[* 2]
(Oszillation,
Vibration), die hin- und hergehende
Bewegung, welche
Körper oder Teilchen derselben, die durch
Kräfte in einer bestimmten Gleichgewichtslage festgehalten werden, diesseit und jenseit dieser Gleichgewichtslage ausführen,
wenn sie aus dieser durch irgend eine
Ursache entfernt und dann der
Wirkung jener
Kräfte, die das
Gleichgewicht
[* 3] wiederherzustellen
streben, überlassen worden sind. An einem senkrecht herabhängenden, schraubenförmig gewundenen Metalldraht
(sogen. Hosenträgerdraht) werde eine Messingkugel, welche unten mit einem Häkchen versehen
ist, aufgehängt.
Die
Elastizität des
Drahts hält die
Kugel, indem sie dem
Gewicht derselben entgegenwirkt, in einer bestimmten Gleichgewichtslage
fest. Hängt man nun an das Häkchen ein
Gewicht von 100 g, so verlängert sich der elastische Spiraldraht,
und die
Kugel rückt z. B. um 1
cm herab; durch ein
Gewicht von 200 g wird die
Verlängerung
[* 4] verdoppelt auf 2
cm, das dreifache
Gewicht bringt eine dreimal so große
Verlängerung zuwege etc. Die
Kraft
[* 5] also, welche aufgewendet werden muß, um die
Kugel der elastischen
Wirkung des
Drahts entgegen aus ihrer ursprünglichen Gleichgewichtslage zu entfernen,
nimmt in demselben
Verhältnis zu wie diese
Entfernung.
Nachdem die
Gewichte entfernt sind und die
Kugel in ihre anfängliche
Lage zurückgekehrt ist, werde sie nun mit den
Fingern
um 1
cm herabgedrückt; indem man sie in dieser
Lage festhält, muß man mit derselben
Kraft von 100 g nach
unten ziehen, welche vorhin für diese
Verlängerung notwendig war, und läßt man die
Kugel jetzt los, so kehrt sie mit eben
dieser
Kraft in ihre Gleichgewichtslage zurück. In der Gleichgewichtslage angelangt, kommt sie aber nicht sofort zur
Ruhe,
sondern steigt 1
cm hoch über dieselbe empor, geht dann wieder unter die Gleichgewichtslage herab etc.:
kurz, sie vollführt auf- und abwärtsgehende Schwingungen, welche in diesem
Falle langsam genug sind, daß man sie mit Bequemlichkeit
zählen kann.
Man rechnet dabei einen vollständigen Hin- und Hergang, z. B. aus der tiefsten
Lage in die höchste und
wieder zurück in die tiefste, als eine
S., und bezeichnet die Anzahl der in einer
Sekunde erfolgenden Schwingungen als Schwingungszahl.
Führt man die
Kugel um 2
cm herab und läßt sie dann schwingen, so hat sie von ihrer äußersten bis zur Gleichgewichtslage
einen doppelt so großen Weg zurückzulegen wie vorhin, oder ihre Schwingungsweite
(Amplitude) ist jetzt
die doppelte.
Zählen wir aber ihre Schwingungen, so finden wir die nämliche Schwingungszahl wie im ersten
Fall; denn da nicht nur der zu
durchlaufende Weg, sondern auch die Kraftäußerung des gespannten Schraubendrahts jetzt auf das
Doppelte gewachsen ist, so
muß der größere Weg dennoch in der nämlichen Zeit durchlaufen werden. Ebenso bleibt die Schwingungszahl
unverändert, wenn die
Kugel um 3
cm aus ihrer Gleichgewichtslage entfernt, also ihre Schwingungsweite verdreifacht wird.
Die Schwingungen sind sonach immer von gleicher Dauer oder sie sind isochron, mag der schwingende
Körper weiter oder weniger
weit aus seiner Gleichgewichtslage entfernt worden sein. Aus diesem Verhalten geht hervor, daß die Schwingungszahl
nur von den dem schwingenden
Körper eignen
Kräften, welche sein gestörtes
Gleichgewicht wiederherzustellen streben (hier
von der
Elastizität des Schraubendrahts), abhängig ist, aber keineswegs von der
Stärke
[* 6] des äußern Antriebs, der die Schwingungen
wachrief; die
Stärke des Antriebs findet vielmehr ihren
Ausdruck in der
Größe der Schwingungsweite.
Indem
man die
Kugel um 2
cm herabführt, hat man mit der
Hand
[* 7] nicht nur einen zweimal so großen
Druck auszuüben, sondern auch
einen zweimal so großen Weg zurückzulegen, als wenn man sie nur um 1
cm herabführt. Die
Arbeit, welcheman in
jenem
Fall zur Überwindung der elastischen
Kraft des
Drahts leisten muß, ist daher viermal so groß als in diesem
Fall, und
wenn man mit dreifacher
Kraft die
Kugel in die dreifache
Entfernung bringt, so hat man die neunfache
Arbeit aufzuwenden von derjenigen
im ersten
Fall. Indem man dieHand entfernt, geht die von ihr geleistete
Arbeit auf die
Kugel über und offenbart
sich in der
Wucht oder
Energie ihrer schwingenden
Bewegung.
