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der ultramontanen Oberwasser (»Altschweizer«) über die Unterwalliser (»Jungschweizer«).
der ultramontanen Oberwasser (»Altschweizer«) über die Unterwalliser (»Jungschweizer«).
(spr. wern), Jules, franz. Schriftsteller, geb. zu Nantes, [* 2] studierte in Paris [* 3] die Rechte, muß sich aber schon früh auch den Naturwissenschaften zugewandt haben; denn gleich sein erster Roman, der die Reihe jener originellen, eine völlig neue Gattung begründenden Produkte Vernes eröffnete: »Cinq semaines en ballon« (1863),
zeugt von jenem Studium. Der Erfolg, dessen sich diese Schöpfung erfreute, bestimmte ihn, die dramatische Laufbahn, mit der er sich bereits durch mehrere »Comédies« und Operntexte vertraut gemacht hatte, zu verlassen und sich ausschließlich dem phantastisch-naturwissenschaftlichen Roman zu widmen. In der That ist diese scheinbar sich widersprechende Bezeichnung die richtige. Denn die ganze Masse von Romanen, welche die stupende Fruchtbarkeit des Schriftstellers nacheinander zu Tage förderte, beruht auf der Ausbeutung und Verwertung naturwissenschaftlicher Thatsachen und Probleme zu romantisch-phantastischen Zwecken, die mit ebensolchen Mitteln erreicht werden. Verne führt seine Leser auf den abenteuerlichsten, stets aber physikalisch motivierten Fahrten nach dem Mond, [* 4] um den Mond, nach dem Mittelpunkt der Erde, »20,000 Meilen« unter das Meer, auf das Eis [* 5] des Nordens und den Schnee [* 6] des Montblanc, durch die Sonnenwelt etc., und man kann nicht leugnen, daß er es versteht, die ernste Lehre, [* 7] wenigstens die große Fülle seiner realen Kenntnisse, mit dem Faden [* 8] der poetischen Fiktion geschickt zu verweben und dem unkundigen Leser eine gewisse Anschauung von naturwissenschaftlichen Dingen und Fragen spielend beizubringen.
Wir nennen hier noch seine »Aventures du capitaine Hatteras« (1867),
»Les enfants du capitaine Grant«, »L'île mysterieuse«, »La découverte de la terre« (1870),
»Voyage autour du monde en 80 jours« (1872),
»Le [* 9] docteur Ox« (1874),
»Le chancellor«, »Un hivernage dans les glâces«, »Michel Strogoff (Moscou, Ircoutsk)«, »Un capitaine de 15 ans«, »Les Indes noires« (1875),
»La maison à vapeur«, »Mathias Sandorf« (1887) etc., alle bereits in vielen Ausgaben erschienen und von der Lesewelt verschlungen, auch meist ins Deutsche [* 10] übersetzt und in Form von Ausstattungsstücken mit nicht geringem Erfolg auf die Bühne gebracht (vgl. »Les voyages au théâtre« von Verne und A. Dennery). Von einer soliden und ernsten Kunst, von Stilgesetzen, von epischer Entwickelung, von Psychologie und Charakteristik kann natürlich nach der ganzen Tendenz dieser Massenproduktion, welche den Verfasser zu einem reichen Mann gemacht hat, nicht entfernt die Rede sein. Die »Œuvres complètes« Vernes erschienen 1878 in 34 Bänden (illustrierte Ausg. 15 Bde.).
Vgl. Honegger, Jules Verne, eine litterarische Studie (in »Unsere Zeit« 1875, 1. Hälfte).
(Einlassung), im bürgerlichen Rechtsstreit die Beantwortung eines Parteivortrags durch die Gegenpartei, insbesondere die Beantwortung der Klage durch den Beklagten, welche früher Litiskontestation (Streitbefestigung) genannt wurde. Durch die Vernehmlassung auf die Klage wird der Kläger nach der deutschen Zivilprozeßordnung (§ 243) so an den von ihm begonnenen Rechtsstreit gebunden, daß er ohne Einwilligung des Beklagten seine Klage nicht mehr zurücknehmen kann. Im Anwaltsprozeß muß die Vernehmlassung im mündlichen Verfahren durch die Einreichung eines Schriftsatzes vorbereitet werden, während sich der Beklagte im Parteiprozeß auf die mündliche Beantwortung beschränken darf. Der die Vernehmlassung enthaltende Schriftsatz muß innerhalb der ersten zwei Dritteile der sogen. Einlassungsfrist (s. d.) dem Kläger zugestellt werden.
s. Verhör. ^[= die amtliche, namentlich gerichtliche Befragung einer Person über zweifelhafte ...]
(Vernet les Bains, spr. wernä la bäng), Dorf im franz. Departement Ostpyrenäen, Arrondissement Prades, am Fuß des Canigou, hat berühmte Schwefelthermen (35-58° C.) mit Badeanstalten und etwa 800 Einw.
(spr. wernä), 1) Claude Joseph, franz. Maler, geb. zu Avignon, erhielt den ersten Unterricht von seinem Vater Antoine Vernet (geb. 1689, gest. 1753) und ging 1734 nach Rom, [* 11] wo er sich bei A. Manglard bildete. 1753 nach Frankreich zurückgekehrt, ward er Mitglied der Akademie und malte für Ludwig XV. eine Reihe von Ansichten französischer Seehäfen (jetzt im Louvre). 1763 ließ er sich zu Paris nieder, wo er starb. Vernets durch reiche Staffage ausgezeichnete Landschaften und Seestücke tragen den Charakter der Schule von Claude Lorrain in ihren letzten Ausläufern; in Komposition und Lichtwirkung edel empfunden, leiden sie an konventioneller Glätte.
Vgl. Lagrange, Joseph Vernet et la peinture au 18e siècle (Par. 1863).
2) Antoine Charles Horace, genannt Carle Vernet, Sohn und Schüler des vorigen, geb. zu Bordeaux, [* 12] studierte in Rom und ward 1788 Mitglied der Pariser Akademie. 1810 wurde er Mitglied des französischen Instituts. Vernet war hauptsächlich Darsteller Napoleonischer Schlachten, [* 13] malte aber auch Porträte [* 14] und Jagden und zeichnete sich namentlich in der Darstellung von Pferden und Hunden aus. Hervorragend ist er auch im komischen Genre, und seine Darstellungen von zeitgenössischen Sittenbildern sind von kulturgeschichtlichem Wert. Er starb in Paris.
