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Regierung stand. Zu diesem Zweck sollten die europäischen Verhältnisse, wie der Kongreß sie geschaffen, überall unverändert bleiben, durch Niederhaltung jeder Volksbewegung eine Wiederkehr der verderblichen Revolutionszeit für immer verhindert und in der unumschränkten landesväterlichen Monarchie das Heil der Welt gesucht werden. Diese konservative und absolutistische Staatsräson wurde von den talentvollen Ausländern, welche Metternich nach Wien [* 2] gezogen hatte, zu einem hochpolitischen System ausgebildet: von dem genialen, aber charakterlosen Gentz, dessen Schützling Adam Müller, dem Romantiker Friedrich v. Schlegel und den Publizisten Pilat und Jarcke, deren Mehrzahl überdies zur römischen Kirche übertrat.
Die Heilige Allianz sollte das Werkzeug dieser Politik werden. In Österreich [* 3] wurde jede freiere Regung auch auf litterarischem Gebiet durch eine strenge, ja brutale Zensur unterdrückt; nur wenige Dichter, wie Anastasius Grün, Lenau und Beck, wagten es, die Politik zu berühren und der Freiheit das Wort zu reden. Die geistigen Interessen auch der Wiener Bevölkerung [* 4] gingen kaum über das Theater [* 5] und musikalische Genüsse hinaus. In Deutschland [* 6] konnte Metternich die Verleihung ständischer Verfassungen in den süddeutschen Staaten nicht verhüten.
Um so mehr war er darauf bedacht, Preußen [* 7] daran zu hindern, damit es Österreich nicht an Einfluß überflügele, und das Wartburgfest und die Ermordung Kotzebues 1819 gaben ihm Anlaß, den Karlsbader Kongreß zu berufen, auf welchem beschlossen wurde (Karlsbader Beschlüsse), Deutschland einer strengen polizeiliche Überwachung zu unterwerfen. Aber auch überall sonst, wo es galt, die Regierungsgewalt gegen Ansprüche der Völker in Schutz zu nehmen oder Regungen nach größerer Selbständigkeit und nationaler Freiheit zu unterdrücken, stand Metternich 1815 bis 1848 an der Spitze der Reaktion.
Metternich war es, der die Berufung der drei europäischen Kongresse in Troppau [* 8] (1820), Laibach [* 9] (1821) und Verona [* 10] (1822), also alle drei auf österreichischem Boden, bewirkte, auf denen beschlossen wurde, die in Neapel [* 11] und Spanien [* 12] eingeführten konstitutionellen Verfassungen durch bewaffnete Intervention umzustürzen und das absolute Königtum herzustellen. Während die Intervention in Spanien Frankreich übertragen wurde, übernahm sie in Neapel Österreich (1821).
Auch der Aufstand der Griechen (1821) wurde von Metternich als eine strafbare Auflehnung gegen die legitime Herrschaft der Türken angesehen und Alexander Ypsilanti, als er sich auf ungarischen Boden flüchtete, verhaftet und in Munkács gefangen gehalten. Dennoch konnte Österreich nicht hindern, daß Rußland, England und Frankreich 1827 Griechenland [* 13] durch die Schlacht bei Navarino vom Untergang retteten und Rußland 1828 der Pforte den Krieg erklärte, der mit der Anerkennung der griechischen Unabhängigkeit endete.
Metternich war nicht abgeneigt, sich an Rußland durch geheime Begünstigung der polnischen Revolution 1830-31 zu rächen, zumal da dieselbe in Österreich, besonders in Ungarn, [* 14] lebhafte Sympathien hervorrief und ein starkes polnisches Reich einen schützenden Damm gegen Rußlands Vergrößerungsgelüste bot. Indes die revolutionären Bewegungen, welche die französische Julirevolution in Italien [* 15] und Deutschland hervorrief, führten Österreich zu seiner alten Rolle als unbedingten Verfechters des Bestehenden zurück. In Parma [* 16] und Modena erhoben sich nämlich im Februar 1831 die Bewohner und vertrieben ihre Fürsten, die auf österreichischem Gebiet eine Zuflucht suchen mußten, während gleichzeitig aus der Romagna die päpstlichen Behörden verjagt wurden.
Schon im März rückten österreichische Truppen in Modena und Parma sowie in der Romagna ein und unterdrückten die Revolution, worauf die alten Regierungen wieder eingesetzt wurden. In Deutschland schritt Österreich nach dem Hambacher Fest (1832) und dem Frankfurter Attentat (1833) ein. Auf einer Zusammenkunft der Kaiser von Österreich und Rußland und des Kronprinzen von Preußen in Münchengrätz (September 1833) wurden energische Maßregeln zur Unterdrückung der Revolution in Deutschland durch die Einsetzung der Zentralkommission in Mainz, [* 17] Knebelung der Presse, [* 18] Überwachung der Universitäten u. a. beschlossen. In der Schweiz [* 19] unterstützte Österreich den Widerstand der alten katholischen Kantone gegen jede Reform der Bundesverfassung. Als der 1815 geschaffene kleine Freistaat Krakau [* 20] sich zum Herd neuer Umtriebe gegen die russische Herrschaft in Polen machte, wurde er gemäß einem Vertrag zwischen den Schutzmächten vom Österreich einverleibt.