Bei doppelter Schwingungsweite erfolgt also die S. mit vierfacher, bei dreimal so großer Schwingungsweite mit neunfacher
Wucht etc., oder allgemein ausgedrückt: die
Wucht der schwingenden
Bewegung wächst im quadratischen
Verhältnis
der Schwingungsweite. Schwingungen, welche, wie in dem hier zu
Grunde gelegten
Beispiel, durch die
Elastizität unterhalten
werden, nennt man elastische Schwingungen; zu ihnen gehören die schallerregenden Schwingungen der
Saiten,
Stäbe,
Stimmgabeln,
Glocken etc.; auch die Schwingungen der Luftteilchen bei der
Fortpflanzung des
Schalles, der Ätherteilchen bei derFortpflanzung
des
Lichts, die Schwingungen der
Moleküle und
Atome erwärmter und leuchtender
Körper, endlich die durch die
Schwerkraft unterhaltenem
Schwingungen des
Pendels (s. d.) befolgen die
oben dargelegten
Gesetze.
an einer Maschinenwelle (Schwungradwelle) befestigtes und mit dieser rotierendes
Rad mit schwerem
Kranz,
welches infolge seines
Beharrungsvermögens Unregelmäßigkeiten im
Gang
[* 13] einer
Maschine
[* 14] auszugleichen hat.
Hat eine
Maschine ohnehin
schon schwere Teile, die als Schwungräder wirken, so ist ein besonderes S. entbehrlich. So wirken als
Schwungräder die Läufersteine in den
Mahlmühlen, die
Schleifsteine bei Schleifmaschinen, die
Flügel der
Windmühlen, die
Laufräder bei
Turbinen und Zentrifugalpumpen etc. Zur Ausgleichung der durch die ungleiche
Wirkung der bewegenden
Kraft hervorgerufenen
Unregelmäßigkeiten dienen die Schwungräder bei
Motoren, bei welchen die Triebkraft mittels
Kolbens,
Kolbenstange und
Bleuelstange auf eine
Kurbel
[* 15]
übertragen wird
(Dampf-, Gaskraft-, Heißluft-,
Feuerluftmaschinen, Wasserdruckmotoren
etc.). Diese
Motoren würden ohne Schwungräder in den toten
Punkten (d. h. in denjenigen Endstellungen, in welchen die
Kurbel
mit der
Bleuelstange in eine gerade
Linie fällt und somit die motorische
Kraft unwirksam ist) stehen bleiben.
Das S. soll nicht nur über diese
Stellungen hinweghelfen, sondern auch die fortwährenden Änderungen, welche der
Druck auf
die
Kurbel zwischen den toten
Punkten infolge der in jedem
Augenblick wechselnden Kurbelstellung erleidet, aufnehmen und möglichst
gleichmäßig auf die ganze
Umdrehung verteilen. Die Ausgleichung der Schwankungen des
Widerstandes ist
besonders bei solchen
¶
mehr
Arbeitsmaschinen von Wichtigkeit, bei welchen Arbeits- und Leergangsperioden miteinander abwechseln, z. B. bei vielen einfach
wirkenden Pumpen,
[* 17] bei Stoß-, Durchstoß-, Präge-, Stanz-, Schienenrichtmaschinen, bei Walzwerken etc. Zum Betrieb einer solchen
Maschine steht in der Regel eine dem Durchschnittswiderstand entsprechende Kraft zur Verfügung, die für sich zur Vollführung
der Arbeitsperiode nicht ausreicht, weshalb die während der Leergangsperiode im S. aufgespeicherte lebendige Kraft
zu Hilfe genommen werden muß.
Die Schwungräder bestehen, wie alle Räder, aus dem Kranz, der Nabe und den beide verbindenden Armen oder Speichen, welch letztere
bei kleinen Schwungrädern auch wohl durch eine volle Scheibe ersetzt sind. Der Kranz hat meist einen rechteckigen
oder elliptischen Querschnitt, wird jedoch auch mehrfach nach Art von Zahnrädern, Riemen oder Seilscheiben ausgebildet, um zugleich
zur KraftÜbertragung benutzt zu werden. Große Schwungräder wirken bei demselben Gewicht und derselben Umdrehungszahl kräftiger
als kleine, weshalb man den Schwungrädern gern große Durchmesser gibt; doch darf man damit nicht zu
weit gehen, weil sonst infolge der zu großen Umfangsgeschwindigkeit und der dadurch hervorgerufenen übermäßigen Zentrifugalkraft
ein Zerreißen des Schwungrades (Schwungradexplosion) stattfindet, wobei durch die äußerst heftig fortgeschleuderten Stücke
großer Schade angerichtet werden kann.
(Assisen, Jury, Geschwornengericht, engl. Jury, franz. Jury, Cour d'assises), dasjenige Gericht, in welchem
nichtrechtsgelehrte Richter aus dem Volke (Geschworne, engl. jurymen, franz. jures) im Zusammenwirken
mit rechtsgelehrten Staatsrichtern (Schwurgerichtshof) urteilen. Die Eigentümlichkeit dieser auf dem europäischen Kontinent
nur Strafsachen betreffenden Einrichtung liegt in der Nichtständigkeit der Gerichtsorgane, in der Verteilung
der Rechtsprechung auf zwei ihrem Wesen nach verschiedene, in der Beratung und Urteilsfällung getrennte Kollegien, in der
Verpflichtung gewisser Bürger zu unentgeltlichen ehrenamtlichen Gerichtsdiensten und in der Anwendung besonderer Regeln des
Verfahrens, die sich von dem nur durch rechtsgelehrte Richter gehandhabten Strafprozeß unterscheiden.
