Oberhoheit über die germanischen
Reiche erlangte. So waren um 500 alle
Provinzen des weströmischen Kaiserreichs im
Besitz der
germanischen Eroberer. Unter dem oströmischen
Kaiser Justinian I. (527-565) unternahmen die
Römer
[* 2] die Wiedereroberung des
Verlornen.
Belisar zerstörte 534 das Vandalenreich in
Afrika
[* 3] und vereinigte das Land wieder mit dem römischenReich,
er und
Narses eroberten 535-553 auch
Italien.
[* 4]
Indes den größten Teil dieses
Landes, nämlich
Ober- und Mittelitalien, verloren
sie 568 wieder an die
Langobarden, welche nach Zerstörung des Gepidenreichs (566) in
Italien einfielen.
Das Westgotenreich unterlag erst 711 den Arabern. Das
Frankenreich endlich dehnte durch glückliche
Eroberungen seine Herrschaft
über einen großen Teil des alten weströmischen
Reichs aus, indem es 507 das westgotische
Gallien, 534 das
Burgunderreich, 774 das Langobardenreich eroberte, und gewann durch Unterwerfung der
Alemannen (496), der
Thüringer (530),
der
Sachsen
[* 5] (785) und der
Bayern
[* 6] (788) sämtliche germanische
Völker Mitteleuropas für die christliche
Kultur, welche es zugleich
durch den
Sieg bei
Tours
[* 7] (732) gegen den
Islam verteidigte.
Die Wiederaufrichtung des weströmischen Kaiserreichs durch den Frankenkönig
Karl d. Gr. 800 gab der Völkerbewegung im
Abendland
einen gewissen
Abschluß. Das
Christentum war gerettet und seine weitere Ausbreitung gesichert, von der antiken
Kultur bildungsfähige
Reste erhalten, der romanischen
Welt neue Lebenssäfte zugeführt, endlich dem Germanentum die
Entwickelung
zu einer höhern
Zivilisation ohne Verlust seiner
Nationalität ermöglicht. Während nun der europäische
Westen zur
Ruhe gekommen
war, die erst im 8. und 9. Jahrh., als in den skandinavischen Völkern die Wanderlust erwachte
(s.
Normannen), gestört wurde, dauerte im
Osten die
Bewegung noch fort.
Zwar wurde das Land von der
Weichsel bis zur
Elbe,
Saale und dem
Böhmerwald schon im 5. Jahrh. von slawischen
Völkerstämmen besetzt (s.
Slawen); im innern Rußland aber dauerte das Drängen der
Slawen gegen die
Finnen noch längere
Zeit, und an der untern
Donau, wo die tatarischen
Avaren (s. d.), denen die
LangobardenPannonien überließen,
lange Zeit das mächtigste
Volk waren, bis
Karl d. Gr. sie 796 vernichtete, trat erst allmählich ein Stillstand der
Bewegung
ein, nachdem im 7. Jahrh. die finnischen, später aber slawisierten
Bulgaren und
Serben feste Sitze genommen hatten. Im 9. Jahrh.
unterbrach denselben das Eindringen der
Magyaren (s. d.) in
Ungarn,
[* 8] deren Kriegsfahrten nach
Westen hin
die sächsischen
Könige ein
Ziel setzten.
Vgl.
Wietersheim, Geschichte der Völkerwanderung (Leipz. 1858-64, 4 Bde.;
neue Bearbeitung von
Dahn, das. 1880-81, 2 Bde.);
Pallmann, Geschichte der Völkerwanderung (Gotha
[* 9] u. Weim.
1863-64, 2 Bde.);
Seine zahlreichen Gemälde, die in kleinerm
Umfang meist einfache
Szenen im
Kostüm
[* 18] der letzten drei
Jahrhunderte behandeln,
zeichnen sich durch gewandte Pinselführung und glänzende Behandlung des Stofflichen im Anschluß an
die alten Niederländer aus. Sorgfältige Beachtung des Zeitcharakters erhöht ihren
Reiz. Hervorzuheben sind:
Audienz, ein
Rauchkollegium, viel Lärm um nichts, das neue
Buch, der
Parlamentär, ein
Duett, der abgewiesene
Freier.
