Grimm,
7) Karl Ludwig Wilibald, protest. Theolog, starb in Jena. [* 2]
Seite 18.394 Jahres-Supplement 1890-1891
7) Karl Ludwig Wilibald, protest. Theolog, starb in Jena. [* 2]
(Influenza), eine Infektionskrankheit, welche wie kaum eine andre die Neigung hat, in gewissen großen Zeitabschnitten nicht nur ganze Länderstrecken, sondern sogar ganze Erdteile oder gar Erdhemisphären zu überziehen. Sie ist eine »Pandemie« in des Wortes eigentlichster Bedeutung. Da dieselbe seit 1874/75 nicht mehr in großer Verbreitung auftrat, speziell Deutschland [* 3] (mit Ausnahme Bayerns) seit 1857/58 keine große Grippe-Epidemie mehr sah, war die Krankheit ziemlich in Vergessenheit geraten, als der Winter 1889/90 uns wieder eine echte typische Grippe-Pandemie brachte.
Die ersten Nachrichten über dieselbe liefen aus Tomsk in Sibirien, und zwar vom 15. Okt. russischer Zeitrechnung, ein; von da überzog sie binnen 14 Tagen alle größern Städte des europäischen Rußland, gelangte Anfang Dezember unsrer Zeitrechnung nach Galizien und Österreich, [* 4] insbesondere nach Krakau [* 5] und Wien. [* 6] Gleichzeitig erreichte sie Skandinavien, speziell Helsingfors und Stockholm, [* 7] dann Kopenhagen. [* 8] Ebenfalls schon Ende November, jedoch als Skandinavien schon heimgesucht war, wurde Deutschland ergriffen und zwar zunächst die großen Seestädte: aus Danzig, [* 9] Stettin, [* 10] Kiel [* 11] liefen die ersten Meldungen in den letzten Tagen des Novembers über Grippe im deutschen Heere ein.
Einmal in den deutschen Seestädten angelangt, war die Epidemie auch schnell in Berlin, [* 12] dann folgte sofort eine Reihe großer, teilweise weit entfernt gelegener Städte, wie Breslau, [* 13] Hannover, [* 14] Köln, [* 15] Mainz. [* 16] Gleichfalls schon Anfang Dezember (um den 5.) begannen die massenhaften Erkrankungen im Magasin du Louvre zu Paris, [* 17] erst später folgten manche andre, zwischen Paris und den östlichen, schon früher befallenen, gelegene große Städte; so wurde München [* 18] nach Wien und Paris befallen. Aus New York liefen die ersten Nachrichten über Grippe etwa 14 Tage nach dem Beginn der Erkrankungen im Magasin du Louvre ein; nach England und Spanien [* 19] scheint die Grippe erst gegen Ende Dezember gelangt zu sein; oberitalienische Städte ergriff sie vor den südlich gelegenen.
Die Frage, wie man sich die Ausbreitung der Grippe zu denken habe, war auch bei frühern Epidemien stets eine vielumstrittene gewesen; besonderes Interesse hatte sie aber bei der neuesten, weil sich in den letzten Jahren die Anschauungen über die Verbreitung von Infektionskrankheiten infolge genauerer Kenntnis der Erreger vieler derselben wesentlich geändert haben Schon früher waren im wesentlichen drei Ansichten verbreitet: nach der ersten sollte durch irgend welche Witterungs- oder Bodeneinflüsse mit einemmal an den verschiedensten Orten der Welt das Grippemiasma entstehen können.
Nach der zweiten Anschauung sollte das Miasma nur an einem bestimmten Orte entstanden oder schon vorhanden gewesen sein und sollte durch Luftströmungen über Länder und Meere hin befördert werden können. Nach der dritten Anschauung endlich wurde die Krankheit für »kontagiös«, d. h. vom Menschen auf den Menschen übertragbar, gehalten, und ihre Verbreitung sollte durch den Verkehr vermittelt werden. Die erste dieser drei Anschauungen ist als längst widerlegt zu betrachten, denn einmal können niemals, während eine Pandemie in wenigen Wochen oder Monaten fast den ganzen Erdkreis überzog, allenthalben dieselben Witterungsverhältnisse bestanden haben; zweitens ist diese Anschauung mit unsern jenigen Kenntnissen von der Natur der spezifischen Krankheitserreger nicht vereinbar.
Die zweite Annahme ist bisher im wesentlichen die herrschende gewesen und zählt noch viele Anhänger: sie stützt sich hauptsächlich auf die Beobachtung, daß viele Epidemien in der Wahl ihres Verbreitungswegs einer bestimmten Himmelsrichtung folgten, insbesondere daß dieselben in frühern Jahrhunderten stets von Westen nach Osten, später stets von Osten nach Westen gewandert seien;
auch die neueste Epedimie ^[richtig: Epidemie] hat ihren Zug von Nordosten nach Südwesten genommen.
Die genannte Beobachtung ist jedoch nicht für alle Epidemien gültig; es kamen auch Epidemien vor, welche von Norden [* 20] nach Süden und umgekehrt zogen. Hauptsächlich aber wird diese zweite Anschauung durch diejenigen Argumente bekämpft, welche für die dritte sprechen, d. h. für die Annahme, daß die Grippe sich nicht von Luftströmungen, sondern vom Verkehr abhängig zeige. Besonders die neueste Epidemie hat hierfür zahlreiche und gewichtige Beweismittel beigebracht: Es sind in erster Linie überall zuerst die großen Städte befallen worden, und erst von diesen aus drang die Seuche in die kleinern Orte und aufs platte Land. Nicht selten wurde auch ein Überspringen dazwischen gelegener, gleichfalls großer, aber nicht so sehr im Weltverkehr liegender Städte beobachtet (vgl. das erwähnte Verhalten von München gegenüber Wien und Paris), welches durch die Annahme von Luftströmungen nicht erklärt werden könnte.
