Arbeiterversicherung (deutsches Reichsgesetz vom 22. Juni 1889)
mehr
Beschäftigung nur freier Unterhalt gewährt wird, ferner Beamte des
Reichs und der
Bundesstaaten, die mit Pensionsberechtigung
angestellten Beamten von Kommunalverbänden sowie
Personen des Soldatenstandes, welche dienstlich als
Arbeiter beschäftigt
sind, endlich solche
Personen, welche nicht mehr im stande sind, ein Drittel des nach Maßgabe des Krankenversicherungsgesetzes
festgesetzten Tagelohns zu verdienen, oder welche auf
Grund des neuen
Gesetzes eine Invalidenrente beziehen.
Andre in Betrieben des
Reichs, eines
Bundesstaats oder eines Kommunalverbandes beschäftigte
Personen genügen der gesetzlichen
Versicherungspflicht durch Beteiligung an
einer für den betreffenden Betrieb bestehenden oder zu errichtenden besondern Kasseneinrichtung,
durch welche ihnen eine den reichsgesetzlich vorgesehenen Leistungen gleichwertigeFürsorge gesichert
ist.
Der
Bundesrat kann bestimmen, ob und inwieweit durch Beteiligung an andern Kasseneinrichtungen, welche die
Fürsorge für den
Fall der
Invalidität oder des
Alters zum Gegenstand haben, der Versicherungspflicht genügt wird. Gegenstand der
Versicherung
ist der Anspruch auf Gewährung einer
Invaliden-, bez. Altersrente. Invalidenrente erhält ohne Rücksicht auf
das
Lebensalter derjenige Versicherte, welcher dauernd erwerbsunfähig ist. Erwerbsunfähigkeit ist dann
anzunehmen, wenn der Versicherte infolge seines körperlichen oder geistigen Zustandes nicht mehr im stande ist, durch eine
seinen
Kräften und Fähigkeiten entsprechende Lohnarbeit mindestens einen Betrag zu verdienen, welcher gleichkommt der
Summe
eines Sechstels des
Durchschnitts der Lohnsätze, nach welchen für ihn während der letzten fünf Beitragsjahre
Beiträge entrichtet worden sind, und eines Sechstels des 300fachen Betrags des nach dem Krankenversicherungsgesetz festgesetzten
ortsüblichen Tagelohns gewöhnlicher Tagearbeiter des letzten Beschäftigungsorts, in welchem er nicht lediglich vorübergehend
beschäftigt gewesen ist. Altersrente erhält, ohne daß es des Nachweises der Erwerbsunfähigkeit bedarf, derjenige Versicherte,
welcher das 70. Lebensjahr vollendet hat. Dagegen steht ein Anspruch auf Invalidenrente denjenigen Versicherten nicht zu,
welche erweislich die Erwerbsunfähigkeit sich vorsätzlich oder bei Begehung eines durch strafgerichtliches
Urteil festgestellten
Verbrechens zugezogen haben.
In
Gemeinden, in welchen land- und forstwirtschaftliche
Arbeiter nach Herkommen ihren
Lohn ganz oder zum Teil in
Naturalleistungen erhalten, kann auch die
Rente bis zu zwei Dritteln in dieser Form gewährt werden. Solchen
Personen, welchen
wegen gewohnheitsmäßiger
Trunksuchtgeistige Getränke in öffentlichen Schankstätten nicht verabfolgt werden dürfen, ist
die
Rente ihrem vollen Betrag nach in
Naturalleistungen zu gewähren. Ist der Berechtigte ein
Ausländer, so kann er, falls
er seinen
Wohnsitz im
DeutschenReich aufgibt, mit dem dreifachen Betrag der
Jahresrente abgefunden werden.