ward, der, das große Talent des Jünglings erkennend, denselben bestimmte, sich ganz der Musik zu widmen. 1836 ging Volkmann nach
Leipzig und studierte hier Pädagogik und bei K. F. BeckerMusik; namentlich aber wurde Schumanns Einfluß bedeutsam für seine
künstlerische Entwickelung und spätere Richtung. Nachdem er von 1839 bis 1842 als Musiklehrer in Prag
[* 30] gelebt, wandte er sich im letztgenannten Jahr nach Pest, wo er, einen vorübergehenden Aufenthalt in Wien
[* 31] (1854-58) abgerechnet,
bis an seinen Tod als Lehrer und Komponist (zuletzt ausschließlich in letzterer Eigenschaft) wirkte. Er starb Volkmann erfreut
sich namentlich als Instrumentalkomponist eines wohlverdienten Rufs, und seine Symphonien (D moll, Op. 44,
und B dur, Op. 53), sechs Streichquartette (Op. 9, 14, 34, 35, 37, 43), Klaviertrios (F dur, Op. 3, und B moll, Op. 5), seine
Musik zu Shakespeares »Richard III.« (Op. 68), vor allem seine drei Serenaden für Streichorchester (C dur, Op. 62;
F dur, Op. 63; D moll, Op. 69) gehören zu dem Gediegensten und Originellsten, was seit SchumannsTod auf diesem Gebiet geschaffen
worden ist.
4) Richard von, Sohn von Volkmann 1), Chirurg, geb. zu
Leipzig, studierte in Halle, Gießen
[* 32] und Berlin,
[* 33] habilitierte sich 1857 in Halle und wurde 1867 zum Professor der Chirurgie und
Direktor der chirurgischen Klinik daselbst ernannt. Im deutsch-französischen Krieg war er konsultierender Generalarzt des 4. Armeekorps,
später der Maas- und der Südarmee. Volkmann ist einer der hervorragendsten Chirurgen der Neuzeit und
hat sich namentlich um die Einführung der antiseptischen Wundbehandlung in Deutschland
[* 34] verdient gemacht. 1885 wurde er vom
deutschen Kaiser in den erblichen Adelstand erhoben. Er schrieb: »Beiträge zur Chirurgie« (Leipz. 1875) sowie unter dem PseudonymRichardLeander: »Träumereien an französischen Kaminen« (16. Aufl., das. 1886);
(Volkmarshausen), Stadt im preuß. Regierungsbezirk Kassel, KreisWolfhagen, an der Twiste, hat eine evangelische
und eine kath. Kirche, ein Amtsgericht, Sandsteinbrüche, Flachshandel und (1885) 2246 Einw.
Dabei die malerischen Ruinen der Burg Kugelnberg. Volkmarsen gehörte früher zum KlosterKorvei und ward im 13. Jahrh. an das Erzstift
Köln
[* 40] verpfändet.
bankähnliche Kreditanstalten, welche dem Kreditbedürfnis der mittlern und weniger wohlhabenden Klassen
zu dienen bestimmt sind, insbesondere in der Form der Genossenschaften (s. d., S. 105).
Proudhon trug sich
mit dem unausführbaren Gedanken, durch Schaffung von Volksbanken unentgeltlichen Kredit zu gewähren.
die allgemeine Verpflichtung des Volkes zum Waffendienst, am reinsten verwirklicht in den Urzuständen
eines Volkes, wo jeder Waffenfähige für die gemeinsamen Angelegenheiten auch kämpfend eintreten muß.
In mehr geordneten staatlichen Verhältnissen regelt eine Wehrverfassung die Heranziehung der einzelnen zum Waffendienst.
Schon bei den alten Griechen und Römern findet sich eine eigentliche Volksbewaffnung nicht mehr, noch weiter davon entfernen sich der HeerbannKarls d. Gr. und das Lehnswesen des Mittelalters; ganz beseitigt aber ward die Volksbewaffnung durch das Söldnerwesen
und die geworbenen Heere.
im weitern Sinn alle diejenigen Bücher, welche unter allen Klassen und Ständen eines Volkes Verbreitung
gefunden haben (s. Volksschriften); im engern Sinn und namentlich in litterarhistorischer Hinsicht die in Prosa abgefaßten
Unterhaltungsbücher, die im 15. und 16. Jahrh. teils im
¶
mehr
Volk selbst entstanden, teils aus gebildetern Kreisen, meist mit formalen Abänderungen, in dasselbe übergingen. Ihrem Inhalt
nach sind diese Volksbücher der deutschen Litteratur meist aus der schon vorhandenen und verbreiteten ältern Sage geschöpft, ja zum
großen Teil nur Umarbeitungen oder Übertragungen älterer Produkte. Bei diesen Umarbeitungen wählte man aber nicht
die nach Gehalt und Form vollendetsten deutschen Gedichte des 13. Jahrh. (wie etwa Wolframs »Parzival«),
denn diese standen
dem Verständnis des 15. und 16. Jahrh. bereits zu fern; auch aus der deutschen Heldensage gestaltete sich nur ein ziemlich
roher Teil, die Jugendgeschichte Siegfrieds, aus einer Auflösung des ältern Siegfriedliedes zu dem prosaischen
Volksbuch vom »Hürnen Siegfried«. Dagegen ward unmittelbar zum Volksbuch der »Reineke Fuchs« (s. d.) in seiner damaligen poetischen
Gestalt, wie überhaupt die Tiersage von jeher recht eigentlich dem Volk angehört hat.
