Naturphilosophen etwas eingedämmt und der
Erfahrung eine größere Bedeutung für die Würdigung der Lebenserscheinungen
zuerteilt zu haben. Erst
Aristoteles (384-322) hat mit der erforderlichen
Objektivität physiologische
Thatsachen gesammelt,
zahlreiche
Beobachtungen angestellt, mancherlei
Entdeckungen von Bedeutung gemacht und das Ganze mit seltenem
Scharfsinn in
ein
System gebracht, welches trotz zahlloser unrichtiger Behauptungen und sonstiger Mängel lange Zeit
hindurch unter dem
Namen der
Aristotelischen Physiologie sich erhielt.
Aristoteles suchte die Lebensvorgänge im Zusammenhang zu erklären, allerdings auf
Grund einer Zweckmäßigkeitslehre, die
jeden exakten
Boden vermissen läßt. Man kann
Galenos (131-200) als denjenigen bezeichnen, der die Physiologie zuerst zum
Rang einer
selbständigenWissenschaft zu erheben trachtete. Er bildete die Physiologie als die
Lehre
[* 2] vom
Gebrauch der
Organe
aus und stellte sich zahlreiche
Fragen, die er durch Tierversuche beantwortete. Er beschrieb und erklärte die
Funktionen methodisch
und so vollständig, wie das zu seiner Zeit überhaupt möglich war.
Sein genialer
Geist errichtete ein Gebäude, das durch
Scharfsinn und Geschlossenheit imponierte, und das
fast 1½ Jahrtausende hindurch in voller Geltung sich erhielt, ein Erfolg, wie er in der Geschichte der
Wissenschaften ganz
einzig dasteht, und der nur erklärt werden kann aus dem Umstand, daß
Galenos den Anforderungen der
Ärzte wie denen der
Geistlichen
im gleichenGrad gerecht wurde.
Preisen ihn erstere wegen seines
Materialismus, so thaten die andern dasselbe
wegen seiner theologischen Auffassung.
Denn so sehr
Galenos bemüht war, die Lebensvorgänge auf natürliche
Ursachen zurückzuführen, so erblickte er doch überall
eine gewollte Zweckmäßigkeit und bewunderte deshalb die
Weisheit des Schöpfers. Die Macht der physiologischen
ScholastikGalenos' geriet erst ins Wanken, als
Paracelsus (1493-1541) durch die Originalität seiner
Ideen die
Medizin
neu belebte und zum erstenmal die Physiologie in deutscher
Sprache
[* 3] lehrte. Mit noch größerer
Schärfe trat
Helmont (1577-1644) gegen
Galenos auf, doch vermochten heide
Männer trotz erheblicher Fortschritte keine gründliche
Reform der Physiologie herbeizuführen.
ErstHarvey (1578-1657) war es vorbehalten, durch die
Entdeckung des
Blutkreislaufs die Grundlage für eine
methodische Experimentalphysiologie zu schaffen, welche die Physiologie zum
Rang einer exakten
Wissenschaft erheben und den altersgrauen
LehrsätzenGalenos' die Herrschaft entreißen sollte. Hatte zwar schon letzterer mit
Hilfe des Tierexperiments manche wichtige
Thatsache ermittelt, so waren derartige
Versuche doch so gut wie völlig in Vergessenheit geraten, und
ein blinder Autoritätsglaube beherrschte fast 1½ Jahrtausende hindurch das Gebiet der Physiologie. Erst
Harvey wies in überzeugender
Weise nach, daß das
Experiment das wichtigste Hilfsmittel physiologischer Forschung sei, und durch die streng logische
Methode,
mit der er auf experimenteller Grundlage vorging, hat er wahrhaft reformatorisch gewirkt. Es ist bezeichnend
für den
Scharfsinn des
Reformators, daß die im J. 1628 gegebene
Darstellung seiner
Entdeckung des
Blutkreislaufs sachlich und
formal auch heute noch als korrekt angesehen werden kann.
Die neue
Richtung wurde wesentlich gefördert durch
Descartes (1596-1650).