3) Horace, Maler, Sohn des vorigen, der berühmteste der Familie, geb. zu Paris, machte seine ersten Zeichenstudien bei seinem Vater und setzte sie bei dem Zeichner Moreau, dem Architekten Chalgrin und dem Maler Vincent fort. Mit einem Bilde: die Einnahme einer Redoute, [* 15] wagte der 20jährige Künstler, den damals herrschenden Regeln der klassischen Schule Davids entgegenzutreten und durch kräftigen Realismus auf eine neue Bahn einzulenken. Er erwarb sich die Gunst des kaiserlichen Hofs und führte in den letzten Jahren des ersten Kaiserreichs mehrere von Maria Luise und dem König von Westfalen [* 16] bestellte Gemälde aus, wie den Hund des Regiments, den Soldaten von Waterloo [* 17] und das Pferd [* 18] des Trompeters, die seinen Namen rasch populär machten.
Nach dem Sturz des Kaiserreichs stellte er sich die Aufgabe, die eben zum Abschluß gekommene große militärische Epoche zu illustrieren, und malte von 1817 bis 1823 unter anderm die Verteidigung der Barriere von Clichy, die Schlachten von Tolosa, Jemappes, Valmy, Hanau, [* 19] Montmirail, die Niedermetzelung der Mamlucken und Poniatowskis Tod, die jedoch in jener Zeit der Reaktion meist von der Ausstellungsjury zurückgewiesen wurden. Bald aber erteilte ihm Karl X. selbst Aufträge, wie sein Reiterbildnis bei einer Truppenrevue, dann ein zweites mit den Herzögen von Angoulême und Orléans, [* 20] die Ausmalung eines Plafonds im Louvre-Museum, und gestattete ihm auch 1827, eins seiner Hauptbilder, die Brücke [* 21] von Arcole, auszustellen. 1828 zum Direktor der französischen Akademie in Rom ernannt, verweilte Vernet dort bis 1835 und widmete sich dem Studium der italienischen Schule, dessen Resultat ¶
eine Reihe von Gemälden war, die zwischen Genre- und Historienmalerei die Mitte halten. Dahin gehören: Raffael und Michelangelo im Vatikan, [* 23] Kampf von Räubern gegen päpstliche Gendarmen, die Beichte des sterbenden Räubers, Papst Leo XII. auf dem Weg nach der Peterskirche, Judith und Holofernes. Nach Paris zurückgekehrt, widmete sich Vernet wieder der Schlachtenmalerei und stellte im Salon 1836 die vier großen Bilder: Friedland, Wagram, [* 24] Jena [* 25] und Fontenoy aus. Von Ludwig Philipp mit der Ausschmückung der Konstantinegalerie im Museum von Versailles [* 26] beauftragt, bereiste er 1838 Nordafrika, wo er die Studien zu den vierzehn Gemälden machte, mit welchen er die aus sieben Sälen bestehende Galerie füllte.
Die drei größten stellen den Beginn der Beschießung von Konstantine, die Eröffnung des Sturms und die Einnahme der Stadt dar. Das Studium des orientalischen Lebens brachte ihn auf den Gedanken, biblische Stoffe im Gewand des modernen Orients zu behandeln. Doch kamen seine Gemälde dieser Art (Abraham verstößt Hagar, Rebekka und Elieser am Brunnen, [* 27] Judith auf dem Weg zum Holofernes) nicht über das Genremäßige hinaus. Größern Beifall fanden dagegen seine afrikanischen Sittenbilder (Eberjagd, Löwenjagd, Sklavenmarkt, Post in der Wüste). 1843 ging er nach Rußland, ward dort vom Kaiser Nikolaus mit großer Auszeichnung empfangen und begleitete denselben einige Monate auf Reisen und Musterungen, unter andern in den Kaukasus. 1814 kehrte Vernet nach Frankreich zurück und malte nach einer abermaligen Reise nach Algier im Auftrag des Königs die Wegnahme der Smalah Abd el Kaders (1845) und die Schlacht bei Isly (1846). Außer einer großen Anzahl historischer Gemälde hat er auch zahlreiche Porträte gemalt, unter andern die Napoleons I., des Herzogs von Orléans, der Marschälle Saint-Cyr und Gerard, Thorwaldsens, der Herzöge von Tarent und von Reggio, Ludwig Philipps und seiner Söhne, Napoleons III. Er starb in Paris. Vernet war einer der fleißigsten und fruchtbarsten französischen Maler.
Die Eigenschaften, welche ihn als Künstler auszeichnen, sind Reichtum der Erfindung. Klarheit der Anordnung und lebensvolles Feuer. Doch trug seine Ausführung stets den Charakter der Improvisation, und die Einzelheiten sind mehr der Phantasie als dem Studium der Natur entnommen. Vernet hat durch seine ruhmrednerischen Darstellungen sehr viel dazu beigetragen, den französischen Chauvinismus zu fördern.
(spr. wernöj), Stadt im franz. Departement Eure, Arrondissement Evreux, am Avre und an der Westbahnlinie Paris-Granville, mit mehreren alten Kirchen, Bibliothek, Fabrikation von Bändern, Kupfergießerei und (1881) 3430 Einw. Hier Sieg der Engländer unter dem Herzog von Bedford über die Franzosen unter dem Herzog von Alençon.
(spr. wernöj), Philippe Edouard Poulletier de, Geolog, geb. zu Paris, war erst Advokat, dann Attaché beim Justizministerium und starb in Paris.
Als Frucht vieler geologischer Reisen veröffentlichte er: »Mémoire géologique sur la Crimée« (mit d'Archiac, Par. 1837);
»Mémoire sur les fossiles des bords du Rhin« (das. 1842);
Beiträge zur »Geology of Russia« (mit Murchison und Keyserling, Lond. 1845; deutsch von Leonhard, Stuttg. 1848);
Metalle mit Nickel überziehen. Man erhitzt in einem kupfernen Kessel Chlorzinklösung säuert mit Salzsäure an, fügt Zinkpulver hinzu, wodurch das Kupfer [* 29] verzinkt wird, dann Nickelchlorür oder Kaliumnickelsulfat, bis die Lösung deutlich grün ist, legt das zu vernickelnde Metall (Schmiedeeisen, Gußeisen, Stahl, Kupfer, Messing, Zink, Blei) [* 30] mit Zinkblechschnitzeln ein, kocht 15 Minuten, wäscht und putzt mit Schlämmkreide. Messing, Zink, Eisen, [* 31] Stahl werden galvanisch vernickelt unter Anwendung einer bei 20-25% gesättigten Lösung von schwefelsaurem Nickeloxydulammoniak, wobei die angegebene Temperatur innegehalten werden muß.
