die äußern Teile erscheinen blaß, totenähnlich; der Brustkorb steht teilweise ganz still, nur hier und da hebt sich derselbe
in ganz flachen, fast unsichtbaren Atemzügen. Der
Puls ist anscheinend verschwunden, wenigstens an denjenigen
Stellen, wo
er gewöhnlich untersucht wird, an der
Hand;
[* 2] jedoch gelingt es mittels des
Hörrohrs dem untersuchenden
Arzt mit vollster Sicherheit, das
Pulsieren des
Herzens auch in noch so anhaltenden
Fällen von S. nachzuweisen.
Dieser Übergang vom deutlichen
Leben zum absoluten
Tod soll sich in einzelnen
Fällen bis zu zwölf
Stunden ausdehnen, doch
sind gerade über den S. so zahlreiche ganz unglaubwürdige Spukgeschichten im
Volk verbreitet, daß die
abergläubische
Angst vor dem Lebendbegrabenwerden zu den wunderlichsten Schutzmaßregeln geführt hat, besonders konstruierte
Särge, Läutapparate,
Ventilation der
Gräber u. dergleichen auf den frommen
Aberglauben berechnete
Erfindungen mehr. Der S.
tritt unter den verschiedensten Umständen ein, und zwar hat man vorzugsweise nach den
Ursachen folgende
Arten des Scheintodes
aufgestellt:
3) S. durch spezifische
Ursachen. Hierher gehören der S. der Neugebornen wegen noch nicht eingeleiteter
Atmung, der S. durch
Ertrinken,
Erhängen etc., der S. durch irrespirable
Gase,
[* 3] durch fremde
Körper im
Schlund etc. Bisweilen
bewirken auch mehrere der genannten
Ursachen gleichzeitig den
Eintritt des Scheintodes.
Der sehr lange dauernde S. tritt höchst selten ein und dann entweder bei neugebornen
Kindern oder Ertrunkenen und Erhängten.
Frauen, und zwar hysterische, geisteskranke und kataleptische, können
Tage, selbst 1-2
Wochen lang ganz
still liegen und eine kalte, bleiche
Haut,
[* 4] ziemlich starre
Augen, kaum fühlbaren
Puls, höchst schwache
Herztöne und kaum merkliche
Atembewegungen darbieten. Das
Gehör
[* 5] und das
Bewußtsein sind manchmal geblieben, die Kranken fühlten das
Peinliche ihres Zustandes,
konnten aber nicht darauf reagieren und hatten später eine gute
Erinnerung von allem dem, was um sie
herum vorgegangen war.
Solche
Fälle kommen zweifellos vor, aber die Zahl der glaubwürdigen ist eine sehr kleine. Genügende Vorbeugungsmittel gegen
das Lebendigbegrabenwerden sind: Beschränkung der zu frühen
Beerdigung, welche im allgemeinen nicht früher als 72
Stunden
nach dem
Tod stattfinden sollte, sodann obligatorische
Leichenschau durch Sachkundige. Die
Erfahrung hat
gelehrt, daß in den besteingerichteten Leichenhallen
(München,
[* 6]
Weimar)
[* 7] seit vielen
Jahren und unter vielen tausend
Fällen
noch nie der
Fall vorgekommen ist, daß ein dort deponierter
Körper das geringste Lebenszeichen wieder von sich gegeben hätte.
Wenn durch das
Hörrohr S. festgestellt ist, so sucht man durch Reizung sensibler
Nerven,
[* 8] Einwirkung von
Riechmitteln
(Ammoniak,
Essigäther),
Kitzeln der
Nase,
[* 9] Besprengen des
Körpers mit kaltem
Wasser, Reiben und
Bürsten der
ganzen
Körperoberfläche, besonders des
Rückens, das Erwachen zu bewirken. Bei Unglücksfällen
(Ertrinken etc.) ist aber mit jenen
Einwirkungen auf die sensibeln
Nerven nicht zu viel Zeit zu verlieren, vielmehr ist bald die künstliche
Atmung einzuleiten.
