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Huldigungen die Gunst des Chans zu erhalten, die großfürstliche Würde in seiner Familie zu befestigen und Moskau [* 2] zur Hauptstadt Rußlands zu erheben; auf sein Andringen verlegte der Metropolit Peter seinen Sitz nach Moskau. Als sein ältester Sohn, Simeon (1340-53), Gordije, d. h. der Stolze, benannt von dem Ansehen, welches er sich bei den Teilfürsten zu verschaffen wußte, vom schwarzen Tod weggerafft worden war, folgte der jüngere, Iwan II. (1353-1359), diesem nach kurzem Interregnum sein unmündiger Sohn Dmitrij (1362-89), welcher sich durch einen glänzenden Sieg über die Mongolen auf dem Feld von Kulikowo, am Einfluß der Neprädwa in den Don, den Beinamen »Donskoi« erwarb; doch wurde er schon 1382 durch die Plünderung und Verbrennung Moskaus wieder zur Anerkennung der mongolischen Oberhoheit genötigt.
Wichtig war, daß Dmitrij an Stelle der bisherigen Thronfolgeordnung, nach welcher das älteste Mitglied der Fürstenfamilie erbberechtigt war, das Recht der Erstgeburt im Großfürstentum einführte, indem er seinen Vetter Wladimir bewog, seinen Ansprüchen zu gunsten von Dmitrijs ältestem Sohn zu entsagen, der darauf als Wasilij I. (1389-1425) den Thron [* 3] bestieg. Unter ihm fielen die Mongolen unter Timur auch in Rußland ein und plünderten mehrere Städte, wie Kasan [* 4] und Nishnij Nowgorod; auch entriß Wasilijs Schwiegervater, der Großfürst Witold von Litauen, Rußland das Gebiet bis zur Ugra. Indes hatte sich die großfürstliche Macht so gefestigt, daß selbst die schwache Regierung seines Sohns Wasilij II. Temnyi (der Geblendete, 1425-62) die Einheit des Reichs nicht erschütterte, im Gegenteil im Lauf der Zeit mehrere Fürstentümer mit dem Großfürstentum vereinigt wurden; auch ward das Reich von Kiptschak außer durch die Angriffe Timurs noch durch die Bildung der selbständigen Chanate Kasan und Krim [* 5] geschwächt.
Rußland unter den letzten Ruriks.
Wasilijs II. Sohn Iwan III. (1462-1505) machte sich 1469 das Chanat Kasan zinspflichtig, zwang die Stadt Nowgorod, nachdem sein Feldherr Cholmskij ihre Kriegsmacht an den Ufern des Schelon geschlagen und zersprengt hatte (1471), zur unbedingten Unterwerfung (1478) und wehrte 1480 einen Angriff des Chans der Goldenen Horde, Mohammed, ab; als dieser den Rückzug antrat, wurde er von den tatarischen Horden der Schibanen und Nogaier bei Asow überfallen, getötet und sein Heer vernichtet. Damit brach das Reich der Goldenen Horde zusammen, und Rußland war vom Tatarenjoch befreit.
Durch seine Vermählung (1472) mit der Prinzessin Sophie, der Nichte des letzten paläologischen Kaisers von Byzanz, welche in Rom [* 6] Zuflucht gefunden hatte, trat Iwan in engere Verbindung zu dem übrigen Europa, [* 7] die er, übrigens ohne großen Erfolg, durch Heranziehung fremder Künstler und Handwerker zu stärken suchte. Auch nahm er das Wappen [* 8] der griechischen Kaiser, den zweiköpfigen Adler, [* 9] an, welchen er mit dem frühern Moskauer Wappen, dem Bilde des heil. Georg des Siegers, verband, und nannte sich Großfürst und Selbstherrscher (Gossudar) von ganz Rußland.
Mit dem Großfürsten Alexander von Litauen hatte er 1494 einen Bund geschlossen und ihm seine Tochter Helena vermählt, wofür Alexander Wjasma und Mossalsk abtrat. 1500 geriet er aber mit Alexander in Streit und besiegte die Litauer an der Wedroscha, erlitt aber 1501 bei Isborsk und 1502 am Smolinasee von den mit Litauen verbündeten Livländern empfindliche Niederlagen. Dennoch gewann er durch seine schlaue Politik im Frieden, der 1503 zu stande kam, ein sehr beträchtliches Gebiet, so daß sein Reich, welches bei seinem Regierungsantritt etwa 600,000 qkm umfaßt hatte, nunmehr 2¼ Mill. qkm zählte. Vor seinem Tode teilte er zwar seinen jüngern Söhnen auch beträchtliche Besitzungen zu, aber ohne landesherrliche Rechte. Diese kamen allein dem ältesten Sohn, Wassilij III. (1505-33), zu, der überdies zwei Drittel des Reichs bekam; derselbe bezog die durch italienische Architekten und Ingenieure neuaufgebaute Burg des Kreml, die starke Citadelle von Moskau, und erwarb Smolensk.
Wasilijs III. Sohn und Nachfolger Iwan IV. (1533-84), bei dem Tod seines Vaters erst 3 Jahre alt, wuchs unter den verderblichen Einflüssen einer verbrecherischen Regentschaft voll wilder Frevelthaten und leidenschaftlicher Parteiwut auf, die in ihm den Grund zu jener rohen Gemütsart legten, welche ihm den Beinamen des »Schrecklichen« (Grosnyj) erwarb. Kaum hatte er als Zar von Rußland die Zügel der Regierung in die eigne Hand [* 10] genommen (Januar 1547), so richtete er seine Waffen [* 11] gegen Kasan und machte nach der Eroberung der Hauptstadt dem Chanat ein Ende.
Hierauf wurde auch Astrachan, der Sitz eines andern tatarischen Reichs, mit leichter Mühe eingenommen (1556) und zu einem Hauptverkehrsplatz mit Persien [* 12] und dem fernen Orient umgeschaffen. Gegen die Tataren der Krim schützte er die Grenze durch Befestigungen und unternahm auch wiederholt verheerende Einfälle in ihr Gebiet, den erfolgreichsten 1559, konnte es aber nicht hindern, daß die krimschen Tataren 1571 unvermutet in Rußland einfielen, Moskau verbrannten und 100,000 Menschen in die Gefangenschaft schleppten.