Ferner hätten bei der genannten Annahme die italienischen Städte mehr gleichzeitig befallen werden müssen, dagegen ist hier die Ausbreitung der Seuche ganz den Landweg gegangen. Gewissermaßen eine Probe aufs Exempel wurde von denjenigen, welche Grippe für kontagiös halten, angestellt durch folgenden Schluß: ist die Krankheit vom Verkehr abhängig, so muß sie jetzt, bei den beschleunigten Verkehrsmitteln, auch rascher ihren Lauf nehmen. Da fand sich denn, daß beispielsweise, wie schon erwähnt, die Epidemie schon 14 Tage nach ihrem Beginn in Paris sich bereits in New York zeigte (die Überfahrt dauert 8-10 Tage).
Ferner stellt der Bericht über »Die Grippe-Epidemie im deutschen Heere 1889/90« fest, daß 1833 die Grippe 3 Monate brauchte, um sich über die größern Garnisonen Deutschlands [* 21] zu verbreiten, während diesmal hierzu wenige Tage genügten, und innerhalb von 5 Wochen die Epidemie auch die kleinsten und entlegensten Garnisonen erreicht hatte. Eine Hauptstütze derjenigen Anschauung, welche in einem durch Luftströmungen fortbewegten Miasma den Verbreitungsmodus der Grippe sieht, ist das Befallenwerden von Schiffen auf hoher See, wenn gleichzeitig auf den zunächst gelegenen Küstenstrichen Grippe herrschte und gleichwohl in dem zuletzt angelaufenen Hafen von Grippe noch nichts bekannt war.
Diesem Beweismittel, welches schon an sich nicht ganz überzeugend klingen will, steht das andre gegenüber, daß häufig schon durch Schiffe [* 22] die Grippe auf Inseln (so nach Island) [* 23] gebracht wurde, woselbst sie zuvor nicht gewesen war, wiewohl sie über den ganzen Kontinent sich verbreitet hatte. So haben sich denn, veranlaßt durch die genannten und viele ähnliche Beobachtungen bei der letzten Epidemie, die meisten Ärzte der Überzeugung zugewendet, daß man es bei der Grippe mit einer kontagiösen Krankheit zu thun habe, wobei jedoch die Möglichkeit oder gar Wahrscheinlichkeit, daß auch gewisse klimatische Einflüsse bei der Ausbreitung der Grippe mit ins Spiel kommen können, nicht geleugnet werden soll. Eine Anschauung, welche versucht, den mehr bakteriologischen mit dem mehr meteorologischen Standpunkt, jedoch zu gunsten des letztern, zu vereinigen, ist die von Aßmann, welcher nachweist, daß während des Höhepunktes der Grippeverbreitung im Monat Dezember über ganz Mitteleuropa eine wegen bedeckten ¶
Himmels der vertikalen Luftströmungen entbehrende, gleichwohl aber trockne Atmosphäre geherrscht hat, welche durch Niederschläge nicht ausgewaschen wurde und daher staubreich sein mußte. Dieser Staubluft weist Aßmann die Rolle des Trägers der Infektionskeime zu, ohne im Einzelfall die Kontagion zu bestreiten. Konnte auch die Ansicht von der Verbreitung der Grippe durch die Luft sich nicht allgemeine Zustimmung verschaffen, so ist doch ein Einfluß der klimatischen Verhältnisse auf den Verlauf der Erkrankung vielfach beobachtet und von allen Seiten zugegeben worden. Zu der Ansicht von der Kontagiosität der Grippe gelangte man auch noch, abgesehen von den Verbreitungswegen der Seuche, durch den Schluß, daß es sich bei der Entstehung der Grippe wohl auch wie bei andern, genauer bekannten Infektionskrankheiten um Mikroorganismen (Bakterien oder Protozoen) handeln müsse, und von solchen ist noch niemals eine weitere Verbreitung durch die Luft als höchstens eine engl. Meile (Pockenkontagium) beobachtet worden. Es ist demnach bei der letzten Epidemie von vielen Forschern aufs eifrigste versucht worden, die Erreger der Grippe vermittelst der bakteriologischen Untersuchungsmethoden aufzufinden; diese Versuche haben aber kein positives Ergebnis gehabt.
Zwar sind viele für die Beurteilung der Krankheit wichtige Beobachtungen gemacht worden, es wurde eine Reihe teils schon bisher bekannter, teils neuer spezifischer Krankheitserreger bei Grippefällen aufgefunden, aber es muß konstatiert werden, daß diese alle nicht die Erreger der Grippe sind, sondern daß sie die besonders schweren Mit- und Nachkrankheiten der Grippe hervorrufen. Dahin gehören der Nachweis von Streptokokken, des Fränkelschen Diplococcus pneumoniae u. a. (vgl. Bakterien, S. 85). Klebs gibt auch an, daß er Flagellaten, zu den Protozoen gehörige Organismen, gefunden habe, doch konnten andre diesen Befund nicht bestätigen. An und für sich würden Protozoen viel Wahrscheinliches haben. Beim zehnten internationalen medizinischen Kongreß sprach sich R. Koch dahin aus, daß wir über die Erreger der Grippe noch nichts wissen, daß es sich hier vielleicht um andre Gruppen von Mikroorganismen handle, indem er an die bei Malaria gefundenen Plasmodien erinnerte.
Die Disposition für Grippe ist eine allgemeine;
keine Menschenrasse bleibt befreit, kein Alter oder Geschlecht verschont, doch erkrankten mehr Männer als Frauen;
Greise und jugendliche Personen wurden besonders heftig befallen, dagegen blieb am meisten verschont das jüngste kindliche Alter;
so wurde beobachtet, daß die höhern Klassen der Schulen mehr ergriffen wurden als die jüngern, und zwar wuchs die Erkrankungszahl von 22 Proz. der Fälle im 7. Lebensjahr auf 33 Proz. im 14. Beim Militär erkrankten häufiger die jüngsten Jahrgänge als die ältern, desgleichen Kadetten, Unteroffizierschüler etc. Nicht ganz selten wird ein und dasselbe Individuum zweimal in derselben Epidemie ergriffen.