Beliebte Volksbücher waren auch verschiedene Reisebeschreibungen, namentlich die ReisenMarcoPolos und Maundevilles. Ansehnlich vermehrt
ward die Litteratur der deutschen Volksbücher durch zahlreiche Übersetzungen aus dem Französischen; doch ließ man auch hier die
großen alten Epen des karolingischen Sagenkreises unbenutzt, und nur drei zu diesem gehörige Romane wurden
aus jüngern Bearbeitungen übertragen: die »Haimonskinder« (s. d.),
ward dem
»Filocopo« Boccaccios entnommen. Dem karolingischen Sagenkreis gehört noch an »Loher und Maller«, übersetzt
durch Elisabeth von Nassau (1437; erster Druck, Straßb. 1514; neubearbeitet von Simrock, Stuttg. 1868). Die Geschichte HugoCapets
behandelt der von derselben bearbeitete »Hug Schapler« (Straßb. 1500). Weitverzweigten Sagenstoff vereinigt »Pontus und Sidonia«,
übersetzt durch Eleonore von Österreich
[* 47] (um 1450; erster Druck, Augsb. 1485). Weiter gehören hierher:
die »Melusine« (s. d.),
Erzählungen, deren Ursprung oft in die ältesten orientalischen Litteraturen hinaufreicht, wanderten von
einem Volk zum andern und wurden wiederholt in Sammlungen vereinigt. Zwei der beliebtesten Sammlungen dieser Art sind die
»Gesta Romanorum« (s. d.) und die »Sieben weisen Meister« (s. d.). Daneben entstanden auch neue Sammlungen
ähnlicher Art, wie: »Der Seele Trost« (Augsb. 1478) und Joh. Paulis »Schimpf und Ernst« (Straßb. 1522; neu hrsg.
von Österley, Stuttg. 1866),
JakobFreys »Gartengesellschaft«,
Martin Montanus' »Wegkürzer« etc. Auch
aus der Fremde kamen mehrere einzelne Novellen unter unsre Volksbücher, so aus dem Französischen die »Geduldige
Helena« (Straßb. 1508) und, durch Steinhöwel aus dem lateinischen des Petrarca übersetzt, die »Griseldis« (Augsb. 1471).
Aus lateinischer Quelle
[* 48] stammt auch das prosaische Volksbuch von »Salomon und Marcolf« (Nürnb. 1487) her, welches den Marcolf
zum Träger
[* 49] demokratischer Schalksnarrenweisheit macht. Dieser Lust an Schwanken verdanken auch einige echt deutsche
Originalwerke ihren Ursprung, wie vor allen der »Eulenspiegel« (s. d.),
Mehrere deutsche Volksbücher ernsten Inhalts
sind in Deutschland selbst entstanden, darunter der »Fortunatus« (s. d.) und der »Faust« (s. d.),
welch
letzterm schon im 15. Jahrh. der »BruderRausch« vorangegangen war, der den Bund mit dem Teufel in humoristischer Auffassung
darstellte. Einen Vertrag mit dem Teufel enthält auch die durch Georg Thym gereimte Sage von »Thedel Unverferd von Walmoden«
(Magdeb. 1550). Vielleicht das jüngste aller Volksbücher, aber von echt deutschem
Ursprung ist die Erzählung von der Pfalzgräfin Genoveva (s. d. 2). Endlich ist noch der Sprüche und Gewohnheiten mancher Handwerkerzünfte
u. dgl. zu gedenken, die aufgezeichnet und gedruckt
auch außer der Zunftgenossenschaft im VolkLeser fanden. Im 17. Jahrh. wendeten sich die höhern Stände hochmütig von den
Volksbüchern ab, die durch Veränderungen, namentlich Verkürzungen, sowie dadurch viel an dichterischem
Wert einbüßten, daß sie dem sich selbst ändernden Geschmack des Volkes, in welchem die Empfänglichkeit für wahre Poesie
abnahm, angepaßt wurden. So sanken sie zu den verachteten Büchlein »gedruckt
in diesem Jahr« herab. Der unvergängliche poetische Gehalt, der den meisten Volksbüchern innewohnt und
der selbst durch die äußerste Entstellung nicht ganz vertilgt werden konnte, wurde von den Gebildeten erst in der neuern
Zeit wieder erkannt. Zuerst besprach J. ^[Joseph] Görres in seiner Schrift »Die deutschen Volksbücher« (Heidelb.
