Frequenz des Marseiller
Hafens um 589
Schiffe
[* 2] zu-, dagegen der
Tonnengehalt um 303,896 T. abgenommen. An dem Gesamttonnengehalt
der Schiffahrtsbewegung von Marseille
[* 3] waren die
Dampfer mit 87½, die Segelschiffe mit 12½ Proz. beteiligt. Die einheimische Reederei
von Marseille umfaßt 240
Dampf- und 53 Segelschiffe. Der Warenverkehr beim
Zollamt von Marseille, welcher im J. 1888 in der
Einfuhr 2,838,204, in der Ausfuhr 1,786,746 T. betragen hatte, hat sich in der Einfuhr um 241,517 T. (bei 9 Proz.)
vermindert, beim
Export dagegen um 34,960 T. (2 Proz.) vermehrt.
Die Abnahme der Einfuhr ist auf den verringerten
Verkehr mit den Häfen desSchwarzenMeeres (um 90,000
T. weniger, hauptsächlich wegen der verminderten Getreideeinfuhr, die im ganzen um 171,000 T. abnahm), mit
England (um 128,000
T. wegen der durch die erhöhten Kohlenpreise reduzierten Kohleneinfuhr), mit
Britisch-Indien und
Nordamerika
[* 4] (gleichfalls
wegen der verminderten Getreideeinfuhr) zurückzuführen. Mit den spanischen Häfen nahm der
Verkehr wegen gesteigerter Weineinfuhr
(infolge der schlechten französischen Weinlese) zu. Der
Verkehr mit den italienischen Häfen zeigt eine Abnahme um 102,000
T., eine natürliche
Folge der handelspolitischen Beziehungen beider
Länder. Diese Abnahme wird allerdings durch die Zunahme
des
Verkehrs mit
Algerien
[* 5] um 158,000 T. und mit
Tunis um 65,500 T. ausgeglichen. Zur Vervollständigung der
Hafeneinrichtungen ist im nördlichen Hafenbassin
(BassinNational) ein neues
Magazin (hangar) mit 11,500 qm
Grundfläche erbaut
worden.
bei niedern
Tieren. Man hatte bisher stillschweigend angenommen, daß die
List, den eignen
Körper mit allerhand
fremden Organismen, wie
Algen,
[* 12]
Schwämmen,
Polypen etc., zu bepflanzen, um sich besser zu verbergen, nur
den höher stehenden Dekapoden unter den
Krebsen, namentlich den
Einsiedlerkrebsen und
Krabben, eigen sei und ein Zeichen ihrer
höhern
Intelligenz abgabe, obwohl man schon lange wußte, daß einige Insektenlarven (wie die der Chrysopen und mancher
Schmetterlinge
[* 13] und
Käfer),
[* 14] ferner die
Seeigel und andre
Stachelhäuter
[* 15] dieselbe
Praxis befolgen.
Nunmehr hat
Walker
[* 16] diese instinktive
List auch bei einigen
Flohkrebsen beobachten können und zwar mit einigen besondern, der
Mitteilung werten Umständen. Er hatte eine Anzahl
Flohkrebse gefischt und in eine
Schale mit Seewasser ausgeschüttet, um
den
Fang genauer zu untersuchen. Unter den
Tieren fiel ihm ein
StückAlge auf, welches scheinbar eigenwillig
in dem
Wasser umherschwamm, sich gelegentlich zu
Boden setzte und dann wieder zu schwimmen begann. Die Untersuchung mit der
Lupe
[* 17] ergab, daß das Pflanzenstück von einer
Amphipode (Atylus Swammerdamii) umhergeführt
wurde, welche es mit den beiden
erstenPaaren der Lauffüße festhielt und sich auf dem
Boden unter demselben verbarg, da es viel größer
war als das
Tier selbst.
Dieser kleine
Krebs
[* 18] verhielt sich also den großen
Krabben und
Einsiedlerkrebsen ganz ähnlich, die mit großen Blättern über
ihrem
Rücken, wie mit Sonnenschirmen bewaffnet, am
Strande spazieren gehen, wie dies
Archer kürzlich wieder
bei einer Dorippe am
Strande von
Singapur beobachtet hat. Es besteht dabei der Unterschied, daß die
Krabben und
Seespinnen die
Fremdkörper mit den eigentümlich verkümmerten und nach dem
Rücken emporgerückten, hintersten Beinpaaren sowohl auf den
Rücken emporheben (wie
Weiß bei Dromia vulgaris in
Neapel
[* 19] beobachtete) als festhalten, während die
Flohkrebse
ihre Vorderfüße benutzen. Bei einer der obigen verwandten Art (Atylus falcatus) fand
Walker das erste Beinpaar und seine
mächtig entwickelten
Klauen durch
Dornen und
Tuberkeln geradezu zum sichern Festhalten der Maskierungsstücke umgestaltet.
Garstang und Poulton haben vor kurzem darauf aufmerksam gemacht, daß man bei dieser Schutzgewohnheit zwei
Gruppen unterscheiden müsse: solche
Tiere, bei denen es sich bloß um ein Verbergen unter gleichgültigen
Fremdkörpern handelt
(allokryptische und solche
Tiere, bei denen die
Fremdkörper wegen unangenehmer
Eigenschaften bekannt und gemieden sind (allosematische
Maskierung). Im erstern
Falle werden
Fremdkörper benutzt, die in der Umgebung vielfach vorhanden sind und daher
kein Aufsehen erregen, wie z. B. dort wachsende
Algen,
Hydroidpolypen u. dgl., oder
Dinge, die überhaupt keine Beachtung finden,
wie
Scherben, Muschelschalen und Reste abgelegter Krebspanzer, wie sie namentlich viele
Krabben über sich halten. ZU diesen
bloß nach
Versteck strebenden
Tieren gehören unter den Dekapoden die
Arten von Stenorhynchus,
Hyas, Dorippe,
Maja,
Pagurus laevis und
PagurusBernhardi in der
Jugend.