Sein umfassende
Geist erkannte zuerst,
daß die lebenden
Wesen physisch als
Maschinen aufzufassen seien; er lehrte zuerst, daß die
Wärme
[* 4] im
Körper selbst gebildet
werde; er sprach zuerst von Reflexbewegungen. Außerordentliche
Verdienste besitzt
Descartes weiter um die
Forderung der Sinnesphysiologie,
er bereicherte die physiologische
Akustik und führte die
Akkommodation des
Auges auf Formveränderungen derLinse
[* 5] zurück. Einen sehr namhaften Fortschritt bekundet noch die scharfsinnige Art und
Weise, mit der
Borelli (1608-79) die exakten
Untersuchungsmethoden und
LehrsätzeGalileis auf die
Ortsbewegungen der Tiere in Anwendung brachte.
Leider beharrte die Physiologie nicht auf der exakten
Bahn, der sie so hervorragende Fortschritte zu verdanken hatte; sie wurde bald
der Sammelplatz aller möglichen
Hypothesen,
und sie konnte nur durch den klaren
Geist und das umfassende
WisseneinesHaller
(1708 bis 1777) vor weiterm
Verfall geschützt werden.
HatzwarHaller auch als
ForscherGroßes geleistet, so liegt seine eigentliche
Bedeutung doch mehr darin, daß er mit scharfem
Verstand ein erstaunliches
Wissen verband. Er beherrschte
die ganze physiologische Litteratur und hat sich durch eine scharfe
Kritik und Zusammenfassung der bis dahin überhaupt ermittelten
Thatsachen bleibenden
Ruhm erworben. Er gab die erste vollständige
Darstellung der Physiologie auf streng naturwissenschaftlicher
Basis.
Nochmals indessen sollte die eine
Periode durchlaufen, in der wüsteSpekulation über nüchterne
Objektivität
siegte. Trotzdem
Spallanzani (1729-99) die Verdauungslehre,
Hales (1677-1761) die
Lehre vom Blutdruck und von der Saftbewegung
in den
Pflanzen begründeten, trotzdem der
Holländer Ingen-Houß (1730-99) die
Atmung der
Pflanzen und die
Aufnahme der
Kohlensäure
durch die
Pflanzen entdeckte, trotzdem durch die
EntdeckungenPriestleys und
Lavoisiers dieBasis für eine
Theorie der
Respiration geschaffen wurde und
Bell (1774-1842) die fundamentale
Thatsache von der funktionellen Verschiedenheit
der vordern und hintern Rückenmarksstränge ermittelte, trotzdem
Galvani (1737-98) die tierische
Elektrizität
[* 6] entdeckte,
neigte die Physiologie mehr und mehr nach der spekulativen Seite hin, und Physiologen der damaligen Zeit, wie
Reil,
Blumenbach, Burdach
und
Oken, sind ausgesprochene Naturphilosophen.
Nunmehr begann auf physiologischem Gebiet allerwärts ein
Schaffen, welches die schönsten
Früchte zeitigte
und durch die von
Magendie (1783-1855),
Flourens (1803-1873),
ClaudeBernard (1813-78) und
Ludwig begründete moderne Experimentalphysiologie
ganz wesentlich gefördert wurde.
Schwann (1810-82) und
Schleiden (1804-81) begründeten die Zellenlehre, der die Physiologie zahlreiche
Anregung zu dem fruchtbringenden
Schaffen verdankt. Der
ArztRobertMayer (1814-78) entdeckte das mechanische Wärmeäquivalent,
welches erst der eine streng mathematische Grundlage geben konnte.
Chladni, vor allen
Dingen jedoch
Helmholtz,
begründeten die
Lehre von den Tonempfindungen, und letzterer wirkte auf dem Gebiet der
Lehre von der physiologischen
Optik
geradezu revolutionär.
Fechner begründete die
Psychophysik,
Du Bois-Reymond die
¶
mehr
Elektrophysiologie. Die hydraulischen Verhältnisse im Tierkörper wurden durch Ludwig und seine Schule erst einer exakten
mechanischen Messung zugänglich, und dieser Physiolog reformierte zugleich die Lehre von den Absonderungen. Auch die GebrüderWeber haben die physikalische Richtung durch grundlegende Arbeiten bereichert. Fourcroy und Vauquelin, Berzelius (1779-1848) und
Liebig (1803-73) schufen die Tierchemie, aus der nunmehr eine selbständige physiologische Chemie hervorgegangen
ist. Geoffroy Saint-Hilaire (1772-1844), Lamarck (1744-1829), Cuvier (1769-1832), Goethe und Oken, vor allen aber CharlesDarwin
(1804-82) begründeten die Deszendenzlehre.
