Mundart wird in ganz Südrußland gesprochen sowie in den daran angrenzenden Teilen
Galiziens, wo sie Ruthenisch heißt, und
hat eine eigne Litteratur abgebildet (s.
Kleinrussische Sprache und Litteratur). Die weißrussische
Mundart, die in dem größten
Teil von
Litauen und einem Teil von
Weißrußland gesprochen wird, bildete sich vorzüglich seit der Vereinigung
Litauens mit
Polen und enthält daher viele polnische Idiotismen. In ihr sind das litauische
Statut, die
Archive und alle litauischen
Aktenstücke verfaßt.
Wichtige neuere Werke über die
[* 2] schrieben: Sresnewskij
(»Ideen zur Geschichte der russischen
Sprache«,
[* 3] Petersb. 1850),
Lawrowskij
(Ȇber die
Sprache der nordrussischen
Chroniken«, das. 1852),
Kolossow (»Abriß einer Geschichte der
Laute und
Formen
der russischen
Sprache vom 11. bis 16.
Jahrhundert«, Warsch. 1872); vgl. ferner die
Schriften von Potebuja ^[richtig: Potebnja],
Grot (»Philologische Forschungen«),
Nekrassow (über das russische
Verbum) etc. Brauchbare
Grammatiken für
Deutsche
[* 4] sind die von Alexejew (Petersb. 1872-76),
Joel und
Fuchs
[* 5] (6. Aufl., Frankf. 1881), kürzere von Pihlemann (9. Aufl.,
Reval
[* 6] 1885),
Golotusow (21. Aufl., das. 1888),
Boltz (5. Aufl., Berl. 1884), Serno und Solowjewitsch (6. Aufl.,
Reval 1880), Mieskowski (Petersb. 1887) u. a.
Von Wörterbüchern sind außer Beryndas »Lexicon slaveno-russicum«
(Kiew
[* 7] 1627, 2. Aufl. 1655) und Alexejews
»Lexikon für
das
Kirchenslawische« (Petersb. 1773) das von der
Akademie (neue Ausg., das. 1843, 4 Bde.)
herausgegebene und das »Erklärende
Wörterbuch der lebenden großrussischen
Sprache« (2. Ausg., Mosk. 1882) von W.
Dahl hervorzuheben,
das auch die Provinzialidiome berücksichtigt.
Russisch deutsche Wörterbücher lieferten: Heym (neue Aufl., Leipz.
1835),Schmidt (das. 1815, zuletzt 1884), Oldekop (Petersb. 1825, 4 Bde.),
Sokolow (das. 1834), Reiff (2. Aufl., das.
1875), Pawlowski (3. Aufl.,
Riga
[* 8] 1886), Lenström (Sondersh. 1886), Booch,
Frey u.
Messer
[* 9] (4. Aufl., Leipz. 1886, 2 Bde.),
Zelechowski (Lemb. 1886, 2 Bde.),
Nädler (Petersb. 1885 ff.), ein
Konversations-Wörterbuch K. v.
Jürgens (in
»Meyers Sprachführern«, Leipz. 1888). Ein vorzügliches
etymologisch-russisches
Wörterbuch ist das (russisch-französische) von Reiff (Petersb. 1806, 2 Bde.).
Zwischen der Ostsee und dem Ural, zwischen dem Schwarzen und dem Nördlichen Eismeer liegt das große russische Tiefland (früher
sarmatisches, richtiger osteuropäisches Tiefland genannt), das vorzeiten unzweifelhaft Meeresboden gewesen, erst durch allmähliche
Hebung
[* 24] trocken gelegt worden ist und im W. mit der germanischen, im SO. durch das große
uralische Völkerthor mit der sibirisch-turauischen Tiefebene in Verbindung steht. Nur an den äußersten Ost und Südgrenzen
dieses Flachlandes erheben sich Gebirge, der Ural und das Taurische Gebirge.
