die Abfassung von Gesetzbüchern für alle diejenigen zum fränkischen
Reiche gehörenden
Stämme befahl, welche noch keine
geschriebenen
Rechte besaßen, verdanken wohl ihre Entstehung die
Lex Frisionum (s.
Friesisches Recht), obwohl diese mehr den
Charakter einer Privatkompilation trägt und daher wohl als eine bloße Vorarbeit anzusehen ist, ferner die sogen.
Ewa Chamavorum
(Ausgabe von Sohm in den
»Monumenta Germaniae«,
Leges V),
Außerhalb dieses historischen Zusammenhangs steht die älteste Aufzeichnung des langobardischen
Rechts, das 643 von König
Rotheri erlassene Edictum Langobardorum (s.
Langobardisches Recht); doch zeigt dieses manche aus den frühern
Sitzen der
Langobarden an der Niederelbe erklärliche Übereinstimmung mit der
Lex Saxonum und mit den
Rechten der
Angelsachsen,
daneben auch eine gewisse noch nicht aufgeklärte
Verwandtschaft mit den skandinavischen
Rechten.
Wie die Geltung des westgotischen
Gesetzbuchs das Bestehen des westgotischen
Reichs überdauerte und die
Lex Burgundionum auch
durch die Einverleibung
Burgunds in die fränkische
Monarchie nicht aufgehoben wurde, so blieben die im fränkischen
Reich für
die einzelnenStämme entstandenen
Rechte auch nach
Auflösung des fränkischen Reichsverbandes als persönliche
Rechte dieser Volksgenossen fortbestehen. Erst das sich mehr und mehr entwickelnde
Lehnswesen und die sich ändernden ständischen
Verhältnisse wirkten der Geltung der Volksrechte entgegen. An
Stelle des Personalitätsprinzips (s.
oben) entwickelte sich
mehr und mehr das Territorialitätsprinzip. Vom Ende des 9. bis zum 15. Jahrh.
treten an
Stelle der Volksrechte die Land- und
Lehnrechte.
Im
Gegensatz zu diesen Volksrechten der südgermanischen
Völker zeigten die der Nordgermanen eine durch keine Einflüsse fremder
Kultur bestimmte
Entwickelung.
Ihre schriftliche Aufzeichnung ist in verhältnismäßig später Zeit erfolgt: für
Norwegen
[* 7] führt
die
Überlieferung auf das 9. Jahrh. als Anfangspunkt der Zeit geschriebener
Rechtsquellen, für
Island
[* 8] auf das 10., für
Schweden und
Dänemark
[* 9] erst auf das 13. Jahrh. Aber wegen der nationalen Unabhängigkeit
der nordischen Rechtsquellen bilden die aus ihnen zu ziehenden Rückschlüsse eins der wichtigsten wissenschaftlichen Hilfsmittel
zur Erforschung der ältesten deutschen
Rechtsgeschichte.
im allgemeinen solche
Bücher, welche die Belehrung und Unterhaltung der bildungsbedürftigen niedern
Volksschichten zum
Zweck haben. Die Anfänge dieser Litteratur finden sich bereits
im 15. und 16. Jahrh.
in den
Volksbüchern (s. d.), in
Flugschriften und fliegenden Blättern.
Ihre eigentliche
Blüte
[* 10] begann gegen Ende des 18. Jahrh.,
als gleichzeitig mit dem pädagogischen Philanthropismus das
Bewußtsein zur Herrschaft gelangte, daß
die geistige
Bildung und sittliche
Hebung
[* 11] der niedern
Klassen über die
Schule hinaus nicht bloß
Sache der
Kirche, sondern eine
der wichtigsten
Pflichten der gebildeten
Gesellschaft überhaupt sei.
Dieser
Pflicht suchte man teils unmittelbar durch Belehrung über die Ergebnisse der
Wissenschaft (Popularisierung
der
Wissenschaft), teils mittelbar durch anregende Unterhaltung zu genügen. Die
Schriften der erstern
Richtung, obgleich unter
den
Begriff der Volksschriften fallend, entziehen sich der zusammenfassenden Beurteilung, indem sie sich mehr an die
einzelnen
Wissenschaften anlehnen, deren Ausbreitung sie anstreben. Am fleißigsten und glücklichsten ist und wird in dieser
Art das Gebiet der
Naturwissenschaften angebaut
(Roßmäßler,
Bernstein,
[* 12]
Grube,
Brehm u. a.). Im engern
Sinn versteht man unter
Volksschriften solche
Bücher, welche den breitern
Schriften des
Volkes gesunde geistige
Nahrung in der Form erheiternder, aufklärender
und sittlich hebender Unterhaltung bieten, mögen diese nun als einzelne
Erzählungen u. dgl. oder alsZeitschriften
und Sammelwerke auftreten.
