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littéraires« (1854, 2 Bde.) zu erwähnen. S. starb in Paris. [* 2] Eine Gesamtausgabe seiner auch teilweise ins Deutsche [* 3] übersetzten Werke erschien in der »Collection Lévy« (60 Bde.).
littéraires« (1854, 2 Bde.) zu erwähnen. S. starb in Paris. [* 2] Eine Gesamtausgabe seiner auch teilweise ins Deutsche [* 3] übersetzten Werke erschien in der »Collection Lévy« (60 Bde.).
(spr. ssuwinji), Stadt im franz. Departement Allier, Arrondissement Moulins, an der Eisenbahn Moulins-Montluçon, mit alter gotischer Kirche (früher Begräbnisort der Fürsten von Bourbon), Glasfabrikation, [* 4] Weinbau und (1881) 1943 Einw.
(spr. ssusa), Adelaïde Marie Emilie, Gräfin von Flahaut, dann Marquise von S., geborne Filleul, franz. Schriftstellerin, geb. zu Paris, heiratete 1784 den Grafen Flahaut, floh, nachdem derselbe 1793 guillotiniert worden, mit ihrem Sohn (dem nachherigen Adjutanten Napoleons I. und spätern General Flahaut) nach England und ward dort durch Mangel zur Schriftstellerei getrieben. So entstanden ihre »Adèle de Sénanges« (Lond. 1794, 2 Bde.) und der Roman »Émile et Alphonse« (Hamb. 1799, 3 Bde.). Nach ihrer Rückkehr nach Paris heiratete sie 1802 den portugiesischen Gesandten José Maria de S.-Botelho, der sich durch Herausgabe einer Prachtausgabe der »Lusiaden« (Par. 1817) um die Litteratur seines Vaterlandes verdient gemacht hatte. Es erschienen darauf nacheinander: »Charles et Marie« (1802);
»Eugène de Rothelin« 1808, 2 Bde.);
»Eugène et Mathilde« (1811, 3 Bde.);
»Mademoiselle de Tournon« (1820, 2 Bde.);
»La comtesse de Fargy« (1823, 4 Bde.) u. a. S. starb in Paris.
Man rühmt ihren Schriften treffende Schilderung der Leidenschaften, gute Beobachtung, klaren und geistreichen Stil und äußerste Delikatesse in Situationen und Worten nach. Ihre »Œuvres complètes« erschienen 1811-22, 6 Bde.; Auswahl 1840 u. öfter.
(Soóvár, Salzburg), [* 5] Dorf im ungar. Komitat Sáros, südlich von Eperies, mit (1881) 1307 slowakischen und deutschen Einwohnern, großem Salzsiedewerk, Forst- und Bergamt.
Der Sóvárer Gebirgszug der Karpathen erstreckt sich zwischen der Tarcza und Topla von Bartfeld in südlicher Richtung bis an die Tokayer Berge (die Hegyalja).
Vgl. Gesell, Geologische Verhältnisse des Steinsalzbergbaugebiets von S. (Pest 1886).
(spr. ssowwerin), seit 1816 ausgeprägte brit. Goldmünze, = 1 Pfund Sterling (s. d.).
frühere lombardisch-venez.
Goldmünze von 40 Lire austriache, = 28,4548 Mk.
bei naturwissenschaftl. Namen Abkürzung für James Sowerby (s. d.).
(spr. ssauerbi), zwei aneinander stoßende Städte (S. und S. Bridge), im westlichen Yorkshire (England), am Calder, südwestlich von Halifax, [* 6] mit Baum- und Kammwollspinnerei, chemischen Fabriken, Wachstuchfabrikation und (1881) 14,903 Einw.
(spr. ssauerbi) James, Naturforscher und Maler, geb. zu London, [* 7] besuchte die königliche Akademie, widmete sich dann aber den Naturwissenschaften, speziell der Botanik und Malakozoologie. Er starb in Lambeth. Von seinen Arbeiten sind hervorzuheben: »Coloured figures of English Fungi« (Lond. 1797-1809, 3 Bde. u. Supplement);
»English botany« (das. 1790-1814, 36 Bde. mit 2592 kolorierten Tafeln; Supplement 1831 ff.; 3. Aufl. von Syme, 1863-72, 11 Bde.);
»Mineral conchology« (das. 1841, 6 Bde.; deutsch von Desor und Agassiz).
Die letzten beiden großen Werke setzte sein Sohn James de Carle S., geb. 1787, gest. 1854, fort. Dieser gab auch heraus: »The ferns of Great Britain« (mit Johnson, Lond. 1855);
»The fern-allies« (das. 1856);
»Grasses of Great-Britain« (das. 1857-58, neue Ausg. 1883);
»British wild flowers« (mit Johnson, das. 1863; neue Ausg. 1882);
»Useful plants of Great Britain« (das. 1862).
Sein zweiter Sohn, George Brettingham S., geb. 1788 zu London, gest. 1854, schrieb »The genera of recent and fossil shells« (Lond. 1820-24, 2 Bde. mit 264 kolorierten Tafeln); auch beteiligte er sich mit Vigors und Horsfield an der Herausgabe des »Zoological Journal«. Dessen gleichnamiger Sohn, geb. 1812, gleichfalls ein bedeutender Konchyliolog, schrieb: »Conchological illustrations« (Lond. 1841-45, 6 Bde.);
»Conchological manual« (das. 1839, neue Ausg. 1852);
»Thesaurus conchyliorum« (das. 1842-70, 30 Tle.);
»Popular British conchology« (das. 1853);
»Illustrated index of British shells« (das. 1859, 2. Aufl. 1887) etc.
Leonard, poln. Dichter und Litterarhistoriker, geb. 1831 zu Berezowka in Podolien, studierte zu Kiew, [* 8] verbrachte später sechs Jahre in der Verbannung zu Kursk, lebte seit 1868 in Warschau; [* 9] starb auf dem Gut Statkowce in Wolhynien. In seinen lyrischen Gedichten (Posen [* 10] 1878, 2 Bde.) bekundet S. schwungvolle Phantasie. Weniger Anklang fand sein Trauerspiel »Na Ukrainie« (Wien [* 11] 1873). Mit seiner großen »Geschichte der polnischen Litteratur« (Wilna [* 12] 1874-78, 5 Bde.; die ersten Bände mit Benutzung der Vorträge von Professor Zdanowicz) hat sich S. eine der ersten Stellen unter den polnischen Litterarhistorikern erworben.