1807) 49 derselben und wies mit überzeugender Kraft
[* 51] auf den Schatz tüchtiger und echter Poesie hin, der
hier zum Teil noch ungehoben liege. Dennoch fand v. d. Hagens »Narrenbuch« (Halle 1811),
das die Schildbürger, den KalenbergerPfaffen, PeterLeu und Salomon und Marcolf enthält, nur geringe Teilnahme. Erst G. Schwab in den »Deutschen Volksbüchern« (Stuttg.
1836, 13. Aufl., Gütersl. 1880) und Marbach (»Deutsche
[* 52] Volksbücher«, Leipz.
1838-47, 44 Bde.) gelang es, die alten Volksbücher zu
allgemeinerer Kenntnis zu bringen. Die größten Verdienste aber hat sich in dieser Hinsicht Simrock durch seine auf die alten
Ausgaben gegründete »Sammlung deutscher Volksbücher« (Frankf.
1845-67, 13 Bde.; neue Ausg. 1886 ff.;
Auswahl 1869, 2 Bde.) erworben. Eine Auswahl poetischer Volksbücher bietet
Bobertags »Narrenbuch« (Bd. 11 von
Kürschners »DeutscherNationallitteratur«). - Englische
[* 53] Volksbücher hat Thoms (Lond. 1828, 3 Bde.) gesammelt;
über die französischen belehrt Nodiers »Nouvelle bibliothèque bleue« (Par. 1842).
¶
Feste, an deren Feier sich das Volk in irgend einer Weise selbstthätig beteiligt und ihnen dadurch einen
volkstümlichen Charakter verleiht. Zu den lokalen Volksfesten, deren Feier auf einzelne Landschaften oder Ortschaften beschränkt
ist, kann man auch solche Feste der verschiedenen Genossenschaften und Stände rechnen, in denen sich die
Eigentümlichkeit des Volkes in irgend einer Weise ausspricht, und die deshalb auch allgemeinere Teilnahme außerhalb des Kreises
der eigentlichen Festgeber gefunden haben.
Die verbreitetsten Volksfeste haben sich besonders an regelmäßig wiederkehrende Ereignisse und Erscheinungen in der äußern Natur
angeknüpft. So gab bei den verschiedensten Völkern der Wechsel derJahreszeiten,
[* 55] das Ende des Winters
und der Anbruch des Frühlings, der Sonnenlauf (s. Maifest, Johannisfest und Julfest), die Saat, die Ernte,
[* 56] die Weinlese u. dgl.
zu Festen Veranlassung. Mehr auf einzelne Völker, ja auf Teile derselben beschränkt sind die Volksfeste oder Nationalfeste, welche
zum Andenken an bedeutende geschichtliche Ereignisse begangen werden, wie der GuyFawkes' Day in England,
das Gedächtnisfest der Schlacht bei Leipzig, die Sedanfeier, die verschiedenen Konstitutions- und Unabhängigkeitsfeste, ferner
diejenigen Feste, welche aus der Neigung des Volkes zu gewissen Thätigkeiten und Übungen hervorgegangen sind, wie die Kampfspiele
der Alten, die Schwingfeste der Schweizer, die Stiergefechte der Spanier, die Wettrennen der Engländer, oder
endlich auf gesellschaftlichen Einrichtungen beruhen, wie die Jahrmärkte, die Feste einzelner Zünfte und die aus dem Waffendienst
der Bürger sich herschreibenden Vogel- und Scheibenschießen etc. Einen bedeutenden Einfluß hat auch die Religion auf die
Volksfeste geäußert, und dieser war um so größer, je sinnlicher der Charakter der Religion war, je mehr sie
das weltliche Leben des Volkes in ihr Gebiet zog, und je mehr sie durch bestimmte Satzungen oder auch durch ihre Geschichte
und namentlich durch ihre Mythen Anhaltspunkte für festliche Feier bot.
Dies ist der Grund, warum vornehmlich die heidnischen Religionen so reich an Festen waren, und warum die
Volksfeste der christlichen Welt, die in mehr oder minder naher Beziehung zur Religion stehen, vornehmlich der katholischen und griechischen
Kirche angehören, während die protestantische mehr bei einzelnen weltlichen Festen, um ihnen gleichsam die höhere Weihe zu
erteilen, mitzuwirken pflegt. Am volkstümlichsten sind die Feste geworden, welche, aus heidnischer Zeit
herrührend, von der Kirche bloß christliche Bedeutung erhielten, wie die ehemaligen Sonnenwend-, Herbst- und Frühlingsfeste,
deren Gebräuche so tief im Volk wurzelten, daß sie sich bis jetzt erhalten haben.