Zur Erlangung eines Anspruchs auf
Invaliden- oder Altersrente ist, außer dem Nachweis der Erwerbsunfähigkeit, bez.
des gesetzlich vorgesehenen
Alters, erforderlich:
1) die Zurücklegung der vorgeschriebenen
Wartezeit;
2) die Leistung von Beiträgen. Die
Wartezeit beträgt:
1) bei der Invalidenrente 5 Beitragsjahre;
2) bei der Altersrente 30 Beitragsjahre. Diese
Wartezeiten sind geringer bemessen für Versicherte, welche während der ersten 5 Kalenderjahre
nach dem Inkrafttreten des
Gesetzes erwerbsunfähig werden, sowie für Versicherte, welche zur Zeit des Inkrafttretens des
Gesetzes das 40. Lebensjahr vollendet haben. Die
Mittel
zur Gewährung der
Renten werden vom
Reich in Form
eines Zuschusses von 50 Mk. für jede
Rente jährlich, dann von den Arbeitgebern und von den Versicherten
durch laufende Beiträge
zu je gleichen Teilen aufgebracht.
Die
Höhe dieser Beiträge ist so zu bemessen, daß durch dieselben gedeckt werden die Verwaltungskosten, die Rücklagen
zur
Bildung eines
Reservefonds, die durch Erstattung von Beiträgen voraussichtlich entstehenden Aufwendungen
sowie der Kapitalwert der von der Versicherungsanstalt aufzubringenden
Anteile an denjenigen
Renten, welche in dem betreffenden
Zeitraum voraussichtlich zu bewilligen sein werden. Zum
Zweck der Bemessung der Beiträge und
Renten werden nach der
Höhe des
Jahresarbeitsverdienstes folgende
Klassen (Lohnklassen) der Versicherten gebildet:
Die
Renten werden für Kalenderjahre berechnet und in monatlichen Teilbeträgen im voraus gezahlt.
Bei Berechnung des von der Versicherungsanstalt aufzubringenden Teils der Invalidenrente wird ein Betrag
von 60 Mk. zu
Grunde gelegt. Derselbe steigt mit jeder vollendeten Beitragswoche
Dabei werden 1410 Beitragswochen in
Anrechnung gebracht. Die höchste Altersrente würde sich demnach
stellen auf 1410 x 0,10= 141 Mk. nebst 50 Mk. Reichszuschuß, zusammen 191 Mk.
Ein
Arbeiter der vierten Lohnklasse, welcher nach 1410 Beitragswochen invalid wird, erhält 60 + 0,13
x 1410 + 50 = 293,30 Mk. Weibliche
Personen, welche sich verheiraten, ehe sie in den
Genuß einerRente
gelangten, können die Hälfte der für sie geleisteten Beiträge zurückverlangen, sofern letztere wenigstens 5 Jahre lang
entrichtet wurden.
Einen gleichen Anspruch haben
Witwen und Waisen männlicher
Personen, welche, nachdem sie wenigstens 5 Jahre lang Beiträge
gezahlt haben, sterben, ehe sie eine
Rente erhielten. Die
Anwartschaft der Versicherten erlischt, wenn während 4 aufeinander
folgender Jahre für weniger als insgesamt 47
Wochen Beiträge entrichtet worden sind. Doch lebt dieselbe durch Wiedereintritt
in eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder durch freiwillige Beitragsleistung wieder auf.
II.
Organisation. Die Invaliditäts-und
Altersversicherung erfolgt durch Versicherungsanstalten, welche nach Bestimmung der
Landesregierungen für weitere Kommunalverbände ihres Gebiets oder für das Gebiet des
Bundesstaats errichtet
werden. In der Versicherungsanstalt sind alle diejenigen
Personen versichert, deren Beschäftigungsort im
Bezirk der Versicherungsanstalt
liegt. Die Versicherungsanstalt wird durch einen Vorstand verwaltet, soweit nicht einzelne Angelegenheiten durch
Gesetz oder
Statut dem
Ausschuß oder andern
Organenübertragen sind. Für jede Anstalt wird ein
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Ausschuß gebildet, welcher aus einer gleichen Anzahl (mindestens 5) Vertretern der Arbeitgeber und der Versicherten
besteht. Durch das Statut kann die Bildung eines Aufsichtsrats angeordnet werden. Ein Aufsichtsrat muß gebildet werden, wenn
nach dem Statut dem Vorstand Vertreter der Arbeitgeber und Versicherten nicht angehören. Der Aufsichtsrat hat die Geschäftsführung
des Vorstandes zu überwachen und die ihm durch das Statut außerdem übertragenen Obliegenheiten zu erfüllen.