(spr. ssoajoh), Hermann, Botaniker und Reisender, geb. zu Breslau, [* 13] erlernte die Gärtnerei, studierte 1872 Botanik in Berlin [* 14] und war 1873-76 als Mitglied der Loango-Expedition in Westafrika für die Deutsche Afrikanische Gesellschaft thätig. 1879 ging er im Auftrag des Wörmannschen Hauses in Hamburg [* 15] nach Gabun, um dort Kaffeeplantagen anzulegen, kehrte 1885 nach Berlin zurück und trat in den Dienst des Deutschen Kolonialvereins, für den er 1886 nach Südbrasilien ging, um die dortigen Verhältnisse zu studieren. Er nahm dort den untern Camaquam auf, in dessen Nähe eine deutsche Kolonie (San Feliciano) gegründet werden sollte, und kehrte dann nach Deutschland [* 16] zurück. Er schrieb: »Aus Westafrika« (Leipz. 1879, 2 Bde.) und »Deutsche Arbeit in Afrika« [* 17] (das. 1888).
vegetabilische Seide, [* 18] s. Asclepias. ^[= L. (Schwalbenwurz, Seidenpflanze), Gattung aus der Familie der Asklepiadeen, perennierende, ...]
amis, Cinna! (franz., spr. ssoajóng-samih, ssinna!),
»Laß uns Freunde sein, Cinna.« Citat aus Corneilles »Cinna«, Akt 5, Szene 3.
s. Aristokratie. ^[= (griech., "Herrschaft der Vornehmsten"), im staatsphilosophischen System des Aristoteles ...]
diejenige sozialistische Richtung und Partei, welche für die Klasse der Lohnarbeiter die Herrschaft in einem demokratischen Staat erstrebt, um die sozialistischen Ideen und Forderungen verwirklichen zu können. Der Begründer der S. ist der Franzose Louis Blanc (s. d. und Sozialismus). Die von ihm in den 40er Jahren in Paris gegründete Arbeiterpartei war die erste sozialdemokratische. Dieselbe erlangte vorübergehend einen Einfluß auf die Politik in Frankreich dadurch, daß zwei ihrer Führer, L. Blanc und Albert, nach der Februarrevolution 1848 Mitglieder der provisorischen Regierung wurden; sie wurde mit andern radikalen Parteien in der Junischlacht 1848 besiegt. In Deutschland war der von F. Lassalle (s. d.) gegründete Allgemeine Deutsche Arbeiterverein die erste Organisation der S. Der einzige statutarische Zweck dieses Vereins, der sich zu dem sozialistischen Programm ¶
Lassalles bekannte, war die »friedliche und legale« Agitation für das damals noch nicht in Deutschland bestehende allgemeine, gleiche und direkte Wahlrecht mit geheimer Abstimmung. Der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein, welcher unter der Präsidentschaft Lassalles nur einige tausend Mitglieder zählte und nach Lassalles Tod unter unbedeutenden Führern (Bernhard Becker, Försterling, Mende, Tölcke u. a.) sich in verschiedene, sich gegenseitig bekämpfende Parteien spaltete, gelangte erst zu größerer Bedeutung, seit das von Lassalle geforderte Wahlgesetz 1867 durch Bismarck das Wahlgesetz für den Reichstag des Norddeutschen Bundes geworden war und der begabte Litterat J. B. v. Schweitzer 1867 die Leitung übernahm.
Als Führer der Lassalleaner in den Reichstag des Norddeutschen Bundes gewählt, vertrat v. Schweitzer dort mit andern Sozialdemokraten die Sache der S. Schon unter seiner Präsidentschaft wurde das ökonomische und politische Programm des Vereins erweitert. In dem Verein vertraten Hasenclever und Hasselmann eine radikalere Richtung, diese siegte, und 1871 wurde v. Schweitzer als ein bezahlter Agent der preußischen Regierung verdächtigt und aus dem Verein gestoßen.
Unter der Führung jener beiden Männer nahm die Mitgliederzahl, nachdem inzwischen das Wahlgesetz für den Norddeutschen Bund auch das für das Deutsche Reich geworden war, in kurzer Zeit enorm zu (1873 hatte der Verein schon über 60,000 Mitglieder und in 246 Orten Lokalvereine), wurde aber auch das ökonomische und politische Parteiprogramm radikaler (Ausdehnung [* 20] des aktiven und passiven Wahlrechts für alle Staats- und Gemeindewahlen auf alle Altersklassen vom 20. Jahr ab, Abschaffung der stehenden Heere, Abschaffung aller indirekten Steuern und Einführung einer progressiven Einkommensteuer mit Freilassung der Einkommen unter 500 Thlr. und mit einem Steuerfuß von 20-60 Proz. für Einkommen über 1000 Thlr., Abschaffung der Gymnasien und höhern Realschulen, Unentgeltlichkeit des Unterrichts in allen öffentlichen Lehranstalten etc.). Hauptblatt des Vereins war der Berliner [* 21] »Sozialdemokrat«.
Die Forderungen und ganze Art der Agitation näherten sich immer mehr dem Programm und der Agitationsweise einer zweiten sozialdemokratischen Partei, welche unter dem Einfluß von Karl Marx und der internationalen Arbeiterassociation im August 1869 Wilhelm Liebknecht und August Bebel gegründet hatten. In der internationalen Arbeiterassociation war seit 1866 die erste internationale und zugleich eine radikale und revolutionäre sozialdemokratische Partei entstanden (s. über deren Programm, Organisation und Agitation die Art. Internationale und Sozialismus).