Die allosematische Maskierung benutzt dagegen auffallende, mit
Trutzfarben geschmückte
Tiere, die ein Zeichen (sema) geben, daß es
sich um ein »Rühr' mich nicht an« handelt. Hierher gehört die bekannte
Freundschaft der
Einsiedlerkrebse mit den
Seerosen, die sie auf ihrem Wohngehäuse ansiedeln (vgl.
Symbiose,
Bd. 15), und die
Gewohnheit der
Wollkrabbe (Dromia vulgaris), ihren
Rücken mit einem lebhaft orangerot gefärbten
Schwamm (Suberites
domuncula) zu bedecken, den auch manche Paguren als Schutzdach bevorzugen.
Diese
Tiere haben ihre Feinde namentlich unter den
Sepien und gewissen
Fischen, welche die
Einsiedlerkrebse aus ihren
Schalen
herausziehen, aber nicht leicht wagen, ein von einer
Seerose oder solchen
Schwämmen beschütztes
Tier anzugreifen.
Garstang überzeugte sich durch
Versuche, daß Meerfische nicht zu bewegen waren, Stückchen dieses
Schwammes anzurühren;
sie schienen vielmehr schon durch den bloßen
Geruch desselben vertrieben zu werden. Er rechnet dahin auch gewisse
Tunikaten
[* 20] und namentlich zusammengesetzteTunikaten, wie Atopogaster, mit denen Dromia excavata, nach v.
LendenfeldsBeobachtung, ihren
Rücken zu bepflanzen pflegt. Auch Dromia vulgaris benutzt statt des roten
Schwammes nach
Beobachtungen von
Waldow und
Harder häufig zusammengesetzte
Ascidien zu ihrer
Bedeckung. Die letztern zeichnen sich vielfach durch lebhafte
Farben und
eigentümlichen
Geruch aus, so daß auch sie geeignet sind, schon aus einiger
Entfernung erkannt und vermieden
zu werden.
1) Die Mauer- oder nicht feuerfesten Steine. Die oder Ziegel werden in größeren Betrieben jetzt durchweg mittels Dampf- und
Maschinenkraft hergestellt. Der durch ein einfaches oder doppeltes Walzwerk
[* 32] getriebene (zu bessern Steinen vorher geschlämmte)
Thon wird aus einem liegenden Cylinder in Strangform gepreßt und durch einen geeigneten Abschneideapparat
in Stücke von der Stärke
[* 33] eines Mauerziegels zerschnitten. Sehr leistungsfähige Pressen liefert Schmelzer in Magdeburg.
[* 34]
Für die Bearbeitung des Rohmaterials sind also im allgemeinen keine besondern Eigentümlichkeiten zu bemerken, wohl aber
ergeben sich diese im weitern Verlauf der Fabrikation vornehmlich aus der jeweiligen chemischen Zusammensetzung der
in der Ziegelfabrikation zur Verarbeitung gelangenden Thone. Diese ist eine sehr schwankende; man verwendet einerseits Alluvialthone,
die bis 25 Proz. kohlensauren Kalk enthalten, und anderseits Braunkohlenthone, welche meistens nur 2-3 Proz. Kalk und Magnesia
(an Kieselsäure gebunden) enthalten, zu Steinen, die nach der Fertigstellung im Aussehen für den Laien keine
Unterscheidungsmerkmale bieten.
Ein wetterfester Ziegel soll nicht über 28 Proz. Kalk (als kohlensaurer Kalk berechnet) enthalten. Je kalkarmer und thonerdereicher
ein Thon ist, desto höheres Feuer verlangt er, bis der Ziegel klingend wird. Da bei kalkreichem Thon der Sinterungspunkt und
Schmelzpunkt so nahe zusammenliegen, daß bei beginnender Sinterung fast gleichzeitig Schmelzungserscheinungen
auftreten, so sind zum Brennen derselben Ofensysteme, welche kurze Stichflammen geben, zu verwerfen.
Während man für Braunkohlenthone die Escherichschen Gasringöfen mit Vorteil anwendet, bei welchen die Steine mit dem Brennmaterial
und der Asche nicht in direkte Berührung kommen, so zieht man für kalkreiche Alluvialthone den gewöhnlichen Ringofen von
Hoffmann, welcher eine lange Flamme
[* 35] entwickelt, vor oder bedient sich neuerer Systeme von Dannenberg, der
Mäanderöfen etc. Für bessere Waren, wie Vormauerungssteine oder Verblender, Fliesen,
[* 36] Falzziegel
[* 37] u. dgl., hat Augustin periodische
Öfen
[* 38] mit überschlagender Flamme und sogen. Muffelöfen konstruiert, deren Vorzug darin liegt, daß sie ein sehr gleichmäßig
gefärbtes Fabrikat liefern.
Der Augustinsche Ofen ist meist 5-6 m lang, 4 m breit und 3 m hoch, er hat an jeder Langseite vier sogen.
