auf die einfachsten, geordnetsten äußern Verhältnisse, auf Fernhaltung leidenschaftlicher Erregungen, auf Gewöhnung an
Unterordnung unter objektiv gegebene Verhältnisse hingewirkt werden. Sind die
Anzeichen einer wirklich ausgebrochenen
Geisteskrankheit
vorhanden, so ist das erste Erfordernis die Abhaltung aller schädlichen Einflüsse, insbesondere Beseitigung derjenigen
Umstände, durch deren Zusammenwirken die
Krankheit entstanden ist, daher vollständige
Ruhe des
Gehirns,
Abhaltung der meisten auch sonst gewohnten, noch mehr natürlich aller stärkern, stets schädlichen
Reize.
Der Kranke sucht auch instinktiv diese
Ruhe; er entzieht sich jedem lebhaftern psychischen
Eindruck, jedem Lärm, jedem anstrengenden
Gespräch und sucht die
Einsamkeit. Jeder
Versuch, diesem unbewußten
Streben durch Zureden und Ermahnungen,
durch
Versetzen in lärmende, rauschende
Zerstreuungen entgegenzuwirken, ist schädlich; der Kranke muß im Gegenteil in stille,
friedliche und zugleich wohlthuend ansprechende Außenverhältnisse gebracht werden; oft ist selbst die strengste Abschließung
von allem
Verkehr, ja sogar die Fernhaltung aller
Ton- und Lichteindrücke notwendig, das letztere besonders in frischen Erregungszuständen,
zuweilen auch im Beginn und auf der
Höhe der
Melancholie.
Eine tausendfältige
Erfahrung hat gezeigt, daß diesen Anforderungen meist nur durch eine vollständige Umänderung aller
Außenverhältnisse, durch gänzliche
Entfernung des Kranken von seinen gewohnten Umgebungen, durch die
Versetzung zu völlig
andersartigen und neuen
Eindrücken entsprochen werden kann. Nur selten genügt hierzu ein bloßer
Wechsel
des Wohnortes, etwa ein Landaufenthalt in einfachen, ansprechenden Umgebungen.
GrößereReisen, in den mäßigern Zuständen
von
Hypochondrie oft von großem Nutzen, aber immer nur bei wenigen anwendbar, sind bei allem ausgebrochenen tiefern
Irresein
durchaus unzulässig, weil sie gewöhnlich die Aufregung nur vermehren.
Dagegen ist die
Versetzung in Verhältnisse, welche besonders für die Verpflegung solcher Kranken eingerichtet
sind, in eine gute
Irrenanstalt, die in der großen
Mehrzahl der
Fälle am dringendsten angezeigte Maßregel. Sie dient vor
allem zum
Schutz des Kranken, denn nirgends in den gewöhnlichen Lebensverhältnissen ist dieser vor Zudringlichkeit, vor
einer auch beim besten
Willen meistens höchst unzweckmäßigen Einwirkung seiner Umgebungen geschützt;
nirgends findet er, wie hier, jene
Schonung, welche aus einer klaren Einsicht in seinen Zustand hervorgeht.
Die meisten Genesenen segnen ihren
Eintritt in die Anstalt, und die Vorteile dieser
Versetzung sind nicht nur in der Psychiatrie zu
einem durch die ausgedehnteste
Erfahrung bestätigten
Grundsatz geworden, sie werden auch immer mehr von
Ärzten und selbst von
Laien anerkannt. Wie günstig die
Versetzung in die
Irrenanstalt wirkt, zeigt sich in manchen
Fällen darin,
daß schon der
Eindruck des
Eintritts genügt, um die
Krankheit zu brechen, daß bei einzelnen bis dahin höchst schwierig zu
behandelnden Kranken von derStunde ihrer
Aufnahme an nicht nur vollständige
Ruhe eintritt, sondern sogar
die entschiedenste
Rekonvaleszenz beginnt, während bei der großen
Mehrzahl zum mindesten sofort eine auffallende Erleichterung
eintritt.
Hier allein, im Irrenhaus, findet der Kranke, der nicht mehr in die
Welt der
Gesunden taugt, alles beisammen, was sein
Leiden
[* 2] erfordert: einen mit der Behandlung solcher Zustände vertrauten
Arzt, geübte Wärter, eine ganze Umgebung,
welche folgerichtig und den Umständen angemessen zu handeln weiß. Immerhin ist die
Versetzung in eine
Irrenanstalt, welche
einerseits bei bestehender
Geistesstörung nicht frühzeitig genug erfolgen kann, anderseits doch nicht ohne wichtige
Folgen
für das spätere bürgerliche
Leben des Kranken ist, stets ein wohl zu überlegender
Schritt.