Nicht so ausschließlich beherrschte Metternich die innere Politik Österreichs. Diese hatte sich der Kaiser Franz I. selbst als das hauptsächliche Gebiet seiner Thätigkeit ausersehen, und diese bestand darin, jede Veränderung des Bestehenden abzuwehren und die Stagnation zu einer vollständigen Erstarrung zu steigern. Der langjährige, nur durch vorübergehende Störungen unterbrochene Friede hätte zu durchgreifenden Reformen auffordern müssen, deren das Reich so dringend bedurfte.
Nichts geschah, um die Finanzen in Ordnung zu bringen, und obwohl keine Verschwendung getrieben wurde, belief sich bloß wegen der Verrottetheit der Verwaltung und der kümmerlichen Entwickelung der innern Hilfsquellen das Defizit jährlich auf mehr als 30 Mill. Gulden. Das Beamtentum beharrte bei dem bisherigen Schlendrian, und zur Verschmelzung der verschiedenen Länder und Nationalitäten wurde nichts gethan, obwohl dies ohne Schwierigkeiten hätte geschehen können, da die Bevölkerung sich der Regierung willenlos fügte.
Auch die Deutschösterreicher ließen sich die geistige Abtötung ruhig gefallen und verloren dadurch die erforderliche Kraft [* 21] zur Behauptung der Führerrolle in dem Völkergemenge. In Ungarn mußte die Regierung zwar bei der hartnäckigen Verteidigung der verfassungsmäßigen Rechte durch die ganze Nation auf eine Erweiterung ihrer Macht namentlich in Finanzfragen verzichten, überließ aber dann die ungarische Verfassung ihrer eignen unbehilflichen Schwerfälligkeit, die sie ungefährlich zu machen schien.
Selbst Metternich kam schließlich zur Erkenntnis, daß ein regelmäßiger Fortschritt der Erhaltung des Staats nicht schädlich, sondern förderlich sei, und daß eine Reform der Zoll- und Wirtschaftspolitik, wie Preußen sie vorgenommen und auf den Zollverein ausgedehnt hatte, Österreichs Machtmittel heben werde. Franz I. wollte hiervon nichts wissen, und als er starb, ermahnte er seinen Nachfolger: »Verrücke nichts an den Grundlagen des Staatsgebäudes, regiere und verändere nicht!«
Franz' I. Sohn Ferdinand I. (1835-48) war zur wirklichen Regierung unfähig. Um nun Metternich nicht die ausschließliche Gewalt zu überlassen, setzte die Partei der Erzherzöge im Dezember 1835 die Einsetzung der Staatskonferenz durch, in der Metternich sein Rival Graf Kolowrat und der allen Neuerungen durchaus abgeneigte Erzherzog Ludwig an die Seite gestellt wurden. Die Folge war, daß nun alle Reformvorschläge, die Begünstigung des ¶
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Handels durch Staatseisenbahnen, Handelsverträge u. dgl., die Berufung von Abgeordneten der Landtage zur Beseitigung der Finanznot u. a., an dem Widerstand des Erzherzogs scheiterten. Dennoch machte sich die lebhaftere politische Bewegung, welche in Deutschland 1840 begann, in Österreich kaum bemerkbar. Im niederösterreichischen Landtag erschreckte Graf Breuner die Regierung durch den Antrag auf Zuziehung bürgerlicher Vertreter, auf Ablösung der Feudallasten und Reform des Unterrichts; der böhmische petitionierte um mildere Handhabung der Zensur.
Aber dies waren vereinzelte Regungen ohne erhebliche Bedeutung. Wichtiger war, daß sich die Nationalitäten erhoben, daß in Ungarn (s. d.) die Magyaren eine zugleich freisinnige und nationale Reform ihres Staatswesens begannen und auch dem Wiener Hof [* 23] gegenüber durchsetzten; daß die Kroaten, Serben und Slowenen zum Bewußtsein ihrer Stammesverwandtschaft erwachten und auch in Böhmen [* 24] eine nationaltschechische Partei erstand, welche auf dem Landtag zwar auch liberale Zugeständnisse von der Regierung forderte, vornehmlich aber die Autonomie Böhmens unter österreichischer Oberhoheit erstrebte und tschechische Institute, Vereine und Zeitungen gründete. Hier zeigte sich die Österreich bei einer Erschwerung drohende Gefahr: die Autonomiegelüste seiner Nationalitäten, denen gegenüber die Zentralregierung jede Stärkung der einigenden Elemente unterlassen hatte.
Die Revolution von 1848.
