voraufgegangener längerer
Anämie; der
Schmerz tritt hier unter einem kompensatorischen
Exzeß der
Vasodilatatoren ein, während
er beim Angiospasmus nur unter teilweiser Wiederherstellung der plötzlich unterbrochenen
Zirkulation eintritt. Die chronische
oder akute
Anämie versetzt die
Nerven
[* 2] in einen unvollkommen Ernährungszustand, welcher mit teilweiser oder sogar übermäßiger
Wiederherstellung des Blutlaufs sich als Erregung, als
Schmerz dokumentiert. Zum
Schluß bespricht
Boas
-
Berlin
[* 3] die modernen
Grundsätze der
Diätetik bei chronischen Verdauungskrankheiten; er zeigt das Ungenügende der alten
Diagnose
(Beschaffenheit der
Zunge etc.) und empfiehlt die individuelle
Prüfung jedes Kranken mit
Magenpumpe, Probemahlzeit und
Expression;
nach Ermittelung der Fähigkeit, verschiedene
Nahrungsmittel
[* 4] zu verdauen, wird das quantitative
Verhältnis
derselben bestimmt.
Von seinen feuilletonistischen
Arbeiten wurde eine Anzahl unter den
Titeln: »Realisme og
Realister« (1879)
und »Kritiske
Studier« (1880) gesammelt. Die
Novellen und
Romane: »Haablöse slägter« (1880,2. Aufl.
1884);
»Excentriske Noveller« (1885);
»Stille Eksistenser« (1886; mit der
Novelle »Ved Vejen«, die für
Bangs beste Leistung
gilt);
»Stuk« (1887) und dasSchauspiel
»EllenUrne«
[* 6] (1885) sowie die »Digte« (1889)
standen nicht bloß unter dem Einfluß der französischen Naturalisten von
Balzac bis
Zola, sondern trugen außerdem das Gepräge
einer subjektiven
Nervosität, einer unkünstlerischen
Unruhe und jener Prosalyrik, die den Mangel unmittelbarer
Empfindung
und klarer Gestaltungskraft verdecken soll.
Weniger traten diese Mängel hervor in seinen neuesten Veröffentlichungen:
»Tine«, einem
Roman aus dem deutsch-dänischen
Kriege von 1864 (1889),
Das Schlußheft des zweiten Teils seines 1837 erschienenen Werks »Über
Entwickelungsgeschichte
[* 7] der
Tiere« wurde (Königsb. 1888) vonL. Stieda veröffentlicht.
Das englische Bankhaus Baring Brothers geriet Ende 1890 infolge unvorsichtiger
Anleihen
an südamerikanische
Staaten (in 6
Jahren brachte es 95 Mill. Pfd. Sterl. auf den
Geldmarkt) in eine bedenkliche
Krisis, aus
welcher es nur durch die
Bank von
England und andre
Banken gerettet wurde;
Die
Familie Baring ist übrigens im
Besitz einer dritten Baronetie, indem 1885 der ehemalige ägyptische Finanzkontrolleur
E.
Ch. Baring zum
Lord Revelstoke erhoben wurde.
wanderte, weil sein Vater wegen seiner Opposition gegen den PräsidentenCarrera eingekerkert worden war, 1855 nach Mexiko
[* 21] aus
und unternahm von hier aus wiederholt Einfälle in Guatemala, um zuerst Carrera, dann dessen Nachfolger Cerna zu stürzen.
Erst 1871 glückte dies, und unter dem Präsidenten Granados wurde Barrios Oberbefehlshaber der Armee von Guatemala, 1873 selbst
Präsident. Er herrschte despotisch und entledigte sich seiner Gegner durch Hinrichtung oder Einkerkerung. Mit allem Eifer betrieb
er die Vereinigung der fünf zentralamerikanischen Republiken zu einem Bundesstaat und gewann Honduras
[* 22] für sich. Salvador,
[* 23] Nicaragua
[* 24] undCosta Rica verbündeten sich aber auf Anstiften Mexikos gegen ihn, und es kam zum Kriege. Barrios wandte
sich zunächst gegen Salvador, fiel aber bei Chelchuapa.