Die erste und dringendste Veranlassung gibt immer ein Zustand des Kranken, wo er sich selbst oder andern gefährlich werden
oder sonstige große
Störungen verursachen kann, also der
Ausbruch der
Tobsucht oder dringende Zeichen ihrer
Annäherung, ebenso
der Hang zum
Selbstmord, dem in Privatverhältnissen nie sicher begegnet werden kann, ebenso eine nicht
bald zu überwindende
Nahrungsverweigerung. In die
Irrenanstalt gehören ferner alle Wahnsinnigen, gefährlichen Verrückten
und viele unruhige Blödsinnige.
Auch der beginnende stille
Blödsinn, unter dem sich oft etwas andres versteckt, findet dort noch am ehesten eine richtige
Beurteilung und Behandlung; der sekundäre apathische und paralytische
Blödsinn dagegen gestattet, wo
eine sorgfältige Verpflegung stattfinden kann, den Aufenthalt in Privatverhältnissen. Die
Fälle von
Schwermut sind in dieser
Beziehung schwierig zu beurteilen; erst bei in ihrer
Stärke
[* 3] sich steigernden
Anzeichen dürfte auch hier die
Versetzung in
eine
Irrenanstalt zu empfehlen sein. In vielen
Fällen hängt im allgemeinen die
Notwendigkeit der Überführung
in eine
Irrenanstalt weniger von der Form und Art der
Krankheit als von den Außenverhältnissen und dem
Charakter des Kranken
ab.
Die direkte Behandlung der Geisteskranken in den
Irrenanstalten ebenso wie außerhalb derselben ist eine somatische (körperliche)
und eine psychische (auf geistigem Weg wirkende). Die somatische Behandlung geschieht, da es besondere
Heilmittel gegen
Geisteskrankheiten nicht gibt, nach allgemeinen medizinischen
Regeln, welche nur in seltenen
Fällen individuelle
Abänderungen zulassen; viele dieser Kranken genesen bei einer nur nicht positiv schädlichen Behandlungsweise ganz von selbst.
Das psychische Heilverfahren hat wesentlich zwei
Ziele: es sollen die krankhaftenStimmungen,
Gefühle und
Vorstellungen, welche jetzt die frühere gesunde
Individualität zurückdrängen, gehoben und entfernt werden;
anderseits soll
wieder möglichst hingewirkt werden auf Wiederherstellung und Stärkung des alten
Ich selbst. In ersterer Beziehung führt
ein direktes Bekämpfen der verkehrten geistigen Thätigkeit kaum je zu einem günstigen
Ziel, ebensowenig nutzt das sogen.
Eingehen auf den
Wahn des Kranken;
die einzig richtige
Methode ist die psychische
Ableitung. Es muß allem,
was mit dem
Wahn des Kranken im Zusammenhang steht, ausgewichen und durch
Arbeit und
Zerstreuung gesunder Art der
Geist desselben
anderweitig in Anspruch genommen werden.
Daher ist unter allen psychischen
Mitteln eine zweckmäßige Beschäftigung
des Kranken, welche zugleich das alte
Ich stärkt und kräftigt, das oberste und wichtigste. Hier muß sich die praktische
Menschenkenntnis des
Arztes bewähren im Durchschauen einer Persönlichkeit, in dem verschiedenen Anfassen der
Individualitäten
nach der Verschiedenheit der
Charaktere,
Neigungen,
Gewohnheiten und Bildungsstufen, im Auffinden aller der Seiten, von denen
aus der Kranke empfänglich ist.
Garten- und Feldarbeit, häusliche und handwerksmäßige, der künstlerischen
sich annähernde Beschäftigungsweisen sind je nach den Verhältnissen der
Person anzuwenden, daneben angemessene geistige
Beschäftigung durch
Zerstreuungen, zweckmäßige Unterhaltung und
Lektüre, allenfalls methodischer
Unterricht; unter Umständen
ist vernünftig gehandhabte
¶
mehr
religiöse Erbauung nicht gering zu schätzen, wenn sie nur nicht aufgedrungen wird. Über die äußern Beschränkungsmittel
s. Irrenanstalten. Ist, von einer methodischen rationellen Behandlung unterstützt, der Krankheitsprozeß abgelaufen, die
Geistesstörung erloschen, so sollen die Genesenen in möglichst allmählichen Übergängen wieder dem gewohnten bürgerlichen
Leben zurückgegeben werden, und zwar mit um so größerer Vorsicht, als gerade im Gebiet der Seelenstörungen
Rückfälle nicht zu den Seltenheiten gehören und mit der Häufigkeit der letztern die Aussichten auf eine endgültige Heilung
sehr verringert werden.