Der Ural (s. d.) ist ein wenig gegliedertes, einförmiges Kettengebirge, auf
dessen Rücken die Gipfel sich verhältnismäßig nur wenig über das allgemeine Niveau erheben. Der südliche
der waldreiche Ural erreicht bei einer Kammhöhe von 200-300 m im Irémel 1536 m, der mittlere oder erzreiche bei einer Kammhöhe
von 400-500 m im Kondschakowsky 1560 m und im Deneschkin 1633 m, der nördliche oder wüste Ural im Töllpos (unter 64° nördl.
Br.) 1687 m Höhe. Nach W. hin fällt der Zug
sehr allmählich zu den vorliegenden niedrigen Hügelketten ab,
und der Rücken des Gebirges ist im allgemeinen so abgerundet, daß man oft Mühe hat, die wasserscheidende Linie zu erkennen.
Nach der asiatischen Seite hin ist freilich der Abhang steiler; hier erscheint das Gebirge zerklüfteter. Trotz seiner
leichten Übersteigbarkeit bildet der Ural dennoch die wahre Naturscheide der beiden Erdteile. Bis zum westlichen, europäischen
Abhang dringen die Laubwälder Rußlands vor, überschreiten aber nicht das Gebirge, an dessen Ostfuß die unermeßlichen
Tannenwälder und weiter südlich die Steppenlandschaften Sibiriens beginnen. Der Obschtschij Syrt (s. d.), westlich vom Ural
bis zur Wolga hinstreichend, ist kein Zweig des Urals, sondern ein im W. nur 100 m, im O. höchstens 500 m
über die benachbarten Steppen sich erhebender Landrücken.
Das Taurische Gebirge (s. d.) erhebt sich am Südrand der HalbinselKrim. An dem ziemlich steilen Südabhang gedeihen vortreffliche
Weinreben und eine subtropische Vegetation, der Nordabhang senkt sich zu einer wasserarmen Steppe hinab.
In dem ganzen ungeheuern Flachland Rußlands, das eine mittlere Erhebung von 100-160 m hat, findet sich sonst nirgends ein Gebirge;
aber die Einförmigkeit desselben wird durch niedrige Plateaus und dammartige Bodenanschwellungen unterbrochen:
1) Das Timangebirge, ein aus Schiefer bestehender Bergrücken, zieht sich vom Ural nach NW. zwischen Petschora
und Mesen hin und steigt im Sawsar bis zu 276 m an.
2) Der nordrussische Landrücken, in seinem östlichen Teil Uwalli genannt, durchzieht, wenig über 200 m hoch, den
Süden des GouvernementsWologda und bildet die Wasserscheide zwischen Dwina und Wolga.
3) Die finnische Seenplatte (s. Finnland, S. 280). 4) Das Plateau von Zentralrußland, das im N. bei der
Waldaihöhe (in der Popowa Gora 351 m hoch) beginnt und sich südwärts über ein Gebiet von 800,000 qkm bis zum mittlern
Don, im W. bis zur Wolga erstreckt. Hier entspringen Dnjepr mit Desna, Don und Oka. Auf dem rechten Ufer der
Wolga hebt sich das Plateau zu einer Hügelkette, die sich von Nishnij Nowgorod bis zum Knie des Don verfolgen läßt, im südlichen
Teil bis über 300 m ansteigt und schließlich als Ergenihügel in die Ponto-KaspischeNiederung ausläuft.
6) Jenseit der Rokitnosümpfe streicht der westrussische Landrücken oder litauische Höhenzug als Wasserscheide zwischen
Niemen und Dnjepr, bis 341 m hoch.