Hippolyte, franz. Militärschriftsteller, geb. zu
Algier, besuchte die Schule zu St.-Cyr, trat 1860 als Unterleutnant in ein Infanterieregiment, wurde 1869 Lehrer in St.-Cyr,
war während des Kriegs 1870/71 im StabeTrochus, nahm 1878 als Hauptmann seinen Abschied und widmete sich
dem Journalismus. Er schrieb: »Manuel du fantassin« (1873);
»Cours d'art et d'histoire militaires« (1875-77,2 Bde.),
woraus »Les armées européennes« (1877) besonders
erschien;
Edmund Musgrave, Afrikareisender (Bd. 17),
geb. zu Hilliers in Surrey, trat 1879 in die Armee ein, diente in Afghanistan
[* 25] (1880-81), in Ägypten
[* 26] und im Sudân
(1882-87), schloß sich 1887 der von Stanley geführten Expedition zum EntsatzEminPaschas an und erhielt den Befehl über die
Nachhut, welche im befestigten Lager
[* 27] von Jambuja am Aruwimi zurückblieb, als Stanley von dort stromaufwärts
zog. Erst nachdem die von Tippu Tipp versprochenen Träger
[* 28] eingetroffen waren, sah er sich in den Stand gesetzt,
von dort abzumarschieren, wurde aber bereits 19. Juni ermordet, ein Schicksal, welches er durch grausame Mißhandlung der ihm
unterstellten Eingebornen selbst verschuldet. SeinBruder, der MajorWalterGeorge Barttelot, veröffentlichte »The life of Edm.
Musgr. Barttelot« (Lond. 1890),
welches auch (freilich entstellte) Auszüge aus den Tagebüchern des Verstorbenen enthält (deutsch:
»StanleysNachhut in Yambuya unter Major Barttelot«, Hamb. 1891).
Dagegen wurde 23. März ein Gesetz, betreffend obligatorische staatliche
Krankenversicherung, mit 4067 gegen 2189 Stimmen in der Referendumsabstimmung verworfen.
diVesme, Carlo, Graf, ital. Rechtshistoriker, geb. zu Cuneo, studierte Rechts- und Sprachwissenschaft
in Turin,
[* 39] war Mitglied der Deputiertenkammer und seit 1850 Senator des KönigreichsSardinien,
[* 40] Mitglied der
Deputazione sovra gli studi di storia patria und der Akademie zu Turin und starb daselbst. Von seinen zahlreichen
Schriften sind besonders hervorzuheben: »Sulle vicende della proprietà in Italia dalla caduta dell' Impero fino allo stabilimento
dei feudi«;
»I tributi delle Gallie durante le prime due dinastie« (1836, preisgekrönt von der PariserAkademie);
»Edicta regum Langobardorum« (1855, in den »Monum.
hist. patriae«);
»Considerazioni sopra la Sardegna« (1850).
Eine wissenschaftliche Niederlage erlitt er bei der hartnäckigen
Verteidigung der sogen. »Pergamene di Aborea«,
gefälschter Urkunden, Gedichte etc., die über die älteste Geschichte hohen Glanz verbreiten sollten,
und deren Unechtheit endgültig erwiesen wurde durch ein Gutachten von Jaffé, Tobler, A. Dove und Mommsen im Monatsbericht der
BerlinerAkademie von 1870.
d'Asson (spr. bodri dassóng),LéonCharlesArmand de, franz. Deputierter, geb. zu Rocheserrière
^[richtig: Rocheservière] (Vendée), reicher Grundbesitzer und Generalrat, wurde zuerst 1876 als legitimistischer
Kandidat in die Deputiertenkammer gewählt, in welcher er sich durch seine leidenschaftlichen Unterbrechungen der Redner andrer
Parteien bekannt machte und sich wiederholte Rügen und Strafen zuzog. 1880 mußte er durch Einschreiten des Militärs aus dem
Sitzungssaal entfernt werden. 1888 schloß er sich dem Boulangismus an.