Der
Körper muß zu diesem
Zweck in halbe
Bauch- und Seitenlage gebracht werden, damit Zungenrücken und
Kehldeckel nicht den
Kehlkopfseingang verschließen und
Mund- und Magenflüssigkeiten abfließen können. Sodann zieht von zwei sich gegenseitig
unterstützenden
Personen die eine beide
Arme vom
Körper ab und allmählich, soweit es geht, nach
oben,
die andre komprimiert unmittelbar darauf rhythmisch den
Bauch.
[* 10] Durch die erstere
Bewegung tritt die
Luft in den Brustkorb ein,
durch die andre wird sie herausgedrängt und so eine rhythmisch wechselnde In- und Exspiration und damit der nötige Luftwechsel
bewirkt.
Ein gutes Unterscheidungsmittel zwischen
Tod und S. besteht darin, daß man
Senfteige auf die
Haut legt
oder die
Haut an einigen
Stellen mit nassem
Flanell oder mit
Bürsten so stark reibt, daß die
Oberhaut dabei verloren geht. Die
Stellen der
Senfteige röten sich bei erfolgtem
Tod nicht, die abgeriebenen
Stellen schwitzen nichts aus, sondern
trocknen bald ein und erscheinen nach 6-12
Stunden gelbbraun, hornartig
hart und etwas durchscheinend. Zu den entschiedensten
Zeichen des absoluten
Todes gehören die
Totenstarre und die Leichenfäulnis.
[* 1]
(Vertikalwinkel), die gleich großen
Winkel
[* 11] auf den entgegengesetzten Seiten zweier sich schneidender
Geraden, wie α und γ, β und δ in der
[* 1]
Figur;
sie haben den
Scheitel gemein, und die
Schenkel des einen sind die Rückwärtsverlängerungen
der
Schenkel des andern.
von einem
Schiff,
[* 16] das, vom
Sturm auf
Klippen
[* 17] oder auf eine felsige
Küste geworfen, unter den Wellenstößen
zerschellt, im
Gegensatz zum
Stranden, wobei das
Schiff, auf ein flach abgedachtes
Ufer oder eine
Sandbank
getrieben, hier festsitzt, wo es dann durch Erleichterung seiner
Last oder durch die eintretende
Flut manchmal wieder flott
gemacht wird.
Suda
und Sogosha sind die wichtigsten Nebenflüsse der S., welche vermittelst des Bjeloserskischen, des
Marien- und des Onegakanals
zur
Verbindung der
Ostsee mit dem
KaspischenMeer und
¶
Weiteres s. Niederlande,
[* 22] S. 140. Der Gesamtstromlauf der S. beträgt 430 km, wovon 340 km schiffbar sind.
Die bedeutendsten Nebenflüsse sind: in Frankreich links die Scarpe, in Belgien links die Lys, rechts die Dender und die Rupel.
Die S. ist bei Dendermonde 190 m, bei Antwerpen 660 m breit und hier zur Zeit der Flut (die noch bis Gent
[* 23] bemerkbar ist) 15 m tief. Historisch merkwürdig ist die S. wegen des von den Holländern von 1648 bis 1792 behaupteten und
nach der Trennung Belgiens wieder, aber vergeblich, in Anspruch genommenen Rechts ihrer Schließung. Auch die von Belgien von
den fremden Schiffen, welche die S. befuhren, erhobenen Zölle wurden durch den Brüsseler Ablösungsvertrag
vom aufgehoben.
»Kurzgefaßtes etymologisches Wörterbuch
der französischen Sprache«
[* 28] (Leipz. 1865);
»Glossaire roman-latin du XV. siècle« (Antwerp. 1865) und das »Exposé des lois
qui régissent la transformation française des mots latins« (Brüssel 1875).
Auch gab er zahlreiche altfranzösische
und altprovençalische Werke heraus, besorgte die 4. Auflage von Diez' »Etymologischem Wörterbuch der romanischen Sprachen«
(Bonn 1878) und brachte das von Grandgagnage begonnene »Dictionnaire étymologique de la langue wallone« (1880) zum Abschluß.
Andreas, holländ. Maler, geb. im Haag,
[* 33] bildete sich bei dem Theatermaler
Breckenheimer zum Landschaftsmaler aus und erzielte 1815 seinen ersten größern Erfolg mit einer Winterlandschaft. Auch
später waren Winterlandschaften seine Spezialität. Doch schilderte er daneben auch die Dünen, Wiesen, Wälder und HeidenHollands,
welche er anfangs in der kleinlichen Manier der ältern Schule, dann breit und frei in der Art der neuern
Stimmungsmaler behandelte. Bilder von ihm besitzen das Museum Fodor in Amsterdam
[* 34] und die Museen von Haarlem,
[* 35] Rotterdam
[* 36] und Gent.