Als Urbild derartiger Volksschriften ist im Gebiet der deutschen
SprachePestalozzis »Lienhard und
Gertrud« (1781) zu betrachten. Unter
den Zeitgenossen und ersten Nachfolgern
Pestalozzis ragen
Salzmann und R. Z.
Becker
(»Not- und Hilfsbüchlein«) hervor. Als andre
Meister der volkstümlichen Unterhaltung sind vor allen J. P.
Hebel
[* 13] (»Schatzkästlein«),
Stadt- oder Landschule, welche, soweit dies auf der Stufe der bildungsfähigen Kindheit (vom vollendeten 6. bis
zum vollendeten 14. Jahr) geschehen kann, diejenigen Kenntnisse und Fertigkeiten lehrt und zu derjenigen Bildung erziehend
mitwirkt, deren ein jeder Mensch auch in den niedern Lebensständen als Glied
[* 24] eines gebildeten Volkes bedarf. Schon
in dieser Begriffsbestimmung liegt angedeutet, daß die Volksschule weder in den aristokratischen Staaten des Altertums, wo die bürgerlichen
Rechte nur einer bevorzugten Minderheit gewährt, der Mehrheit der Unfreien aber versagt waren, noch auch im Feudalstaat
des Mittelalters gedeihen, sondern ihren wahren Lebensboden nur in dem neuern Staate, der rechtlich verfaßten
Volksgemeinde, finden konnte.
Demgemäß gehören die Anfänge der Volksschule den Jahrhunderten des Überganges (16. und besonders 17.) vom Mittelalter zur Neuzeit
an, und erst in unsrer Zeit begannen selbst die gebildeten Staaten nach dem Vorgang Deutschlands
[* 25] das Volksschulwesen durchgreifend
gesetzlich zuordnen. Vor der Reformationszeit war der Gedanke an eine allgemeine Volksschule nur von wenigen erleuchteten
Geistern geahnt worden; so dachte Karl d. Gr. an einen allgemeinen Volksunterricht durch die Priester, und ähnliche Pläne
faßten hier und da wohldenkende höhere und niedere Geistliche oder städtische Obrigkeiten des Mittelalters, ohne aber ein
rechtes Entgegenkommen für diese Ideen zu finden.
Schon während der letzten Kriegsjahre gab Herzog Ernst der Fromme von Gotha
[* 27] (s. Ernst 13) das noch heute beachtenswerte Vorbild
einer trefflichen Schuleinrichtung, dem nach und nach die übrigen deutschen Fürsten, besonders im protestantischen Norden,
[* 28] folgten. Zu dieser Zeit wurden in verschiedenen deutschen Ländern die ersten staatlichen Verordnungen über die
allgemeine Schulpflicht erlassen. Seit Beginn des 18. Jahrh. übernahm Preußen
[* 29] auch auf diesem Gebiet die Führung, wozu namentlich
der Einfluß des Spener-FranckeschenPietismus mitwirkte.
FriedrichWilhelm I. erließ 1736 Principia regulativa für das Landschulwesen, die den Grundsatz der allgemeinen Schulpflicht
gesetzlich feststellten, Friedrich H. 1763 das Generallandschulreglement. Beide Fürsten begünstigten
auch die freilich noch sehr dürftigen Anfänge des Seminarwesens, welches seitdem sich parallel mit der Volksschule fortentwickelt
hat. Von ihrem Beispiel oder auch vom Geiste der Zeit angeregt, der Aufklärung des Verstandes über alles galt, folgten nach
und nach die übrigen deutschen Fürsten, namentlich in Österreich,
[* 30] Bayern,
[* 31] Baden
[* 32] und in Württemberg,
[* 33] wo
die Volksschule schon früher verhältnismäßig hoch entwickelt war. In betreff der anregenden Einflüsse, welche
auch das Volksschulwesen von der philanthropischen Bewegung seit 1770 erfuhr, darf auf den Artikel »Pädagogik« erwiesen werden.
Vor allen andern ist in dieser
Beziehung der Domherr v. Rochow (s. d. 1) mit Ehren zu nennen.