Der Wunsch, durch die Erwerbung eines Küstenstrichs an der Ostsee in Handelsverkehr mit dem westlichen Europa zu treten, veranlaßte ihn zu dem Krieg mit Livland, [* 13] in dem die Russen viele feste Plätze, wie Narwa, Dorpat [* 14] u. a., einnahmen. Als aber der Heermeister des Schwertordens, Kettler, Esthland an Schweden, [* 15] Livland an Polen abtrat und sich unter polnische Lehnshoheit stellte, sah sich Iwan in einen Krieg mit Polen und Schweden verwickelt und mußte 1582 nicht bloß im Waffenstillstand mit Polen auf Livland verzichten, sondern 1583 den Schweden noch die russischen Städte Jam, Iwangorod und Kaporje abtreten. Im Osten dagegen drang 1568 eine tapfere Kosakenschar über das Uralgebirge in Asien [* 16] ein und begann die Eroberung Sibiriens. Von wichtigen Folgen war auch die Entdeckung des Seewegs nach dem Weißen Meer durch die Engländer (1553), denen Iwan wertvolle Handelsprivilegien gewährte, wie er denn auch sonst die fremde Einwanderung, besonders von deutschen Handwerkern, Lehrern, Ärzten und Gewerbtreibenden aller Art, begünstigte.
Für die innere Entwickelung war die Verkündigung eines neuen Rechtsbuches, »Sudebnik«, von Bedeutung, welches die Privilegien des Adels und der Geistlichkeit festsetzte und Bestimmungen traf, um die Bestechlichkeit der Richter abzustellen und der Rechtspflege durch Beiziehung von Geschwornen eine größere Gleichmäßigkeit und Sicherheit zu geben. Sein Streben ging ferner dahin, jede vom Zaren unabhängige Macht zu brechen und jeden Widerstand gegen seinen Willen rücksichtslos niederzuschlagen, wobei er in den letzten Jahren seines Lebens seinem Hang zur Grausamkeit oft allzusehr nachgab. Durch die Drohung, er werde das Reich verlassen, weil die Geistlichkeit die widerspenstigen Bojaren vor Bestrafung schütze, erzwang er 1565 das Zugeständnis, daß er ohne alle Einsprache von seiten der Geistlichkeit ¶
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Todesstrafen, Achtserklärungen und Gütereinziehungen nach seinem Ermessen vornehmen dürfe, trennte dann eine Anzahl Städte und Landschaften als »abgesondertes Land« (Optritschnina) von dem übrigen Reichsland (Semschtschina) mit der Bestimmung, daß jenes ganz für den Bedarf des Zaren dienen solle, und schuf aus den so gewonnenen Einkünften ein eignes Korps Schützen (Strelzi, Strelitzen), die als Garde den Kern seiner Kriegsmacht bildeten. Jetzt bekam Rußland seine despotische Willkür zu fühlen, indem der vom Volk als Heiliger verehrte Metropolit Philipp abgesetzt und im Kerker erdrosselt und Nowgorod, das verräterischer Unterhandlungen mit den Polen beschuldigt ward, fünf Wochen lang den Würgern und Plünderern preisgegeben wurde, so daß die Zahl der Erschlagenen 60,000 betragen haben soll.
Auf Iwan IV. folgte sein Sohn Feodor I. (1584-98), ein schwacher Fürst, der ganz unter der Leitung seines Schwagers und allmächtigen Ministers Boris Godunow stand. Da Feodor keine Kinder hatte, trachtete Boris selbst nach der Krone und ließ daher Feodors jüngern Bruder, Dmitrij, 1591 zu Uglitsch ermorden. Da er kraftvoll regierte, das Volk durch Gerechtigkeit und Freigebigkeit gewann und die äußern Feinde abwehrte, ja den Schweden die 1583 abgetretenen Städte wieder entriß, so wurde er, als mit Feodors Tod der Mannesstamm Ruriks erlosch, zum Zaren erwählt Trotz seiner Tüchtigkeit und seiner wohlgemeinten Reformen vermochte aber Boris Godunow (1598-1605) sich die Anhänglichkeit der Großen nicht zu erwerben, und das Volk wandte sich von ihm ab, als Rußland drei Jahre lang (1601 bis 1604) von Mißernten und Hungersnot heimgesucht wurde. Die Unzufriedenheit und Gärung benutzte ein Mann unbekannter Herkunft, um sich, zuerst in Polen, für den dem Mordbefehl Godunows entgangenen Zarewitsch Dmitrij (der falsche Demetrius, s. Demetrius 5) auszugeben. Von dem Polenkönig Siegmund und den Jesuiten unterstützt, rückte er in Rußland ein, siegte über Boris an der Desna und fand allenthalben großen Anhang.
Als Boris Godunow nicht lange nachher plötzlich starb und sein junger Sohn Feodor II. ermordet worden war, konnte der falsche Demetrius in Moskau einziehen. Aber da er das Volk durch die Begünstigung der Polen und Deutschen und der römischen Kirche erbitterte, gelang es dem mächtigen Adelsgeschlecht der Schuiskois, einen Aufstand zu erregen, in dem der Prätendent getötet wurde, worauf von den Bojaren und Bürgern Moskaus Wasilij Schuiskoi (1606-10) zum Zaren ausgerufen wurde.
Die allgemeine Zerrüttung, besonders die Unzufriedenheit der niedern Klassen, hatte das Auftreten neuer falscher Prätendenten zur Folge, gegen welche sich Wasilij nur mit Mühe behauptete und bei Schweden eine Stütze suchte. Aber trotz schwedischer Hilfe erlitt das Heer des Zaren bei dem Dorf Kluschino unweit Moshaisk eine schwere Niederlage, infolge deren Wasilij von den Moskauern gezwungen wurde, dem Thron zu entsagen und sich in ein Kloster zurückzuziehen.
