Form zu besitzen, kaum noch brauchbar sind, so hat die Gesellschaft alpine Garten angelegt, in welchen die Pflanzen unter natürlichen
Verhältnissen wachsen. Der erste dieser Gärten wurde am Großen St. Bernhard in Betrieb gesetzt. Eine wichtige Aufgabe besteht
für die Tauschvereine darin, das Sammeln von Orchideen mit Knollen, von Zwiebelgewächsen mit Zwiebeln einzuschränken
und seltene Pflanzen, die an einem Standort durch menschliche Eingriffe in Gefahr geraten, an passendere Stellen zu verpflanzen.
(Sippenbildung bei Erophila). Die Existenz zahlreicher, samenbeständiger Pflanzenvariationen innerhalb eines kleinern
oder größern Kreises nahe verwandter Pflanzenindividuen, der je nach dem Standpunkt des die Formen beschreibenden Beobachters
mit dem Namen Varietät, Rasse, Sippe oder Art bezeichnet zu werden pflegt, ist eine durch neuere, besonders
auf Darwins klassischen Arbeiten fußende Untersuchungen vielgestaltiger Pflanzengattungen, wie Rosa, Hieracium, Rubus u. a.,
von Crépin, Christ, Nägeli, Peter, Focke, Kuntze u. a. sicher festgestellte Thatsache.
Die Schwierigkeit, das Formengewirr dieser und ähnlicher Gattungen auf festbegründete Stammtypen oder
ideale Arten zurückzuführen, durch deren allmähliche, bisweilen mehrere Erdepochen hindurch fortgesetzte Ausgliederung
die gegenwärtig vorhandenen, oft ineinander fließenden Formengruppen sich gebildet haben, ist allerdings als noch nicht
beseitigt zu betrachten, da die primären Ursachen, die zur Entstehung vererbungsfähiger, schließlich zu neuen Arten führender
Variationen Veranlassung gaben, in Dunkel gehüllt sind.
Meist kommen nur einzelne Begleitumstände der Artbildung, wie geographische Lage und geologische Bildung der Entstehungszentren,
geselliges Durcheinanderwachsen nahe verwandter, aber trotzdem sich unverändert erhaltender Formenreihen, Arealbegrenzungen
der Arten, mehr oder weniger reichliche Erzeugung von Hybriden u. Zwischenarten, zur Beobachtung, woraus dann mehr oder weniger
unsichere Schlüsse über die gegenseitige Abstammung und die Entstehungsursachen der Pflanzenspezies
gezogen werden.
Um so wichtiger erscheint der Nachweis samenbeständiger Pflanzenvariationen innerhalb wild wachsender Formenkreise,
welche nach der gewöhnlichen Anschauung als unzweifelhaft gute Arten im Linné-Cuvierschen Sinne betrachtet werden. Derartige
unter sich naheverwandte Pflanzenvariationen sind zuerst in größerm Umfang durch Jordan (seit 1852), z. B. für Aegilops
ovata, Vincetoxicum officinale u. a., als die wirklichen natürlichen Arten beschrieben worden. Freilich stellte sich derselbe
nach dem Erscheinen des Darwinschen Hauptwerkes über das Variieren von Tieren und Pflanzen auf die Seite der Gegner Darwins,
und da außerdem durch die von Jordan eingeführte Methode der Artbegrenzung eine die Übersichtlichkeit
vollkommen aufhebende Zersplitterung der Formen in die Wissenschaft eingeführt worden wäre, so fanden längere Zeit hindurch
die von ihm in einem Zeitraum von etwa 30 Jahren gesammelten Beobachtungen nicht vollkommene Würdigung. Unter den Pflanzen,
von denen Jordan außerordentliche Vielgestaltigkeit behauptet hatte, befand sich auch das bekannte Hungerblümchen (Erophila
verna), bei dem er ca. 200 samenbeständige Variationen oder Arten nachwies.
Einer der vorurteilsfreiesten und hervorragendsten Botaniker, A. de Bary (gest. 1888), hatte in seinen letzten Lebensjahren
eine Nachprüfung der Jordanschen Angaben unternommen und ebenfalls Kulturversuche mit der genannten Pflanze angestellt, die
sich wegen
ihrer Kurzlebigkeit besonders als Versuchsobjekt empfiehlt. Die in dem Nachlaß de Barys befindlichen
Notizen sind von Rosen, einem Schüler des Verstorbenen, bearbeitet und durch weitere Beobachtungen ergänzt in einer neuerdings
erschienenen Abhandlung veröffentlicht worden.
Nach diesen Untersuchungen erweisen sich die Angaben Jordans in der That als richtig; es wurden z. B. in der Nähe von Straßburg,
Frankfurt a. M., im Taunus und anderorts etwa 30 verschiedene Erophila-Formen aufgefunden, die sich in der
Kultur als beständig herausstellten und sich teils mit den von Jordan beschriebenen Formen deckten, teils neue, noch unbeschriebene
Varietäten darstellten. Die Unterschiede sind derart, wie sie auch sonst bei anerkannten Arten vorkommen, und bestehen vorzugsweise
in der verschiedenen Ausbildung der grundständigen Rosettenblätter, in der Form der Haare, der Lappenbildung
der an der Spitze eingeschnittenen Blumenblätter sowie der Gestalt der Schötchen.
Nach ihrer Ähnlichkeit lassen sich die aufgefundenen Formen in Gruppen oder »Typen« bringen, deren Merkmale vorzugsweise in der
Form der jungen Rosettenblätter liegen, während die eigentlichen Artunterschiede erst in der Blüte-,
resp. Fruchtperiode hervortreten; an der erwachsenen Pflanze sind übrigens die Anfangsblätter meist nicht mehr vorhanden,
so daß man ältere, im Freien gefundene Erophila-Exemplare nicht sicher zu bestimmen vermag. Den erwähnten Gruppen legt Rosen
deshalb reale Bedeutung bei, weil die einander ähnlichsten Formen auch in der Regel auf gleichem Standort
vorkommen, so z. B. E. leptophylla, graminea und sparsipila vom Typus der E. leptophylla Jord. mit
schmalen, linealen oder lineal-lanzettlichen Blättern, kleinen, kreuzförmigen Blüten, elliptischen Früchten und schwach
entwickelten Gabelhaaren auf den Hausbergen bei Straßburg, wo sie alle drei auf einem wenige Quadratmeter großen Fleck zusammen
wachsen. Da ein solches gesellschaftliches Vorkommen nächstverwandter Spezies auch in vielen andern Fällen
durch Jordan, Nägeli, Focke, Christ u. a. beobachtet worden ist, so läßt sich schließen, daß derartige Formen ursprünglich
auch an gleichem Orte und aus einer gemeinsamen Stammart entstanden sind, da sonst das Auftreten ungleichartiger Pflanzen an
demselben, die Exemplare in gleicher Weise beeinflussenden Standort unerklärbar sein würde.
Die Erophila-Arten haben ferner, wie aus der Identität zwischen vielen, von Jordan und Rosen beobachteten Formen hervorgeht,
ein ziemlich weites Wohngebiet, auf welchem die Standortsbedingungen in jeder Hinsicht wechseln, ohne daß irgend welcher
Einfluß derselben auf die Gestaltung der Arten zur Erscheinung kommt. Die artbildenden Merkmale stehen
also, wie auch sonst in vielgestaltigen Gattungen, in gar keinem Abhängigkeitsverhältnis zu der äußern Umgebung und sind
nicht durch Anpassung an dieselbe entstanden zu denken.
Auch den Einfluß verschiedenartiger Bestäubung, die Züchtung durch blumenbesuchende Insekten, leugnet Rosen, da Erophila
sich fast ausschließlich durch Selbstbefruchtung vermehrt; allerdings läßt der Bau der mit Nektarien
versehenen Blüten, wie schon H. Müller hervorhob, auch Fremdbestäubung zu, und Rosen selbst fand Exemplare, an deren noch
nicht völlig geöffneten Blüten der Pollen nicht auf die höherstehende Narbe zu gelangen vermochte, so daß dieselben auch
keine Frucht ansetzten. Außer Bestäubung mit eignen Pollen kann bei durcheinander wachsenden, nahe verwandten
Arten auch illegitime Kreuzung zwischen
mehr
denselben stattfinden. Die Möglichkeit, daß einzelne Erophila-Formen Bastarde mit vollkommener Fruchtbarkeit darstellen,
ist somit nicht ausgeschlossen, und Rosen behält sich deshalb weitere Versuche in dieser Richtung vor. Im ganzen neigt er jedoch
zu der Ansicht, daß bei Erophila die Vielgestaltigkeit trotz vorwiegender Inzucht und ohne wesentliche Beteiligung von Bastardbildung
zu stande gekommen sei. Hinsichtlich der Entstehung der verschiedenen Sippen und Formen nimmt er an, daß
dieselbe durch freie, d. h. von der Umgebung unabhängige Variation hervorgerufen sei.
Dieselbe besteht nicht in einer bloßen Steigerung und Weiterbildung einzelner Merkmale, sondern sie schafft neue und kombiniert
die alten in neuer Weise, so daß die aus einer Art entstandenen Formen nicht graduell verschieden sind,
wie es der Fall sein müßte, wenn ihre Entstehung unter dem Einfluß der natürlichen Zuchtwahl vor sich ginge. Die Variation
bewirkt auch keine Vervollkommnung, sondern nur eine Vermehrung der Formen, von denen einige schlechter oder ebenso gut oder
besser konstruiert sein können als ihre Eltern; nur der Rückschritt wird durch die Auslese im Kampf um
das Dasein unmöglich gemacht.
Sie erscheint demnach nicht als blind und vom Zufall abhängig, sondern wird durch noch unbekannte Gesetze geregelt, da man
annehmen muß, daß gleiche oder ähnliche Kombinationen nächstverwandter Formen an verschiedenen Orten
entstanden sind. In diesen Sätzen liegt eine Weiterbildung der Darwinschen Theorie in ähnlichem Sinne, wie sie Nägeli mit
seinen Ideen über sprungweise Variation bereits angedeutet hat.
Vgl. Jordan, Pugillus plantarum novarum (Par. 1852);
Derselbe,
Diagnoses d'espèces nouvelles ou méconnues (das. 1864);
Derselbe, Remarques sur le fait de l'existence en société
à l'état sauvage des espèces végétales affines et sur d'autres faits relatifs à la question de l'espèce (Lyon 1874);
Darwin, Das Variieren der Pflanzen und Tiere im Zustand der Domestikation (deutsch von Carus, Stuttg. 1868);
folgende Schriften
von Nägeli: »Entstehung und Begriff der naturhistorischen Art« (Münch. 1865);
»Über den Einfluß der
äußern Verhältnisse auf die Varietätenbildung« (das. 1865);
»Über die Zwischenformen zwischen den Pflanzenarten« (das.
1866);
»Mechanisch-physiologische Theorie der Abstammungslehre« (das. 1883);
Christ, Die Rosen der Schweiz (Bas, 1873);
Focke, Synopsis
Ruborum Germaniae (Bremen 1877);
Kuntze, Methodik der Speziesbeschreibung und Rubus (Leipz. 1879);
Nägeli und Peter, Die Hieracien
Mitteleuropas (Münch. 1885);
Rosen, Systematische und biologische Beobachtungen über Erophila verna (»Botan.
Zeitung«, 1889).
vonAltishofen, Alfons, schweizer. Generalstabschef, geb. 1834 zu Luzern,
verbrachte
seine Jugend teils in der Heimat, teils in Deutschland, wo sein Vater ein Landgut in der Nähe von Augsburg besaß, studierte auf
deutschen Akademien Architektur, ging aber 1852, angeborner Neigung wie der Tradition seiner Familie folgend,
zum Militärdienst über und trat als Offizier in das zweite neapolitanische Schweizerregiment ein. Bei der Auflösung desselben
im J. 1859 blieb er als Adjutant und Generalstabsoffizier des Generals v. Mechel im Dienste des Königs Franz und zeichnete sich
im Kriege gegen Garibaldi und die Piemontesen aus.
Bei der Kapitulation von Gaeta gehörte er zu den 20 Personen, welche das entthronte Königspaar als Gefolge mit sich nehmen
durfte, während die übrige Besatzung mit 25 Generalen kriegsgefangen wurde. Nach dem Sturze der Bourbonen kehrte
er in seine
Vaterstadt zurück und widmete sich seinem Beruf als Architekt (er baute unter anderm das Hôtel National
in Luzern),
dann aber auch dem Schweizer Militärwesen. Im Winter 1871 nahm er als Oberstleutnant im Stabe des Generals Herzog hervorragenden
Anteil an jener raschen Vorschiebung der Schweizer Heereskräfte aus dem Berner Jura nach dem Traversthal, welche dem Übertritt
der Franzosen bei Verrières voranging. 1875 zum Obersten der Infanterie befördert, erhielt er bald darauf
das Kommando der 8. Division und übernahm 1882 die Leitung der eidgenössischen Generalbüreaus, in welcher Stellung er sich
um die Ausbildung des schweizerischen Militärwesens große Verdienste erwarb und sich in der Gotthardbefestigung ein Denkmal
schuf. Er starb
in der Psychologie die Fähigkeit, reproduzierte Vorstellungen (s. d.) zu solchen Komplexen zusammenzusetzen,
wie sie bisher dem Individuum noch nicht in der Wahrnehmung geboten waren, also auch nicht durch eine bloße Erinnerungsleistung
gebildet werden können. Die Phantasie in diesem allgemeinsten Sinne ist dem Manne der Wissenschaft wie dem Künstler
gleicherweise unentbehrlich, und sie arbeitet besonders lebhaft, wenn entweder ein bestimmter Zweck das Hinausgehen über die
Erfahrung erfordert, z. B. in der Aufstellung von Hypothesen, oder die geringe Anzahl von Erfahrungen dem Thätigkeitsbedürfnis
der Seele nicht genügt, z. B. beim Kinde.
Die Erklärung der Phantasie muß auf die Thatsache der fortwährenden Einwirkung unterbewußter psychischer Zuständlichkeiten
auf oberbewußte und auf die Veränderungsfähigkeit der Wahrnehmungsresiduen zurückgehen (s. Bewußtsein und Vorstellung).
Im einzelnen unterscheiden wir drei Arten der Phantasie: 1) Die reproduktive Phantasie, mittels deren wir eine bisher noch nie im Bewußtsein
vorhandene Verbindung zwischen zwei Vorstellungen vollziehen, etwa die Vorstellungen »golden« und »Berg«
zu dem in Wahrnehmung und Erinnerung nicht gegebenen Vorstellungskomplex eines »goldenen Berges« verknüpfen.
2) Die produktive Phantasie, mittels deren die ästhetische Welt geschaffen wird. Sie kann nach den Hauptgruppen künstlerischer
Veranlagung in musikalische, poetische, bildnerische Phantasie gegliedert werden. Diese drei Klassen weichen
so sehr voneinander ab, daß sie als Anlagen selten oder nie im gleichen Grade nebeneinander in demselben Individuum aufzutreten
pflegen; hauptsächlich ist es die musikalische Produktivphantasie, welche die bildnerische, seltener die poetische von sich
ausschließt oder doch beschränkt.