Er starb im Haag.
der längste FlußAlgeriens, entsteht aus zwei Quellflüssen, von denen der eine längere vom DschebelAmur,
der andre vom Tiaret kommt, und mündet nach einem 700 km langen, vielgewundenen Lauf nördlich von Mostaganem
ins Mittelländische Meer.
Der S. ist bald ein reißender Strom, bald ganz seicht;
Donaukreis, OberamtBlaubeuren, an der Aach und der LinieUlm-Sigmaringen der Württembergischen
Staatsbahn, hat eine restaurierte kath. Pfarrkirche, eine Schloßruine (Muschenberg), eine Erziehungsanstalt
für katholische Knaben, Zementfabrikation und (1885) 1126 meist kath. Einwohner.
Dazu gehört das säkularisierte Benediktinerkloster Urspring (jetzt mechanische Baumwollweberei).
(Tafellack, Plattlack, Lacca in tabulis), aus dem Gummilack abgeschiedenes Harz, wird in Indien erhalten, indem
man den rohen oder durch Auswaschen mit Wasser vom Farbstoff befreiten Gummilack in Säcken auf etwa 140°
erhitzt und das abfließende Harz auf Pisangblättern oder irdenen Cylindern in dünner Schicht erstarren läßt. Der S. kommt
in kleinen, dünnen, eckigen, tafelartigen Bruchstückchen, auch in Form von Kuchen (Kuchenlack) oder Klumpen (Klumpenlack)
sowie in Form meist runder, einige Linien dicker, wenig durchscheinender, braunroter, sehr glatter Tafeln
von reiner Masse (Blut-, Knopfschellack) in den Handel, ist in der Kälte sehr spröde und brüchig, ziemlich hart, geruch- und
geschmacklos, schmilzt beim Erhitzen, verbreitet in höherer Temperatur einen nicht unangenehmen Geruch und brennt mit hell
leuchtender Flamme.
[* 38] Er ist unlöslich in Wasser, aber löslich in Weingeist (bis auf das beigemengte Wachs),
Borax,
[* 39] Ammoniak und kohlensauren Alkalien. Man bleicht den S., indem man ihn in Sodalösung löst, mit unterchlorigsaurem Natron
gemischt dem direkten Sonnenlicht aussetzt, durch Salzsäure fällt und gut auswäscht. Er ist ganz farblos und nimmt beim
Kneten und Ausziehen einen schönen seidenartigen Glanz an. Der S. dient zur Bereitung von Siegellack, von
Firnis, Politur (farbloser S. für weiße Hölzer), Kitt, Schleifsteinen etc.
¶
(Tintinnabulum), Glocke von hart geschlagenem Messing- oder Silberblech oder aus Glockenmetall gegossen und dann
oft kugelförmig (Zimbel).
Man gebraucht diese Schellen, welche früher auch als Schmuck an Panzern, Wehrgehängen und
als Kleiderzierat (s. Schellentracht) dienten, jetzt nur noch zu den Schlittengeläuten.
Stadt in der sächs. Kreishauptmannschaft Zwickau,
[* 41] Amtshauptmannschaft Flöha, hat ein Amtsgericht, eine
Armen- und Arbeitsanstalt, Weberei,
[* 42] Maschinenstickerei und (1885) 1942 evang. Einwohner.
[* 40] eine bei Männern und Frauen übliche Stutzertracht, welche im zweiten Viertel des 14. Jahrh. aufkam
und sich trotz aller Luxusgesetze bis über die Mitte des 15. Jahrh. erhielt. Ursprünglich
wurde nur der Gürtel
[* 44] mit runden, ei- oder birnenförmigen Schellen besetzt. Im 15. Jahrh. trug man einen
besondern Schellengürtel wie ein Bandelier quer über Brust und Rücken (s. Abbild.), und man heftete auch am Halsausschnitt
des Gewandes und an den Rändern der Ärmel einzelne Glöckchen an. Später sah man sie nur noch an den Kleidern der
Hofnarren, besonders an der Narrenkappe.