Daß der Gang [* 25] der Grippe-Epidemie als solcher unabhängig ist von klimatischen und tellurischen Einflüssen, haben alle frühern
[* 24] ^[Abb.: Karte der Grippe-Erkrankungen [* 26] im deutschen Heer 1889/90.] ¶
Beobachtungen übereinstimmend gelehrt: dieselben sind zu jeder Jahreszeit, unter jedem Himmelsstrich, in hoch gelegenen Gegenden wie in Niederungen, mitten auf dem Kontinent und auf Schiffen auf hoher See aufgetreten. Dagegen scheinen die Witterungsverhältnisse Einfluß auf das mehr oder weniger häufige Erkranken gewisser Personen zu haben. In dem Bericht über die Grippe-Epidemie im deutschen Heere wird das häufigere Erkranken der Rekruten und des Ausbildungspersonals derselben den Witterungseinflüssen schuld gegeben.
Von den Grippekranken in Köln kamen 19,4 Proz. auf das israelitische Krankenhaus, [* 28] 18 Proz. auf die städtische Irrenanstalt, 14 Proz. auf die Gefangenenanstalt, 19 Proz. auf die Straßenbahngesellschaft, 42 Proz. auf die Ärzte, 30,8 Proz. auf die Schulkinder und 4,2-5 Proz. auf die Arbeiter von zwei Fabriken. Alles dieses spricht jedoch mehr für Kontagiosität der Krankheit als für Witterungseinflüsse. Welcher Prozentsatz der Bevölkerung [* 29] ergriffen wurde, ist, solange die Ergebnisse der über die letzte Epidemie ins Werk gesetzten Sammelforschung noch nicht bekannt sind, schwer abzuschätzen; in Köln wurden 70,000 Grippefälle gezählt, was einer Erkrankungsziffer von 20 Proz. der Einwohnerschaft entsprechen würde. Von den deutschen Heeren (einschließlich Marine) sind insgesamt 55,263 Mann an Grippe erkrankt; davon entfallen auf Gardekorps und 1.-15. Armeekorps 45,100 Mann = 105,8 pro Mille der Kopfstärke. Im 1. bayrischen Armeekorps erkrankten 5438 Mann = 208,9 pro Mille, im 2. bayrischen Armeekorps 4248 Mann = 195,2 pro Mille der Kopfstärke.
Über die Zahl der Erkrankungsfälle in den einzelnen Gegenden Deutschlands mag diejenige, welche im Heere beobachtet worden ist, ein auch für die bürgerliche Bevölkerung ziemlich richtiges Bild geben, da eine wesentliche Verschiedenheit in den Erkrankungsziffern wohl kaum bemerkbar gewesen sein dürfte und das vom Heere gewonnene statistische Material den Vorzug absoluter Zuverlässigkeit besitzt. Es geht aus der Mortalitätsstatistik die bemerkenswerte Thatsache hervor, daß der Südwesten Deutschlands erheblich mehr durchseucht wurde als alle übrigen Teile des Reiches. Näheres ergibt die der unten citierten offiziellen Schrift entnommene Karte (S. 379), welche die Zahl der Erkrankungen in den einzelnen Armeekorps zur Anschauung bringt.
Die Grippe gilt als ziemlich ungefährliche Krankheit, und sie genoß besonders im Beginn der letzten Epidemie noch diesen Ruf. Betrachtet man nur die reinen Grippeformen, so wird die Krankheit auch jetzt noch als sehr ungefährlich zu bezeichnen sein: von den 55,263 Erkrankten des deutschen Heeres (einschließlich Marine) starben 60 = 0,1 Proz. der Erkrankten. Doch ist hierbei zu bedenken, daß eine relativ hohe Mortalität durch die Mit- und Nachkrankheiten, insbesondere Lungenentzündung, hervorgerufen wurde, sowie daß die Grippe besonders durch Schaffung einer besondern Disposition zu andern schweren Krankheiten gefährlich wurde, und in diesem Sinne läßt sich aus der Einwirkung der Grippe auf die Gesamtsterblichkeit ein besseres Urteil über ihre Gefährlichkeit gewinnen, als wenn die Mortalität der Krankheit für sich allein ins Auge [* 30] gefaßt wird. Die folgende Tabelle gibt die Sterblichkeit, auf Kopf und Jahr berechnet, in den größern Städten Deutschlands nach den Veröffentlichungen des kaiserlichen Gesundheitsamtes vor und während der Grippe-Epidemie (November einerseits und Dezember und Januar anderseits) an.
Ort | im November | in der Woche bis | |||||
---|---|---|---|---|---|---|---|
7. Dez. | 14. Dez. | 21. Dez. | 28. Dez. | 4. Jan. | 11. Jan. | ||
Danzig | 20.4 | 27.5 | 27.0 | 47.5 | 61.0 | 52.2 | 34.1 |
Kiel | 25.9 | 21.7 | 33.5 | 42.5 | 69.6 | 36.1 | 39.6 |
Berlin | 18.7 | 20.6 | 27.2 | 32.4 | 37.7 | 32.1 | 26.2 |
Königsberg i. Pr. | 23.9 | 25.3 | 29.2 | 27.2 | 27.2 | 41.1 | 39.2 |
Posen | 25.6 | 29.6 | 22.2 | 33.3 | 32.6 | 46.3 | 44.9 |
Breslau | 23.1 | 24.5 | 27.9 | 24.1 | 24.8 | 28.4 | 26.8 |
Stettin | 27.1 | 32.2 | 30.2 | 34.6 | 35.1 | 46.8 | 42.4 |
Hannover | 18.1 | 21.2 | 20.5 | 21.9 | 25.9 | 38.2 | 35.8 |
Frankfurt a. M. | 15.1 | 22.1 | 16.8 | 19.6 | 27.4 | 41.4 | 39.0 |
Elbing | 29.1 | 28.6 | - | 22.2 | 36.4 | 60.3 | 61.6 |
Magdeburg | 20.4 | 22.5 | 25.2 | 27.2 | 27.8 | - | 53.4 |
Hamburg | 19.7 | 20.6 | 25.1 | 26.9 | 26.9 | 31.6 | 32.1 |
Köln | 18.9 | 24.7 | 23.7 | 24.5 | 29.5 | 51.0 | 52.2 |
Die entsprechenden Verhältnisse im Heere zeigt folgende Tabelle:
Morbidität und Mortalität im 1.-15. Armeekorps in den Monaten November bis März 1888/89 und 1889/90.