Auf die erste Nachricht von der Pariser Februarrevolution dachte man in Österreich nicht an Politik, sondern an das Geld und bestürmte die Staats- und Sparkassen, da man allgemein von der Unvermeidlichkeit des Staatsbankrotts überzeugt war; das bare Geld war wie durch Zauberschlag verschwunden. Die feurige Rede, welche Kossuth im ungarischen Reichstag gegen das verrottete Regierungssystem hielt, die »Taufrede der österreichischen Revolution«, fand in allen Kronländern lauten Widerhall und veranlaßte auch in Wien einen Adressensturm für Reformen, gegen welchen Zensur und Polizei ohnmächtig waren. Am Hof war man uneinig, und es erfolgte zunächst nichts als die Abdankung Metternichs (13. März). Mit ihm brach auch sein System für immer zusammen; nicht eine bleibende Schöpfung überlebte ihn. Dann aber ließen sich die bisherigen Machthaber ein Zugeständnis nach dem andern, Bewaffnung der Studentenschaft, Preßfreiheit, Einberufung von Abgeordneten der deutschen, slawischen und italienischen Provinzen bis zum 3. Juli, entreißen, ohne dadurch die tumultuarische Menge zu befriedigen. Endlich sagte 15. März ein kaiserliche Manifest die baldigste Einberufung von Abgeordneten behufs »Konstitution des Vaterlandes« zu. An Stelle der Staatskonferenz trat 21. März ein verantwortliches Ministerium, erst unter dem Vorsitz des Grafen Kolowrat, seit dem 3. April unter dem des Grafen Ficquelmont, den am 4. Mai Freiherr v. Pillersdorf, ein wohlbekannter Gegner des alten Systems, ablöste. Dasselbe vermochte aber der herrschenden Anarchie um so weniger zu steuern, als die verfügbaren Truppen alle nach Italien geschickt worden waren. Die von radikalen Demagogen geführte Nationalgarde und die Aula, die konstruierte Studentenschaft, hatten das Heft in Händen und bildeten ein politisches Zentralkomitee zur Beschirmung der Volksrechte, welches sich ohne weiteres der Regierung bemächtigte. Das Staatsgrundgesetz, das Pillersdorf 25. April verkündigte, erntete nichts als Tadel und Spott, obwohl es der belgischen Verfassung nachgebildet war; die wichtigste Frage freilich, ob Österreich ein Föderativ- oder ein Einheitsstaat sein solle, ließ es ungelöst. Als die Minister 13. Mai sich erkühnten, der Nationalgarde die Teilnahme am Zentralkomitee zu verbieten, erzwang die entrüstete Aula mit Hilfe des Pöbels 15. Mai nicht bloß die Zurücknahme jenes Verbots, sondern auch die Suspension der Verfassung vom 25. April, ein Wahlgesetz ohne Zensus, die Einberufung einer konstituierenden Reichsversammlung und die gemeinschaftliche Besetzung der Stadtthore und der Burgwache durch Nationalgarde und Militär.
Gleichzeitig mit dem Zusammenbruch der Regierungsautorität in der Hauptstadt war auch die Einheit des Staats in höchster Gefahr. Ungarn riß sich fast ganz von Österreich los; die österreichischen Farben, die kaiserlichen Adler [* 25] verschwanden. Die Erfolge der Ungarn veranlaßten die Kroaten und Serben, ihre Lostrennung von Ungarn zu verlangen. In Prag [* 26] bildete sich ein Nationalausschuß, der vom Kaiser ein eignes böhmisches Ministerium, die Vereinigung sämtlicher Länder der Wenzelskrone zu Einem Staat und eine neue böhmische Verfassung forderte. In Krakau kam es zu einem Aufstand, der aber vom Gouverneur Grafen Stadion 26. April unterdrückt wurde. Dagegen mußten die Österreicher vor der Erhebung der Bevölkerung Mailand [* 27] und Venedig [* 28] räumen und Radetzky mit den Truppen sich in das Festungsviereck zurückziehen. Die Deutschösterreicher sahen aber in dieser Auflösung des alten Österreich in autonome Länder keine Gefährdung ihrer eignen politischen Stellung, sondern nur die Niederlage der verhaßten Regierung.
Überraschend und anfangs niederschmetternd wirkte 17. Mai die Kunde, daß Kaiser Ferdinand Schönbrunn verlassen und sich nach Innsbruck [* 29] inmitten seiner treuen Tiroler begeben habe. Abgesandte aller Körperschaften gingen nach Innsbruck ab, um den Kaiser zur Rückkehr in seine Hauptstadt zu bewegen. Das Zentralkomitee löste sich auf, und 26. Mai verfügte das Ministerium auch die Auflösung der Studentenlegion. Aber schon war die Stimmung wieder umgeschlagen; von neuem erhoben sich die Barrikaden und kamen die Arbeiter ihren »Brüdern«, den Studenten, zu Hilfe, und ohne daß es zum Kampf kam, gab das Ministerium nach.
Pillersdorf, aller Machtmittel beraubt, erkannte den neuen Sicherheitsausschuß unter Fischhofs Vorsitz als unabhängig von jeder andern Behörde an, stellte sämtliches Staatseigentum unter seinen Schutz und ließ ihn mit diktatorischer Unabhängigkeit schalten. Von Erzherzog Johann, der am 15. Mai vom Kaiser für dessen Abwesenheit mit der Regierungsvollmacht bekleidet und 26. Juni nach Wien gekommen war, forderte der Ausschuß dennoch die Entlassung Pillersdorfs und erhielt sie zugestanden; Dobblhoff bildete ein neues Ministerium, in welches die Demokraten Hornbostl, Schwarzer und A. Bach berufen wurden, »um eine volkstümliche Monarchie auf Grundlage des gesetzlich ausgesprochenen Volkswillens zu gründen«.