Halbgasfeuerungen und unter der Sohle in der Mitte und Richtung der Längsachse einen Hauptabzugskanal für die Feuergase,
welche von hier in den Schornstein gelangen. Da der Betrieb des Ofens kein kontinuierlicher ist, so erfordert
er mehr Brennmaterial als der Ringofen. Schließlich seien noch die sogen. Blaudämpföfen von Bock
[* 39] zum Brennen und Blaudämpfen
von
Falzziegeln erwähnt.
Das Prinzip derselben beruht darauf, daß man nach dem Garbrennen der Falzziegel sämtliche Öffnungen der Ofenkammer dicht
verschließt und durch Hineinwerfen von feuchtem Erlenholz oder durch Hineingießen von kohlenstoffreichen
Flüssigkeiten zugleich unter Erzeugung von Wasserdämpfen auf der Oberfläche der Ziegel eine bis ins Innere dringende Ablagerung
von Kohlenstoff unter gleichzeitiger Reduktion des Eisenoxyds zu Oxydul bewirkt und die Steine in dieser Reduktionszone erkalten
läßt.
Dieselben erscheinen dadurch von schieferblauer Farbe. Der Gang des
[* 40] Brandes und die Zusammensetzung der Feuergase
hat auf die Färbung der Ziegelsteine den bestimmendsten Einfluß; demnächst ist von Wichtigkeit der Gehalt des Thones an
Eisenoxyd, die dasselbe begleitenden andern im Thon vorhandenen Stoffe, der Grad der Versinterung und die Temperatur, bis zu welcher
sie gebrannt werden. Je reicher die Ziegelthone an Eisenverbindungen (Eisensilikat, Eisenoxyd oder Hydroxyd,
Eisenoxydul) sind, desto ausgesprochener rot färben sie sich beim Brennen in oxydierender Ofenatmosphäre, indem sie zugleich
mit der Steigerung der Temperatur an Intensität der Farbe zunehmen.
Ein bedeutender Thonerde-, Kalk- oder Bittererdegehalt läßt die Farbentöne heller erscheinen: schwefelgelb, gelb, orange,
hellrot. Von wesentlichstem Einfluß aber auf die Farbe der Ziegelsteine ist die Zusammensetzung der Feuergase
und der Schwefelkiesgehalt der Steinkohlen, der in Form von schwefliger Säure in die Feuergase übergeht. Bei kalkreichen
Thonen bildet sich unter dem Einfluß einer oxydierenden Atmosphäre an der Oberfläche schwefelsaurer Kalk, der Kalk nimmt nicht
an der Silikatbildung teil, und unbehindert vom Kalk kommt die Farbenwirkung des Eisenoxyds zur Geltung,
besonders an der dem Feuer zugekehrten Seite. Durch eine energische Reduktion kann man aber auch die roten Anflüge der kalkhaltigen
Eisenthone mehr und mehr in gelbe überführen. Je stärker die Thone beim Brennen sintern, desto dunklere Farben nehmen die
Steine an. Durch Vermischen verschiedener Thone kann man natürlich die Farbe der Steine verändern, sie feuerfester machen etc.
2) Feuerfeste
[* 41] Steine und Schamottefabrikate. Unter den feuerfesten Steinen unterscheidet man zwei wesentlich voneinander verschiedene
Gattungen: basische und saure Steine. Unter basischen Steinen versteht man diejenigen Schamottesteine, deren Gehalt an kieselsaurer
Thonerde (Al2O32SiO22H2O) ^[(Al2O32SiO22H2O)] möglichst groß (85-100 Proz.)
ist, also Steine, deren Schamotte und deren roher Thon möglichst frei sind von zur Silikatbildung beitragenden Stoffen (Quarz,
Feldspat).
Auch die Korngröße der Schamotte spielt hinsichtlich der Widerstandsfähigkeit gegen Temperaturwechsel eine bedeutende Rolle.
Je kleiner das Korn, je dichter, aber auch weniger widerstandsfähig gegen Temperaturwechsel sind die
Steine. Die Dichtigkeit derselben ist für ihre Feuerbeständigkeit entscheidend; je früher ein Thon dicht wird bei gleichzeitig
hoher Feuerfestigkeit, desto weniger leicht wird er von flugasche etc. angegriffen. Unter sauren
feuerfesten Steinen versteht man die sogen. Dinas-Bricks. Dieselben enthalten 98-99 Proz.
Kieselsäure. Zu den feuerfesten Materialien gehören alle Schmelztiegel, Apparate für chemische Betriebe
etc., Gasretorten, Glashäfen, Zinkmuffeln. Das Brennen derselben findet in Mendheimschen Gasöfen, im Augustinschen Ofen, Steingut-
oder Porzellanrundofen bei etwa 1500° statt.
¶
Justus van, niederländ. Humorist und Lustspieldichter, geb. zu
Amsterdam,
[* 43] wo er als Fabrikbesitzer lebt. Zu seinen gelungensten Lustspielen gehören: »Een bittere Pil« (»Emanzipation«),
(das heutige Mâdeba), alte Stadt der moabitischen Hochebene, schon im 4. Buche Mosis als
Eroberung des Amoriterkönigs Sihon genannt und später im Besitz des StammesRuben. Im 5. nachchristlichen Jahrhundert war es
Bischofsitz, was seine Ruinen bestätigen. Diese byzantinische Stadt, von welcher namentlich eine Kathedrale, ein großes Reservoir,
ein Thor, eine Säulenstraße etc. sich teilweise erhalten haben, scheint aus
dem Material einer älteren römischen gebaut zu sein. Seit 1881 haben sich dort Katholiken angesiedelt, welche die Ruinen
zerstören und das Material verbauen.