Liebknecht und Bebel, Anhänger der Internationale, setzten, nachdem sie sich lange vergeblich bemüht hatten, den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein in das Lager [* 22] der Internationale hinüberzuführen, auf einem allgemeinen Arbeiterkongreß in Eisenach [* 23] im August 1869 die Gründung einer zweiten Partei, der sozialdemokratischen Arbeiterpartei, durch, welche sich ausdrücklich als deutscher Zweig der Internationale konstituierte. Die neue Partei, vortrefflich organisiert und dirigiert (Hauptorgan der Leipziger »Volksstaat«),
entfaltete namentlich seit Anfang der 70er Jahre eine außerordentliche Rührigkeit, im Mai 1875 vereinigte sie sich mit dem Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein auf dem Kongreß in Gotha [* 24] (22.-27. Mai) zur sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands. [* 25] Das Parteiprogramm (s. d. im Art. Sozialismus), ein radikal-sozialistisches, stimmte in allen wesentlichen Punkten mit dem frühern Eisenacher Programm von 1869 überein. Der »Volksstaat« (später »Vorwärts«) wurde das Hauptorgan.
Die Partei nahm bei der fast vollen Freiheit, die man ihr gewährte, einen großen Aufschwung. Nach dem Jahresbericht von 1877 verfügte sie über 41 politische Preßorgane mit 150,000 Abonnenten, außerdem über 15 Gewerkschaftsblätter mit etwa 40,000 Abonnenten und ein illustriertes Unterhaltungsblatt, »Die Neue Welt«, mit 35,000 Abonnenten. Ein Hauptagitationsorgan waren die besoldeten, redegewandten Agitatoren (1876: 54 ganz besoldete, 14 zum Teil besoldete) und die nicht besoldeten »Redner« (1876-77). Bei den Reichstagswahlen stimmten für sozialdemokratische Kandidaten 1871: 124,655, 1874: 351,952, 1877: 493,288 (s. unten).
Die ganze Agitation war seit 1870 eine entschieden revolutionäre, mit diabolischem Geschick wurden in ihrer Presse [* 26] die radikalen sozialistischen und politischen Anschauungen der S. erörtert und in den Arbeiterkreisen der Klassenhaß geschürt und revolutionäre Stimmung gemacht. Nachdem die Reichsregierung, um dieser Agitation, welche zu einer ernsten Gefahr für den sozialen Frieden und das gemeine Wohl geworden war, wirksam entgegentreten zu können, im Reichstag vergeblich eine Verschärfung des Strafgesetzbuchs versucht hatte, griff man nach den Attentaten von Hödel und Nobiling auf Kaiser Wilhelm (11. Mai in denen man eine Folge jener Agitation erkennen mußte, zu dem Mittel eines Ausnahmegesetzes gegen die S., und es erging das zunächst nur bis gültige Reichsgesetz vom »gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der S.« Es wollte verhindern die gefährliche, das öffentliche Wohl schädigende sozialdemokratische Agitation, insbesondere Bestrebungen sozialdemokratischer, sozialistischer oder kommunistischer Art, welche, auf den Umsturz der bestehendem Rechts- oder Gesellschaftsordnung gerichtet, diesen direkt bezwecken oder in einer den öffentlichen Frieden, insbesondere die Eintracht der Bevölkerungsklassen, gefährdenden Weise zu Tage treten. Es verbot bei Strafe daher Vereine, Versammlungen, Druckschriften dieser Art sowie die Einsammlung von Beiträgen zu diesen Zwecken; Personen, welche sich die sozialdemokratische Agitation zum Geschäft machen, können aus bestimmten Landesteilen oder Orten ausgewiesen, Wirten, Buchhändlern etc. kann aus dem gleichen Grunde der Betrieb ihres Gewerbes untersagt werden.
Auch kann über Bezirke und Orte, in welchem durch sozialdemokratische Bestrebungen die öffentliche Sicherheit bedroht erscheint, der sogen. kleine Belagerungszustand mit Beschränkung des Versammlungsrechts und Ausweisung ansässiger Personen verhängt werden. Das Gesetz wurde 1880 bis zum dann bis hierauf bis und darauf nochmals bis verlängert. Das Gesetz hat nicht die Partei beseitigt, auch nicht die Zahl der Stimmen für sozialdemokratische Kandidaten bei den Reichstagswahlen auf die Dauer verringert (1881: 311,961, 1884: 549,990, 1887: 763,128); aber es hat die in hohem Grad gefährliche und gemeinschädliche Art der Agitation, wie sie früher in der sozialdemokratischen Presse betrieben wurde, verhindert. In der deutschen S. sonderte sich seit 1878 immer entschiedener unter der Führung von Most und Hasselmann eine radikale Anarchistenpartei ab, deren Hauptorgan 1879 die von Most in London herausgegebene »Freiheit« wurde, und deren Mitglieder auch in Deutschland und Österreich [* 27] eine Reihe von Attentaten gegen Beamte und von Raubmorden ¶
ausführten. Das Hauptorgan der deutschen S. und der ihr verbündeten internationalen S. wurde der seit Oktober 1879 in Zürich [* 29] erscheinende »Sozialdemokrat«. Zu einer definitiven Spaltung zwischen den Anarchisten und der sogen. gemäßigten, aber noch immer radikalen und revolutionären Bebel-Liebknechtschen Partei kam es auf dem Kongreß in Wyden (Schweiz) [* 30] im August 1880, auf dem aber auch die »gemäßigte« Richtung aus dem Gothaer Programm in dem Satz, daß die sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands mit allen gesetzlichen Mitteln ihre Ziele erstreben wolle, das Wort »gesetzlichen« strich.
Das radikale sozialistische Programm, wie es in den statutarischen Bestimmungen und Kongreßbeschlüssen der Internationale und in dem Gothaer Programm von 1875 festgesetzt wurde, ist im wesentlichen das Programm der Sozialdemokraten in allen Ländern, wo die S. besteht und organisiert ist, und dies ist außer in Deutschland heute namentlich in Österreich, Frankreich, Italien, [* 31] Spanien, [* 32] Belgien, [* 33] Dänemark [* 34] und in Nordamerika [* 35] der Fall.
Vgl. Mehring, Die deutsche S. (3. Aufl., Brem. 1879);
weitere Litteratur bei Internationale und Sozialismus.
Frage, s. Arbeiterfrage. ^[= In der A. wird das Wort Arbeiter (welches sprachlich eine Person bedeutet, die ihre Kraft äußert, ...]
Republik, der von den Sozialdemokraten angestrebte Freistaat mit Beseitigung der kapitalistischen Produktionsweise und jeglichen Klassenunterschiedes. S. Sozialdemokratie.