Diese Aufgabe sollten die neuen Minister in Gemeinschaft mit dem ersten konstituierenden österreichischen Reichstag lösen, welcher 22. Juli vom Erzherzog Johann eröffnet wurde. In demselben waren die deutschslawischen Länder durch 383 Deputierte vertreten; dieselben entbehrten fast alle der parlamentarischen Schulung, viele waren des Deutschen unkundig; eine feste Parteibildung nach politischen Grundsätzen war nicht vorhanden, der Reichstag ¶
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zerfiel in lauter nationale Gruppen. Von Bedeutung war, daß nicht weniger als 94 Bauern, darunter viele Ruthenen, in den Reichstag gewählt worden waren. Handelte es sich doch für den Bauernstand um die Aufhebung des drückenden Unterthänigkeitsverhältnisses und die Abschüttelung der Feudallasten (Robote), welche zwar meist thatsächlich erfolgt, aber nicht gesetzlich sanktioniert waren. Der dahin gehende Kudlichsche Antrag vom 26. Juli wurde vom Reichstag sofort beraten und 7. Sept. die Freiheit des Grund und Bodens beschlossen, ein bemerkenswerter Fortschritt, der auch nie zurückgenommen worden ist.
Inzwischen hatte die Regierung in den Provinzen wieder etwas an Ansehen und Kraft gewonnen. Ein Aufstand, der im Anschluß an den Slawenkongreß 12. Juni Prag ausbrach, wurde von Windischgrätz niedergeschlagen und damit den tschechischen Bestrebungen nach Selbständigkeit Böhmens ein Ende gemacht. Radetzky, der sich im Festungsviereck behauptet hatte, brach im Juli aus demselben hervor, besiegte 23. Juli bei Sommacampagna und 25. Juli bei Custozza [* 31] die sardinische Armee und rückte wieder in Mailand ein.
Infolge des Waffenstillstandes von Vigevano (9. Aug.) räumten die Sardinier das Lombardisch-Venezianische Königreich, und nur Venedig blieb unbezwungen. Unter diesen Umständen kehrte der kaiserliche Hof von Innsbruck nach Wien zurück, wo er 12. Aug. unter lebhaftem Jubel des Volkes seinen Einzug hielt. Doch war die Stimmung des niedern Volkes in Wien infolge der Stockung aller Geschäfte und alles Verkehrs und der Abwesenheit der reichen Familien und Fremden eine verzweifelte geworden, die sie demagogischen Aufreizungen zugänglich machte. Als der Minister Schwarzer 21. Aug. den Tagelohn für die auf Staatskosten beschäftigten Arbeiter herabsetzte, brach ein Arbeiterkrawall aus, der zwar mit Waffengewalt unterdrückt wurde, dem aber wenige Wochen später (13. Sept.) ein zweiter folgte. Die Aufregung stieg infolge der Ereignisse in Ungarn. Im September begann der Banus von Kroatien, Jellachich, insgeheim vom Wiener Hof aufgemuntert, den Krieg gegen die Magyaren. Der ungarische Reichstag schickte, um hierüber Beschwerde zu führen, eine Deputation an den Reichstag und das Volk von Wien, welche zwar von der slawischen Mehrheit des Reichstags nicht vorgelassen, von der Wiener Demokratie aber mit offenen Armen aufgenommen wurde, da dieselbe erkannte, daß die Unterwerfung der Ungarn ihren eignen Untergang nach sich ziehen müsse. Als die Ermordung des Grafen Lamberg in Pest (28. Sept.) den Bruch zwischen Österreich und Ungarn unvermeidlich gemacht hatte und die Truppen an der ungarischen Grenze zusammengezogen wurden, suchten die Demagogen die Truppen zur Widersetzlichkeit aufzureizen. Wirklich weigerte sich 6. Okt. ein Grenadierbataillon, nach Ungarn abzumarschieren, und als sein Widerstand durch andre Truppen gebrochen werden sollte, entspann sich an der Taborbrücke zu Wien zwischen den Truppen, der Nationalgarde und dem Volk ein Kampf, in welchem letztere den Sieg behaupteten. Bei der Unthätigkeit und Kopflosigkeit der Behörden verbreitete sich der Aufruhr in das Innere der Stadt, der Kriegsminister Graf Latour wurde im Hofkriegsratsgebäude aufgespürt, aus seinem Versteck hervorgezogen, grausam ermordet und an einem Laternenpfahl aufgehängt. Ein Angriff auf das Zeughaus versorgte die aufrührerischen Massen mit Waffen, [* 32] und als die Nacht hereinbrach, waren sie Herren der Stadt. Der Reichstag nahm die Vermittelung zwischen dem Hof und dem Aufstand in die Hand [* 33] und verlangte vom Kaiser Einstellung des Kampfes, Amnestie und ein volkstümliches Ministerium. Fast wider Erwarten kam aus Schönbrunn die Nachricht, daß diese Forderungen gewährt seien, am Morgen des 7. Okt. aber die weitere, daß der Kaiser unter militärischer Bedeckung nach Olmütz [* 34] gereist sei. Ein zurückgelassenes Manifest verurteilte das Vorgefallene aufs schärfste und rief die Völker Österreichs zum Kreuzzug gegen die Revolution auf. Das Ministerium löste sich auf, viele Abgeordnete verließen den Reichstag.