Monat und Jahr | Krankenzugang | Es starben | |||
---|---|---|---|---|---|
in Summa | auf Tausend | absolute Zahl | pro Mille Kranke | ||
November | 1888 | 25830 | 64.0 | 53 | 0.14 |
1889 | 26204 | 64.4 | 55 | 0.14 | |
Dezember | 1888 | 22874 | 54.3 | 49 | 0.12 |
1889 | 39651 | 94.0 | 98 | 0.23 | |
Januar | 1889 | 34409 | 81.3 | 64 | 0.15 |
1890 | 69844 | 165.0 | 130 | 0.31 | |
Februar | 1889 | 33517 | 79.2 | 75 | 0.18 |
1890 | 35783 | 84.6 | 94 | 0.23 | |
März | 1889 | 36113 | 85.2 | 93 | 0.22 |
1890 | 34842 | 82.1 | 103 | 0.24 |
Auch hier zeigt sich also in den Grippemonaten ein Anwachsen der Gesamtmortalität auf ungefähr das Doppelte gegen dieselben Monate des Vorjahrs.
Das Krankheitsbild der Grippe ist nichts weniger als charakteristisch; im Gegenteil, es gibt wohl keine Infektionskrankheit, welche durch solche Vielgestaltigkeit der Erscheinungen ausgezeichnet wäre wie sie; so läßt sich eine Beschreibung derselben nur geben, wenn man eine große Menge von Fällen zusammen überblickt. Die Krankheit kann alle Organsysteme befallen, die Keime scheinen in alle eindringen zu können und wählen sich bei jedem Individuum den Ort der geringsten Widerstandsfähigkeit zum Angriffspunkt; es prävalieren gastrische Erscheinungen bei Personen mit früher gestörter Verdauung, nervöse Erscheinungen bei solchen, die ein angestrengtes Leben hinter sich haben oder neurasthenisch sind, die heftigsten Bronchial- und Lungenaffektionen werden beobachtet bei Personen mit ältern Katarrhen und Lungenleiden.
Das Krankheitsbild der Grippe zeigt ferner allerorten auch eine gewisse Lokalfarbe: in Malariagegenden Malaria-Erscheinungen, an Orten mit häufigen Lungenentzündungen zahlreiche Grippe-Lungenentzündungen und an sanitär sehr günstigen Orten besonders milde Grippeformen. Tritt die Grippe im Sommer auf, so herrschen Symptome der Verdauungsorgane vor (besonders Diarrhöen), im Winter treten Erscheinungen von seiten der Atmungsorgane mehr in den Vordergrund. Um unter dieser Vielgestaltigkeit der Erscheinungen das Charakteristische herauszufinden, sei zunächst das Fieber erwähnt. Dasselbe tritt in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle rasch auf und steigt meist schon im Beginn der Krankheit auf seine höchste Höhe: 39-40°. Nach 1,2 oder 3 Tagen tritt meist unter Schweißausbruch plötzliche ¶
Entfieberung ein, in manchen Fällen erfolgt aber auch allmählicher, sogen. lytischer Abfall. Der Beginn der Krankheit ist meist ein ganz plötzlicher, besonders wurde bei jungen, kräftigen Leuten, z. B. Soldaten, beobachtet, daß sie plötzlich bewußtlos niederstürzten, anscheinend aus vollem Wohlbefinden heraus. Ziemlich allgemein und für Grippe charakteristisch sind die Kopf-, Kreuz- und Muskelschmerzen, ferner Bindehautkatarrh, gerötetes Gesicht, [* 32] dann auch Katarrh der obern Luftwege. Um die mannigfaltigen Erscheinungen etwas zu gruppieren, wurde bei der letzten Epidemie vielfältig eine Trennung von drei Formen, einer katarrhalischen, einer gastrischen und einer nervösen, aufgestellt, womit jedoch nicht gemeint sein sollte, daß nicht diese drei Formen in der mannigfachsten Weise verbunden sein könnten.
Die soeben genannten katarrhalischen Erscheinungen würden dann die ersten Symptome der katarrhalischen Form bilden, zu welchen noch weiter ein auch auf die gröbern und eventuell feinern Bronchien sich erstreckender Katarrh hinzukäme. Der Husten ist dabei verschieden; häufig trocken, ohne Auswurf, krampfartig, manchmal schon von Beginn an mit reichlichem Auswurf; der letztere ist anfänglich meist zäh, glasig, später schaumig, nicht selten etwas mit Blut vermischt, in einzelnen Fällen wurde er sehr reichlich gefunden, bis zu 0,5 Lit. täglich.
