Pflanzen
(Plantae viviparae),
Gewächse, deren
Same regelmäßig schon in der
Frucht keimt und dieselbe
entweder auf der Mutterpflanze durchbohrt oder in gekeimtem Zustand mit der
Frucht zugleich abfällt.
Als
Abnormität kommt diese
Erscheinung auch an einzelnen einheimischen
Pflanzen, z. B. bei auswachsendem
Getreide
[* 4] in feuchten
Jahren, bei
Arten von
Juncus,
Epilobium, bei Äpfeln u. a., vor. Allein sie ist bei einigen tropischen Strandgewächsen
der sogen. Mangroveformation (so z. B. bei
Arten von
Rhizophora, Bruguiera, Aegiceras,
Avicennia) ein durchaus normaler Vorgang, welchen schon Rumphius in seinem
»Herbarium
Amboinense« sehr anschaulich beschrieb; jedoch wurde dieser
Bericht von spätern Reisenden so entstellt wiedergegeben, daß
ein endgültiges
Urteil über die
Sache nicht ausgesprochen werden konnte.
Eine genauere Untersuchung der lebendiggebärenden
Pflanzen Südasiens wurde neuerdings durch Göbel in
Bentotte auf
Ceylon
[* 5] ausgeführt, nachdem schon früher
Warming in
Brasilien
[* 6] an
Rhizophora Mangle Lebendiggebärende
Beobachtungen angestellt hatte.
Die einfachste Form von
Viviparie unter den
Mangroven besitzt Bruguiera gymnorhiza. Von den sechs im
Fruchtknoten vorhandenen
Samenanlagen wächst nur eine aus und füllt zuletzt den ganzen Innenraum desselben völlig. Der scheitelständige
Embryo unterscheidet sich von einem gewöhnlichen dikotylen
Keimling nur dadurch, daß er vier anstatt zwei
Keimblätter besitzt,
die unten zusammenhängen und hier eine kurze
Röhre bilden; sein unter den
Keimblättern befindliches (hypokotyles) Stengelglied
ist anfangs noch sehr klein.
Dasselbe verlängert sich aber später bedeutend, so daß es die
Samenschale durchbohrt und mit der
Wurzel
[* 7] an der
Spitze in den Fruchtknotenraum hineinwächst, während die
Keimblätter innerhalb der
Samenschale stecken bleiben und
unter Aufzehrung des vorhandenen
Endosperms den
Keimling ernähren. Das weiterwachsende Wurzelende des
Embryos dehnt zunächst
den
Fruchtknoten, sprengt schließlich dessen Wand an dem griffeltragenden Teile mit einem Querriß und
hebt den Griffelteil mützenartig empor.
Darauf schwillt das aus der
Frucht hervorgetretene hypokotyle
Ende des
Keimlings an und verlängert sich zu einem bis 21
cm
langen und 2
cm breiten
Körper von Spindelform. Durch das wachsende
Gewicht des
Keimlings wird inzwischen die noch immer am
Baume befindliche
Frucht so gedreht, daß die Wurzelspitze sich nach unten kehrt. Der auf diese
Weise weit
vorgeschrittene
Keimling fällt schließlich (wie es scheint, ähnlich wie bei
Rhizophora durch Lostrennung von den
Kotyledonen)
ab und gelangt in den unter den
Bäumen vorhandenen Schlamm, in welchem sich das Wurzelende schnell weiterentwickelt. Häufig
fallen aber auch die
Keimlinge in das
Wasser und werden von demselben wegen ihrer lufthaltigen Intercellularräume
fortgetragen, bis sie die
Brandung wieder an den
Strand zurückwirft, so daß auch die Weiterverbreitung der
Pflanze gesichert
erscheint.