Daraus schlossen die Bojaren mit den Polen einen Vertrag, kraft dessen diese Moskau mit dem Kreml besetzten. Während nun ein Teil des Adels den polnischen Kronprinzen Wladislaw zum König ausersehen hatte, die Nowgoroder den schwedischen Prinzen Karl Philipp, Karls IX. Sohn, auf den Thron zu erheben gedachten, König Siegmund aber Rußland mit Polen vereinigen wollte, hatte Rußland alle Schrecken eines herrenlosen Zwischenreichs (1610-13) zu erdulden. Dieselben wurden durch den unglücklichen patriotischen Aufstand des Patriarchen Hermogenes in Moskau (März 1611), der mit einem Straßenkampf und dem Brand Moskaus endete, und durch das Auftreten eines neuen Prätendenten in dem Sohn des ersten Demetrius und der Marina gesteigert.
Endlich stellte sich ein Mann von geringer Herkunft, Kosma Minin, in Nishnij Nowgorod an die Spitze einer nationalen Erhebung, der sich auch ein Teil der Bojaren, so Dmitrij Posharski und Trubezkoi, anschloß. Ein russisches Heer zog vor Moskau und zwang die polnische Besatzung nach tapferer Verteidigung zum Abzug (Oktober 1612). Hierauf wurde der 17jährige Michael Romanow, ein Verwandter des alten Rurikschen Herrschergeschlechts, zum Zaren erwählt.
Die Herrschaft der ersten Romanows (1613-89).
Zar Michael Feodorowitsch (1613-45), dem sein Vater, der Patriarch Feodor Philaret, als einflußreicher und kluger Ratgeber 13 Jahre zur Seite stand, wußte die innere Ruhe und den äußern Frieden herzustellen, indem er die Rebellenscharen zersprengte und mit den Schweden den »ewigen« Frieden zu Stolbowa schloß, in welchem Nowgorod den Russen zurückgegeben, dagegen Kexholm, Karelien und Ingermanland dem König Gustav Adolf überlassen wurden. Mit Polen kam 1618 zu Deulino ein 14jähriger Waffenstillstand und, nachdem Michael 1633 einen erfolglosen Angriff auf Litauen gemacht hatte, der Friede von Poljanowka zu stande, in welchem der Zar seine Ansprüche auf Livland und alle übrigen Teile des ehemaligen Ordenslandes aufgab und auf Smolensk, Tschernigow und Sewersk verzichtete, der Polenkönig dagegen dem Zarentitel entsagte.
Auf Michael folgte sein 16jähriger Sohn Alexei Michailowitsch (1645-76). Derselbe stand ganz unter der Herrschaft seines frühern Erziehers, des Bojaren Morosow, der sich auch mit der Schwägerin des Zaren vermählte. Die gewissenlose Habgier, mit der Morosow und seine Günstlinge ihre Ämter verwalteten, rief 1648 einen Aufstand hervor, in dem mehrere von Morosows Kreaturen der Volkswut zum Opfer fielen und er selbst nur durch das Versprechen des Zaren, die Mißbräuche abzuschaffen, gerettet wurde. Eine Justizkommission arbeitete darauf ein neues Gesetzbuch aus, das einer nach Moskau entbotenen großen Landesversammlung der Nation vorgelegt (Oktober 1649) und nach deren Zustimmung unter dem Namen »Uloshenie« veröffentlicht wurde. Nicht lange nachher wurde aber zur Verhütung und Unterdrückung von Volksbewegungen ein Polizeiinstitut, die »Kammer der geheimen Angelegenheiten«, errichtet.
Der schwedisch-polnische Krieg, der 1655 ausbrach, ermutigte den Zaren zu einem neuen Angriff auf Polen, um Kleinrußland zu erobern. Die Russen besetzten Wilna [* 18] und rückten gleichzeitig mit den Schweden gegen Warschau [* 19] vor, schlossen aber 1656 mit Polen einen Waffenstillstand und wandten sich gegen die Schweden, denen sie anfangs Narwa, Dorpat und andre feste Plätze in Esthland und Livland entrissen, aber nach der vergeblichen Belagerung Rigas und einem verlustreichen Krieg im Frieden von Kardis zurückgeben mußten. Dagegen erwarb Rußland im Frieden mit Polen, der 1669 zu Andrussow abgeschlossen wurde, Kleinrußland östlich vom Dnjepr, Smolensk, Kiew [* 20] und ¶
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Sewersk. Der ungünstige Verlauf des Kriegs mit Schweden veranlaßt den Zaren, neben den alten Strelitzen, welche, 40,000 Mann stark und zumeist aus Reiterei bestehend, das stehende Heer bildeten, neue, von auswärtigen Offizieren befehligte Regimenter Fußvolk aufzustellen, wozu noch die Kosaken als Miliz kamen. Der Geistlichkeit gegenüber wahrte Alexei sein Ansehen mit thatkräftiger Entschlossenheit. Als der Patriarch von Moskau, Nikon, Moskau verließ und sich in ein Kloster zurückzog, weil der Zar ihm nicht die beanspruchte Mitwirkung bei den Staatsangelegenheiten einräumte, auch dem Befehl, nach Moskau zurückzukehren oder seine Stelle niederzulegen, nicht Folge leistete, berief der Zar 1666 ein großes Konzil der griechisch-orthodoxen Kirche, welches Nikon absetzte und in ein entlegenes Kloster verbannte, aber die Änderungen, die Nikon an den dogmatischen und rituellen Texten und Vorschriften der russischen Kirche vorgenommen hatte, weil dieselben nicht mit denen der griechischen Mutterkirche übereinstimmten, genehmigte. Doch hielt eine Partei der Altgläubigen (Raskolniki) an den frühern Satzungen fest, die gleichsam das Losungswort der nationalen Opposition gegen die westeuropäische Kultur wurden.
Nach Alexeis Tod folgte der älteste Sohn aus seiner ersten Ehe mit Maria Miloslawski, Feodor Alexejewitsch (1676-82), der die von Alexei begonnenen Reformen einen bedeutenden Schritt weiter führte durch die Vernichtung der alten Ranglisten (rasrädnüja knigi), welche den Dienstrang der Familien im Heer und bei den Staatsämtern bestimmten, und des genealogischen Verzeichnisses der zu Ämtern und Ehrenstellen Berechtigten, des sogen. Mjestnitschestwo, an dessen Stelle ein Adelsbuch angelegt wurde, das aber keinem darin Verzeichneten ein Anrecht auf Ämter und Ehrenstellen gewährte.