[* 42] derGegenwart (Berlin). Die zu Anfang der 70er Jahre begründete Herrschaft der Renaissance in der neuern deutschen
Baukunst, die für Jahrzehnte gesichert schien, hat nicht so lange gewährt, als nach der allgemeinen begeisterten Aufnahme
zu erwarten war, die ihr die Architekten der jüngern Generation als einem Gegengewicht gegen die Trockenheit
und Nüchternheit des hellenisierenden Stils Schinkelscher Richtung entgegenbrachten. Schon seit der Mitte der 70er Jahre wandte
man sich von der anfangs fast allein angewandten italienischen zur deutschen Renaissance, in der man den eigentlich nationalen
Stil gefunden zu haben glaubte. Während
¶
mehr
sich die einen bemühten, ihn von den Kleinlichkeiten seiner ursprünglichen Lebensbedingungen zu befreien und ihn nach den
Anforderungen des modernen Lebens und seiner Verkehrsbedürfnisse umzumodeln, suchten die andern ihre Befriedigung in der
Nachahmung und Überbietung seiner phantastischen Launen und barocken Ausschreitungen. Ist schon in der Geschichte der Baukunst
des 16. und 17. Jahrh. die zeitliche Grenzlinie zwischen Spätrenaissance
und Barockstil nirgends mit Sicherheit zu ziehen, so hat sich der Übergang in unsrer Zeit noch schneller und unmerklicher
vollzogen.
In demGrade, als die Prachtliebe und die Repräsentationslust des modernen Lebens wuchsen, nahm auch die Neigung zu den üppigsten
Kunstformen zu, und da der Stil der deutschen und italienischen Spätrenaissance dieser Neigung nicht mehr
ausreichend entsprechen wollte, suchten die Architekten ihre Vorbilder in den letzten Entwickelungsstufen der Renaissance,
im italienischen und französischen Barockstil. Unser geschichtlicher Sinn, unsre Kenntnis der Entwickelungsgeschichte des
menschlichen Geistes in seiner künstlerischen Thätigkeit haben sich inzwischen so erweitert, geläutert
und gereift, daß wir in den Kunstperioden des Barockstils und des Rokoko, das eigentlich kein Baustil, sondern nur ein neue
Grundformen mitbringendes, dekoratives System ist, nicht mehr Zeiten des Verfalls und Sinkens des Kunstgeistes erblicken, sondern
gelernt haben, sie als Erscheinungen zu würdigen, die die allgemeine Kultur, aus der sie erwachsen sind,
ebenso getreu widerspiegeln, wie die Kunst des Altertums und der Renaissance ihren Nährboden. Unter diesen objektiven Gesichtspunkten
ist die Wiederaufnahme des Barockstils in unsrer Zeit, die in keiner andern deutschen Stadt so lebhaft betrieben worden ist
wie in Berlin, zu beurteilen.
Wie vor 20 Jahren die Wiedereinführung des italienischen Renaissancestils in Berlin vorzugsweise von Privatarchitekten
im Gegensatz zu den in der Schinkelschen Schule gebildeten und an dem hellenischen Klassizismus festhaltenden Staatsbaubeamten
betrieben und vertreten wurde, so stehen auch die Träger der neuen Bewegung in der Zeit, die wir hier berücksichtigen (1883-90),
zumeist im Dienste der privaten Bauthätigkeit, während die im Auftrag des Staates entwerfenden Architekten
wiederum das konservative Element darstellen, indem sie an der italienischen Renaissance festhalten, die ihnen die besten Ausdrucksformen
für den Monumentalbau gewährt.
Dieser Grundsatz ist während der letzten sieben Jahre sowohl bei den meisten vom Staate unternommenen Bauausführungen als
bei den großen Konkurrenzen um Monumentalbauten zur Geltung gebracht worden. In dem Wettbewerb um das
Reichstagsgebäude wurden zwei Entwürfe im Stile der italienischen Hochrenaissance mit den ersten Preisen gekrönt, von denen
der PaulWallots zur Ausführung bestimmt wurde. Nach mehrfacher Umarbeitung des ursprünglichen Entwurfs sind die anfangs sehr
einfach gehaltenen Architektur- und Schmuckteile kräftiger und reicher entwickelt, aber dabei nirgends
die Grenze überschritten worden, die nach unserm modernen Stilgefühl die Hochrenaissance vom Barock trennt.
Die Vollendung des gewaltigen Baues, an dessen Ausführung sich zahlreiche neue Kräfte schulen, die sich zum Teil schon an
großen Aufgaben bewährt haben, wie z. B. Rettig und Pfann in der Konkurrenz um das Nationaldenkmal für
KaiserWilhelm I., wird für das Jahr 1895 erwartet. Auch in dem zweiten großen Wettbewerb, der von Berlin aus den deutschen
Baukünstlern
während der letzten sieben Jahre geboten wurde und die Forderung von Plänen zu Erweiterungsbauten für die
königlichen Kunstmuseen zum Gegenstand hatte, wurden die im Stile der italienischen Renaissance komponierten
Entwürfe von den Preisrichtern bevorzugt.