Bei
Rhizophora mucronata ist besonders das Verhalten des
Endosperms und die abweichende
Bildung des
Embryos von
Bedeutung. Ersteres wächst nämlich aus dem Samenknospenmund
(Mikropyle) hervor, ähnlich wie bei
Rhizophora Mangle nach
Warming,
ohne jedoch eine arillusartige Wucherung zu bilden, und bahnt dadurch dem auskeimenden
Embryo den Weg; sein hypokotyles Ende
verlängert sich, wächst in das
Endosperm hinein und durchbohrt dasselbe, wodurch es in die Fruchtknotenhöhle gelangt.
Der
Embryo besitzt an
Stelle der vier
Keimblätter von Bruguiera einen anscheinend soliden Keimblattkörper (Kotyledonarkörper),
der jedoch eine mittlere, sehr enge
Spalte mit dicht sich berührenden Rändern und im
Grunde derselben die Stammknospe aufweist.
Das keulenförmige Wurzelende des
Keimlings durchbricht dann den stehen gebliebenen untern, ebenfalls weiter ausgewachsenen
Teil des
Griffels, und sein hypokotyles
Glied
[* 8] löst sich zuletzt von dem Keimblattkörper ab, worauf das
weitere
Schicksal des
Keimlings dem von Bruguiera ähnlich verläuft.
Auch bei Aegiceras majus, einer strandbewohnenden, strauchartigen Myrsinee mit ziegenhornähnlich gekrümmten
Früchten, beobachtete
Göbel
Viviparie, welche insofern von der bei
Rhizophora abweicht, als hier die
Frucht, solange sie am
Strauche
festsitzt, vom
Keimling nicht durchbohrt wird.
Letzterer wächst aber innerhalb der
Frucht zu ganz bedeutender
Größe heran
und füllt deren Innenraum aus, während der
Same klein bleibt. Die
Frucht fällt dann mit dem von ihr umschlossenen
Keimling
ab, schwimmt auf dem
Wasser und vermittelt dadurch die Verbreitung.
Endlich kommt auch bei
Avicennia officinalis, einer strandbewohnenden
Verbenacee, ein normales
Lebendiggebären vor; auch bei
dieser wächst nach
Treub das
Endosperm aus dem Samenknospenmund hervor, führt aber dabei den
Embryo mit sich, der einen nur
wenig entwickelten hypokotylen Teil hat und im
Endosperm wie in einer
Tasche steckt, während die beiden
elliptischen
Keimblätter aus jenem hervorragen. Schließlich fallen die
Embryos in völlig nacktem Zustand aus der geöffneten
Frucht heraus und befestigen sich an ihrem untern Ende mittels eines
Kranzes von Nebenwurzeln.
Nach diesen
Beobachtungen ist es unzweifelhaft, daß bei den in
Rede stehenden
Pflanzen normale und bis auf die Embryonalzustände
zurückgreifende biologische Einrichtungen vorhanden sind, welche die merkwürdige Art des Aussäens von entwickelten Keimpflanzen
an
Stelle von
Samen
[* 9] herbeiführen.
Letztere steht in deutlicher Abhängigkeit von den besondern Verhältnissen der tropischen
Strandvegetation, welche eine gesicherte Verbreitung und eine möglichst schnelle
¶
mehr
Befestigung der Keimpflanzen in dem Schlammboden erfordert, da ohne derartige Einrichtungen leicht ein Umfallen oder
Weggespültwerden jener eintreten könnte, eine teleologische Voraussetzung, welche natürlich das Zustandekommen dieser
Bildungen selbst nicht erklärt. Übrigens finden sich auch bei einigen nicht lebendiggebärenden PflanzenFormen der Samenentwickelung,
welche auf die Viviparie ein Licht
[* 11] werfen. So entbehren z. B. die großen Samen einer auf sumpfigem Strandboden
Ceylons wachsenden Amaryllidee (Crinum asiaticum) eine harte, feste Samenschale und werden nur von einer dünnen, grauen Haut
[* 12] umzogen; ihrer Hauptmasse nach bestehen sie nur aus dem Endosperm und schwimmen vermöge ihres Luftgehalts auf dem Wasser,
was die Verbreitung erleichtert; indem die ursprünglich vorhandene, schwammige Fruchtschale unter Wasser
verwittert, gelangen sie ins Freie. Noch merkwürdigere Schwimmeinrichtungen finden sich bei der NymphäaceeEuryale ferox, deren
Samen mittels eines lufthaltigen Mantels (Arillus) zu schwimmen vermögen und nach Entfernung desselben sofort zu Boden sinken.