3) Die deutende Phantasie, mittels deren die Metapher des Dichters, die mythologische Naturauffassung, das Spiel
des Kindes u. dgl. zu stande kommt. Sie folgt dem
Gesetz der Substitution (s. Vorstellung), indem sie auf ein neues Objekt Eigenschaften bezieht, die in Wirklichkeit bloß mit
ähnlichen Gegenständen verknüpft sind. Überhaupt aber lassen sich alle Formen der Phantasie auf Associationsgesetze zurückführen,
insoweit die intellektuelle Seite der Phantasie in Betracht kommt, und es ist falsch, ihre Wirksamkeit
als ein regelloses Ungefähr zu betrachten, denn wo thatsächlich ein solches Spiel ohne Zusammenhang herrscht, wie z. B.
in wilden Träumen, im Fieber oder in pathologischen Zuständen der Ideenflucht, da sprechen wir zwar populär von »Phantasieren«,
aber nicht wissenschaftlich von einer Leistung der Phantasie.
(Euphorin), Phenylcarbaminsäure-Äthyläther C9H11NO2 entsteht aus Chlor-
oder
mehr
Cyanameisensäureester und Anilin, aus Carbanil und Äthyläther, bildet farblose Kristalle, ist fast unlöslich in Wasser, leicht
löslich in Alkohol und Äther, schmilzt bei 51,5-52°, siedet unter geringer Zersetzung bei 237-238°. Man benutzt Phenylurethan als sicheres
Fiebermittel, welches zugleich einen günstigen Einfluß auf das Allgemeinbefinden ausübt.
Auch bei akutem und chronischem
Gelenkrheumatismus wirkt es günstig, wie als Antiseptikum bei hartnäckigen Geschwüren und chronischen Augenentzündungen.
Rudolf Amandus, Botaniker, geb. zu Charlottenburg, studierte in Berlin Medizin, wurde nach
einer mehrjährigen Reise durch Italien und Sizilien 1835 als Lehrer der Zoologie und Botanik an die höhere Gewerbeschule zu Kassel
berufen, die er 1850 als Direktor verließ. Während der Zeit verbrachte Philippi gesundheitshalber wieder zwei Jahre (1838-40)
in Italien. 1851 siedelte er nach Chile über, wurde 1853 mit der Leitung des Lyceums zu Valdivia beauftragt,
im Oktober desselben Jahres aber als Professor der Botanik und Zoologie an die Universität Santiago berufen und gleichzeitig zum
Direktor des naturhistorischen Museums ernannt.
Hier wirkte er in hohem Grade anregend, denn unter seiner Leitung wurden die naturwissenschaftlichen Fächer in weitestem Maßstab
an der Hochschule aufgenommen und gepflegt. Seit 1874 widmete er sich ausschließlich der Direktion des
Museums, welches unter seiner Leitung das wertvollste in ganz Südamerika geworden ist. Philippis zahlreiche Publikationen bewegen
sich auf dem Gebiete der Zoologie und systematischen Botanik. Nach Tausenden zählen die neuen Pflanzen der chilenischen Flora,
deren Diagnosen er gegeben hat. Speziell für Chile schrieb er: »Elementos de historia natural« (4. Aufl.
1885) und »Elementos de botanica« (1885).
2) Martin, Geschichtschreiber, legte, weil er als Rektor der Universität Brüssel mit den Studenten in Konflikt
geriet, Ende 1890 seine Professur nieder. Er gab die »Gesammelten (belletristischen)
Schriften« seines Vaters Ludwig Philippson (Bresl. 1891 ff.) heraus.
[* ] Der Phonograph von Edison ist in vollkommen neuer Ausarbeitung in die Öffentlichkeit gelangt. Es sind die Fehler,
welche der ältern Form (s. Phonograph, Bd.
13) anhafteten, in erstaunlich hohem Maße vermieden, so daß der heutige Phonograph auch den weitgehendsten Ansprüchen des Aufschreibens
und der Wiedergabe der menschlichen Stimme genügt. Verbessert wurde der Phonograph hinsichtlich des Bewegungsmechanismus,
der Membran, welche die Schallschwingungen aufnimmt, der Masse, in welche die Schwingungen eingegraben werden, des Stifts, welcher
die Schwingungen eingräbt, und des Stifts, welcher, den Schwingungsbahnen folgend, die Membran wie der so in Schwingungen versetzt,
daß die hineingeschickten Schwingungen genau wiedergegeben werden.
Zur gleichmäßigen Bewegung des Cylinders, welcher nunmehr aus einer geeignet zusammengesetzten Wachsmasse besteht, dient
ein kleiner Elektromotor, dessen Tourenzahl infolge einer feinen Regelung stets die gleiche bleibt. In allerneuester Zeit
jedoch finden auch kleine Wassermotoren Verwendung. Als Membran dient ein ganz dünnes Glasblättchen, als Eingrabestift ein
äußerst feines Messerchen von elliptischen Querschnitt mit stumpf abgeschnittener Endfläche.
Zur Wiedergabe der von dem Messerchen aufgezeichneten
Töne verwendet Edison eine zweite Membran (Glasblättchen), deren kleiner
Scharnierstift einen gebogenen, in ein winziges Knöpfchen endigenden Hebel trägt. Gehört wird mittels Hörrohre (Schläuche);
nur in besondern Fällen ist es möglich, den Phonographen für einen größern Zuhörerkreis ohne Hörrohr
vernehmbar zu machen, so z. B. bei Wiedergabe von Trompetensoli etc.
In diesem Falle wird auf das Instrument ein Schalltrichter gesetzt.
Die Wiedergabe der Laute ist eine in jeder Beziehung großartige und vollkommene zu nennen. Wiewohl Edison in dieser neuesten
Form des Phonographen eine für die Praxis höchst wichtige Erfindung sieht und glaubt, daß namentlich
größere Geschäfte mittels dieses Apparats ihre umfangreiche Korrespondenz in viel kürzerer Zeit werden erledigen können,
so ist doch einstweilen die Fabrikation im wesentlichen damit beschäftigt, sprechende Puppen u. dgl. herzustellen.
ein von Wreden konstruiertes Mikrophon (vgl. Bd. 6, S. 154 f.),
welches die kleinsten Geräusche hörbar macht. Ein Hebel, welcher unterhalb einer Platte in horizontaler Lage befestigt ist,
trägt an seinem einen Ende einen nach oben gerichteten Kohlenstift, über dem sich ein zweiter an der Platte befestigter Kohlenstift
befindet. An dem andern Ende des Hebels ist ein Gewicht aufgeschraubt, dessen Lage durch Drehen geändert
werden kann. Es wird so eingestellt, daß gerade Gleichgewicht des Hebels stattfindet.
Ein zweites hinzugefügtes Gewicht drückt die beiden Kohlenstifte aneinander. Wird der Strom eines Elements durch die Kontaktstelle
der beiden Stifte hindurchgeleitet und ein Fernsprecher in den Stromkreis eingeschaltet, so hört man im
Fernsprecher die in der Nähe des Phonophors geführten Gespräche, Gesang etc. Die Empfindlichkeit wird durch die Größe des
zweiten Gewichts bestimmt, welches in sechs Nummern, von 0,2-1 g, variiert. Je kleiner das Übergewicht,
desto größer die Empfindlichkeit.
Der einmal erzeugte Empfindlichkeitsgrad bleibt unverändert, und es ist keine Nachregulierung nötig,
selbst wenn das Phonophor längere Zeit in Thätigkeit gewesen ist. Die Vorzüge des Phonophor sind seine Billigkeit im Vergleich mit andern
Mikrophonen, Dauerhaftigkeit und Widerstandsfähigkeit selbst bei Stößen und Erschütterungen, Beständigkeit bei einmal hergestelltem
Empfindlichkeitsgrad (besonders wichtig bei wissenschaftlichen Untersuchungen, wo es sich um quantitativ zu vergleichende
Größen handelt) und endlich die Fähigkeit, die den gewöhnlichen Mikrophonen abgeht: auch unter Wasser
wirksam zu bleiben.
Das Leuchten des Phosphors ist stets von Ozonbildung begleitet, aber es ist noch unbekannt, ob die Bildung
des Ozons Ursache oder Wirkung des chemischen Prozesses ist, welcher beim Leuchten des Phosphors verläuft. Bei niederer Temperatur
bildet an der Luft weder Ozon, noch leuchtet er. Beides geschieht sehr lebhaft bei 25°. Daß die chemische Reaktion, welche
das Leuchten bedingt, nur zwischen dem Dampfe des Phosphors und Sauerstoff stattfindet, ergibt sich aus der Beobachtung, daß
Phosphor unter vermindertem Luftdruck stärker leuchtet als unter gewöhnlichem, und daraus, daß Wasserstoff,
Stickstoff, Kohlensäure bei Zuführung von Sauerstoff leuchtend werden, wenn sie mit Phosphor in Berührung gewesen waren und Phosphordampf
enthalten. Die Schnelligkeit der Verflüchtigung wechselt mit der Dichte der Gase, sie ist am größten in Wasserstoff, am geringsten
in Kohlensäure. In reinem Sauerstoff
mehr
leuchtet Phosphor nur beim Erwärmen, leitet man aber bei niederer Temperatur Ozon ein, so wird der Phosphor sofort leuchtend unter Absorption
von Sauerstoff und Bildung der charakteristischen Oxydwolke. Nun hat Sage ein Oxyd des Phosphors P4O6 entdeckt,
welches von Thorpe näher untersucht worden ist. Es bildet sich neben Phosphorpentoxyd P2O5 bei
langsamer Verbrennung des Phosphors an der Luft, erstarrt beim Abkühlen zu weißen Kristallen, schmilzt bei 23°, siedet bei
173°, hält sich in verschlossenen Röhren unverändert, wird aber am Lichte, namentlich im direkten Sonnenlicht, schnell
dunkelrot.
Bei gewöhnlicher Temperatur absorbiert das Oxyd langsam Sauerstoff, doch findet die Oxydation nur im dampfförmigen
Zustand statt. Unter vermindertem Drucke ist die Oxydation von Erglühen begleitet, welches besonders bei Gegenwart von Ozon
lebhaft ist. Bei der Oxydation entsteht indes kein Ozon. Je höher die Temperatur ist, um so geringer braucht der Verdünnungsgrad
zur Hervorrufung des Leuchtens zu sein. Bei allmählichem Erwärmen nimmt die Leuchtkraft des Oxyds beständig
zu, bis bei einer bestimmten Temperatur ohne plötzliches Anwachsen der Lichtintensität Entzündung erfolgt. In erwärmtem
Sauerstoff verbrennt das Oxyd mit glänzender Flamme, und ebenso entzündet es sich mit Chlor. Aus diesen Beobachtungen ergibt
sich nun für das Leuchten des Phosphors das Folgende. Wird Phosphor unter Verhältnissen in eine sauerstoffhaltige
Atmosphäre gebracht, daß er sich verflüchtigen kann, so oxydiert er sich teils zu Phosphorpentoxyd P2O5 ,
teils zu P4O6 . Hierbei entsteht Ozon (O3) ^[(O3)] etwa in dieser Weise:
Das Ozon wirkt auf den rückständigen Phosphordampf und das niedere Oxyd unter Erzeugung des Lichteffekts.
Das Leuchten ist als eine langsam brennende Flamme von außerordentlich niedriger Temperatur aufzufassen. Durch geeignete Mittel
kann dies Leuchten allmählich gesteigert werden, bis es durch ganz regelmäßige Zunahme in gewöhnliche kräftige Verbrennung
übergeht. Übrigens lassen sich auch andre Substanzen in gleicher Weise zum Leuchten bringen; so leuchtet Arsen beim Erwärmen
in Sauerstoff, und Schwefel wird in einer Sauerstoffatmosphäre bei 200° ebenfalls leuchtend.
[* ] Die aus Erdalkalisulfiden hergestellten Leuchtsteine bieten manche bisher nicht erklärte Eigentümlichkeiten.
Je nach der Herkunft der Mineralien oder andern Rohstoffe, aus welchen man sie darstellt, und je nach der Bereitungsweise erhält
man Präparate von sehr verschiedener Beschaffenheit. Nach den Untersuchungen von Klatt und Lenard spielen
hierbei chemische Verhältnisse eine große Rolle. Ganz reiner kohlensaurer Kalk, durch Glühen und darauf folgendes Erhitzen
mit Schwefel in Calciumsulfid verwandelt, gibt einen Leuchtstein, der nur sehr schwach phosphoresziert und auch nach Zusatz
verschiedener Alkalisalze keine stärkere Phosphoreszenz zeigt.
Wenn aber vor dem Erhitzen mit Schwefel eine sehr geringe Menge Kupfersalz hinzugefügt wird, so erhält
man eine Phosphoreszenz, gegen welche die des reinen Präparats fast verschwindet. Dieser Effekt wird durch 0,00008 Kupferoxyd auf 1,0 Kalk
hervorgebracht, sobald aber die Kupfermenge so weit vergrößert wird, daß der Kalk mißfarbig erscheint, ist die Leuchtkraft
nur noch schwach. Zusätze von 0,1 Natriumsulfat und andern Natriumsalzen lassen die Phosphoreszenz intensiv hervortreten, Chloride aber
wirken schädlich.
Strontiumsulfid mit 0,000625 Kupferoxyd und 0,03 Fluorcalcium gibt
intensiv gelbgrüne, Baryumsulfid mit ebensoviel Kupferoxyd
und 0,05 schwefelsaurem Kali oder 0,03 Fluorcalcium tiefrote Phosphoreszenz. Auch Wismut wirkt günstig, wenngleich nicht so energisch.
0,0013 Wismutoxyd und 0,1 Natriumhyposulfit gibt in Calciumsulfid blaue Phosphoreszenz (die
Balmainsche Leuchtfarbe ist eine solche Mischung). Mangansalze geben mit Calciumsulfid gelbe Phosphoreszenz, und die Leuchtkraft wächst
bis zu einem Gehalt von 0,03 Mangan.
Sie wird verstärkt durch Zusatz von 0,2 schwefelsaurem Kali. Chloride wirken hier nicht ungünstig wie bei
Kupfer und Wismut, weil das Manganchlorid wenig flüchtig ist. Reines Schwefelcalcium phosphoresziert vielleicht gar nicht; in
den aus Mineralien hergestellten Leuchtsteinen bedingt in der Regel Kupfer oder Mangan das Leuchten, viel seltener Wismut. Bringt
man ein stark phosphoreszierendes Präparat auf einem Glimmerblättchen unterhalb zweier ring- oder plattenförmiger Elektroden
in ein Glasrohr, welches auf einer Seite mit einer Luftpumpe in Verbindung steht, auf der andern durch
eine angekittete Glasscheibe verschlossen ist, macht das Rohr luftleer, erhitzt die Substanz und läßt gleichzeitig die Entladungsfunken
eines Funkeninduktors durch das Rohr hindurchgehen, so ist die Phosphoreszenz so stark, daß sie das Auge blendet und
den Raum beträchtlich erhellt.
[Phosphoreszenz von Bakterien, Seetieren, Pilzen.]
Nachdem man darauf aufmerksam geworden ist, daß es auch leuchtende Bakterien
gibt, die am Phänomen des Meeresleuchtens und des Leuchtens absterbender Seetiere stark beteiligt sind (vgl. Bd. 17, S. 657),
hat sich die Zahl der durch verschiedene Gestalt und Lebensweise ausgezeichneten Arten beständig vermehrt,
und Beyerinck zählte 1889 schon 5-6 Arten, die er unter dem Namen Photobacterium zusammenfaßt. Er nennt Phosphoreszenz phosphorescens
die gewöhnliche Bakterie der leuchtenden Fische, Phosphoreszenz indicum und Phosphoreszenz Fischeri die beiden von Fischer entdeckten Leuchtbakterien
des Indischen Meeres und der Ostsee.