Diese Konkurrenz sollte nur Material liefern, und eine vorläufige Entscheidung ist erst 1889 erfolgt, indem Franz Schwechten,
FritzWolff und ErnstIhne mit der Ausarbeitung von Plänen zu drei besondern Museen für Gipsabgüsse, antike Skulpturen und die
Kunst der Renaissance beauftragt wurden. Auch diese Pläne, deren Ausführung bestimmt in Aussicht genommen
ist, bewegen sich in den Stilformen der italienischen Renaissance. Ein dritter großer Monumentalbau, der schon seit länger
als 40 Jahren der Gegenstand lebhafter Wünsche ist, ohne daß er über die einleitenden Stadien hinausgedeihen wollte, der
Neubau eines protestantischen Doms in Verbindung mit einer Gruft für die Hohenzollernfürsten, ist im
Widerspruch zu dem Verlangen der deutschen Architektenschaft, die in einem monumentalen Kirchenbau eine ihrer höchsten
Aufgaben sieht, nicht zum Thema eines allgemeinen Wettbewerbs gemacht worden.
Auf Grund eines Entwurfs des KaisersFriedrich, der sich schon als Kronprinz eingehend mit dem Gedanken eines
Dombaues beschäftigt und sich in J. C. ^[JuliusCarl] Raschdorff einen künstlerischen Mitarbeiter erkoren hatte, wurde dieser
mit der speziellen Aufstellung der Pläne betraut, nach denen der Dom ausgeführt werden soll. Sein Hauptmerkzeichen ist eine
mächtige Kuppel, die sich an das für Kuppelbauten klassisch gewordene Vorbild, die Peterskirche in Rom,
[* 44] anschließt.
Gleich diesen noch im Entstehen begriffenen Monumentalbauten sind auch die übrigen im Laufe der bezeichneten Epoche vollendeten
Staats- und öffentlichen Bauten, soweit sie ein künstlerisches Gepräge tragen, im Stile der italienischen Renaissance ausgeführt
worden, so das Museum für Naturkunde, das mit den benachbarten Gebäuden der landwirtschaftlichen Hochschule
und der Bergakademie zu einer Gruppe vereinigt worden ist, von August Tiede, das Museum für Völkerkunde von H. Ende, die Kriegsakademie
von F. Schwechten, mit zwei Fassaden, deren eine in Sandstein ausgeführt ist, während die andre, in ihrer Gliederung und ihrem
dekorativen System an die Bauten der lombardischen Frührenaissance erinnernd, aus rotem Backstein mit
reichem Terrakottaschmuck errichtet ist, das Gebäude der kaiserlichen Oberpostdirektion von Tuckermann, das Geschäftshaus
für das Landgericht und Amtsgericht II. von Hermann und Endell, der neue Packhof von FritzWolff, das Gebäude für den brandenburgischen
Provinziallandtag von Ende u. Böckmann, das Ständehaus für den TeltowerKreis
[* 45] von F. Schwechten.
Eine Ausnahmestellung nimmt das kaiserliche Patentamt von Fr. Busse ein, dessen Fassade, der vom neuern Privatbau eingeschlagenen
Richtung folgend, die reichen Formen des Barockstils zeigt. Allen diesen Bauten gemeinsam ist die Gediegenheit des Materials.
Ganz in Haustein ausgeführte Fassaden sind nichts Ungewöhnliches mehr, und wo die Mittel nicht zu ganzen
Sandsteinfassaden ausreichen, werden die Flächen zwischen den Architekturteilen mit Backsteinen von gefälliger Farbe verblendet,
in deren Herstellung die moderne Thonwarenindustrie eine hohe Vollendung erreicht hat, die sich auch auf die Fabrikation
von Terrakotten
[* 46] zum Zweck der Ausschmückung von Fassaden mit Gesimsen, Konsolen, Rosetten, Friesen, Bändern, figürlichen
Reliefs, Gruppen, Vasen
[* 47] etc.
¶
mehr
erstreckt. Im Gegensatz zu der frühern Bauperiode wird auch ein stetig wachsender Wert auf die farbige Wirkung der Fassaden
gelegt. Bei der ungeheuern Baulast, die die städtische VerwaltungBerlins jährlich zu erledigen hat, können bei Kommunalbauten
künstlerische Interessen zur Zeit nur in sehr bescheidenem Maße berücksichtigt werden. Doch hat man
sowohl bei den teilweise oder ganz frei stehenden Markthafenbauten als bei dem Polizeidienstgebäude, dessen Entwurf von H.