[Litteratur.]
Encyklopädien: »Handwörterbuch der Physiologie«, von R. Wagner (Braunschw. 1842-53, 4 Bde.);
Milne-Edwards, Leçons sur la physiologie et l'anatomie comparée (Par. 1857-83, 14 Bde.);
»Handbuch der Physiologie«, unter Redaktion vonL.Hermann (Leipz. 1879-83, 6 Bde.
in 12 Tln.);
Lehrbücher von v. Haller (»Elementa physiologiae corporis humani«, Laus. 1757-66, 8 Bde.), Magendie (deutsch, 3. Aufl.,
Tübing. 1836, 3 Bde.), Rudolphi (Berl. 1821-27, 2 Bde.),
Burdach (Leipz. 1826 bis 1840, 6 Bde.);
Joh. Müller, Handbuch der Physiologie des Menschen (Kobl. 1833-40, 2 Bde.;
Bd. 1, 4. Aufl. 1844);
Ludwig, Lehrbuch der Physiologie (2. Aufl., Leipz. 1858-61);
Longet, Traité de physiologie (2. Aufl., Par. 1860-61, 2 Bde.);
Brücke,
[* 9] Vorlesungen über Physiologie (4. u. 3. Aufl.,
Wien
[* 10] 1881-82, 2 Bde.);
Budge, Handbuch der Physiologie (8. Aufl., Leipz.
1862);
Derselbe, Kompendium der Physiologie (3. Aufl., das. 1875);
Foster, Lehrbuch der Physiologie (a. d. Engl. von Kleinenberg, Heidelb. 1881);
Funke-Grünhagen, Lehrbuch der Physiologie (7. Aufl., Leipz.
1884-87, 3 Bde.);
Hermann, Lehrbuch der Physiologie (8. Aufl. 1886);
Huxley, Grundzüge der Physiologie (deutsch von Rosenthal, 2. Aufl., Hamb.
1881);
Zeit (Reaktionszeit), der Zeitraum zwischen dem Augenblick, in welchem ein Reiz auf einen Empfindungsnerv
ausgeübt wird, und demjenigen, in welchem die dadurch verursachte Reaktionsbewegung eintritt. Unter den einfachsten Bedingungen
liegt sie zwischen ⅕ (für optische Reize) und 1/7 Sekunde (für Gehör- und Tastreize); sie ist verschieden
nach Art und Intensität des Reizes, nach Individualität und Alter, besonders aber ist sie abhängig von der Aufmerksamkeit,
durch deren Steigerung sie vermindert wird. Mit ihrer Untersuchung haben sich in den letzten 25 JahrenDonders, Exner, Wundt u. a.
beschäftigt; von praktischer Bedeutung ist sie wegen der Beziehung zur Frage von der persönlichen Gleichung
(s. d.).
im frühern Mittelalter das Hauptwerk über Tierkunde, war außerordentlich verbreitet, was schon daraus
erhellt, daß es sich (prosaisch oder metrisch) in griechischer, lateinischer, armenischer,
äthiopischer, angelsächsischer,
altenglischer, altfranzösischer und in noch andern Sprachen erhalten findet. Das Büchlein wurde wahrscheinlich
in den ersten Jahrhunderte von Lehrern alexandrinischer Christengemeinden verfaßt; die Tiere, welche darin beschrieben werden,
sind die biblischen (Löwe, Pardel, Elefant,
[* 15] Einhorn, Waldesel, Bock,
[* 16] Adler,
[* 17] Rabe, Kranich, Eule, Schlange
[* 18] etc.); den naturgeschichtlichen
Gehalt boten die heidnischen Tierfabeln, und der Zweck des Ganzen war die symbolische Anwendung der Tierwelt auf die
christliche Lehre.