7) Die Baltischen Höhen ziehen sich zwischen Niemen und Peipussee um den Rigaer Meerbusen herum und steigen
zu 100 m an. - Im ganzen sind etwa 991,000 qkm (18,000 QM.) des europäischen Rußland unfruchtbare
Ebenen, im N. Tundren, im S. Steppen. An der Petschora und überhaupt in den nordöstlichen Teilen ist das
GouvernementArchangel mit Tundren bedeckt, d. h. sumpfigen Moorflächen, welche mit einem dichten Filz von Moosen und Flechten
[* 25] überzogen, den größten Teil des Jahrs aber zugefroren sind.
Sie werden selbst im Sommer, wo die Oberfläche kaum einen Fuß tief auftaut, mit Schlitten befahren, die von dem nie auftauenden
Grundeis getragen werden. Der Süden Rußlands von Bessarabien bis in die südliche Ukraine, bis in die GouvernementsTambow und Woronesh und über die Wolga hinaus bis zum Uralfluß und dem Manytsch ist ein weites Steppenland. Nachdem der Schnee
[* 26] im Frühling geschmolzen, verwandelt sich das ganze Gebiet der pontischen Steppen in einen schwarzen, schlammigen
Brei, der sich nachher mit Gras und Blumen bedeckt. Im Sommer wird die Steppe braun und schwarz und der Boden klafft überall
auf. Sobald die Herbstregen Labung schaffen, bedeckt sich die Steppe nochmals mit frischem Grün. Charakteristisch ist der gänzliche
Mangel an Waldung. Roggen und Weizen, Melonen und Arbusen gedeihen in der fruchtbaren Dammerde vortrefflich;
aber die Ernten leiden nicht selten durch anhaltende Dürre und Heuschreckenschwärme.
Im europäischen Rußland herrscht im allgemeinen eine sehr große Einförmigkeit der Bodenbildung, und die einzelnen Formationsglieder
bedecken oft Tausende von Kilometern. Die Einförmigkeit wird noch dadurch vermehrt, daß auch die einzelnen Schichtenkomplexe
der verschiedenen Formationen sehr gleichförmige Zusammensetzung haben. Eine Fahrt auf der Wolga bringt
diese Verhältnisse zur gründlichsten Anschauung, indem dieselbe Gesteinsart oft Hunderte von Kilometern den Reisenden begleitet.
Ostseeprovinzen, besonders in Esthland, welches fast alle Tiere des silurischen Systems enthält, aber auch im Dnjeprgebiet
und in Podolien vertreten; devonische Schichten finden sich in Livland, Großrußland (Woronesh und anderwärts); Steinkohlenablagerungen
hauptsächlich am Donez und im Moskauischen, mit Fortsetzungen nach Nishnij Nowgorod und Pensa. Die kristallinischen Gesteine
der Krim kommen hauptsächlich im Kontakt mit Jurabildungen vor, und die meisten Gesteinsarten der krimschen
Berge sind den Trachytgesteinen zuzuzählen.
Die Grenze zwischen Kreide
[* 33] und Jura geht unterhalb der Stadt Simbirsk nach W., der Kalkstein in Neurußland geht nach N. unter
der Breite
[* 34] von Balta in Sand und Sandsteine über. In der nördlichen Hälfte Rußlands herrschen der Hauptsache
nach Lehm und Sand vor. In Bezug auf Konfiguration der Oberfläche und auf Bodenbeschaffenheit hat Nordrußland manche Ähnlichkeit
[* 35] mit Norddeutschland, doch fehlt ihm der Diluvialmergel. Der Lehm und der sandige Lehm bedecken oft die ältern Formationsglieder
in solcher Mächtigkeit, daß auf weiten Räumen, selbst an den Ufern der Flüsse, keins derselben zum Vorschein
kommt.
Der Tschernosjom ist kein Meeresschlamm, der mit nördlichen Meeresströmungen
[* 37] oder durch Zurückweichen
der kaspisch-pontischen Gewässer sich abgelagert hätte, weil in demselben keine Spur von Seemuscheln, mikroskopischen Polythalamien,
Polycistinien und Seebacillarien vorkommt. Alle Untersuchungen weisen aber darauf hin, daß der Tschernosjom nicht aus Torf
entstanden ist, sondern lediglich aus dem Rasenboden besteht, dessen Grasteile an der Luft verwest und mit dem
Wasser des aufgetauten Schnees vom ursprünglich unorganischen Boden aufgesogen worden sind.