Auf die Kunde von den Wiener Ereignissen rückte Jellachich sofort gegen Wien, und der Befehlshaber der kaiserlichen Truppen daselbst zog ihm entgegen. Gleichzeitig schickte Fürst Windischgrätz, der schon im Sommer vom Kaiser zum Oberbefehlshaber des ganzen kaiserlichen Heers außer dem Radetzkyschen in Italien ernannt worden war, von Prag aus Streitkräfte gegen Wien und verhängte 20. Okt. Belagerungszustand und Standrecht über die Stadt. In Wien, wo es außer dem neugebildeten Gemeinderat an jeder Behörde fehlte, war die Bevölkerung, von der 100,000 Menschen geflohen waren, zu einer entschlossenen Gegenwehr wenig geneigt.
Aber alle Versuche der Vermittelung und Versöhnung wurden vom Hof in Olmütz und von Windischgrätz zurückgewiesen. So fiel die Leitung der Dinge dem Zentralausschuß der demokratischen Vereine zu, der den ehemaligen Leutnant Messenhauser zum Oberkommandanten der Stadt ernannte. Ihm schlossen sich internationale Revolutionäre an, von denen der fanatische Pole Bem den Oberbefehl über die mobilen Truppen übernahm. Die Frankfurter Parlamentsmitglieder R. Blum und Fröbel, welche eine Zustimmungsadresse der Frankfurter Linken überbrachten, ermunterten die Wiener zum Widerstand.
Auch rechnete man auf den Beistand der Ungarn, welche schon die Leitha überschritten hatten. Als Windischgrätz' Forderungen, Entwaffnung und Auslieferung Bems, Pulszkys, der Mörder Latours u. a., nicht erfüllt wurden, schritt derselbe 26. Okt. zum Angriff zunächst auf die Vorstädte, 28. Okt. auf die Stadt selbst, die sich 30. Okt. auf Gnade und Ungnade ergeben mußte. Schon war man mit der Ausführung der Kapitulation beschäftigt, als der Kanonendonner die Ankunft der so lange vergeblich erwarteten Ungarn ankündigte und der Kampf von Messenhausers Adjutanten Fenner v. Fenneberg erneuert wurde.
Doch die Ungarn wurden bei Schwechat von Jellachich geschlagen und das planlos verteidigte Wien 31. Okt. abends von Windischgrätz erobert. Messenhauser, die Litteraten Becher [* 35] und Jellinek sowie R. Blum wurden erschossen, viele andre von den Kriegsgerichten zu Kerkerstrafen verurteilt. Die Bevölkerung, welche sich die Herrschaft der Aula und des Pöbels ruhig hatte gefallen lassen, unterwarf sich kriechend der siegreichen Soldateska und unterstützte deren Rachewerk durch Denunziationen.
Die Reaktion.
Nach der Niederwerfung des Aufstandes in der westlichen Reichshälfte wurde Fürst Felix Schwarzenberg an die Spitze eines neuen Ministeriums gestellt, welches die Monarchie wieder aufrichten sollte, und der Reichstag unter Bestätigung seiner vor dem 6. Okt. gefaßten Beschlüsse zum 22. Nov. nach Kremsier berufen. Kaiser Ferdinand legte die Krone nieder, und Franz Joseph I. übernahm im Alter von 18 Jahren die Herrschaft, in der Hoffnung, wie seine Proklamation sagte, »daß es ihm gelingen werde, alle Länder und Stämme der Monarchie zu ¶
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einem großen Staatskörper zu vereinigen«. In sicherer Erwartung einer baldigen Unterwerfung Ungarns ward der Reichstag zu Kremsier, der inzwischen in vollem Vertrauen auf die Versprechungen des Ministeriums dessen liberale Reformvorschläge eingehend beraten hatte, aufgelöst und die Oktroyierung einer vom 4. März datierten Verfassung für Gesamtösterreich verkündigt. Durch dieselbe wurden alle zur österreichischen Monarchie gehörigen Länder unter Aufhebung aller Unterschiede zu einem einheitlichen Staatskörper vereinigt; die ungarische Verfassung wurde zunächst noch nicht aufgehoben, aber die serbische Woiwodschaft, Serbien, [* 37] Kroatien und die Militärgrenze von Ungarn losgetrennt; die Feststellung des Verhältnisses des Lombardisch-Venezianischen Königreichs wurde einem besondern Statut vorbehalten. Schwarzenberg unternahm es also, das von Maria Theresia und Joseph II. begonnene Werk, die Verwandlung Österreichs in einen zentralisierten Einheitsstaat, der im Heer sein Vorbild hatte, mit Einem Schlag zu vollenden.