Bei Anwendung von Elektroden aus reinem Nickel bleibt das Bad [* 32] stets neutral, indem sich so viel Nickel löst, wie ausgeschieden wird. Um das Abspringen des Nickelüberzugs zu vermeiden, erhitzt man die abgetrockneten vernickelten Gegenstände im Ölbad auf 250-270°. Powell hat auch andre Nickelsalze angewandt und unter Zusatz von Benzoesäure gute Resultate erzielt. Die schöne, haltbare, harte und an der Luft unveränderliche Vernickelung ist sehr schnell populär geworden und wird auf allerlei technische Apparate, Maschinenteile, Schlösser, Schlüssel, Druckplatten, chirurgische Instrumente, Waffen, [* 33] Ketten, Öfen, [* 34] allerlei Hausgerät, namentlich auch Kochgeschirr, Wagenteile etc. angewandt.
Direkte Versuche haben ergeben, daß der Nickelüberzug vollkommen unschädlich ist. 2 Lit. Milch, welche in einem Geschirr aus reinem Nickel 8 Tage gestanden hatte und stark sauer geworden war, enthielt nur 0,002 g Nickel. Auf analoge Weise kann man auch einen Kobaltüberzug darstellen, der sehr glänzend, fast silberweiß, härter, zäher und an der Luft ebenso haltbar ist wie der Nickelüberzug. Er verdient neben diesem alle Beachtung und scheint namentlich auf Kupferdruckplatten wesentliche Vorteile darzubieten. Als »vernickelt« kommen auch vielfach aus nickelplattiertem Eisenblech hergestellte Gegenstände in den Handel, die den bei weitem stärkern Nickelüberzug erheblich länger konservieren als galvanisch vernickelte Waren.
Vgl. Hartmann, Das Verzinnen, Vernickeln etc. (Wien [* 35] 1886).
(spr. wernjeh), Pierre, Mathematiker, geb. 1580 zu Ornans in Burgund, gest. als Münzdirektor, Kommandant des Schlosses Ornans und Rat des Königs von Spanien, [* 36] berühmt als der Erfinder (1631) eines sinnreichen Instruments, welches seinen Namen führt, mit Unrecht aber auch Nonius [* 37] (s. d.) genannt wird. Er schrieb: »La construction, l'usage et les propriétés du quadrant, nouveau de mathématiques« (Brüssel [* 38] 1631).
(spr. wernóng), Stadt im franz. Departement Eure, Arrondissement Evreux, links an der Seine, über welche eine steinerne Brücke führt, und an den Eisenbahnlinien Paris-Le Havre [* 39] und Pacy sur Eure-Gisors, umgeben von den letzten Weinbergen, denen man stromab begegnet, hat eine schöne Kirche aus dem 12.-15. Jahrh., Militärmagazine u. Werkstätten, Fabrikation von Baumwollwaren, Wein- und Getreidehandel, Steinbrüche und (1886) 6234 Einw.
(spr. wernuh), Stadt im franz. Departement Ardèche, Arrondissement Tournon, hat eine reformierte Konsistorialkirche, Seidenproduktion, Tuchhandel und (1881) 1466 Einw.
(Ratio) wird sowohl zur Bezeichnung einer gewissen Geistes als einer gewissen Charakterbeschaffenheit gebraucht. In ersterer Bedeutung wird demjenigen Vernunft beigelegt, welcher die Fähigkeit besitzt, sachliche Gründe zu vernehmen und sich durch deren Inhalt zu seinem Urteil über Wahrheit oder Falschheit (einer Behauptung; theoretische Vernunft), Löblichkeit oder Verwerflichkeit (einer Handlungsweise; praktische ¶
oder sittliche Vernunft), Schönheit oder Häßlichkeit (eines Natur- oder Kunstgegenstandes; ästhetische Vernunft) bestimmen zu lassen. In letzterer Bedeutung heißt derjenige vernünftig, dessen Verhalten im allgemeinen durch seine Vernunft, dessen Glauben insbesondere durch seine theoretische Vernunft (wissenschaftlich begründete Überzeugung, Nationalität), dessen Wollen durch seine praktische Vernunft (sittliches Vernunftgebot, Moralität) und dessen (künstlerisches) Schaffen durch seine ästhetische Vernunft (ästhetisches Ideal, Genialität) ausschließlich bestimmt, also frei (autonom, selbstgesetzgebend), ist. Vernunft im erstgenannten Sinn ist einem Gerichtshof zu vergleichen, welcher nach unparteiischem Zeugenverhör der für und widersprechenden Aussagen über Schuld oder Unschuld des Angeklagten sein Erkenntnis fällt, daher die Vernunft, welche bezüglich Wahrheit oder Falschheit, Löblichkeit oder Verwerflichkeit, Schönheit oder Häßlichkeit dasselbe thut, auch Erkenntnisvermögen genannt wird.
Dieselbe setzt, da sie ihr Urteil immer aus Gründen ableitet, einerseits Verständnis (der Gründe), anderseits Verständigkeit (im Schließen), überhaupt Verstand (s. d.), wie dieser seinerseits einen Vorrat durch Sinn und Erfahrung gegebener Vorstellungen voraus. Der des Verstandesgebrauchs (zum Verstehen, wie der Blödsinnige; zum verständigen Denken, wie der Narr) gänzlich oder (wie der vom Rausche, Schlaf, Affekt übermannte) vorübergehend Beraubte ist auch der Vernunft unfähig.
Wie die Entscheidung des Gerichtshofs, hat jene der Vernunft einen normativen (nach Kant regulativen) Charakter; dieselbe schreibt vor, was vernünftigerweise als wahr, gut und schön anerkannt, als solches geglaubt, gewollt und geschaffen werden soll. Wird bei der Begründung derselben nur auf die nächsten und nähern Gründe Bezug genommen, so heißt die Vernunft reflektierend und ihr Verfahren (vernünftige) Überlegung (Räsonnement); wird dagegen bis zu den letzten, einer weitern Begründung weder fähigen (Prinzipien, Axiome) noch bedürftigen (Ideen, evidente Urteile) Gründen zurückgegangen, so heißt die Vernunft spekulierend und ihr Verfahren (vernünftiges) Nachdenken (Philosophie).