(lat.), nach dem in der Wissenschaft noch heute üblichsten, auch in der deutschen Gesetzgebung und im großen Publikum herrschenden Sprachgebrauch die Bezeichnung für eine bestimmte Richtung, ein bestimmtes System zur Lösung der Arbeiterfrage (s. d.). Dieser S. unterscheidet sich scharf von dem Kommunismus (s. d.), obschon er mit demselben manche Grundanschauungen teilt, namentlich den Glauben an die unbedingte Lösung dieser Frage, die ausschließliche Zurückführung der für sie in Betracht kommenden Übelstände auf verkehrte menschliche Einrichtungen und die Forderung einer gänzlichen Umgestaltung des Wirtschaftsorganismus, der Rechtsordnung und des Staatswesens der Kulturvölker, nach welcher unter Beseitigung der individuellen wirtschaftlichen Freiheit die Gesamtheit die Verantwortlichkeit und Sorge für die ökonomische und soziale Lage der Einzelnen zu übernehmen habe.
Die ihm eigentümlichen, von allen andern sozialpolitischen Richtungen (s. Arbeiterfrage) verschiedenen Anschauungen und praktischen Forderungen haben sich erst allmählich in der Geschichte des S. klarer und schärfer herausgebildet. Dieselben sind heute folgende: der Kernpunkt der sozialen Frage ist ihm die ungerechte Verteilung der Güter, und diese führt er vorzugsweise auf die Einrichtung des privaten Grundeigentums und Erbrechts und auf die freie individualistische und kapitalistische Produktionsweise mit der Trennung von Unternehmern und Lohnarbeitern, mit dem Eigentum der erstern an den Produktionsmitteln und der Herrschaft des »ehernen Lohngesetzes« über die letztern zurück. Er vertritt die falsche Ansicht der ältern englischen Nationalökonomen, daß allein die Arbeit Werte erzeuge, und behauptet, daß infolge jener Ursachen die bisherige Vermögensbildung und die heutige Verteilung der neu produzierten Güter auf einer Ausbeutung der Lohnarbeiter durch Unternehmer, Grundeigentümer und Kapitalisten, mit andern Worten der Nichtbesitzenden durch die besitzende Klasse beruhe.
Diese ungerechte Verteilung ist ihm die wesentliche Ursache des Proletariats und aller andern Übelstände in den untern Volksklassen. Beseitigung dieser Übelstände erwartet er nicht wie der Kommunismus von der völligen Gleichheit aller, aber doch von einer sehr starken Ausgleichung der ökonomischen und sozialen Unterschiede und von einer gesellschaftlichen Verfassung, in welcher allein die Arbeit einen Anspruch auf Einkommen und Vermögen gibt. Das Einkommen soll nur noch Arbeitsertrag sein.
Bekämpft wird deshalb das private Grundeigentum, das Erbrecht und die Kapitalrente (Kapitalzins und Kapitalgewinn). Jene beiden Rechtsinstitutionen sollen durch Gesetz, diese Einkommensart soll durch eine neue Organisation der Produktion: die sozialistisch-genossenschaftliche (»kollektivistische«) Produktionsweise, abgeschafft werden. Das Wesen dieser besteht darin, daß nur noch in genossenschaftlichen Kollektivunternehmungen in planmäßiger Regelung (Beseitigung der Lohnarbeit und soziale Organisation der Arbeit) produziert wird, in welchen das Eigentum an den Produktionsmitteln (Grundstücken und Kapitalien) Kollektiveigentum der Gesellschaft ist und der Ertrag nur an die Arbeiter und gerecht verteilt wird (Beseitigung des Einkommens aus Kapital und Grundstücken und des »ehernen Lohngesetzes«). Diese Umwandlung der bisherigen Produktionsweise in die sozialistische und die planmäßige Regelung der letztern soll durch den Staat geschehen.
Die Manchesterschule (s. d.) bezeichnet als S. jede direkte Mitwirkung des Staats zur Lösung der sozialen Frage, insbesondere jede staatliche Maßregel, welche zum Schutz der Arbeiter die persönliche Freiheit in der Gestaltung der Arbeitsvertragsverhältnisse einschränkt. Daher kam es, daß, als Anfang der 70er Jahre Professoren der Nationalökonomie eine solche Mitwirkung des Staats forderten, Vertreter der Freihandelsschule (H. B. Oppenheim u. a.) ebendiese Forderungen sozialistische und, weil dieselben von den Inhabern akademischer Katheder ausgingen, letztere Kathedersozialisten (s. d.) nannten. Andre nennen noch allgemeiner S. jede Richtung, welche für die Volkswirtschaft im Gegensatz zu dem Individualismus (s. d.) das soziale Prinzip betont und für die Wirtschaftspolitik als Ausgangspunkt und Ziel nicht das Individuum mit ihm zugeschriebenen Trieben und Rechten (wie es die naturrechtliche Wirtschaftstheorie oder der Smithianismus thut), sondern die Gesellschaft nimmt. Im folgenden ist von dem S. im obigen Sinn die Rede.
Als eine selbständige Wirtschaftstheorie ist dieser S. ein Produkt des 19. Jahrh.; als sein Begründer gilt mit Recht der französische Graf Saint-Simon, der auch zuerst die Lösung der sozialen Frage als die große Aufgabe der modernen Gesellschaft hinstellte. Die Vertreter des S. stimmen in den oben erwähnten allgemeinen Grundanschauungen überein, im einzelnen aber gehen sie in ihren Ansichten wie in ihren Forderungen wieder weit auseinander, so daß man deshalb verschiedene sozialistische Systeme oder Theorien (insbesondere die des Saint-Simonismus, von Ch. Fourier, L. Blanc, F. Lassalle, K. Marx) unterscheidet. Saint-Simon (s. d. 2) hat seine sozialistischen Anschauungen nicht zu einem geschlossenen System entwickelt. Das geschah erst durch seine Schüler (die Saint-Simonisten), vor allen durch den hervorragendsten derselben, Bazard (s. d.). Dieselben nannten nach ihrem Lehrer und Meister dies System den Saint-Simonismus. Die soziale Frage betrachten sie nicht nur als eine ökonomische, sondern ebensosehr als eine moralische, religiöse und politische, da es sich in ihr um eine Reform aller Verhältnisse des Volkslebens ¶
handle. Von der Ansicht ausgehend, daß die Arbeit die Quelle [* 37] aller Werte sei, sehen sie das Hauptunrecht in Staat und Gesellschaft darin, daß der nützlichste Stand, der der Arbeiter (industriels), den letzten Rang einnehme, zum weitaus größten Teil mißachtet, in traurigster Lage und politisch ohne Einfluß sei. Es sei deshalb eine neue Organisation der Gesellschaft zu bilden, in welcher die Klasse der Besitzenden und der »légistes« (Beamten, Gelehrten, Advokaten) wie die militärische Gewalt dem arbeitenden Teil der Gesellschaft untergeordnet sei, so daß an die Stelle der bisherigen feudalen Organisation des Staats eine »industrielle« trete, die zugleich das ideale Ziel Saint-Simons erreiche, »allen Menschen die freieste Entfaltung ihrer Fähigkeiten zu sichern«.