Dazu entdeckte Beyerinck in der Nord- und Ostsee drei neue, von denen Phosphoreszenz luminosum im Schaume der Brandung
bei Scheveningen gefunden wurde und ein bläulichgrünes Licht wie die beiden erstgenannten verbreitet, während Phosphoreszenz Fischeri
weniger lebhaft und mehr orangerot leuchtet. Alle diese Arten, zu denen noch zwei unbenannte, der letztgenannten ähnliche
Arten aus der Ostsee kommen, gedeihen am besten, wenn das Nährmittel 3,5 Proz.
Meersalz enthält. Ihre Stickstoffnahrung entnehmen sie am liebsten den Peptonen, den Kohlenstoff sehr verdünnten Lösungen
von Glykose, Lävulose, Maltose, Galaktose, Kalklaktat und Glycerin.
Die Aufnahme der Nahrung ist von Lichtentwickelung begleitet. Erreicht die Glykose in der Nährmasse 2 Proz., so erlischt das
Leuchten, und dasselbe bewirkt jede Spur einer Säure. Auf Gelatine kultiviert, verhalten sich die Arten ungleich; die einen wirken
stark verflüssigend, die andern nicht. Keine von ihnen scheint Sporen zu bilden, aber alle können durch die Kultur in leichtbewegliche
Zustände übergeführt werden, welche gegen die Sauerstoffquellen schwimmen und unter gewissen Bedingungen
die Form von Spirillen und Vibrionen annehmen. Sie scheinen außerdem sehr veränderlich zu sein, ergeben nichtleuchtende
oder leuchtende Kulturen, die ihre Veränderung durch Reihen neuer Kulturen bewahren, aber dann ebenso plötzlich wieder in
die ältere Form zurückschlagen, ähnlich wie die Wunderblutbakterie oft farblose Kulturen liefert, die gelegentlich wieder
purpurrot werden. Das Leuchten ist aller Wahrscheinlichkeit nach eine zufällige Folge der
mehr
Sauerstoffatmung, und bei Phosphoreszenz phosphorescens, welches sich auch im sauerstofffreien Medium kultivieren läßt, bemerkt man
dann keine Spur von Leuchten. Fügt man zu dem Meerwasser, das durch leuchtende Bakterien phosphoreszierend gemacht ist, außer
ein wenig Indigokarmin einen leichten Überschuß von Natriumhydrosulfit, welches dem Meerwasser seinen Sauerstoff entzieht,
so sieht man, wie die verschiedenen Arten in verschiedener Zeit ihre Leuchtfähigkeit einbüßen: Phosphoreszenz phosphorescens
früher als Phosphoreszenz luminosum und indicum, alle aber leuchten noch eine Zeit nach der vollständigen Entfärbung
des Indigo.
Führt man dann durch Schütteln mit Luft oder Hinzuschütten einiger Tropfen von Wasserstoffsuperoxyd neuen Sauerstoff herbei,
so beginnen die letztgenannten beiden Arten bereits zu leuchten, bevor sich die geringste Spur von Indigblau
gebildet hat, während die erstere unmittelbar vor der Bläuung aufleuchtet. Diese Leuchtbakterien nehmen also den freien
Sauerstoff dem entfärbten Indigo sowohl als dem Natriumhydrosulfit gleichsam vor dem Munde weg, sie geben mithin ein empfindlicheres
Reagens für denselben ab als diese Chemikalien.
Einzelne Zoologen sind zu der Ansicht gelangt, daß auch das Leuchten gewisser größerer Seetiere, wie der am Mittelmeer vielgenossenen
Meerdattel (Pholas dactylus), deren leuchtender Saft Mund und Finger der Essenden leuchtend macht, und der Knollenquallen (Pelagia)
von einem Zusammenleben (Symbiose) mit solchen Leuchtbakterien herrühre, und man hat danach sogar bereits
Bacterium Pholas und B. Pelagia aufgestellt. Dubois will dagegen (ebenfalls in neuerer Zeit) durch Versuche ermittelt haben,
daß das Leuchten der Muschel auf einem rein chemisch-physikalischen Prozeß beruht, der abhängig von der Gegenwart zweier
chemischer Substanzen ist, deren eine im Wasser lösliche und in Kristallen darstellbare von ihm Luciferin
genannt wird, während die andre (Luciferase) ein lösliches Ferment gleich der Diastase darstellt und, sobald sie mit jener
in Berührung kommt, das Leuchten der Meerdattel bewirken soll. Jedenfalls ist es aber sehr gewagt, diesen Vorgang mit Gadeau
de Kerville auf alle Leuchttiere ausdehnen zu wollen.
Daß übrigens eine Infektion lebender Seetiere mit Leuchtbakterien möglich ist und vorkommen kann, haben
die neuen Untersuchungen von Giard gezeigt, doch handelt es sich um kein symbiotisches, sondern ein parasitisches Zusammenleben,
bei dem die Wirte allmählich zu Grunde gehen. Er hatte am Strande einen leuchtenden kleinen Krebs (Talitrus-Art) gefunden,
der, statt wie seine Genossen, munter umherzuspringen, langsam dahinkroch. Unter dem Mikroskop konnte
Giard bald erkennen, daß das Leuchten von Bakterien von seinen stark veränderten Muskeln ausging. Er impfte andre Individuen
von Sandhüpfern und Springkrebsen (sowohl Talitrus- als Orchestia-Arten) mit dem mikrobenreichen Blute und erzeugte die Leuchtkrankheit
bei den meisten, ja es gelang auch bei größern Krabben, so daß sein Laboratorium abends einen feenhaften
Anblick darbot.
Die Impfungen wurden bis zur sechsten leuchtenden Generation fortgesetzt, ohne daß eine Abschwächung der Leuchtkraft bemerkbar
wurde. Die Krankheit verläuft regelmäßig, und das Tier stirbt nach 3-4 Tagen, worauf das Leuchten noch einige Stunden anhält
und dann erlischt. Das von Berthelot spektroskopisch untersuchte Phosphoreszenzlicht ist grünlich. Wohl
zu unterscheiden hiervon sind die mit eignen Leuchtapparaten versehenen niedern Krebse (Schizopoden)
der Tiefsee aus den Gattungen
Euphausia, Nyctiphanes u. a., die zum Teil ebenso vollkommen ausgerüstete Leuchtapparate besitzen
wie die Leuchtfische, von denen Band 17, S. 658, die Rede war.
W. Müller berichtet in seiner Arbeit über »Neue Cypridinen« (1890) über das Leuchten gewisser mikroskopischer
Muschelkrebse, welches im herrlichsten Smaragdgrün oder Lasurblau erfolgt und oft so stark ist, daß die Schwärme für sich
starkes Meeresleuchten erzeugen. Chierchia sah in den Nächten vom 5. bis in der Nähe von Sokotora
lebhaft smaragdgrün leuchtende Streifen und Kreise der Meeresoberfläche, die von Milliarden von Muschelkrebsen hervorgebracht
wurden.
Ein einziger Netzzug ergab von einer Art (Pyrocypris Chierchiae Müller) 20,000 Individuen, denen sich aber noch viele einer
andern Art zugesellten. Im Glase sah er am Schwanzteil eine leuchtende Flüssigkeit austreten, ähnlich wie bei
den Sepien das Aufstoßen der schwarzen Farbe erfolgt, und wenn die Tiere sich bewegten, was meist im weiten Bogen erfolgt, erschienen
sie wie kleine Kometen, die einen leuchtenden Schweif hinter sich ziehen. Nach einem solchen Ausstoßen schienen die Tiere sich
wieder zu sammeln und standen als kleine leuchtende Punkte still, bis sie wieder eine Ladung des Leuchtstoffes
angesammelt hatten.
Die Menge demselben, welche von dem einzelnen Tiere ausgestoßen wurde, erschien im Verhältnis zu seiner Kleinheit und der
Erzeugungszeit enorm, bald war das Wasser davon so stark leuchtend, daß man dabei Geschriebenes lesen konnte, und ein mit
dem Finger auf harter Unterlage zerquetschtes Tier ergab denselben Effekt wie der Kopf eines Zündhölzchens,
welches man im Dunkeln zerquetscht. Müller vermutet übrigens, daß die leuchtende Flüssigkeit von der mit starken Drüsen
versehenen Oberlippe ausgeschieden wird, und daß der Anschein, sie ströme am Hinterteil aus, nur durch die Bewegung des
Tieres hervorgebracht wurde. Auch in andern Fällen, bei denen das Meer in besonders starkem Silberglanz
leuchtete oder, wie sich ein Beobachter ausdrückte, zu brennen schien, konnte die Ursache auf Cypridinenschwärme zurückgeführt
werden.
Über leuchtende Pilze sind in den letzten Jahren mehrere Arbeiten veröffentlicht worden. Sie teilen sich in zwei Klassen, solche,
bei denen nur das auf der Unterlage (Erde, Holz und andre vegetabilische oder tierische Substanzen) schmarotzende
Nährgewebe (Mycelium), und solche, bei denen der Fruchtkörper leuchtet. Die erstere Klasse ist bei uns stark vertreten und
bringt das Leuchten des faulen Holzes, von Rindenstücken, faulenden Blättern und Schwämmen sowie des Grubenholzes hervor,
an welchem das Mycel derbere Stränge bildet, die an den Spitzen leuchten.
Dieses Mycelleuchten ist bisher beim Hallimasch (Agaricus melleus), Holzkeulenpilz (Xylaria Hypoxylon), verschiedenen Rüblingarten
(Collybia tuberosa, cirrhata), beim Schwefelporling (Polyporus sulfureus) u. a. beobachtet worden. Pilze, bei denen der Hut
und der ganze oberirdische Körper phosphoresziert, finden sich mehr in wärmern Ländern, und in Neukaledonien
soll ein solcher von den jungen Mädchen als Haarschmuck bei ihren Nachtfesten benutzt werden. Als besonders hell leuchtende
Arten sind namentlich Blätterschwamm- (Agaricus-) Arten bekannt, wie A. olearius am Fuße der Ölbäume in den Mittelmeerländern,
A. igneus auf Amboina, A. noctilucens von Manila, A. Gardneri in Brasilien. Der erstgenannte ist Gegenstand
mehr
zahlreicher Untersuchungen von Delisle, Tulasne, Fabre und zuletzt von Arcangeli gewesen, woraus sich ergab, daß Hut, Lamellen,
Stiel und selbst das innere Gewebe in allen Entwickelungsstufen und weithin (ca. 11 m) erkennbar leuchten, und daß dieses
Leuchten von einem physiologischen Prozeß, wahrscheinlich der Atmung, herrührt und mit einer geringen Wärmeerhöhung
verbunden ist, die wahrscheinlich auf der Oxydation eines Eiweißstoffes beruht. Daher erklärt sich, daß das Leuchten in einem
Behälter mit Kohlensäure, Kohlenoxyd, Wasserstoff, Stickstoff etc. sowie in Wasser, welches durch Kochen von Luft befreit wurde,
rasch erlischt, in freier Luft aber nach dem Herausnehmen mit verstärkter Kraft wiederkehrt. Das Leuchten
beginnt bereits bei einer Lufttemperatur von 3-4°, erreicht bei 8-10° sein Maximum und wird durch Eintauchen in Wasser von
50° vernichtet.
Vgl. Gadeau de Kerville, Les animaux et les végétaux lumineux (Par. 1890);
Holder, Living lights (Lond.
1887).
[Phosphoreszenz der Leuchtkäfer.]
Langley hat das vom Cucujo (Pyrophorus noctilucus) ausgestrahlte Licht
hinsichtlich seiner Zusammensetzung mit dem Spektrophotometer und hinsichtlich seiner Wärmewirkung mit dem Bolometer untersucht.
Der Cucujo (s. Feuerfliege, Bd. 6) trägt drei leuchtende Flecke, zwei rundliche beiderseits auf der Oberseite des Brustschildes
und einen größern, heller leuchtenden an der Unterseite des Hinterleibes. Das kontinuierliche Spektrum des ausgestrahlten
Lichtes erstreckt sich vom Grünblau (Fraunhofersche Linie F) bis ins Orangerot (nahe der Linie C), erscheint
aber weitaus am hellsten im Gelbgrün (nahe bei E). Vergleicht man das Licht des Käfers mit Sonnenlicht, das bis zur gleichen
Gesamtlichtstärke abgeschwächt wurde, so erscheint dieses Gelbgrün weit heller als im Sonnenspektrum, obgleich sich letzteres
von hier aus nach beiden Seiten hin weiter ausdehnt.
Die Untersuchung der Wärmewirkung mit dem Bolometer ergab, daß das Licht des Leuchtkäfers keine unsichtbaren Wärmestrahlen
enthält wie dasjenige der gewöhnlichen Lichtquellen, und daß die geringe Wärmewirkung, die es hervorbringt, nur von der
Energie herrührt, welche den leuchtenden Strahlen selbst innewohnt. Da die Fläche des Bolometers, auf welche
die Strahlung wirkt, mit Ruß geschwärzt ist, der als völlig schwarzer Körper alle Strahlengattungen vollständig absorbiert
und ihre gesamte Energie in Wärme verwandelt, so sind die Bolometerangaben den an jeder Stelle des Spektrums vorhandenen Energiemengen
proportional. Errichtet man daher auf der Skala der Wellenlängen als Abscissenachse in jedem Punkte die
zugehörige, durch das Bolometer angegebene Wärmewirkung als Ordinate, so stellt die so gewonnene Kurve die Verteilung der
Energie im jeweils betrachteten Spektrum
anschaulich dar.
In dieser Weise zeigt in der beigegebenen
[* ]
Figur die Kurve A die Energieverteilung im Spektrum einer Gasflamme, die Kurve B
im Spektrum des Lichtes des Cucujo. Der sichtbare Teil, das Lichtspektrum, reicht nur von der Wellenlänge 0,4 μ bis
0,7 μ (μ = 1 Mikron = 0,001 mm), d. h. vom Violett bis Rot; von 0,76 μ bis 3,0 μ und noch weit darüber hinaus erstreckt
sich das Gebiet der unsichtbaren ultraroten Strahlen, welche nur Wärmewirkung, aber keine Lichtwirkung
hervorbringen.
Bei der Gasflamme gehört der weitaus größte Teil ihrer Strahlung dem letztern Gebiet an, mit einem Maximum bei 1,6 μ,
die Strahlung des Leuchtkäfers dagegen fällt ganz in das sichtbare Gebiet, mit dem Maximum bei 0,57 μ. Die Gesamtenergie
der ganzen Strahlung wird dargestellt durch die zwischen Abscissenachse und Energiekurve enthaltene Fläche.
Die auf der Ordinatenachse aufgetragene Skala der Energien ist so gewählt, daß in beiden Fällen die Gesamtenergie die nämliche
ist.
Während der Gipfel der Energiekurve der Gasflamme (bei 1,6 μ) nur bis 700 hinaufsteigt, müßte
die Energiekurve der Strahlung des Leuchtkäfers bis zum Teilstrich 3700 emporragen, so daß die letztere
Kurve in dem beschränkten Raume der Zeichnung nur zum kleinsten Teile Platz fand. Während bei der Strahlung des Leuchtkäfers
die gesamte Energie als Licht auftritt, wird von der Gasflamme nur 1 Proz. der Gesamtenergie als sichtbare Strahlung
ausgegeben, die übrigen 99 Proz. gehen als unsichtbare Wärme für den Beleuchtungszweck verloren.