Letzteres, als vollkommenste Form der Begründung, wird wohl auch vorzugsweise Vernunft und die Philosophie (s. d.) als Wissenschaft von den Prinzipien und Ideen vorzugsweise Vernunftwissenschaft genannt. Gegensatz der in diesem Sinn ist die Unvernunft, welche entweder (aus Unverstand) keinerlei Gründe vernimmt, oder (aus Unverständigkeit) auf keine solchen hört (grundlos urteilt); ferner die Widervernunft, welche ihr Urteil durch andre als sachliche Gründe (z. B. durch die Motive der Furcht, Hoffnung, Mode, des Zwanges, der Autorität etc.), und die Scheinvernunft, welche dasselbe durch falsche (d. h. den Schlußsatz nur scheinbar begründende) Gründe bestimmen läßt (Sophistik).
Gegensatz der in der zweiten Bedeutung, bei welcher dieselbe mit der Freiheit (Autonomie, Selbstgesetzgebung) identisch erscheint, ist die Unmündigkeit, welche entweder, wie der seiner Vernunft bleibend (wie der Wahnsinnige) oder vorübergehend (wie der Leidenschaftliche) Beraubte, keine (vernünftige) Einsicht besitzt, oder, wie die Willkür (transcendentale Freiheit), ihren Willen nicht durch Gründe bestimmen läßt (grundlos will); ferner die Unfreiheit (Heteronomie), welche ihr Wollen durch andre Gründe als durch das Vernunfturteil (durch Hoffnung auf Lohn, durch Furcht vor Strafe etc.), und die Scheinfreiheit, welche dasselbe durch das Urteil einer (sophistischen) Scheinvernunft bestimmen läßt. Insofern der Mensch beiderlei Arten der Vernunft fähig ist, verdient er den Namen Vernunftwesen.
(Naturrecht, philosophisches Recht), der Inbegriff der Rechtsgrundsätze, welche durch Nachdenken als die der Rechtsidee entsprechenden gefunden werden. Im engern Sinn faßt man unter Vernunftrecht oder Naturrecht auch wohl diejenigen Rechte zusammen, welche dem Menschen als solchem und abgesehen von besondern staatlichen und gesellschaftlichen Zuständen zukommen und gewissermaßen angeboren sein sollen (s. Menschenrechte). Den Gegensatz zu diesem Vernunftrecht bildet das positive Recht der einzelnen Staaten.
Dies allein als der Ausdruck des staatlichen Gesamtwillens, welchem sich der Einzelwille fügen muß, kann praktische Geltung beanspruchen, welche dem Vernunftrecht um des willen versagt werden muß, weil gerade auf dem rechtsphilosophischen Gebiet die Ansichten sehr weit auseinander gehen. Auf der andern Seite ist aber die Rechtsphilosophie, d. h. die philosophische Untersuchung über Begriff und Wesen von Recht und Rechtsverhältnis, als eine wichtige Grundlage der Rechtswissenschaft anzusehen, wie sie zugleich einen integrierenden und wichtigen Bestandteil der Philosophie überhaupt bildet.
Denn wie es im allgemeinen die Aufgabe der letztern ist, aus den äußern, wechselnden Erscheinungen und Zuständen des menschlichen Lebens das diesen zu Grunde liegende Gesetz und ihren letzten Grund zu erforschen, so liegt es ihr auch ob, durch Feststellung der Idee des Rechts eine sichere Norm für die Beurteilung der bestehenden angeblichen Rechte und Rechtsordnung zu gewinnen. Auf diese Weise wird zugleich dem Recht eine tiefere Begründung gegeben und die Möglichkeit eröffnet zur Fortentwickelung der bestehenden Gesetzgebung im Geiste der Rechtsidee.
Während das Altertum die geistvollen Ausführungen eines Platon und eines Aristoteles über den letzten Grund von Staat und Recht und über die idealen Zwecke der Staats- und Rechtsordnung aufzuweisen hat, ist im Mittelalter eine völlige Nichtbeachtung jener philosophischen Grundlage und ein starres Festhalten am Buchstaben des Gesetzes vorherrschend. Erst Hugo Grotius stellte den Grundsatz von der Vernunftmäßigkeit desjenigen Rechts, das aus der Geselligkeit der Menschennatur entspringt, und die Möglichkeit der Ableitung einer Rechtswissenschaft aus der Natur des Menschen (Naturrecht) auf, weshalb man ihn wohl den Vater des Vernunftrechts genannt hat.
Ihm folgten Pufendorf, Thomasius, Locke, Wolf, Montesquieu, Rousseau und Kant, Fichte, [* 41] deren Nachfolger, die sogen. Naturrechtslehrer (Rotteck u. a.), die Philosophie als die ausschließliche Grundlage der Rechtswissenschaft hinstellten oder doch das philosophische Moment in einseitiger Weise hervorhoben. Dies veranlaßte die Reaktion der sogen. historischen Schule, welche unter Hugos Führung mit der philosophischen den Kampf aufnahm und die Einseitigkeit der letztern mit einer ähnlichen auf der rechtshistorischen Grundlage erwiderte, bis besonders durch Savignys Wirken die gleichmäßige Bedeutung von Philosophie und Geschichte für die Rechtswissenschaft zur Anerkennung und Würdigung gelangte (s. Rechtswissenschaft).
Vgl. Trendelenburg, Naturrecht (2. Aufl., Leipz. 1868);
Stahl, Philosophie des Rechts (4. Aufl., Heidelb. 1870);
Ahrens, Naturrecht (6. Aufl., Wien 1871, 2 Bde.);
Röder, Grundzüge des Naturrechts (3. Aufl., Leipz. 1883);
Lasson, Rechtsphilosophie (Berl. 1880);
Dahn, Die Vernunft im Recht, Grundlagen der Rechtsphilosophie (das. 1879);
v. Jhering, Der Kampf ums Recht (8. Aufl., Wien 1886);
Derselbe, Der Zweck im Recht (2. Aufl., Leipz. 1884-86, 2 Bde.);
Belime, Philosophie du droit (4. Aufl., ¶
Par. 1881, 2 Bde);
Dorf und Kantonshauptort im deutschen Bezirk Lothringen, Landkreis Metz, [* 44] hat eine kath. Kirche, ein Amtsgericht und (1885) 255 Einw.
nuōva, Kreishauptort in der ital. Provinz Brescia, am Strone und der Eisenbahn Brescia-Cremona, mit Tribunal, Seidenindustrie, Handel und (1881) 4224 Einw. Nordwestlich davon Verola vecchia, mit Schloßruinen und 2186 Einw.