Erziehung und Ausbildung sollen auf der Grundlage einer neuen Religion, eines neuen Christentums der Bruderliebe und werkthätigen Moral, die wirtschaftliche Thätigkeit durch eine Änderung der Rechtsordnung umgestaltet werden. Um eine gerechte volkswirtschaftliche Verteilung herbeizuführen, müsse die Arbeit zum einzigen Eigentumstitel gemacht und eine Verteilung nach dem Prinzip organisiert werden: »Jedem nach seiner Fähigkeit, und jeder Fähigkeit nach ihren Werken«.
Vor allem sei das Erbrecht der Blutsverwandtschaft abzuschaffen und durch ein Erbrecht des Verdienstes zu ersetzen. Die Güter der Einzelnen sollten nach ihrem Tode der Gesamtheit zufallen, der Staat als Vertreter derselben der Erbe sein und nun die ihm anfallenden Güter denjenigen zuweisen, die sie am besten zum Wohl des Ganzen gebrauchen würden. Außerdem sollten Staatsbanken zur leichtern Gewährung eines billigen Kredits gegründet werden. Der Unterricht sollte ein unentgeltlicher, öffentlicher und zwar der allgemeine theoretische ein gleicher für alle (mit besonderer Berücksichtigung der moralischen Ausbildung), der professionelle aber ein den individuellen Fähigkeiten entsprechender sein. - Die Saint-Simonisten haben später die Bazardsche Erbrechtsreform auf die Forderung hoher progressiver Erbschaftssteuern und Aufhebung des Erbrechts in den weitern Verwandtschaftsgraden beschränkt.
Gleichzeitig mit Saint-Simon, aber völlig unabhängig von ihm, entwickelte Ch. Fourier (s. d.) ein sozialistisches System, das durch seine Schüler, besonders durch V. Considérant (s. d.), um die Mitte der 30er Jahre in Frankreich allgemeiner bekannt wurde. Im Gegensatz zu Saint-Simon konstruierte er seine neue sozialistische Gesellschaftsordnung bis ins einzelne. Er stützt dieselbe auf eine eigentümliche wissenschaftlich unhaltbare Psychologie und auf eine eingehende Kritik der ökonomischen Zustände seiner Zeit, die neben vielem Falschen wertvolle Wahrheiten enthält.
Diese Zustände erscheinen ihm von Grund aus schlecht, weil die große Masse des Volkes, durch eine kleine Zahl ausgebeutet, eine elende Existenz führe und keine Freude an der Arbeit und am Dasein haben könne. Er findet es völlig verkehrt, daß die Produktion eine individualistische (in Einzelunternehmungen) mit freier Konkurrenz sei. Durch die Existenz der vielen kleinen Unternehmungen finde eine ungeheure Verschwendung in der Benutzung der Arbeitsmittel und -Kräfte statt; würde nur in großen genossenschaftlichen Unternehmungen produziert, so könnte mit gleichem Aufwand viel mehr produziert und bei gerechter Verteilung ein höheres Genußleben für die Arbeiter herbeigeführt werden.
Sie bewirke weiter eine solche Ausdehnung der Arbeitsteilung, daß die meisten Menschen keine Abwechselung bei der Arbeit hätten und diese dadurch, statt zu einer Freude, zu einer Last und für viele zu einer unerträglichen Last und Qual werde. Sie veranlasse endlich auch die Existenz einer großen Zahl an sich völlig überflüssiger Kaufleute und dadurch eine unnötige Verteurung der Produkte. Fourier findet ebenso die bestehende Art der Konsumtion in den Einzelwirtschaften völlig unwirtschaftlich. Er fordert deshalb eine genossenschaftliche Produktion und Konsumtion in großen Verbänden, die, etwa 300-400 Familien umfassend, möglichst alle Genußmittel für die Mitglieder herstellen, jedenfalls Landwirtschaft und Gewerbe betreiben, in einem großen Gebäude (Phalanstère) alle ihre Wohnungen und Arbeitsräume einrichten, in wenigen Küchen die Speisen für alle bereiten und zugleich für die Vergnügungen und den Unterricht sorgen. Er entwirft den Plan dieser sozialen Wirtschaftsorganismen, von ihm Phalangen genannt, im einzelnen und sucht nachzuweisen, daß sie, richtig organisiert, eine Garantie dafür bieten, daß jeder durch seine Arbeit die Mittel erlange, ein behagliches Genußleben zu führen, dabei an derselben Freude habe und für alle aus der freien naturgesetzlichen Entfaltung der Triebe die Harmonie der Triebe sich ergebe, die nach Fouriers Philosophie die Glückseligkeit der Menschen sei. Die Gründung der Phalangen soll aber nicht durch staatlichen Zwang, sondern durch den freien Willen der Einzelnen erfolgen. Fourier trug sich mit der überspannten Hoffnung, daß, wenn nur erst eine Phalange gebildet worden, die Phalangen sich allmählich über die ganze Welt verbreiten würden. Fourier stellte zuerst die Abschaffung der Lohnarbeit und Gründung großer Produktiv- und Konsumgenossenschaften als die Panacee für die soziale Frage auf.