Die Psychiatrie, welche als am meisten dunkler und etwas stiefmütterlich behandelter Teil der Medizin nur von verhältnismäßig wenigen
Spezialisten getrieben wurde, die ihrerseits wieder nicht immer die wissenschaftlich am meisten gebildeten
und vorgeschrittenen Ärzte waren, ist in neuerer Zeit mehr Allgemeingut der Ärzte geworden; auch der gewöhnliche Praktiker
kann heutzutage nicht umhin, sich bis zu einer gewissen Tiefe mit derselben zu beschäftigen. Am meisten ist dazu, wenigstens
in Deutschland,
[* 5] beigetragen worden durch die Errichtung von psychiatrischen Lehranstalten und Lehrstühlen,
durch welche die Psychiatrie, wie alle andern Fächer,
[* 6] in den Rahmen des methodischen medizinischen Unterrichts eingetreten ist.
Messen bedeutet s. v. w. Anwendung der Mathematik auf Psychologie, indem die psychischen Vorgänge wie Kräfte
angesehen und entweder untereinander oder mit den ihnen korrespondierenden physischen Vorgängen (Reizen) ihrer Quantität
nach verglichen werden. Jenes geschieht in der eigentlichen mathematischen Psychologie, wie sie zuerst
von Herbart (s. d.) versucht worden, dieses in der Psychophysik (s. d.), wie sie vonWeber und Fechner begründet worden ist.
Der gegen dieselbe erhobene Einwurf, daß jeder Meßversuch eine absolute Maßeinheit voraussetze, eine solche aber für
die Bewußtseinszustände fehle, ist deshalb nicht stichhaltig, weil es sich nicht um absolute Maßbestimmungen,
sondern um bloße Relationen zwischen Zuständen handelt, und weil die sogen. Maßeinheiten bei physischen
Zuständen auch keine absoluten sind. Eine besondere Form des psychischen Messens bildet die Feststellung der Zeit, welche
zum Zustandekommen eines Bewußtseinsaktes, z. B. einer Association zwischen zwei oder mehreren Vorstellungen, im
Bewußtsein erforderlich ist, eine Untersuchung, welche besonders Wundt angeregt und wobei sich z. B. für obigen Vorgang eine
mittlere Zeitdauer von 0,721 Sekunde als notwendig herausgestellt hat.
Vgl. Zeller, Über die Messung psychischer Vorgänge
(Berl. 1881), und Wundts Erwiderung darauf in dessen »Philosophischen Studien«, Heft 2, S. 251 ff. (Leipz. 1882).
(griech.), die Entwickelungsgeschichte
[* 7] der Seele, ein von Darwin angeregter Forschungszweig über die Entwickelung
der Sinnesfähigkeiten, des Willens, der Sprach- und Denkfähigkeiten im menschlichen Kind. Preyer und Kußmaul haben darüber
eine Reihe von Arbeiten veröffentlicht, aus denen hervorgeht, daß die Sinnesfähigkeiten keineswegs bei dem neugebornen Kind
bereits entwickelt sind, das Neugeborne ist sogar taub, und es dauert lange, bis das Kind mit dem Auge
[* 8] dem Licht
[* 9] folgt; dagegen scheinen sich die niedern Sinnesfähigkeiten
des Geruchs und Geschmacks schneller zu entwickeln. Durch
genaue Tagebücher hat man dann das erste Lächeln, Greifen mit den Händen nach einem Gegenstand, das erste Lallen, Wortverständnis,
die ersten Satz- und Begriffsbildungen etc. verfolgt.
(griech.), ein Schreibapparat, durch welchen die Geister der Spiritisten (s. Spiritismus) ihre Offenbarungen
schriftlich kundgeben. Das sogen. Medium legt seine Hand
[* 10] auf eine Holzplatte, welche entweder direkt, mit einem
Bleistift
[* 11] verbunden, sich auf Räderchen über die Schreibfläche bewegt, oder die ihr von den »Geistern«
mitgeteilten Impulse vermittelst eines sogen. Storchschnabels (s. d.) in verkleinerten Zügen wiedergibt, oder auch die betreffenden
Buchstaben eines untergelegten Alphabets, resp. die Zahlen mit einem Zeiger bezeichnet.
Ähnlicher Apparate, namentlich zur Ergründung des Schicksals, bedienten sich schon die Römer,
[* 12] wie aus
einem merkwürdigen Bericht des Ammianus Marcellinus und aus Bemerkungen des Tertullian hervorgeht. Die Chinesen bestreuen einen
Tisch mit Mehl
[* 13] und halten zu zweien über denselben einen Korb, an dem ein Pinsel befestigt ist, der durch das Hin- und Herschwanken
die Geisterbuchstaben schreibt.