Was den Ursprung der Schwurgerichte anbetrifft, so hat HeinrichBrunner nachgewiesen, daß die allerältesten Anfänge des
Schwurgerichts in dem Beweisverfahren der karolingischen Monarchie lagen und durch die normännische Herrschaft nach England
verpflanzt wurden, um sich dort eigentümlich zu entwickeln. Am richtigsten wären daher die Schwurgerichte eine normännisch-englische
Schöpfung zu nennen. Die älteste Form des Schwurgerichts ist die noch gegenwärtig in England bestehende,
aber auf dem Kontinent nicht aufgenommene Ziviljury, beruhend auf dem altfränkischen Rechte des Inquisitionsbeweises, durch
dessen ausnahmsweise von den Königen gestattete Zulassung das altgermanische Beweisverfahren mittels Zweikampfes oder Gottesurteils
in gewissen Streitigkeiten umgangen werden konnte. Es wurden dabei bestimmte Fragen (inquisitio) den vom
Richter einberufenen und eingeschwornen Gemeindegenossen der streitenden Parteien vorgelegt.
Späterhin wurden diese Beweiszeugen (juratores) als eine Einheit oder Körperschaft (jurée,
jurata) behandelt, um nicht von
den einzelnen Mitgliedern, sondern von der Gesamtheit einen Ausspruch zu erlangen. In dieser Gestalt gelangte die Beweisjury
von der Normandie nach England und trat dort in Zusammenhang einerseits mit den angelsächsischen, die
normännische Eroberung überdauernden Gemeindeeinrichtungen, anderseits mit der eigenartig von den Königen zentralisierten
Reichsjustiz.
Aus dieser Beweisjury für Eigentumsprozesse, in der die Geschwornen als Zeugen erschienen, gestaltete sich in langsamen Übergängen
schließlich die Urteilsjury, wahrscheinlich in der Weise, daß lange Zeit hindurch die Geschwornen nebeneinander
eine Doppelstellung als Zeugen und Urteiler innehatten, ehe sie zu dem Amte des Urteilens endgültig gelangten. Weit später
als die Ziviljury der Engländer entwickelte sich die Kriminaljury für Strafsachen und zwar in einer doppelten Grundgestalt:
1) als Anklagejury und 2) als Urteilsjury, von denen auch die erstere noch heute den Engländern
verblieben ist, ohne auf dem KontinentWurzel
[* 18] fassen zu können.
Der altgermanische Strafprozeß beruhte nämlich auf der strengen Regel des sogen. Anklageprinzips, wonach ohne eine vom Beschädigten
erhobene Anklage der Richter nicht thätig werden durfte. Ein Einschreiten von Amts wegen (sogen. Offizialprinzip)
war ausgeschlossen. In der karolingischen Zeit bildete sich indessen die eigentümliche, nachmals von der Kirche in ihren
Sendgerichten nachgebildete Einrichtung eines Frageverfahrens, der Rüge, wobei von königlichen Beamten die Gemeindegenossen
von Zeit zu Zeit eidlich befragt wurden, ob in ihren Bezirken gewisse amtlich zu bestrafende Missethaten begangen worden seien.
Durch die Normannen gelangte auch dieses Rügeverfahren nach England, woselbst es besonders darum einen
fruchtbarern Boden fand, weil nach angelsächsischem Recht vermöge der Friedensbürgschaft (fridborg) die Gemeinden für gewisse
in ihrem Bezirk begangene Verbrechen haftpflichtig waren. Bis zum 14. Jahrh. erhielt sich der Brauch dieser Rügejury;
das Verfahren hieß Presentement oder Indictement. Der Gerügte verteidigte sich ursprünglich durch
Gottesurteil, später durch eine Beweisjury. Im 14. Jahrh. aber trat an Stelle dieser alten, aus 12 Personen bestehenden Rügejury
eine neue Form unter dem Titel der Großen Jury (grand inquest), bestehend aus 24 der Grafschaft entnommenen, vor den königlichen
Justitiarien versammelten Geschwornen ritterlichen Standes.
Mit der Ausbildung des friedensrichterlichen Amtes entstand in England fernerhin die bis auf die Gegenwart vererbte Übung der
Quartalsitzungen (quarter sessions), in denen drei Friedensrichter zusammentreten, um in Verbindung mit einer sogen. Großen Jury
Kriminaljurisdiktion auszuüben. Die englische Anklagejury, nachmals aus 23 Mitgliedern bestehend, streifte die Funktion des
Rügens allmählich von sich ab und nahm dagegen ihrerseits Denunziationen und Informationen entgegen.
Gegenwärtig reicht der öffentliche oder Privatankläger seine Anklageschrift bei der Anklagejury oder Großen Jury (grand
Jury) ein, damit diese auf Grund ihrer Prüfung und vorläufigen Ermittelungen entscheide, ob die beschuldigte Person in den
förmlichen Anklagestand versetzt werden solle oder nicht. Die Stimmen über den Wert dieser Einrichtung
sind jedoch sehr geteilt. Von großer Bedeutung aber war die neben der Zivil- und Anklagejury sich entwickelnde Urteilsjury
für Strafsachen. Nach altgermanischem Recht fand der Zeugenbeweis in Kriminalsachen keine
¶
mehr
Anwendung. Der Ankläger hatte sich regelmäßig zum Kampfbeweis zu erbieten. Bei Kampfunfähigen trat an Stelle des gerichtlichen
Zweikampfes das Gottesurteil. Allmählich erlangten aber in der Normandie und in England Angeklagte durch königliche Gnadenbriefe
das Recht, sich auf eine Beweisjury zu berufen, um ihre Unschuld darzuthun. Eine naturgemäße Verbindung mit dem
Rügegericht ergab sich dabei ohne Schwierigkeit, indem man das, was anfangs eine königliche Gnadensache für den einzelnen
Fall war, auch den Gerügten zugestand.