Feodor starb kinderlos Anfangs wurde der zehnjährige Sohn Alexeis aus seiner zweiten Ehe mit Natalia Naryschkina, Peter Alexejewitsch, als Zar ausgerufen, der näher berechtigte 16jährige Iwan wegen körperlicher Gebrechen und Geistesschwäche ausgeschlossen. Die Partei der Miloslawskis erzwang aber durch eine Empörung der Strelitzen die gemeinschaftliche Regierung Iwans und Peters unter der Regentschaft von Alexeis Tochter aus erster Ehe, der klugen und ehrgeizigen Sophia (1682-89), unter der ihr Günstling, Fürst Wasilij Galizyn, großen Einfluß besaß.
Nachdem sie den Versuch einer altrussischen Reaktion, den Iwan Chowanski mit Hilfe der Strelitzen und Raskolniken wagte, im Keim erstickt hatte, nahm sie den Titel »Selbstherrscherin aller Reußen« an. Ein Krieg gegen die Türken, den sie im Bund mit Polen begann, verlief aber unglücklich, und dieser Ausgang ermutigte den inzwischen herangewachsenen jungen Zaren Peter, gegen seine Halbschwester aufzutreten. Sophiens Partei, die Miloslawskis, beschlossen, mit Hilfe der Strelitzen Peter aus dem Weg zu schaffen; doch dieser, rechtzeitig gewarnt, entfloh nach der Troitzkischen Klosterfestung und rief von da den jüngern Adel und die fremden Truppen zu seinem Schutz auf. Die Strelitzen verloren den Mut und wagten, nachdem ihr Anführer nebst den Hauptschuldigen hingerichtet worden, keinen Widerstand. Sophia wurde im September 1689 in ein Kloster verwiesen, Iwan behielt bis zu seinem Tod (1696) den Zarentitel; alleiniger Herrscher war aber nun der Zar Peter I. (1689-1725). Unter ihm erfolgte der Eintritt Rußlands in die Kultur und die Geschichte Europas.
Die Regierung Peters des Großen.
Nichts lag dem neuen Zaren mehr am Herzen, als dem russischen Reich den Zugang zu den Meeren im Süden und Westen zu eröffnen; denn Rußland hatte bis jetzt nur in Archangel an der unwirtbaren Küste des Nördlichen Eismeers einen mit den Weltmeeren in Verbindung stehenden Hafen und Schiffahrtsort, der außerdem durch weite Einöden von den belebtern Provinzen des Reichs getrennt war. Der erste Schritt hierzu geschah mit der Eroberung von Asow (1696), das sofort zu einem Kriegshafen umgeschaffen wurde, und in dessen Nähe Peter den Bau einer neuen Stadt, Taganrog, begann.
Nachdem er hierauf die Verwaltung des Staats einigen Großen, den Oberbefehl über das Heer dem Schotten Gordon und dem General Alexei Schein übertragen hatte, trat er nach Unterdrückung einer gefährlichen Verschwörung seine erste Reise in das Ausland an (1697-98), um die europäische Kultur aus eigner Anschauung kennen zu lernen, hielt sich besonders lange in Holland auf und war eben im Begriff, sich von Wien [* 22] nach Venedig [* 23] zu begeben, als ihn die Nachricht von einem neuen, die Abschaffung der Reformen bezweckenden Aufstand der Strelitzen nach Moskau zurückrief.
Nach fürchterlicher Bestrafung der Schuldigen und Auflösung jenes Korps bildete er ein neues, von ausländischen Offizieren eingeübtes Heer, errichtete Schulen, schaffte die Patriarchenwürde ab und setzte den »hochheiligen Synod« ein, dessen Mitglieder der Zar ernannte, begünstigte die ausländische Einwanderung, um Handel und Gewerbe zu fördern, führte fremde Sitten ein und verbot althergebrachte Gebräuche der Russen. Möglichst rasch und gründlich wollte er das halbasiatische Rußland in einen europäischen Kulturstaat umwandeln.
Sein andres Ziel, die Erwerbung einer vorteilhaften Seeküste und die Erhebung Rußlands zu einer Großmacht, erreichte er im Nordischen Krieg, zu welchem er sich mit Polen gegen Schweden verband. Zwar erlitt das russische Heer bei Narwa eine völlige Niederlage; aber da sich Karl XII. gegen Polen und Sachsen [* 24] wendete und in halsstarriger Verblendung seinen gefährlichsten Feind unbeachtet ließ, konnte Peter Ingermanland sowie einen Teil von Esthland und Livland erobern und an der Newa den Grund zu seiner neuen Hauptstadt, St. Petersburg, [* 25] legen.
Als sich Karl XII. endlich gegen Rußland wendete, ward er bei Poltawa völlig besiegt und auf türkisches Gebiet gedrängt. Es glückte ihm, den Sultan zu einem Kriege gegen Rußland zu bewegen, und als Peter, im Vertrauen auf den Beistand des Hospodars der Moldau, Demetrius Kantemir, und der Balkanchristen, zu kühn vordrang, wurde er von den Türken am Pruth, zwischen Faltschi und Husch, eingeschlossen, aber vermutlich durch Bestechung des Großwesirs befreit, der dem Zaren gegen Abtretung von Asow den Frieden von Husch gewährte. Inzwischen war durch die Einnahme von Riga [* 26] die Eroberung der Ostseeprovinzen vollendet, ja sogar Wiborg [* 27] und Kexholm in Karelien, dessen Einwohner nach Petersburg übersiedeln mußten, besetzt worden, und Karl XII. versuchte auch nach seiner Rückkehr nach Schweden deren Wiedereroberung gar nicht, sondern fiel in Norwegen ein. Nach seinem Tode trat die schwedische Regierung im Frieden von Nystad Livland, Esthland und Ingermanland sowie einen Teil von Karelien und Finnland gegen Zahlung von 2 Mill. Rubel an Rußland ab; unter Gewährleistung ¶
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ihrer alten Einrichtungen und Rechte, ihrer Sprache [* 29] und lutherischen Religion wurden die baltischen Provinzen dem russischen Reich einverleibt. Kurland war ein russischer Vasallenstaat, seitdem Peters Nichte Anna Iwanowna zuerst als Gemahlin des Herzogs Friedrich Wilhelm, nach dessen frühem Tod in eignem Namen das Herzogtum regierte. Rußland trat jetzt an die Stelle Schwedens als die nordische Großmacht in Europa. Peter d. Gr., der sich nach dem Nordischen Krieg »Kaiser u. Selbstherrscher aller Reußen« nannte, hatte während desselben die Umgestaltung Rußlands nach europäischem Muster fortgesetzt und erweiterte dessen äußere Macht gleich darauf in einem dreijährigen Krieg mit Persien (1722-24), welches zur Abtretung der Landschaften Gilan, Masenderan und Astrabad gezwungen wurde.