Dieser Schluß ist so lange unberechtigt, als nicht erwiesen ist, daß die psychischen Vorgänge (Vorstellen, Fühlen, Begehren),
die nur dem sogen. innern, und die physischen (Nerven- und Muskelreize, elektrische Strömungen), die nur dem äußern Sinn
zugänglich sind, nicht bloß einander korrespondierende Zustände, sondern eins und dasselbe seien, was zu
erweisen der Physiologie bisher keineswegs gelungen ist. Auch die von Fechner als Zwischengebiet zwischen Psychologie und Physik eingeschobene
Psychophysik hat nur gezeigt, daß die Beziehungen zwischen den äußersten Grenzen
[* 16] der physischen (Nervenreize) und den niedersten
Stufen der psychischen Vorgänge (elementare Sinnesempfindungen) sich auf exakte Formeln (Webersches Gesetz) bringen lassen,
keineswegs aber die Identität des Nervenvorganges (Bewegung) mit der Empfindung dargethan. So lange, als
jener Beweis nicht erbracht ist, muß es daher unverwehrt bleiben, von den psychischen Phänomenen als einem von den physikalischen
und physiologischen abgesonderten Kreis
[* 17] von Erscheinungen zu handeln und rücksichtlich sowohl ihres Substrats als ihrer Gesetze
diejenigen Folgerungen zu ziehen, welche durch die besondere Natur der psychischen Erscheinungen unvermeidlich
gemacht werden. Psychologie in diesem Sinn ist daher zwar eine empirische Wissenschaft insofern, als sie von den durch Erfahrung (an sich
und andern) gegebenen psychischen
¶
mehr
Erscheinungen ausgeht und weiter schließt; es ist aber keineswegs notwendig, daß dasjenige, zu dem sie auf diesem Weg
mit Notwendigkeit gelangt, selbst innerhalb der Grenzen sichtbarer Erfahrung gelegen sei. Lassen sich sämtliche erfahrungsgemäß
gegebene psychische Phänomene ohne Voraussetzung einer (körperlichen oder unkörperlichen) Seele überhaupt oder doch wenigstens
einer unkörperlichen Seele befriedigend erklären, so ist im erstern Fall die Annahme eines Seelenwesens
überhaupt, im letztern wenigstens die eines unkörperlichen überflüssig.
Gibt es dagegen auch nur ein einziges thatsächliches Seelenphänomen, das sich ohne die Annahme eines atomistischen Seelenwesens
schlechterdings nicht erklären läßt, so ist die letztere Annahme (wenigstens als Hypothese) notwendig. Neuere
Psychologen (Herbart und dessen Schule, Lotze) haben als ein solches Phänomen die Einheit des Bewußtseins und Kants entgegenstehende
Behauptung, daß die Annahme einer Seele ein (übrigens unvermeidlicher) Paralogismus der reinen Vernunft sei, selbst für einen
Fehlschluß (quaternio terminorum) erklärt.
Infolgedessen stehen einander in der Psychologie sehr verschiedene philosophische Richtungen gegenüber. Der Materialismus
und (Comtesche) Positivismus, welcher (unbewiesenerweise) nur eine Gattung von Phänomenen (die physikalischen) anerkennt, betrachtet
die sogen. psychischen Phänomene als physische (Nervenschwingungen) und die sogen. Seele als ein körperliches Organ (Gehirn),
[* 19] zu dessen Funktionen das Denken gehört, wie zu jenen des Magens dieVerdauung.
Die Psychologie fällt beiden sonach mit der Physiologie zusammen und ist von A. Comte folgerichtig der Biologie
einverleibt worden. Die kritische SchuleKants hält zwar an der Nichtidentität psychischer und physischer Phänomene fest;
aber sie läßt den Schluß von der Einheit des Bewußtseins auf die Existenz der Seele nicht gelten und gelangt dazu, eine Wissenschaft
von den Seelenerscheinungen ohne Substrat, eine »Psychologie ohne Seele« (Lange) zu konstruieren. Die idealistischen Nachfolger Kants
sehen (nach dem Vorgang Spinozas) Physisches und Psychisches als verschiedene Seiten desselben identischen Wesens an und sprechen
demgemäß der Seele als »Idee des Leibes« jede von diesem abgesonderte Existenzweise als Einzelwesen ab. Die realistischen
Nachfolger Kants (Herbart und seine Schule, Lotze) schließen von der Thatsache der Einheit des Bewußtseins, die keine »itio in partes«
erlaubt, auf die unteilbare Natur des Seelenatoms (Monade, einfaches Reale) als Trägers derselben und leiten aus dieser gewisse
(sonst unverständliche) Fundamentalgesetze des Seelenlebens, wie die (Lockesche) »Enge des Bewußtseins« und