Anfangs von der Kirche mißachtet, galt der Physiologus seit Gregor d. Gr. als anerkanntes Lehrbuch der christlichen Zoologie, und seine
Bedeutung erlischt erst im 14. Jahrh. Eine altdeutsche Prosabearbeitung: »Reda umbe diu tier«, aus dem 11. Jahrh., findet
sich in Müllenhoffs und Scherers »Denkmälern« (Nr. 81),
eine andre aus dem 12. Jahrh., in Reime gebracht,
in Karajans »Sprachdenkmälern« (Wien 1846).
Vgl. Koloff, Die sagenhafte symbolische Tiergeschichte des Mittelalters (in Raumers
»Historischem Taschenbuch« von 1867);
einer mehrjährigen Kletterpflanze, welche große Ähnlichkeit
[* 24] hat mit unserer
Feuerbohne, aber einen holzigen Stamm von 4 cmDicke besitzt und zu einer Höhe von mehr als 15 m emporsteigt. Die Blätter sind
dreizählig gefiedert; die achselständigen, hängenden Blütentrauben haben große, purpurrote Blüten,
deren Narbe ein halbmondförmiges, blasenartiges Anhängsel besitzt. Die Hülsen sind etwa 14 cm lang und enthalten 1 oder 3 dunkel
schokoladenbraune Samen,
[* 25] welche ca. 3 cm lang, nierenförmig und durch eine tiefe, von erhabenen Rändern umgebene Rinne ausgezeichnet
sind.
Die Pflanze wächst am Golf von Guinea zwischen 4-8° nördl. Br. und 6-12° östl. L. und ist auch in Indien
und Brasilien
[* 26] eingeführt worden. Die Eingebornen benutzen die fast geruch- und geschmacklosen, aber höchst giftigen Bohnen
zu einer Art Gottesurteil, d. h. man gibt sie den der Hexerei Beschuldigte zum Verschlucken, und Erbrechen oder Nichterbrechen
entscheidet über die Schuld des Individuums. Die Pflanze wurde 1840 durch Daniell bekannt, 1859 beschrieb
sie Balfour, und wenige Jahre später entdeckte Fraser ihre eigentümliche arzneiliche Wirkung.
Diese beruht auf dem Gehalt an einem Alkaloid, Physostigmin (Eserin) C15H21N3O2 , welches
man als farb-, geruch- und geschmacklose, in Alkohol und Äther leicht lösliche, alkalisch reagierende,
bei 45° schmelzende Masse erhält, die sich bei 100° zersetzt. Außerdem enthält die Bohne Calabarin, ein dem Strychnin ähnliches
Alkaloid, und indifferentes Physosterin. Das Physostigmin lähmt die motorischen Nerven
[* 27] und bewirkt ganz bedeutende Pupillenkontraktion.
Man
¶
mehr
benutzt ein aus den Bohnen bereitetes Extrakt besonders bei Untersuchung der Augen, um die nach Atropineinträufelung entstandene
künstliche Pupillenerweiterung zu beseitigen, auch als Heilmittel bei letzterer und Akkommodationslähmung sowie bei Tetanus,
Neuralgien, Epilepsie etc.
welche auf dem Festland von Südamerika
[* 31] zwischen 9° nördl. und 8° südl. Br. und
70-79° westl. L., vorzugsweise an feuchten Orten, bei einer mittlern Temperatur von 28° wächst, gewöhnlich
geschlossene Haine bildend. Der bis 22 m hohe Stamm ist schlank und rauh und hat etwa 35-40 cmDurchmesser; in manchen Gegenden
ist der Stamm aber niedergebeugt, so daß er sich kaum 2 m erhebt, und bisweilen ist die Palme
[* 32] fast stammlos. Der Gipfel trägt
12-20 fiederspaltige, gegen 6 m lange Blätter mit 1 m langen Segmenten.
Der Blütenstand
[* 33] der seltnern männlichen Pflanze ist ein einfacher, fleischiger, cylindrischer Kolben mit in 3 oder 4 Scheiden
dicht gedrängt stehenden Blüten, welche bei vollkommener Entwickelung einen betäubenden Geruch durch den Wald verbreiten.