Noch mächtiger war die gegen Ende des Jahrhunderts von Pestalozzi (s. d.) ausgehende Anregung, welche seit den Unglückstagen
von Jena
[* 34] und Tilsit
[* 35] zu einer wirksamen Umgestaltung der in Preußen und demnächst im übrigen Deutschland
[* 36] führte, die leider
durch die Verwickelungen der folgenden Jahrzehnte ins Stocken geriet. Unter den preußischen Pestalozzianern
war längere Zeit Harnisch (s. d.) der einflußreichste, gab aber die Leitung in dem Maß an den liberalen Pestalozzianer Diesterweg
(s. d. 2) ab, wie er sich der kirchlichen Reaktion zuneigte.
Das Jahr 1848 erweckte große Hoffnungen für die in den Verdacht des Liberalismus gekommene und daher seit länger zurückgesetzte
Volksschule; um so empfindlicher war der Rückschlag der Reaktion, unter deren Einfluß der Minister v. Raumer im
Oktober 1854 die sogen. drei Regulative, für Seminar-, Präparanden- und Volksschulwesen, verfaßt vom Geheimrat Stiehl, erließ.
Diese offenbar einseitigen, aber von sachkundiger Hand
[* 37] zeugenden Vorschriften waren in den folgenden Jahren Gegenstand heftiger
Kritik, werden aber jetzt, nachdem sie durch die allgemein als vortrefflich anerkannten Bestimmungen
des MinistersFalk (Oktober 1872, entworfen vom Geheimrat Schneider) abgelöst sind, ruhiger und sachlicher beurteilt.
Seit 1872 ist sehr viel für die äußere und innere Hebung der in Preußen geschehen, aber auch die Größe des Bedürfnisses
erst recht zu Tage getreten, dem nach verschiedenen Richtungen hin noch lange nicht genügt ist. Das im
Artikel 26 der Verfassung von 1850 verheißene und lang ersehnte Unterrichtsgesetz, für welches schon 1817 von Süvern und
später unter den Ministern v. Ladenberg (1848-50) und v. Mühler (1862-72) Vorlagen ausgearbeitet waren, ist unter dem MinisterFalk (1872-79) abermals im Entwurf fertig gestellt, aber, wie man annimmt, wegen finanzieller und politischer Bedenken von der
Staatsregierung dem Landtag nicht vorgelegt worden.
Statt dessen hat man durch eine Reihe von Einzelgesetzen, unter denen als wichtigstes das Schulaufsichtsgesetz vom voransteht,
klarere Stellung der Volksschule zu den Behörden des Staats und der Kirche wie bessere Ausstattung der Volksschule selbst
und ihrer Lehrer angestrebt: nicht ohne anerkennenswerten Erfolg, aber doch auch nicht mit der durchgreifenden Wirkung, daß
dadurch das Bedürfnis eines Volksschulgesetzes als erledigt angesehen werden könnte. Die meisten kleinern deutschen Staaten,
deren einfachere Verhältnisse das Vorgehen erleichterten, sind in neuester Zeit in dieser Hinsicht über
Preußen hinausgeschritten, so: Oldenburg
[* 38] (1855), Sachsen-Gotha (1863), Baden (1868-1874), Hamburg (1870),Württemberg (1835-73),
KönigreichSachsen
[* 39] (1873),Hessen,
[* 40] Sachsen-Weimar und Koburg
[* 41] (1874),Meiningen
[* 42] (1875). Die meisten dieser Gesetze dehnen die Schulpflicht
auch auf den Besuch der Fortbildungsschulen bis zum 16. oder 17. Lebensjahr aus, die in Bayern und Württemberg
schon früher mit teilweisem Besuchszwang bestanden.
In Österreich-Ungarn,
[* 43] wo die Verhältnisse in den verschiedenen Kronländern sehr voneinander abweichen, ist nach Aufhebung
des Konkordats von 1855 im J. 1867 das Volksschulwesen gesetzlich neu geregelt und seitdem Gegenstand sorgfältiger Pflege,
aber auch erbitterter Parteikämpfe gewesen. Die grundlegenden Gesetze sind in Ungarn
[* 44] das von 1868, in
Österreich das Reichsgesetz vom mit der Novelle vom NeueGesetze über das Volksschulwesen sind überhaupt
fast von allen
¶
In allen StaatenEuropas ist gesetzlich anerkannt, daß die Volksschule, zunächst Anstalt der bürgerlichen Gemeinde oder besonderer
Schulverbände, der Aufsicht und Leitung des Staats untersteht, welcher auch durch seine Seminare für die Heranbildung der
Lehrer sorgt und den unbemittelten Schulverbänden durch Zuschüsse aus Staatsmitteln zu Hilfe kommt. Die konfessionelle Erziehung
unter leitender Mitwirkung der betreffenden Kirchen ist dabei in Deutschland, Österreich-Ungarn und Skandinavien vom Staat verbürgt,
auch wo in sogen. paritätischen Schulen, welche indes bisher eine verschwindende Minderheit bilden, die Kinder verschiedener
Bekenntnisse als gleichberechtigt vereinigt sind. In andern Staaten, wie Großbritannien, Frankreich, Niederlande etc., wird
dagegen die religiöse Bildung grundsätzlich der Familie und der Kirche überlassen.