Auch Fälle von Mandelentzündung, ferner Atemnot und asthmatische Anfälle wurden zuweilen beobachtet. Diese katarrhalischen Formen waren bei der letzten Epidemie entschieden die häufigsten. Nicht selten besteht neben den genannten katarrhalischen Erscheinungen auch Erbrechen schleimiger Massen, Appetitlosigkeit, in manchen Fällen Verstopfung, in andern Durchfall, ja sogar zuweilen profuser Brechdurchfall. Eine rein nervöse Form wurde bei der letzten Epidemie ziemlich selten beobachtet, am meisten werden dazu diejenigen Fälle der häufigsten katarrhalischen Form zu rechnen sein, bei welchen besonders heftige Erscheinungen von seiten des Nervensystems die Krankheit schwerer gestaltet haben. So zeigten sich häufig die Muskelschmerzen von besonderer Heftigkeit, ebenso Müdigkeit und Gliederschwere; dann Schlaflosigkeit, welche oft noch wochenlang nach Ablauf [* 33] der Krankheit bestehen blieb, in andern Fällen Schlafsucht in bedenklichen Graden, welche auf Hirnreizung schließen ließen, ferner ziemlich häufig sehr heftige Kopfschmerzen, besonders in der Stirn, Ohnmachtsanfälle, Überempfindlichkeit.
Inwieweit diese nervösen Erscheinungen unmittelbar durch die Grippe hervorgerufen werden, oder ob sie mehr zu den durch andre Krankheitsstoffe erzeugten Mit- und Nachkrankheiten zu rechnen sind, läßt sich nicht entscheiden. Milzschwellungen wurden in 10 Proz. der Fälle beobachtet, Hautausschläge in 12,4 Proz. In weitaus den meisten Fällen endigte die Krankheit in Genesung und zwar häufig schon nach wenigen Tagen mit kurzer Rekonvaleszenz. Seltener machte die letztere nur langsame Fortschritte, besonders waren es die nervösen Erscheinungen, welche oft lange Zeit anhielten.
Der Grippe besonders eigentümlich zeigten sich die Mit- und Nachkrankheiten (Komplikationen) der verschiedensten Art. Die wichtigste, weil häufigste und meist sehr gefährliche war in der letzten Epidemie die Lungenentzündung; alte oder durch anderweitige Krankheit geschwächte Individuen erlagen derselben ziemlich häufig; diese Krankheit nimmt während des Verlaufs der Epidemie an Häufigkeit zu und setzt bei den Kranken auf der Höhe der Krankheit oder in der Rekonvaleszenz ein. Unter 34,556 kranken Soldaten der deutschen Armee traten 219 Lungenentzündungen auf (= 0,63 Proz.), unter 439 Grippekranken im Bürgerhospital zu Köln 150 (= 24 Proz.), davon verliefen tödlich 32 (= 30 Proz.). Als Ursache dieser Lungenentzündungen wurden in vielen Fällen sogen. Streptokokken, in andern der Diplococcus pneumoniae (s. Bakterien, S. 85) gefunden.
Selten trat als Komplikation Hirnhautentzündung auf. Ganz vereinzelt kam es auch zu einer Verbindung beider genannter Krankheiten; so entstand der Zustand, über welchen kurz nach der Grippe viel geredet wurde, die Nona. Das Wenige, was hierüber bekannt wurde, ist, daß bei der nachgewiesenermaßen vereinigt aufgetretenen Hirnhaut- und Lungenentzündung eine völlige Apathie der Kranken und eigentümliche Schlafsucht sich gezeigt hat. Die Fälle solcher Nona verliefen meist tödlich.
Von weitern komplizierenden Krankheiten wurden hauptsächlich noch beobachtet Lungentuberkulose, Brustfellentzündung, Herzbeutelentzündung, Herzschlag und Herzlähmung nach überstandener Grippe, ferner Bildung von Blutgerinnseln (Thromben) in den Blutgefäßen; von seiten des Nervensystems außer den schon erwähnten, zum Wesen der Grippe selbst zu rechnenden Zuständen sowie den Hirnhautentzündungen auch Hirnabscesse, Geisteskrankheit. Besonders häufig traten als Nachkrankheit Ohrenleiden, Mittelohreiterungen und Blutungen ins Trommelfell auf; in der Armee wurde diese Erkrankung in 290 Fällen (= 0,52 Proz. aller Grippefälle) beobachtet. Auch Augenerkrankungen kamen infolge von Grippe zur Beobachtung, als Hornhaut-, Regenbogenhaut-, Sehnervenentzündung, Glaukom; die Gesamtzahl der Augenerkrankungen ist aber während und nach der Epidemie nicht gestiegen.
Die Behandlung der Grippe betreffend, ist viel debattiert worden, ob Vorbeugungsmaßregeln nützlich seien oder nicht. Diejenigen, welche auf dem miasmatischen Standpunkt stehen, halten sie für nutzlos, die Kontagionisten haben von denselben Vorteil erwartet. Die Erfahrungen, welche man mit Absperrungs- und Desinfektionsmaßregeln im deutschen Heere an dem großen Beobachtungsmaterial gemacht hat, konnten keinen deutlichen Nutzen dieser Maßregeln erweisen.
Von Ärzten, welche die tropischen Malariafieber aus eigner Beobachtung kennen, wurde auf eine gewisse Ähnlichkeit [* 34] zwischen Grippe und Malaria hingewiesen und in diesem Sinne als prophylaktische Maßregel der tägliche Genuß einer kleinen Menge von Chinin empfohlen, welche am zweckmäßigsten in irgend welchen Spirituosen genommen werde. Beim Bonner Husarenregiment wurde dann in einer Eskadron der Versuch gemacht; jeder Mann erhielt täglich 0,5 g Chinin in 15 g Kornbranntwein.