Die weiblichen Pflanzen produzieren 5-10 herabhängende bis kopfgroße Fruchtsäcke, welche in 5-10 Kammern
geteilt sind, von denen jede 2-5 Samen birgt. Das ölhaltige Fruchtfleisch wird nicht benutzt. Die Samen enthalten anfänglich
eine weinsäuerliche trinkbare Flüssigkeit, werden dann mandelartig weich, sind in diesem Zustand noch genießbar und werden
zu einem sehr wohlschmeckenden Getränk verarbeitet. Bei der Reife aber werden die Samen knochenhart und
kommen in diesem Zustand etwa seit 1826 als Elfenbeinnüsse, Stein-, Tagua-, Corossos-, Corusconüsse oder vegetabilische Elfenbein
(s. Elfenbein) in den Handel.
(griech.), s. v. w. Pflanzenbeschreibung,
s. Botanik, ^[= (v. griech. botane, Futter, Kraut; Pflanzenkunde, Phytologie), derjenige Teil der Naturgeschichte, ...] S. 257.
(Kermespflanzen), dikotyle, etwa 30 Arten umfassende, der tropischen und subtropischen Zone angehörige
Pflanzenfamilie aus der Ordnung der Zentrospermen, zunächst mit den Chenopodiaceen und Karyophylleen verwandt, Kräuter und
Sträucher mit meist wechselständigen Blättern und regelmäßigen, meist zwitterigen Blüten, die ein
vier- oder fünfzähliges, kelchartiges Perigon, einen einfachen oder doppelten Staubblattkreis mit wechselnder Gliederzahl
(5-25) und ein ein- bis zehngliederiges, ungefächertes oder gefächertes Ovar mit oft pinselförmiger, zerschlitzter Narbe
besitzen. Die freien oder verwachsenen Karpiden enthalten je ein grundständiges, krummläufiges Ovulum, das sich zu einem
endospermhaltigen Samen mit geradem oder gekrümmtem Keimling entwickelt.
Vgl. Moquin-Tandon, Phytolaccaceae
(in DeCandolles »Prodromus«, Bd.
13).
(griech.), Lehre von den Lebensverrichtungen der Pflanzen. ^[= jeder Naturkörper, welcher nach der hergebrachten Einteilung der Natur in Mineralreich, Pflanzenrei ...]
s. v. w. durch Milben verursachte Pflanzengallen (s. Gallen). ^[= # (Cecidien), pathologische, an Pflanzen durch Schmarotzer hervorgerufene lokale Gewebeneubildungen, ...]
(spr. pjatschénza), ital. Provinz in der LandschaftEmilia, wird im N. von den ProvinzenCremona und Mailand
[* 43] (durch den Po davon getrennt), im W. von Pavia, im S. und O. von Parma
[* 44] umschlossen und hat einen Flächenraum
von 2500 qkm, nach Strelbitsky 2355 qkm (42,8 QM.). Das Land
wird im W. von der Kette der Apenninen (Ragola 1713 m hoch) mit deren gegen die Ebene sich herabsenkenden
Ausläufern und Vorbergen erfüllt, von denen zahlreiche Gewässer, darunter die Trebbia und Nure, dem Po zuströmen.
Der Boden ist namentlich in der Poebene sehr fruchtbar, das Klima
[* 45] gemäßigt und (mit Ausnahme der sumpfigen Strecken am Po)
gesund. Die Bevölkerung
[* 46] belief sich 1881 auf 226,717 Einw. Die Hauptbeschäftigung derselben bildet
die Agrikultur, deren wichtigste ProdukteGetreide,
[* 47] insbesondere Weizen und Mais, dann Wein (darunter der Vino santo, 1886: 412,800
hl) und Melonen sind. Bedeutend ist auch die Schweine- und Rindviehzucht, welch letztere vorzügliche Käse ergibt, sowie die
Seidenkultur (1886: 231,880 kg Seidenkokons), auf welche zugleich der Hauptzweig der Industrie gegründet
ist. Die Provinz wird von der EisenbahnAlessandria-
¶
mehr
Bologna durchschnitten, an welche sich bei der Hauptstadt die von Mailand kommende Linie anschließt, und zerfällt in die beiden
Kreise
[* 49] Piacenza und Fiorenzuola.