Die Gemeinden üben ihre Rechte in Schulangelegenheiten durch ein gewähltes Kollegium (Schulvorstand, Schuldeputation etc.)
aus; der Staat führt seine Aufsicht durch Orts- und Kreisschulinspektoren und in höherer Instanz durch besondere Aufsichtsbehörden,
in welchen neben den rechtskundigen auch schulkundige Räte Sitz und Stimme haben (Schulabteilung der Provinzialregierungen,
Oberschulkollegium, selten noch die staatskirchlichen Konsistorien).
Doch gibt es in allen diesen Ländern neben der öffentlichen, staatlichen Volksschule noch ein mehr oder weniger umfangreiches privates,
namentlich kirchliches Volksschulwesen. Ein vergleichendes Urteil über die Leistungen der Volksschule bei den
verschiedenen Völkern ist im Augenblick schwer, wenn nicht unmöglich zu fällen. Noch bis 1870 und vielleicht bis 1880 konnte
man unbedenklich sagen, daß Deutschland mit dem germanischen Norden, der protestantischen Schweiz,
[* 52] den Niederlanden in dieser
Hinsicht den ersten Rang behauptete.
Auch ist anzunehmen, daß der Vorsprung von Menschenaltern, den Deutschland auf diesem Gebiet vor den
übrigen Nachbarn voraus hatte, von diesen nicht sprungweise eingeholt werden kann. Es stehen ferner sowohl im romanischen
Süden und Südwesten Europas als im slawischen Osten dem Wirken der Volksschule noch so überwiegende Hindernisse entgegen, daß in
diesen Ländern ein rascher und durchgreifender Fortschritt der Volksbildung nicht zu erwarten ist. Dagegen
wird in England und Schottland wie in
Frankreich mit solchem Nachdruck und mit so reichem Aufwand von Mitteln an der Hebung der
Volksschule gearbeitet, daß dort schon innerhalb der lebenden Generation eine wesentliche Verschiebung des allgemeinen Bildungsstandes
nicht ausbleiben kann.
Auch für die Mädchen
sucht man immer allgemeiner das Turnen einzuführen; doch beschränkt das Mädchenturnen bisher sich fast
ganz auf städtische Schulen, in denen es nicht einmal allgemein durchgeführt ist. Handarbeit auch für Knaben ist in Finnland,
Frankreich und Ungarn allgemein, in Österreich, Schweden, Italien und England vielfach eingeführt. Auch in Deutschland wird dafür
eifrig gestrebt; aber die Schulverwaltungen haben bisher diesen Unterrichtszweig als solchen abgelehnt
und die Förderung dieses unter Umständen gewiß sehr heilsamen Bildungsmittels den dafür zusammengetretenen Vereinen überlassen,
die jedoch in mehreren Staaten (KönigreichSachsen, neuerdings auch Preußen) Zuschüsse aus öffentlichen Mitteln beziehen.
Die Trennung der Geschlechter in der Volksschule ist in den Ländern romanischer Zunge meist streng durchgeführt.
In Deutschland, Skandinavien, England ist der gemeinsame Unterricht der Knaben und Mädchen auf dem Land überwiegend. Man verfährt
nach dem Grundsatz (Preußen, allgemeine Verfügung vom »Für mehrklassige Schulen ist rücksichtlich der obern
Klassen Trennung der Geschlechter wünschenswert. Wo nur zwei Lehrer angestellt sind, ist eine Einrichtung
mit zwei oder drei aufsteigenden Klassen derjenigen zweier, nach den Geschlechtern getrennter Klassen vorzuziehen.« Die städtische,
mehrklassige Volksschule geht vielfach über in die Form der Mittelschule (preußische Bezeichnung), Bürgerschule (Österreich) oder
Sekundärschule (Schweiz), École moyenne (Belgien) oder École primaire supérieure (Frankreich), in der
meist neben der Muttersprache noch eine fremde Sprache gelehrt und in der Mathematik, dem Realunterricht (Chemie neben Physik,
erweitertes Geschichtspensum) und dem Zeichnen über das Ziel der einfachen Volksschule hinausgegangen wird.