Die erste Vorbedingung hierfür war die Unterwerfung Ungarns (s. d.). Dieselbe schien Anfang 1849 sicher. Windischgrätz rückte 5. Jan. in Ofen-Pest ein und glaubte durch seinen angeblichen Sieg bei Kapolna (27. Febr.) die ungarische Feldarmee vernichtet zu haben. Aber infolge seiner Unthätigkeit gewannen die Ungarn Zeit, sich zu sammeln, in Siebenbürgen und im Banat die Kaiserlichen zurückzudrängen und im April die österreichische Hauptarmee in mehreren Schlachten [* 38] zu besiegen, so daß sie Pest räumen mußten. Nun beantwortet der ungarische Reichstag die Oktroyierung der Verfassung vom 4. März mit dem Beschluß vom 14. April, welcher Ungarn mit allen Nebenländern für einen selbständigen Staat und die habsburg-lothringische Dynastie für abgesetzt erklärte. Während die Ungarn Ofen belagerten und 21. Mai erstürmten, rief Österreich die russische Hilfe gegen die Revolution an, welche der Zar Nikolaus in einem Vertrag vom 21. Mai zusagte. Ein russisches Korps rückte in Siebenbürgen, die Hauptarmee unter Paskewitsch über die Karpathen in Ungarn ein. Gleichzeitig drangen die Österreicher unter Haynau die Donau abwärts vor. Die Ungarn erlagen der Übermacht, und 13. Aug. streckte Görgei mit der Hauptarmee (22,000 Mann) bei Világos vor dem russischen General Rüdiger bedingungslos die Waffen.
Die Russen überlieferten Ungarn auf Gnade und Ungnade den Österreichern, die, gereizt und erbittert, daß die Ungarn durch die Kapitulation von Világos dem hochmütigen Zaren einen leichten Triumph verschafft hatten, über die Häupter des Aufstandes ein grausames Strafgericht verhängten. Die ungarische Verfassung wurde für verwirkt erklärt und Ungarn zu einem bloßen Kronland des Gesamtstaats umgewandelt, die Nebenländer zu selbständigen Kronländern erhoben.
Der im März 1849 von Sardinien [* 39] von neuem erklärte Krieg in Italien wurde schon 23. März durch den glänzenden Sieg Radetzkys bei Novara beendet, im August auch Venedig wieder unterworfen und die Verhältnisse auf der Apenninenhalbinsel ganz so wiederhergestellt, wie sie vor 1848 gewesen waren. Außer dem Lombardisch-Venezianischen Königreich beherrschte Österreich indirekt Parma, Modena, Toscana und die Romagna und besaß den maßgebenden Einfluß in Neapel. Dieselbe Wiederherstellung seiner Machtstellung glückte Österreich in Deutschland.
Hier hatte die Veröffentlichung der österreichischen Verfassung vom 4. März, welche auf die deutschen Verhältnisse keine Rücksicht nahm, die Mehrheit des Frankfurter Parlaments bewogen, im März 1849 den engern deutschen Bundesstaat und die Übertragung der Kaiserkrone auf den König von Preußen zu beschließen. Die neue Reichsverfassung scheiterte an der Anlehnung der Krone durch Friedrich Wilhelm IV. Während Preußen nun mit den deutschen Fürsten über die Bildung einer Union unter seiner Führung verhandelte, bewältigte Österreich die Unruhen im Innern und konnte schon 1849 mit einem siegreichen Heer im Hintergrund bestimmend in die deutschen Dinge eingreifen. Es verlangte nicht bloß Wiederherstellung des Bundestags, sondern auch Aufnahme Gesamtösterreichs in den Bund, und seine Forderungen wurden von den süddeutschen Königlichen und von Rußland unterstützt.
Preußen wagte keinen Krieg für seine Unionspolitik und unterwarf sich in Olmütz (November 1850). Schwarzenberg konnte sich rühmen, den preußischen Nebenbuhler aufs tiefste gedemütigt zu haben, und spielte an der Spitze der deutschen Mittelstaaten, welche bei Österreich Schutz vor den deutschen Einheitsbestrebungen suchten, die entscheidende Rolle im wiederhergestellten Deutschen Bund. Aber es belud sich auch mit dem Fluch freiheits- und deutschfeindlicher Reaktion durch die Unterdrückung der Kurhessen und die Auslieferung Schleswig-Holsteins an Dänemark. [* 40] Und die Aufnahme Gesamtösterreichs in den Deutschen Bund erreichte es doch nicht, da die Westmächte gegen das Siebzigmillionenreich protestierten, ebensowenig wie die Zolleinigung mit Deutschland, zu welchem Zweck die ungarische Zolllinie aufgehoben und ein neuer Zolltarif erlassen worden war.
Die glänzenden Erfolge, welche Schwarzenberg Politik davongetragen, gaben der von ihm geleiteten Hof- und Militärpartei die Macht in die Hände. Nach Graf Stadions Tod welcher wenigstens ein vernünftiges Verwaltungssystem durchführen wollte, herrschte die Reaktion in Österreich unumschränkt. Sein Nachfolger Alexander Bach hatte nur das eine Ziel, Österreich zu einem einheitlichen, aber absolut monarchischen Staat zu machen. Nachdem als Beirat des Monarchen und Ersatz für die Volksvertretung ein aus kaiserlicher Ernennung hervorgegangener Reichsrat errichtet worden war, wurden 20. Aug. die Ministerverantwortlichkeit, das Stadionsche Gemeindegesetz und Schmerlings Gerichtsreform mit dem Institut der Schwurgerichte und 31. Dez. die Verfassung vom 4. März selbst aufgehoben.