die innige Verbindung (Ideenassociation) der gleichzeitig oder unmittelbar nacheinander in der Seele gegenwärtigen Vorstellungen,
ab. Als beschreibende Wissenschaft unterscheidet die Psychologie mindestens drei Gattungen verschiedener Seelenvorgänge, die sie als
Vorstellungen (s. d.), Gefühle (s. d.) und Strebungen (Begierden, Willensakte, s. Wille) bezeichnet; als erklärende nimmt sie
entweder (wie die ältere Physik zu der Annahme von Kräften) zu der Annahme besonderer Vermögen (Vorstellungsvermögen,
Gefühlsvermögen, Begehrungsvermögen, Einbildungskraft, Gedächtnis etc.) behufs Erklärung besonderer Erscheinungen ihre Zuflucht,
oder sie leitet (wie die neuere Physik aus den elementaren Bestandteilen des Stoffes und deren Bewegungen) nicht nur auch die
höchsten und verwickeltsten psychischen Gebilde (die Ichvorstellung, den sittlichen Charakter etc.) aus
den elementaren Bestandteilen des Bewußtseinsinhalts (Empfindungen)
und deren (durch Gleichzeitigkeit und Wechselwirkung herbeigeführten)
Verbindungen ab, sondern betrachtet selbst die verschiedenen Arten der psychischen Phänomene als Umbildungen einer einzigen
(ursprünglichen) Art (Gefühle und Strebungen als bloße »Zustände der Vorstellungen«, Darwinismus in der Psychologie). Je nachdem
die psychischen Phänomene mit den physiologischen für identisch (wie in der Psychologie des Materialismus) oder
nicht identisch erklärt werden, nehmen auch die Naturgesetze, durch welche der Gang und Ablauf
[* 20] derselben geregelt wird, spezifisch
physiologischen oder allgemeinen Charakter an. In letzterm Sinn spricht die Herbartsche Schule von einer »Statik« und »Mechanik«
der psychischen Vorgänge und wendet die allgemeinen Formeln der Statik und Mechanik der in Wechselwirkung
stehenden elementaren Bestandteile der Materie (Atome) außerhalb (in modifizierter Gestalt) auf die in Wechselwirkung befindlichen
elementaren Bestandteile des Bewußtseinsinhalts (Empfindungen) innerhalb des Bewußtseins an (exakte oder mathematische Psychologie). Wird
dagegen von der Ansicht ausgegangen, daß die psychischen Phänomene überhaupt nicht, wie andre Vorgänge
der natürlichen Welt, durch »Naturgesetze« geregelt werden, sondern entweder völlig gesetzlos (willkürlich, transcendental
frei) oder nach Normen einer »übernatürlichen« (mystischen) Welt erfolgen, so nimmt die Psychologie selbst »übernatürlichen«
(mystischen) Charakter an und geht in Spiritismus und Mystizismus über. Letztere Gestalt der Psychologie umfaßt alle diejenigen
(angeblichen) Thatsachen des Seelenlebens, welche (wie Kants transcendentale Willensfreiheit) das die erfahrungsmäßig gegebene
Natur beherrschende Kausalgesetz gänzlich oder (wie die räumlich und zeitlich unvermittelten Einwirkungen der Geister- und
Hellseher, Somnambulen etc.) teilweise aufheben und (seit Schubert) als »Nachtseite der Seele« zusammengefaßt zu werden pflegen.
Anfänge der Psychologie finden sich schon in der Philosophie des Altertums, insbesondere bei Platon, welcher die
Seele aus einem vernünftigen und einem vernunftwidrigen »Teil« zusammengesetzt
dachte, zwischen welchen ein dritter vernunftloser, aber für Vernunft empfänglicher das »Band«
[* 21] darstelle, und deren »Harmonie«
die Vollkommenheit des psychischen (wie die Harmonie zwischen den drei Ständen des Staats: Lehr-, Wehr- und
Nährstand, die Vollkommenheit des politischen) Lebens ausmache.
Aristoteles, bei welchem die Keime aller spätern Psychologie zu finden sind, bezeichnete die Seele als »Entelechie des organischen Leibes«
und unterschied eine vegetative (der Ernährung und dem Wachstum vorstehende: Pflanzenseele), empfindende (sinnlich wahrnehmende
und sinnlich begehrende: Tierseele) und erkennende (denkende und wollende) Seele: Geist. Seine Zurückführung
der psychischen Vorgänge auf Arten und Vermögen ist von den Spätern fast unverändert beibehalten und nur von den einen
(den Neuplatonikern) die Psychologie als Lehre
[* 22] von der sinnlichen Seele von der Pneumatologie als Lehre vom Geist unterschieden, von den
andern (den materialistischen Physikern) auch der Geist bloß als ein feinerer Körper angesehen worden.