Ähnliches gilt für alle unsre künstlichen Lichtquellen; wir vermögen industriell Licht nur zu gewinnen, indem wir den
größten Teil der disponibeln Energie in Form von dunkler Hitze vergeuden. Langley nennt daher das Licht des Leuchtkäfers,
wo die gesamte Energie der in seinem Leuchtorgan vor sich gehenden chemischen Prozesse in sichtbare Strahlung
umgesetzt wird, die wohlfeilste Form von Licht. Die Natur bringt dieses billigste Licht hervor um etwa den 400. Teil der Kosten
der Energie, die in einer Kerzenflamme verbraucht wird.
[* ] Das Photometer vom Prof. Leonhard Weber, welches zur Messung der Lichtstärke von Flammen, elektrischen Glühlichtern
etc. sowie zur Messung der durch Tageslicht oder künstliche Lichtquellen hervorgebrachten diffusen
Beleuchtung sehr geeignet ist, besteht aus einem horizontalen, festen Rohre A
[* ]
(Fig. 1) und aus einem beweglichen, rechtwinkelig
zu A drehbaren Rohre B. Das feste Rohr A wird von einer Säule getragen; an seinem
Ende rechts befindet sich ein durch Bajonettverschluß angesetztes Gehäuse für eine Benzinkerze, welches gegen den geschwärzten
Innenraum des Rohres A durch eine Glasscheibe abgeschlossen ist. Damit die Benzinflamme stets die gleiche Helligkeit bewahre,
wird ihre Höhe auf 20 mm geregelt. Innerhalb des Rohres A kann ein Ring, in welchem sich eine Milchglasplatte
befindet, durch den mit Trieb versehenen Knopf a hin und her bewegt werden, und ein mit dem Ringe verbundener Zeiger gibt auf
der an der Außenseite des Rohres A angebrachten Millimeterskala die Entfernung der Milchglasplatte von der Benzinkerze an.
Das Rohr B kann um reichlich 180° aus der in der
[* ]
Figur dargestellten Lage, in der sich das Okularende
unten befindet, gedreht und in jeder Stellung, deren Elevationswinkel an dem kleinen Gradbogen c abzulesen ist, durch eine
Bremsschraube festgestellt werden.
In der Mitte des Rohres B befindet sich ein Reflexionsprisma, dessen eine Kathetenfläche dem Rohre A, dessen andre dem
Okularteil des Rohres B zugewendet ist. Mittels dieses Prismas, welches übrigens nur die Hälfte des Querschnitts des Rohres
B ausfüllt, wird das aus A kommende Licht zum Okular hingelenkt. Das dem Okular gegenüberliegende Ende des Rohres B trägt
einen parallelepipedischen Blechkasten b mit einem Abblendungsrohr. In diesen Kasten können seitwärts
eine oder mehrere Milchglasplatten eingeschoben werden.
Das von hier zum Okular gehende Licht füllt die linke, das vom Prisma kommende die rechte Hälfte des Gesichtsfeldes aus. Eine
Blende mit ovalem Ausschnitt liegt nach der Okularseite quer vor dem Prisma, derart, daß die Prismenkante den Ausschnitt halbiert.
Sind die von A und B kommenden Lichtmengen bei gleicher Färbung an Intensität gleich, so verschwimmen
beide Hälften des Gesichtsfeldes bis auf eine kaum merkliche Trennungslinie in ein gleichmäßiges Feld. Soll nun die Lichtstärke
einer wenig ausgedehnten Lichtquelle, Flamme oder dgl. von gleicher Farbe mit dem Benzinlicht bestimmt werden, so wird das
Rohr B nach der Flamme gerichtet, in den Kasten b eine Milchglasplatte eingeschoben und die Entfernung R
(100-200 cm) in Zentimetern gemessen, sodann durch Drehen des Knopfes a die Milchglasplatte in A so lange verschoben, bis beide
Hälften des Gesichtsfeldes gleich hell erscheinen, und an der Skala die Entfernung r dieser Platte von der
Benzinflamme ebenfalls in Zentimetern abgelesen.
Die gesuchte Lichtstärke ist alsdann J = (R²/r²)C, wo C ein Konstante ist, welche für die in den Kasten b eingeschobene
Milchglasplatte oder für mehrere solcher Platten zusammen, falls dieselben bei großer Intensität der zu messenden Lichtquelle
erforderlich sind, ein für allemal ermittelt werden muß. Um diese Konstante zu bestimmen, stellt man,
wie soeben beschrieben, die als Lichteinheit gewählte Normalkerze (oder Hefnersche Amylacetatlampe) vor dem Rohre B auf, mißt
R, welches in diesem Falle nicht über 50 cm zu wählen ist, sowie r und findet dann, da jetzt J = 1 sein muß,
C = r²/R².
Ist die Farbe der zu messenden Lichtquelle von der Farbe des Benzinlichtes verschieden, so macht man zwei Messungen, in rotem
und in grünem Licht. Zu diesem Zwecke befindet sich an dem Okularteil ein in der
[* ]
Figur nicht angegebener Schieber mit roter
und grüner Glasplatte sowie einem offenen Ausschnitt, so daß nach Belieben mit natürlichem (weißem),
rotem oder grünem Lichte gemessen werden kann. Hat man in derselben Weise wie oben für rotes und für grünes Licht die
Resultate
J' und J'' berechnet, so findet man die gesuchte Lichtstärke, wenn man das für rotes Licht gefundene Resultat noch mit
einem Faktor K multipliziert, der von dem Verhältnis J'': J' abhängig ist und aus einer voraus berechneten Tabelle entnommen
werden kann;
derselbe ist für Flammen mit rötlicherm Licht kleiner als 1, für weißlichere Flammen größer als 1. Durch
die Messung der Lichtstärke von Flammen, Lampen etc. erfährt man direkt noch nicht, wie hell der von ihnen
beleuchtete Raum an seinen einzelnen Stellen ist.
Für die Beleuchtungstechnik ist es aber wichtig, die in einem beleuchteten
Raume wirklich vorhandene Helligkeit oder den Betrag des von einer Fläche zurückgestrahlten diffusen Lichtes unmittelbar durch
Messung festzustellen. Als Einheit für diese Helligkeit dient die Meterkerze, d. h. die Erleuchtung, welche
die als Lichteinheit gewählte Normalkerze auf einer Fläche, die ihr im Abstand von 1 m senkrecht gegenübergestellt ist,
hervorbringt. Um irgendwo in einem Raume die daselbst vorhandene Helligkeit mit dem Weberschen Photometer zu finden, stellt
man an die betreffende Stelle eine mattweiße Tafel, richtet das Rohr B darauf und stellt durch Drehen des
Knopfes a die Gleichheit der beiden Hälften des Gesichtsfeldes her.
Ist r die Ablesung am Zeiger (in Zentimetern), so ist die gesuchte Helligkeit H in Meterkerzen H = 10000/r².C', d. h. die
Anzahl Normalkerzen, welche man der Fläche im Abstand von 1 m gegenüberstellen müßte, um die gleiche
Helligkeit zu erzeugen. Die Konstante C' wird ein für allemal dadurch bestimmt, daß man in einem sonst völlig dunkeln Raume
der weißen Fläche eine Normalkerze in 1 m Entfernung senkrecht gegenüberstellt und die Bestimmung der Helligkeit wie vorher
durchführt. Da jetzt H = 1 ist, findet man C' = r²/10000. Statt der weißen Tafel kann man auch eine
unmittelbar vor das Rohr B geschobene, matte Milchglasplatte benutzen und das Instrument so aufstellen, daß diese Platte an
die Stelle kommt, deren Helligkeit gemessen werden soll. Die Berechnung der Helligkeit erfolgt dann nach derselben Formel wie
vorhin, nur daß die Konstante C' jetzt einen andern, für die angewendete Platte besonders zu bestimmenden
Wert hat.
Das in der photometrischen Praxis am weitesten verbreitete Bunsensche Fettfleckphotometer hat den Übelstand, daß jedes der
zu vergleichenden beiden Felder nicht bloß von einer, sondern gleichzeitig von beiden Lichtquellen Licht empfängt, weil der
gefettete Teil des Papiers immer noch Licht reflektiert und der nichtgefettete Teil noch Licht durchläßt.
Um diesen Übelstand zu beseitigen, haben Lummer und Brodhun den Fettfleck durch folgende rein optische Vorrichtung ersetzt.
In
[* ]
Fig. 2 ist B ein gewöhnliches totalreflektierendes Prisma mit genau ebener Hypotenusenfläche, während bei Prisma A nur
die kleine Kreisfläche cd absolut eben ist, der übrige Teil dagegen eine Kugelzone bildet.
Die beiden Prismen sind bei cd so innig aneinander gepreßt, daß alles auf diese Berührungsfläche fallende Licht vollständig
hindurchgeht. Das Auge in O wird also Licht von L her nur durch die Berührungsfläche c d hindurch erhalten,
dagegen von R her nur diejenigen Strahlen, welche an den frei gebliebenen Teilen der ebenen Hypotenusenfläche total reflektiert
werden. Sind L und R diffus leuchtende Flächen, so erblickt das auf cd eingestellte Auge einen scharf begrenzten hellen oder
dunkeln elliptischen Fleck in einem gleichmäßig
mehr
erleuchteten Felde, welcher bei Gleichheit der Beleuchtung der Flächen L und R vollkommen verschwindet. Die
[* ]
Fig. 3 zeigt von
oben gesehen die Anordnung des mit dieser Vorrichtung ausgestatteten Photometers. Lotrecht zur Achse der Photometerbank pq, längs
welcher die zu vergleichenden Lichtquellen meßbar verschoben werden können, steht der auf beiden Seiten
mit weißem Papier überzogene, undurchsichtige Schirm S. Das diffuse, von diesem Schirme beiderseits ausstrahlende Licht fällt
auf die Spiegel C und D, welche es senkrecht auf die ihnen zugewendeten Kathetenflächen der Prismenkombination AB werfen.
Der Beobachter bei O stellt mittels der Lupe l scharf auf die Fläche cd ein. Die Lummer-Brodhunsche Prismenkombination
kann auch in dem Weberschen Photometer an Stelle des dortigen Prismas angebracht werden.
(spr. -tschai), Luigi, Graf, ital. Patriot, geb. 1810 zu Rom, studierte Jurisprudenz und trat in den päpstlichen
Dienst bei der Zollverwaltung, gab aber seine Stellung 1845 auf, um sich an der nationalen Bewegung Italiens
zu beteiligen. Er veröffentlichte 1847 eine Schrift über die Reform der Gefängnisse und war 1848 Gonfaloniere in Spoleto,
in welcher Stellung er, als der erste im Kirchenstaat, namens der von ihm verwalteten Stadt die Forderung nach
konstitutioneller Regierung und Vertreibung der Jesuiten erhob.
Darauf beteiligte er sich an der venezianischen Revolution, demnächst 1849 an der römischen Erhebung, indem er als Mitglied
der verfassunggebenden Versammlung für die Proklamierung der Republik wirkte und an den Kämpfen um Bologna, Rimini und Urbino
teilnahm. Im Verlauf der Kämpfe dieses Feldzugs wurde Pianciani von den Franzosen gefangen genommen und nach Beendigung
des Krieges zwar freigelassen, aber von der Amnestie ausgeschlossen. Er begab sich nach Paris, wo er mit Mazzini Freundschaft
schloß, und dann nach England, wo er mit Wort und Schrift, insbesondere durch sein bedeutendes dreibändiges Werk »Rome des
papes« (1859), für die italienische Sache wirkte. 1859 ging er nach der Schweiz, wollte aber wegen des
Bündnisses mit Napoleon an dem Kriege gegen Österreich nicht teilnehmen und trat erst 1860 thatkräftig in die Bewegung Garibaldis
ein, dem er eine Brigade nach Sizilien zuführte. 1861 ließ er sich in Spoleto nieder, 1865 wurde er in
die Deputiertenkammer gewählt, wo er sich der Linken anschloß. 1867 nahm er an Garibaldis Feldzug, der bei Mentana endigte,
teil. In der Kammer hat er wiederholt das Amt eines Vizepräsidenten bekleidet, war auch zeitweise Bürgermeister von Rom und
Präsident des Provinzialrats von Perugia. Pianciani starb im Oktober 1890.
1) Allard, niederländ. Theolog und Schriftsteller, geb. zu
Amsterdam, promovierte in Utrecht mit der Abhandlung »De realismo et nominalismo« zum Doktor der Theologie, wurde 1870 Professor
an der Universität Heidelberg und ist seit 1877 Professor der Kunstgeschichte an der Universität seiner Vaterstadt. Von seinen
zahlreichen Schriften sind anzuführen: »Intimis.
Mededeelingen« (6. Aufl., Amsterd.
1881);
»Rigting en leven« (2. Aufl., Haarl.
1883);
»Geschiedenis van het Katholicisme« (das. 1865-72,4
Bde.);
»Een studië over de geschriften van Israëls profeten« (Amsterd. 1877);
»Studiën over Joh. Kalvyn« (das. 1880, neue
Folge 1883);
»Verisimilia« (das. 1886);
»Geestelijke voorouders« (Israel, Hellas, Rom etc., Harl. 1888 ff.).
Auch veröffentlichte er einen Band »Gedichten« (Haarl. 1882) und eine
metrische Übersetzung der »Orestie« des Äschylos (Haag 1882).
2) Nicolaas Gerard, niederländ. Nationalökonom, Bruder des vorigen, geb. zu Amsterdam, wurde 1868 Direktor der niederländischen
Bank, dann, nachdem ihn die Universität Leiden 1875 zum Ehrendoktor ernannt hatte, 1877 Professor der Nationalökonomie
an der Universität Amsterdam und ist seit 1885 Präsident der niederländischen Bank. Er schrieb außer zahlreichen wissenschaftlichen
Aufsätzen und Abhandlungen: »De toekomst der Nederlandsche bank« (Haarl. 1863);
»Het kultuurstelsel«, 6 Vorlesungen (Amsterd.
1868; 2. Aufl. u. d. T.: »Koloniale
politiek«, 1877);
»Grondbeginselen der staathuishoudkunde« (Haarl.
1875-76,2 Tle.; 2. Aufl. 1886 ff.) u.
das größere systematische »Leerboek der staathuishoudkunde« (das.
1884-90,2 Tle.).
vonFriedenthal, Felix, Freiherr, österreich. Handelsminister, geb. zu
Wien aus einer alten, ehemals lombardischen Adelsfamilie, trat nach zurückgelegten Studien in den Staatsdienst ein,
war von 1861 bis 1868 Provinzialdelegat in Belluno und Treviso, dann Bezirkshauptmann in Baden und Görz. 1871 wurde er Landespräsident
der Bukowina, 1874 Statthalter in Triest, 1879 in Oberösterreich, 1881 Handelsminister im Kabinett Taaffe. Als solcher hat er
große Regsamkeit entwickelt und die Verstaatlichung der Privateisenbahnen, die Einrichtung des Postsparkassenwesens,
die Abänderung der Gewerbeordnung, allerdings auch die Tschechisierung mehrerer böhmischer Handelskammern durchgeführt.
Seine ungeordneten finanziellen Verhältnisse, welche ihn mit unlautern Elementen in Verbindung brachten, hatten 1886 seine
Entlassung zur Folge. Nachdem er noch einige Jahre als Landespräsident in der Bukowina zugebracht hatte, mußte er 1890 wegen
zunehmenden Augenleidens gänzlich aus dem Staatsdienst scheiden.