Auch die Kokospalme und die strandbewohnende, niederliegende Barringtonia speciosa (Myrtacee) besitzen
eine hierher gehörige Einrichtung, indem sich die Wurzeln ihres Keimlings zunächst innerhalb einer Faserschicht der Fruchtwand
entwickeln; dieselbe ermöglicht durch ihr schwammiges Gewebe
[* 13] zugleich das Schwimmen der Frucht und ihre Verbreitung durch Meeresströmungen.
[* 14] Das Wurzelsystem ist bei diesen Pflanzen schon erstarkt, ehe es die Frucht durchbricht, und kann daher
den Keimling rascher befestigen; auch ist durch außerordentlich reichliche Anhäufung von Reservestoffen für dessen schnelle
Ernährung gesorgt.
Vielleicht verhält sich die an vielen Stellen des tropischen Asien
[* 15] bis nach Neuguinea und Nordaustralien verbreitete Palme
[* 16] Nipa
frutescens ähnlich, deren Früchte nach Blumes alter Angabe so lange am Kolben stehen bleiben sollen, bis
das Salzwasser der Keimung nichts mehr schaden kann. Ein derViviparie verwandter Vorgang findet sich auch bei einzelnen Kryptogamen,
die feuchte Strandorte bewohnen (Hymenophylleen sowie einige Lebermoose), und deren Sporen regelmäßig noch innerhalb des
Sporangiums die ersten Keimungsstadien zurücklegen.
Dagegen ist das besonders bei Gräsern vorkommende, abnorme Durchwachsen der Blüte
[* 17] durch einen blatttragenden,
später abfallenden und sich bewurzelnden, kleinen Sproß als vegetative Viviparie zu betrachten. Den stärksten Gegensatz zu
den lebendiggebärenden Pflanzen stellen solche Gewächse dar, deren Embryos bei der Ausstreuung der Samen noch ganz unentwickelt
sind und nur aus einer oder wenigen Zellen bestehen, wie es bei einer Reihe unsrer einheimischen Frühlingspflanzen
(Eranthis hiemalis, RanunculusFicaria, Corydalis cava) der Fall ist. Die Weiterentwickelung erfolgt dann an den unreifen Samen
innerhalb des Erdbodens. Bei der KonifereGingko biloba tritt sogar die Befruchtung
[* 18] erst in der abgefallenen Samenknospe ein.
Den Bemühungen Leuckarts ist es gelungen, den Entwickelungsgang dieses gefürchteten Parasiten des Hornviehs,
namentlich der Schafe,
[* 20] klarzulegen und als Zwischenwirt eine kleine Sumpfschnecke (Limnaeus minutus) nachzuweisen. Die erste,
das Ei
[* 21] verlassende Larvenform des Leberegels stellt ein bewimpertes, infusorienartiges Geschöpf dar, welches einige
Zeitlang frei umherschwimmt, um dann in die kleine Sumpfschnecke
einzuwandern; die Larven befestigen sich mit Hilfe des lang
ausgezogenen Kopfzapfens aller Orten an der freien Körperoberfläche der Schnecken
[* 22] und dringen durch fortwährende Bohrbewegungen
allmählich ein.