Beide letztere Anschauungen pflanzten sich durch das Mittelalter auf die neuere Zeit fort, wo die erstere bei Descartes, die
letztere bei Hobbes wieder zum Vorschein kam. Leibniz, welcher die Seele als Monade, d. h. als spiritualistisches Atom, auffaßte,
suchte alle Erscheinungen in derselben auf ein Vermögen, zu erkennen, und ein solches, zu begehren, zurückzuführen,
während Locke den Versuch machte,
¶
mehr
dieselben aus einem ursprünglichen Vermögen, zu empfinden (sensation), und einem, auf das Empfundene zu reflektieren (reflection),
abzuleiten. Aus ersterm Bemühen ist die systematische Seelenvermögenstheorie der Wolfschen Schule, aus letzterm die genetische
(die zusammengesetzten und reichern aus einfachen und elementaren Seelenvorgängen ableitende) Psychologie der englischen,
schottischen und französischen Empiristen und Sensualisten (Locke, Hume, Condillac) hervorgegangen.
Unter den realistischen Nachfolgern Kants gingen die einen mit Beseitigung der »mythologischen«
Seelenvermögen auf Leibniz und Locke zurück und gestalteten die Psychologie als genetische Entwickelung des Seelenlebens aus elementaren
Bewußtseinsvorgängen im Innern eines atomistischen Seelenwesens (Herbart und seine Schule, Lotze), während die andern den
leeren Platz der von Kant aus dem Bereich der Erfahrung und Erkenntnis ausgewiesenen Seele entweder durch
ein »Hirngespinst« (Schopenhauer) im materialistischen oder durch »das Gespenst einer Seele« (Mystiker und Spiritisten) im supranaturalistischen
Sinn (Schubert, Eschenmayer, Just. Kerner u. a.) ausfüllten.
Die seit alters her zur Psychologie gerechneten und von derselben als »Einfluß
des Leibes auf die Seele und dieser auf den Leib« (Naturell, Temperament im gesunden, Seelenstörung, Geisteskrankheit
im kranken Zustand) abgehandelten Wechselbeziehungen psychische (Bewußtseins-) und somatischer (körperlicher) Vorgänge
sind in jüngster Zeit zum Gegenstand einer von derselben sich absondernden, ihre Wurzeln einerseits in der Psychologie, anderseits
in der Physiologie schlagenden Wissenschaft, der sogen. physiologischen Psychologie, gemacht worden, die sich die
Aufgabe stellt, die organischen und physiologischen Bedingungen der mentalen Vermögen und Fähigkeiten,
sei es am gesunden (»eigentliche«),
sei es am kranken Menschen (»pathologische, physiologische Psychologie«),
Die wichtigsten von ihr bisher in exakter, auf dem Weg des Experiments (experimentelle Psychologie) am lebenden
(tierischen) u. der pathologischen Sektion am toten Organismus erfolgreich durchgeführter Weise erforschten Thatsachen gehören
dem Gebiet der Sinnesfunktionen (»Lehre von den Tastempfindungen«: Weber; »Theorie des Sehens und Lehre von den Tonempfindungen«:
Helmholtz; »Tonpsychologie«: Stumpf), ferner der Theorie der cerebralen Lokalisation (d. h. der Verteilung
vereinbarer geistiger oder durch solche bedingter Fähigkeiten,
wie der des Sprechens, Schreibens, Lesens und Verstehens,
an gewisse Hirnpartien, so daß die Zerstörung oder der Mangel der letztern das Aufhören jener zur Folge hat: Aphasie, Agraphie,
Wortblindheit und -Taubheit), endlich des sogen. Muskelsinns (Bain), der Vererbung (vgl. Ribot, L'hérédité
psychologique, 2. Aufl., Par. 1882), der Suggestion, der Verdoppelung des Bewußtseins etc. an.
Vgl. zur Psychologie außer den Hauptwerken
fast aller Philosophen insbesondere die Schriften der Herbartschen und der neuern englischen (an Locke anknüpfenden) Psychologenschule
(A. Bain u. a.), zu welch ersterer trotz prinzipieller Abweichungen auch Lotzes, zu welch letzterer (in
Deutschland) auch BrentanosDarstellungen der Psychologie zu zählen sind.
Unter jenen sind Drobisch, Empirische Psychologie (Leipz. 1842), Volkmann,
Lehrbuch der Psychologie vom Standpunkt des Realismus (3. Aufl., Köth. 1884, 2 Bde.), Rob. Zimmermann, Empirische Psychologie (in dessen »Philosophischer
Propädeutik«, 3. Aufl., Wien
[* 24] 1867),
und Wundt, Grundzüge
der physiologischen Psychologie (3. Aufl., das. 1887, 2 Bde.),
sowie Lazarus, Das Leben der Seele (3. Aufl., Berl. 1883 ff., 3 Bde.),
und dessen »Zeitschrift für Völkerpsychologie«, unter diesen ist nebst J. Mill, Analysis of human mind (neue Ausg., Lond.