Leider wurde der Versuch erst begonnen, nachdem schon eine Anzahl der Mannschaften erkrankt war. Während des Versuchs erkrankten bei der ersten Eskadron 22, bei der dritten 19, bei der vierten 42, bei der fünften 32 und bei der zweiten, welche den Chininschnaps bekommen hatte, nur 7 Mann. In andern Fällen freilich war die Wirkung weniger günstig. Von Heilmitteln gegen die hat sich keins gefunden, welches als spezifisches gewirkt hätte; insbesondere hat eben Chinin, welches ja gegen ausgebrochene Malaria sich als spezifisch wirksam erweist, bei Grippe ganz im Stiche gelassen, dagegen haben Antipyrin, Antifebrin und Phenacetin bei den oft sehr heftigen Neuralgien und andern nervösen Beschwerden gute Dienste [* 35] geleistet. Im allgemeinen hat man die Erfahrung gemacht, daß, wo keine Komplikationen bestehen, die rasch verlaufende und im ganzen gutartige Krankheit ohne viel Zuthun vorübergeht, und hat ein energischeres Eingreifen auf die Komplikationen beschränkt. ¶
Allgemein wurde aber der Eindruck gewonnen, daß Verhütung von Erkältung sowohl die beste Vorbeugungsmaßregel ist, als auch am besten den Kranken vor Eintritt von Komplikationen schützt. In erster Linie wurde überall empfohlen Bettruhe, kräftige Nahrung und Alkohol, wo die Verdauungsorgane es zulassen; in der Rekonvaleszenz sollte man vermeiden, zu früh wieder aus dem Hause zu gehen.
Eine Beobachtung, welche sowohl in frühern Epidemien als auch in der letzten gemacht wurde, ist die, daß gleichzeitig mit der Epidemie beim Menschen auch ähnliche seuchenartige Erkrankungen von Hunden, Katzen, [* 37] insbesondere aber von Pferden vorkommen.
Unter Pferde-Influenza (s. Influenza, Bd. 8) versteht man drei verschiedene Erkrankungen, welche nicht immer genügend getrennt werden. Bei einer dieser drei Formen, der katarrhalischen oder Pferdestaupe, ist eine Beziehung zur menschlichen Grippe nicht ausgeschlossen; dieselbe wurde während der jüngsten Epidemie vielfach beobachtet; freilich ist eine unmittelbare wechselseitige Übertragung der menschlichen Grippe auf Pferde [* 38] oder umgekehrt zu wenig sicher beobachtet, und es ist anzunehmen, daß bei der ungeheuern Pandemie 1889/90 hierzu sehr häufig Gelegenheit gewesen wäre.
Endlich ist noch zu erwähnen, daß man während und nach der letzten Epidemie die Grippe häufig in gewisse Beziehungen zu andern Infektionskrankheiten hat bringen wollen. Vor allem wurde das Dengfieber (s. Bd. 17) genannt, welches man anfänglich mit der Grippe identifizierte. Das Dengfieber ist aber eine von Grippe grundverschiedene Krankheit, doch wurde die jüngste Epidemie allerdings im Anfang an manchen Orten für Dengfieber gehalten; so lief aus Smyrna die Nachricht ein, daß in dortiger Gegend 200,000 Personen am Dengfieber erkrankt seien; erst nachher stellte sich heraus, daß es sich um Grippe handelte.
Auch bezüglich der Cholera wollte man einen Zusammenhang mit Grippe statuieren in der Weise, daß man glaubte, die Cholera müsse der Grippe folgen; diese Annahme stützte sich darauf, daß nach der Grippe-Epidemie im J. 1831 eine Cholera-Epidemie auftrat; es haben aber nach dieser Zeit u. zuvor schon viele Grippe-Epidemien geherrscht, ohne daß Cholera darauf gefolgt wäre. Die Geschichte der Epidemien lehrt also, daß auch diese Annahme unbegründet ist.
Vgl. »Die Grippe-Epidemie im deutschen Heere 1889/90, bearbeitet von der Medizinalabteilung des königl. preußischen Kriegsministeriums« (Berl. 1890);
Seifert, Über Influenza (»Klinische Vorträge«, Nr. 240, Leipz. 1890).
Max Gustav, Philolog, geb. zu Leipzig, [* 39] studierte daselbst klassische, germanische und romanische Philologie, habilitierte sich Ostern 1872 zu Zürich [* 40] für romanische Philologie, wurde 1874 außerordentlicher Professor daselbst, 1875 als ordentlicher Professor an die Universität zu Breslau und 1880 in gleicher Eigenschaft an die Universität zu Straßburg [* 41] i. E. berufen. Er verfaßte folgende wichtigere Schriften: »Die handschriftlichen Gestaltungen der Chanson de geste Fierabras« (Leipz. 1869);
»Über die Liedersammlungen der Troubadours« (Straßb. 1877, in Böhmers »Romanischen Studien«, Bd. 2);
»Vulgärlateinische Substrate romanischer Wörter« (in Wölfflins »Archiv für lateinische Lexikographie«, Bd. 1-7,1884-90).
In Verbindung mit einer Anzahl von Fachgenossen gibt Gröber einen »Grundriß der romanischen Philologie« (Straßb. 1888 ff.) heraus, worin von ihm eine »Geschichte der romanischen Philologie«, ein »Abriß der Geschichte der lateinischen Litteratur des Mittelalters« u. a. Seit 1877 redigiert er die »Zeitschrift für romanische Philologie«, mit welcher auch eine jährlich erscheinende Bibliographie der romanischen Philologie verbunden ist. Unter den zahlreichen Abhandlungen, welche in seiner eignen oder in andern Zeitschriften veröffentlicht hat, ist eine der bedeutendsten diejenige über das Haager Bruchstück (in Herrigs »Archiv für neuere Sprachen«, Bd. 84, S. 291).
skandinavische Kolonien, s. Amerikanistenkongreß, ^[= Der achte internationale A. tagte 14.-20. Okt. 1890 in Paris. In seiner Eröffnungsrede behandelte ...] S. 20.
[* 42] (Heerwesen). Nach den im November 1889 erlassenen neuen Bestimmungen für Rekrutierung können bei der Gardekavallerie, den Kolonialtruppen sowie als Büchsenmacher, Musiker, Handwerker bei den Pionieren Rekruten auf 12 Jahre Dienstzeit bei der Fahne (lange Dienstzeit) eingestellt werden; die kurze Dienstzeit beträgt bei der Linienkavallerie, Artillerie, Infanterie 7 Jahre bei der Fahne, 5 in der Reserve, bei den Fußgarden und dem Train 3 Jahre bei der Fahne, 9 Jahre Reserve, bei den Pionieren nach Wahl 7 oder 3 Jahre bei der Fahne und entsprechend 5 oder 9 in der Reserve.