Seinen einzigen Sohn, Alexei, der schon lange durch Trotz und störrisches Wesen und durch seine altrussischen Anschauungen die Liebe seines Vaters verscherzt und endlich, der väterlichen Strafreden müde, sich ins Ausland geflüchtet hatte, aber von dort in die Heimat zurückgebracht worden war, hatte Peter zum Tod verurteilen lassen (1718) und darauf einen Ukas gegeben, welcher die Bestimmung der Thronfolge dem regierenden Herrscher überließ; noch ehe er aber eine Verfügung getroffen, starb er ohne Testament.
Die Nachfolger Peters des Großen (1725-62).
Durch die Entschlossenheit Menschikows, der den Oberbefehl über die Truppen der Hauptstadt führte, wurde Peters Gemahlin Katharina I. (1725-27) auf den Thron erhoben. Als sie schon nach zwei Jahren starb, folgte nach Bestimmung ihres wenn auch angezweifelten Testaments der Sohn des Zarewitsch Alexei, Peter II. (1727-30), besonders durch die Unterstützung Menschikows, der unter dem unmündigen Fürsten noch höher zu steigen hoffte. Aber seine hochfliegenden Pläne nahmen ein schnelles Ende. Er verlor die Gunst des Kaisers und wurde nach Sibirien verbannt, worauf die Dolgorukijs den Zaren und das Reich in altrussischem Sinn beherrschten.
Peter wurde nach Moskau zurückgeführt, Katharina Dolgorukij ihm verlobt, und schon war der Hochzeitstag bestimmt, als Peter II. an den Blattern erkrankte und starb Die Mitglieder des Obersten Geheimen Rats, in welchem die Dolgorukijs und Galizyns den maßgebenden Einfluß übten, riefen die zweite Tochter von Peters d. Gr. älterm Bruder, Iwan, Anna Iwanowna (1730-40), bisher Herzogin von Kurland, als Zarin aus, nötigten ihr aber das Versprechen ab, nichts ohne Mitwirkung des Geheimen Rats zu thun.
Sobald sie jedoch im Besitz der Gewalt war, vereitelte Anna den Versuch der Großen, Rußland in eine Adelsrepublik zu verwandeln, durch einen Staatsstreich, verbannte die Dolgorukijs und Galizyns und übertrug die oberste Leitung der Geschäfte ihrem Günstling Biron, dem tüchtige Männer aus der Schule Peters d. Gr., wie Ostermann und Münnich, zur Seite standen. Der Geheime Rat wurde aufgehoben und unter Ostermanns Vorsitz das Kabinett errichtet, welches über alle wichtigen Angelegenheiten des Staats zu entscheiden hatte.
Im Bund mit Österreich, [* 30] mit dem Rußland schon im polnischen Erbfolgekrieg eine nahe Beziehung angeknüpft hatte, wurde ein Türkenkrieg (1735-39) unternommen, in welchem Münnich bis an die Küste des Schwarzen Meers vordrang, Asow eroberte, nach Erstürmung der Linien von Perekop in die Krim einrückte und sich Otschakows an der Mündung des Dnjepr sowie nach einem Sieg über die Türken bei Stawutschani des festen Chotin am Dnjestr bemächtigte (August 1739). Aber Österreich führte den Krieg lässig und ungeschickt und schloß den übereilten Frieden von Belgrad; [* 31] Rußland mußte demselben beitreten und seine Eroberungen außer Asow, das jedoch geschleift wurde, herausgeben. Die von Peter I. eroberten persischen Provinzen Gilan, Masenderan und Astrabad wurden wegen der großen Kosten ihrer Verwaltung gegen Handelsbegünstigungen freiwillig an Persien zurückgegeben.
Anna starb nachdem sie ihren unmündigen Großneffen Iwan (1740-41), den Sohn ihrer mit dem Herzog Anton Ulrich von Braunschweig [* 32] vermählten Nichte Anna Leopoldowna, unter Birons Regentschaft zum Nachfolger bestimmt hatte. Aber schon 19. Nov. wurde Biron durch einen von Münnich ins Werk gesetzten Staatsstreich gestürzt und nach Sibirien verbannt, worauf Anna Leopoldowna die Regentschaft übernahm, ihren Gemahl Anton Ulrich zum Oberbefehlshaber der Landarmee und den Grafen Münnich zum Premierminister ernannte.
Anna zeigte sich ihrer Stellung nicht gewachsen, und da sie sich in der auswärtigen Politik ganz an Österreich anschloß, trat Münnich im März 1741 zurück. Durch eine vom französischen Gesandten La Chetardie angezettelte Verschwörung wurde Annas Herrschaft gestürzt, sie selbst mit ihrem Gemahl verbannt, Iwan in den Kerker geworfen und Münnich, Ostermann und andre hochgestellte Männer zum Tod verurteilt, aber auf dem Schafott zur Verbannung nach Sibirien begnadigt. Darauf riefen die Verschwornen Peters d. Gr. Tochter Elisabeth (1741-62) als Kaiserin aus.