Schwarzenberg starb auf der Höhe seines Glücks, aber auch nach seinem Tod schien sein Werk gesichert. Bach und der Kultusminister Graf Leo Thun arbeiteten im Sinn des Zentralismus und Absolutismus scheinbar erfolgreich, die meist slawische Büreaukratie entfaltete eine rührige Thätigkeit für Verschmelzung der Länder, und gegenüber der Zerfahrenheit und Thatenlosigkeit früherer Zeiten schien das neue System an sich nicht unzeitgemäß und ungeeignet zu sein.
Aber wirkliche Reformen wurden gar nicht versucht und nichts gethan, um durch wirtschaftliche Befreiung und materielle Wohlthaten die Bevölkerung mit dem Absolutismus zu versöhnen. Die Finanzlage war eine traurige, ergab Jahr für Jahr ein Defizit und zwang zur Ausgabe von Papiergeld, das immer tiefer im Wert sank und Handel und Gewerbe hemmte. Die Geistlichkeit gelangte zu schrankenlosem Einfluß, der seinen Höhepunkt in dem am mit dem päpstlichen Stuhl abgeschlossenen Konkordat erreichte, das die Souveränität des Staats mehr ¶
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einschränkte als irgend eine Verfassung und den Unterricht dem Klerus überlieferte.
Wie zweifelhaft die Erfolge der äußern Politik von 1850 waren, zeigte sich, als 1853 von neuem eine orientalische Krisis ausbrach. »Die Welt soll über unsre Undankbarkeit erstaunen«, hatte Schwarzenberg einst im Übermut gesagt, und sein Nachfolger als Minister des Auswärtigen, Graf Buol-Schauenstein, sah sich durch die Verhältnisse gezwungen, das Wort zu erfüllen. Kaiser Nikolaus erwartete von Österreich, daß es seinen Unternehmungen gegen die Türkei [* 42] nicht entgegentreten werde.
Aber Österreich konnte sich nicht dazu erschließen, da seine Interessen im Orient durch die Besetzung der Donaufürstentümer zu empfindlich getroffen wurden. Jedoch auch im Bund mit den Westmächten Rußland offen den Krieg zu erklären, wagte es nicht, zumal es dem tödlich beleidigten Preußen nicht traute. Die Politik der Halbheit, die demnach Österreich im Krimkrieg (s. d.) einschlug, indem es durch ein Ultimatum die Räumung der Donaufürstentümer erzwang und diese dann selbst besetzte, allem Drängen der Westmächte auf Beteiligung am Krieg aber widerstand und Sardinien sich zuvorkommen ließ, hatte zur Folge, daß es Rußland schwer verletzte und sich dessen Haß zuzog, das Vertrauen der Westmächte aber nicht gewann und auch keinen materiellen Vorteil aus dem Krieg zog. Vielmehr verschlang die Besetzung der Donaufürstentümer eine Anleihe von 500, in Wirklichkeit 611 Mill. Guld., da der Finanzminister den Überschuß der Zeichnungen ungescheut ebenfalls verwendete.
In wenigen Jahren hatte Österreich von dem Nimbus, den ihm der Sieg über die Revolution verschafft, erheblich eingebüßt. Nach außen isoliert, hatte es im Innern an Kraft nicht zugenommen. Ungarn war unversöhnt und verharrte in passivem Widerstand. Die Büreaukratie, welche Bach geschaffen, war ohne allen Halt im Volk und wurde von den Liberalen wie den Feudalen gleichmäßig gehaßt. Sie war nicht im stande gewesen, das Experiment eines absolutistischen Einheitsstaats durchzuführen.
Die Armee hatte keine Gelegenheit wieder gehabt, ihre Tüchtigkeit zu bewähren, so daß das dem Deutschösterreicher eingeborne pessimistische Mißtrauen gegen alle staatlichen Institutionen sich allmählich auch auf das Heerwesen übertrug, zumal man dem allmächtigen kaiserlichen Generaladjutanten, dem höchst unpopulären Grafen Grünne, im Volk und in der Armee die verderblichste Wirksamkeit zutraute. So war die Lage Österreichs, als Cavour die italienische Frage aufwarf und Napoleon III. dieselbe in die Hand nahm, um die österreichische Herrschaft in Italien zu stürzen und die Frankreichs an die Stelle zu setzen. Da Österreich die Verträge auf seiner Seite hatte, so hätte es den Verlauf der Dinge ruhig abwarten sollen.
England bereitete eine für Österreich ehrenvolle Vermittelung vor, und Preußen war geneigt, gemeinschaftlich mit dem Wiener Hof vorzugehen. Aber dieser verscherzte die Gunst der Umstände, indem er im April 1859 plötzlich von Sardinien sofortige Entwaffnung forderte und, als diese abgelehnt wurde, seine Truppen in Piemont einrücken ließ, wo sie aber unthätig stehen blieben, während die Franzosen die Alpen [* 43] überschritten und sich mit Sardinien vereinigten.
