion steht in Serbien [* 86] der Gospodar, der die Bodenprodukte verkauft und die nötigen Einkäufe besorgt; ihm zur Seite steht als Dirigentin der weiblichen Arbeiten die Hausmutter, Domatschitscha.
Dem serbischen Gospodar entspricht der pater familias des römischen und der maître des ältern französischen Rechts, der Adhikari der Inder, der Hestiopamon der alten Griechen. Auch das Lehenswesen ist durch die vergleichende Rechtswissenschaft, als eine universelle Erscheinung nachgewiesen, die sich wie im christlichen Mittelalter, so auch bei den Mohammedanern, in China, Ostindien [* 87] etc. findet. Als das Hauptwerk für die Urgeschichte des Eigentums ist noch immer das klassische Buch von E. de Laveleye über das Ureigentum zu betrachten (deutsch, mit wertvollen Erweiterungen von Bücher, Leipz. 1879). Schon früher hatten G. L. v. Maurer, Nasse u. a. die germanische Feldgemeinschaft erforscht.
Sehr anregend, besonders in England, wirkten die Schriften von Sir H. S. Maine, der namentlich die indischen und die altirischen Einrichtungen zum Vergleich heranzog (»Ancient law«, Lond. 1861; »Village communities in the East and West«, 1872; »Early history of institutions«, 1874; »Dissertations on early law and custom«, 1883). Neuern Datums sind mehrere in der »Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft,« erschienene Arbeiten, besonders die Abhandlung von Dargun über »Ursprung und Entwickelungsgeschichte [* 88] des Eigentums« (1884).
Nicht nur die allgemeinen Grundlagen der Rechtsbildung sind durch die vergleichende Rechtswissenschaft, aufgeklärt worden, sondern auch zu vielen speziellen Rechtsgebräuchen der Kulturvölker haben sich interessante Analogien oft bei den entlegensten Völkern des Altertums und der Neuzeit herausgestellt. So bietet das römische Erbrecht zahlreiche Berührungspunkte mit dem indischen, z. B. in der agnatisch geordneten Erbfolge, in der allmählichen Entwickelung der weiblichen Succession, im Repräsentationsrecht und in der Parentelenordnung.
Die Adoption und andre Formen der künstlichen Verwandtschaft finden sich nicht nur bei den indogermanischen Völkern, von denen besonders die Inder sie ausgebildet haben, sondern auch bei den Chinesen und Japanern, bei vielen malaiischen Völkern, in Australien etc. Der Gedanke, daß die Götterwelt durch äußere Zeichen ihre Entscheidung über Recht und Unrecht in Prozessen kundgebe, ist ein universeller, und so kommen die Wasser-, Feuer-, Gift- und andern Ordalien nicht nur bei den Indern, Germanen und andern arischen Völkern, sondern auch bei zahlreichen Negerstämmen, bei den Arabern, bei den Birmanen und Siamesen, bei den Papua etc., vor. Das berüchtigte Jus primae noctis (Herrenrecht, droit de seigneur), das K. Schmidt in einer gelehrten Monographie (Freiburg 1881) in das Bereich der Fabel zu verweisen suchte, ist nicht nur durch spanische und südfranzösische Quellen des Mittelalters bezeugt, sondern kommt auch bei den verschiedensten wilden Völkern in ¶