Wichtig war, daß nach dem Grundbrief der englischen Verfassung, nach der Magna Charta von 1215 (Art. 36), sich jeder Beklagte
auf eine Jury berufen kann. Nachdem dann wenige Jahre später (1219) die Gottesurteile in England reichsgesetzlich
verboten worden waren, und nachdem der gerichtliche Zweikampf nach und nach abgekommen, blieb überhaupt kein andres Beweismittel
außer der Jury übrig. Diese Urteilsjury besteht jetzt aus 12, in Schottland aus 15 Mitgliedern.
Aus diesem Entwickelungsgang der englischen Schwurgerichte erklären sich folgende Eigentümlichkeiten:
3) Das in England bis jetzt festgehaltene Erfordernis der Stimmeneinhelligkeit der Geschwornen für ihre Verdikte, denn ein
»Wahrspruch« im Beweisverfahren ist bei widersprechenden Aussagen nicht zu erlangen. Freilich
haben sich gegen die Stimmeneinhelligkeit in England gewichtige Stimmen erhoben; überwiegend ist jedoch die öffentliche Meinung
der Einstimmigkeit günstig, indem man darin eine Garantie gründlicher Beratung erblickt.
4) Sobald ein Angeklagter des Verbrechens geständig ist, bleibt für die Beweisjury kein Platz mehr. Nur der leugnende
Angeklagte hatte einen Anspruch auf das Zeugnis der Jury. In Erinnerung an diese anfängliche Einrichtung wird auch heute der
Angeklagte vor dem Beginn der Verhandlung gefragt, ob er sich schuldig bekenne (guilty) oder nicht schuldig (not guilty).
Geschieht ersteres, so wird ohne Mitwirkung der Geschwornen die Verurteilung vom Richter ausgesprochen.
5) Auch darin ist beim englischen S. die mittelalterliche Sitte festgehalten, daß der Angeklagte seinerseits vor einem Gericht,
das bestimmt war, ihm als Entlastungszeugnis zu dienen, nicht genötigt werden kann, sich einem Verhör zu unterwerfen. Dem
englischen Strafprozeß fehlt daher auch diese auf dem Kontinent überall wesentliche Prozedur der Wahrheitsermittelung.
Bei der Veränderung der französischen Justizverhältnisse war es lange Zeit hindurch zweifelhaft, ob das S.
in der Strafgerichtsverfassung einen Platz finden werde. Napoleon I. selbst war dem Schwurgerichte sehr abgeneigt. Schließlich
behielten jedoch in den Vorberatungen der 1808 ergangenen französischen Strafprozeßordnung (Code d'instruction criminelle)
die Anhänger des Schwurgerichts die Oberhand, nachdem sie Napoleon davon überzeugt hatten, daß die Geschwornen, denen man
die Beurteilung der schweren politischen Verbrechen entziehen könne, nicht nur ungefährlich sein würden,
sondern auch dem Einfluß der Regierung bei richtiger Handhabung der administrativen Mittel zugänglich seien.
Namentlich ergab sich ein starkes Element der Beeinflussung durch den Zusammenhang der in England fehlenden, in Frankreich völlig
abhängigen Anklagebehörde mit den Verwaltungsstellen der Polizei. Während man ferner in England an dem
Erfordernis der Stimmeneinhelligkeit der Verdikte festhielt, schwankte unter den verschiedenen Regierungen in Frankreich das
zu einer Verurteilung des Angeklagten erforderliche Stimmenverhältnis zwischen größern und kleinern Majoritäten, so daß
die auf größere Machtentfaltung bedachten Regierungen sich an einfachen Majoritäten von sieben zu fünf genügen ließen.
Der Vorsitzende des Schwurgerichtshofs erhielt zudem ein weitgehendes Ermessen in der Leitung der Schwurgerichtsverhandlungen,
in der Behandlung und Vorführung der Beweismittel, in der Begünstigung der Anklagebehörde auf Kosten der Verteidigung, in der
Einrichtung seines Schlußvortrags (sogen. Resümee) an die Geschwornen, in dem er, nicht gehindert durch irgend welche Rücksichten
und nicht gehemmt durch Rechtsmittel, seiner persönlichen Auffassung über Schuld oder Unschuld als Vormund
der GeschwornenAusdruck geben konnte.
Die Gesamtheit dieser weitgehenden Rechte bezeichnete man als diskretionäre Gewalt (pouvoir discrétionnaire). Das Resümee
ist übrigens in neuester Zeit in Frankreich ebenso wie in Deutschland
[* 21] abgeschafft. Was endlich die Zuständigkeit der Schwurgerichte
in Frankreich anbelangt, so war diese nach dem Grundsatz der Dreiteilung (Verbrechen, Vergehen, Übertretungen)
geregelt. Die schwersten Fälle der sogen. Verbrechen im engern Sinn (crimes), die eine entehrende oder peinliche Strafe nach
sich ziehen können, sind den Schwurgerichten zugewiesen, obwohl bei der richtigen Ausübung der Strafgewalt nicht sowohl
die Schwere der Strafe als vielmehr die eigentümliche Natur des Thatbestandes als entscheidend ins Gewicht
fallen sollte. In einem Punkt geht freilich die Funktion der französischen Geschwornen über die in England üblichen Grenzen
[* 22] hinaus. Die Geschwornen können nämlich das Vorhandensein mildernder Umstände (circonstances atténuantes) in ihrem Schuldspruch
erklären und damit einen bedeutenden Einfluß auf das Strafmaß ausüben.