Die gleichnamige Hauptstadt liegt nahe am rechten Ufer des Po, unterhalb der Mündung der Trebbia an einem strategisch und kommerziell
wichtigen Punkt. Bei Piacenza ist der letzte bequeme Übergang über den Po, der von dort an langsamer fließt
und von Sümpfen begleitet ist; dort vereinigten sich daher alle Straßen von Piemont und der Lombardei, um den Strom zu überschreiten
und sich in der Via Aemilia fortzusetzen. Mit gewohntem Scharfblick legten deshalb die Römer
[* 50] dort eine starke Militärkolonie
an und seitdem hat Piacenza bis in die neueste Zeit als Festung
[* 51] seine hohe strategische wie auch seine kommerzielle Bedeutung für
den Handel zwischen der Lombardei und der Emilia geltend gemacht.
Die Straßen sind regelmäßig, gerade und breit. Unter den öffentlichen Plätzen zeichnen sich namentlich der Hauptplatz
(Piazza dei Cavalli) mit den ehernen Reiterstatuen Alessandro Farneses und seines Sohns Ranuzio (beide von Mocchi) und der Statue
des Strafrechtslehrers Romagnosi (von Marzaroti), dann die Piazza del Duomo aus. Die 1122 im romanischen
Stil begonnene, 1233 vollendete Kathedrale hat eine lombardische Fassade, eine hundertsäulige Krypte, einen 68 m hohen Turm,
[* 53] eine Kuppel mit Fresken von Guercino, Gemälde vonProcaccini, L.Carracci und meisterhaft Chorstühle von Genovese.
Madonna di Campagna, ein schöner Renaissancezentralbau mit einer achteckigen Mittelkuppel und schönen Fresken
von Pordenone u. a. Von Palästen sind zu nennen: das Stadthaus (Palazzo del Comune), eins der prachtvollen Backsteinbauwerke
des 13. Jahrh., der Palazzo del Governo, PalazzoFarnese (1558 von Vignola erbaut, aber nur zur Hälfte vollendet,
seit 1800 Kaserne), der Gerichtspalast, die Privatpaläste der GrafenCosta und Marazzani mit Gemäldegalerie und Pallastrelli
mit Bücher- und Manuskriptsammlung.
Die Zahl der Einwohner beträgt (1881) 34,987, welche sich, abgesehen von der Bodenkultur,
mit der Fabrikation von Seiden-, Woll- und Baumwollwaren, gedruckten Geweben, Hüten, Töpferwaren etc. sowie
mit Handel beschäftigen. Außer den oben erwähnten Eisenbahnen laufen von Piacenza auch Dampftramways nach Cremona und Borgonure
aus. An Bildungsanstalten besitzt die Stadt: ein königliches Lyceum, ein Gymnasium, ein Seminar, ein Gewerbeinstitut, eine technische
Schule, das Institut Gazzola mit Zeichen- und Kunstschule, eine städtische Bibliothek mit 120,000 und eine
zweite öffentliche Bibliothek (Landi) mit 50,000 Bänden und ein öffentliches Archiv.
(spr. pĭaddscha), Carlo, Afrikareisender, geboren zu Lucca
[* 59] um 1830, kam 1852 nach Ägypten,
[* 60] wo er als Gärtner,
Uhrmacher etc. einige Jahre lebte. 1856 ging er nach Chartum und bereiste wiederholt die Länder des WeißenNils, gesellte sich dann zu Lejean und befuhr 1860 mit Antinori den Bahr el Ghazal: 1863 unternahm er seine wichtigste Reise zu
den Niam-Niam, bei denen er bis März 1865 verblieb. Später verweilte er in den obern Nilländern und Abessinien, befuhr 1873 den
WeißenNil bis Mruli und kehrte dann nach Europa
[* 61] zurück, um 1878 sich wieder nach Afrika
[* 62] und zwar nach
Fazogl zu wenden. 1880 kam er nach Chartum, wohin ihm von der ItalienischenGeographischenGesellschaft die Weisung zuging, die
verschollenen Reisenden Chiarini und Cecchi aufzusuchen. Auf der Reise nach Jadussi begriffen, starb er in
Karkodje (Senaar).
deiGreci (spr. dē-i grehtschi), Stadt in der
ital. ProvinzPalermo
[* 64] (Sizilien),
[* 65] mit (1881) 8847 Einw., hat ihren Beinamen von einer
griechisch-albanischen Kolonie, welche 1488 hier gegründet wurde und sich bis zum heutigen Tag inSitten, Sprache und Religion
erhalten hat.