Das Weibchen enthält 4 (9) Mill. Eier;
[* 54] die Jungen erreichen in sechs Monaten eine Länge von 20 cm und sind im dritten Jahr fortpflanzungsfähig.
Er ist ungemein gefräßig, nährt sich von Fischen, Krebsen, Muscheln
[* 55] und wird leicht mit der Grundschnur und Handangel, nur
an der norwegischen Küste in Netzen gefangen. Als Köder dienen nebenbei gefangene Kapelans, Tintenschnecken,
[* 56] Heringe oder die Eingeweide
[* 57] des Kabeljaus. Die gefangenen Tiere werden enthauptet, ausgeweidet und der Länge nach in zwei Hälften
zerschnitten, die man auf Gerüsten an der Luft trocknet (Stockfisch); ein andrer Teil der Fische wird gesalzen und
dann auf den Klippen getrocknet (Klippfisch) oder eingesalzen in Fässer verpackt (Laberdan).
Die Lebern werden auf Leberthran verarbeitet, die Köpfe dienen als Viehfutter, aus den übrigen Abfällen bereitet man Fischguano.
Seine hauptsächliche Bedeutung hat der S. als Fastenspeise in katholischen Ländern. Etwa 4000 Schiffe
[* 58] mit einigen 20,000
Schiffern sind allein in der dreimonatlichen Fangzeit an den Lofoten und im Westfjord versammelt und bereiten
dort die oben genannte Ware, während von den englischen Fischereigründen der Fisch meist frisch ins Land verschickt wird.
Auch in verhältnismäßig sehr kleinen Behältern ist der Kabeljau lange zu erhalten. Der S. (G. AeglefinusL.), 45-60 cm lang
und bis 8 kg schwer, gestreckter gebaut, am Rücken bräunlich, an den Seiten silbergrau, mit schwarzer
Seitenlinie, lebt überall in Scharen in der Nordsee, findet sich seltener und nur bis Kiel
[* 61] hinab in der Ostsee, scheint beständig
auf der Wanderung begriffen zu sein, weilt z. B. in der Nähe der friesischen Küste vom März bis Mai und Juli und dann vom
Oktober bis Januar und kommt im Februar und März hart an die Küste, um zu laichen. Man fängt ihn viel mit Grundleine und Handangel,
weniger mit Netzen und bringt ihn frisch auf die MärkteEnglands, Nordwestfrankreichs, Deutschlands, Hollands und Norwegens; sein
Fleisch, welches man auch einsalzt, ist sehr geschätzt. Der Wittling (Merlan, G. MerlangusL.), 30-40 cm
lang, ohne Bartfaden, hell braungrau, an den Seiten und am Bauch weiß, mit dunkeln Flecken an der Wurzel
[* 62] der Brustflossen, findet
sich in den westeuropäischen
¶
mehr
Meeren von den Orkneys bis Portugal,
[* 64] minder häufig in der Nord- und Ostsee, lebt weniger gesellig und tritt bei weitem nicht
so massenhaft auf wie die vorigen, kommt aber in Scharen im Januar und Februar den Küsten sehr nahe; sein Fleisch gilt als besonders
wohlschmeckend. Der Köhler(G. carbonariusL.) ist dunkel gefärbt, bewohnt besonders die nördlichen
Meere von der westlichen bis östlichen Küste, findet sich aber auch in der Nord- und Ostsee. Er liebt felsigen Grund in nicht
zu großer Tiefe und lauert versteckt auf Beute: Heringe, Kruster etc. Die Laichzeit währt von Dezember bis Februar.
SeinFleisch ist wenig geschätzt, es kommt gesalzen und getrocknet in den Handel. JungeKöhler sind schmackhafter.