(spr. -ssí), Aimé, der Urheber der Karte von Chile, geb. 1812 im französischen Departement Ober-Loire, studierte
auf der polytechnischen Schule zu Paris, bestand die Prüfung an der Bergakademie und wurde darauf nach Brasilien gesandt, um
naturwissenschaftliche Sammlungen für das Pariser Museum zu machen. Ein Versuch, die Karte Bolivias im Auftrag
der dortigen Regierung aufzunehmen, scheiterte an den fortgesetzten Unruhen. Er ging deshalb nach Chile, wo er einen gleichen
Auftrag erhielt und in den Jahren 1848-76 denselben durchführte. So viele Fehler seine Karte auch enthalten mag, so bildet
sie doch bis heute die Grundlage für jede kartographische Darstellung des Landes. 1870 und 1877 bereiste
er Atacama, 1874-76 schrieb er in Paris
mehr
eine »Jeografia fisica de Chile«. Zuletzt Vorstand der geographischen Abteilung des statistischen Amtes in Chile, starb er in
Santiago.
Maximilian Franz Ferdinand, Freiherr von, österreich. Vizeadmiral, geb. zu
Graz, befehligte als Fregattenkapitän (seit 1861) in der Schlacht bei Lissa die Schraubenfregatte
Donau, ward nach dem Krieg Adjutant bei der Marinetruppen- und Flotteninspektion, 1869 Kommandant der Schraubenkorvette Erzherzog
Friedrich, 1870 Linienschiffskapitän, 1871 Vorstand der Präsidialkanzlei der Marinesektion, 1882 Konteradmiral, 1884 unter
Erhebung in den Freiherrenstand Eskadrekommandant, 1885 Präses des marinetechnischen Komitees, 1886 Hafenadmiral und Festungskommandant
in Pola, 1888 Vizeadmiral.
Giuseppe, ital. Schriftsteller, einer der bedeutendsten
Vertreter der wissenschaftlichen Volkskunde, geb. zu Palermo, wo er Medizin studierte, kurze Zeit eine Lehrerstelle
bekleidete und noch jetzt seinen ständigen Wohnsitz hat. Außer seinem Jugendwerk »Profili biografici« (1864 u.
1868,2 Bde.) und verschiedenen Aufsätzen in italienischen Zeitschriften und in der »Revue des questions
historiques« veröffentlichte er eine Menge von Einzelschriften und Zeitschriftenartikeln zur Volkskunde Italiens und besonders
Siziliens.
Das Hauptwerk seines Lebens aber bildet die »Biblioteca delle tradizioni popolari siciliane«,
eine umfangreiche Darstellung von Sitten, Gebrauchen, Aberglauben, Volksbelustigungen, Kinderspielen, Sprichwörtern und Volkslitteratur
seiner Heimatsinsel in 18 Bänden (Palermo 1870-88). Pitré hat 1868 im Verein mit Salomone-Marino und Di Giovanni
die »Nuove Effemeridi siciliane« gegründet, und seit 1882 gibt er im Verein mit Salomone-Marino das »Archivio per lo studio
delle tradizioni popolari« heraus, von dem bisher acht Jahrgänge erschienen sind. Auch machte er sich durch Herausgabe
einer Bibliographie der italienischen Folklorelitteratur (Turin 1891) verdient.
Karl Paul, Edler von der, sächs. General und Kriegsminister, geb. 1837 zu Hohengrün bei
Auerbach, trat 1853 als Avantageur in die königlich sächsische Artillerie ein, wurde 1856 Leutnant, 1865 Premierleutnant, machte 1866 den
Krieg in Böhmen mit, wurde 1867 Hauptmann und Adjutant des Kronprinzen Albert, war 1870 im Kriege gegen Frankreich dem Generalstab
des 12. deutschen Armeekorps, dann der Maasarmee zugeteilt und wurde 1873 zum Major befördert sowie zum
sächsischen Militärbevollmächtigten in Berlin ernannt. Nachdem er 1879 zum Oberstleutnant und 1882 zum Obersten befördert
worden, wurde er 1883 zum Chef des Generalstabs des sächsischen Armeekorps, 1888 zum Generalmajor, 1889 zum Kommandeur der 45. Infanteriebrigade
und im April 1891 nach dem Tode des Grafen Fabrice unter Beförderung zum Generalleutnant zum Staats- und
Kriegsminister ernannt.
sind im J. 1890 zu den in Band 17 verzeichneten noch folgende entdeckt worden: 288 Glauke von Luther in Düsseldorf 20. Febr., 289 Nenetta
von Charlois in Nizza 10. März, 290 Bruma von Palisa in Wien 20. März, 291 Alice und 292 Ludovica ebenfalls von
Palisa 25. April, 293 Brasilia von Charlois in Nizza 20. Mai, 294 Felicia von demselben 15. Juli, 295 Theresia von Palisa in Wien 17. Aug., 296 von
Charlois in Nizza 19. Aug., 297 und 298 von demselben 9. Sept., 299 von Palisa in Wien 7. Okt., 300 von Charlois in
Nizza 3. Okt., 301 von Palisa in Wien 16. Nov., 302 von Charlois in Nizza 14. Nov., ferner im J. 1891: 303 von Charlois in Nizza 11. Febr., 304 von
Millosevich in
Rom 13. Febr., 305 von Palisa in Wien 15. Febr. und 306 von Charlois in Nizza 16. Febr.
[* ] (Abstammung). Die schon im Altertum bekannte und in einigen Teilen Südeuropas sowie in Kleinasien, Armenien,
Persien und Indien wild wachsende orientalische Platane (Platanus orientalisL.) unterscheidet sich von ihrer seit 1640 in
Europa eingeführten, amerikanischen Verwandten (PlataneoccidentalisL.) durch größere
Borkenschuppen und durch tiefer eingreifende Buchtung des meist fünflappigen Blattes, welches bei der amerikanischen Art
in der Regel fünfeckig mit drei schwachen Lappen erscheint.
Seitdem eine größere Zahl lebender und fossiler Platanenarten bekannt wurde, unter letztern z. B.
aus Miocänschichten:
Plataneaceroides Göpp. (Italien, Schweiz, Frankreich, Österreich, Ungarn, Japan, Spitzbergen,
Grönland und Nordamerika) und PlataneGuillelmae Göpp. (Europa, Asien, Polargegenden und Vereinigte Staaten), aus Eocänschichten
Amerikas:
PlataneHaydeni Newb.
und Raynoldsi Newb.
und aus der Kreide:
Plataneprimaeva Lesqrx. und Platane Newberryana
Heer, wurde allmählich die Frage nach der stammverwandtschaftlichen Stellung aller dieser ziemlich ähnlichen Arten untereinander
sowie zu den lebenden eine brennende; höchst auffallend erschien es schon vom pflanzengeographischen Standpunkt aus, daß
zwei nahverwandte Formen, wie die orientalische und die amerikanische Platane, auf zwei durchaus getrennten Wohngebieten auftreten.
Der Grund dieser Erscheinung konnte nur durch genaue Vergleichung der lebenden mit den ausgestorbenen Arten ermittelt werden.
Eine kritische Bearbeitung sämtlicher über die Platane vorliegender, paläontologischer und
botanischer Untersuchungen hat neuerdings Janko unternommen, wobei er zunächst auf die sehr verschiedenen Blattformen seine
Aufmerksamkeit richtete, welche die europäische Platane im Laufe der Vegetationszeit an beständig neu sich bildenden Ästen als
Erstlingsblätter hervorbringt; er fand an den Frühlingstrieben vorwiegend solche astbeginnende Blattformen,
welche bei einigen der ältesten fossilen Arten vorherrschen, an den Sommertriebe ferner solche, die denen jüngerer Formationen
ähnlich sind, und erst an den Herbsttrieben vorwiegend die für die Art charakteristischen Erstlingsblätter.
Für die genauere Unterscheidung der Arten ist ferner die Nervatur, die Lappenbildung und Buchtung der Blattfläche, die
Form des Blattgrundes und die Art der Zähne von großer Bedeutung. Nach der Nervatur sind Blätter mit 1,3 oder 5 Hauptnerven
zu unterscheiden, von denen die erste Form für die astbeginnenden Blätter der Frühlingstriebe, die zweite für die der
Sommer- und die dritte für die der Herbsttriebe kennzeichnend ist; die ein- und dreinervigen Blätter
treten in der Kreide- und der ältern Tertiärzeit auf, am Ende des Miocän entwickelte sich die fünfnervige Form und diese
herrscht in der Gegenwart bei den Arten der Alten Welt, während die dreinervige bei den lebenden amerikanischen dominiert.
Die Lappenform des Blattes kann an den Frühjahrstrieben völlig fehlen oder nur schwach angedeutet sein,
die dreilappige Form mit
mehr
stumpfern, seichten Buchten herrscht bei den Sommerblättern, die fünflappige mit spitzern, tiefen Buchten an den Herbsttrieben;
dementsprechend tritt die lappenlose Form vorwiegend in der Kreideperiode auf und wird am Ende derselben selten, wiederholt
sich aber bei den tertiären und lebenden Arten besonders an den astbeginnenden Blättern. Die dreilappige Form mit
Buchten ersten Grades tritt zuerst am Ende der Kreideperiode, mit Buchten zweiten Grades im Eocän, in noch jüngerm Tertiär auch
schon mit Buchten dritten Grades auf; in der Gegenwart charakterisieren die drei Lappen mit Buchten zweiten Grades die amerikanischen
Arten.
Die fünflappige Form erscheint zuerst im Miocän mit Buchten zweiten Grades und erreicht ihre höchste
Entwickelung gegenwärtig bei den orientalischen Arten. Der Blattgrund ist an den frühzeitigen Trieben keilförmig oder abgerundet,
bei den ältern abgeschnitten, ausgeschnitten oder herzförmig; die Keilform charakterisiert dementsprechend die Arten der
Kreide und des Eocän; im Miocän treten schon die sämtlichen, höher entwickelten Formen des Blattgrundes
auf, um in der Gegenwart bei den orientalischen Arten die höchste Stufe zu erreichen.
Bezüglich der Bezahnung sind primäre, d. h. von den primären Seitennerven gebildete, und
sekundäre Zähne zu unterscheiden; letztere bilden sich bei unsrer Platane nur selten aus, treten wenig hervor und verschwinden
bald wieder; ihre Zähne sind also ungleichwertig, wie dies bei den lebenden amerikanischen u.
einigen ausgestorbenen Arten der herrschende Fall ist. Der Besitz primärer und sekundärer, aber gleichwertiger Zähne zeichnet
einige ältere fossile Arten (Platane Newberryana, Raynoldsi, marginata und Guillelmae) aus und stellt also einen ausgestorbenen
Charakter des Platanenblattes dar.
Auf Grund einer genauen Analyse aller dieser Merkmale bei den lebenden und fossilen Formen entwarf Janko
nun folgendes Bild von der phylogenetischen Entwickelung der Platane. Sie treten in der Kreide Amerikas und Grönlands zuerst mit drei
Arten: Platane primaeva, Heeri und Newberryana, auf, von denen die beiden ersten, mit primären Blattzähnen versehenen zu einander
in näherer Beziehung stehen als zur dritten, welche eine gemischte, gleichwertige Bezahnung der Blätter
besaß;
Platane Heeri überlebte die Kreideperiode übrigens nicht. Im Eocän entwickelte sich aus Platane primaeva als älteste Form
Platane rhomboidea mit dreinervigen und dreilappigen Blättern, aber Buchten ersten Grades, dann folgte Platane Haydeni mit Buchten ersten
und zweiten
Grades;
Platane Newberryana setzte sich in Platane Raynoldsi fort, die ebenfalls gleichartige, primäre
und sekundäre Blattzähne hatte.
Aus Platane Haydeni, welche in der Bezahnung variierte, gingen weiter die eng miteinander verwandten
Platane aceroides und Guillelmae hervor, deren weite, einen großen Teil Amerikas und Eurasiens umfassende Verbreitung oben erwähnt
wurde; bei erstgenannter Art fixierte sich die ausschließlich primäre, bei letzterer die gemischte
Bezahnung. Im Miocän entstand aus Platane Guillelmae als Nebenform mit ungeteilten Blättern Platane marginata, während
die weitverbreitete Platane aceroides nach der Trennung des Territorialzusammenhanges zwischen Amerika und Eurasien sich in zwei
Äste, einen amerikanischen und einen europäisch-orientalen, spaltete; ersterer entwickelte in Kalifornien
die Varietäten dissecta und appendiculata, letzterer die nur aus einem einzigen fossilen Blattrest bekannte Platane academiae
in Toscana.
Die besonders in den Polargegenden verbreiteten Platane Guillelmae und marginata starben dann infolge klimatischer
Änderungen aus; ebenso erging es den tertiären Platanenwäldern Deutschlands, Frankreichs, Italiens, der Schweiz und der
Balkanhalbinsel; nur in einigen Teilen Kleinasiens und auf mehreren Inseln des Mittelmeers blieb die europäische Stammform der
Platane erhalten. Der nordamerikanische Platanenstamm war jedoch zäher als der europäische; Platane aceroides
fand ihre direkte Fortsetzung in Platane occidentalis, welche in den mexikanischen Gebirgen die dort endemische Platane mexicana erzeugte,
während die Varietät dissecta sich in Kalifornien zu racemosa und die Form appendiculata in Mexiko sich
zu Lindeniana entwickelte. In Eurasien entstanden aus Platane aceroides zwei Stämme, von denen der eine in Südeuropa die dreilappige
Varietät cuneata und die fünflappige insularis und der andre im Kaukasus und in Lycien die großblätterige, schwachgezahnte
Form caucasica bildete.
In der Kultur entwickelten sich noch die der letztgenannten Varietät entsprechende acerifolia, ferner die den Typus von Platane occidentalis
nachahmende pyramidata und die das Platanenblatt auf höchster Stufe der Formentwickelung zeigende flabelliformis, während
in Spanien aus Platane occidentalis die merkwürdige, die amerikanische Formenreihe zum Abschluß bringende var.
hispanica mit ebenfalls fünflappigen Blättern, aber kleinen, stumpfen Lappen entstand. Der genetische Zusammenhang zwischen
sämtlichen ausgestorbenen und lebenden Platanenarten erhellt aus obigem Stammbaum.
Die oben aufgeworfene Frage nach dem Verhältnis der amerikanischen und europäisch-asiatischen Platane erscheint somit gelöst;
sie laufen in eine durch einen großen Teil der Tertiärzeit zu verfolgende und während derselben außerordentlich verbreitete
Stammform (Platane aceroides) zusammen, welche ihrerseits wieder zu einer eocänen (Platane Haydeni) und diese
zu einer kretaceischen Art (Platane primaeva) in deutlichem Abstammungsverhältnis steht. Die
Platanen liefern auf diese Weise ein neues und höchst einfaches Beispiel für eine Stammentwickelung, die sich in der Mehrzahl
ihrer Glieder durch mehrere geologische Formationen bis zur Gegenwart verfolgen läßt und die lebenden Arten in unleugbare
genetische Beziehungen zu den ausgestorbenen setzt. Zugleich bietet das Auftreten allmählich in der
Form weiter fortschreitender Blätter an den Frühlings-, Sommer- und Herbsttrieben unsrer europäischen eine abkürzende Wiederholung
der gesamten Stammgeschichte der Art dar,
Vgl. Janko, Abstammung der Platane (in Englers »Jahrbüchern für Systematik, Pflanzengeschichte
und Pflanzengeographie«, Bd. 11).