Das ausgedehnte Wassernetz Rußlands gehört zwei Gebieten an und hat zur Hauptabdachung eine nordwestliche, in der die Flüsse
vorwiegend zur Ostsee und zum Eismeer strömen, und eine südöstliche zum Schwarzen und KaspischenMeer. Die Wasserscheide bilden
der Nordrussische Landrücken, die Waldaihöhe und der Westrussische Landrücken. Nach dem Schmelzen des
Schnees im Frühling und durch die häufigen Regen im Herbst ist in diesen zwei Jahreszeiten
[* 39] die Wasserfülle bedeutend, während
im Sommer der Wasserstand sämtlicher russischer Flüsse sehr niedrig ist, wodurch in der warmen Jahreszeit die Schiffahrt beeinträchtigt
wird.
Und dies geschieht noch mehr in den langen Wintern, in denen eine feste Eisdecke auf den Gewässern liegt.
Nach den fünf Meeren, die Rußland begrenzen, und den Flüssen, die in dieselben münden, und durch welche das Reich mit allen
übrigen Staaten in direktem Schiffsverkehr steht, kann das Reich in fünf Wassersysteme geteilt werden. Zum System des Baltischen
Meers gehören die Weichsel, die Warthe, der Niemen, die Windau, Düna, KurischeAa, Livländische Aa, Salis, Torgel
(Pernau), Narowa, Luga, Newa, der Kymmene, Uleå und Torneå.
Man kann im Verhältnis zum Flächenraum des europäischen Rußland 1 km der schiffbaren Wasserstraßen auf 145 qkm rechnen.
Rußland hat die größten Landseen Europas. Die ansehnlichsten sind: der Ladogasee, der Onegasee, der Peipussee und der Ilmensee
(s. d.). Kleinere bemerkenswerte Binnengewässer sind: der Bjelo Osero, der Jelton, Imandra, Kereti, Kowd
Osero, Kubinskoje, Kunto, Not Osero, Pjaw Osero, Seg Osero, Seliger, Wirzjärw, Woshe, Wyg Osero.
Vgl. Stuckenberg, Hydrographie
des russischen Reichs (Petersb. 1842-49, 6 Bde.).
Das europäische Rußland bietet bei seiner Ausdehnung durch mehr als 25 Breitengrade natürlicherweise große Verschiedenheit
in seinen klimatischen Verhältnissen, und in der That ist die mittlere Sommerwärme an der Karischen
Pforte (+2° C.) geringer als in Sebastopol
[* 40] die mittlere Winterwärme (+2,2°). Aber die Übergänge sind überall allmählich
und unmerklich, weil die im Tiefland vorhandenen Bodenerhebungen zu niedrig sind, als daß sie eine plötzliche Abstufung
des Klimas bewirken könnten.
Das Klima
[* 41] Rußlands ist kontinental und bietet also bedeutende Unterschiede zwischen der Sommer- und Wintertemperatur
dar; diese Gegensätze werden um so bedeutender, je mehr man sich nach O. hin dem asiatischen Festland nähert. Rußland besitzt
im allgemeinen geringere Jahrestemperatur als das westliche Europa
[* 42] unter gleichen Breitengraden; so hat z. B. Charkow unter
50° nördl. Br. +6,6° mittlere Jahrestemperatur, während Mainz
[* 43] unter demselben Breitengrad +9,6° C.