Kongreß,internationaler. Die zweite PariserWeltausstellung von 1867 bot die Gelegenheit, daß eine größere
Anzahl fremder Ärzte sich zusammenfand, die in einer Vereinigung, welche an die Stelle der regelmäßigen
Jahresversammlungen der französischen Ärzte trat, unter dem Vorsitz von Bouillaud tagte. Ein italienischer Arzt, Pantaleoni,
regte dabei den Gedanken an, dieser Vereinigung von Gelehrten aller Nationen einen periodischen Charakter zu geben, und man beschloß,
die nächste Versammlung 1869 in Rom
[* 48] abzuhalten, ging aber, weil die vatikanische Regierung einen Kongreß
von Ärzten nicht dulden wollte, nach Florenz.
[* 49]
Der zehnte Kongreß tagte vom 4. bis in Berlin und wurde von Virchow eröffnet. Nach dem Bericht
des Generalsekretärs und nach Begrüßungen seitens des deutschen Kaisers, der Reichsregierung, der preußischen Regierung
und der Stadt BerlinsprachLister - London über antiseptische Chirurgie. Er trat lebhaft für die Phagocytentheorie Metschnikows
ein und suchte aus dieser die Thatsache zu erklären, daß seidene Fäden, die keinerlei antiseptische
Behandlung erfahren haben, ohne Schaden in Wunden liegen bleiben können.
Die Leukocyten dringen mit großer Schnelligkeit in die Zwischenräume aller Fremdkörper ein und zerstören die Mikroben, die
sich dort eingenistet haben. IndeshältLister es für weiser, die Seidenfäden vor dem Gebrauch zu sterilisieren.
Er sprach dann über die der Sublimatlösung, welche er andern antiseptischen Mitteln vorzieht, zu gebende Konzentration und
betonte, daß man bei empfindlichern Geweben, wie Synovialhäuten, verdünntere Lösungen anwenden müsse.
Bekanntlich suchteLister die in der Luft schwebenden Mikroben durch Zerstäuben einer antiseptischen Flüssigkeit über der
Wunde unschädlich zu machen. Es stellte sich aber heraus, daß die Anwendung des Sprays auf falschen Voraussetzungen
beruht, und seit 3 JahrenhatLister dieselbe aufgegeben. Er ersetzte den Spray durch antiseptisches Waschen und Spülen und dadurch,
daß er die Operationsstelle mit ausgebreiteten, in antiseptische Lösungen getauchten Handtüchern umgab, und er glaubt,
daß es an der Zeit sei, zu versuchen, ob nicht das antiseptische Spülen der Wunde zu entbehren sei, unter
der Voraussetzung natürlich, daß mit peinlichster Sorgfalt darauf geachtet wird, alle septischen Bestandteile aus andern
Quellen als der Luft von der Wunde fern zu halten. Gelingt der Versuch, so würde ein alter Traum in Erfüllung
gehen, den er einst geträumt. Ausgehend von der Analogie subkutaner Verletzungen, hatte er einst gehofft, daß die Wunde unter
dem antiseptischen Verband
[* 57] sofort vollständig geschlossen werden konnte und die Wundränder sich ohne weiteres vereinigen
würden.
Koch - Berlin sprach über bakteriologische Forschung. Es gilt als vollständig erwiesen, daß die Bakterien
ebenso wie die höhern pflanzlichen Organismen feste, mitunter allerdings schwierig abzugrenzende Arten bilden. Die ältesten
medizinischen Schriftsteller beschreiben Aussatz und Lungenschwindsucht in ihren unverkennbaren Eigenschaften, und man kann
daher annehmen, daß die pathogenen Bakterien eher die Neigung haben, ihre Eigenschaften innerhalb langer Zeiträume festzuhalten,
als sie, wie mit Rücksicht auf den wandelbaren Charakter mancher epidemischer Krankheiten meist angenommen
wird, schnell zu ändern.
Bei der Eigenart der Bakterien hat man aber zur Unterscheidung der Spezies möglichst viele Eigenschaften, auch wenn sie augenblicklich
noch so unwesentlich erscheinen, und zwar morphologische wie biologische, sorgfältig zu sammeln und sich nicht auf ein
einzelnes Kennzeichen zu verlassen, welches sich vielleicht als wandelbar erweist. Typhusbacillen in Mesenterialdrüsen, in
Milz und Leber einer Typhusleiche lassen keine Zweifel aufkommen, sollen aber Bacillen im Boden, Wasser, Luftstaub mit Sicherheit
als Typhusbacillen angesprochen werden, so vermag selbst der geübte Bakteriolog keine absolute Sicherheit
¶
mehr
zu geben, weil es an unverkennbaren konstanten Merkmalen fehlt. Ähnlich verhält es sich mit Diphtheritisbakterien, während
Tuberkelbacillen und Cholerabakterien unverkennbare Merkmale darbieten. Und doch gelangteKoch zu dem Ergebnis, daß die Bacillen
der Hühnertuberkulose eine besondere, wenn auch den echten Tuberkelbacillen sehr nahe stehende Art repräsentieren. Die
Frage, ob diese Bacillen auch für den Menschen pathogen sind, wird sich nur durch lange Beobachtungen unter
Anwendung des Kulturverfahrens entscheiden lassen.