Für den Bezirk jeder Anstalt wird zur Wahrung der Interessen der übrigen Anstalten und des Reichs von der Landesregierung im
Einvernehmen mit dem Reichskanzler ein Staatskommissar bestellt.
III. Schiedsgerichte. Für den Bezirk jeder Anstalt wird mindestens ein Schiedsgericht bestellt, welches
aus einem Vorsitzenden und mindestens vier Beisitzern besteht. Letztere werden von dem Ausschuß und zwar zu gleichen Teilen
von den Arbeitgebern und den Versicherten gewählt.
IV. Verfahren. Ansprüche auf Renten sind bei der untern zuständigen Verwaltungsbehörde anzumelden. Gegen den Bescheid derselben
findet Berufung an das Schiedsgericht statt. Ist die Rente anerkannt und festgestellt, so ist dem Rechnungsbüreau
des Reichsversicherungsamtes Mitteilung zu machen, welches die Renten auf das Reich und die beteiligten Versicherungsanstalten
nach Maßgabe der Quittungskarten verteilt. Die Auszahlung der Renten wird dann vorschußweise durch die Postverwaltungen
bewirkt. Die Höhe der wöchentlichen Beitrage stellt sich vorbehaltlich anderweitiger Festsetzung für
die erste Beitragsperiode (nächsten 10 Jahre) in jeder Anstalt
Die Beiträge entrichtet der Arbeitgeber, welcher berechtigt ist, die Hälfte derselben bei der Lohnzahlung
in Abzug zu bringen. Hierbei hat er sich der Marken zu bedienen, welche die Versicherungsanstalten für die verschiedenen
Lohnklassen ihrer Bezirke mit Bezeichnung ihres Geldwertes ausgeben werden, indem er einen entsprechenden Betrag von Marken
in die Quittungskarte des Versicherten einklebt. Jede Quittungskarte bietet Raum zur Aufnahme der Marken
für 47 Beitragswochen.
Die Eintragung eines Urteils über die Führung oder die Leistungen des Inhabers sowie sonstige durch das Gesetz nicht vorgesehene
Eintragungen oder Vermerke in oder an der Quittungskarte sind unzulässig. Quittungskarten, in welchen derartige Vermerke
oder Eintragungen sich vorfinden, sind von jeder Behörde, welcher sie zugehen, einzubehalten und durch
neue zu ersetzen. Dem Arbeitgeber sowie Dritten ist untersagt, die Quittungskarte nach Einklebung der Marken wider den Willen
des Inhabers zurückzubehalten.
Personen, welche aus dem Versicherungsverhältnis ausscheiden, sind berechtigt, dasselbe freiwillig dadurch fortzusetzen,
bez. zu erneuern, daß sie die für die Lohnklasse II ihres Aufenthaltsorts
festgesetzten Beiträge entrichten und gleichzeitig für jede Woche freiwilliger Veitragsleistung eine
Zusatzmarke beibringen. Auch die Personen (Betriebsunternehmer), welche sich freiwillig selbst versichern, haben außer den
vollen Beiträgen in Marken für jede Woche der Selbstversicherung eine Zusatzmarke beizubringen. Der Nennwert dieser Zusatzmarken
beträgt 8 Pfennig.
V. Aufsicht. Die Versicherungsanstalten unterliegen in Bezug auf Befolgung des
Gesetzes der Beaufsichtigung
durch das Reichsversicherungsamt. In denjenigen Bundesstaaten, in welchen Landesversicherungsämter errichtet sind, übt das
Landesversicherungsamt die Aufsicht über solche Versicherungsanstalten aus, welche sich nicht über das Gebiet des Bundesstaats
hinaus erstrecken.