Eine neue Ausbildung erfuhr der S. durch Louis Blanc (s. d.), zuerst in dessen kleiner Schrift über »Die Organisation der Arbeit« (1839). Auch er will die Lohnarbeit durch Produktivgenossenschaften beseitigen. Aber seine Produktivgenossenschaften sind wesentlich andrer Art als die Fourierschen Phalangen, und die Gründung derselben fordert er vom Staat. Wie bei dem bisherigen Wirtschaftssystem der große Unternehmer den kleinen, das große Kapital das kleine unterdrücke, so könne der Staat, als der größte Kapitalist, durch die Gründung von größern Unternehmungen als die bestehenden in der Form von Produktivgenossenschaften alle, auch die größten Unternehmer allmählich konkurrenzunfähig machen und so ohne Zwang und Gewalt der höchste Ordner und Herr der Produktion werden.
Wenn dies geschehen, habe er es in der Hand, [* 38] durch die Regelung der innern Organisation dieser Genossenschaften und der Art der Ertragsverteilung den arbeitenden Klassen die genügende materielle Existenz zu sichern. Louis Blanc denkt sich dann die Entwickelung für die gewerbliche Produktion in drei Stadien. In dem ersten gründe der Staat die Ateliers sociaux für die verschiedenen Industriezweige, zunächst als Staatsunternehmungen; nach einiger Zeit aber wandle er sie um in reine Produktivgenossenschaften, überlasse die Verwaltung den Mitgliedern und beschränke sich nur auf die gesetzliche Regelung der Organisation und der Gewinnverteilung.
Diese Genossenschaften würden sofort die bessern Arbeitskräfte an sich ziehen und mit geringern Kosten produzieren, zumal wenn sie gleichzeitig große Konsumgenossenschaften errichten würden. Die bestehenden Unternehmungen würden gezwungen werden, entweder den Betrieb einzustellen, oder sich in solche Genossenschaften umzuwandeln. In dem zweiten Stadium sollen dann, damit keine Konkurrenz unter den Genossenschaften entstehe, die ¶
Ge-57 nossenschaften gleichartiger Produktionszweige sich zu größern Genossenschaften associieren, bis in jedem nur eine Landesgenossenschaft existiere. Im dritten associieren sich auch diese, so daß schließlich eine große Produktivgenossenschaft produziere, deren Organisation und Gewinnverteilung das Staatsgesetz regele. Eine Reform der Erziehung (mit obligatorischem und unentgeltlichem Unterricht) würde diese Entwickelung sichern. Um auch die Landwirtschaft zu reformieren, soll das Erbrecht der Seitenverwandten fortfallen, an ihrer Stelle soll die Gemeinde erben und mit dem ihr so anfallenden Vermögen ähnlich verwaltete landwirtschaftliche Produktivgenossenschaften gründen. Da von der herrschenden Gesellschaft mit monarchischer Staatsform eine Lösung dieser Aufgaben nicht zu erwarten sei, so müsse zunächst der Staat in eine sozialdemokratische Republik umgewandelt werden, in welcher die untern Klassen, im Besitz der Herrschaft, dann auf dem vorgezeichneten Weg vorgehen könnten.
Diese Ideen wurden in den 40er Jahren das Programm der französischen Sozialisten, an deren Spitze Louis Blanc stand. Er ist der Gründer der Sozialdemokratie, d. h. derjenigen Partei, welche für die Klasse der Lohnarbeiter die Herrschaft in einer demokratischen Republik erstrebt, um im Besitz dieser Herrschaft das sozialistische Programm zu verwirklichen. Modifiziert wurde dies Programm durch die Beschlüsse des Arbeiterparlaments, welches 1848 nach der Februarrevolution, von der provisorischen Regierung einberufen, im Palais Luxembourg unter dem Vorsitz von Louis Blanc tagte.
Nach denselben sollte ein eignes Ministerium (ministère du progrès) die sozialistische Reform herbeiführen: zunächst die Bergwerke und Eisenbahnen für den Staat ankaufen, das Versicherungswesen in Staatsanstalten zentralisieren, große Warenhallen und Vorratshäuser zu entgeltlicher Benutzung errichten, die französische Bank in eine Staatsbank umwandeln und mit dem Reinertrag aus diesen Geschäften industrielle und landwirtschaftliche Genossenschaften nach dem Plan Louis Blancs mit einigen Abänderungen desselben gründen. Zur Beseitigung einer verderblichen Konkurrenz sollte für alle Produkte durch gesetzliche Feststellung des auf die Kosten zu schlagenden Gewinns ein Normalpreis vorgeschrieben werden.
Eine andre Modifikation gab dem Blancschen S. Ferdinand Lassalle (s. d.). Er betrachtet die soziale Frage als Einkommensfrage, hervorgerufen durch die ungerechte Verteilung des Ertrags der Unternehmungen infolge des »ehernen Lohngesetzes« der freien Konkurrenz, nach welchem der Lohn stets um einen Punkt oszilliere, bei welchem er den Arbeitern nur die notdürftig Befriedigung der Existenzbedürfnisse gestatte. Die Lösung sieht er in der Beseitigung dieser Lohnregulierung und Abschaffung der Lohnarbeit durch Produktivassociationen mit Hilfe des Staats.
Aber dieser soll nicht, wie Louis Blanc will, dieselben gründen und ihre Organisation wie die Art der Gewinnverteilung bestimmen, sondern der Staat soll nur freiwillig sich bildende mit seinem Kredit unterstützen, wobei er zur Wahrung seines Interesses sich die Genehmigung der Statuten und eine Kontrolle der Geschäftsführung vorbehalten könne. Darin stimmt Lassalle wieder mit Louis Blanc überein, daß, um diese Staatsunterstützung zu erreichen, der Arbeiterstand sich zum herrschenden im Staat machen müsse. Er wähnte, daß die Einführung des allgemeinen, gleichen und direkten Wahlrechts mit geheimer Abstimmung demselben in Deutschland zu dieser Herrschaft verhelfen würde, und forderte deshalb die deutschen Arbeiter auf, ihre ganze Agitation zunächst nur auf dieses Ziel zu richten.