Der Gedanke, daß Mikroorganismen die Ursache der Infektionskrankheiten sein müßten, ist schon sehr frühzeitig ausgesprochen,
aber doch erst in neuester Zeit bewiesen worden und zwar 1) durch den Nachweis, daß der Parasit stets
bei der betreffenden Krankheit anzutreffen ist und zwar unter Verhältnissen, welche den pathologischen Veränderungen und
dem klinischen Verlauf der Krankheit entsprechen, 2) durch den Nachweis, daß der Mikroorganismus bei keiner andern Krankheit
als zufälliger Parasit vorkommt, und 3) durch die Möglichkeit, die betreffende Krankheit mittels Reinkulturen des Pilzes
zu erzeugen.
Die Erfahrungen, die man in dieser Weise sammelte, gaben nun auch die Sicherheit, daß gewisse Bakterien, bei welchen der dritte
Nachweis versagt, doch als pathogen betrachtet werden können, wenn sie bei einer bestimmten Krankheit stets und ausschließlich
vorkommen und sich durchaus wie die bereits sicher als pathogen erkannten Bakterien verhalten. Man hat
ferner richtige Vorstellungen darüber gewonnen, ob die pathogenen Bakterien als ausschließliche oder nur gelegentliche Parasiten
leben und wie sie sich in Wasser, Boden, Luft verhalten.
Dies gibt Anhaltepunkte für die Prophylaxe, zumal auch für einige pathogene Bakterien ermittelt werden konnte, wie sie in
den Körper eindringen. Durch genauere Erforschung des Verhaltens der pathogenen Bakterien im Körper werden
manche pathologische Vorgänge verständlicher, so namentlich das häufige Vorkommen von Kombination mehrerer Infektionskrankheiten,
von denen dann die eine als die primäre, die andre als die sekundäre zu betrachten ist. Letztere gibt der eigentlichen Krankheit
einen abweichenden, besonders schweren Charakter oder schließt sich als Nachkrankheit an dieselbe an.
Der Redner gedachte ferner der Stoffwechselprodukte der pathogenen Bakterien, welche auf die Symptome der Infektionskrankheit
von Einfluß sind, vielleicht sogar die wichtigsten derselben bedingen.
Die Erforschung der biologischen Verhältnisse der Bakterien hat viele Thatsachen geliefert, welche sich prophylaktisch verwerten
lassen. Es war bekannt, daß direktes Sonnenlicht Bakterien ziemlich schnell tötet, es hat sich aber
gezeigt, daß auch zerstreutes Tageslicht, wenngleich langsamer, Tuberkelbacillen tötete. Dicht am Fenster aufgestellte Kulturen
starben in 5-7 Tagen ab. AlleBakterien können nur im feuchten Zustand, niemals in der Luft sich vermehren, sie können nie
von feuchten Flächen aus eignem Antrieb in die Luft übergehen, und nur diejenigen Bakterien können durch
Luftströmungen verschleppt werden, welche im getrockneten Zustand längere Zeit lebensfähig bleiben.
Neueste Färbungsmethoden geben weitern Aufschluß über den Bau derBakterien, indem sie gestatten, einen Kern, die äußere
Plasmahülle und die Geißeln besser zu unterscheiden. Ist es bisher nicht gelungen, die Erreger einer
großen Anzahl der ausgesprochensten Infektionskrankheiten zu ermitteln, so beruht dies vielleicht darauf, daß es sich hier
gar nicht um Bakterien, sondern vielleicht
um Protozoen handelt, wie ja derartige Gebilde bei Malaria nachgewiesen worden sind.
An praktischen Erfolgen der Bakteriologie ist die gewonnene Sicherheit der Desinfektion
[* 59] und die Kontrolle
der Wasserfiltration zu nennen, ferner die Erkenntnis der Beschaffenheit des Grundwassers, der Kanalgase, der Nachweis pathogener
Bakterien im Boden, im Staube, in Nahrungsmitteln, die Sicherheit der Diagnose in vereinzelten Fällen von Cholera und bei beginnender
Tuberkulose.
Direkt wirkende therapeutische Mittel hat die Bakteriologie bisher nur für Schutzimpfungen gegen einzelne
Krankheiten geliefert. Für Infektionskrankheiten mit kurzer Inkubation und schnellem Verlauf dürfte auch wenig zu erwarten
sein, wohl aber darf man für chronische Krankheiten noch viel von der Bakteriologie erwarten. Seit der Entdeckung der Tuberkelbacillen
hatKoch nach Mitteln gegen die Tuberkulose gesucht, und zwar in der Art, daß er zunächst auf die Bacillen
in Kulturen einzuwirken versuchte und dann zu Tierexperimenten überging.
Sehr viele Substanzen halten das Wachstum, die Vermehrung derBakterien in Kulturen auf, Cyangoldverbindungen schon in einer
Verdünnung von 1:2,000,000, aber bei tuberkulösen Tieren blieben alle diese Substanzen wirkungslos. Erst bei weitern Experimenten
gelang es, Substanzen zu finden, welche auch im Tierkörper das Wachstum der Bakterien aufhalten. Bei tuberkulösen
Meerschweinchen konnte der Prozeß zum Stillstand gebracht werden, und mit der Substanz geimpfte Meerschweinchen reagierten nicht
mehr auf eine Impfung
[* 60] mit Tuberkelbacillen. Der Redner bezeichnete seine Untersuchungen als noch nicht abgeschlossen, wollte
aber schon jetzt eine Anregung zu weitern Forschungen in dieser Richtung geben (vgl. Tuberkulose).