Von Frankreich angestiftet, hatten die Schweden schon im Sommer 1741 einen Krieg gegen Annas Regierung begonnen, waren aber bei Wilmanstrand geschlagen worden. Noch unglücklicher verlief der Krieg für sie 1742, indem sie die Festung [* 33] Frederikshamn mit bedeutenden Vorräten preisgeben und ein schwedisches Heer von 17,000 Mann im September 1742 in Helsingfors die Waffen strecken mußte. Fast ganz Finnland fiel in die Hände der Russen, wurde aber im Frieden von Abo an Schweden zurückgegeben, nachdem der schwedische Reichsrat auf Wunsch Elisabeths den Oheim des russischen Thronfolgers, den Herzog Adolf Friedrich von Holstein, zum schwedischen Thronfolger gewählt hatte; nur Kymmenegård und Nyslott behielt Rußland.
Der Hof [* 34] Elisabeths in Petersburg war ein Tummelplatz der Ränke der europäischen Höfe und der leitende Minister der auswärtigen Angelegenheiten, Graf Bestushew, fremden Einflüssen zugänglich. Von England bestochen, trat er im österreichischen Erbfolgekrieg auf dessen und Österreichs Seite und wirkte durch Aufstellung russischer Heere auf das Zustandekommen der Friedensschluß von Dresden [* 35] und Aachen [* 36] ein. Auch im Siebenjährigen Krieg (1756-63) stand Elisabeth aus Haß gegen Friedrich II. auf Österreichs Seite, ja sie betrieb mit besonderm Eifer den Kampf, in dem sie Ostpreußen [* 37] zu erwerben hoffte. Nachdem der russische General Apraxin nach dem Sieg bei Großjägersdorf über Lehwaldt Ostpreußen besetzt, aber voreilig wieder geräumt hatte, fiel 1758 ein russisches Heer unter Fermor in Brandenburg [* 38] ein; zwar wurde es 25. Aug. bei Zorndorf zurückgeschlagen, doch behielten die Russen Ostpreußen besetzt, siegten bei Kunersdorf [* 39] und eroberten 1761 auch Hinterpommern mit Kolberg. [* 40] ¶
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In der innern Verwaltung des Reichs waren die Brüder Iwan und Peter Schuwalow Elisabeths vorzüglichste Ratgeber. Zunächst wurde der lange Zeit in den Hintergrund gedrängte Senat Peters d. Gr. wiederhergestellt, die den Handel und die Industrie behindernden Zölle innerhalb des Reichs aufgehoben, die Außenzölle dagegen erhöht; die fremde Einwanderung, namentlich die von Serben in den südlichen Steppen, wurde befördert, 1755 in Moskau die erste russische Universität, 1758 die Akademie der Künste in Petersburg gegründet und die Akademie der Wissenschaften daselbst (seit 1726 bestehend) reorganisiert. Auch einige Gymnasien wurden errichtet. Prächtige Bauten, wie das Winterpalais in Petersburg, der Palast und die Kirche zu Zarskoje Selo, erhoben sich, das erste russische Theater [* 42] ward eröffnet. Französische Sitten und Gebräuche wurden ebenso wie die französische Sprache am Petersburger Hof herrschend.
Nach Elisabeths Tod folgte ihr der Sohn von Peters d. Gr. zweiter Tochter, Anna Petrowna, der Herzog Peter von Holstein-Gottorp, als Peter III. Derselbe, ein ebenso leidenschaftlicher Verehrer Friedrichs d. Gr., wie Elisabeth eine Feindin desselben gewesen war, schloß nicht nur sofort mit Preußen [* 43] Waffenstillstand, sondern 5. Mai auch ein Schutz- und Trutzbündnis, bewog auch Schweden, Frieden zu schließen, räumte Pommern [* 44] und Ostpreußen ohne jede Entschädigung und schickte Friedrich ein Hilfsheer.
Diese Preisgebung aller in dem langen und kostspieligen Krieg errungenen Vorteile erregte im Heer Unzufriedenheit, die Peter III. durch übereilte Neuerungen im Heerwesen steigerte. Da er gleichzeitig die Geistlichkeit durch Reformen in ihrem Einfluß beeinträchtigte, so entstand allgemeine Unzufriedenheit, die seine Gemahlin Katharina, Prinzessin von Anhalt-Zerbst, die in gespanntem Verhältnis mit ihm lebte, und die er mit Scheidung und Verweisung in ein Kloster bedroht hatte, benutzte, um ihn durch einen Militäraufstand vom Thron zu stoßen; der gestürzte Zar wurde 17. Juli im Schloß Ropscha von einigen Verschwornen ermordet.
Die Regierung Katharinas II. (1762-96).
Katharina II., als Kaiserin und Selbstherrscherin proklamiert, widmete sich anfangs besonders der innern Verwaltung des Reichs. Als Anhängerin der damals herrschenden Aufklärung wollte sie Rußland der westlichen Kultur öffnen und alle materiellen und geistigen Kräfte zur vollsten Entwickelung bringen. Sie teilte das Reich von neuem in 50 Gouvernements, die wieder in Kreise [* 45] zerfielen, und zog auch Kleinrußland und das Gebiet der Saporogischen Kosaken in diese Einteilung.
Eine neue Städteordnung (1785) setzte an die Spitze der Städte einen Rat, der aus dem von den Bürgern gewählten Stadthaupt (Bürgermeister) und mehreren Mitgliedern bestand. Die Kaufleute wurden in drei Gilden, die Handwerker in Innungen oder Zünfte geteilt, die Vorrechte des Adels festgestellt und bestätigt. Um das höchst mangelhafte Justizwesen zu verbessern, berief Katharina, welche auch die Tortur abschaffte, 1766 eine Kommission rechtsverständiger Mitglieder aus allen Provinzen, um ein neues Gesetzbuch auszuarbeiten, das aber nicht vollendet wurde.