Derjenige, der in neuerer Zeit den S. eigentlich allein in umfassender Weise und wirklich wissenschaftlich zu begründen versucht, ihm zugleich die radikalste Ausdehnung gegeben hat, ist Karl Marx (s. d.). In seinem Hauptwerk: »Das Kapital«, sucht er nachzuweisen, daß die Verteilung in der bisherigen Volkswirtschaft eine durchaus ungerechte sei, denn das Kapital entstehe und vermehre sich nur dadurch, daß es einen möglichst großen Teil des Arbeitsprodukts in sich aufsauge;
die Arbeit, nicht das Kapital setze dem Produkt Wert zu, der Arbeiter leiste stets mehr, als ihm im Lohn vergolten werde, der ihm nicht bezahlte Mehrwert seiner Leistung aber falle dem Eigentümer der Produktionsmittel zu und vermehre das Kapital.
Marx folgert daraus die Ungerechtigkeit eines Einkommens aus Kapital- und Grundbesitz. Weiter sucht er zu erweisen, daß aus der gegenwärtigen kapitalistischen Produktionsweise die sozialistisch-kooperative notwendig entstehen müsse. Zunächst würden in dem freien Konkurrenzkampf die Produktionsmittel sich in den Händen einer immer kleinern Anzahl konzentrieren, dadurch aber der Zustand für die Arbeiter endlich so unerträglich werden, daß dieselben, ihre Macht benutzend, die wenigen Expropriateure einfach expropriieren und, geschult und organisiert durch den bisherigen kapitalistischen Produktionsprozeß, auf der Grundlage gemeinsamen Eigentums an den Produktionsmitteln in den schon bestehenden großen Unternehmungen weiter produzieren, den Ertrag derselben, entsprechend seiner ökonomischen Natur als Arbeitsertrag, aber fortan nur nach Maßgabe der Arbeitsleistungen verteilen würden.
Besser indes sei es, diesen Expropriations- und Produktionsumwandlungsprozeß zu beschleunigen. Die praktischen Konsequenzen hat dann der Agitator Marx gezogen und in den Beschlüssen der von ihm gegründeten und geleiteten internationalen Arbeiterassociation (vgl. Internationale) sowie in dem Programm der heutigen deutschen Sozialdemokratie, dessen geistiger Urheber er ist, zum Ausdruck gebracht. Von diesen Beschlüssen sind für die sozialistischen Bestrebungen insbesondere charakteristisch die der Kongresse in Brüssel [* 40] und Basel. [* 41] Auf dem Kongreß in Brüssel (1868) wurde die Abschaffung des Kapitaleinkommens und der Grundrente, die Gründung von Produktivgenossenschaften mit Kollektiveigentum an den Produktionsmitteln und von besondern Kreditanstalten für dieselben, die Umwandlung aller Transportanstalten in Staatsanstalten, aller Bergwerke, Wälder und landwirtschaftlichen Grundstücke in Staatseigentum, mit Überweisung der letztern an Arbeitergesellschaften zur Benutzung, in das Programm aufgenommen. Der Kongreß in Basel (1869) sprach sich für die Abschaffung des privaten Grundeigentums und für die Bebauung des Bodens durch solidarisierte Gemeinden sowie für die Abschaffung des Erbrechts aus. Das sozialistisch-politische Programm der deutschen Sozialdemokratie (sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands) lautet nach der Fassung des Gothaer Kongresses von 1875:
»1) Die Arbeit ist die Quelle alles Reichtums und aller Kultur, und da allgemein nutzbringende Arbeit nur durch die Gesellschaft möglich ist, so gehört der Gesellschaft, d. h. allen ihren Gliedern, das gesamte Arbeitsprodukt, bei allgemeiner Arbeitspflicht, nach gleichem Recht jedem nach seinen vernunftgemäßen Bedürfnissen. In der heutigen Gesellschaft sind die Arbeitsmittel Monopol der Kapitalistenklasse; die hierdurch bedingte Abhängigkeit der Arbeiterklasse ist die Ursache des Elends und der Knechtschaft in allen Formen. Die Befreiung der Arbeit erfordert die ¶
Verwandlung der Arbeitsmittel in Gemeingut der Gesellschaft und die genossenschaftliche Regelung der Gesamtarbeit mit gemeinnütziger Verwendung und gerechter Verteilung des Arbeitsertrags. Die Befreiung der Arbeit muß das Werk der Arbeiterklasse sein, der gegenüber alle andern Klassen nur eine reaktionäre Masse sind. 2) Von diesen Grundsätzen ausgehend, erstrebt die sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands (die hier ursprünglich im Programm enthaltenen Worte: 'mit allen gesetzlichen Mitteln' wurden später gestrichen) den freien Staat und die sozialistische Gesellschaft, die Zerbrechung des ehernen Lohngesetzes durch Abschaffung des Systems der Lohnarbeit, die Aufhebung der Ausbeutung in jeder Gestalt, die Beseitigung aller sozialen und politischen Ungleichheit. Die sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands, obgleich zunächst im nationalen Rahmen wirkend, ist sich des internationalen Charakters der Arbeiterbewegung bewußt und entschlossen, alle Pflichten, welche derselbe den Arbeitern auferlegt, zu erfüllen, um die Verbrüderung aller Menschen zur Wahrheit zu machen. Die sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands fordert, um die Lösung der sozialen Frage anzubahnen, die Errichtung von sozialistischen Produktivgenossenschaften mit Staatshilfe unter der demokratischen Kontrolle des arbeitenden Volkes. Die Produktivgenossenschaften sind für Industrie und Ackerbau in solchem Umfang ins Leben zu rufen, daß aus ihnen die sozialistische Organisation der Gesamtheit entsteht. 3) Die sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands fordert als Grundlagen des Staats: a) Allgemeines, gleiches, direktes Wahl- und Stimmrecht mit geheimer, obligatorischer Stimmabgabe aller Staatsangehörigen vom 20. Lebensjahr an für alle Wahlen und Abstimmungen in Staat und Gemeinde. Der Wahl- oder Abstimmungstag muß ein Sonntag oder Feiertag sein. d) Direkte Gesetzgebung durch das Volk; Entscheidung über Krieg und Frieden durch das Volk. c) Allgemeine Wehrhaftigkeit, Volkswehr an Stelle der stehenden Heere. d) Abschaffung aller Ausnahmegesetze, namentlich der Preß-, Vereins- und Versammlungsgesetze, überhaupt aller Gesetze, welche die freie Meinungsäußerung, das freie Denken und Forschen beschränken. e) Rechtsprechung durch das Volk; unentgeltliche Rechtspflege. f) Allgemeine und gleiche Volkserziehung durch den Staat; allgemeine Schulpflicht; unentgeltlicher Unterricht in allen Bildungsanstalten; Erklärung der Religion zur Privatsache.«
Das Programm enthält außerdem noch eine Reihe von Forderungen, die indes ausdrücklich als Forderungen »innerhalb der heutigen Gesellschaft« bezeichnet werden und nicht mehr spezifisch sozialistische sind. Mit diesem Programm stimmt im wesentlichen überein das Programm des Parti ouvrier socialiste révolutionnaire français von 1880, welches die Basis der gegenwärtigen sozialistischen Bewegung in Frankreich ist und in der Hauptsache auch von den spanischen und italienischen Sozialisten angenommen wurde, ebenso das Programm der sozialistischen Arbeiterpartei von Nordamerika von 1877 (weiteres hierüber bei Zacher, s. Litteratur).