1878, 2 Bde.), und Alex.
Bain, Psychology (2. Aufl., das. 1872), insbesondere Brentano, Psychologie vom empirischen Standpunkt (Leipz. 1874, Bd.
1), und als bedeutendste Erscheinung der theosophischen und spiritualistischenHerm. v. Fichte,
[* 25] Psychologie (das. 1864-73, 2 Bde.),
zu nennen. Zur Geschichte der Psychologie ist außer dem (veralteten) Werk von F. A. Carus (Leipz. 1808) und den
reichhaltigen Notizen in Volkmannsoben genanntem »Lehrbuch der Psychologie« insbesondere Ribot, »La psychologie anglaise contemporaine«
(2. Aufl., Par. 1875),
u. dessen »La psychologie allemande« (deutsch,
Braunschw. 1881) anzuführen.
(griech.) unterscheidet sich von Psychologie (s. d.), welche ausschließlich psychische, und Physiologie
(s. d.), welche ebenso ausschließlich physische Vorgänge zum Gegenstand hat,
dadurch, daß sie sowohl psychische als physische Vorgänge oder vielmehr die Beziehungen zwischen beiden
zum Gegenstand hat und daher zwischen obigen beiden Wissenschaften eine Mittelstellung einnimmt. Dieselbe untersucht einerseits
die körperlichen Bedingungen der Seelenthätigkeiten (z. B. der Empfindung von Nervenreiz; Webersches oder Fechnersches Gesetz:
»Empfindungen verhalten sich wie die Logarithmen ihrer Reize«),
[* 27] (Phtha), ägypt. Gott, eigentlich der Bildner, der Weltbaumeister, das Urfeuer, die Urwärme
und daher der materielle Urheber der Entstehung und Entwickelung der Dinge. Bei Manethos steht er an der Spitze der Götterdynastien
und soll 9000 Jahre lang vor den andern Göttern regiert haben. Als Gott des Lichts, das alles in seiner
wahren Gestalt zeigt, ist Ptah zugleich der Geist der Wahrheit, als Gott des himmlischen Lichts zugleich Herr des Himmels. Bei den
Griechen heißt Ptah Hephästos.
[* 29]
Abgebildet findet er sich als unwandelbarer Gott in mumienhafter Umhüllung
[* 27]
(Fig. 1), in der Hand die Zeichen der Herrschaft:
Geißel und Zepter oder den sogen. Nilmesser (ein Ring mit gleichlaufenden Querriegeln), wohl um ihn als
den Geist der Ordnung, des Maßes und Gesetzes zu bezeichnen, oder als bärtiger Zwerg oder in unentwickelter Kindesgestalt (Ptah-Embryon
oder Ptah-Patäk,
[* 27]
Fig. 2, um den noch unförmlichen Zustand der Welt anzudeuten, in welchem die »Urwärme« entstand), nicht
selten mit dem (ihm heiligen) Skarabäus, statt des Menschenkopfes, auf den Schultern.
Als Weltschöpfer heißt er auch Tatenen; das Wesen des Ptah und das des Osiris
[* 30] vereinigt der Ptah-Sokar-Osiris. Als Gattin des
Ptah erscheint Sechet, beider Sohn ist Imhotep
[* 31] (Imuthes). Die Hauptstätte seiner Verehrung war Memphis, wo er einen prächtigen,
von Menes erbauten Tempel
[* 32] hatte, der von den folgenden Königen mit kolossalen Bildwerken ausgestattet ward. Kambyses verbrannte
die ganze Ptahfamilie und machte so seinem Kult ein Ende. Vgl. Ägypten,
[* 33] S. 219.
L., Gattung aus der Familie der Rutaceen, Sträucher oder kleine Bäume im gemäßigten Nordamerika,
[* 37] mit dreizähligen
oder fünffiederigen Blättern und lederiger, zwei- bis dreiflügeliger Frucht. Ptelea trifoliataL., ziemlich hoher, unten in der
RegelkahlerStrauch mit runden, dreiteiligen Blättern, unansehnlichen, grünlichgelben, wohlriechenden
Blüten und breit geflügelten Früchten, wird als Zierstrauch kultiviert;
L. (Saumfarn), Farngattung aus der Familie der Polypodiaceen, charakterisiert durch die den ganzen Wedelrand ohne
Unterbrechung umsäumenden Fruchthäufchen, welche auf einem am Rand hinlaufenden, die Enden der Fiedernerven verbindenden Nerv
sitzen und vom umgerollten, einen falschen Schleier bildenden Rand bedeckt sind. Über 120 Arten meist in
den wärmern Zonen einheimischer krautartiger Farne. Pteris aquilinaL. (Adlerfarn), mit einzeln über den Boden hervortretenden,
0,3-3,8 in hohen, dreifach gefiederten, langgestielten, im Umriß dreieckig-eiförmigen Wedeln, der größte und häufigste
deutsche Farn, wächst gesellig in lichten Wäldern, durch ganz Europa
[* 41] und Nordasien, hat seinen Namen von der
einem Doppeladler ähnlichen
[* 27]
Figur, welche die Gefäßbündel
[* 42] auf dem Durchschnitt des untern Teils der Wedelstiele zeigen.