hat, ferner Jekaterinoslaw +8,1° und Wien
[* 44] 10° C. (beide Städte unter 48 nördl. Br.). In dem großen russischen Flachland findet
in der Richtung von W. nach O. hin unter denselben Breitengraden auch eine merkliche Abnahme der mittlern Jahrestemperatur
statt. Die drei StädteMitau,
[* 45] Wladimir und Jekaterinenburg z. B. liegen alle unter 56½° nördl. Br., haben
aber +6,1,° resp. +3,6° und +0,5°
C. Temperatur. Wie sehr die Isothermen¶
In Bezug auf Klima und Verteilung der Pflanzen unterscheidet man im russischen Reich sieben Zonen, deren Grenzlinien aber nicht
mit den Parallelkreisen zusammenfallen, sondern, den Isothermen folgend, von NW. nach SO. hinabsinken.
2) Die Sumpfzone oder die Zone des Renntiermooses, welche den nordöstlichen Teil des GouvernementsArchangel einnimmt und mit
Tundren bedeckt ist, wo Renntiere, Hunde,
[* 47] Pelztiere vorkommen und wilde Gänse während des Sommers in ungeheurer
Anzahl nisten.
3) Die Zone der beginnenden Wälder, welche die Südhälfte der HalbinselKola und einen Teil des Petschoragebiets umfaßt; Weißtannen
und Lärchen nehmen hier allmählich Baumform an und bilden Wälder, worin sich viele Eichhörnchen finden.
5) Die Zone des beständigen Ackerbaues oder des Roggens und Flachses, zugleich die Gegend großen Gewerbfleißes. Diesem Erdstrich
gehört nicht nur ein sehr bedeutender Teil Rußlands, sondern auch der Hauptreichtum des Landes an. Er
reicht südwärts bis zum 51.° nördl. Br., also etwa bis Saratow und Tschernigow, und umfaßt auch die baltischen Provinzen.
Ackerbau ist die Hauptbeschäftigung und in den weniger fruchtbaren Strichen, nördlich von der Oka und Wolga, Gewerbthätigkeit
neben Ackerbau und Küchengärtnerei. Für den Obstbau ist diese Zone im ganzen noch wenig geeignet, aber
ausgezeichnet schön sind die Laubwälder. Von wilden Tieren weist dieser Erdstrich zwei Arten auf, die anderwärts nicht mehr
zu finden sind, nämlich den Auerochsen im Wald von Bialowicza und das Elentier in den Wäldern Litauens und der Ostseeprovinzen.
Offiziell wird neuerdings das Areal des europäischen Rußland (inkl. Polen) auf 4,953,345 qkm angegeben,
wodurch die Ziffer für Rußland in Europa aus 5,364,445 qkm und für das gesamte russische Reich auf 22224,522 qkm (403,620
QM.) sinken würde. Rußlands Gebiet hat sich seit Iwan III. (gest. 1505) verzehnfacht; um die Mitte des 16. Jahrh.
umfaßte es schon 12,4 Mill. qkm, beim TodKatharinas II. (1796) 19,4 Mill. und beim TodAlexanders I. (1825) 20,2 Mill. qkm.
Eine Übersicht des gesamten russischen Reichs in Europa und Asien s.
[* 52] auf der Geschichtskarte
[* 53] (S. 81).