VI. Von den Strafbestimmungen seien hier nur erwähnt, daß unzulässige Eintragungen oder Vermerke in
Quittungskarten mit Geldstrafe bis zu 2000 Mk. oder mit Gefängnis (Haft bei mildernden Umständen) bis zu sechs Monaten bedroht
werden. Organe der Versicherungsanstalten sowie die das Aufsichtsrecht über dieselben ausübenden Beamten werden auf Antrag
mit Geld bis zu 1500 Mk. oder mit Gefängnis bis zu drei Monaten bestraft, wenn sie unbefugt Betriebsgeheimnisse
offenbaren, welche kraft ihres Amtes zu ihrer Kenntnis gelangt sind. Absichtliche Offenbarung zum Nachteil der Betriebsunternehmer
sowie Nachahmung werden mit Gefängnis bedroht, neben welchem auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden kann.
Hierzu kann Geldstrafe bis zu 3000 Mk. treten, wenn die Absicht darauf gerichtet ist, sich oder
einem andern einen Vermögensvorteil zu verschaffen.
Bei einem Versicherungsbestand von jährlich 11 Mill. Personen wird der auf 50 Mk. jährlich zu jeder Rente festgesetzte Reichszuschuß
sich im ganzen belaufen
im 1. Versicherungsjahr auf
6.4 Mill. Mk.
" 2. " "
11.7 " "
" 7. " "
18.0 " "
" 10. " "
30.7 " "
" 15. " "
45.0 " "
" 20. " "
53.0 " "
" 80. " "
69.0 " "
Die Witwen- und Waisenversorgung für den Arbeiterstand wurde vorerst noch nicht in Angriff genommen, jedoch allgemein als
nötig anerkannt. Dieselbe würde höhere Lasten in Anspruch nehmen als die Versicherung von alten und
invaliden Arbeitern.
Nach einem neuen belgischen Gesetz über Arbeiterwohnungen wird in jedem Kreis
[* 3] mindestens Ein
^[richtig : ein] Ausschuß eingesetzt, dessen Mitglieder auf drei Jahre teils von der Zentralregierung, teils von dem ständigen
Ausschuß des Provinzialrats ernannt werden mit der Aufgabe, die Anlage von Arbeiterwohnungen zu fördern und die Überlassung derselben gegen
jährliche Abzahlungen zu vermitteln, die Wohnungsverhältnisse der arbeitenden Klassen fortlaufend zu
untersuchen, den Sparsinn und die Beteiligung bei Hilfskassen anzuregen, für Ordnung, Reinlichkeit und Sparsinn Preise auszuschreiben,
den Behörden Maßregeln vorzuschlagen, über seine Wirksamkeit dem Minister für Gewerbe jährlich Bericht zu erstatten, bei
Massenenteignungen in den von den arbeitenden Klassen bewohnten Stadtvierteln ein Gutachten über den Verkauf
der freigelegten Plätze abzugeben. Die Ausschüsse erhalten insofern beschränkte zivilrechtliche Persönlichkeit, als sie
Geschenke an beweglichem Gut und Zuschüsse der Behörden annehmen dürfen. Die königliche Spar- und Alterskasse ist ermächtigt,
nach eingeholtem Gutachten der Ausschüsse zu gunsten der Anlage und des Ankaufs von Arbeiterwohnungen Gelder auszuleihen
unter den vom Finanzminister zu genehmigenden
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Bedingungen und sich zu diesem Zwecke gemäß den durch königlichen Ersatz festzustellenden Bestimmungen mittels Lebensversicherung
zu decken. Auch die Provinzen, Gemeinden und öffentlichen Wohlthätigkeitsanstalten sind befugt, für die Anlage von Arbeiterwohnungen Geschenke
anzunehmen. Arbeiterwohnungen, welche, mit Ausnahme eines kleinen Grundstücks (45 Ar), den einzigen Besitz der Familie ausmachen, sind je
nach dem Katastralwert und der Ortsbevölkerung der Besteuerung nicht unterworfen. Aktiengesellschaften und Baugenossenschaften
zur Anlage von Arbeiterwohnungen können sich unter gewissen Bedingungen die Eigenschaften der gewöhnlichen zivilrechtlichen Persönlichkeit
wahren. Das Gesetz gewährt diesen Gesellschaften und Genossenschaften sowie überhaupt für den Besitzwechsel etc. von Arbeiterwohnungen eine
Reihe verschiedener Steuerbefreiungen. - Zur Litteratur: Trüdinger, Die Arbeiterwohnungsfrage (Jena
[* 5] 1888).