Vgl. Schneider und v. Bremen,
Das Volksschulwesen des preußischen Staats (Berl. 1886-87, 3 Bde.);
Keller, Geschichte des preußischen Volksschulwesens (das. 1873);
Heppe, Geschichte des deutschen Volksschulwesens
(Gotha 1858-60, 5 Bde.);
ein Nebentheater in großen Städten, das mehr für die Sphäre der niedern Stände
berechnet ist und deren Begriffen angemessene Stücke gibt. Seit der 1869 eingetretenen Gewerbefreiheit haben die Volkstheater eine schrankenlose
Erweiterung erfahren; sie haben zum Teil selbst das klassische Repertoire mit Glück in ihren Bereich gezogen, im allgemeinen
aber sich auf eine Spezialität: Operette oder Posse, geworfen. Infolge einseitiger Bevorzugung der letztern
Gattung trat schnell ein allgemeiner Verfall der Volkstheater ein, und es machten sich dem gegenüber Bestrebungen geltend, welche das
Volkstheater zu einer wirklichen Bildungsstätte für die unbemittelten Klassen des Volkes machen und das Volkstheater der geschäftlichen Ausbeutung
von Theaterunternehmern entziehen wollen.
und zwar meistens nur mit beratender Stimme, von der Regierung zugezogen
wurden (landständisches System), während die Volksvertretung im Sinn und nach den Bestimmungen der neuern Verfassungsurkunden eine Vertretung
des Volkes in seiner Gesamtheit bezweckt, so daß die Abgeordneten keineswegs
nur als Vertreter ihres Standes oder ihres Wahlkreises
erscheinen, auch an Instruktionen seitens ihrer Wähler nicht gebunden sind (parlamentarisches, konstitutionelles
System).
Kongreß, eine 1858 zum erstenmal in Gotha zusammengetretene Wanderversammlung, welche sich die
Agitation im Sinn der wirtschaftlichen Freiheit zur Aufgabe gestellt hat. In den ersten Jahren seines Bestehens wirkte er hauptsächlich
für Gewerbefreiheit und Freizügigkeit sowie für Förderung des Genossenschaftswesens. Seit den Ereignissen
von 1866 wandte er seine Aufmerksamkeit vorzugsweise der Gestaltung des Bank- und Münzwesens zu. Seine Beschlüsse von 1871 waren
ausschlaggebend für die Goldwährung, diejenigen von 1874 für die Beschränkung der Banknoten.
Der 1872 in Eisenach
[* 60] gegründete Verein für Sozialpolitik trat ihm anfangs gegnerisch entgegen, doch wurde 1875 zwischen beiden
Vereinen eine 1880 wieder rückgängig gemachte Verabredung getroffen, nach welcher in jedem Jahr nur
einer der beiden Vereine abwechselnd tagen und die Mitglieder des andern an demselben teilnehmen sollten. Die Mitgliedschaft
am volkswirtschaftlichen Kongreß steht gegen ein mäßiges Eintrittsgeld jedermann offen. Vorsitzender ist fast seit Beginn
KarlBraun (s. d. 8). Die Berichte über die Verhandlungen erschienen seit 1861 regelmäßig im Druck.
(Nationalökonomie, Nationalökonomik, nach der griechischen Benennung
¶
mehr
οἰκονομικὴ τέχνη auch politische Ökonomie genannt), eine Wissenschaft, welche sich mit der Darstellung der
vielfachen, durch Vergesellschaftung, Tausch und Arbeitsteilung hervorgerufenen Verkettung der Verkehrsinteressen, des wechselseitigen
Zusammenhanges und der Abhängigkeit der verschiedenen Wirtschaften voneinander sowie der auf Grund derselben zu beobachtenden
Gesetzmäßigkeiten und Regelmäßigkeiten befaßt, um auf Grund derselben einen Anhalt
[* 62] für Gestaltung
der praktischen Wirtschaft, insbesondere aber der öffentlichen Wirtschaft, bieten zu können.