Ein zweites Verteidigungsmittel ist der antibakterielle Zustand der Säfte, welcher erst eintritt, wenn die Bakterien ins
Blut eingedrungen sind. Sie selbst erzeugen dann eigentümliche Substanzen, und das Blut und die Gewebssäfte wirken nun antibakteriell,
halten die Vermehrung derBakterien auf oder töten sie. Ist ein pathogenes Bakterium dank einer nervösen
Störung ins Blut gelangt, dann trifft es entweder auf baktericide Säfte und geht zu Grunde, oder es findet günstige Bedingungen
und vermehrt sich.
Solange sich die Thätigkeit der Bakterien auf eine bestimmte Stelle beschränkt, ist von den PhagocytenHilfe zu erwarten. Sind
aber erst die giftigen Stoffwechselprodukte der Bakterien in hinreichender Menge ins Blut gelangt, dann
sind die Phagocyten machtlos, und der Organismus ist auf das Eintreten des baktericiden Zustandes angewiesen. Tritt dieser ein,
so hebt er auch die Lähmung des vasomotorischen Zentrums auf, der Phagocytismus greift wieder ein, und es erfolgt Heilung.
Dabei bleibt aber der baktericide Zustand der Säfte bestehen, der Organismus¶
mehr
ist immun. Experimente beweisen, daß diese Immunität keineswegs auf besonderer Lebenstüchtigkeit (Energie) der Leukocyten
beruht, welche sie im ersten Kampfe gegen den Krankheitsträger erworben haben, ebenso wenig auf einer Gewöhnung an das bakterielle
Gift, vielmehr wird die Immunität herbeigeführt durch bestimmte Materien, welche die Bakterien selbst produzieren und welche
die Säfte des Körpers auf eine mehr oder weniger dauerhafte Weise modifizieren.
Diese Theorie der erworbenen Immunität ist nicht anwendbar auf die Theorie der natürlichen Immunität, denn sonderbarerweise
fehlt der baktericide Zustand bei den Tierarten, welche eine natürliche Immunität besitzen, und umgekehrt besitzen Tiere,
deren Säfte sich als baktericid erweisen, doch Empfänglichkeit für das Gift. Bei einem Tiere von natürlicher
Immunität ruft dasselbe ganz ebenso wie bei dem vaccinierten den Phagocytismus hervor; aber dies ist nicht der Fall, weil
es sich abschwächt wie im Körper des vaccinierten Tieres, sondern weil das Nervensystem eines solchen von Natur aus immunen
Tieres weniger reizbar ist als das eines nicht immunen Tieres gegenüber demjenigen bakteriellen Sekret,
welches das Austreten der Phagocyten verhindert. Aber auch bei einem solchen Tiere kann man die Infektion hervorrufen, wenn
man nur eine genügend große Dosis der bakteriellen Produkte einspritzt, ein Beweis, daß die natürliche Immunität nicht etwas
Spezifisches
[* 62] darstellt, sondern von dem gewöhnlichen Verhalten nur graduell verschieden ist.
Den zweiten Vortrag hielt Key (Stockholm)
[* 63] über die Pubertätsentwickelung und das Verhältnis derselben zu den Krankheitserscheinungen
der Schuljugend. Nach den Untersuchungen in Dänemark
[* 64] und Schweden
[* 65] beobachtet man bei Knaben ziemlich starke Zunahme nach Länge
und Gewicht im 7. und 8. Lebensjahr, eine schwächere vom 9.-14. und eine bedeutend schnellere bis zum
vollendeten 17. Jahre. Sie ist am stärksten im 15., am schwächsten im 10. Jahre. Die Zunahme bezieht sich zunächst auf
die Länge, das Gewicht nimmt später zu, am stärksten im 16. Jahre.
Die Gewichtszunahme dauert fort bis zum 19. Jahre, wo dann die körperliche Entwickelung des Jünglings
abgeschlossen erscheint. Bei den Mädchen sinkt das Wachstum nach dem 8. Jahre nicht so stark wie bei den Knaben, und schon
im 12. Jahre ist wieder eine starke Steigerung des Längenwachstums vorhanden. Die Gewichtszunahme folgt der Längenzunahme,
überholt sie aber schon im 14. Jahre. Im 17. und 18. Jahre ist die Längenzunahme nur noch schwach,
die Gewichtssteigerung aber sinkt erst im 20. Jahre auf Null.
Bis zum 11. Jahre ist der Knabe im Gesamtwachstum dem Mädchen überlegen, von da ab bis zum 16. wird er von diesem überholt,
dann wiederum übertrifft sein Wachstum das des Mädchens. Bei ärmern Kindern sind Länge und Gewicht geringer
als bei Kindern der Wohlhabenden. Das starke Wachstum tritt auch bei erstern später ein als bei letztern, vollzieht sich
aber um so schneller, so daß das Ende der Entwickelung gleichzeitig erreicht wird. Nur wenn die hindernden Verhältnisse
zu stark sind und zu lange andauern, bleibt das arme Kind überhaupt zurück.
Malling-Hansen fand, daß von November, bez. Dezember bis März-April nur schwaches Längen- und noch schwächeres Gewichtswachstum
stattfindet. Von März-April bis Juli-August folgt starkes Längenwachstum, während das Gewicht zurückgeht, oft um ebensoviel,
wie es in der vorhergehenden Periode zugenommen hatte. Endlich folgt von August bis November bei nur noch
geringer Längenzunahme
starke Zunahme des Gewichts. Die tägliche Gewichtszunahme ist oft dreimal so groß als während der
Wintermonate. Es wiederholt sich also jährlich die für die Pubertätsentwickelung gefundene Regel. Es wird eingehender Untersuchungen
bedürfen, um zu entscheiden, ob diese thatsächlichen Verhältnisse unmittelbar physiologisch begründet
oder ob sie nur die Frucht äußerer Verhältnisse sind.