Ämter *, Ämter, welche in den Vereinigten Staaten
[* 7] von Nordamerika
[* 8] zu dem Zweck errichtet wurden,
alles statistische Material zu sammeln, welches sich auf die Verhältnisse der Arbeit und auf die soziale, moralische und erziehliche
Wohlfahrt des Volkes bezieht. Das erste wurde 1863 im StaatMassachusetts ins Leben gerufen und zwar infolge
der hier seit 4-5 Jahrzehnten auf Erlaß von Arbeiterschutzgesetzen gerichteten Bestrebungen. Eine 1865 niedergesetzte Kommission,
welche Berichte und statistische Daten über die Arbeitszeit und die Lage der arbeitenden Klasse sammeln sollte, erklärte die
Einsetzung eines ständigen Büreaus für nötig, welches alljährlich statistische Erhebungen veranstalte.
Die Aufgabe desselben ist eine sehr umfassende. Sein wesentlicher Zweck und seine Pflichten bestehen darin, unter der Bevölkerung
[* 11] der Vereinigten Staaten nützliche Erkundigungen über Verhältnisse einzuziehen und zu verbreiten, welche
mit der Arbeit im allgemeinsten und umfassendsten Sinn dieses Wortes in Zusammenhang stehen, insbesondere aber in deren Beziehung
zu Kapital, Arbeitszeit, Verdienst der männlichen und weiblichen Arbeiter und den Mitteln zur Förderung der materiellen, sozialen,
geistigen und sittlichen Wohlfahrt der letztern.
Das Departement ist unter anderm auch mit einem Bericht über die Ehe- und Scheidungsfrequenz und deren
Ursachen in den letzten 20 Jahren beschäftigt, es soll über die Herstellungskosten der in den Vereinigten Staaten zollpflichtigen
Artikel in den Ländern, wo letztere produziert werden, genaue Erkundigungen einholen, den Einfluß der Zollgesetze und der
Währungsverhältnisse auf die Landwirtschaft und auf deren hypothekarische Verschuldung feststellen,
die Einwirkung von Trusts (s d., Bd. 17) und ähnlichen Verbindungen auf Produktion u. Preise ermitteln etc.
Im J. 1886 wurde auch in der Schweiz
[* 12] eine ähnliche Einrichtung geschaffen, das auf Selbstverwaltungsorganisation der Arbeiterklasse
beruhende Arbeitersekretariat in Zürich.
[* 13] Die Kosten desselben trägt zum größten Teil die Bundesregierung, unter
deren Aufsicht es steht. Zur gleichen Zeit entstand das von der englischen Regierung errichtete Labour-Bureau in London.
[* 14]
Mit Eifer und Geschick verfocht Arch, welcher sich ebenso durch Charakterfestigkeit wie durch erfolgreiche Beredsamkeit auszeichnete,
die Anerkennung der politischen Rechte der Landarbeiter. Nachdem er im Interesse persönlicher Orientierung über die Auswanderungsfrage
eine Reise nach Kanada unternommen hatte, wurde das von ihm erstrebte Ziel der politischen Emanzipation der
Landarbeiter in der Session von 1885 erreicht. Arch selbst wurde bei den hierauf stattfindenden allgemeinen Neuwahlen zum Parlamentsmitglied
für Norfolk gewählt.
Vgl Heath, The English peasantry (neue Ausg., Lond. 1883).
2) »Jahrbuch des Kaiserlich DeutschenArchäologischenInstituts«, herausgegeben von Max Fränkel (vierteljährlich eine Lieferung
in Großoktav); für umfangreichere Abhandlungen ist die Beigabe von Supplementen in Aussicht genommen;
3) die »Ephemeris epigraphica« erscheint in bisheriger Weise weiter. In Rom erscheinen:
5) »Mitteilungen des Kaiserlich Deutschen Archäologichen Instituts. Athenische Abteilung« (vierteljährlich ein Heft in deutscher
oder griechischer Sprache). In Athen wurde 1882 von Boston-Cambridge aus eine amerikanische Schule für klassische Studien gegründet.