Eine Wirtschaftslehre hätte eigentlich die gesamte schaffende Thätigkeit der Menschen, Erzeugung und Verwendung von Gütern,
in den Kreis
[* 63] ihrer Betrachtung zu ziehen. Sie würde sich von den Naturwissenschaften dadurch unterscheiden, daß für sie
immer die Zweckmäßigkeit der Herstellung der unmittelbar leitende Gesichtspunkt ist. In Wirklichkeit
wird aber unter dem Titel Volkswirtschaftslehre keine Lehre
[* 64] von der Erzeugung und Verwendung von Gütern gegeben. Allerdings hatten die alten Kameralwissenschaften
die Stadtwirtschaft, d. h. das Gewerbewesen, wie auch den Landbau und Bergbau
[* 65] in den Kreis ihrer Erörterungen gezogen.
Sie gaben Anleitung, wie zu säen, zu pflügen, Flachs zu bereiten und zu spinnen, Branntwein zu brennen,
Essig zu bereiten sei u. dgl., und umfaßten
demnach die gesamte Technologie und die Technik der ganzen Urproduktion. Bald aber mußte sich der encyklopädische Charakter
einer solchen Behandlung als durchaus ungenügend erweisen. Schon aus diesem Grund mußte die Technik, welche
die wirklichen Herstellungsprozesse zum Gegenstand hat, aus dem Kreis der Kameralwissenschaften entfallen, und es verblieb
sonach für die Volkswirtschaftslehre das oben genannte Gebiet. Dies gab Veranlassung dazu, zwischen Privatwirtschaft auf der einen, Volks- und
Staatswirtschaft auf der andern Seite in der Art zu unterscheiden, als ob die Privatwirtschaftskehren
im wesentlichen gleichbedeutend mit Gewerbslehren seien, während Staats- und Volkswirtschaftslehre nur die Beziehungen der Wirtschaften zu einander
betrachteten. Dagegen definierte Hermann (s. d. 3) die Ökonomik als quantitative, die Technik als qualitative Kontrolle und
Zuratehaltung bei der Herstellung und Verwendung von Gütern. In Wirklichkeit aber lassen sich die BegriffeQuantität und Qualität nicht voneinander scheiden, insbesondere haben die Qualitäten (Art der Arbeit, Beschaffenheit der Stoffe
und Arbeitsinstrumente etc.) für alle Wirtschaftserfolge die größte Bedeutung.
Für den Zweck der litterarischen Darstellung, insbesondere aber im Interesse einer guten Verteilung des Stoffes auf dem Lehrstuhl
mit Rücksicht auf die Semestereinteilung, war es in Deutschland üblich geworden, die Volkswirtschaftslehre im weitern Sinn
in drei Teile zu scheiden und zwar in: 1) die theoretische oder reine Volkswirtschaftslehre (Grundlagen oder
Grundsätze der Volkswirtschaftslehre). Die Thatsache, daß bei der beobachteten Arbeitsteilung auf Grund kapitalistischer Wirtschaftsprüfung die
Güter nicht von den gleichen Personen verzehrt werden, welche sie erzeugt haben, daß dieselben vielmehr
von Hand zu Hand gehen und hierbei auf Grund der gegebenen Besitzesverhältnisse und der Preisbildung verschiedene Anteile von der
Gesamtheit aller Güter auf die einzelnen Glieder
[* 66] der Gesellschaft entfallen, führte dazu, den Stoff in drei bis vier Abteilungen
zu trennen.
In der zweiten Abteilung wurden Tausch, Kredit und Tauschmittel besprochen und dargelegt, welchen Gesetzmäßigkeiten die Bildung
von Lohn, Zins, Gewinn und Rente unterworfen sei. Die dritte Abteilung fiel meist etwas kurz aus, einmal aus dem Grund, weil Erzeugung
und Verbrauch der Güter sich gegenseitig so bedingen, daß in den vorausgegangenen Lehren
[* 67] schon manches vorausgenommen worden
war, was auch unter dem Begriff der Konsumtion hätte vorgetragen werden können, dann weil der Güterverbrauch selbst sich
zum großen Teil der Öffentlichkeit entzieht und, wenn auf die Technik nicht eingegangen werden soll,
nur wenig Gelegenheit zu Erörterungen allgemeiner Art über Sparsamkeit, Verschwendung u. dgl. bietet.