Einen Beitrag zur Beantwortung der Frage liefert die Untersuchung der Schulkinder. Von 15,000 Knaben der MittelschulenSchwedens
war mehr als ein Drittel krank oder mit chronischen Leiden
[* 66] behaftet. An habituellem Kopfweh litten 13,5, an Bleichsucht 13 Proz.
In den ersten und in den letzten Schuljahren liegt die Sache am schlimmsten. In den Vorbereitungsschulen
sind von den Knaben der untersten Klasse 17, der zweiten Klasse 37, der obersten (4.) Klasse 40 Proz. krank. Da die Anforderungen
der Schule regelmäßig steigen, die mittlern Klassen der Mittelschulen aber weniger ungünstig gestellt sind,
so kann der Fehler nicht wohl in der Organisation derSchule liegen. Es ist eben das Wachstumsverhältnis, welches sich hier
geltend macht.
In der Zeit des verzögerten Wachstums ist die Krankheitsziffer am größten, in der Zeit stärkster Zunahme des Wachstums
ist sie am kleinsten, und unmittelbar nach Schluß der Pubertätsentwickelung, wenn die jährliche Längen-
und Gewichtszunahme sich schnell vermindert, steigt die Krankheitsziffer wieder. Für die Jünglinge ist das 17. Jahr das
gesündeste, widerstandsfähigste, vom 18. an verschlechtert sich der Gesundheitszustand wieder. Unter 3000 Schulmädchen
zeigte sich die Kränklichkeit erschreckend groß, 61 Proz. derselben sind krank oder mit ernstern
chronischen Leiden behaftet. 36 Proz. leiden an Bleichsucht, ebenso viele an habituellem Kopfweh, mindestens 10 Proz.
an Rückgratsverkrümmungen. Im 13. Lebensjahr steigt die Krankheitsziffer auf 65 Proz., dann
sinkt sie etwas, um später auf 68 Proz. zu steigen. In Dänemark sieht es besser aus, doch beträgt auch hier die Krankheitsziffer 49 Proz.
Die weitere Klärung dieser Verhältnisse erwartet Redner durch gleichartige internationale Untersuchungen.
Er bespricht dann noch die Anforderungen der Schule und kommt zu dem Resultat, daß namentlich die Periode der schwächsten
Entwickelung der größten Schonung bedarf.
Oft sistieren Atmung und Herzthätigkeit zu gleicher Zeit, zuweilen wurde beobachtet, daß die Atmung noch eine Zeitlang fortdauerte,
während der Puls nicht mehr zu fühlen war; in der Regel stockt aber die Atmung zuerst. Für die Thatsache,
daß in verschiedenen Ländern die klinischen Erfahrungen und die Resultate der Tierversuche mit Chloroform so sehr verschieden
sind, daß namentlich in den Tropen die lähmende Wirkung auf das Herz nicht beobachtet wird, sind zwei Erklärungen möglich:
entweder besitzen Menschen und Versuchstiere in
¶
Von großer Wichtigkeit ist ferner die Lage des Kranken. Wird der Kopf desselben gehoben, so sinkt der Druck im arteriellen
Gefäßsystem, steigt also die Gefahr. Günstig wirkt Druck auf die rechte Herzgegend. Die forcierte künstliche Atmung (Einführung
eines Kautschukrohrs in die Luftröhre und Benutzung eines Blasebalgs mit Hahnregulierung) mit rhythmischen
Kompressionen der Brust ist das mächtigste Wiederbelebungsmittel. Für die Äthernarkose zeigte Redner einen in Amerika
[* 71] viel
benutzten Apparat, welcher genaue Dosierung und Sicherung der Konzentration gestattet.
Cantani (Neapel) sprach über Antipyrese. Er definiert das Fieber als Beschleunigung des Stoffwechsels mit
Steigerung der Gewebsverbrennung und hiermit auch der Wärmeerzeugung. Nicht alle Fieber nehmen auf gleiche Art und in gleichem
Maße das Brennmaterial des Körpers in Anspruch, und darin liegt die Erklärung, daß die Folgen des Fieberprozesses bei den
verschiedenen Krankheiten so verschieden sind. Jedenfalls ist es Aufgabe der Therapie, den Stoffverbrauch
zu vermindern, und deshalb trachtet man danach, das Fieber herabzusetzen oder zu unterdrücken.
Die Entziehung von Wärme
[* 72] ist nur ein symptomatisches Verfahren, welches gegen die gesteigerte Verbrennung von Körperbestandteilen
nichts vermag. Die Antipyretika dagegen wirken der vermehrten Wärmebildung entgegen, vermindern den fieberhaften Stoffverbrauch.
Es fragt sich aber, ob die Antipyretika, auf diese Weise wirkend, nützlich für den fiebernden Kranken
sind. Die Krankheit ist der Ausdruck des notwendigen Kampfes des Organismus gegen den Krankheitserreger.