Bald nach der Einwanderung wandeln sich die Embryos unter Verlust des Darmes in Keimschläuche (Sporocysten)
um, in welchen dann die Ammenform entsteht, die sogen. Redien. Diese sind im Anfang sehr beweglich und dringen, zum Teil mit
Benutzung der Blutwege, in die Leibeshöhle ihrer Wirte bis tief in die Leber, die ihren Lieblingsaufenthaltsort bildet; der
Leib ist ziemlich schlank und zeigt einen Kopfteil, ein Mittelstück und ein Schwanzende. Nach 6-7 Wochen
(im Sommer) hat sich im Körper dieser Redien eine reichliche Brut der als Cercarien bekannten Larven entwickelt.
Die Cercarie des Leberegels besitzt einen ziemlich platten Leib, der im Ruhezustand eine gleichmäßig ovale Form hat, dieselbe
aber auf das mannigfaltigste zu ändern vermag, namentlich beim Kriechen, welches durch alternierende
Befestigung der eine entschieden ventrale Lage besitzenden Saugnäpfe geschieht. Dem ca. 0,26 mm langen Leib fügt sich ein 0,5
mm langer Schwanz an. Diese Cercarien verlassen aktiv die Schnecke, um sich nach Abwerfung des Schwanzes sofort an irgend einem
beliebigen Objekt, mit welchem sie in Berührung kommen, durch Ausscheidung einer undurchsichtigen Körnermasse
zu verkapseln; sie suchen also nicht wie die Cercarien verwandter Formen nochmals ein andres Tier auf.
Indem die an Grashalmen etc. anklebenden eingekapselten Cercarien von weidendem Vieh gefressen
werden, erfolgt die Infektion. Auf die geschilderte Weise der Entwickelung produziert ein Embryo des Leberegels, der im
Laufe des Frühlings in eine Schnecke einwandert, durch Hilfe der Zwischengeneration bis zum Herbst durchschnittlich etwa 300-400
Cercarien, indem die aus dem Embryo entstehende Sporocyste sechs Redien erzeugt und jede Redie etwa 60 Cercarien entwickelt.
Wandern aber die Wimperlarven spät ein, so daß die Redien überwintern, so steigt diese Zahl vielleicht
um das Zehnfache, indem die Redien nicht gleich die Cercarien, sondern zunächst wieder eine Redienbrut hervorbringen und
erst aus dieser wiederum die letzte Larvenform, die Cercarien, entsteht. Als gefährdete Gegenden für die Leberegelkrankheit
der Schafe sind also alle feuchten Weiden anzusehen, auf denen Limnaeus minutus vorkommt; bei der Vermehrung
dieser Schnecken und dadurch auch der Brut des Leberegels kann auch die Witterung eine große Rolle spielen, so daß man von Distomumjahren
spricht; es gingen z. B. 1873 in Elsaß-Lothringen
[* 23] der dritte Teil aller Schafe im Werte von 1,150,000 Frank an der Leberegelkrankheit
zu Grunde, und 1882 starben hieran in den südlichen Provinzen von Buenos Ayres
[* 24] nicht weniger als 1 Mill.
Schafe.
Die geographische Verbreitung der Schnecke, von welcher wenigstens in der alten Welt das Auftreten der Leberegelkrankheit abhängt,
ist eine außerordentlich weite; sie ist bekannt nicht bloß aus allen LändernEuropas, von Lappland und Rußland an, sondern
auch aus Asien, besonders Nordasien und Afrika
[* 25] (den Mittelmeerländern und Abessinien). In der Neuen Welt
ist allerdings diese Schnecke bis jetzt noch nicht gesunden worden, obwohl der Leberegel daselbst zum Teil sogar häufig vorkommt;
allein es sind von da Formen beschrieben, wie Limnaeus humilis Say aus Nordamerika,
[* 26] Leberegel viator d'Orb. von den La
Plata-Staaten, die kaum spezifisch von Leberegel minutus abweichen, so daß sich in der Neuen Welt bei genauer Untersuchung jedenfalls
diese Formen als Träger
[* 27] des
¶
mehr
Parasiten erweisen werden. Bei dem ebenfalls im Schafe vorkommenden kleinen Leberegel, Distomum lanceolatum, wird die Embryonalentwickelung
im Innern des mütterlichen Körpers durchlaufen, so daß die nach außen abgelegten Eier
[* 29] bereits einen vollständig ausgebildeten
Embryo enthalten. Diese Embryos schlüpfen im Freien überhaupt nicht aus, sondern erst, wenn die Eier in den
Darm
[* 30] eines geeigneten Zwischenträgers gelangen; die Übertragung braucht aber nicht unmittelbar nach dem Ablegen der Eier zu
geschehen, sondern die Embryos behalten lange ihre Entwickelungsfähigkeit.