* (griech. archeion, d. h. sicheres Gebäude, lat.
archium, achivum, chartarium, tabularium) ist eine Sammelstätte auf amtlichem Weg erwachsener und in
amtlichem Interesse aufbewahrter Schriftstücke, welche als Zeugnisse der Vergangenheit zugleich Quellen der Geschichtswissenschaft
sind. Man unterscheidet Staatsarchive, Stadt-, Gemeinde-, Kirchenarchive, Archive von Korporationen und in übertragenem SinnArchive von Privaten (Familienarchive).
Besondere Sorgfalt wandten von jeher die geistlichen Korporationen ihren Archiven zu. Erhalten sind ein
Wegweiser über das der Patriarchen von Aquileja aus dem Jahr 1376 und der Entwurf einer Ordnung des Stadt- und Landesarchivs
zu Udine aus dem 14. Jahrh. Das Bild eines mittelalterlichen Stadtarchivs gewährt noch jetzt das Archiv über der Ratskapelle
in der Marienkirche zu Lübeck.
[* 28] In Köln
[* 29] ist ein Repertorium des Ratsarchivs etwa aus dem Jahr 1415 erhalten.
Nach seinen Hauptbeständen zerfällt jedes Archiv in ein Urkunden- und Aktenarchiv. Für die Ordnung und
Extrahierung (Regestierung) der Urkunden bietet die chronologische Reihenfolge den natürlichen Rahmen, bei größern Archiven
innerhalb der historisch gegebenen Abteilungen, Fürstentümer, Stifter, Städte etc. Neben den Originalen sind die namentlich
in den Kopialbüchern überlieferten Urkundenabschriften zu verzeichnen. Orts- und Personennamen werden in Registern zusammengestellt.
Die Ordnung der Akten wird in jedem Archiv eine andre sein. In Staatsarchiven gliedern sich die Akten naturgemäß
nach den Zentral- und Provinzialbehörden, bei welchen sie erwachsen sind. Auch bei Stadtarchiven und bei kleinern Archiven
empfiehlt es sich, die Spuren früherer Ordnung zu verfolgen und, wenn möglich, die alten Bestände wiederherzustellen. Dagegen
wäre es verkehrt, nach Art von Bibliothekskatalogen das sachlich Verwandte aus verschiedenen Registraturen
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zusammenzubringen oder etwa alte Bestände zu zerreißen, um die Materialien zur Geschichte einzelner Orte oder Familien äußerlich
zu vereinigen. Spezialrepertorien und Sachregister erleichtern die Nutzbarmachung der Archivalien nach verschiedenen Richtungen
hin. Dienen die Staatsarchive in erster Linie zur Unterstützung der Landesregierung bei Aufhellung früherer und historischer
Begründung gegenwärtiger Verhältnisse, so sind sie mit dem Wachsen des historischen Sinnes immer mehr
zu Pflegestätten historischer Wissenschaft geworden, zumal in den meisten Staaten eine liberale Auffassung in betreff der
Benutzung zur Geltung gelangt, in einigen auch die Versendung von Archivalien an Bibliotheken und Behörden gestattet ist.
Nach mehrfachen Anläufen behauptet sich als Fachorgan v. Löhers »Archivalische Zeitschrift«, neuerdings
ihr zur Seite die unten angegebene Zeitschrift der badischen historischen Kommission. Mit der Veröffentlichung von Repertorien
gehen die Archive von Köln und Frankfurt
[* 63] a. M. voran. Auf Veranlassung und mit Unterstützung der preußischen Archivverwaltung
sind in den seit 1878 im Verlag von Hirzel in Leipzig
[* 64] erscheinenden »Publikationen aus den königlich preußischen
Staatsarchiven« (bis jetzt 40 Bde.) zahlreiche Quellen zur deutschen, preußischen und Provinzialgeschichte aus den verschiedensten
Zeiten der Forschung zugänglich gemacht worden. Durch geregelte Kontrolle der Aktenkassation bei den Staatsbehörden, durch
Erwerbung von Archivalien aus Privatbesitz, durch eine gewisse Aufsicht über die Kommunalarchive sorgen manche Staaten
für einen Zuwachs ihrer Archive und für die Erhaltung der schriftlichen Denkmäler. Oft haben Städte es vorgezogen, ihr Archiv unter
Vorbehalt des Eigentums an das nächste Staatsarchiv abzugeben.