Samuel, engl. Philanthrop, geb. zu Bristol, trat daselbst bei einer Brauerei
in Dienste, verlor 1854 in London sein erspartes Vermögen durch Errichtung eines selbständigen Kohlengeschäfts, das nicht
rentierte, arbeitete sich aber unter vielen Entbehrungen wieder empor und begründete ein zweites Kohlengeschäft, das sich
behauptete. Schon früh hatte er sich für die Mißstände in der englischen Seeschiffahrt interessiert
und schilderte nun in dem Buche »Our seamen« (1873) die Gefahren für Leben und Eigentum der Seeleute, die durch die Gewissenlosigkeit
der englischen Reeder, welche wissentlich unbrauchbare, nicht seetüchtige Schiffe, die sie hoch versichert hatten, auslaufen
ließen, verursacht wurden. 1871-80 Mitglied des Parlaments für Derby, trat er in diesem entschieden und
hartnäckig für den Schutz der Schiffsmannschaften gegen den schändlichen Eigennutz der Reeder auf und erwirkte mehrere Gesetze
zu diesem Behuf. Unablässig war er bemüht, sich durch Reisen nach allen Häfen der britischen Inseln und der Kolonien über
die Verhältnisse der Matrosen zu unterrichten und weiter für ihr Wohl zu wirken. 1890 trat er entschieden
gegen die Mißhandlung des Viehes auf den Cattleships, welche lebendige Ochsen von Amerika nach England bringen, auf.
David Robert, engl. Staatsmann, geb. 1838 als dritter Sohn des dritten
Barons Plunket, erzogen im Trinity College zu Dublin, wurde 1862 Rechtsanwalt daselbst und 1868 zum königlichen
Justizrat (Queens-Counsel) ernannt. 1868 war er kurze Zeit Rechtsbeistand der Krone in Irland, 1870 wurde er für die Universität
Dublin ins Unterhaus gewählt und trat der konservativen Partei bei. Er war vom Januar 1875 bis März 1877 Solicitor-General für
Irland und im März 1880 einige Wochen lang Generalzahlmeister; 1885 in Lord Salisburys erstem Kabinett wurde
er zum Oberkommissar der öffentlichen Arbeiten ernannt und bekleidet das gleiche Amt seit August 1886 auch unter der jetzigen
Regierung.
Theodor, Männergesangskomponist, geb. zu München, Schüler von Rheinberger und Wüllner, war Organist
und Dirigent mehrerer Gesangvereine in München, mußte aber wegen eines nervösen Ohrenleidens von der
Leitung der Vereine zurücktreten;
er lebt in München. Podbertsky schrieb Männerchöre mit und ohne Orchester (»Rotbart«, »Die
Wasserfee« etc.), auch die Musik zu mehreren
Volksstücken von H. Schmid und Max Schmidt.
Friedrich, Schulmann, geb. zu Flarchheim (Kreis Langensalza), besuchte 1849-1855
das Seminar zu Erfurt, war danach Lehrer zu Schierschwenda und Kammerforst, nach bestandener Rektoratsprüfung 1869-71 Lehrer
der Mittelschule zu Erfurt, dann Rektor einer Volks-, später Mittelschule zu Nordhausen und wurde 1876 zum Kreisschulinspektor
in Worbis ernannt. Polack ist Verfasser einer Anzahl weitverbreiteter pädagogischer Lehr- und Handbücher:
»Geschichtsbilder« (13. Aufl., Gera 1891);
»Geschichtsleitfaden für Bürger- und Mittelschulen« (mit Sattler, 11. Aufl., das.
1888);
»Illustrierte Naturgeschichte der drei Reiche« (mit Machold, 7. Aufl.,
Wittenb. 1891,2 Bde.);
»Aus deutschen Lesebüchern« (mit Dietlein, Frick, Machold, Richter; Gera, seit 1880,
bisher 5 Bde.).
Auch veröffentlichte er die Märchensammlung: »Aus der Jugend für die Jugend« (illustriert von Rancillio,
Wittenb. 1889),
die gemütvollen autobiographischen Skizzen: »Aus meiner Jugendzeit«, »Aus
meiner Schülerzeit« (das. 1888) und die auch ins Französische übersetzten »Brosamen« (4. Aufl.,
das. 1890,3 Bde.),
die besonders seinen Namen in der deutschen Lehrerwelt bekannt gemacht haben.
Peter, kleinruss. (ruthenischer) Schriftsteller, geb. 1863 als Sohn eines unierten Pfarrers zu Jablonkanizma,
einem Dorfe der galizischen Karpathen, besuchte das Gymnasium zu Sambor und studierte an der theologischen Fakultät zu Lemberg,
die er 1884 absolvierte, lebt als Redakteur einer kleinrussischen Zeitschrift in Lemberg. Seine Romane und
Novellen, die mit Vorliebe das Volksleben der Kleinrussen, der Huzulen und Lemken darstellen, sind von einem gesunden Realismus
und der leidenschaftlichsten Hingabe an die Heimat durchdrungen.
Doch greift er gelegentlich auch nach dem benachbarten Halbasien, nach der Moldau, Bulgarien und Serbien hinüber. Von der großen
Zahl dieser Erzählungen seien erwähnt: »Der karpathische Töpfer«, »Roxolanes Rache«, »Memoiren eines galizischen Geistlichen«,
»Moldauische Novellen«, »Sklave und Tyrann«, sämtlich in kleinrussischer Sprache. Polanski übersetzte auch Byrons »Korsar« und Gedichte
von Schiller, Burns, Thomas Moore ins Kleinrussische. Ausgewählte Erzählungen von ihm erschienen unter dem Titel: »Karpathische
Novellen« (Leipz. 1888,2 Bde.).
Veränderungen in der Polhöhe können hervorgerufen werden, indem die Lage der Rotationsachse in der Erde selbst
eine andre wird, oder indem die Richtung der Lotlinie sich ändert. Für erstere sind die Vorbedingungen gegeben, wenn die
Rotationsachse nicht genau mit der sogen. Hauptträgheitsachse zusammenfällt, indem sich dann
eine zehnmonatliche Periode der Schwankung ergeben muß, für letztere, wenn Hebungen und Senkungen der
Erdoberfläche, Massenverschiebungen im Innern vor sich gehen.
Während sich Polhöhenveränderungen, welche die erstere Ursache haben, auf der ganzen Erdoberfläche zeigen müssen, werden
die andern im allgemeinen nur in den Gegenden eintreten, wo solche lokale Vorgänge statthatten, vorausgesetzt,
daß letztere nicht so bedeutend waren, daß sie auf die Lage der Umdrehungsachse Einfluß haben konnten. Es fragt sich nun,
ob diese Ursachen angenommen werden können. Prinzipiell ohne Zweifel, aber es bleibt zu untersuchen, ob wir solche Vorgänge
in so hohem Betrag annehmen dürfen, daß die Wirkungen, Veränderungen in
mehr
der Polhöhe, durch die Beobachtungen nachweisbar sind. Die Berechnung läßt sich nur unter gewissen Voraussetzungen führen. Nimmt
man an, daß die Erde ein starrer Körper sei, so wird nach den Untersuchungen G. Darwins eine kaum im Jahrhundert sicher bemerkbare
Veränderlichkeit so enorme geologische Massenverschiebungen fordern, wie sie die thatsächlich zu beobachtenden
weit überschreiten. Nimmt man aber an, daß die Erde flüssig oder im Innern flüssig sei oder einen gewissen Grad von Plastizität
besitze, so müssen die Verhältnisse sich ganz anders gestalten.
Alsdann werden die das gewöhnliche Maß nicht überschreitenden geologischen Änderungen genügend sein, um säkulare Änderungen
in der Lage der Pole von einigen Sekunden zu erklären. Dann gewinnen auch die meteorologischen Vorgänge
hierfür Bedeutung. Helmert hat zwar berechnet, daß irreguläre Schwankungen der Erdachse aus meteorologischen Prozessen
zu erklären kaum für mehr als wenige Hundertstel Bogensekunden zulässig sei; W. Thomson gibt hierfür 0,5 Sekunde. Tisserand
gibt in der eben erschienenen »Mécanique céleste«
(Bd. 2) darüber folgendes an: Wenn man von der mittlern Breite +45° bis zur mittlern Breite -45° eine Wassermasse von 0,10
m Dicke, die den zehnten Teil der Erdoberfläche bedeckt, transportierte, so würde die Hauptachse um 0,16'' abweichen;
es entspricht dem Gewicht einer Wassersäule von 0,10 m das einer Quecksilbersäule von
0,007 m, so daß also eine merkbare Änderung des Barometerstandes in weiter Ausdehnung ähnliche Wirkungen zur Folge haben
könnte. Es wurde bereits in den 20er Jahren nach dem Nachweis der zehnmonatlichen Periode gesucht, ebenso in den letzten Jahrzehnten
nach etwanigen säkularen Schwankungen, indessen stets ohne Erfolg.
Die vielfach angeführte Abnahme
der geographischen Breiten, die an verschiedenen Sternwarten, z. B. Mailand, Neapel, Greenwich, Königsberg, Washington, Paris, beobachtet
worden sein sollte, ist in keinem Falle als erwiesen anzusehen. Entweder lassen die ältern Beobachtungen zu große Unsicherheiten
erkennen, oder es sind auch die neuern durch Fehlerquellen, insbesondere Refraktion, mehr oder minder zweifelhaft
geworden. Fanden somit die als möglich angenommenen Veränderungen keine zahlenmäßige Bestätigung, so war damit die Frage
doch noch keineswegs in negativem Sinn entschieden, und sie verschwand nicht aus dem Arbeitsprogramm gewisser Sternwarten sowie
aus den Verhandlungen der internationalen Erdmessung.
In der allgemeinen Konferenz der Gradmessung in Rom von 1883 brachte der italienische Astronom Fergola einen
von allen Delegierten angenommenen Antrag ein, wonach mehrere Sternwartenpaare der nördlichen und südlichen Hemisphäre,
die unter möglichst gleicher geographischer Breite und verschiedenen Meridianen liegen, aufgefordert werden sollten, nach
gemeinsamem Programm während einer längern Reihe von Jahren Polhöhenbestimmungen auszuführen. Hierdurch mußte unzweifelhaft
die für jede auf die Erforschung der Erde Bezug habende Wissenschaft so ungeheuer wichtige Frage der Veränderlichkeit
der Polhöhe, möge sie nun sich in zehnmonatlicher Periode oder in langen Zeiträumen, ja selbst in unregelmäßigen Intervallen
vollziehen, zur Entscheidung gebracht werden. Einen Erfolg hat aber dieser Antrag anscheinend nicht gehabt.
Im J. 1884 unternahm Küstner an der Berliner Sternwarte eine Neubestimmung der Aberrationskonstante und
fand einen Wert, der allen seitherigen Annahmen widersprach, außerdem traten zwischen den Frühjahrsbeobachtungen
1884 und 1885 Unterschiede
hervor, die eigentlich nur dadurch erklärt werden konnten, daß innerhalb dieser Zeit die geographische Breite eine merkbare
Änderung erfahren habe. Unter diesen Annahmen ließ sich auch der rätselhafte Wert der Aberrationskonstante
erklären. In Pulkowa waren von 1882 bis 1885 zahlreiche genaue Polhöhenbestimmungen angestellt worden, und während bis
Mitte 1884 die gefundenen Resultate eine ausgezeichnete Übereinstimmung zeigten, trat von Ende d. J. bis Anfang 1885 eine
um so auffallendere Abnahme der Polhöhe zu Tage, als sie der Größe nach genau mit der Küstnerschen Annahme
für die Änderung der Berliner Breite übereinstimmte.
Da man nun auf die Frage von neuem aufmerksam geworden und nach ähnlichen Vorgängen aus früherer Zeit forschte, stellten
sich aus den Jahren 1881-82 in der That damals unerklärt gebliebene Schwankungen in verschiedenen Beobachtungsreihen der
Sternwarten Berlin, Gotha, Pulkowa heraus, die unter der Annahme einer Veränderung in der Lage der Erdachse erklärt werden konnten.
Danach wurde nun 1888 auf der Gradmessungskonferenz in Salzburg die Angelegenheit wieder aufgenommen, welche nach jenen Beobachtungsresultaten
noch von höherer Wichtigkeit geworden war, da es nun den Anschein hatte, daß sprungweise vorübergehende
Schwankungen von erheblichem Betrag vorkämen.
Dadurch erklärte sich möglicherweise auch, daß man beim Suchen nach der (theoretischen) zehnmonatlichen Periode so wenig
harmonierende Resultate gefunden hatte. Es war nämlich denkbar, daß durch irgend eine Massenverschiebung ein Winkelausschlag
zwischen Hauptträgheitsachse und momentaner Rotationsachse entstanden war, so daß nun letztere um erstere
in etwa zehn Monaten rotierte; solange keine neuen Störungen eintreten, oder wenn sich solche gegenseitig kompensieren, wird
diese Umlaufsbewegung regelmäßig weitergehen, tritt aber eine solche Störung ein, so wird hierdurch möglicherweise die
seitherige Umlaufsbewegung verdeckt werden.
Es erging nunmehr auf Grund eines dem Zentralbüreau der internationalen Erdmessung von der permanenten
Kommission 1888 erteilten Mandats von jenem an verschiedene Sternwarten die Aufforderung, nach gemeinsamem Programm etwa 1-1,5
Jahr lang Beobachtungen anzustellen, welche diese fundamentale Aufgabe lösen sollten. Die Resultate, welche an den Sternwarten
Berlin, Potsdam, Prag erhalten wurden, gelangten auf der letzten Konferenz der permanenten Kommission in Freiburg
1890 zur Mitteilung.
Sie mußten das höchste Interesse erregen. Nach anscheinend längerer Konstanz trat an allen drei Orten gleichzeitig ein allmähliches
Ansteigen der Polhöhe ein, welches nach mehreren Monaten ein Maximum erreichte; dann folgte überall ein tieferes Minimum, und anscheinend
nahm darauf die Polhöhe wieder zu. So hat es den Anschein, als seien Veränderungen in der Polhöhe nachgewiesen,
und es handelt sich nun darum, diese vorläufigen Resultate durch weitere zu bestätigen, wie ausgedehntes Material zu gewinnen,
um die Ursachen, die etwanige Gesetzmäßigkeit in diesen Vorgängen studieren zu können. Dazu werden nun von allen Seiten
große Anstrengungen gemacht. In vollständig gleichmäßiger Art werden an zahlreichen Sternwarten (Berlin,
Potsdam, Straßburg, Karlsruhe, Prag, Paris, Washington, Kap der Guten Hoffnung u. a.) in den nächsten Jahren Beobachtungen angestellt
werden, und außerdem wird von deutscher und amerikanischer Seite eine Station auf den Sandwichinseln errichtet,
mehr
um so über die ganze Erde hin verteilt eine fortgesetzte Kette zu erhalten. Hierdurch ist zu erwarten, daß wir in einigen
Jahren zu positiven Resultaten über die Veränderungen der Polhöhe gelangen werden.
(spr. pohk), Leonidas L., Präsident der nationalen Farmerallianz der Vereinigten Staaten von Nordamerika, geb. 1837 in
Anson County im Staate Nordcarolina, trat, als der Unionskrieg ausbrach, in die Konföderiertenarmee ein,
in welcher er zuletzt den Rang eines Obersten einnahm, saß 1860 und 1865 im Landtag von Nordcarolina, bekleidete darauf das
Amt eines Staatskommissars der Landwirtschaft, widmete sich ganz den Interessen der Farmer und gründete 1886 den »Progressive
Farmer«, eine Wochenschrift, die unter seiner geschickten und umsichtigen Leitung besonders im Süden der Vereinigten Staaten
von Nordamerika weite Verbreitung und großen Einfluß gewann. Im J. 1887 trat er dem großen Farmerbund bei, wurde zuerst
zum Vizepräsidenten und 1889 in St. Louis zum Präsidenten desselben gewählt (s. Vereinigte Staaten von Nordamerika).