(das antike Verulä), Stadt in der ital. Provinz Rom, Kreis [* 45] Frosinone, Bischofsitz, mit (1881) 3835 Einw.
(spr. weróng), 1) Louis Désiré, franz. Journalist, geb. zu Paris, studierte Medizin und wurde 1824 zum Oberarzt bei den königlichen Museen ernannt. Um 1829 gründete er die »Revue de Paris«, gab aber diese Zeitschrift 1831 auf, um Direktor der Großen Oper zu werden. In dieser Stellung erwarb er sich namentlich durch die Ausführung von »Robert der Teufel« von Meyerbeer, »Der Maskenball« von Auber, »Die Jüdin« von Halévy und dem Ballett »Die Sylphide« ein enormes Vermögen, legte aber 1835 die Direktion wieder nieder und übernahm die Leitung des »Constitutionnel«, welches Journal er durch die Mitteilung des »Ewigen Juden« von Eugen Sue im Feuilleton rasch in die Höhe brachte.
Dasselbe, seit 1844 Vérons Eigentum, war bis 1848 das offizielle Organ Thiers' und verteidigte hierauf die bonapartistische Politik. 1852 trat als Abgeordneter des Seinedepartements in den Gesetzgebenden Körper. Seine »Mémoires d'un bourgeois de Paris« (1854, 6 Bde.) und die Fortsetzung: »Nouveaux mémoires, etc.« (1866),
zwei Sittenromane, ferner der Roman »Cinq cent mille francs de rente« (1855, 2 Bde.) sind für die Charakteristik jener Zeit interessant. Véron starb Der »Societé des gens de lettres«, deren Mitglied er war, schenkte er 20,000 Frank zur Stiftung eines Preises für hervorragende litterarische Leistungen.
2) Eugène, franz. Schriftsteller, geb. zu Paris, besuchte die Normalschule daselbst, war mehrere Jahre als Lehrer angestellt und widmete sich sodann dem freien Unterricht. Seit mehreren Jahren als Mitarbeiter an Journalen thätig, übernahm er 1868 die Chefredaktion des »Progrès de Lyon«, [* 46] gründete 1871 in Lyon das Blatt [* 47] »La France républicaine«, das indes bald von dem Präfekten Ducros unterdrückt wurde, und leitete seit 1875 die Wochenschrift »Courrier de l'art«. Véron starb im Juni 1889 in Sables d'Olonne. Er schrieb: »Du progrès intellectuel dans l'humanité« (1862);
»Les institutions ouvrières de Mulhouse« (1866);
»Histoire de la Prusse depuis Frédéric II jusqu'à Sadowa« (1867, 4. Aufl. 1886);
»Histoire de l'Allemagne depuis Sadowa« (1874);
den Text zu dem Stahlstichwerk »La troisième invasion« (1876-77);
»L'esthétique« (1878);
»La mythologie dans l'art ancien et moderne« (1878);
»Histoire naturelle des religions« (1884, 2 Bde.);
»La morale« (1884);
»Eugène Delacroix« (1887) u. a.
3) Pierre, franz. Schriftsteller und Journalist, geb. 1833 zu Paris, machte sich 1854 durch einen Band [* 48] Gedichte: »Réalités humaines«, bekannt, trat dann in die Redaktion der »Revue de Paris«, wurde 1859 Mitarbeiter, dann Chefredakteur des »Charivari« und lieferte Beiträge fast zu allen Witzblättern Frankreichs. Neben seiner journalistischen Thätigkeit fand er Zeit, Jahr für Jahr humoristische Studien zur Sittengeschichte erscheinen zu lassen. Wir nennen davon: »Paris s'amuse« (1861);
»Les Souffre-plaisir« (1863);
»Monsieur [* 49] et Madame Tout-le-monde« (1867);
»La mythologie parisienne« (1867);
»L'âge de fer blanc« (1868);
»Paris à tous les diables« (1874);
»Le nouvel art d'aimer« (1877);
»Les mangeuses d'hommes« (1878);
»En 1900« (1878);
»La comédie du voyage« (1878);
»Ohé! Vitrier« (1879);
»Visages sans masques« (1879);
»Paris vicieux« (1880-86, 4 Bde.) u. a. Außerdem brachte er ein Lustspiel: »Sauvé, mon Dieu« (1865), mit H. Rochefort zur Aufführung.
Provinz in der ital. Landschaft Venetien, grenzt im O. an die Provinzen Vicenza und Padua, [* 50] im S. an Rovigo und Mantua, [* 51] im W. an Brescia (teilweise durch den Gardasee), im N. an Tirol [* 52] und hat einen Flächenraum von 2747, nach Strelbitsky 3181 qkm (57,77 QM.) mit (1881) 394,065 Einw. Die Provinz ist im nördlichen Teil Gebirgsland (Monte Baldo 2198 m und Lessinische Alpen), [* 53] im südlichen Teil Ebene und wird von der Etsch, dem Tartaro und Mincio (Abfluß des Gardasees) bewässert.
Produkte sind: Getreide [* 54] (1887: 449,600 hl Weizen, 609,700 hl Mais, 222,100 hl Reis), Kartoffeln, Wein (328,200 hl), Obst, Seide [* 55] (2,7 Mill. kg Kokons), etwas Öl, Pferde [* 56] (10,538), Vieh (76,301 Rinder) [* 57] und Marmor. Die Waldungen umfassen nur 21,134 Hektar. Mineralquellen finden sich insbesondere zu Caldiero. Unter den Industriezweigen sind die Seidenspinnerei, Erzeugung von Nähseide, Färberei, Baumwollmanufaktur, Gerberei, Fabrikation von Wachswaren, Rizinusöl, Glas, [* 58] Schafwollwaren etc. zu erwähnen. Die Provinz zerfällt in elf Distrikte.