¶
(ital., abgekürzt piano), »schwach,
leise«, bezeichnet in der Musik nicht den äußersten Grad von Schwäche des Klanges, sondern denjenigen, der noch einen schwächern,
welcher durch den Superlativ Pianissimo (abgekürzt pp.) bezeichnet wird, zuläßt.
zur ital. ProvinzLivorno
[* 67] gehörige Insel im Toscanischen Archipel, südwestlich von Elba, von ganz ebener Oberfläche,
zählt (1881) 774 Bewohner, meist Fischer, und wird von der italienischen Regierung als Strafkolonie benutzt.
poln. Fürstengeschlecht, dessen Stammvater Piast, ein Bauer aus Kruschwitz in Kujavien, 840-890 als erster
Herzog über Polen geherrscht haben soll. Es stammte aus Großpolen und breitete im 10. Jahrh. seine Herrschaft
allmählich über die Nachbarstämme aus. Der vierte Piast, Mieczyslaw I. (gest. 992), bekehrte sich 965 zum Christentum, und
sein tapferer Sohn Boleslaw Chrobry (s. Boleslaw 3), der zuerst den Königstitel annahm, begründete das polnische Reich. Die
Reihe der piastischen Könige von Polen schloß 1370 mit Kasimir III., d. Gr. Von den Seitenlinie erloschen
die piastischen Herzöge von Masovien 1526, die piastischen Herzöge von Schlesien
[* 71] mit HerzogGeorgWilhelm 1675.
Alfredo, Violoncellist, geb. zu Bergamo, Schüler von Janetti und später als
Zögling des MailänderKonservatorium von Merighi, begab sich 1838 auf Kunstreisen durch
ganz Europa und ließ sich 1846 in
London
[* 73] nieder, wo er in kurzer Zeit, namentlich durch seinen Vortrag klassischer Kammermusik, eine hohe künstlerische Stellung
errang.
Überdies hat er die Sololitteratur seines Instruments durch eine Anzahl geschmackvoller Salonkompositionen
bereichern.
brasil. Provinz am Atlantischen Ozean, umfaßt die östliche Hälfte des Flußbeckens
des Paranahyba, der es von Maranhão trennt, und steigt nach den Grenzen
[* 74] hin zu den mäßig hohen Serras von Gurgueia, Piauhy,
dos Dous Irmães, Araripe etc. an. Der Flächeninhalt beträgt 301,797 qkm
(5481 QM.). An der Küste kommen Kokospalmen und Mangrovegebüsche vor, während die dem Innern charakteristischen. Hochebenen
entweder Campos (Steppen) oder mit niedrigem Gehölz bedeckt (Catingas) sind.
Armerina, Kreishauptstadt in der ital. ProvinzCaltanissetta (Sizilien), Bischofsitz, hat
eine prächtige Kathedrale im Renaissancestil, ein Kastell, mehrere Privatpaläste mit Gemäldesammlungen, ein Gymnasium, eine
technische Schule, ein Seminar, Handel mit Bodenprodukten und (1881) 17,038 Einw. Piazza Armerina stammt
aus dem 12. Jahrh. und war zur Normannenzeit Hauptort der Lombardenstädte.
übernahm 1816 das Odéon, legte 1821 die Direktion nieder und starb Die große Charakterkomödie
gelang ihm weniger (»Médiocre et rampant«; »L'entrée
dans le monde«; »Duhautcours«),
um so besser aber die Sittenkomödien, die sich durch lebhaften Dialog, treffenden Witz und
gute Entwickelung auszeichnen und alle eine liebenswürdige, praktische Moral enthalten. Die besten sind: »La petite ville«,
»Monsieur
[* 88] Musard«, »Les Marionnettes«, »Les
deux Philiberts« u. a. Schillers »Neffe als Onkel« ist eine Übersetzung des Lustspiels »Encore des Ménechmes«.