Litteratur1885-90. Noch immer beherrscht der Roman das Gebiet der schönen Litteratur. Und zwar betont der
Sittenroman vielfach in radikaler Weise den Gegensatz des Bürgerstandes gegen den Adel und behandelt meistens mit Vorliebe
das Problem der Erhaltung des väterlichen Bodens. Das gilt namentlich von den sogen. Positivisten in Warschau,
zu denen auch einzelne Schriftsteller aus andern polnischen Landesteilen zu zählen sind. (Vgl. »Typy
i idealy pozytywnèj beletrystyki polskiej« von T. Jeske Choinski, Warschau 1888.) Im historischen Roman dagegen bethätigen
sich vielfach konservative Tendenzen, insofern einerseits die Vorzüge des alten Adels verherrlicht, anderseits die anarchischen
Erscheinungen der nationalen Geschichte vom Standpunkt der modernen Auffassung des Rechtsstaates gebrandmarkt
werden.
Beide Richtungen vereinigen sich in dem hervorragendsten polnischen Romanschriftsteller der Gegenwart, Heinrich Sienkiewicz.
Ausgehend von realistisch-pessimistischen Novellen, erklomm er mit den großen, bändereichen Erzählungen: »Mit Feuer und Schwert«
(1885),
»Die Sintflut« (1886),
»Wolodyjowski« (1887) eine Höhe, die der polnische Roman vorher niemals
erreicht hatte. Kein Buch erzielte in Polen eine so mächtige Wirkung wie diese gleichzeitig in den bedeutendsten Zeitungen von
Warschau, Krakau und Posen, darauf in zahlreichen Buchauflagen veröffentlichten historischen Romane. Sie verdanken diesen Erfolg
der äußerst spannenden Handlung, der scharfen Individualisierung der Haupt- und Nebenpersonen, den trefflichen Schlachten-
und Naturschilderungen, dem poetischen Hauch, durch den sie sich von den Erzeugnissen des nüchternen
Realismus unterscheiden, der frischen Energie und Thatkraft, die aus ihnen spricht, sowie einer meisterhaften Handhabung der
Sprache. In jüngster Zeit ist Sienkiewicz indes zum Sittenroman zurückgekehrt, zunächst in der während eines kurzen Aufenthalts
in Ostende geschriebenen humorvollen Novelle »Die Dritte« (»Ta trzecia«, 1888),
nämlich die dritte, aber
eigentlich erste Geliebte, welche ein Warschauer Künstler schließlich heiratet, sodann in dem großen Roman »Bez Dogmatu«
(1890). Der Held der Erzählung, ein blasierter Aristokrat, erglüht erst dann von heißer Liebe für eine entfernte Verwandte,
nachdem dieselbe ihre Hand einem trocknen Spekulanten gereicht hat, dem treu zu bleiben sie mehr aus Pflichtgefühl
als von Herzen entschlossen ist. Er liebt sie »wie ein der Manie naher Nervenkranker, oder
wie Greise lieben, die, von Liebe
entbrannt, ganz in diesem Gefühl aufgehen, weil sie keine Zeit zu verlieren haben«. In dieser Liebe erblickt er
die einzige Blüte seines Lebens, die daher alles andre überwuchert, und meint, solche Erscheinungen würden sich desto öfter
wiederholen, »je mehr es in der Welt mir ähnliche Männer geben wird, von Analyse zersetzte Zweifler und gleichzeitig Hysteriker,
welche im Herzen ein großes Nichts, im Blute eine starke Neurose haben« (Bd. 3). Dieses
Problem behandelt Sienkiewicz in höchst geistreicher und künstlerisch vollendeter Form.
Wenn Mickiewicz »zuerst die Sprache wahrer Liebe in die polnische Poesie eingeführt hat«, so darf Sienkiewicz auf Grund seines
neuesten Romans als der bedeutendste polnische Psycholog und Anatom der Liebe bezeichnet werden. Die Erfolge von Sienkiewicz
auf dem Gebiete des historischen Romans haben sehr anregend gewirkt. Dieser Anregung verdanken wir die
Erzählung »Veto« (1889,4 Bde.)
von A. v. Krechowiecki (s. d.),
schon früher durch geistreiche Novellen und den historischen Roman: »Starosta Zygwulski« bekannt.
In seiner neuesten Erzählung behandelt er die Einführung des sogen. liberum veto, d. h. des Grundsatzes,
daß der Einspruch eines einzelnen Abgeordneten die Beschlüsse des Reichstags zu sistieren vermag. Von dem mit großer Sachkenntnis
geschilderten historischen Hintergrund um die Mitte des 17. Jahrh. heben sich die Hauptfiguren des Romans mit plastischer Klarheit
ab, insbesondere diejenige des düstern Helden Sicinski, jenes Sendboten, der zuerst durch sein Veto den
Reichstag von 1652 »zerriß«.
Die Handlung ist belebt, interessante Zwischenfälle reihen sich aneinander. Wenn aber in den ungefähr in derselben Zeit
spielenden Romanen von Sienkiewicz die Verherrlichung der nationalen Tapferkeit die Hauptsache bildet, so tritt in »Veto«, obschon
es darin an Lichtbildern nicht fehlt, das Bestreben zu Tage, vor jenen Fehlern des Ehrgeizes, der Habsucht,
des Stolzes und der Unverträglichkeit zu warnen, welche trotz aller Vorzüge individueller Tapferkeit den polnischen Staat
bis in seine Fugen erschütterten.
Auch der in den 50er Jahren vielgelesene und vielbewunderte Sigmund v. Kaczkowski (geb. 1826 auf
dem väterlichen Gute Bereźnica in Galizien, seit 1863 teils in Wien, teils in Paris lebend) ist neuestens
mit zwei großen historischen Romanen hervorgetreten. In »Abraham Kitaj« (1887,2 Bde.)
wird auf dem dramatisch belebten Hintergrund der letzten Dezennien des 17. Jahrh. einer jener gewaltthätigen, ehrgeizigen,
habsüchtigen Abenteurer geschildert, welche sich durch die Schwäche der Regierungsgewalt zu jedem Rechtsbruch
ermutigt fühlten.
Ein solcher Abenteurer ist der Ritter Abraham Kitaj, von Natur mit vielen Vorzügen ausgestattet, die indessen durch sein heißes
Blut und die Unsicherheit der öffentlichen Zustände vernichtet werden. Am unbedeutendsten ist jene Partie des Romans, worin
der Zug
K. Sobieskis zum Entsatz von Wien chronistisch geschildert wird. Der Roman »Olbrachtowi Rycerze« (1889,3
Bde.) spielt zur Zeit des Königs Johann Albrecht (1492-1501). Aus dem vielfach archäologischen Detail treten indessen die Hauptfiguren
lebensvoll individualisiert hervor.
Noch weiter zurück, bis in den Anfang des 15. Jahrh., greift Wincenz Rapacki, bekannt als Schauspieler, Dramatiker und Romancier,
mit seiner neuesten Erzählung: »Die Hansa« (1890). Held der Erzählung ist der Aldermann der Hansa in Krakau
Reinhold v. Bonar, welcher, nachdem er sich in der schmerzlichsten
mehr
Weise von der Verwerflichkeit der Politik der Hansa überzeugt hat, dieselbe schließlich verläßt und Pole wird. Rapacki hat
einfach einige bekannte, den Jesuiten nachgesagte perfide Streiche auf die Hansa übertragen, die er als einen Germanisationsverein
en gros darstellt, um einen deutschfeindlichen Tendenzroman zu stande zu bringen, ohne indessen damit bei
der ernsten polnischen Kritik (»Biblioteka Warszawska«, »Przeglad
Polski«) Beifall zu finden. Auch zwei andre seiner Romane: »Die Sünden des Königs« (1886,2 Bde.)
und »Zum Licht« (1887),
haben keinen durchschlagenden Erfolg errungen.
In dem großen historischen Roman der namhaften Dichterin Deotyma (Luczczewska): »Branki w Jasyrze« (1889,3
Bde.), aus dem 13. Jahrh.,
werden die Schicksale zweier edler polnischer Frauen in tatarischer Gefangenschaft unter starkem Überwiegen der poetischen
Elemente ergreifend geschildert. Ebenfalls antikisierend und in ganz falscher Auffassung des Verhältnisses zwischen
Polen und dem Hussitismus fußend, ist der Roman »Na dziejowym przelomie« aus dem 15. Jahrh. von J. ^[Jozef] Rogosz (1890,2
Bde.).
Auf dem Gebiete des gesellschaftlichen Tendenzromans behauptet Frau Eliza Orzeszko, die polnische George Sand, ihren unbestrittenen
Vorrang, indem die einen sich besonders für ihre liberale Tendenz begeistern, während die Gegner dieser Tendenz nicht umhin
können, ihre künstlerischen Vorzüge anzuerkennen. In »Nad Niemnem« (1888,3
Bde.) gelangt ihr gereiftes künstlerisches
Talent namentlich in vortrefflichen Naturschilderungen zum vollen Ausdruck. Die Fabel behandelt den unter den schwierigsten
Verhältnissen durchgeführten Kampf eines polnischen Landedelmannes um die Erhaltung des väterlichen Bodens.
Parallel damit entwickelt sich die Liebesgeschichte der Heldin Justine, welche schließlich einem einfachen, aber freien und
selbständigen Landmann ihre Hand reicht, nachdem sie die Jugendliebe für einen aristokratischen Kunstdilettanten
überwunden und die Werbungen eines blasierten Millionärs zurückgewiesen. Auch der Dorfroman »Cham« (1889) zeichnet sich
durch stimmungsvolle Landschaftsbilder aus, ist übrigens eine stark realistische, fast naturalistische Variation des alten
Themas von der Unverbesserlichkeit einer Gefallenen. Derselbe stark realistische Zug
tritt in der Geschichte
des Winkeladvokaten Kaprowski, des Helden des Romans »Niziny« (»Tiefen«,
1886),
sowie in den Novellen: »Wzimowy wieczor« (»Am
Winterabend«) und »Panna Antonina« (1888,2 Bde.)
zu Tage. Von der Warschauer Gesamtausgabe der Werke Eliza Orzeszkos ist der 43. Band erschienen.
Eine begabte Rivalin ist ihr in Marya Rodziewicz (geb. 1860, auf ihrem litauischen
Gute Chruszczowa lebend) erstanden. Ihr Erstlingsroman »Dewajtis« (1889)
behandelt denselben Stoff wie Orzeszko in »Nad Niemnem«. Der durch das Testament des Vaters zu gunsten der Kinder zweiter Ehe benachteiligte,
überdies mit der schwierigen Verwaltung der Güter eines verschollenen Freundes überbürdete litauische Gutsbesitzer Marek
Czertwan überwindet mit großer Energie und Ausdauer alle Hindernisse, vereinigt das durch den Leichtsinn
seiner Stiefbrüder gefährdete Familienvermögen und erlangt schließlich die Hand der aus Amerika zurückgekehrten Tochter
des verstorbenen Nachbars, dessen Gut er treu bewahrt hat.
Abgesehen von der trefflichen Individualisierung der handelnden Personen, zeichnet sich ihr Roman durch anziehende Schilderung
des Landes und insbesondere der Wälder Litauens aus. Die heiße Liebe zum väterlichen Boden,
welche in Zolas
»La terre« so brutal wirkt, wird hier durch Tradition und patriotische Pflicht verklärt. Weniger Anklang fand der Roman »Kwiat
Lotosu« (»Die Lotosblume«, 1889),
in welchem der schöne, geniale, aber von Grund aus verdorbene Mediziner Rafael Radwan
als eine Art von Dämon seine Umgebung moralisch vergiftet und zu Grunde richtet. In »Ona« (1890) führt uns die Verfasserin
wieder in ihre litauische Heimat, in deren herrlicher Waldluft ein zerrütteter Geist Gesundung findet. Sie schrieb noch: »Blekitni«
(1890),
»Szary proch« (1890).
Das beliebte Thema der Erhaltung des väterlichen Bodens behandelt Boleslaw Prus (Pseudonym für Alex. Glowacki)
in seiner ersten größern Erzählung »Placówka« (1886). Der Held ist hier aber kein Großgrundbesitzer, sondern der Bauer
Slimak, welcher seine elende Hütte und 10 Morgen Landes mit siegreicher Ausdauer gegen alle Angriffe übermächtiger Konkurrenz
verteidigt, also (denn das ist offenbar die »positivistische« Tendenz des Verfassers) den leichtsinnigen
Adel, der in Monaco spielt, beschämt.
Ermutigt durch den Erfolg der »Placówka«, ist Prus neuestens mit dem großen
Roman »Lalka« (1890,3 Bde.)
hervorgetreten, in welchem der Repräsentant des fleißigen und unternehmenden Bürgerstandes, der Parvenü und Millionär
Wokulski, die Gegenliebe einer adligen Puppe (lalka) nicht zu erlangen vermag und deshalb moralisch zu
Grunde geht. Der Roman klingt entschieden pessimistisch aus, indem nicht bloß die Vorzüge des Bürgerstandes alten Vorurteilen
des Adels gegenübergestellt, sondern auch die erstern von den letztern vernichtet werden.
Abgesehen davon, daß die Prämisse des Verfassers, soweit sie generalisiert wird, falsch ist, da in Polen,
wie überall, verarmte Edelleute ohne besondere Schwierigkeit die Töchter von reichen Bankiers etc. heiraten und millionenreiche
Parvenüs Gräfinnen heimführen, zeichnet sich »Lalka« durch spannende
Handlung und treffliche Charakteristik aus. Außerdem hat Prus auch in dem letzten Lustrum zahlreiche, vielgelesene Novellen
veröffentlicht.
Das früher mit Vorliebe von Eliza Orzeszko behandelte Thema der Frauenemanzipation bildet den sozial-politischen
Hintergrund der neuesten Erzählung von Marie Szeliga: »Na przebój« (»Durch«, 1889). Die Heldin Natalie, Tochter des tyrannischen,
litauischen Edelmannes Dormunt, wird aus gänzlicher Apathie durch die Studentin Ester Weinblatt gerettet, welche die größten
Schwierigkeiten überwunden hat, um sich eine unabhängige Stellung zu erkämpfen. Natalie begibt sich
behufs Studium der Medizin nach Paris, wo das Treiben der Studentinnen höchst anziehend geschildert wird, und kehrt, moralisch
vollkommen geheilt, als Doctor medicinae nach Litauen zurück.
Frei von Tendenz sind die humorvollen Romane und Novellen des Grafen Wincenz Los (»Widma«, »Lydia Rosyanka«,
1885; »Spirtuo z Rozdolow«, »Portret
pieknèj Pani«, 1889; »Linoskoczka«, 1890). Zahlreiche Romane und Novellen veröffentlichten in den letzten
Jahren Marrené (s. d.), Gawalewicz, Blizinski, auch als Lustspieldichter beliebt, Sewer unter Anlehnung an das Volksleben,
Ostoja, Letowski, Straszewicz, Kosiakiewicz etc. Eine andre Gruppe von Romanciers ist als die der exotischen zu bezeichnen,
insofern sie entweder fremdländische Stoffe schildern, oder doch ersichtlich unter fremden Einflüssen
dichten. So namentlich der nach abenteuerlichem Leben seit 1864 in Genf
lebende Oberst Milkowski (Pseudonym Jež), der zumeist südslawische
Stoffe wählt. Unter seinen
mehr
neuesten Romanen zeichnet sich »Ci i tamci« (1889)
aus dem ungarischen Kriege 1849 durch belebte Handlung und interessante Charaktere aus. In der Geschichte Albaniens des 15. Jahrh.
spielt die Erzählung »Rycerz chrzescianski« (1890,3
Bde.),
in bulgarischen Verhältnissen fußt: »W zaraniu« (1890) etc. Ein bedeutendes Talent bekundet sich in den
beiden Erstlingswerken des in London lebenden Edmund Naganowski (s. d.): »Hessy o Grady« (1887) und »Anglia Wszechmozna« (1891,2
Bde.);
der erstgenannte Roman fußt in einer irischen Verschwörung, der zweite ist aus dem gesellschaftlichen Leben Englands
geschöpft.