In Deutschland entstand Mitte der 70er Jahre neben der Sozialdemokratie vorübergehend eine konservative sozialistische Richtung, der sogen. Staatssozialismus, deren politischer Grundgedanke ein Bündnis der Monarchie mit dem vierten Stand war, um die vermeintliche Herrschaft der Bourgeoisie und des Kapitals zu brechen, die berechtigten Forderungen der Arbeiterklasse durch eine sozialistische Organisation der Volkswirtschaft zu befriedigen und damit zugleich die Machtstellung der Monarchie zu befestigen. Das unklare sozialistische Programm (s. dasselbe in Nr. 23 des »Staatssozialist« vom dieser Richtung, die wenige Anhänger fand, und deren Hauptvertreter unter andern Pastor R. Todt (»Der radikale deutsche S. und die christliche Gesellschaft« 2. Aufl., Wittenb. 1878) und der Schriftsteller Rudolf Meyer waren (Organ: »Der Staatssozialist. Wochenschrift für Sozialreform«, 1877 ff.),
stützt sich auf die sozialistischen Anschauungen von J. K. Rodbertus (s. d.),
der die Berechtigung eines Einkommens aus Besitz, der »Rente« (Grundrente wie Kapitalrente),
bestritt und den Kernpunkt der sozialen Frage in dem angeblichen »Gesetz« sah, daß, wenn der Verkehr in Bezug auf die Verteilung der Nationalprodukte sich selbst überlassen bleibe, bei steigender Produktivität der gesellschaftlichen Arbeit der Lohn der arbeitenden Klassen ein immer kleinerer Teil des Nationalprodukts werde, daß der relative Lohn der Arbeit in dem Verhältnis sinke, als sie selbst produktiver werde, und daß folglich die Kaufkraft der Mehrzahl der Gesellschaft immer kleiner werde.
Die Lösung der Frage erblickte Rodbertus darin, daß den Arbeitern ein mit der steigenden nationalen Produktivität mitsteigender Arbeitslohn gesichert würde, und er glaubte, dieselbe - ohne daß man dem Grund- und Kapitaleigentum von seinem heutigen Grundrenten- und Gewinnbetrag etwas fortnehme, sondern nur verhindere, daß auch für alle Zukunft, wie bisher, das Plus einer steigenden nationalen Produktion der Grundrente und dem Kapitalgewinn zuwachse - durch eine Reihe von Vorschlägen gefunden zu haben, deren wichtigste sind: der Staat solle zunächst für jedes »Gewerk« einen normalen Zeitarbeitstag und einen normalen Werkarbeitstag festsetzen und den Lohnsatz für den letztern mit periodischen Revisionen bestimmen, bez. zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer unter seiner Autorität festsetzen lassen. Sodann soll »der normale Werkarbeitstag zu Werkzeit oder Normalarbeit erhoben und nach solcher Werkzeit oder Normalarbeit (nach solcher in sich ausgeglichener Arbeit) nicht bloß der Wert des Produkts jedes Gewerks normiert, sondern auch der Lohn in jedem Gewerk als Quote dieses nach Normalarbeit berechneten Produktwerts fixiert und bezahlt werden«.
In der Geschichte der sozialistischen Agitation ist die Phase des friedlichen, doktrinären S. und die des gewaltsamen, praktischen S. zu unterscheiden. In jener, welcher die Thätigkeit Saint-Simons und Fouriers und ihrer Schüler angehört, war die Bewegung eine wesentlich theoretische und friedliche. Jene Sozialisten erhofften auf friedlichem Weg die allmähliche Verwirklichung ihrer Ansichten. Sie wandten sich deshalb nur an die Gebildeten, nicht an diejenigen Klassen, deren Besserung sie wollten, und wenn auch ihre Äußerungen nicht frei waren von Anklagen gegen die bestehenden Einrichtungen und Zustände, so enthielten sie doch nur selten Anklagen gegen Personen und gegen die besitzenden Klassen.
Diesen friedlichen Charakter verliert aber die sozialistische Agitation seit Louis Blanc und im Verlauf der Zeit mehr und mehr. Neue sozialistische Systeme und Forderungen werden aufgestellt nicht mehr als wissenschaftliche Theorien, sondern als Programme praktischer Agitationsparteien. Die Vertreter derselben wenden sich nun mit ihren Lehren [* 43] direkt an die untern Volksklassen, um sie zum S. zu bekehren und für dessen Durchführung zu gewinnen; sie werden Arbeiteragitatoren.
Ein Hauptmittel ihrer Agitation wird es, bei den untern Klassen die Gefühle der Erbitterung und des Hasses nicht bloß gegen die bestehenden Zustände des öffentlichen Lebens, sondern auch gegen die Träger [* 44] der Staatsgewalt und gegen die besitzenden Klassen zu erzeugen. Das ökonomische sozialistische Programm wurde hiermit ein radikaleres, und da es durch den Staat verwirklicht werden sollte, wurde die Bewegung eine politische. Da man sich sagen mußte, daß die bestehenden Staaten die sozialistischen Wünsche nicht erfüllen würden, wurde die Erlangung der Herrschaft im Staat für die Lohnarbeiterklasse in das Programm aufgenommen und das praktische Ziel. Die sozialistische ¶