Wie nun die Entzündung die lokale Reaktion des angegriffenen Gewebes gegen den auf die Lokalität einwirkenden Krankheitserreger
darstellt, so ist das Fieber die allgemeine Reaktion des Gesamtkörpers gegen die von dem Krankheitserreger
im ganzen Stoffwechsel bewirkten Veränderungen. Diese Reaktion ist Bedingung der Genesung. Ein günstiger Einfluß des Fieberprozesses
auf die Infektionswirkung kann auf dreifache Weise zum Ausdruck kommen:
1) indem es die Lebensthätigkeit, die Vermehrung und auch die Virulenz der lebenden Krankheitserreger im Körper durch die
erhöhte Temperatur beeinträchtigt, 2) indem es die Widerstandsfähigkeit der Gewebselemente und ihre
phagocytäre Bedeutung erhöht, 3) indem es den Nährboden in den Geweben durch die Modifikationen des fieberhaften Stoffumsatzes
für die lebenden Krankheitserreger ungünstig gestaltet. Das Fieber kann also nützlich sein, wenn der Stoffumsatz nicht
bis zur Erschöpfung gesteigert wird, und daß das Fieber wirklich nicht die Hauptgefahr der Krankheit
bedingt, erhellt auch aus der täglichen praktischen Erfahrung. Es sind eben die akuten fieberhaften Krankheiten, welche im
allgemeinen einer spontanen Heilung fähig sind, während die fieberlosen chronischen Krankheiten sehr schwer oder gar nicht
heilen und die fieberlosen, mehr oder weniger akuten eine sehr große Mortalität geben.
Deshalb sollte man abstehen von der Ausbildung einer Fiebertherapie und
nach Mitteln suchen, welche das Fieber dem Kranken entbehrlich
machen, indem sie den Fiebererreger vernichten oder doch abschwächen. In dieser Art wirkt das Chinin bei Malaria, welches direkt
die Ursache der Malaria angreift. Alle andern Fiebermittel setzen neben gesteigerter Wärmeabgabe die Wärmeerzeugung
herab. Da nun aber die verschiedenen pathogenen Bakterien den verschiedenen bakterientötenden Mitteln gegenüber sich sehr
verschieden verhalten, so kann es kein allgemeines Fiebermittel geben. Es wird vielmehr Aufgabe der Wissenschaft sein, für
jede Bakterienart ein Spezifikum zu suchen.
Neben seiner Heilwirkung kann hohes Fieber auch schädlich wirken, die hohe Temperatur beeinträchtigt
die Herzkraft, bedroht die Nervenzentren, und man ist deshalb gezwungen, dieselbe herabzusetzen. Dies geschieht aber am besten
durch Wärmeentziehung, also ohne die Mehrbildung von Reaktionswärme zu vermindern. Hierzu eignen sich kalte Vollbäder,
kalte Einwickelungen, Übergießungen etc., dann reichliches Trinken von kaltem Wasser und die Enteroklyse.
Die Wärmeerzeugung wird durch diese Methode der Wärmeentziehung noch gesteigert, und somit tritt der fundamentale Unterschied
gegenüber den chemischen Antipyreticis mit ihrer Herabsetzung der Wärmebildung klar hervor.
Meynert (Wien) sprach über das Zusammenwirken der Gehirnteile. Das Gehirn
[* 73] ist nicht wie das Gerippe aus gleichartigen Einzelteilen
für eine Mechanik zusammengesetzt, sondern aus sehr ungleichartigen Formen, nur im Feinsten bestehen sie
alle aus gleichartigen Teilen; es ist keineswegs, wie das allgemein geschieht, im Verein mit dem Nervensystem einem elektrischen
Apparat zu vergleichen. Seine graue und weiße Substanz kann nur mit einer sozialen Gruppierung lebender beseelter Wesen zusammengehalten
werden.
Das Gehirn ist in den Halbkugeln einer Kolonie durch Fühlfäden und Fangarme sich des Weltbildes bemächtigender,
lebender, bewußtseinsfähiger Wesen vergleichbar, und dies ist mehr als ein bloßer Vergleich. Nur das Bewußtsein der Hirnrinde
fällt beim Menschen in die Aufmerksamkeit, und durch die allseitig protoplasmatischen und markhaltigen Verbindungen der Elementarwesen
der Rinde, durch ihre Associationsvorgänge erscheint sie sich als ein einziges Wesen.
Seinen geistvollen Vortrag schließt Meynert mit folgenden Worten: »Da wir von der Annahme spezifischer Energien der Gehirne ablassen
mußten, da wir nur eine angeborne Anatomie und einen angebornen Chemismus übrigbehalten, aber kein angebornes Wissen von der
Erscheinungswelt, so fällt ein Anhaltspunkt für die Deszendenzlehre, ein solches angebornes Wissen zuzulassen,
der Annahme irgend welcher angeborner Hirnfunktionen oder angeborner Gedanken Spielraum zu geben. Licht
[* 74] und Schall
[* 75] sowie das
Raumbild sind Gegenstände des Erlernens. Es gibt keine Instinkte, keine Triebe, kein Bewegen, welchen ein noch unerlebtes
Ziel im Bewußtsein zu Grunde läge. SchonEhrenberg hat für die einfachsten Wesen der Tierwelt den Instinkt
abgelehnt und in ihnen Äußerungen eines Bewußtseins gesehen, das solidarisch ist bis aufwärts zum Menschen. Die Orientierung
des Insekts über den Ort, wo es sein Ei
[* 76] absetzt, ist nicht angeboren sondern den Erfahrungen entnommen, welche die Larve gemacht
hat, deren Nervensystem dazu schon genug entwickelt, nicht die Umbildungen mehr durchmacht wie der übrige
Leib, und deren Bewußtsein in das Bewußtsein des fertigen Insekts sich fortsetzt. Auch für das Erlernen der Arbeit bei
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