Hauptstadt der gleichnamigen ital. Provinz, Festung [* 59] ersten Ranges, liegt 71 m ü. M. an der Etsch, welche die Stadt in großem Bogen [* 60] durchströmt und den größern westlichen Stadtteil von dem Fünfeck [* 61] am linken Ufer trennt, an der Eisenbahn Mailand-Venedig, von welcher hier nördlich die Linie nach Tirol über den Brenner, südlich die Linien nach Mantua-Modena und nach Rovigo abzweigen. Die breiteste und schönste Straße ist der Corso Vittorio Emanuele, welcher von der Porta nuova, einem der berühmten Thore von Sanmicheli (von 1540), bis zum Portone della Brà führt.
Unter den Plätzen sind hervorzuheben: die Piazza d'Erbe, mit einer Marmorsäule, die einst den venezianischen Löwen [* 62] trug, einem Brunnen mit der antiken Statue Veronas und dem 94 m hohen Rathausturm;
die mittelalterliche Piazza dei Signori, mit dem Denkmal Dantes (von Zannoni), und die Piazza Vittorio Emanuele (ehemals Brà), durch das zweibogige Stadtthor Portone della Brà von dem gleichnamigen Corso geschieden.
Unter den Kirchen der Stadt verdienen Auszeichnung: der Dom Santa Maria (im 8. Jahrh. errichtet, mehrfach umgebaut), mit Fresken von 1500, Altargemälde von Tizian und romanischer Taufkapelle (1122-35 erbaut);
San Zeno, ein romanischer Bau aus dem 11. und 12. Jahrh., mit prächtigem Portal, einem Turm [* 63] aus dem 11. Jahrh., im Innern mit einer antiken Porphyrvase, Gemälden von Mantegna u. a.;
San Bernardino (neuerdings restauriert), mit der berühmten Cappella Pellegrini, einem ausgezeichneten Renaissancebau v. Sanmicheli;
San Fermo Maggiore, eine gotische Kirche mit schöner Holzdecke u.
[* 42] ^[Abb.: Wappen [* 64] von Verona.] ¶
romanischer Krypte;
Sant' Anastasia, ein gotischer Bau (1290-1450) mit unausgeführter Fassade, reichem Portal, vielen Denkmälern u. Gemälden;
San Giorgio in Braida (1477 im Renaissancestil umgebaut), mit Gemälden von Paolo Veronese u. a.;
Santa Maria in Organo (schon 866 erneut, 1481 umgebaut), in schöner Frührenaissance mit unvollendeter Fassade von Sanmicheli;
San Nazario e Celso (aus dem 11. Jahrh.);
dahinter eine Felsenkirche mit altchristlichen Malereien.
Vor dem Kirchlein Santa Maria Antica erheben sich die herrlichen gotischen Grabmäler der Scala. Zu den hervorragendsten Palastbauten gehören: der Palazzo della Ragione (von 1183), der Tribunalpalast, der Palazzo della Prefettura (von 1272) mit Portal von Sanmicheli und der Palazzo del Consiglio (1873 restauriert) mit glänzender Fassade, offener Halle [* 66] des Erdgeschosses und den Statuen berühmter Veroneser. Bemerkenswerte Paläste sind noch: die Casa dei Mercanti (aus dem 13. Jahrh.);
das Rathaus;
der Palast der Gran [* 67] guardia vecchia (von 1610, jetzt zu verschiedenen öffentlichen Zwecken dienend);
die von Sanmicheli erbauten Paläste Canossa, Bevilacqua, Pellegrini, Guastaverza und Pompei, letzterer das Museo civico enthaltend;
endlich der Palazzo Maffei (1668, mit berühmter Wendeltreppe) und der Palazzo Giusti mit schönem aussichtsreichen Garten [* 68] (berühmte alte Cypressen).
Auch der neue Friedhof mit dorischer Säulenhalle verdient Erwähnung. Verona besitzt viele Altertümer, darunter das gut erhaltene berühmte Amphitheater (arena). Dasselbe wurde wahrscheinlich unter Antoninus erbaut, ist von ovaler Form, 152 m lang, 123 m breit und hat einen Umfang von 435 m. Außen hatte es zwei Stockwerke Arkaden; das Innere besteht aus 46 Sitzreihen mit etwa 22,000 Plätzen. Andre Denkmäler aus dem Altertum sind: die Porta Borsari, eine Art Triumphbogen, vom Kaiser Gallienus 265 erbaut;
der Arco dei Leoni und die Überreste eines römischen Theaters. Zu den alten Baudenkmälern gehören ferner: das Castel San Pietro, die alte Burg Dietrichs von Bern [* 69] (jetzt Festungswerk und Kaserne), und das Castel vecchio, die 1355 von Cangrande II. erbaute Burg der Scala, an der Etsch, durch eine mit Zinnen bekrönte Festungsbrücke mit dem linken Ufer verbunden (jetzt gleichfalls Kaserne und Zeughaus).
Die Zahl der Einwohner beträgt (1881) 60,768 (als Gemeinde 68,741), welche ansehnlichen Handel mit Seide, Wein, Getreide, Öl etc., besonders seit Vollendung der Brennerbahn bedeutenden Transithandel nach Deutschland [* 70] betreiben und Seidenfilanden, Seiden-, Schafwoll- und Baumwollwebereien, Färbereien, Gerbereien und Seilereien, Fabriken für Möbel, [* 71] Musikinstrumente etc. unterhalten. Verona hat ein Lyceum und Gymnasium mit Bibliothek, ein Seminar, ein bischöfliches Lyceum und Gymnasium, eine technische Schule, eine Akademie für Ackerbau, Handel und Gewerbe, eine Maler- und Bildhauerakademie, eine Philharmonische Gesellschaft, ein Taubstummeninstitut, eine städtische Bibliothek, ein städtisches Museum mit wichtiger Gemäldesammlung, Sammlungen von Münzen [* 72] (22,000), naturgeschichtlichen Gegenständen etc., das Museo lapidario mit Altertümern, 3 Theater [* 73] und verschiedene Wohlthätigkeitsanstalten sowie 2 Banken. Verona ist Sitz des Präfekten, eines Bischofs, eines Tribunals, einer Finanzintendanz, eines Hauptzollamts, einer Handels- und Gewerbekammer und des Generalkommandos des 3. Armeekorps.
Als Festung ist Verona von großer strategischer Wichtigkeit, indem es gleichzeitig Oberitalien [* 74] beherrscht und den Schlüssel zu Tirol von Süden her bildet. Die Stadt ist Geburtsort zahlreicher berühmter Männer (Catull, Macer, Vitruvius, der Scala, des Malers Paolo Veronese u. a.). In dem nahegelegenen San Michele Extra (mit 2582 Einw.), Geburtsort des berühmten Baumeisters Sanmicheli, die schöne von diesem Meister erbaute Rundkirche Santa Madonna di Campagna.