Welches Tier aber der Zwischenwirt ist, der die Eier mit den Embryos des kleinen Leberegels aufnimmt, ist noch unbekannt. Experimente,
die Leuckart mit Sumpf-, Nackt- und selbst Landschnecken anstellte, führten zu keinem Resultat; jedenfalls
ist es ein auf feuchten Wiesen und Triften verbreitetes Tier, da der kleine Leberegel zusammen mit dem großen Leberegel in Schafen, die auf
solchen Weiden leben, vorkommt.
alte Stadt auf Cypern,
[* 32] welche in einer Tributliste der assyrischen Könige Assarhaddon (681-668) und Assurbanipal
(668-626) als Lidir, von den klassischen Schriftstellern gar nicht erwähnt, dann aber wieder im 4. Jahrh.
n. Chr. als Bischofsitz genannt wird und in der Nähe des heutigen, erst unter den Lusignans (1192-1489) in den Vordergrund tretenden
Nikosia gelegen haben muß. Neuerliche Ausgrabungen aus dem Leondari Vuno (Löwenhügel), ca. 6 km südöstlich von Nikosia,
welche Gegenstände aus der ältesten Periode cyprischer Kultur, der sogen. vorphönikischen Zeit, zu Tage
förderten, erheben die Vermutung von Ohnefalsch-Richter, daß beide Lokalitäten, und Leondari Vuno, identisch seien, fast
zur Gewißheit.
Ende 1888 zählte die 1875 begründete Allgemeine deutsche Pensionsanstalt für Lehrerinnen
und Erzieherinnen (s. Bd. 10, S. 637) 1763 Mitglieder, die an Jahresbeiträgen
147,336,20 Mk. entrichteten, wobei zu berücksichtigen, daß 75 Mitglieder
durch einmalige Zahlungen im Betrag von 95,873 Mk. die Jahresbeiträge abgelöst hatten. Die gesamte Einnahme betrug 1888:
333,391,64 Mk., das Vermögen 2,382,925,26 Mk., wovon 276,171,55
dem Hilfsfonds angehörten;
daraus können im Falle früher Erwerbsunfähigkeit Beihilfen gewährt werden,
namentlich zur Leistung fälliger Beiträge. Im Genuß der versicherten Pension standen 159 Mitglieder mit einem Bezug von
32,847,70 Mk. jährlich.
Zur Deckung von Beiträgen in Notfällen und andern Beihilfen waren 1888 verwandt: 9270 Mk. in 172 Fällen;
für 1890 konnten zu gleichem Zwecke 10,000 Mk. ausgeworfen werden.
Von den während der Jahre 1889 und 1890 in Deutschland
[* 36] abgehaltenen größern
Lehrerversammlungen erwähnen wir die folgenden: A.
Für das höhere Schulwesen: Der Delegiertentag des Allgemeinen deutschen Realschulmännervereines,
der im Juli 1889 in Berlin tagte, faßte folgende Beschlüsse:
1) Wir stehen mit schmerzlicher Überraschung der von neuem angegebenen Erklärung des HerrnMinisters von
Goßler gegenüber, daß die Gleichberechtigung der Realgymnasien mit den Gymnasien in gefahrdrohender Weise den Zudrang zur
Universität zu vermehren geeignet sei. Diese Anschauung ist durch die Erfahrung wie durch die wissenschaftlichen Untersuchungen
berufener Männer widerlegt; die Versammlung erachtet es für ihre Pflicht, ebenfalls erneut auszusprechen, daß gerade die
jetzige Alleinberechtigung die gefährlichste Förderung jenes volkswirtschaftlichen Übels bildet.