In dieser französischen Gestalt gewann sich das S. nach der Abtretung ehemals französischer Landesteile auch in Deutschland
viele Freunde, vornehmlich in West- und Süddeutschland. Namentlich fand das S. Verteidiger unter den Germanisten, die darin
Anknüpfungspunkte an die alte deutsche Gerichtsverfassung erkennen wollten. Daher erklärt es sich, daß
der Germanistenkongreß 1847 in Lübeck
[* 23] sich für die Einführung des Schwurgerichts aussprach. Übrigens wurden die Schwurgerichte
in Rheinpreußen während der Zwischenzeit von 1815 bis 1848 in manchen Punkten abgeändert. Im großen und ganzen war aber
die
¶
mehr
öffentliche Meinung in der Rheinprovinz
[* 25] dem S. entschieden günstig. Entscheidend für die allgemeine Einführung der Schwurgerichte
in den verschiedenen deutschen Staaten war jedoch erst die politische Bewegung von 1848. Als dann später die Vorbereitungen
zur einheitlichen Ordnung des Strafprozeßrechts für das Deutsche Reich
[* 26] in Angriff genommen wurden, stellte man das
S. noch einmal in Frage. Das preußische Justizministerium wünschte die Ersetzung der Schwurgerichte durch sogen. Schöffengerichte,
und der erste Entwurf zur deutschen Strafprozeßordnung war auf das Schöffengericht basiert.
Auch die Stimmen unter den Theoretikern waren geteilt. Eine Anzahl hervorragender Männer (Schwarze, Zachariä, Meyer) wirkte
für die Verallgemeinerung der Schöffen-, andre (Mittermaier, Gneist, Glaser, Wahlberg) verteidigten mit
Geschick, Überzeugung und Eifer die Institution der Schwurgerichte. In Süddeutschland war das S. jedenfalls so volkstümlich
geworden, daß man es vorzog, den Plan einer allgemeinen Durchführung des Schöffeninstituts rechtzeitig aufzugeben und das
S. lieber beizubehalten, als sich im Reichstag oder schon im Bundesrat einer Niederlage auszusetzen. In
neuester Zeit macht sich in juristischen Kreisen wieder eine Strömung gegen die Schwurgerichte bemerklich.
Der 18. deutsche Juristentag hielt zwar im Plenum an dem S. fest, erklärte dasselbe aber für einer Reform dringend bedürftig.
Der Wert des Schwurgerichts ist von einer Reihe von Thatsachen und Umständen abhängig; es kann zu verschiedenen
Zeiten und bei verschiedenen Völkern ungleiche Resultate liefern. Die Verbreitung, die das S. innerhalb des letzten Jahrhunderts
gefunden hat, läßt aber erkennen, daß ihm ein wertvoller Grundgedanke innewohnt. In der Strafrechtspflege kommt es nämlich
darauf an, die Schuld eines Angeklagten zu ermitteln, indem man sein persönliches Verhältnis zum Strafgesetz
feststellt.
Trug der Angeklagte ein rechtswidriges Bewußtseinin sich? Erkannte er denWiderspruch, in dem die ihm zur Last gelegte Handlung
gegenüber dem gesetzlichen Verbot stand? Diese Fragen vermag nach der herrschenden Ansicht ein tüchtiger Geschworner besser
und richtiger zu beantworten als ein rechtsgelehrter Richter, der sich durch seinen Beruf daran gewöhnt
hat, nach abstrakten Kategorien zu urteilen. Unsre Beurteilung der Menschen und unsre Einsicht in die Motive des menschlichen
Handelns gehen überall von der innern Erfahrung unsres eignen Seelenlebens aus.
AllePsychologie beruht auf der Beobachtung zunächst des eignen Seelenlebens. Ebendeswegen geht der Richter, der das
Schuldbewußtsein des Angeklagten an seinem Bildungsgrad zu messen pflegt, leichter irre als der Geschworne, der die laienhafte
Auffassung des Strafgesetzes mit dem Angeklagten teilt. Der Vorzug der Geschwornen liegt also keineswegs, wie früher geglaubt
wurde, in der richtigen Würdigung aller Thatfragen und Beweispunkte und noch viel weniger in dem bessern
Verständnis oder der gerechtern Handhabung des Gesetzes, sondern hauptsächlich in der zuverlässigern Erkenntnis der subjektiven
Schuldmomente, welche unter dem Titel der Zurechnungsfähigkeit, vornehmlich aber des rechtswidrigen Bewußtseins und der Fahrlässigkeit
nicht sowohl durch scharfe juristische Deduktion als durch Festhaltung eines dem wirklichen Leben entnommenen Vergleichungspunktes
ermittelt werden müssen.
Auch aus dem Gesichtskreis der größern politischen Unabhängigkeit hat man das S. gepriesen oder angefochten.
Im allgemeinen läßt sich nun zwar nicht nachweisen, daß Geschworne überall unabhängiger sind als Staatsrichter, wenn
diesen alle Bürgschaften verfassungsmäßiger Unabhängigkeit geboten sind und die Regierung auch keine Mittel indirekter Beeinflussung
zur Herbeiführung politischer Verurteilungen anzuwenden vermag. Jedenfalls ist aber das Vertrauen des
Angeklagten zu der Unparteilichkeit eines Volksgerichts größer als zu derjenigen von Berufsrichtern, und dies ist in der
That nicht der geringste Vorzug der schwurgerichtlichen Institution.