In Seewasserteichen wird er sehr zahm. Die GattungMerlucciusGthr. (Meer- oder Seehecht) umfaßt Fische mit zwei Rückenflossen,
einer Afterflosse, gesonderter Schwanzflosse, wohl entwickelten Bauchflossen, ohne Bartfäden. Der Kummel (Hechtdorsch, M.vulgarisFlem.), 1,25 m lang, bis 16 kg schwer, oberseits braungrau, an den Seiten
heller, am Bauch silberweiß, bewohnt das Mittelmeer und den Atlantischen Ozean längs der europäischen Küsten bis Norwegen,
[* 65] weilt in der Fortpflanzungszeit vom Januar bis April am Boden des Meers, folgt den Pilcharden auf ihrem Zug
an die Küsten, ist äußerst
gefräßig und wird in Massen gefangen und zu Stock- und Klippfisch verarbeitet.
An der dortigen Universität begann er unter außerordentlichem Zudrang und vor einer zum Teil sehr gewählten
Zuhörerschaft Vorlesungen über »Philosophie der Mythologie und Offenbarung«, die, von Paulus nach einem nachgeschriebenen Heft
ohne die Genehmigung Schellings herausgegeben, schließlich zu einem für den klagenden Autor ungünstigen gerichtlichen Verfahren
Veranlassung gaben. Infolge des Skandals, der sich an den Rechtshandel mit Paulus knüpfte, und auch
infolge
der Enttäuschung, welche die anfänglich mit großer Spannung erwartete neue philosophische Wendung nach der Paulusschen
Veröffentlichung gebracht hatte, verzichtete S. auf eine weitere Lehrthätigkeit und lebte seitdem abwechselnd in Berlin,
München u. a. O. Er starb im Bad
[* 71] Ragaz in der Schweiz,
[* 72] wo ihm der König Maximilian II. von Bayern
[* 73] 1856 ein
Denkmal errichten ließ.
Eine ebenso geistreiche wie vielseitige Natur und klassischer Schriftsteller, hat S. auf den verschiedensten Gebieten, der
Naturwissenschaft, der Medizin, der Kunsttheorie, der Rechts- und Staatswissenschaft und der Theologie, tiefe Spuren zurückgelassen.
Seine Philosophie hat infolge seiner Anregbarkeit so viele Wandlungen durchgemacht, daß man ihn nicht
unpassend den »Proteus« derselben genannt hat. Dieselbe zerfällt in zwei Hauptperioden, die voneinander durch die 1809 erschienene
Abhandlung »Über das Böse« getrennt werden und von ihm selbst als negative und positive, von andern (richtiger) als pantheistische
und theistische bezeichnet worden sind.
In der ersten, an Fichte
[* 74] anknüpfenden erscheint er, wie dieser, von dem Bestreben beherrscht, die Philosophie als eine Vernunftwissenschaft,
in der zweiten, in welcher er seinen eignen Worten nach wieder zu Kant zurückgekehrt ist, dagegen bemüht er sich, dieselbe
als eine »die bloße Vernunfterkenntnis überschreitende positive Wissenschaft« darzustellen. Beiden Perioden
gemein ist das Bemühen, das Ganze der Wissenschaft aus einem einzigen Prinzip systematisch abzuleiten, jedoch mit dem Unterschied,
daß dieses letztere in der ersten Periode (Philosophie = Vernunftwissenschaft) als innerhalb der Vernunft selbst gelegenes
(immanentes, rationales), dessen Folgen notwendige und daher der bloßen Vernunft erreichbare sind, in der
zweiten Periode (Philosophie = positive Wissenschaft) dagegen als jenseit und über der Vernunft gelegenes (transcendentes, übervernünftiges,
»unvordenkliches«) angesehen wird, dessen Folgen »freie« (d. h. vom Wollen oder Nichtwollen abhängige, ebensogut stattfinden
als ausbleiben könnende) und daher nur durch »Erfahrung« (Geschichte und Offenbarung) erkennbar sind.
Prinzip der Philosophie (in der ersten Periode) ist im Anschluß an Fichtes (s. d.) ursprüngliche Wissenschaftslehre
(nach Beseitigung des Kantschen Dingesan sich) das schöpferische Ich als das einzige Reale, durch dessen innerlich zwiespältige,
ruhelos setzende und wieder aufhebende Thätigkeit die Totalität des Wissens als des einzig Realen zu stande kommt, daher sein
SystemIdealismus (s. d.) ist. Während jedoch Fichte das Ich nur als menschliches (was dieser bestritt),
faßte es S. (seiner Versicherung nach) vom Anbeginn an als allgemeines oder absolutes auf, dessen bewußtlos (in der Naturform)
schöpferische Produktion die reale Natur-, dessen bewußt (in der Geistesform) schöpferische Produktion die ideale Geisteswelt,
beide (das Ideale wie das Reale) aber als »Seiten« desselben (absoluten) Ich in ihrer Wurzel identisch seien.