Die Kirchengüter zog sie ein und ließ sie durch eine eigne Behörde, das Ökonomiekollegium, verwalten, welches den Geistlichen einen bestimmten Gehalt zahlte und den Überschuß der Einkünfte für wohlthätige Zwecke verwendete. Sie gründete Armen-, Kranken- und Findelhäuser und führte die Kuhpockenimpfung ein. Ihre religiöse Duldung zeigte sie den Raskolniken gegenüber, und Künste und Wissenschaften fanden bei ihr freigebige Unterstützung. Gelehrte und Künstler wurden zu ihrer Ausbildung ins Ausland gesandt, die geistlichen Seminare vermehrt und erweitert, Gymnasien und Militärschulen errichtet, sogar 1783 eine russische Akademie zur Ausbildung der nationalen Sprachen gestiftet; in allen bedeutenden Städten und in vielen kleinern Ortschaften wurden Volksschulen eingerichtet, für welche die nötigen Lehrer in einem zu diesem Behuf 1778 geschaffenen Oberschulkollegium gebildet wurden.
Gleich im ersten Jahr ihrer Regierung lud Katharina durch ein Manifest Ausländer zur Niederlassung in ihrem Reich ein und setzte zur Leitung der Kolonisation eine eigne Behörde nieder; in den Gouvernements Petersburg und Saratow siedelten sich auch zahlreiche deutsche Einwanderer an. Für Hebung [* 46] der Industrie und des Handels sorgte sie durch Abschaffung vieler Monopole und Vermehrung der Wertzeichen, durch Förderung der Schiffahrt und durch Handelsverträge mit den auswärtigen Staaten. Nicht immer und überall wurden ihre guten Absichten gewürdigt, vielmehr rief die Unzufriedenheit mit manchen Neuerungen wiederholt Unruhen hervor, unter denen der Aufstand Pugatschews (s. d.) 1773-74 wirklich gefährlich wurde.
In der auswärtigen Politik richtete Katharina zunächst ihr Augenmerk auf Polen, das sie ganz unter russischen Einfluß bringen wollte, um hierdurch seine völlige Einverleibung in Rußland vorzubereiten. Sie bewirkte 1764 die Wahl ihres Günstlings Stanislaus Poniatowski zum König von Polen und führte durch ihre Einmischung zu gunsten der Dissidenten den Aufstand der Konföderation von Bar herbei, bei dessen Niederwerfung russische Truppen mitwirkten. Als diese bei der Verfolgung der Konföderierten die türkische Stadt Balta in Brand steckten, erklärte der Sultan den Krieg. In diesem ersten russisch-türkischen Krieg (1768-74) siegten die Russen am Fluß Larga und bei Kartal (1. Aug.), eroberten einen Teil Bessarabiens und 1771 die Krim, wo die Tataren den von ihnen eingesetzten Chan anerkennen mußten, vernichteten 5. Juli bei Tschesme, gegenüber von Chios, die türkische Flotte, überschritten Ende 1771 auch die Donau und schlugen die Türken 21. Okt. bei Babadagh in Bulgarien. [* 47] Nach einer Unterbrechung durch den Waffenstillstand und die Friedensverhandlungen von Fokschani (1772) wurde der Krieg in Bulgarien 1773-74 mit wechselndem Erfolge fortgesetzt und durch den Frieden von Kütschük Kainardschi beendet, durch welchen Rußland das Land zwischen Dnjepr und Bug, die Städte Kinburn, Kertsch, Jenikale und Perekop in Taurien erwarb, ferner das Recht freier Schiffahrt auf dem Schwarzen und Marmarameer und der Durchfahrt durch die Dardanellen, endlich die Schutzherrschaft über die Moldau und Walachei erhielt.
Inzwischen hatte sich Katharina infolge der Vereinigung Preußens [* 48] mit Österreich 1772 zu der ersten Teilung Polens verstehen müssen, in welcher sie Weißrußland gewann. Der bayrische Erbfolgekrieg gab ihr aber bald Gelegenheit, die deutschen Mächte ihren Einfluß fühlen zu lassen, und 1780 gewann sie den Kaiser Joseph II. für ein Bündnis, welches ihr die Türkei [* 49] preisgab. Nachdem ihr Günstling Potemkin 1783 die Tataren auf der Krim mit blutiger Gewalt unterworfen und diese Halbinsel nebst den Nachbarländern mit Rußland vereinigt hatte, begann die Kaiserin nach einer zweiten Zusammenkunft mit ¶
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Joseph II. in Cherson, der mit kolossalem Aufwand neugebauten Stadt, einen zweiten russisch-türkischen Krieg (1787-92) im Bund mit Österreich. In diesem errangen die Russen, durch die unglückliche Kriegführung der Österreicher behindert, anfangs keine Erfolge. Erst Ende 1788 wurde Otschakow erstürmt, und 1789 siegte Suworow bei Fokschani (1. Aug.) und am Fluß Rimnik (22. Sept.) über die Türken. 1790 wurde Ismail erobert und 1791 die Donau überschritten; südlich derselben schlugen Kutusow die Türken bei Babada und Repnin bei Matschin, worauf der Friede von Jassy abgeschlossen wurde in welchem die Türkei das Land zwischen Bug und Dnjestr und Otschakow abtrat.
Gleichzeitig hatte Rußland einen Krieg mit Schweden (1788-90) zu führen, den König Gustav III. aus kriegerischem Ehrgeiz in der Hoffnung, die Ostseeprovinzen wiederzugewinnen, begann. Derselbe wurde mit wechselndem Glück auf der Ostsee und in Finnland geführt, doch der Versuch Gustavs, sich durch Erstürmung Frederikshamns den Weg nach Petersburg zu bahnen, mit Erfolg abgewehrt und endlich durch den Frieden von Werelä der Stand der Dinge vor dem Krieg hergestellt.
Die Entwickelung der polnischen Verhältnisse hatte Katharina nicht aus den Augen verloren. Als eine patriotische Partei in Polen durch eine neue Verfassung 1791 dem Reich Einheit und Kraft [* 51] verleihen wollte, stiftete Rußland einen Teil des Adels an, die Konföderation von Targowitz gegen die Konstitution von 1791 zu schließen, ließ sich von dieser zu Hilfe rufen, drang Polen die alte Feudalverfassung mit Gewalt wieder auf und nahm in Gemeinschaft mit Preußen 1793 eine neue, die zweite Teilung Polens vor, die ihm in der Ukraine und in Litauen eine gewaltige Gebietsvergrößerung verschaffte.