Von der technischen Seite her ist gegen das S. eingewendet worden, daß eine sichere Trennung der Thatfrage von der Rechtsfrage
und folgeweise die Abgrenzung der den Geschwornen zum Unterschied von dem Schwurgerichtshof zu stellenden Aufgabe mit Gewißheit
nicht zu erreichen sei, daß die Fragestellung schwere Verwickelungen herbeiführe, und daß das Ansehen der Justiz durch die
Häufigkeit der durch fehlerhafte Fragestellung verursachten Nichtigkeitsbeschwerden (Revisionen) beeinträchtigt werde. Daß
dies Bedenken ein begründetes sei, läßt sich nicht in Abrede stellen. Die Teilung der Arbeit zwischen
Geschwornen und Richter bedingt mancherlei Übelstände. Allein diese Mängel lassen sich nicht nur verringern, sondern sie
treten auch im Vergleich zu den vielen Vorzügen der Schwurgerichtseinrichtungen zurück, sobald es darauf ankommt, Licht-
und Schattenseiten richtig gegeneinander abzuschätzen.
Auch in Österreich
[* 31] wurden 1869 die Preßsachen den Geschwornen überwiesen, obgleich dort angesichts des
Kampfes zwischen widerstrebenden Nationalitäten die Bedingungen eines gedeihlichen Wirkens weitaus weniger günstig lagen als
in Deutschland. Nach dem Zeugnis eines der erfahrensten Kenner der Schwurgerichtseinrichtungen, JuliusGlasers, des frühern
österreichischen Justizministers, eignen sich Preßdelikte aus juristischen Gründen vorzugsweise für Schwurgerichte,
und auch in Bayern hat sich dieser Ausspruch bewahrheitet.
Nach dem deutschen Gerichtsverfassungsgesetz sind alljährlich die Urlisten in den Gemeinden aufzustellen, in welche die Namen
aller zum Schwurgerichtsdienst verpflichteten und berechtigten Personen einzutragen, und die zum Zweck etwaniger Berichtigungen
öffentlich bekannt zu machen sind. Die Regeln, welche für den Schöffengerichtsdienst gelten, beziehen
sich auch auf das S. GewissePersonen, die an sich befähigt und berechtigt sein würden, als Geschworne zu dienen, sind vom
Gesetz ausdrücklich befreit, wesentlich mit Rücksicht auf die Bedürfnisse des Staatsdienstes (z. B. gewisse höhere Beamte,
Militärpersonen, Schullehrer). Aus den Urlisten eines Amtsgerichtsbezirks ergibt sich dann im Weg der
Sichtung die sogen. Vorschlagsliste (gleichfalls jährlich), bei deren Anfertigung gerichtliche
Beamte mit der Verwaltung und unabhängigen Männern zusammenwirken. Aus den Vorschlagslisten der Amtsgerichte stellt dann
das Landgericht die Jahreslisten der
¶
mehr
Haupt- undHilfsgeschwornen zusammen. Als Hilfsgeschworne für den Fall der Verhinderung von Hauptgeschwornen sind Personen zu
wählen, welche am Sitzungsort des Schwurgerichts oder in dessen nächster Umgebung wohnen. Auf Grund der Jahresliste der
Hauptgeschwornen werden für die Sitzungsperiode 30 Geschworne von dem Präsidenten des Landgerichts ausgelost. Auf diesem Weg
entsteht die sogen. Spruchliste. Für die Aburteilung des einzelnen Falles wird das S. alsdann durch Auslosung
von zwölf Geschwornen gebildet, wobei das Ablehnungsrecht der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten in der Weise wirksam
wird, daß jeder von beiden Teilen die Hälfte der möglichen Ablehnungen bewirken, d. h. die Hälfte der Gesamtzahl der Geschwornen
abzüglich zwölf, ablehnen kann.
Bei ungleicher Anzahl der anwesenden Geschwornen kann der Angeklagte einen mehr ablehnen als der Staatsanwalt. Die zwölf Geschwornen
bilden die Geschwornenbank. Der Schwurgerichtshof besteht aus drei Richtern mit Einschluß des Vorsitzenden (Schwurgerichtspräsidenten).
Letzterer wird für jede Sitzungsperiode von dem Präsidenten des zuständigen Oberlandesgerichts ernannt. Die Beisitzer
bestimmt der Präsident des Landgerichts aus der Zahl der Mitglieder des letztern.
Die Geschwornen haben die ihnen am Schluß der Hauptverhandlung vorgelegten Fragen mit Ja oder Nein zu beantworten. Es ist ihnen
aber auch gestattet, eine Frage teilweise zu bejahen und teilweise zu verneinen. Zur Leitung ihrer geheimen Beratung und
Abstimmung wählen die Geschwornen einen Obmann. Dieser gibt dann im Sitzungszimmer den Wahrspruch kund und zwar in der Form,
daß er die Worte spricht: »Auf Ehre und Gewissen bezeuge ich als den Spruch der Geschwornen«, hierauf aber die von dem Vorsitzenden
gestellten Fragen samt den von den Geschwornen gegebenen Antworten verliest.
Zur Verurteilung ist eine Stimmenmehrheit von zwei Dritteln erforderlich. Von den Eigentümlichkeiten des schwurgerichtlichen
Verfahrens sind endlich noch zu erwähnen das Eingreifen der sogen. notwendigen Verteidigung und der nach dem Abschluß des
Beweisverfahrens und der Parteivorträge stattfindende Schlußvortrag des Schwurgerichtspräsidenten (sogen.