Jene, die Deduktion des gesamten Naturseins (natura naturata) aus dem Absoluten als (unbewußt) schaffendem Realprinzip (natura naturans),
ist Gegenstand der Naturphilosophie (1797-99), derjenigen Gestalt seiner Philosophie, durch welche er, wie er noch in seiner
Berliner
[* 75] Antrittsrede sich rühmte, »ein neues Blatt
[* 76] in der Geschichte der Philosophie aufgeschlagen haben«
will. Die Deduktion des gesamten geistigen Bewußtseinsinhalts, wie er in den drei aufeinander folgenden Sphären der Kunst,
Religion und Philosophie (=
¶
mehr
Wissenschaft) enthalten ist, aus dem Absoluten als (nach dem Erwachen des Bewußtseins) schöpferischem Idealprinzip macht
die Philosophie des Geistes oder des Systems des transcendentalen Idealismus (1800) aus, durch welches S. (seiner Erklärung zufolge)
FichtesSystem erklären und mit der Wirklichkeit aussöhnen wollte. Die durch das StudiumSpinozas und Brunos befruchtete
Lehre
[* 78] von der wesenhaften Identität beider Sphären, der realen und idealen, als nur verschiedener Ansichten eines und desselben
Absoluten, bildete den Inhalt der sogen. Identitätsphilosophie, welche S. zuerst in der (mit Hegel gemeinsam herausgegebenen)
»Zeitschrift für spekulative Physik« (1801),
dann, mit der Platonischen Ideenlehre vermischt, in dem Gespräch: »Bruno« und
in den »Vorlesungen über die Methode des akademischen Studiums« (1802) entwickelte. Von diesen hat die Naturphilosophie die
ausgebreiteten, wenn auch nicht die wohlthätigsten Folgen auf die Naturwissenschaft (und Medizin) geübt. Indem ihr Urheber
die Natur als »unbewußt« (= in Naturform) schöpferischen Geist, die Thätigkeiten der Natur also als »unbewußte« Geistesthätigkeiten
auffaßte, leuchtete er in das Dunkel der schaffenden Natur, in deren Inneres angeblich »kein geschaffener Geist dringt«, mit
der Fackel der Fichteschen Wissenschaftslehre hinein.
Wie das Wissen nichts Totes ist, sondern durch das immer thätige rhythmische Spiel entgegengesetzter Geisteskräfte, einer
schrankenlos setzenden (positiven, stoffgebenden) und einer unausgesetzt beschränkenden (negativen, formgebenden),
jedes Wissensprodukt entsteht und wieder über dasselbe hinausgegangen wird, so ist die Natur kein starres Sein, sondern ununterbrochenes
Leben, indem durch das rhythmische Spiel entgegengesetzter Naturkräfte, einer schrankenlos setzenden (positiven, stoffgebenden)
und einer unausgesetzt beschränkenden (negativen, formgebenden), jedes einzelne Naturprodukt erzeugt und zugleich über
dasselbe zu weitern hinausgegangen wird.
Als ursprünglichste Kräfte der Natur wirken nun das unendliche Expansions- und das unausgesetzt wirksame
Kontraktionsstreben, aus deren gegenseitiger Spannung die Materie (als erstes Produkt des Naturprinzips) entspringt. Jenes (von
S. um seiner raumdurchdrinden ^[richtig: raumdurchdringenden] Eigenschaft willen mit dem Licht
[* 79] verglichen und daher selbst
mit diesem Namen [obgleich in weit allgemeinerm Sinn als das optische Licht] belegt) stellt den positiven,
stoffgebenden, dieses (von S. seiner verdichtenden Eigenschaft wegen mit der Schwere verglichen und [abermals in weit allgemeinem
Sinn als die irdische Schwere] mit diesem Namen belegt) stellt den negativen, formgebenden Faktor der Materie dar.