Im europäischen Rußland (ohne Polen) betrug die Zahl durchschnittlich
1877-81
1884
1885
der Gebornen
3592245
4003103
3959951
" Gestorbenen
2596841
2673242
2865368
" Eheschließungen
674836
692665
683575
In Polen wurden geboren 1884: 332,386, 1885: 306,688; es starben 1884: 183,916, 1885: 205,303 und fanden Eheschließungen
statt 1884: 60,938, 1885: 63,412. Die größte Natalität zeigen die östlichen, südöstlichen, südlichen
(Jekaterinoslaw, Taurien) und einige zentrale Gouvernements (Orel, Tula, Woronesh, Rjäsan, Kursk). Die geringste Natalität haben
Archangel, St. Petersburg,
[* 58] Nowgorod, Kowno und die baltischen Gouvernements; hier ist die Natalität 30-40 pro Mille. Die Geburtenziffer
für das europäische Rußland beträgt (1885) 48,8, in Polen 38,5 pro Mille. Hinsichtlich des Geschlechtsverhältnisses
der Gebornen ergibt sich, daß durchschnittlich auf 100 Mädchen 104,8 Knaben kommen (1885: 105,7). Das bedeutendste Übergewicht
der Knaben zeigt sich bei den Juden, nämlich 128,9 auf 100 Mädchen, dann folgen die Mohammedaner mit 105,3,
die Protestanten mit 105,2, die Katholiken mit 104,8, die Griechisch-Orthodoxen
mit 104,3. Auf 1000 Geburten kommen etwa 30 uneheliche (1885 im europäischen Rußland 28, in Polen 36), ein Verhältnis, das
bei Orthodoxen (30,6), Katholiken (31,7) und Protestanten (31,9) als ziemlich gleich sich herausstellt.
Die Bevölkerung des europäischen Rußland ist in Bezug auf die Nationalitäten die bunteste und gemischteste unter allen
Ländern unsers Erdteils, indem sie in dieser Beziehung noch die Türkei
[* 62] und Österreich-Ungarn
[* 63] bei weitem
übertrifft; nicht nur die Völker des indogermanischen und des semitischen Stammes, sondern auch die Ural-Altaier (Mongolen)
sind in größerer oder geringerer Menge vertreten. Nach den Angaben von Rittich 1878 setzt sich die Bevölkerung folgendermaßen
zusammen:
Den festen Kern, um welchen sich die hier abgeführten Völker gruppieren, bilden die Russen (s. d.). Dieselben
bevölkern in kompakten Massen den größten Teil
des Landes, reichen jedoch im W. nur bei St. Petersburg bis ans Meer und sind
im N. und O. durch finnische Völker in breitem Saum von den Grenzen
[* 64] des europäischen Rußland abgetrennt. In 34 Gouvernements
machen die Russen mehr als 75 Proz. der Bevölkerung aus, in 6 mehr als 50 Proz., in 3 mehr als 25 und
endlich in 6 weniger als 25 Proz. Wenn auch das russische Volk im Lauf der Zeit viele finnische und tatarische Elemente assimilierte,
so ist doch im allgemeinen slawischer Typus und slawisches Wesen vorherrschend.
Sprache, Sitten und Religion verbinden dasselbe zu einem mächtigen Ganzen, innerhalb dessen die dialektischen Unterschiede
zwischen Groß-, Weiß- und Kleinrussen herrschen (näheres über diese drei Gruppen s. unter Russen). Das zweitwichtigste slawische
Volk in Rußland bilden die Polen, welche jedoch den Westeuropäern näher als die Russen stehen, da sie
früh den Katholizismus annahmen und in ihrer ganzen Kultur einen mehr westlichen Zuschnitt haben. In den zehn Gouvernements
des ehemaligen KönigreichsPolen leben 4 Mill., in den andern Gouvernements des europäischen Rußland gegen 900,000 Polen.
Im ganzen machen die Polen 6,8 Proz. der Bevölkerung des europäischen Rußland aus.
Die Litauer sind zum größten Teil katholisch; ihre Hauptbeschäftigung ist der Ackerbau. In einer Zahl
von über 800,000 wohnen sie in den GouvernementsKowno, Wilna und Suwalki, in geringer Anzahl auch in Grodno und Kurland. Nur
wenig von ihnen unterschieden, aber der kräftigere und tüchtigere Teil, sind die Schmuden oder Samogitier im westlichen
Teil von Kowno und nördlich von Suwalki. Das dritte Volk dieser Gruppe sind die Letten, ein gutartiger, bildungsfähiger,
aber schwerfälliger Menschenschlag, mit Ausnahme von 50,000 zur griechischen Kirche übergetretenen alle protestantisch.