Verona ist eine der ältesten Städte Italiens. [* 75] Ihre ersten Bewohner waren Rätier, welche in Verona unter der spätern Herrschaft der keltischen Cenomanen überwogen. Erst als Kolonie des Kaisers Augustus wurde Verona eine große, blühende Stadt. Decius schlug hier 249 den Kaiser Philippus, Konstantin 312 den Pompejanus. 403 gewann Stilicho hier einen Sieg über Alarich. Attila plünderte und verwüstete 452 die Stadt. Dann war sie Residenz des Ostgotenkönigs Theoderich, der hier 489 den Odoaker besiegt hatte und daher in der Sage Dietrich von Bern (d. h. Verona oder Welsch-Bern) heißt.
Auch die Könige der Langobarden residierten zum Teil hier, bis an das fränkische Reich kam. Im Kampf gegen Kaiser Friedrich I. stand es mit an der Spitze des Lombardischen Städtebundes. Darauf ward es durch die Parteikämpfe der Adelsparteien, der Montecchi (Ghibellinen) und der San Bonifazios (Guelfen), erschüttert. Zu Anfang des 13. Jahrh. bemächtigten sich die Ezzelini, die Beschützer der Montecchi, der Stadt. Nach dem Tod Ezzelinos da Romano (1259) wählten die Veroneser 1260 Mastino della Scala zum Oberhaupt (Podesta), dessen Familie 127 Jahre lang die herrschende blieb und unter Cangrande I. ihre höchste Macht und Blüte [* 76] erreichte. 1387 kam Verona unter Mailands, 1405 unter Venedigs und mit diesem nach dem Sturz des französischen Kaiserreichs unter Österreichs Herrschaft, welche 1866 ihr Ende erreichte. Seitdem gehört Verona zum Königreich Italien. [* 77] Eine europäische Berühmtheit erlangte Verona durch den hier vom Oktober bis Dezember 1822 abgehaltenen Kongreß der Mitglieder der Heiligen Allianz zur Zügelung der europäischen Revolution. Der wichtigste Beschluß war die Übertragung der Intervention in Spanien an Frankreich.
Vgl. Ronzani, Le antichità di Verona (Verona 1833);
Perini, Storia di Verona dal 1790-1822 (das. 1873-75, 3 Bde.).
Paul (eigentlich Paolo Caliari), ital. Maler, geb. 1528 zu Verona als Sohn des Bildhauers Gabriele Caliari, wurde Schüler seines Oheims Antonio Badile und hatte schon eine Zeitlang in Verona Altarbilder und Fresken im Stil der veronesischen Schule, aber freier und großartiger geschaffen, als er um 1548 nach Mantua, wo er im Dom thätig war, und 1555 nach Venedig [* 78] berufen wurde, wo er an der Decke [* 79] der Sakristei in der Kirche San Sebastiano die Krönung Mariä und die vier Evangelisten und 1556 an der Decke des Kirchenschiffs drei Darstellungen aus der Geschichte der Esther in Fresko malte, denen um 1557 das Hochaltarbild mit der Himmelskönigin und in den nächsten Jahren bis 1570 der übrige Schmuck der Kirche und zuletzt das Gastmahl beim Pharisäer Simon (jetzt in der Brera zu Mailand) [* 80] folgten. In dieser Zeit entwickelte sich sein Stil unter dem Einfluß der Venezianer zu voller Reife. Die Grundlage desselben hatte er von Verona mitgebracht, namentlich das Kolorit, das, obwohl verwandt mit dem venezianischen, sich doch durch seinen Silberton und seine milde Harmonie von jenem unterscheidet. Tizian hat offenbar einen großen Einfluß auf ihn geübt; aber er wußte seine Selbständigkeit neben jenem zu bewahren. In seinem »reifen Stil erkennt man überall die alte, ruhig in sich beschlossene venezianische Existenzmalerei, welche es, ¶
selbst wo sie erzählt, für ihre Hauptaufgabe hält, die einzelnen, vom höchsten Lebensgefühl getragenen Gestalten in harmonischem Gleichgewicht [* 82] zur Anschauung zu bringen. Zugleich aber tritt das dekorative Prinzip mit seiner Verteilung der Formen und Farben nach den Gesetzen großartiger, frei und leicht bewegter, niemals strenger und starrer Monumentalität, den Bedürfnissen der Wand- und Deckenmalerei entsprechend, so herrschend in den Vordergrund von Paolos Schaffen, daß er bis auf den heutigen Tag der klassische Vertreter dieser dekorativen Malerei im höchsten Sinn des Wortes geblieben ist und sein Freskostil auch für seine Staffeleigemälde maßgebend wurde. Die Bewegungsmotive, die er seinen Gestalten und Gruppen verleiht, richten sich zunächst nach dem großen, hellern, dekorativen Linienzug, der sich durch seine Flächen bewegt; seine Farbenakkorde, denen zuliebe phantastisch-reiche Kostüme [* 83] bevorzugt werden, folgen demselben Zug, ohne, bei aller Glut im einzelnen, den feinen, gedämpften veronesischen Silbergrundton zu verleugnen. Wunderbar aber versteht der Meister es, eine lebenswahre, ja realistische Auffassung der Gestalten und Situationen von diesen dekorativen Linienwogen und Farbenfluten tragen zu lassen.« (Woermann.) Veronese behielt seinen Wohnsitz in Venedig, war aber zu wiederholten Malen auch in der Umgegend thätig, so 1560-61 in der Villa Tiene bei Vicenza, wo er mit G. Zelotti allegorische Darstellungen und solche aus der alten Geschichte ausführte, um 1566 in der Villa der Barbari zu Maser bei Treviso, wo er mit Zelotti eine Reihe von Zimmern und Sälen ausmalte, eine seiner dekorativen Hauptschöpfungen, und nach 1572 im Schloß Magnadole im Gebiet von Treviso, wo er Fresken aus der alten Geschichte, darunter die Familie des Dareios und das Gastmahl der Kleopatra, malte. Veronese starb in Venedig.