Beide werden von S. mit den analogen Bewußtseinsthätigkeiten des (leeren) Schauens und des (bestimmten)
Empfindens verglichen, aus deren gegenseitiger Spannung das erste Geistesprodukt, die Anschauung, entspringt. Wie aus der letztern
durch fortgesetzte Geistesthätigkeit alle höhern Produkte des Bewußtseinslebens (Begriff, Urteil, Schluß) als Potenzierungen
des Anschauens, so gehen nun durch fortgesetzte Naturthätigkeit alle höhern Naturprodukte (unorganischer Naturprozeß,
organisches Naturleben, Bewußtsein) als Potenzierungen der Materie aus dem realen Leben des universalen
oder absoluten Ich (Welt-Ich) hervor.
Schluß und Abschluß derselben bildet das auf der höchsten Naturstufe (im Menschen) erwachende Bewußtsein, in welchem der
bisher (wie im somnambulen Schlummer) bewußtlos, aber zweckmäßig thätig gewesene Naturgeist (die Weltseele) gleichsam
ein Auge
[* 80] aufschlägt und sich selbst, das einzige Reale, zum Objekt seines Anschauens (des Idealen) macht.
Damit aber beginnt von
seiten des sich (als Mensch im Universum) selbst erschauenden Absoluten ein neuer, dem Naturprozeß,
in welchem das Absolute von Stufe zu Stufe bis zum vollkommensten Naturprodukt (zum Menschen) sich erhebt, analoger Geistesprozeß,
in welchem das im Menschen verkörperte, also selbst zu einem Teil der Natur gewordene (verendlichte) Absolute sich zum Bewußtsein
seiner als des Absoluten (seiner eignen Unendlichkeit und Freiheit) erhebt.
Wie der Verlauf des erstern Prozesses die Geschichte der Natur, die Menschwerdung, so stellt der des letztern die Weltgeschichte,
die Gottwerdung, dar, an deren Ende, wie S. damals (1802) sich ausdrückte, »Gott
sein wird«. Die Phasen desselben (analog den Stufen des Naturprozesses: unorganische, organische, menschliche Stufe) verlaufen
so, daß das Absolute anfänglich (objektiv) unter der Form der sichtbaren Natur (real; sichtbare Götter; Heidentum) angeschaut,
darauf (subjektiv) unter der Form des unsichtbaren Geistes (ideal; unsichtbarer Gott; Christentum) gefühlt,
schließlich als eins und dasselbe mit dem Erkennenden (als Subjekt-Objekt) gewußt wird, wodurch zugleich die drei Formen
der Offenbarung desAbsoluten: Kunst, Religion und Philosophie, und die drei Hauptperioden der Weltgeschichte: Altertum, Mittelalter
und Neuzeit (welch letztere mit dem Auftreten seiner Philosophie beginnen sollte), charakterisiert werden
sollten.
Diese (entschieden pantheistische) Gestalt seiner Philosophie ist nun von S. in dessen zweiter Periode (ebenso entschieden)
verleugnet und, während sie ursprünglich die gesamte Philosophie ausmachen sollte, nicht ohne Gewaltsamkeit zu einem zwar
integrierenden, aber untergeordneten Gliede des Gesamtorganismus der Wissenschaft herabzusetzen gesucht worden. Denn da man
sich Gott, der nach dem Ausspruch des frühern S. erst »am Ende sein wird«, zwar als Ende und
Resultat unsers Denkens, nicht aber als Resultat eines objektiven Prozesses denken könne, so folge, daß die ganze bisherige
rationale Philosophie (die seinige inbegriffen) sich in einem Mißverstand über sich selbst befunden habe, indem
sie den ganzen von ihr nachgewiesenen (Gottwerdungs-) Prozeß als einen realen sich vorgestellt, während er nur ein idealer
(im bloßen Denken vor sich gehender) sei.
Das Resultat der rein rationalen Philosophie, die er ebendarum als negative bezeichnet, sei daher kein wirkliches, sondern
ein bloßes Gedankending (nicht der wirkliche Gott, sondern nur der Gottesgedanke); die wirkliche Welt,
wie sie ist, deren Begreifen die Aufgabe der Philosophie ausmacht, könne nicht aus einem bloßen Gedanken, sondern nur aus
einem objektiven Prinzip (aus dem wirklichen Gott, nicht aus dem Gottesgedanken) begriffen werden. Damit, lehrte S., kehre
er wieder zu dem von Kant in seiner Kritik des ontologischen Beweises für die ExistenzGottes geäußerten
Prinzip zurück, daß sich aus dem reinen Gedanken die Existenz nicht »herausklauben« lasse.