2) Der Realschulmännerverein erblickt in dem Entstehen jüngerer Schulreformvereine nicht das Hervortreten gegnerischer
Strömungen, sondern wertvolle Zeugnisse für das immer allgemeiner erwachende Bewußtsein von der Notwendigkeit zeitgemäßer
Fortbildung des gesamten höhern Schulwesens.
3) Der Realschulmännerverein weiß sich mit den Vertretern dieser Bestrebungen einig in der Forderung
gleicher Berechtigungen sowie in einer Reihe grundsätzlicher Überzeugungen und wichtiger Ziele: allmähliche Ausgestaltung
des Unterrichts und der Erziehung auf nationaler Grundlage, sorgfältigere Pflege der körperlichen Entwickelung, Ausrüstung
des heranwachsenden Geschlechts mit den Kenntnissen und dem Pflichtgefühl, deren es bedarf, um die großen wirtschaftlichen
und sittlichen Aufgaben der Neuzeit klar und zielbewußt zu erfassen.
4) Aber auch in Übereinstimmung mit hervorragenden Vertretern der Gymnasien sieht der Realschulmännerverein eine
Erweiterung der Berechtigungen der zur Zeit bestehenden neunklassigen Reallehranstalten als eine notwendige Vorbedingung jeder
fernern gedeihlichen Entwickelung an. Die 40. Versammlung deutscher Philologen und Schulmänner fand vom 1.-5. Okt. 1889 in
Görlitz
[* 37] unter zahlreicher Beteiligung statt. Neben den eigentlichen Gegenständen der Verhandlung erregte die vom GörlitzerVerein fürJugendspiele und Knabenhandarbeit veranstaltete Ausstellung von Knabenhandarbeiten sowie die Vorführung der Spiele
auf dem großen dortigen Spielplatz die Teilnahme der versammelten Gymnasiallehrer und Philologen. Der deutsche Verein für
das höhere Mädchenschulwesen hielt im September 1890 seine Jahresversammlung in Heidelberg
[* 38] ab, der im
Auftrag der preußischen, badischen und andrer deutscher Schulverwaltungen Kommissare beiwohnten.
B. Für das Volksschulwesen. Im J. 1889 vom 10.-12. Juni fand die 28. allgemeine deutsche Lehrerversammlung in Augsburg
[* 39] statt.
Sie war von 1500 Teilnehmern besucht und erledigte eine Reihe von Gegenständen aus dem innern Schulleben
in eingehenden Debatten; so die Reform des naturkundlichen Unterrichts nach dem Prinzip der sogen. Lebensgemeinschaften, des
Rechenunterrichts im Sinne der Vereinfachung, Wert der formalen Unterrichtsstufen der Herbartianer für den Unterricht, Umgestaltung
des Sprachunterrichts nach FranzKern, Ziel und Methode des Schulzeichnens, auch die gesundheitliche Beaufsichtigung
der Volksschule durch den Arzt. Der bei dieser Versammlung erstattete Bericht ergab, daß der deutsche Lehrerverein jetzt 33,000
Mitglieder gegen 3500 im J. 1873 zählt, die sich auf 1030 Vereine in 34 Landes- oder Provinzverbänden verteilen. Wenige Tage
zuvor, vom 23.-25. Sept. 1889, hatte in Nürnberg
[* 40] der 9. deutsche
¶
mehr
Seminarlehrertag unter Beisein und Mitwirkung verschiedener Regierungskommissare und unter Vorsitz des Hamburger Seminardirektors
(jetzt Schulrats) Mahraun verhandelt. Den Hauptgegenstand der Verhandlung: »die Aufgabe der Lehrerbildung im Hinblick auf das
sozialpolitische Leben«, leitete Seminarlehrer Keferstein aus Hamburg
[* 42] durch einen ausführlichen Vortrag ein. Der nächste Seminarlehrertag
soll 1892 in Braunschweig
[* 43] stattfinden und sich mit der Internatsfrage, den Reformen auf dem Gebiet der
Naturwissenschaften und den Seminarübungsschulen beschäftigen.