Rechtsbelehrung) im Sinn einer Belehrung über die rechtlichen Gesichtspunkte, welche die Geschwornen bei
Lösung der ihnen gestellten Fragen in Betracht zu ziehen haben. In Gemäßheit des von ihnen gefällten Wahrspruchs (Verdikts)
ergeht dann entweder die Freisprechung oder die Strafverhängung seitens des Schwurgerichtshofs, nachdem die Parteien noch
einmal gehört worden sind. Fast alle europäischen Staaten, auch Rußland, haben sich nach und nach für
Schwurgerichte entschieden; doch fehlt das S. noch in Holland, Spanien
[* 33] und in den skandinavischen Ländern.
einer der drei schweizer. Urkantone und der vier Waldstätte, grenzt östlich an den Kanton Glarus,
[* 35] südlich
an Uri
und (durch den Vierwaldstätter See) an Unterwalden, westlich an Luzern
[* 36] und Zug,
nördlich an Zürich
[* 37] und St. Gallen und hat einen Flächenraum
von 908 qkm (16,4 QM.). Der Kanton ist Voralpenland, zur einen Hälfte, nämlich im sogen. Inner-S., Reußgebiet, zur
andern Hälfte, in Außer-S., Limmatgebiet, so daß die Thäler von Inner-S. zum Vierwaldstätter und Zuger, diejenigen von
Außer-S. zum Zürichsee sich öffnen.
Die Wasserscheide zwischen beiden Hälften bildet ein alpiner Bergzug, der vom wilden Wiggis (2284 m), mit dem Muttriberg
beginnend, über den Drusberg (2281 m) und die beiden Mythen (1903 und 1815 m) zum Hochstock, Morgarten,
Kaiserstock, Roßberg (1582 m) zieht, im ZugerBerg zahm ausläuft und so den Zentralkörper der Schwyzer Alpen darstellt. Zentrum
von Inner-S. ist das Thal
[* 38] von S., wo sich von der einen Seite das Thal des Goldau-LowerzerSees, von der andern das Muotathal
öffnet und in sanftem Abfall zum Seeufer sich senkt.
Dieses Thalganze wird vom Wäggiser und GersauerBecken des VierwaldstätterSees durch die Nagelfluhpyramide des Rigi (1800 m),
vom urnerischen Schächenthal durch die Kette des Kinzigkulm (Windgelle 2759 m) getrennt. Außer-S. zerfällt in zwei getrennte
Thalsysteme durch den Bergzug des Fluhbrig (2095 m) und Aubrig (1702 m), der erst am Hochetzel (1102 m),
wo ihn die Pässe des Etzel (960 m) und der Schindellegi (832 m) überschreiten, mildere Formen annimmt. Zwischen diesem Zug
und den
GlarnerBergen
[* 39] ist das von der Aa durchflossene Wäggithal eingebettet, dem am Zürichsee zunächst die breite Ebene
der March, weiterhin das enge Halbthal der Höfe vorliegt.
Das andre Thalsystem ist Sihlgebiet, aus mehreren Quellthälern in das Plateau von Einsiedeln (909 m) auslaufend, um sich sofort,
am Hochrohnen (1232 m) vorbei, zur langen Waldschlucht des untern Sihllaufs zu verengern. Eine fahrbare Verbindung von Außer-
und Inner-S. führt über den Sattel (900 m), während der 1393 m hohe Haken (Einsiedeln-Schwyz) nur Fußpfad
ist. Ein holperiger Übergang ist der 1543 m hohe Pragel, der das Muotathal mit dem Glarner Klönthal verbindet. Das Klima
[* 40] ist
im allgemeinen dasjenige des Schweizer Voralpenlandes, milder in den tiefen Flußthälern und an den Seeufern, wo
z. B. Gersau im Jahresmittel 10° erreicht, rauh in den höhern Berggemeinden, wie in Iberg (1126 m) und noch in Einsiedeln
(5,2° Jahresmittel).
Die Bevölkerung,
[* 41] (1888) 50,396 Köpfe stark, ist ein echt alemannischer Schlag. Die Schwyzer haben sich oft als die Führer der
Urschweiz bewiesen. Diesen Vorrang verdanken sie ihrer »unbedingten Freiheitsliebe,
Energie und ihrem historisch gefärbten Patriotismus«. Die Patrizier erwarben sich in fremdem KriegsdienstVermögen; durchschnittlich
aber ist der Wohlstand gering, in einigen Thälern herrscht wirkliche Armut. Das Volk ist lebhaft und sehr bildungsfähig. Die
Schwyzer sind durchaus katholisch und zwar der DiözeseChur
[* 42] zugeteilt; außer dem berühmten Benediktinerstift Einsiedeln
gibt es noch 2 Kapuziner- und 4 Frauenklöster mit über 600 Ordensmitgliedern. Entsprechend der voralpinen Natur des
¶
mehr
Landes, bildet die Viehzucht,
[* 44] voraus die eines trefflichen und zahlreichen Rinderschlags, den Haupterwerb durch Sennerei und
Viehausfuhr. Auch unterhält das StiftEinsiedeln ein Gestüt zur Reinhaltung der Pferderasse. Starke Schweinezucht findet in der
March statt. Schafe
[* 45] und Ziegen sind in Menge vorhanden. Auf wenige Thalgründe beschränkt, deckt der Feldbau den
Getreidebedarf nicht; Zürich
ist der Fruchtmarkt des Landes. Die March pflanzt viel Hanf und Ziegerkraut und setzt letzteres an die
Glarner ab. Nur in Außer-S. treibt man etwas Weinbau.