2) Die praktische Volkswirtschaftslehre (Volkswirtschaftspflege, Volkswirtschaftspolitik, ökonomische Politik). Derselben wurde die Erörterung
der Maßnahmen und Anstalten zugewiesen, welche den Gemeinwirtschaften, insbesondere aber der öffentlichen Gewalt, im Interesse
der Pflege und Förderung aller wirtschaftlichen Bestrebungen der Staatsangehörigen obliegen. Da hierbei
vorzüglich der Staat in Betracht kommt, so gebrauchte man wohl auch die Bezeichnung Staatswirtschaftslehre, welche aber auch
noch für den dritten Teil der politischen Ökonomie, 3) die Finanzwissenschaft (s. d.), in Anspruch genommen wurde.
Gegen die Dreiteilung blieb freilich einzuwenden, daß Rechtsordnung, Gesetzgebung und Verwaltung von größtem Einfluß auf
die Gestaltung des gesamten wirtschaftlichen Verkehrs und auf die volkswirtschaftliche Verteilung sind, und daß demgemäß
die genannte Einteilung zu einer unsachgemäßen Zerreißung zusammengehöriger Stoffe führt. In der Wirklichkeit ist infolgedessen
auch nie die genannte Scheidung in Lehrbüchern oder auf dem Katheder in aller Strenge durchgeführt worden.
In demVortrag über die theoretische Nationalökonomie wird jeweilig von einer bestimmten gegebenen Gestaltung
der gesellschaftlichen Verfassung, der Staats- und Rechtsordnung ausgegangen und von diesem Gesichtspunkt aus nicht allein die
Gestaltung der wirtschaftlichen Begriffe und Erscheinungen betrachtet, wie sie sich thatsächlich ausgebildet haben, sondern
auch Ansichten über Zweckmäßigkeit vorhandener Einrichtungen und Zustände und über Möglichkeit und
Notwendigkeit von Änderungen geäußert.
Dabei werden Gegenstände, welche bei abstrakter Scheidung der Volkswirtschaftspflege zugewiesen werden müßten, bereits
in der theoretischen Nationalökonomie abgehandelt. Die praktische Nationalökonomie ist infolgedessen nichts andres als eine
spezialisierte Behandlung einzelner Wirtschaftsarten, Wirtschaftszweige und wirtschaftlicher Anstalten geworden, wie der
Forst- undLandwirtschaft, des Handels, Bankwesens u. dgl.
Oft wird zur nähern Bezeichnung das WortPolitik in Verbindung mit dem Namen des betreffenden Gebiets oder Gegenstandes gewählt;
so spricht man von einer Bank-, Handels-, Münz-, Agrar-, Arbeiter-, Lohn- etc. Politik. Vorwiegend denkt man hierbei allerdings
an Aufgaben des Staats, nimmt jedoch oft auch das WortPolitik in einem weitern Sinn, indem alle Bestrebungen
und Maßnahmen besprochen werden, welche von allgemeiner Bedeutung sind.
In Geschichte und Litteratur der Volkswirtschaft und der Volkswirtschaftslehre pflegt man drei Hauptsysteme zu unterscheiden.
Handelssystem, welches dem Staat eine eingehende Regelung von Wirtschaft und Verkehr zuwies und besonders in der deutschen kameralistischen
Litteratur Vertretung findet;
3) Das Adam Smithsche oder Industriesystem (vgl. Smith 1), welches vom physiokratischen System den Grundsatz der Verkehrsfreiheit
übernahm, von diesem sich aber wesentlich durch die Auffassung über Wertbildung, Werterzeugung (Arbeit als Quelle des Wertes,
Arbeitsteilung demgemäß von entscheidender Bedeutung) unterscheidet und infolgedessen auch eine eingehendere Darlegung
der Gesetze der Verteilung, der Bildung von Lohn, Gewinn und Rente zu bieten vermochte.
Die LehrendesAd. Smith fanden bald in der Theorie und dann auch in der Praxis allgemeinere Verbreitung und Anerkennung. So entstand
eine liberalere ökonomische Schule (bürgerliche Nationalökonomie, Bourgeoisökonomie von Sozialisten genannt, auch als Smithianismus,
Manchestertum und Freihandelsschule bezeichnet), welche in der Bekämpfung bestehender staatlicher Bevormundung
und staatlichen Zuvielregierens freilich mit ihren Forderungen über die richtige Grenze hinausging, indem sie von einem vollständigen
freien Gewährenlassen nicht allein die beste Entwickelung, sondern auch eine vollständige Harmonie aller Interessen erwartete
und dem entsprechend freien Verkehr im Innern des Landes wie nach außen verlangte.