Blankenstein herrührt, nach einer monumentalen Wirkung und einer malerischen Gruppierung der einzelnen Bauteile gestrebt.
Wenn die Lösung der Dombaufrage unter Umgehung eines allgemeinen Wettbewerbs in den beteiligten Kreisen eine starke Mißstimmung
hervorgerufen hat, so ist dies zum Teil daraus zu erklären, daß die deutsche Kirchenbaukunst in neuerer
Zeit im Anschluß an nationale und lokale Überlieferungen einen Aufschwung genommen hat, dessen Früchte zu dem Wunsch berechtigten,
die gewonnenen Kräfte an einer großen Aufgabe zu bewähren. Der Hauptvertreter dieses neuen Aufschwunges, Johannes Otzen,
der an die kirchlichen Backsteinbauten des gotischen Mittelalters in Norddeutschland anknüpft, bei der
Verwendung seiner Vorbilder aber die modernen Bedürfnisse des protestantischen Kultus nach allen Seiten berücksichtigt und
zur Belebung der Flächen wie der konstruktiven Teile auch dekorative Motive aus andern Ländern, besonders aus Italien,
[* 49] heranzieht,
hat bisher wenigstens einmal Gelegenheit gehabt, in Berlin in der Kirche zum heiligen Kreuz
[* 50] zu beweisen,
wie große malerische Wirkungen sich ohne Preisgabe des monumentalen Charakters diesem Stile abgewinnen lassen. Er und der nach
ähnlichen Grundsätzen erneuerte und umgebildete romanische Stil sind auch für acht Kirchen mittlern Umfanges maßgebend gewesen,
die zur Zeit im Bau begriffen sind, und zu denen Orth, Spitta, Schwechten u. a. die Entwürfe geliefert haben.
Im Profanbau hat dagegen der gotische Stil keinen Eingang gefunden, vielleicht weil es hier an jeder Spur einer örtlichen
Überlieferung fehlt. Ein Gleiches gilt freilich auch von der Renaissance, da Berlin, abgesehen von einigen Teilen des königlichen
Schlosses, nur noch ein einziges Haus aus dieser Zeit besitzt, das einen Teil des königlichen Marstalls
bildet. Wenn man nach einem Stile sucht, dessen Spuren noch in der Physiognomie des alten Berlins erkennbar sind, so könnte
allein der Schlütersche Barockstil in Frage kommen, und er hat auch unzweifelhaft einen Teil dazu beigetragen,
daß der Barockstil in den letzten Jahren so stark in Übung gelangt ist.
Eine unmittelbare Einwirkung der Denkmäler ist dabei nicht anzunehmen. Wie andre Bewegungen auf dem Gebiet der modernen Kunst,
ist auch diese durch litterarische Mittel hervorgerufen worden, zunächst durch die 1876 erfolgte Veröffentlichung des BerlinerSchlosses von R. Dohme, die zuerst den Reichtum der repräsentativen Pracht des Schlüterstils erschloß,
und dann durch eine Reihe ähnlicher Veröffentlichungen, die sich schließlich auf die Barock- und Rokokodenkmäler des gesamten
Deutschland
[* 51] erstreckten und in dem Grade an Zahl zunahmen, als der Denkmälervorrat der deutschen Renaissance in Bezug auf seine
praktische Verwendbarkeit erschöpft wurde.
Durch die Örtlichkeit geboten erschien die Anlehnung an den von Schlüter umgebildeten italienischen Barockstil in den von
mächtigen Kuppeln überragten Eckbauten der neuen Kaiser Wilhelmstraße und der an sie grenzenden Häuserfronten dieser Straße,
die nach den
Entwürfen von Cremer und Wolffenstein ausgeführt worden sind. Die Straße führt nämlich
von Osten nach Westen in den Lustgarten, dessen Südseite das Schlütersche Schloß einnimmt, mit dessen mächtiger Architektur
die Eckbauten der Kaiser Wilhelmstraße in Einklang gebracht werden mußten.