Bei mehreren christlichen Festen, wie Weihnachten und Ostern, ward sogar der Name früherer heidnischer Hoch-
oder Festzeiten beibehalten, und manche Gedächtnistage von Heiligen und Kirchweihen, die wahre Volksfeste geworden sind, mögen absichtlich
in Zeiten verlegt worden sein, welche schon vorher zu religiösen Feierlichkeiten bestimmt waren. Bei wenigen Völkern hat
das Festwesen, das mit der Religion in inniger Verbindung stand, so das ganze Volksleben durchdrungen und
ist zugleich Sache des Staats geworden wie bei den alten Griechen, wo es in den großen Nationalfesten der Olympischen, Pythischen,
Isthmischen und Nemeischen Spiele seinen Gipfel erreichte. In gegenwärtiger Zeit haben viele frühere Volksfeste sich teils ganz verloren,
weil
der Anlaß, der sie hervorrief, weggefallen ist, teils sind sie farbloser und unbelebter geworden,
namentlich bei solchen Völkern, bei denen eine gewisse konventionelle Scheu der Höhern und Gebildeten, mit ihrer Lebenslust
öffentlich hervorzutreten, herrschend geworden ist.
Zum Teil aber liegt auch die Ursache in einem mißverstandenen Eifer der Geistlichkeit und Polizei, Volksbelustigungen zu verbieten,
weil sie hin und wieder zu Ausschreitungen führen, ohne zu bedenken, daß gerade Volksfeste das
fruchtreichste Förderungsmittel der geselligen Tugenden und der sittlichen Bildung eines Volkes und ein mächtiger Hebel
[* 57] der
Vaterlandsliebe sind. Mit Recht haben die Deutschen daher in neuerer Zeit eine Wiederbelebung der alten Schützen-, Sänger- und
Turnerfeste angestrebt, um eine Annäherung der stammverwandten deutschen, österreichischen und schweizerischen
Stämme zu befördern.
Wohlthätigkeitsanstalten, in denen arme Leute mit nahrhafter Suppe entweder unentgeltlich oder gegen
geringe Entschädigung versorgt werden. Die Volksküchen traten besonders 1813 und in dem Hungerjahr 1816/17 ins Leben, obgleich die
Idee derselben schon gegen das Ende des vorigen Jahrhunderts von Rumford ausgesprochen worden war, und fanden
in den letzten 15 Jahren besonders durch die Thätigkeit der Frauenvereine (s. d., S. 629) allgemeinen Eingang. Die erste größere,
auf dem Prinzip der Selbsterhaltung beruhende Anstalt wurde 1849 in Leipzig gegründet (die zweite daselbst 1871); ihr folgten
Dresden
[* 58] 1851, Berlin 1866 (das daselbst in den 50er Jahren gegründete Institut von Ravené bestand nur kurze
Zeit), Prag, Brüssel,
[* 59] Breslau
[* 60] 1868, Graz
[* 61] und Hamburg
[* 62] 1869, Straßburg
[* 63] 1870, Wien 1873 etc. Einem großen Teil der deutschen (auch
einigen ausländischen) Volksküchen haben die Einrichtungen der Leipziger Anstalt als Vorbild gedient. In allen Volksküchen wird durchschnittlich 1 Lit.
Gemüse in Bouillon gekocht und ca. 1/12 kg Fleisch gegeben, die Preise dafür schwanken zwischen 15 und 25 Pf.
In manchen Gegenden muß man sich durch Mehrlieferung (Abgabe von weitern halben Portionen) den betreffenden Gewohnheiten anfügen.
Die Berliner
[* 64] Volksküchen, von Lina Morgenstern
[* 65] gestiftet, vermochten einen Unterstützungsfonds anzusammeln. Die Erfahrungen derselben
lehrten, daß sogen. halbe Portionen für Frauen und Kinder zur Ernährung vollkommen ausreichen. Näheres
über Volksküchen enthält der als Manuskript gedruckte Bericht von Jul. Häckel über das 25jährige Bestehen der Leipziger Volksküche
(3. Aufl. 1886).
das für den Gesang gedichtete und wirklich gesungene Erzeugnis der Volkspoesie. Diese
bildet den Gegensatz zu der Kunstpoesie, bei welcher der Dichter mit Bewußtsein den Forderungen der Kunst hinsichtlich ihrer
innern wie äußern Gestaltung zu genügen sucht. Letztere kann erst entstehen, wenn zur poetischen Kraft höhere Bildung hinzutritt;
bis dahin ist die ganze Poesie eines Volkes nur Volkspoesie, und die meisten Völker bleiben bei derselben
stehen. Auch bei den Völkern, wo die Kunstpoesie sich entwickelt, geht die Volkspoesie immer voraus und
¶
mehr
erhält sich auch nachher neben jener. Die Volkslieder gehen aus dem Teil des Volkes hervor, den wir als die ungebildete Masse
jenem entgegensetzen, in welchem aber die nationale Eigentümlichkeit sich am schärfsten erhält, so daß aus den Volksliedern
der Charakter der Völker, denen sie angehören, in großer Wahrheit und Bestimmtheit entgegentritt. Die
Einfachheit der rhythmischen und metrischen Formen ergibt sich aus dem Ursprung des Volksliedes, nicht weniger auch die Einfachheit
des Ausdrucks und die frische, kräftige Natürlichkeit.