Die March ist ein wahrer Obstwald (auch in Kernobst), der bis weit an die Berge hinanreicht; der innerschwyzerische Thalarm
von Schwyz
bis Küßnacht ist ein Hauptproduzent von Kirschwasser. Die Waldungen, noch immer übel bewirtschaftet,
unterhalten starke Ausfuhr von Nadel- und Laubholz. In denHöfen, bei Bäch, liefert ein Bruch treffliche Sandsteine, die nach
Zürich
eine Wasserstraße haben. Das Thal von S. besitzt roten, grauen und schwarzen Marmor, das hintere Wäggithal reiche
und wohlgelegene Lager
[* 46] von Wetzstein, Kalk, Gips
[* 47] und Thon.
Die höhern Lehranstalten in Schwyz
(Aktienunternehmen) und Einsiedeln (Unternehmen des Stifts) haben erfreulichen
Aufschwung genommen. Die Stiftsbibliothek Einsiedeln zählt 33,000 Bände, die öffentlichen Bibliotheken des Kantons zusammen
55,000 Bände. Dagegen besitzt der Kanton weder Blinden- und Taubstummen- noch Rettungs- und Zwangsarbeitsanstalten. Das Lehrerseminar
in Rickenbach sowie die auf luzernischem Boden befindliche Rettungsanstalt Sonnenberg sind wesentlich unter
Mitwirkung der Schweizerischen GemeinnützigenGesellschaft entstanden. Ein Lehrerinnenseminar besteht unter den Theodosianischen
Lehrschwestern zu Ingenbohl.
Was die Verfassung anlangt, so hat das Land S., einer der althergebrachten Landsgemeindekantone, nach dem Sonderbundskrieg
(1848) die reine Demokratie mit dem Repräsentativsystem vertauscht, ist aber mit der neuen Verfassung zum Referendum übergegangen.
Die jetzt gültige Verfassung wurde und vom Volk angenommen und partiell revidiert. Sie unterstellt
der obligatorischen Volksabstimmung alle Gesetze und Verträge, alle einmaligen Ausgaben von über 50,000, alle wiederkehrenden
von jährlich über 10,000 Frank, dem fakultativen Referendum, d. h. auf Begehren von 2000 Bürgern, alle
Staatsverträge sowie gewisse Dekrete und Verordnungen des Kantonsrats.
Die
Legislative ist einem Kantonsrat übertragen, der auf vier Jahre vom Volke gewählt wird, je ein Mitglied auf 600 Seelen.
Die Exekutive übt der vom Kantonsrat und zwar aus seiner Mitte auf vier Jahre ernannte Regierungsrat, der aus sieben
Mitgliedern besteht und vom Landammann präsidiert wird. Die oberste richterliche Instanz bildet das bezirksweise auf sechs
Jahre gewählte Kantonsgericht von neun Mitgliedern. Erste Instanz für Kriminalfälle ist das Kriminalgericht aus fünf Mitgliedern.
In denBezirken ist die Exekutive einem Bezirksammann übertragen, dem ein Kollegium für Waisensachen etc. zur Seite steht
(Bezirksrat); die untere richterliche Instanz ist das Bezirksgericht. In denGemeinden wirken ein Gemeinderat und ein Vermittler.
Die Staatsrechnung für 1886 zeigt an Einnahmen 369,092 Fr. (darunter 182,458 Fr. Vermögens- und Kopfsteuer), an Ausgaben 366,361
Fr. Das Erziehungswesen erforderte bloß 18,513 Fr., da die VolksschuleSache der einzelnen Gemeinden, resp.
Kreise
[* 49] ist, das Lehrerseminar zum Teil aus dem Jützschen Legat unterhalten wird und das höhere Schulwesen (s. oben) nicht Staatsunternehmung
ist. Die Passiven des Staatsvermögens betrugen Ende 1886: 1,495,775 Fr., während die Aktiven 129,110 Fr. ausmachten, mithin
ein Passivenüberschuß von 1,366,666 Fr. Dazu kommen jedoch noch zehn Spezialfonds im Betrag von nahezu
300,000 Fr.
Geschichte. Das alte S., welches 970 zum erstenmal erwähnt wird, erscheint von Anfang an als eine Gemeinde meist freier Bauern
mit einheimischen Ammännern an der Spitze; doch waren die Habsburger als Grafen vom Zürichgau, zu dem
es gehörte, seine Gerichtsherren. Im Dezember 1240 erhielt es von Friedrich II. zum Dank für geleisteten Zuzug einen Freiheitsbrief,
der es der Gerichtshoheit der Habsburger entzog; allein diese erkannten denselben nicht an, und nach langer Fehde mußte S.
unter ihre Botmäßigkeit zurückkehren.
Nachdem es 1291 das ewige Bündnis mit Uri
und Unterwalden geschlossen, erlangte es 1309 von Heinrich VIII. die rechtskräftige
Bestätigung seiner Reichsfreiheit und sicherte diese durch den glorreichen Sieg am Morgarten Die zähe Energie
und der wilde Heldenmut, den die Schwyzer bei jeder Gelegenheit an den Tag legten, gab ihnen eine Art Hegemonie
unter den Landkantonen, so daß ihr Name von den Fremden bald auf die gesamten Waldstätte und seit dem SempacherKrieg auf die
ganze Eidgenossenschaft angewendet wurde.