Enttäuscht hat der zweite Band der »Skizzen« von Adam Szymanski (1890),
nachdem der erste Band
(1887) zum Teil überschwängliches Lob gesunden hatte und einige der betreffenden Skizzen (»Srul von Lubartow«, »Kowalski«)
in der »Revue des Deux Mondes« Aufnahme erlangten. Schon in diesen ersten sibirischen Skizzen tritt jedoch eine bedenkliche Trivialität
der Motive zu Tage, während in der neuen Serie sich ein dem polnischen Nationalgefühl entschieden widerstrebender
russischer Mystizismus breit macht. Als geradezu pathologische Erscheinungen sind die Romane: »Hrabia Witold« (1890),
»Alfredine«
(1890) des Grafen St. Rzewuski zu bezeichnen, der sich dem nationalen Leben gänzlich entfremdet hat, für Frankreich und Rußland
schwärmt, übrigens einige gute Lustspiele schrieb.
Drama, Epik und Lyrik.
Störender als im Roman wirkt das Überwiegen der Tendenz auf dem dramatischen Gebiet. Die größte polnische
Stadt Warschau (450,000 Einw.) mit ihren vier Theatern bietet anscheinend der Entfaltung des Dramas die günstigsten Bedingungen.
Allein der gänzliche Mangel einer parlamentarischen Tribüne, einer freien Presse und überhaupt jedes öffentlichen Lebens
im modernen Sinne bewirkt dort, daß keine Arbeitsteilung eintreten kann, die Politiker zur Feder greifen,
die Künstler politisieren.
Die rein künstlerischen Zwecke leiden darunter. Bei einer der zahlreichen Preisausschreibungen wurden 1886 mehr als 70 Dramen
eingereicht. Den Preis erhielt das historische Schauspiel aus dem 17. Jahrh.: »Albert, Wojt Krakowski« eines ganz unbekannten
Dichters St. Kozlowski. Mit großem Lärm in Szene gesetzt, enttäuschte das Stück die hochgespannten
Erwartungen. Die Preisrichter hatten sich eben durch die Tendenz verführen lassen. Preisgekrönte historische Stücke schrieb
auch J. ^[Józef] Labunski: »Agrypina« (1886),
»Ziemowit« (1887). In modernen Verhältnissen
fußen die Schauspiele von E. Lubowski (»My sie Kochamy«, 1887; »Przyiaciólka
zon«, 1890, etc.),
Z. Przybylski (»Wicek i Wacek«, »Panctwo
Wackowie«, 1888; »Zlote Góry«, 1890 etc.),
J. ^[Józef] Blizinski (»Szach i matt«, 1886: »Opiekun«,
1887; »Mąz w drodze«, 1888; »Dzika
ròzyczka«, 1889, etc.), ferner Graf Wl. Koziebrodzki, A. Abrahamowicz u. a.
Weit hinter dem Roman und den wenigstens quantitativ reichen dramatischen Erscheinungen steht jetzt die eigentliche Poesie zurück,
die mit dem glänzenden Dreigestirn Mickiewicz, Slowacki und Krasinski in der ersten Hälfte des Jahrhunderts
einen so vielverheißenden Aufschwung
nahm. Der Mangel an echter poetischer Begeisterung verrät sich schon in der bizarren
Wahl der Stoffe. So besingt Graf Adalbert Dzieduszycki (geb. 1845, bekannt durch philosophische Schriften, seit 1879-86 Mitglied
des Wiener Abgeordnetenhauses, jetzt auf seinen Gütern in Galizien lebend) in den zwölf Gesängen: »Basń
nad basniami« (1889,2 Bde.)
die fabelreiche polnische Urgeschichte unter Benutzung der betreffenden Volkslieder, Sagen, Märchen, ohne einen befriedigenden
künstlerischen Gesamteindruck hervorzubringen. In denselben prähistorischen, der Entfaltung echter poetischer Begeisterung
ungünstigen Verhältnissen spielt das lyrische Drama »Wanda« (1887) von Deotyma (Hedwig Luszczewska),
welches
einen Teil ihrer »Polska w piesni« (»Polen im Lied«) bildet, eines Stoffes, an dem selbst das gewaltige Talent Slowackis (»Kròl
Duch«) scheiterte. Auch das epische Gedicht »Kròl Salomon« von Wladimir Zagórski (1887) befriedigt nicht. Als lyrische Dichterin
von echter Begeisterung bewährt sich M. Konopnicka in ihren »Gedichten«
(1887,3 Bde.). Pessimistisch affektierte
»Strophen« veröffentlichte der als Geschichtsforscher glücklichere Alex. Kraushar
(1886); sonst sind noch zu erwähnen lyrische Gedichte von Hajota (jetzt als Frau Szolc-Rogozinska in Südafrika lebend),
Tadeus Otawa (»Piesni lyrnika«, 1886),
M. Gawalewicz (»Poezye«, 1887) etc.
Litteratur- und Weltgeschichte.
Angeregt durch die wertvollen »Reisebriefe« von Odyniec (1875-78,4 Bde.),
nahm die Mickiewicz-Litteratur
im letzten Jahrzehnt einen ungeahnten Aufschwung. Unter den neuern diesbezüglichen Schriften sind hervorzuheben: »A. Mickiewicz«
von Polnische Chmielowski (1886,2 Bde.),
ein vollständiges, detailliertes Lebensbild des Dichters;
»Die Jugend des Mickiewicz« von T. Ziemba (1890),
der übrigens
in zahlreichen, in den Monatsschriften veröffentlichten Essays den ganzen Lebenslauf des Dichters auf
Grund sorgfältiger Quellenforschung schildert;
»Mickiewicz in Wilna und Kowno« (1889,3 Bde.) von
J. ^[Józef] Tretiak, worin das Hauptgewicht auf den innern Entwickelungsgang des Dichters gelegt wird;
»Messyanisci i Slowianofile«
(1890) von M. Zdziechowski, worin viele bisher noch dunkle Punkte in der sogen. messianischen Verirrung
des Dichters aufgeklärt werden;
»Das Leben des Adam Mickiewicz« (Bd. 1,1890),
von seinem Sohne Ladislaus Mickiewicz, reich an neuen Details;
die »Denkschrift des Mickiewicz-Vereins« (bisher 3 Bde.), welche
Aufsätze der hervorragendsten Litterarhistoriker, Tarnowski, Nehring, Chmielowski, Spasowicz etc., und einen vollständigen
Ausweis aller laufenden Publikationen über Mickiewicz etc. enthält.
Mit der Überführung der Gebeine
des Dichters von Paris nach Krakau, ist die reiche Mickiewicz-Litteratur noch keineswegs zum Abschluß gelangt. In
ebenso anziehender wie gründlicher Weise behandelt das 16. Jahrh. Graf St. Tarnowski, Professor der polnischen Litteraturgeschichte
an der Krakauer Universität, in: »Die politischen Schriftsteller des 16. Jahrhunderts« (1886,2 Bde.)
und »Jan Kochanowski« (1888),
sonst sind von ihm zu nennen ausführliche Monographien über M. Czajkowski (1886),
H. Rzewuski
(1887),
W. Kalinka (1888),
»Aus den Ferien«, die Beschreibung einer Reise nach Wien, Moskau, Wilna (1888,2 Bde.). Der Theoretiker
der Warschauer Positivisten, Polnische Chmielowski, veröffentlichte außer dem oben erwähnten Werke über A.
Mickiewicz: »Die polnischen Schriftstellerinnen im
mehr
19. Jahrhundert« (1885),
»Die polnische Litteratur der letzten 20 Jahre« (1886),
»Studien und Skizzen aus der polnischen Litteratur«
(1886-87,2 Bde.),
»Die Frauen in den Dichtungen von Mickiewicz, Slowacki und Krasinski« (1886),
»Unsre Romanciers« (1887). Zu erwähnen
sind noch »Studya literackie« von W. Nehring, Professor der slawischen Litteraturen an der Breslauer Universität,
»Ze studjów nad literaturą polską« von A. Belcikowski, Professor der polnischen Litteratur an der Lemberger Universität,
etc.
Die polnische Historiographie, welche im vorletzten Dezennium ihren Ehrgeiz darein setzte, die Gesamtgeschichte der Nation darzustellen
(Morawski, Szujski, Bobrzynski etc.) oder einzelne Epochen in künstlerisch abgerundeter Form vorzuführen (Jarochowski, Kalinka,
Smolka etc.), widmet sich jetzt der stillern Aufgabe, neue Quellen aufzudecken. Am intensivsten arbeitet
in dieser Beziehung die Krakauer Akademie der Wissenschaften mit ihren gediegenen Publikationen: »Acta historica« (zumeist Dokumente
zur Rechtsgeschichte, bisher 12 Bde.),
»Monumenta medii aevii« (bisher 12 Bde.),
»Scriptores rerum polonicarum« (bisher 15 Bde.)
etc. Von den in Lemberg auf Kosten des Landesausschusses herausgegebenen »Acta grodzkie« liegt der 14. Band
vor. Wichtige neue Quellen eröffnet die von dem Universitätsprofessor Pawinski in Warschau herausgegebene Sammlung »Zródla«
(bisher 17 Bde.). Denselben Zweck fördern die unter Leitung des Professors St. Smolka im vatikanischen Archiv seit einigen Jahren
gründlich betriebenen Studien sowie auch die Erschließung einiger reichhaltiger Privatarchive (der Fürsten
Sanguszko in Wolhynien, Czartoryski in Krakau, Lubomirski in Lemberg, des Grafen Dzialynski in Kurnik etc.). Unter den neuern Bearbeitern
einzelner Epochen oder besonders wichtiger Ereignisse der politischen Geschichte sind zu erwähnen: J. ^[richtig: T. für
Tadeusz] Korzon (»Die innern Zustände Polens unter der Regierung des Stanislaw August«, 1887,4 Bde.),
J. ^[richtig: T. für Teodor] Wierzbowski (»Die Depeschen des Nuntius Vincent Laureo 1574-78«, »Bibliographia polonica«, »Chr.
Warszewicki«, 1886-89),
Waliszewski (»Die polnisch-französischen Beziehungen im 17. Jahrhundert«, 1889; »Die Korrespondenz
des Fürsten K. Radziwill«, 1889; »Polen und Europa in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts«, Bd. 1,1890),
W. Zakrzewski (»Stefan Bathory«, 1887),
W. Lozinski (»Lemberger Altertümer«, 1890,2 Bde.),
ferner Gromnicki, Kraushar, Mycielski (s. d.), Prohazka, J. ^[Józef] Tretiak etc.
Emil, Mediziner, geb. zu Frankfurt a. M., studierte in Tübingen, Freiburg
und Heidelberg, promovierte 1867 mit
einer Arbeit über die pathologisch-anatomischen Veränderungen bei tödlich verlaufenden Erysipelen,
wurde 1868 Assistent Virchows am Pathologischen Institut in Berlin, ging 1873 als Professor der pathologischen Anatomie nach Rostock, 1876 nach
Göttingen und 1878 nach Breslau. 1874-75 machte er eine wissenschaftliche Reise nach Ägypten, Nubien, Palästina und Konstantinopel
als ärztlicher Begleiter des jetzigen Großherzogs von Mecklenburg-Schwerin.
Unter Anwendung der von Recklinghausen angegebenen Methode der Zinnoberinjektion lieferte Ponfick seine ersten Arbeiten über die
Schicksale körniger Farbstoffe im Organismus und über sympathische Erkrankungen des Knochenmarkes. Durch diese Untersuchungen
lieferte er den Nachweis, daß die Aufnahme der Farbstoffe in die Organgewebe an die Zellen geknüpft ist und erweiterte, von
den Arbeiten Neumanns und Bizzozeros ausgehend, die
Kenntnis von der Bedeutung des Knochenmarkes für die Blutbildung.
Hieran reihten sich Arbeiten über die Leukämie, anatomische Untersuchungen über das Rückfallfieber, Studien über die Bluttransfusion
und Beobachtungen über sogen. Aneurysmen infolge von Embolie. Weitere Arbeiten betreffen die Aktinomykose, das Fettherz, die
Hämoglobinämie, die Giftigkeit der Morcheln, die Entfernung von Teilen der Leber und deren Ersatz durch
die Thätigkeit des Organismus, die Verbreitungswege der Tuberkulose. Er schrieb: »Die Aktinomykose, eine neue Infektionskrankheit«
(Berl. 1882).
Henrik, dän. Dichter, geb. 1857 als
Sohn eines Predigers zu Fredericia, widmete sich schon auf dem Gymnasium vorzugsweise dem Studium der Mathematik und der Naturwissenschaften,
das er auf der Kopenhagener Universität fortsetzte. Als Achtzehnjähriger unternahm er mit geringen Mitteln eine Fußreise
durch Deutschland nach der Schweiz, auf der er sich wie ein reisender Handwerksbursche durchschlug und eine
Fülle von Beobachtungen machte. Auch nachdem er mit der Novellensammlung »Stäkkede
Vinger« (Kopenh. 1881) in die Reihe der jüngern dänischen Schriftsteller eingetreten war, blieb seine Lebensdarstellung
auf die sicherste und schärfste Beobachtung gegründet.
Aber der Kunst der Beobachtung und minutiösesten Schilderung gesellen sich bei ihm die eigentlich poetischen
Kräfte, leidenschaftliches Mitgefühl für das Leid, jauchzendes Entzücken am Guten der Welt, Humor und lebendige Entrüstung
über das allzu Menschliche. Wenn Pontoppidan ursprünglich als Nachahmer Kjellands erschien, so ward er in seinen
spätern Werken »Sandinge Menighed« (1883),
namentlich
aber in den als seine Hauptleistung geltenden Erzählungen »Skyer« (1889) immer selbständiger
und bedeutender und darf somit als eine der wirklichen Hoffnungen der dänischen Litteratur betrachtet werden.
Deutsch erschienen
noch von ihm »Reisebilder aus Dänemark« (Kopenh. 1890).
(spr. puhl), Stanley Lane, engl. Schriftsteller, geb. zu London als Sohn eines Beamten im Science and
art department in Kensington, studierte in Oxford und unternahm dann, namentlich zum Zwecke archäologischer Forschungen, Reisen
durch Ägypten, die Türkei und Rußland. Aus den mehr als 40 Bänden, welche der vielseitige Gelehrte,
abgesehen von seinen Beiträgen zu Encyklopädien und Zeitschriften, veröffentlicht hat, seien erwähnt: »The speeches and
table talk of the prophet Mohammed« (1882);
»The art of the Saracens in Egypt« (1886);
»The Moors in Spain« (1887);
»History
of Turkey« (1888);
»Life of Lord Stratford de Redcliffe« (1888);
»The Barbary Corsairs« (1889).
Auch bearbeitete
er zwei für den Numismatiker und Geschichtsforscher bedeutende Hilfsmittel: den »Catalogue
of the Mohammedan coins in the Bodleian library at Oxford« (1888) und den zwölfbändigen »Catalogue
of the Oriental and Indian coins in the British Museum« (1875-90), der vom Institut de France preisgekrönt
wurde.