Die Natur des Volksliedes bringt es mit sich, daß sich meist weder der Verfasser noch die Zeit der Entstehung ermitteln
läßt; auch findet sich ein Volkslied höchst selten in seiner ältesten Gestalt vor, weil sich
Text und Weise meist nur durch mündliche Überlieferung erhalten haben, daher wir auch oft ein und dasselbe Lied in sehr verschiedener
Gestalt wiederfinden. Nicht zu verwechseln ist übrigens die wahre Volkspoesie mit jener Poesie des Volkes, die wir
gewöhnlich mit dem NamenGassenhauer bezeichnen.
Letztere ist zwar ebenfalls ein freies Erzeugnis des Volkes, aber nicht aus dem Gefühl, sondern aus dem Verstand hervorgegangen
und nur von vorübergehendem Interesse. Häufig aber schließt ein echtes Volkslied mit angehängtem, nachgedichteten Versen, die
es zum Gassenhauer machen und sich eine Zeitlang erhalten; namentlich sind es historische Lieder, die den
Übergang von der einen zur andern Gattung bilden, besonders aus späterer Zeit. Wiewohl ohne poetischen Wert, sind sie doch
für die Erforschung der Geschichte und besonders der Sittengeschichte einer Nation von hoher Bedeutung.
dagegen lieferte sie einen gewaltigen neuen Sagenstoff, in
welchem zugleich die Mehrzahl der Überreste älterer Sagen aufging. So ging im 6.-8. Jahrh. wieder eine
bedeutende Anzahl allitterierender epischer Volkslieder aus der deutschen Heldensage und der Tiersage hervor;
Erhalten ist von der Volksdichtung dieses Zeitraums ein
Bruchstück, das »Hildebrandslied«. Im 9. Jahrh. fanden eine Verengerung des Gebiets der Volkspoesie und
eine Änderung ihrer Form statt. Schon von Anfang an hatte die christliche Kirche gegen diese Lieder wegen ihres heidnischen
und weltlichen Ursprungs und Inhalts geeifert, auch bereits Versuche gemacht, geistlichen Inhalt in althergebrachte Form zu
gießen. Im 9. Jahrh. trat sie dem Volkslied aber mit eignen Schöpfungen, mit einer Kunstpoesie entgegen, der
sich nun auch die Höfe und der Adel zuwendeten, so daß die Volksdichtung denjenigen Klassen überlassen blieb, die einer gelehrten
Bildung entbehrten.
Mehrere Jahrhunderte hindurch werden nun deutsche Volkslieder der Aufzeichnung für unwert erachtet, obwohl die Kunstpoesie
selbst das sprechendste Zeugnis gibt, daß die Volkspoesie in der ersten Hälfte des 9. Jahrh.
eine ganz besondere Schöpferkraft entwickelt und auch ferner ein frisches Leben bewahrt hat. Die hohe formelle Vollendung,
zu der sich die höfische Kunstdichtung bald erhob, wirkte ihrerseits veredelnd auf die Volksdichtung zurück, wie sich dies
in den bedeutendsten Schöpfungen der mittelhochdeutschen Volkspoesie, den um 1200 entstandenen Dichtungen
des Volksliedes, wie in dem »Nibelungenlied«, der
»Gudrun« und dem »Alphart«, zeigt.
Später eignete sich das Volk besonders solche Sagen an, welche dem wundersüchtigen Geschmack der Zeit oder der durch die höfische
Kunst eingebürgerten Liebesromantik zusagten, wie z. B. »Albertus Magnus«, »Der Tannhäuser«, »Der getreue Eckart«, »Heinrich
der Löwe« etc. Die gesellschaftlichen und religiösen Zustände, welche schwer auf dem
Volk lasteten, förderten wohl Satiren und Spottverse, aber nicht epische Volkslieder, und zudem that die Buchdruckerkunst dem
epischen Gesang insofern Eintrag, als sie ausführlichere prosaische Erzählung und Besprechung historischer Ereignisse und
Zustände begünstigte. So kommt es, daß in dieser Periode namentlich die an historische Begebenheiten
und Personen sich anlehnenden Balladen und Romanzen sowohl an Anzahl als an Verbreitung und Wert zurückstehen.