Es können sich mehrere solche kahle Stellen bilden und ineinander übergehen. Ein Wiederersatz der Haare findet fast stets,
wenn auch oft erst nach Jahren statt. Man hat vergeblich nach einem Parasiten gesucht, welcher die Krankheit
erzeugen sollte, und hält diese jetzt für eine Störung, welche von den trophischen (die Ernährung der Gewebe
[* 73] vermittelnden)
Nerven
[* 74] oder von den Blutgefäßen ausgeht.
* (spr. arähn),Paul, franz. Schriftsteller, geb. zu Sisteron, war der Mitarbeiter
Alphonse Daudets bei den »Lettres de mon moulin« (1868) und bei dem Text zu der komischen Oper »Le Char«, die 1878 von Emile Pessard
in Musik gesetzt wurde. Im Gegensatz zu seinem Landsmann blieb in Paris der Bohême und der heimischen Provence treu, der er in
dem Novellenband »Au bon soleil« (1879) ein Denkmal setzte und übrigens noch als »félibre«
und »cigalier« angehört.
Bei einer Lebensweise, die keine Regel und keine Fesseln duldet, arbeitet Arène nicht mehr, als er gerade muß, und dann scheinen
seine Gedanken nur vorübergehend im ernsten Norden
[* 75] zu weilen. Seine originellen Erzählungen, Novellen, Sittenstudien pflegen
im »Gil Blas« zu erscheinen, zu dessen ständigen Mitarbeitern er gehört. Farbenprächtig wie seine Erinnerungen an die Provence
sind auch seine Reiseschilderungen »Vingt jour en Tunisie« (1884),
und nur die ausgelassene Fabulierungskunst eines Südfranzosen konnte »Le canot
des six capitanes« erfinden. Man hat von Arène noch einen Band
[* 76] tief poetischer »Contes de Noëll«, »La vraie
tetation de saint Antoine« (1879),
»Contes de Paris et de Provence« (1887) und einen Beitrag zu der Meerstudie
von René Maizeroy: »La grand bleue« (1888),
zu der auch Bourget, Guy deMaupassant u. a. ihre Eindrücke lieferten. - Mit Paul Arène nicht zu verwechseln
ist der corsische Abgeordnete Emmanuel Arène, geb. 1856 zu Ajaccio, eine der gewandtesten Federn der opportunistischen Presse,
[* 77] Mitarbeiter der »Republique française«, des »Paris«, des »Matin«, Verfasser des »Dernier
de bandit« (1887), zu welchem der auf Corsica
[* 78] den Räuberhauptmann spielende Advokat Leandri, heute ein ParteigängerBoulangers,
ihm im Verlauf einer PolemikAnlaß gab.
[* 82] Republik. Die Bevölkerung kann man mindestens zu 3 ½ Mill. Seelen annehmen, und sie vermehrt sich rasch
infolge lebhafter Einwanderung, namentlich aus Italien. 1887 kamen 142,783 Einw. an, 1888:189,993 und während der ersten vier
Monate des Jahrs 1889: 96,300. Die 3227 Volksschulen wurden 1888 von 254,608 Kindern besucht. Von der gesamten
Oberfläche waren 1888: 2,359,000 Hektar bebaut, 832,000 mit Mais, 379,000 mit Alsula oder Luzerne und 121,500 mit Zucker.
[* 83]
Den Viehstand schätzte man auf 22.869,000 Rinder,
[* 84] 4,398,000 Pferde
[* 85] und 70,453,000 Schafe
[* 86] im Gesamtwert von 369,561,000 Pesos.