Er wird in Wäldern, wo er junges Holz
[* 43] erstickt und seines unterirdischen, weit kriechenden Wurzelstockes wegen schwer auszurotten
ist, auch auf Äckern, in Weinbergen etc. sehr lästig. Der sehr lange Wurzelstock enthält Stärkemehl und
Pflanzenschleim und wird auf den Kanarischen Inseln unter dem NamenHelecho zur Bereitung des Helechobrots verwendet; von Pteris esculentaForst.,
[* 44] dem vorigen ähnlich, in Neuholland weitverbreitet, werden die Wurzelstöckegegessen.
Pterocarpus indicusWilld., ein großer Baum im östlichen Teil des heißen Asien und auf den Molukken, liefert ein übelriechendes
Kino und das schöne rote und harte Kajoeholz.
Pterocarpus MarsupiumRoxb., ein hoher, schlanker Baum mit in Platten sich ablösender
Außenrinde, roter, faseriger Innenrinde, end- oder achselständigen Blütentrauben und gelblichweißen
Blüten,
¶
mehr
wächst in den Wäldern der Malabarküste, in Hinterindien,
[* 53] auf Ceylon
[* 54] und auf der mittlern Ostküste Vorderindiens, liefert
gutes Nutzholz und einen roten Saft, der nach dem Eintrocknen das Kino (s. d.) bildet.
in der griech. Baukunst der
[* 55] durch das Gebälk auf allen Seiten überdeckte flügelartige
Vorsprung eines Gebäudes, insbesondere eines griechischen Peristylos (s. d.).
Wahrscheinlich war zwischen diesen zwei- bis viergliederigen Knochenstäben an den Seiten des Leibes, vielleicht auch der
hintern Extremität, eine Flughaut ausgespannt, so daß die Pterosaurier nach Art der Fledermäuse flattern konnten. Genau bekannt ist
besonders die Vogeleidechse (Pterodactylus) aus dem obern Jura und auch noch aus der Kreide;
[* 60] bei ihr waren
die Kiefer bis an die Spitze mit Zähnen besetzt, der Schwanz kurz (s. Tafel »Juraformation II«);
[* 61] einige Arten mögen eine bedeutende
Größe erreicht haben (Spannung der Flughäute bis zu 8 m), doch waren sie im allgemeinen klein. Bei Ramphorhynchus
^[richtig: Rhamphorhynchus], dessen Schwanzende mit einer senkrecht stehenden Rudermembran versehen war (s.
Abbildung), standen die Zähne nur in der hintern Hälfte der Kiefer, und Pteranodon aus nordamerikanischen Kreideschichten
war sogar zahnlos. Die Pterosaurier lebten im mittlern Europa von der Zeit des untern Lias bis zur Kreideformation.
[* 62]
^[Abb.: Restaurationsversuch von Rhamphorhynchus phyllurus.]
Ptisanen waren seit den ältesten Zeiten gebräuchlich. Am meisten sind sie jetzt
noch in Frankreich beliebt, wo sie durch Abkochung enthülster Gerste
[* 65] bereitet werden, der man des Wohlgeschmacks
wegen kleine Rosinen zusetzt.
2) Stadt in Kyrenaika, der Hafen von Barka, am MittelländischenMeer (jetzt Tolmeta), war zur Zeit, als das Christentum am Nordrand
Afrikas herrschte, eine der blühendsten Städte der Landschaft. Es sank erst, namentlich infolge von Mangel
an Trinkwasser, mit dem Verfall des römischen Reichs, da die Gelder zur Unterhaltung der Wasserleitungen fehlten. Nach der Besitzergreifung
durch die Mohammedaner hatte Ptolemais noch eine kurze Nachblüte; jetzt ist es völlig verödet und nur zur Zeit
der Kornernte von nomadisierenden Arabern (Uled Agail) bewohnt. Von Ruinen sind ein Amphitheater, eine
christliche Kirche aus dem 3. Jahrh., zahlreiche Säulen
[* 66] etc. bemerkenswert.
Der Satz ist
ein spezieller Fall des allgemeinern, von Bretschneider herrührenden: Ist s die Summe zweier Gegenwinkel eines beliebigen Vierecks
ABCD, so ist AC².BD² = AB².CD² + BC².DA² - 2AB.BC.CD.DAcos s.