Befindet sich der Soldat aktiv außer Landes, so verlängert sich der Dienst bei der Fahne um ein Jahr und verkürzt sich ebenso in der Reserve. Die Rekruten sollen zwischen 18 und 25 Jahre alt sein, doch sollen durch falsche Altersangaben auch viele jüngere Leute eingestellt werden, was mit als Ursache der vielen Erkrankungen und Desertionen angesehen wird. 1889 desertierten 4330 Mann, von diesen 2132 im ersten Dienstjahr. Von den 24,648 eingestellten Rekruten dienten nach 3 Monaten nur noch 91,7 Proz.; 3,4 Proz. hatten gegen Erlegung des Reugeldes ihre Entlassung erkauft. Es hatten sich 47,503 Mann zum Eintritt gemeldet, 14,973 wurden als ungeeignet zurückgewiesen, 5918 stellten sich nicht; von den dann vereidigten 26,592 Mann wurden nochmals 1616 zurückgewiesen und desertierten sogleich 214. Im Verwaltungsjahr 1889/90 soll die Armee einschließlich Offiziere 222,162 Mann stark sein, davon 115,754 im Mutterland, 33,984 in den Kolonien und Ägypten, [* 43] 72,424 Mann in Indien sich befinden.
Die Zahl der Offiziere betrug 7441; die indische Armee Eingeborner ist 134,100 Mann stark. Die Stärke [* 44] der Miliz, Freiwilligen und Yeomanry ist gegen das Vorjahr etwas heruntergegangen. Die Freiwilligen sollen stark sein 196,275 Mann, bei der Besichtigung waren aber nur 148,354 zur Stelle. Ein übles Zeichen für die Disziplin in der Armee ist die wiederholte Insubordination ganzer Truppenteile. Vom Fußgarderegiment Maitland wurde deswegen ein Bataillon zur Strafe nach dem Kapland geschickt, obgleich die Garden grundsätzlich im Mutterland bleiben sollen. Es wird behauptet, daß teils harte Behandlung, teils unauskömmliche Besoldung bei unbilligen Anforderungen an Selbstbekleidung und -Beköstigung zur Hervorrufung dieser Vorkommnisse beigetragen haben sollen.
Der Etat an Pferden beträgt 14,199 für England, 11,030 für Indien. Seit besteht eine Neueinteilung Englands und Wales in 10 Militärdistrikte: Nordost (York), Nordwest (Chester), Ost (Colchester), West (Devonport), Süd (Portsmouth), [* 45] Thames (Chatam), Südost (Dover), [* 46] Home (London), [* 47] Woolwich (Woolwich), Aldershott (Aldershott). Für den Dienst im Ausland sind 12 Kompanien berittener Infanterie aufgestellt. Jede Kompanie ist in 4 Züge und diese wieder in Gruppen zu 4 Mann eingeteilt, von denen zum Fußgefecht ein Mann als Pferdehalter zurückbleibt. Je 2 Bataillone Infanterie der ganzen Armee sind mit einem ¶
Maschinengeschütz (Gardener-, Nordenfelt- oder Maxim-Mitrailleuse) ausgerüstet worden. Jede Kompanie hat einen Unteroffizier und 9 Mann zu ihrer Bedienung auszubilden. Mit diesen Geschützen werden Schießübungen auf 730 m abgehalten. Bei 32 Freiwilligenbataillonen ist eine Radfahrerabteilung (cyclist section) für den Aufklärungs- und Meldedienst in Stärke von einem Offizier, 2 Unteroffizieren, 20 Mann und einem Trompeter errichtet. Die Umbewaffnung der Infanterie des Mutterlandes mit dem neuen kleinkalibrigen Magazingewehr sollte Ende des Jahres 1890 beendet sein.
Die Musterkarte von Geschützen ist sehr bunt. In der Feld-, Positions- und Gebirgsartillerie sind 14 Geschützarten und Kaliber, in der Festungs- und Belagerungsartillerie 30 Geschützmuster, teils Vorder-, teils Hinterlader, vertreten. Die Feldartillerie führt heute noch 9-,13-,16- und 40-Pfünder-Vorderladerkanonen, letztere als Positionsgeschütze. Der neue gezogene 12-Pfünder (7,62 cm Kaliber) für die fahrenden und reitenden Batterien bildet bereits die Ausrüstung einer Anzahl Batterien.
Die Fertigstellung dieser Geschütze [* 49] soll sehr langsam fortschreiten. Als Positionsgeschütz wird ein 20-Pfünder von 9,5 cm Kaliber zur Einführung gelangen. Die gußeisernen Granaten [* 50] sollen nach und nach durch solche aus Stahl ersetzt werden, welche eine größere Sprengladung (Kordite) aufnehmen, und deren größere Sprengstücke größere Perkussionskraft besitzen. In der Verstärkung [* 51] der Kriegsflotte herrscht fieberhafte Thätigkeit. Von den 9 Kreuzern 1. Klasse, Panzerdeckschiffen von 7350-7700 Ton. Deplacement und 20 Knoten Geschwindigkeit, sind in Devonport 1890 bereits 3 vom Stapel gelaufen, 6 gleiche sind im Bau; von 24 Kreuzern 2. Klasse (verbesserter Medeatyp), welche auf Stapel gelegt wurden, sind 1890 schon 8 abgelaufen, sie wiegen 3400-3600 T., haben Maschinen von 9000 Pferdekräften und werden 20 Knoten laufen. 7 Panzerschiffe [* 52] 1. Klasse von 14,150 T. Deplacement, 13,000 Pferdekräften, 456 mm dickem Turm- und Gürtelpanzer, mit vier 34 cm Kanonen, 35 Schnellfeuergeschützen verschiedenen Kalibers und einer Anzahl Mitrailleusen armiert, welche 17 Knoten Geschwindigkeit haben sollen, befinden sich im Bau. Am scheiterte beim Kap Finisterre der Kreuzer 3. Klasse Serpent, 173 Mann ertranken, 3 wurden gerettet.