Nachdem dieses Beispiel höchster Prachtentfaltung im architektonischen Aufbau wie im bildnerischen Schmuck einmal gegeben war,
fand es zahlreiche Nachfolger, die, wenn sie auch nicht gerade im eigentlichen Schlüterstil schufen,
doch der italienischen, französischen und deutschen Barockkunst folgten, weil sie in den dekorativen Teilen einerseits der
Prunkliebe entgegenkommt, der gegenwärtig sämtliche im Dienste des Baugewerbes thätigen Künste und Industrien huldigen, um
ihre hochentwickelte Leistungsfähigkeit zu erproben, anderseits mehr als jede andre historische Stilart die
Ausbildung monumentaler Innenräume gestattet.
Selbständig, ohne von andern Kunstgenossen beeinflußt zu sein, haben Kayser und von Großheim, die am meisten beschäftigten
unter den Privatarchitekten Berlins, die bisher die deutsche und italienische Renaissance bevorzugt hatten, diesen Weg betreten.
Schon in ihrem mit einem zweiten Preis gekrönten Entwurf für das Reichstagsgebäude hatten sie sich an
die französische Spätrenaissance angeschlossen, und in dem Geschäftshaus für die NewYorker Versicherungsgesellschaft Germania
[* 52] verschmolzen sie Elemente der deutschen Spätrenaissance mit dem Schlüterschen Barockstil, ohne jedoch, zumal bei einem Übermaß
von dekorativem Aufwand an Bildwerk, buntem Glasmosaik, verschiedenfarbigem Stein, Bronze
[* 53] und Schmiedeeisen, eine einheitliche
Wirkung zu erzielen.
Dies ist ihnen viel besser in ihren spätern Schöpfungen, dem Dreherschen Hause in der LeipzigerStraße, einem großen Geschäftshaus
am Gendarmenmarkt, dem Pschorrbräuhaus, dem Kaufhaus Stuttgart
[* 54] und dem Hause der Versicherungsgesellschaften Concordia und
Colonia gelungen, da sie in dem Grade, als sich die Aufgaben mehrten, die Formen des Barockstils beherrschen
und immer maßvoller gestalten lernten. Diese und die meisten andern Schöpfungen des Berliner Privatbaues sind danach zu beurteilen,
daß sie nicht aus der freien Phantasie der Künstler erwachsen sind, sondern sich in erster Linie den Wünschen und Bedürfnissen
der Bauherren und, was noch häufiger ist, den Forderungen der Bauspekulation unterordnen mußten.
Soweit man von einem monumentalen Privatbau sprechen kann, wurde er in dem uns beschäftigenden Zeitraum durch das Geschäfts-
und Kaufhaus, den Bierpalast und das Hotel vertreten. Mit besonderm Eifer wurde an der Lösung der durch das Geschäftshaus
gestellten Aufgabe gearbeitet, die im wesentlichen darauf hinauslief, die Grundstücksfläche zu höchster
Rentabilität zu bringen: in den beiden untern Stockwerken Verkaufsläden, Geschäftsräume, Büreaus, in den obern Mietswohnungen,
unten breite Schaufenster, Thüren und sonstige Lichtöffnungen, obenFenster mit gewöhnlichen Abmessungen.
Den dadurch entstehenden Zwiespalt zwischen den einzelnen Stockwerken völlig zu lösen und einheitlich wirkende Fassaden zu
komponieren, ist keinem der Architekten gelungen, obwohl alle erdenklichen Versuche gemacht worden sind,
die verschiedenen Zwecken dienenden Stockwerke zusammenzufassen. Am meisten ist es noch HansGrisebach in den Geschäftshäusern
A. W. Faber und Ascher u. Münchow geglückt, die insofern eine Sonderstellung in der BerlinerArchitektur einnehmen, als ihr
Schöpfer sich an den Stil der deutschen Renaissance¶
mehr
anschließt, aber an diejenige nordische Richtung, die, auf den Backsteinbau angewiesen, noch Konstruktionsgrundsätzen des
gotischen Stiles folgte. Grisebachs Bauten kennzeichnen sich durch eine stark betonte Höhentendenz, durch reiche Verwendung
von Erkern, Giebeln, Spitztürmchen und hohen Dächern und durch reiche Farbenwirkung bei feiner Ausbildung aller ornamentalen
Einzelheiten. Gelegentlich komponiert er auch in dem malerischen, jeder Symmetrie spottenden Stile, der
jetzt besonders in Süddeutschland beliebt ist, und den man als MünchenerRenaissance bezeichnet.