Nur an den Grenzen
[* 67] des Reichs, unter den Freiheitskämpfen der Dithmarschen und der Schweizer, erwachten kräftige und echt volksmäßige
historische Lieder. Desto voller und reicher erblühte dagegen die lyrische Volkspoesie. Schon im 14. Jahrh.
gedenkt die »Limburger Chronik« zahlreicher Lieder dieser Gattung, die sich ziemlich eng an die Weise des Minnegesangs anschließen.
Bald aber entfaltete die Volkslyrik sich freier und weiter, und alles, was das menschliche Herz bewegt, zog sie in ihren Kreis.
Das Empfinden dieser Volkssänger, Handwerksgesellen, fahrenden Schüler und Schildknechte, Hirten, Jäger
und Ackerleute, reicht jedoch tiefer, ihr Denken weiter als die Kunst ihrer Rede, und die Knappheit, Lückenhaftigkeit und der
springende Gang
[* 68] ihrer Lieder sind zum Teil eine Wirkung ihrer Unbeholfenheit, die namentlich in der ungeschickten Handhabung
ihrer Vers- und Strophenformen zu Tage tritt, während das alte Volkslied sich gerade durch die feinste und strengste
Metrik auszeichnete.
Eine ziemliche Anzahl von Volksliedern dieser Periode wurde bereits im 14. und 15. Jahrh. niedergeschrieben und noch weit
mehr gegen Ende des 15. und im Anfang des 16. Jahrh. Schon in diesem und noch mehr im 17. Jahrh. verfällt
das Volkslied infolge eindringender Roheit und Gemeinheit in immer tiefere Verderbnis. Was noch im 17. Jahrh. an neuen Volksliedern
hinzutritt (z. B. während des Dreißigjährigen Kriegs), ist größtenteils ungeschlacht oder gar nur platte Reimerei.
BessereLieder aus dieser Zeit oder gar aus dem 18. Jahrh., wie »Prinz Eugenius, der edle Ritter« (1717),
gehören zu den seltenen Ausnahmen. Doch eben als das Volkslied abzusterben begann, trat eine neue Kunstlyrik vermittelnd
ein, und zwar diesmal durch das Medium der Musik. Bereits gegen die Mitte des 16. Jahrh. bildeten sich Gesellschaften, die sich
reihum bei den einzelnen Mitgliedern versammelten und nach künstlichen, von den Niederlanden, Venedig
[* 69] etc. nach Deutschland gekommenen, mehrstimmig gesetzten MelodienLieder sangen, und so entstanden die sogen. Gesellschaftslieder,
lyrische Kunstdichtungen des verschiedensten Inhalts, die sich immer weiter von den Volksliedern entfernten und zur völligen
Verdrängung derselben aus den gebildeten Kreisen wesentlich beitrugen.
Eine zweckmäßige Auswahl derselben bietet Hoffmanns von Fallersleben »Die deutschen Gesellschaftslieder
des 16. und 17. Jahrhunderts« (Leipz. 1844). Der heutige Volksgesang hat eine lebendige Quelle nur noch in den Alpen,
[* 70] wo Burschen
und Mädchen bei ihren Tänzen und Spielen ihre kleinen »Schnaderhüpfeln« zu selbsterfundenen oder vorhandenen Melodien singen.
Nachdem Percy durch die Herausgabe altenglischer Volkslieder (»Reliquies of ancient
poetry«, 1765) die
¶
mehr
Aufmerksamkeit wieder auf das Volkslied gelenkt hatte, begann der Göttinger Dichterbund, namentlich Bürger, das Volkslied auch bei uns in
die Kunstpoesie einzuführen, und Nicolai, der darin Unheil für den guten Geschmack witterte und eine Sammlung deutscher Volkslieder
unter dem Titel: »Eyn feyner kleyner Almanach voll schönerr echterr liblicherr Volkslieder« (Berl. 1777-78, 2 Bde.)
herausgab, durch die er das in seiner Blöße zu zeigen hoffte, wandte die allgemeine Aufmerksamkeit und Neigung dem Volkslied erst
recht zu. Zugleich weckte Herder durch seine »Volkslieder« (Leipz.
1778-79, 2 Bde.) Geschmack und Verständnis der Zeit für die Schönheiten des Volksgesangs.
Die erste umfassende Sammlung deutscher Volkslieder gaben Brentano und Arnim unter dem Titel: »Des Knaben
Wunderhorn« (Heidelb. 1806-1808, 3 Bde.;
neubearbeitet von Birlinger, Wiesb. 1873-77, 2 Bde. und Boxberger, Berl. 1883; nach der ersten Ausg. hrsg.
von Wendt, das. 1873),
freilich mit manchen eigenmächtigen Veränderungen. Verdienstlich war auch Büschings und v. d. Hagens
»Sammlung deutscher Volkslieder« (Berl.