Die Parlamentssession des Jahres 1890, welcher man nach unbestimmten Andeutungen aus Kreisen, die der Regierung nahe standen, mit gespannten Erwartungen entgegengesehen hatte, wurde 11. Febr. eröffnet. Die Thronrede betonte in üblicher Weise die friedlichen Beziehungen zu allen auswärtigen Mächten und gedachte mit besonderer Genugthuung der Beilegung des Konfliktes mit Portugal durch die Nachgiebigkeit des letztern, der mit Deutschland und den Vereinigten Staaten [* 53] abgeschlossenen Samoakonvention (welche im Januar veröffentlicht worden war) und der erfolgreichen Verhandlungen auf der Brüsseler Konferenz zur Einschränkung des Sklavenhandels.
Hinsichtlich der innern Zustände konstatierte sie eine erhebliche Besserung der Verhältnisse in Irland, welche sich in der Abnahme der Zahl der agrarischen Verbrechen kundgebe und es ermöglicht habe, wie 25. Jan. durch eine Proklamation des Lord-Statthalters geschehen war, das Zwangsgesetz für einige Grafschaften außer Kraft [* 54] zu setzen; eine weitere Hebung [* 55] der dortigen Zustände erwarte die Regierung von einer dem Parlament zu unterbreitenden Vorlage über die Erleichterung des Landankaufs in Irland. Aber auch andre wichtige Gesetze, unter andern eine Bill über die lokale Selbstverwaltung in Irland, Vorlagen über die Abwälzung der Zehntenzahlung auf die Grundeigentümer, zur Verbesserung der Sanitätsgesetzgebung in London und der Wohnungsverhältnisse der Arbeiterklassen, zur Ausdehnung [* 56] der Haftpflicht der Arbeitgeber bei Unglücksfällen u. dgl. kündigte die Eröffnungsrede an.
Damit war ein umfassendes legislatives Programm aufgestellt, dessen Verwirklichung die Arbeitskraft des Parlaments im vollen Maße in Anspruch nahm, aber auch den guten Willen der Mitglieder desselben voraussetzte. Gerade an dem letztern aber fehlte es, wenigstens auf seiten der Opposition. War in frühern Jahren wesentlich nur von der irischen Partei jene Taktik der Obstruktion befolgt worden, welche die Erledigung aller Geschäfte des Unterhauses verzögerte und erschwerte, hatten dann (seit dem Bündnis Gladstones mit den Iren) die radikalen Elemente der Gladstoneschen Partei sich immer eifriger an diesem Treiben beteiligt, so ist es für die Parlamentstagung von 1890 bezeichnend, daß mehr und mehr die ganze Schar der Anhänger Gladstones in diese Politik hineingezogen wurde. Im Unterhaus selbst hatte sie, solange das Bündnis zwischen den Konservativen und den liberalen Unionisten bestehen blieb, keine Aussicht, die Mehrheit zu erlangen, aber Gladstone berief sich auf eine verhältnismäßig bedeutende Zahl von Siegen [* 57] seiner Partei bei vereinzelten Nachwahlen, um darzuthun, daß seit den letzten allgemeinen Wahlen die Stimmung des Landes eine völlig andre geworden sei.
Darum wäre es ihm am willkommensten gewesen, die Regierung zu einer Auflösung des Hauses zu nötigen; da das nicht zu erreichen war, kam es darauf an, die legislative Ohnmacht der Regierung darzuthun und durch Verzögerung aller gesetzgeberischen Maßregeln Mißstimmung gegen dieselbe zu erregen. Darauf also lief, trotz aller Ableugnungen seitens der Führer, die Taktik der Gladstonianer wesentlich hinaus; manche ungeschickte Maßnahmen der Regierung, deren erster Vertreter im Unterhaus, W. H. Smith, sich seiner schweren Aufgabe immer weniger gewachsen zeigte, kamen ihnen dabei zu statten.
Begreiflicherweise war es vor allem die irische Frage, die in dieser Beziehung ausgenutzt wurde. Es konnte nicht wohl in Abrede gestellt werden, daß mit dem Nachweis der Fälschung jener von der »Times« veröffentlichten Briefe, durch welche Parnell und seine Anhänger der Mitschuld oder Mitwissenschaft an den Verbrechen der irischen Fenier und Dynamitverbrecher überführt werden sollten, die Regierung, welche im Sommer 1888 die Parnell-Untersuchungskommission eingesetzt hatte (s. Bd. 17, S. 402), eine schwere Niederlage erlitten hatte.
Ihre Gegner zögerten nicht, dieselbe zu benutzen. Zwar der Schadenersatzprozeß, welchen Parnell gegen die »Times« eingeleitet hatte, war schon 5. Febr. durch einen Vergleich beendet (der irische Führer begnügte sich mit 5000 Pfd. Sterl. Entschädigung statt der geforderten 100,000), und ein Antrag, welchen Sir W. Harcourt 11. Febr. stellte, die Veröffentlichung jener Briefe für einen Bruch der Privilegien des Unterhauses zu erklären, wurde noch am gleichen Tage mit 260 gegen 212 Stimmen abgelehnt; allein der Hauptkampf knüpfte sich an den am 14. Febr. eingebrachten Bericht der Untersuchungskommission selbst. Dieser, von den drei Richtern unterzeichnet, sprach die Angeklagten von der Beschuldigung frei, gemeinschaftlich Mitglieder einer Verschwörung gewesen zu sein, um die Unabhängigkeit Irlands herzustellen, und erkannte nur an, ¶