In den letzten Maitagen 1890 sah Berlin den 8. deutschen Lehrertag versammelt. Als erfreuliches Zeichen der Zeit muß man den
Austausch durchaus achtungsvoller Grüße und Wünsche zwischen der Versammlung und dem abwesenden Minister v. Goßler
sowie die Bewillkommnung des Lehrertags durch den leitenden Schulmann des Ministeriums, Geheimen Oberregierungsrat Schneider,
auffassen. Um so unerwarteter kam es, daß Dittes, früherer Leiter des Wiener städtischen Pädagogiums, die von ihm übernommene
Gedächtnisrede auf Diesterweg (geb. 1790) zu herber Kritik gerade der preußischen Schulverwaltung benutzte, da sein Vorredner
Schneider mit großer Umsicht und Offenheit eben zuvor die Bestrebungen des Ministers ebenso wie die entgegenstehenden
Hemmnisse und Schwierigkeiten klar dargelegt hatte. Die Folge war ein ziemlich stürmischer Widerhall des Lehrertags im preußischen
Landtag und in der Presse.
[* 44]
(franz. Morgues), Gebäude zur Aufbewahrung und Ausstellung von Leichen unbekannter Verunglückter,
Selbstmörder etc. zum Zwecke der Feststellung ihrer Persönlichkeit, sind Anlagen, deren Errichtung die mit dem Wachsen der
Bevölkerungsziffer einer Großstadt im Zusammenhang stehende Zunahme der Unglücksfälle, Selbstmorde und Verbrechen erforderlich
macht. Neben ihrem Hauptzweck, dem Publikum Gelegenheit zum Rekognoszieren der Leichen zu geben, dienen
die
auch zur Vornahme der an den Toten unter Umständen erforderlich werdenden gerichtlich-medizinischen Untersuchungen.
IhreAnlage gliedert sich demgemäß in drei Abteilungen: die eigentliche Leichenschau- und Aufbewahrungsstätte, die Verwaltungs-
oder Polizeiabteilung und die gerichtliche Abteilung. Je nach der Ausdehnung
[* 47] der letztern, die wohl auch
mit Einrichtungen zur Abhaltung gerichtlich-medizinischer und gerichtlich-chemischer Vorlesungen sowie zur Vornahme untersuchungsrichterlicher
Verhandlungen versehen sind, werden die Leichenschauhäuser zu Baulichkeiten geringern oder größern Umfangs entwickelt.
Die Hauptabteilung enthält vornehmlich den Leichenschauraum, welcher in einer Halle
[* 48] für das Publikum und in einem, manchmal
in einzelne Zellen zerlegten Leichenausstellungsraum besteht, beide durch eine feste Glaswand voneinander
geschieden. Die Ausstellungsräume werden zweckmäßig durch Oberlicht beleuchtet, erhalten Vorkehrungen zur übersichtlichen
Aufstellung der Toten und sind mit Kühleinrichtungen versehen, da die Leichen mit Rücksicht auf die gerichtlich-medizinischen
Untersuchungen nicht durch chemische Mittel erhalten werden dürfen, sondern im gefrornen Zustand die erforderliche Zeit aufbewahrt
werden müssen.