1807, mit Melodien),
eine planlose Kompilation dagegen Erlachs »Volkslieder der Deutschen« (Mannh. 1834-36, 5 Bde.).
Die besten Sammlungen sind die von Erk (»Deutscher Liederhort«, Berl. 1855) u. Uhland (»Altehoch- und niederdeutsche Volkslieder«,
Stuttg. 1844-1845, 2 Bde.; 2. Aufl.
1881),
wozu neuerdings noch G. Scherers »Jungbrunnen« (Berl. 1875) und F. Böhmes »Altdeutsches Liederbuch«
(Leipz. 1877) kommt. Eine wichtige Volksliederhandschrift aus dem 15. Jahrh.
mit den Melodien, das sogen. »Lochheimer Liederbuch«
(jetzt in der gräflich Stolbergschen Bibliothek zu Wernigerode
[* 72] befindlich),
wurde, von F. W. Arnold kritisch bearbeitet, in
Chrysanders »Jahrbuch für musikalische Wissenschaft«, Bd. 2 (Leipz.
1867),
veröffentlicht. Sammlungen historischer Volkslieder besitzen wir vonO. L. B. Wolff (Stuttg. 1830),
Soltau (Leipz. 1836 u. 1856) und Körner (Stuttg. 1840); die beste ist die von
R. v. Liliencron (»Die historischen Volkslieder der Deutschen«, Leipz. 1865-69, 4 Bde.),
v. Ditfurth sammelte in mehreren Ausgaben die historischen Volkslieder der letzten Jahrhunderte. Eine Auswahl
gibt die Sammlung von Simrock: »Deutsche Volkslieder« (2. Aufl.,
Basel
[* 74] 1887) und v. Liliencrons »DeutschesLeben im V. um 1530« (Stuttg. 1885). Als gute Sammlungen von Volksliedern einzelner
Landesteile sind zu nennen: Meinerts »Alte deutsche Volkslieder in der Mundart des Kuhländchens« (Hamb. 1817);
Bohl de Faber (»Floresta de rimas antiguas castellanas«,
Hamb. 1821 bis 1825, 3 Bde.) und Depping und F. Wolf (»Romancero castellano«, 2. Aufl., Leipz. 1844-46, 3 Bde.)
reiche Sammlungen herausgegeben. Portugiesische Volkslieder hat Bellermann (Leipz. 1864, mit Übersetzung) veröffentlicht.
Die »Egeria« von W. Müller und Wolfs (Leipz. 1829) enthält italienische Volkslieder im Original; neue Sammlungen gaben Kopisch
(»Agrumi«, mit Übersetzung, Berl. 1838), W.
Kaden (Stuttg. 1878) und Badke (Bresl. 1878).
Eine Sammlung sizilischer Volkslieder gab Pitré (Palermo
[* 82] 1870, 2 Bde.), rätoromanische Volkslieder aus dem
Engadin Flugi (Straßb. 1874) heraus. Volkslieder aus der Bretagne haben Keller und v. Seckendorff (Tüb. 1841) sowie M. Hartmann
und Pfau (Köln 1851) übersetzt. Altfranzösische Volkslieder gabenO. L. B. Wolff (Leipz. 1831), M. Haupt
(das. 1877) und K. Bartsch (Heidelb. 1881) heraus.
Eine Geschichte des französischen Volksliedes schrieb J. ^[Julien] Tiersot (Par. 1889). Rumänische Volkslieder sammelte Helene
Vacaresco (übersetzt von Carmen Sylva, Bonn
[* 83] 1889). Neugriechische Volkslieder haben W. Müller (aus Fauriels Sammlung mit den
Originaltexten, Leipz. 1819, 2 Bde.),
Kind (das. 1849),Schmidt (das. 1877), serbische Volkslieder Talvj (neue Ausg., das. 1853, 2 Bde.),
südslawische E. Harmenig (Jena
[* 84] 1885) übersetzt. Ferner sind zu erwähnen: die Sammlungen slawischer Volkslieder von Wenzig
(Halle 1830 u. a. O.), Götzes »Stimmen des russischen Volkes« (Stuttg. 1828),
»Norwegische, isländische, färöische Volkslieder der Vorzeit«
Warrens (Hamb. 1866),
der auch »Schottische Volkslieder« (das. 1861) übertrug. »Schwedische Volkslieder« übersetzte Mohnike
(Berl. 1830) und »Altschwedische Balladen, Märchen und
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