Berlin hat schon mehrere Beispiele dieses Stils aufzuweisen, unter denen das phantastische, einer mittelalterlichen Burg nachgebildete
Künstlerheim, ein Ateliergebäude mit Restaurant und Wohnungen, von Sehring und das HausHohenstein
[* 56] und
v. Santen in der Wilhelmstraße, von Zaar erbaut, die bemerkenswertesten sind. Diese Spielart der Renaissance ist in Berlin durch
die großen Münchener Brauereibesitzer eingeführt worden, die sich für den Ausschank ihrer Erzeugnisse eigne Bierpaläste
erbauen ließen. Zwei von ihnen haben ihre Häuser auch nach den Plänen süddeutscher Architekten errichten
lassen: Sedlmayr das Haus Zum Spaten durch GabrielSeidl in München,
[* 57] Freiherr v. Tucher das seinige durch ProfessorWalther in Nürnberg.
[* 58] Die Architekturteile sind sehr einfach gehalten, da der Hauptschmuck der Fassaden in figürlichen und ornamentalen Malereien
besteht, wozu möglichst große Mauerflächen dargeboten werden mußten.
Den ausschließlichen Charakter eines Geschäfts- und Warenhauses haben Kayser und v. Großheim in dem Kaufhaus
Stuttgart und OttoMarch in dem Kaufhaus Zum Hausvogt zum Ausdruck gebracht, wobei freilich das künstlerische Moment in den Hintergrund
treten mußte. OttoMarch, der Erbauer des Festspielhauses in Worms,
[* 59] hat sich auch im Villenbau durch eigenartige Erfindung und
reizvolle malerische Komposition bewährt. Die höchste monumentale Wirkung hat auf dem Gebiet des Geschäftshäuserbaues
KarlSchäfer in dem Palast der NewYorker Equitablegesellschaft erreicht, einem Eckhaus, dessen Ecke von einer mächtigen Kuppel
mit schlank aufstrebender Laterne gekrönt ist. Die sich an den Barockstil anschließenden Architekturformen wirken zumeist
durch sich selbst, da von ornamentalem Beiwerk ein sehr spärlicher Gebrauch gemacht worden ist.
In der Ausschmückung dieser Restaurants und Cafés durch Wand- und Deckengemälde, durch reiche Stuckaturen
mit Bemalung und Vergoldung u. a. hat sich schnell ein Wetteifer entfaltet, der eine besondere
Spezialität der Innendekoration hervorgerufen und fast alle historischen Stilarten in Bewegung gesetzt hat. Die reichsten
Beispiele dieser Art sind das maurische Café im Monopolehotel von Heim und das im üppigsten Rokokostil
ausgestattete Café Reichshallen von Fr. Stahn. Wie groß die Bedenken aber auch sind, die man vom Standpunkt der ästhetischen
Kritik gegen diese und andre dekorative Überschwänglichkeiten erheben muß,
so ist doch anzuerkennen, daß alle mit
dem Baugewerbe in Verbindung stehenden Künste durch solche Aufgaben technisch sehr gefördert werden.
Der Bau vonPalästen für große Bankinstitute, der während der 70er Jahre der neuern Entwickelung der BerlinerArchitektur
einen charakteristischen Zug
gegeben hat, ist in den 80er Jahren zurückgetreten. Von hervorragender künstlerischer Bedeutung
sind nur die in italienischem Renaissancestil komponierte, mit vollkommener Harmonie durchgebildete Fassade der DresdenerBank
von Heim und ein Erweiterungsbau der Diskontogesellschaft von Ende und Böckmann, dessen ganz in rotem
Sandstein ausgeführte Fassade der Straße Unter den Linden zugekehrt ist.
Ein regere Thätigkeit hat sich im Theaterbau
[* 61] entfaltet. In dem von van der Hude und Hennicke erbauten Lessingtheater, dessen
Äußeres eine einfache Renaissance-Architektur mit scharf charakterisierender Unterscheidung der einzelnen
Teile des Innern nach außen hin zeigt, während die nach den neuesten Erfahrungen sehr zweckmäßig angeordneten Innenräume
(Vestibül, Korridore, Wandelgänge und Zuschauerräume) im Rokokostil dekoriert sind, hat Berlin ein von allen Seiten frei
liegendes Theatergebäude erhalten.