Der Staat solle sich darauf beschränken, nur den bestehenden wohlerworbenen Rechten den nötigen Schutz zu verleihen. Diese
liberale Schule, welche in der gedachten radikalen Ausbildung allerdings keineswegs bei allen Volkswirten Vertretung fand,
wurde von Fr. List, welcher dem Freihandelssystem sein System der nationalen Wirtschaft mit Zollschutz (Protektionssystem)
gegenüberstellte, und andern Nationalökonomen politisch-konservativer Richtung, dann insbesondere später von den Sozialisten
entschieden bekämpft.
Die einfache Thatsache, daß bei jeder wirtschaftlichen Umwälzung ganze Klassen der Bevölkerung
[* 70] zu leiden haben, daß dies
Leiden
[* 71] aber durch eine kluge Wirtschaftspolitik gemildert werden kann, daß je nach der gesellschaftlichen Verfassung wirtschaftliche
Fortschritte mit dem Elend eines Teils der Bevölkerung erkauft werden müssen, daß die bestehende Rechtsordnung
keineswegs lediglich ein Ergebnis freier naturgesetzlicher Entwickelung ist, sondern daß dieselbe wesentlich durch das Eingreifen
der öffentlichen Gewalt in ihrer ganzen geschichtlichen Entwickelung mit bedingt wurde, gaben bald bei vielen Nationalökonomen
zu einem Umschwung der Ansichten Veranlassung.
Hierzu trugen insbesondere die praktischen Bestrebungen der Sozialisten bei. Der Freihandelsschule, welche im volkswirtschaftlichen
Kongreß Vertretung gefunden hatte, erwuchs eine Gegnerschaft in dem Verein für Sozialpolitik, dessen Mitglieder eine sogen.
Realpolitik auf Grundlage historischer Forschung zu pflegen befürworteten. Die liberale Schule wurde als abstrakte Schule insofern
bezeichnet, als dieselbe ohne Rücksicht auf praktische Bedürfnisse und Thatsachen auf dem Weg einfacher
Deduktion aus allgemeinen Prinzipien, wie dem Grundsatz der wirtschaftlichen Freiheit, das ganze Gebäude der Volkswirtschaft
errichten und Verhaltungsmaßregeln für die Staatsgewalt ableiten wolle. Es wurde verlangt, daß die Nationalökonomie den
Weg der
induktiven Methode und damit der historischen Forschung beschreite.
Ein schroffer Gegensatz zwischen einer historischen und einer abstrakten Schule in dem Sinn, als ob jene nur induktiv, diese
nur deduktiv verfahre, hat übrigens nie bestanden. Alle volkswirtschaftlichen Sätze können in letzter Linie nur auf die Erfahrung
und Beobachtung zurückgeführt werden. Auf der andern Seite aber ist man, weil die volkswirtschaftlichen
Erscheinungen außerordentlich verwickelt sind, in vielen Fällen zur Deduktion genötigt. Insbesondere ist dies auch dann erforderlich,
wenn es sich nicht lediglich um Erklärung gegebener Erscheinungen, sondern um die Kernfrage aller Wirtschaft handelt, nämlich
um das, was werden soll.
Auf dem Standpunkt eines radikalen »laisser aller« (s. d.)
steht heute kein Theoretiker. Wie dies die Praxis immer gethan, so wird auch jetzt ganz allgemein in der
Theorie anerkannt, daß dem Staat nicht allein die negative Aufgabe zufalle, Schutz zu gewähren und die bestehende Rechtsordnung
aufrecht zu erhalten, sondern daß er auch im Interesse der allgemeinen Wohlfahrt positiv in die Gestaltung der
Wirtschaftsordnung eingreifen müsse. Verschiedener Ansicht ist man nur über Art und Grenze eines solchen Einschreitens, über
die Gebiete, welche der freien Thätigkeit der Privaten zu überlassen und auf welchen Beschränkungen derselben erforderlich
seien. Demgemäß können wir heute verschiedene Richtungen unterscheiden, von derjenigen, welche mehr dem Individualismus
(s. d.) huldigt, bis zu derjenigen, welche sich mehr an den
Sozialismus (s. d.) anlehnt.
Die Litteratur der Volkswirtschaftslehre im ganzen und der einzelnen Gebiete derselben ist außerordentlich umfangreich.
Von den deutschen Lehr- und Handbüchern sind die wichtigsten die von K. H. Rau, AdolfWagner, W. Roscher, Schäffle, L. v. Stein,
worüber weiteres in den biographischen Artikeln nachzulesen ist;