Das »Théâtre de Picard« (1812, 6 Bde.; 1821, 8 Bde.;
neue Ausg. von Fournier, 1879) enthält nur die Stücke, welche der Autor selbst des Druckes für würdig hielt. Außerdem schrieb
er eine Reihe ziemlich mittelmäßiger Romane.
3) LouisJoseph Ernest, franz. Politiker, geb. zu Paris, ward 1844 Advokat daselbst und schloß
sich früh der republikanischen Partei an, in deren Reihen er gegen das zweite Kaiserreich ankämpfte. 1856 in den GesetzgebendeKörper gewählt, gehörte er zu der berühmten Gruppe der Fünf und zeichnete sich als glänzender Redner, besonders in Finanzfragen,
aus, indem er das verschwenderische System der kaiserlichen Regierung, namentlich in der Verwaltung der Stadt Paris und der mexikanischen
Expedition, aufdeckte. Im September 1870, unter der Regierung der nationalen Verteidigung, ward er Finanzminister; Februar bis
Mai 1871 war er unter ThiersMinister des Innern; 3. bei der kommunistischen Emeute in Paris rettete
Picard die Regierung durch seine Geistesgegenwart und Umsicht. 1871-73 war er Gesandter in Brüssel,
[* 89] zugleich bis 1876 Mitglied
des linken Zentrums in der Nationalversammlung. Seit 1876 Mitglied des Senats, starb er Seine »Discours parlementaires«
erschienen in 2 Bänden (Par. 1882-86).
eine der Hauptstraßen Londons, soll ihren Namen einem »Pickadille« genannten Hemdenkragen verdanken,
durch dessen Verkauf ein hier lebender Schneider 1605-20 ein großes Vermögen erwarb.
bald der gefeiertste KomponistItaliens.
[* 92] Nachdem er binnen 15 Jahren 130 Opern vollendet, folgte er einem Ruf nach Paris,
wo er von den Gegnern der Gluckschen Oper diesem gegenübergestellt wurde und mit seinem »Roland« (1778)
solchen Beifall fand, daß seine Partei, welche sich die Piccinisten nannte, mehrere Jahre hindurch der der Gluckisten gewachsen
schien, bis der Sieg, den Glucks »Iphigenia in Tauris« (1779) über die gleichnamige Oper Piccinis (1781) errang, den
Kampf zu gunsten des deutschen Meisters entschied.
Nachdem dieser nach Wien zurückgekehrt war, setzte Piccini seine Wirksamkeit in Paris fort, schrieb hier unter mehreren andern
Opern sein Hauptwerk: »Didon« (1783), und wurde im folgenden Jahr auch als Gesanglehrer an der königlichen Musikschule angestellt,
verließ jedoch beim Ausbruch der RevolutionFrankreich und begab sich nach Neapel zurück. Hier fand er
anfangs den frühern Beifall; bald aber kam er in den Ruf revolutionärer Gesinnung und sah sich von Verfolgungen jeglicher
Art betroffen, wurde sogar vier Jahre lang polizeiliche Aufsicht unterstellt, komponierte jedoch auch während dieser Zeit
vieles, namentlich Psalmen für Kirchen und Klöster, die ihm 1794 den Titel eines Kapellmeisters an der
spanischen Kirche zu Rom erwarben. 1798 gelang es ihm, mit Hilfe des französischen Gesandten in Neapel nach Paris zu entkommen,
wo er von Bonaparte eine Inspektorstelle am Konservatorium zugesichert erhielt; allein noch ehe er dieselbe antreten konnte,
starb er in Passy bei Paris.
Die italienische Oper hat zu keiner Zeit einen würdigern Vertreter gehabt als Piccini, und wenn auch die Anmut und der Melodienreichtum
der neapolitanischen Schule das Hauptmerkmal seiner Musik sind, so erhebt sich dieselbe doch erforderlichen Falls zu einer
Höhe des dramatischen Ausdrucks, die es begreiflich macht, daß sich seine Opern neben und nach denen Glucks
in der Gunst des kunstgebildeten Publikums von Europa erhalten konnten.