Während die negative Philosophie Gott erst »am Ende« hat, als Prinzip, hat die positive Philosophie (welcher die erstere nur
die Mittel zu bereiten hat) diesen vor allem Anfang, »zum
Prinzip«. Gott ist das absolute Prius, dessen Existenz ebendarum auch weder bewiesen werden kann, noch bewiesen zu werden braucht,
und welches daher auch durchaus keine Notwendigkeit haben, d. h. durch nichts gezwungen werden kann, eine Welt hervorbringen.
Letztere kann daher nur Folge einer freien That (von seiten Gottes) und als solche nur Gegenstand einer
(nicht rationalen, sondern)
¶
mehr
Erfahrungserkenntnis (von seiten der Philosophie) sein. Die Aufgabe der positiven Philosophie wird dahin formuliert, daß sie
»in einem freien Denken in urkundlicher Folge das in der Erfahrung Vorkommende nicht als das Mögliche, wie die negative Philosophie,
sondern als das Wirkliche abzuleiten habe«. Der Anschluß der Philosophie an die »Urkunden« der Offenbarung
ist ihr dadurch als Richtschnur vorgezeichnet und die Ableitung des in denselben, also erfahrungsmäßig, Gegebenen aus Gott,
dem Prius aller Erfahrung, ihr zur Aufgabe gemacht. Da nun von allen erfahrungsmäßig gegebenen Thatsachen der offenbarungsgläubigen
Geschichte keine mit der Existenz eines göttlichen Schöpfers der thatsächlichen Welt mehr im Widerspruch zu
stehen scheint als die Existenz des Übels und des Bösen in der Welt, so war es naturgemäß, daß der Umschwung in der Philosophie
Schellings mit dessen (1809 erschienenen) »Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit« begann, zu welchen er
eingestandenermaßen durch sein Bekanntwerden mit den Schriften des christlichen Mystikers und Theosophen
JakobBöhme (s. d.) veranlaßt wurde, welche von da an auf ihn bedeutenden Einfluß
ausübten.
Denn da Gott als die Ursache des Bösen sich ebensowenig denken, wie die Existenz desselben sich ohne Ursache denken läßt,
so kann die Ursache desselben nur in einem von Gott unabhängigen Grund und, da außer Gott sich nichts
von ihm Unabhängiges denken läßt, nur in einem in Gott, aber nicht Gott seienden Grund, in einem dunkeln »Ungrund«, gelegen
sein. Diese Unterscheidung eines in Gott Vorhandenen, was nicht Gott ist, führt zur Erklärung des gegenwärtigen, durch
den biblischen Sündenfall verschuldeten Zustandes der Menschheit auf einen unvordenklichen und vorgeschichtlichen
Zeitpunkt zurück, in welchem durch die Entstehung des Urmenschen Adam die ursprüngliche vollkommene Schöpfung einer »innergöttlichen«
Welt zum Abschluß gelangt war. Im Gegensatz zu dieser durch den göttlichen Willen hervorgerufenen steht die Außergöttliche,
durch den von Gott nicht gewollten, aber auch nicht nicht gewollten, sondern eben nur zugelassenen Umsturz
des All-Einen (uni versio) durch den (universellen) Sündenfall des (Ur-) Menschen verursachte, uns allein bekannte sogen. reale
und böse Welt (das universum oder perversum).
Nach friedlicher Trennung (1803) von ihrem zweiten Gatten verheiratete sie sich mit S., folgte diesem nach Würzburg und starb auf
einer Reise nach Schwaben in Maulbronn. Mehrere unter A. W. SchlegelsNamen und in dessen Schriften erschienene
Aufsätze und Übersetzungen (»Romeo und Julie«) rühren von ihr her. Ihre höchst interessanten Briefe, die Schellings Lob, daß
sie »ein Meisterstück des Geistes« gewesen sei, begreiflich machen, gab Waitz unter dem Titel: »Karoline« (Leipz. 1871, 2 Bde.;
Nachtrag 1882) heraus.