Das ist ein Vorzug, den es streng genommen nur mit den beiden königlichen Theatern teilt. Eine dekorative
Umgestaltung im Innern haben das deutsche (früher Friedrich-Wilhelmstädtische) Theater
[* 62] und das Berliner (früher Walhalla-)
Theater erfahren. Letzteres hat auch eine neue, mit einer Säulenstellung u. einem antiken Tempelgiebel darüber
geschmückte Fassade erhalten. Mit Benutzung der alten Umfassungsmauern völlig umgebaut und neu dekoriert im Innern
sind das Concordiatheater von G. Ebe und das Thomastheater von Oskar Titz. Beide Theater sind durch hohe Mietshäuser von den
Straßen getrennt, so daß eine künstlerische Gestaltung der Außenarchitektur ausgeschlossen war. Desto reicher ist
die dekorative Ausstattung des Innern, bei der Ebe sich mit Maß und feinem Geschmack an den Rokokostil hielt,
während sich Titz in freien Renaissanceformen bewegte.
Bei dem beständigen Steigen der Grundstückswerte im Innern der Stadt wie in den von der wohlhabendern Bevölkerung
[* 63] bewohnten
Vorstädten ist der städtische Villenbau wie überhaupt das private Wohnhaus
[* 64] ohne Läden und Geschäftslokale in den Hintergrund
getreten. Der Villenbau hat sich fast ganz auf die Vororte zurückgezogen, die freilich insofern zu Berlin
gehören, als die große Mehrzahl ihrer Bewohner in Berlin ihre Beschäftigung hat oder dort ihrem Beruf nachgeht.
Die Physiognomie der Berliner Vorstädte wird dagegen mehr und mehr von dem Mietskasernenstil beherrscht, der sich ein künstlerisches
Gepräge zu geben sucht, indem er die Fassaden immer üppiger mit Bildwerken und Ornamenten in Gips,
[* 65] mit
Malereien und Thonzieraten ausstattet und die Vestibüle und Treppenhäuser immer prunkvoller und verlockender gestaltet,
ohne daß die Anordnung der innern Räume dieser gleisnerischen Scheinarchitektur entspricht. Eine künstlerische Bedeutung
haben diese Spekulationsbauten nicht. Aber sie sind immerhin ein Zeichen einer Zeit, die mit den stärksten
Mitteln arbeitet, weil sie sich im Besitz einer zuvor noch nie erreichten technischen Virtuosität weiß.
Von seiner unvollendeten »Geschichte des schweizerischen Freistaats
und Kantons St. Gallen« (Zür. 1868,2 Bde.)
erschien der dritte Band:
[* 74] »Geschichte von 1830 bis 1850« (Einsied. 1890), herausgegeben
von seinem Sohn Alexander Baumgartner.
zu dem ein weiterer Band, das 18. Jahrh. umfassend, in Aussicht steht. Außerdem veröffentlichte er die biographischen
Schriften: »Palestrina« (Freib. 1877) und »Orlandus de Lassus« (das. 1878);
[* 91] Geschichte. Von den drei Anträgen, welche das bayrische Abgeordnetenhaus im November 1889 mit der geringen
Mehrheit von zwei Stimmen angenommen hatte (s. Bd. 17, S. 103), wurde von der Reichsratskammer der erste über
das Placet Anfang 1890 für formell unzulässig erklärt, der zweite, über die Altkatholiken, durch
Übergang zur Tagesordnung erledigt, wobei indes eine Prüfung der Frage, ob die Altkatholiken die Zugehörigkeit zur katholischen
Kirche mit Recht beanspruchen könnten oder nicht, mehrfach empfohlen wurde.
Die Zentrumspartei setzte nun ihre Drohung, den verhaßten Ministerpräsidenten v. Lutz bei der Beratung des Kultusetats entschieden
zu bekämpfen, ins Werk. Rücksichtslos strich die Zentrumsmehrheit im Finanzausschuß auf Antrag des ReferentenDaller alle
Erhöhungen der Ausgabeposten, ohne auf die materielle Würdigung überhaupt einzugehen; letzteres
erklärte sie nur dann thun zu wollen, wenn die Regierung die Altkatholiken, welche infolge der Leugnung der Unfehlbarkeit
von der Kirche ausgeschlossen wurden, wegen dieses Ausschlusses als von der Kirche losgelöst betrachte und behandle. Das Ministerium,
dessen Geschäfte der auswärtige Minister v. Crailsheim
[* 93] an Stelle des schwer erkrankten Ministers v. Lutz
leitete, beschloß in dieser Frage nachzugeben und trat zu diesem Zweck mit den kirchlichen Behörden in
¶