Die Abkühlung auf 0 bis -2° wird in der Regel mittels Chlorcalciumlösung und Ammoniakeismaschinen bewirkt. In Verbindung
mit dem Ausstellungsraum stehen entweder im gleichen Geschoß
[* 49] oder im Keller darunter Gefrierzellen zur Aufbewahrung und eine
Flur zur Heranschaffung der Leichen. Überdies sind ein Leichenwasch- und Desinfektionsraum, eine Kleiderkammer und ein Gelaß
für Särge erforderlich, eine kleine Kapelle erwünscht. Die Verwaltungsabteilung muß Räume für das Leichenkommissariat
mit Telegraphen- und Fernsprechraum, Wartezimmer und einem Gelaß zur Aufbewahrung von Wertsachen enthalten; zweckmäßig werden
auch die Wohnungen derjenigen Beamten, deren ständige Anwesenheit im Hause erforderlich ist, in diesen Teil des Gebäudes
gelegt. Die gerichtliche Abteilung muß einen Obduk-
Ein Leichenschauhaus einfacherer Art besitzt seit etwa 1855 Paris in seiner Morgue auf der Seineinsel der Cité. Es
enthält nur die notwendigsten Räumlichkeiten, kann 14 Leichen aufnehmen und entspricht damit schon lange nicht mehr dem
Bedürfnis der Weltstadt. Umfangreicher ist die 1884-85 errichtete Berliner
[* 53] Anlage, welche unsre Abbildungen darstellen. Sie
befindet sich am NeuenThore, ist für die öffentliche Ausstellung von 14 unbekannten Toten und überdies für die
Aufbewahrung von 39 Leichen bekannter Personen eingerichtet und mit einer gerichtlich-medizinischen Abteilung der erweiterten
Art ausgestattet.
[* 51]
^[Abb.: Fig. 2. Leichenschauhaus in Berlin. Schnitt durch die Mitte: a Schiebebühne zum Reinigen der Glaswände, b Rücklaufrohr, c Zuleitungsrohr der Kühlleitung, d Drahtnetz.]
Von 1881 bis 1888 war Leimbach Präsident des deutschen evangelischen Schulkongresses und redigierte 1882-88 den von seinem Vater,
einem hessischen Volksschullehrer, 1863 begründeten »Christlichen Schulboten«,
mit dem er das Unterhaltungsblatt »Unser Feierabend«
verband. Außer zahlreichen Aufsätzen in diesen und andern Zeitschriften, Sammelwerken etc. gab er heraus: »Über Commodians
Carmen apologeticum« (Gotha
[* 58] 1871);
»Beiträge zur Abendmahlslehre Tertullians« (das.
1874);
wurde seit 1823 in den österreichischen Militärbildungsanstalten erzogen, trat in die österreichische Armee und avancierte
zum Feldzeugmeister. Seit seiner Pensionierung lebt er in Troppau.
[* 68] Er gehörte der ersten Kommission zur Prüfung der Schießbaumwolle
an, beschäftigte sich seitdem mit der Verbesserung der Schießbaumwolle und fand, daß eine geregelte Verdichtung der Faser
für Schießzwecke unerläßlich sei. 1853 schuf er ein Feldartilleriesystem für Ladungen mit Schießbaumwolle, doch kam dasselbe
nicht zur Ausführung, weil damals der Übergang zu den gezogenen Geschützen unerläßlich schien.
2) Leopold II., deutscher Kaiser. Ihm zu Ehren erhielt 1888 das österreichische Infanterieregiment Nr. 33 seinen
Namen.
10) Leopold II., König der Belgier, feierte sein 25jähriges Regierungsjubiläum. Doch wurde die
Feier schon 21. Juli im Verein mit der 60jährigen Gedenkfeier der belgischen Unabhängigkeit abgehalten.
Leopold vermachte kurz vorher den von ihm gegründeten Congostaat dem KönigreichBelgien
[* 77] (s. d.). Einen schmerzlichen
Verlust erlitt
die königliche Familie durch den Tod des mutmaßlichen Thronerben, des PrinzenBalduinNeffenLeopolds, um dessen
Erziehung und Einführung in seine künftigen Pflichten der König sorgsam bemüht gewesen war.