Ein Zollgesetz von 1889 beseitigte alle Ausfuhrzölle und setzte ad valoremZölle, gewöhnlich zu 25 Proz.,
auf alle Einfuhrartikel fest. Nur Werke der Kunst, Bücher, Schiffe,
[* 87] Steinkohlen, Pflüge,
[* 88] Telegraphendraht, Fische,
[* 89] Südfrüchte,
Tiere und Eisenbahnmaterial werden frei zugelassen. Die Einfuhr belief sich 1887 auf 117,347,000, 1888 auf 127,607,860
Pesos, die Ausfuhr bez. auf 84,419,000 und 99,556,377 Pesos, einschließlich von Edelmetallen.
Maqui L'Hér.*, einStrauch aus der Familie der Tiliaceen, bis 6 m hoch, mit gegenständigen, gestielten,
gesägt-eiförmigen Blättern, kleinen, gelblichweißen Blüten in armblütigen, achselständigen Träubchen und kleinen,
schwarzpurpurnen Beeren, wächst häufig in Chile vom 31.-48.° südl. Br., an feuchten Waldrändern, Ufern
etc. Man benutzt das Holz
[* 97] zu musikalischen Instrumenten, Flechtzäunen etc., die Rinde gibt Bast,
[* 98] die gerbsäurereichen Blätter
dienen als Hausmittel bei Geschwüren etc., die zuckerreichen Beeren schmecken angenehm süßsäuerlich und werden als Obst gegessen,
auch wie bei uns die trocknen Heidelbeeren gegen Durchfälle benutzt. Sie enthalten einen in kaltem Wasser
sehr leicht, in Alkohol weniger löslichen Farbstoff, dazu etwas Aroma und Gerbstoff, und liefern daher einen vortrefflichen
Wein (Tecu), den die Indianer sehr hoch schätzen. Ein Zusatz von Maqui zu Traubensaft liefert einen sehr guten Rotwein. In
Frankreich benutzt man getrocknete Maquibeeren zum Färben des Weins und zur Weinfabrikation und führte 1886 bereits
136,026 kg in Bordeaux
[* 99] ein.
*, zwei Distrikte in der britisch-ind. PräsidentschaftMadras,
[* 100] zwischen Maissur und der Bai vonBengalen. Nordarkot,
von den östlichen Ghats, dem Palarfluß und der EisenbahnMadras-Kalikat durchzogen, hat 18,792 qkm (341 QM.) mit (1881)
1,817,814 Einw. (1871: 2,015,278), darunter 82,438 Mohammedaner und 10,018
Christen. Hauptstadt ist Tschittar. Südarkot, südlich vom vorigen und im O. von der Bai vonBengalen begrenzt, ist 12,621
qkm (292 QM.) groß mit (1881) 1,814,738 Einw.,
darunter 48,289 Mohammedaner und 39,571 Christen. Hauptprodukt ist Reis, doch werden beide Distrikte häufig von Hungersnot
heimgesucht. Hauptstadt ist Kuddalor.
Im J. 1881 wurde im DeutschenReich eine statistische Erhebung über das Armenwesen veranstaltet.
Da jedoch die Ergebnisse derselben als für praktische und wissenschaftliche Zwecke nicht genügend zuverlässig erschienen,
so wurde 1885 eine neue Erhebung über die Wirksamkeit der öffentlichen Armenpflege im DeutschenReich angestellt. Die Ergebnisse
derselben wurden vom kaiserlichen StatistischenAmt in den vom Bundesrat vorgeschriebenen Übersichten veröffentlicht
(Bd. 29 der »Statistik des DeutschenReichs«). Die Nachweisungen betreffen die Zahl und Bevölkerung der Armenverbände, die von
denselben unterstützten Personen und zwar der Selbst- und der Mitunterstützten, die Unterstützungsform der geschlossenen
(Anstalts-)und der offenen (Wohnungs-) Pflege, die Ursachen der Unterstützungsbedürftigkeit, die Ausgaben
zu Zwecken der öffentlichen Armenpflege, das
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