Obwohl Katharina die französische Revolution verabscheute, nahm sie aus Rücksicht auf Polen am ersten Koalitionskrieg nicht teil und war daher im stande, 1794 den polnischen Aufstand niederzuwerfen und Preußen und Österreich die Bedingungen der dritten polnischen Teilung (1795) vorzuschreiben. Mit der Erwerbung Kurlands, auf welches der letzte Herzog, Peter Biron, gegen eine jährliche Rente freiwillig verzichtete, war das Gebiet des Reichs auf 19 Mill. qkm angewachsen. Rußlands Machtstellung und Einfluß in Europa war in ungeheuerm Maß gestiegen.
Die Zeit der Napoleonischen Kriege 1796-1815.
Nach Katharinas Tod folgte ihr Sohn Paul I. (1796-1801), der durch verkehrte Erziehung ein mißtrauischer, launenhafter Tyrann geworden war. Anfangs zwar erließ er einige wohlthätige Verordnungen zu gunsten der Leibeignen und Altgläubigen. Wichtig ist auch das von ihm gegebene Familiengesetz (1797), welches für die Thronfolge das Recht der Erstgeburt in direkt absteigender Linie und dabei den Vorgang der männlichen Nachkommen vor den weiblichen als Reichsgrundgesetz bestimmte; ein andres Gesetz trennte einen Teil der Kronbauern als Eigentum der kaiserlichen Familie unter dem Namen Apanagebauern ab. Aus Mißtrauen gegen die revolutionären Ideen verbot Paul aber den Besuch ausländischer Lehranstalten und Universitäten, führte eine verschärfte Zensur und strenge Aufsicht über alle im Reich lebenden Ausländer und fremden Reisenden ein und bestrafte jede freie Meinungsäußerung mit launischer Willkür. An dem Kriege gegen Frankreich nahm er erst teil, als die aus Malta vertriebenen Malteserritter ihn zum Großmeister gewählt (Oktober 1798) und seine Hilfe gegen Frankreich angerufen hatten. Im zweiten Koalitionskrieg stellte er Hilfstruppen unter General Hermann für die von den Engländern beabsichtigte Landung in den Niederlanden, für den Krieg in Süddeutschland (unter Korssakow) und in Italien [* 52] (unter Suworow); sogar dem Sultan schickte er eine Flotte mit 4000 Soldaten nach Konstantinopel [* 53] zu Hilfe.
Die glänzendsten Erfolge erzielte Suworow in Italien, wo er mit den Österreichern vereint durch die Siege bei Cassano (27. April), an der Trebbia (17.-19. Juni) und bei Novi (15. Aug.) die Franzosen aus dem Pogebiet vertrieb. Als er dann auf seinem berühmten Marsch über den St. Gotthard in die Schweiz [* 54] vordrang, um sich mit Korssakow zu vereinigen, war dieser eben (26. Sept.) bei Zürich [* 55] geschlagen worden, und Suworow mußte über den Panixer Paß sich nach Graubünden wenden, von wo er nach Rußland zurückkehrte. Denn da auch die Landung in den Niederlanden mit einer schimpflichen Kapitulation (19. Okt.) geendet hatte, sagte sich Kaiser Paul, der Ursache hatte, diese Mißerfolge der Unfähigkeit der verbündeten Befehlshaber zuzuschreiben, von der Koalition los und schloß nach dem Muster des von Katharina II. veranlaßt Neutralitätsvertrags vom zur Beschränkung der britischen Seemacht im Dezember 1800 einen solchen mit Schweden, Dänemark [* 56] und Preußen, den England sofort mit einem Angriff auf Kopenhagen [* 57] beantwortete. Noch ehe es zu Feindseligkeiten zwischen England und Rußland kam, ward Paul von einigen Großen ermordet, weil sein Despotismus unerträglich war.
Sein 23jähriger Sohn Alexander I. (1801-25) entsagte sofort in einem Vertrag mit England der bewaffneten Neutralität, um sich den Werken des Friedens widmen zu können; denn, nach Rousseauschen Grundsätzen erzogen, schwärmte er für humane Ideale, ohne jedoch seine unbeschränkte Herrschergewalt, auf die er nicht verzichtete, mit Energie und Ausdauer für deren Verwirklichung anzuwenden. An Stelle der von Peter I. begründeten Kollegien errichtete er acht Ministerien (1802), schuf für die Prüfung und Beratung aller neuen Gesetze und Maßregeln der Regierung den Reichsrat, suchte die Finanzen zu regeln und legte zur Verminderung der Heereskosten Militärkolonien an. Die Leibeigenschaft hob er in den baltischen Provinzen auf und milderte sie in Rußland selbst.
Die Zahl der Gymnasien und Volksschulen wurde beträchtlich vermehrt, Universitäten neu errichtet (in Kasan und Charkow) oder reorganisiert (in Dorpat und Wilna). Indes bald erkannte er, daß seine friedliche, ja freundschaftliche Haltung zu Frankreich von Napoleon nur benutzt werde, um in Mitteleuropa nach Willkür schalten zu können, und er trat 1805 der dritten Koalition gegen Frankreich bei. Doch wurde das russische Heer unter Kutusow, das sich in Mähren [* 58] mit den Österreichern vereinigte, bei Austerlitz [* 59] geschlagen und mußte infolge des Waffenstillstandes zwischen Frankreich und Österreich das österreichische Gebiet räumen.
Seinem sentimentalen Freundschaftsbündnis mit Friedrich Wilhelm III. getreu, kam Alexander 1806 Preußen zu Hilfe, als dessen Heerestrümmer über die Oder zurückgedrängt waren. Die Russen lieferten den Franzosen in Polen die unentschiedenen Gefechte von Czarnowo (23.-24. Dez.), Pultusk und Golymin in Preußen die mörderische, aber nicht entscheidende Schlacht bei Preußisch-Eylau (7.-8. Febr. 1807), wurden aber nach einem längern Waffenstillstand 10. Juni bei Heilsberg und 14. Juni bei Friedland geschlagen. ¶