Die Zahl seiner Werke, an deren Ausführung sich später zahlreiche Gehilfen und Schüler beteiligten, ist sehr groß. Von den in Venedig ausgeführten dekorativen Malereien sind die bedeutendsten: die Gestalten der Musik, der Geometrie, der Arithmetik und des Ruhms in ovalen Deckenfeldern der Libreria vecchia, die auf Leinwand gemalten mythologischen Deckenbilder für den Bankettsaal des Fondaco dei Tedeschi (jetzt im Museum zu Berlin), [* 84] die Decken- und Wandbilder in verschiedenen Sälen des Dogenpalastes (darunter die thronende Venezia, der Sieg von Lepanto und die Apotheose Venedigs).
Eine besondere Gruppe unter seinen religiösen Darstellungen bilden die »Gastmähler«, nach Motiven aus dem Neuen Testament, üppige Schilderungen venezianischer Tafelfreuden in phantastischen Hallen und Palasträumen, von denen eins, das Gastmahl bei Levi (1572, jetzt in der Akademie zu Venedig),
dem Inquisitionstribunal Veranlassung gab, den Maler 1573 einem peinlichen Verhör zu unterziehen, weil er »Narren, betrunkene Deutsche, Zwerge und andre Albernheiten« auf dem Bilde dargestellt hatte. Die andern Hauptwerke dieser Gattung sind: die Hochzeit zu Kana (1561) und das Gastmahl beim Pharisäer (beide im Louvre zu Paris), das Gastmahl bei Simon (in der Galerie zu Turin), die Hochzeit zu Kana und Christus und die Jünger von Emmaus (in der Galerie zu Dresden). [* 85]
Von den Kirchenbildern Veroneses sind noch als die hervorragendsten zu nennen: die Vermählung der heil. Katharina (in Santa Caterina zu Venedig), das Martyrium der heil. Justina (in Padua), das Martyrium des heil. Georg (in Verona), die Anbetung der Könige (Exemplare in Venedig, Mailand, Wien und Dresden) und die Familie Cuccina vor der thronenden Maria (in der Dresdener Galerie). Veroneses glänzende Farbenlust zeigt sich besonders in feinen Ölgemälden aus der antiken Mythologie und Geschichte. Der Raub der Europa [* 86] (im Dogenpalast zu Venedig und in der kapitolinischen Galerie zu Rom) und die Familie des Dareios (in der Nationalgalerie zu London) [* 87] sind seine Hauptwerke dieser Gattung. Endlich hat er auch zahlreiche Einzelbildnisse gemalt, in welchen er eine Verwandtschaft mit Tintoretto zeigt. - Auch nach seinem Tod wurde seine Malweise noch eine Zeitlang von seinem Bruder Benedetto (1538-98), seinen Söhnen Carlo (1570-96) und Gabriele (1568-1631) und seinen Schülern fortgesetzt.
Vgl. Janitschek in Dohmes »Kunst und Künstler«, Bd. 3; Caliari, Paolo Veronese (Rom 1888).
Erde (Veroneser Grün), s. Grünerde. ^[= meist zerreibliche Mineralien von seladongrüner, in das Schwärzlichgrüne oder in das Berggrüne ...]
Gelb, s. v. w. Neapelgelb. ^[= (Antimongelb), im wesentlichen aus antimonsaurem Bleioxyd bestehende Farbe, wird erhalten, indem ...]
Tourn. (Ehrenpreis), Gattung aus der Familie der Skrofulariaceen, Kräuter und Sträucher, selten Bäume mit gegen-, selten wirtel- oder wechselständigen Blättern, einzeln achselständigen, meist in terminalen oder axillaren Trauben und Ähren gestellten Blüten und zweiklappigen, vielsamigen Kapseln. [* 88] Etwa 200 Arten in den gemäßigten und kältern Klimaten, von denen mehrere bei uns als Unkräuter auf Feldern, Wiesen etc. wachsen.
Von Veronica Beccabunga L. (Bachbunge), in Quellen, Bächen wachsend, durch ganz Europa, mit rundlichen oder länglich-eiförmigen, klein gesägten bis fast ganzrandigen Blättern und himmelblauen Blüten, wurde das etwas scharf schmeckende Kraut früher gegen Unterleibsstockungen etc. angewendet; auch wird es in einigen Gegenden als Salat gegessen.
Von Veronica Chamaedris L. (wilder Gamander, Frauenbiß), auf Wiesen, Ackerrainen, an Wegen, war früher das Kraut, gewöhnlich mit den Blüten gesammelt, wie das von Veronica officinalis L. (echter Ehrenpreis, Grundheil) offizinell. Letzteres, mit kurzgestielten, verkehrt-eiförmig-elliptischen, gesägten Blättern und blaßblauen, dunkel geäderten Blüten in achselständigen Trauben, wächst auf Heiden, in Laub- und Nadelholzwäldern, und die Blätter wurden auch als »europäischer Thee« statt des chinesischen empfohlen. Mehrere Arten, Sommergewächse, Stauden und immergrüne Kalthaussträucher, werden als Zierpflanzen kultiviert.
die heilige, nach der mittelalterlichen Legende eine fromme Frau in Jerusalem, [* 89] welche dem Herrn Jesus auf seinem Todesgang ihr Kopftuch zum Abtrocknen von Schweiß und Blut darreichte und zum Lohn dafür auf dem zurückgereichten Tuch den treuen Abdruck seines Antlitzes erhielt. Im Besitz desselben zu sein, rühmen sich heute die Peterskirche in Rom, Mailand und Jaen. Wie die Frau, so wurde aber auch das Bild selbst Veronika genannt, weshalb man seit Mabillon und Papebroek den Namen auf Veraikon = wahres Bild, zurückführen wollte.
Aber schon Reiske (»De imaginibus Jesu Christi«, 1685) hat nachgewiesen, daß Veronika gleich Beronike, Berenike ist, wie in der judenchristlichen Legende der Clementinen die von Jesus geheilte Tochter des kanaanitischen Weibes, in den Pilatusakten und bei Rufinus, Cassiodor, Cedrenus und Malalas die von zwölfjährigem Blutfluß Geheilte heißt, d. h. also dieselbe Frau, welche nach Eusebius Jesu eine Erzstatue in Paneas gesetzt haben soll. Die seit etwa 500 nachweisbare Sage will also von Haus aus bloß die Treue der Gesichtszüge jenes angeblichen Christus zu Paneas beglaubigen. Sie ist nur der im Abendland weitergebildete ¶