Durch die Schlacht bei Magenta (4. Juni), welche der österreichische Befehlshaber Gyulay leicht hätte gewinnen können, ging die Lombardei verloren. Auch der zweite Kampf, bei Solferino [* 44] (24. Juni), im Festungsviereck, dem Schauplatz der Siege von 1848, geliefert, hatte keinen glücklichen Ausgang. Neben der Unfähigkeit der Anführer zeigte sich eine verderbliche Schwerfälligkeit der Kriegsverwaltung, ja sogar ein Anteil höherer Beamten an den großartigen Betrügereien und Unterschleifen der Lieferanten. Dennoch hätte der Krieg eine günstigere Wendung nehmen können, wenn nicht der Kaiser Franz Joseph, nur um nicht Preußen den Oberbefehl im Krieg Deutschlands [* 45] gegen Frankreich, dessen Ausbruch am Rhein bevorstand, lassen zu müssen, mit Napoleon den Frieden von Villafranca geschlossen hätte. Österreich trat die Lombardei ab und behielt Venetien, mußte aber, obwohl der Züricher Friedensvertrag die sonstige Erhaltung der frühern Zustände in Italien festsetzte, doch die Halbinsel an Sardinien überlassen, da es einen neuen Krieg zu führen weder gewillt, noch im stande war.
Erteilung einer Verfassung.
Der Verlauf des Kriegs von 1859 hatte die Hohlheit der österreichischen Regierungsmacht und die Unhaltbarkeit der bestehenden Zustände so deutlich gezeigt, daß niemand für die Aufrechterhaltung derselben die Hand zu erheben wagte. Die Minister Buol-Schauenstein und Bach wurden entlassen und durch Graf Rechberg und Goluchowski ersetzt. Der begabte und gewandte Finanzminister v. Bruck, der sich vergeblich bemüht hatte, die Finanzen in Ordnung zu bringen, entleibte sich selbst da in den Unterschleifprozeß gegen den Feldmarschallleutnant ^[richtig: Feldmarschalleutnant] v. Eynatten ein Verdacht auf ihn fiel, der sich später als völlig unbegründet erwies.
Ein kaiserliches Patent vom ordnete eine Verstärkung [* 46] des 1851 eingesetzten Reichsrats in der Weise an, daß derselbe außer den ordentlichen Reichsräten aus lebenslänglichen Mitgliedern (Erzherzögen, hohen kirchlichen Würdenträger und im Zivil- oder Militärdienst ausgezeichneten Männern) und aus 38 Mitgliedern der Landesvertretungen bestehen sollte, welche letztern der Kaiser aus je drei vorgeschlagenen Kandidaten zu wählen hätte. Von Bedeutung für das Gelingen des Werkes war, ob die Ungarn sich zur Teilnahme erschließen würden.
Als der Reichsrat eröffnet wurde, erschienen zwar Vertreter Ungarns, an ihrer Spitze die Grafen Andrássy und Apponyi; dieselben sprachen es aber offen aus, daß der Reichsrat für sie nur insofern Bedeutung habe, als er ihnen zur Wiedererlangung ihrer 1849 verlornen Rechte verhelfen werde. Die Regierung war auch bereit, sich mit dem Reichsrat über weitere konstitutionelle Zugeständnisse zu verständigen. Die Finanzlage verlangte gebieterisch den Beistand der Bevölkerung bei ihrer Besserung, denn der Bericht der 1859 eingesetzten Staatsschuldenkommission stellte die Höhe der Staatsschuld auf 2351 Mill. Gulden fest, deren Verzinsung 103 Mill. und deren Tilgung 13 Mill. Guld. jährlich erforderten; das Budget von 1861 schloß mit einem Defizit von über 40 Mill. Guld. ab. Da indes die Regierung mit dem Reichsrat zu keiner Einigung über die neue Verfassung gelangen konnte, wurden dessen Sitzungen 28. Sept. geschlossen, und erschien ein kaiserliches Manifest (Oktoberdiplom), welches die Grundzüge einer neuen Verfassung veröffentlichte, in der sowohl für die Autonomie der einzelnen Kronländer als für die Einheit des Reichs gesorgt sein sollte. Den Ungarn wurde ihre Verfassung, wie sie vor 1848 bestanden, zurückgegeben, die übrigen Kronländer sollten Landtage für ihre besondern Interessen erhalten, die gemeinsamen Angelegenheiten aber von einem Reichsrat beraten werden, dessen Mitglieder teils vom Kaiser, teils von den Landtagen ¶
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gewählt werden sollten. Die Ministerien des Innern, der Justiz und des Kultus wurden aufgehoben, die ungarische und siebenbürgische Hofkanzlei wiederhergestellt und die oberste Leitung der administrativ-politischen Angelegenheiten einem Staatsminister, wozu Goluchowski ernannt wurde, übertragen. Ungarischer Hofkanzler wurde Baron Vay, ein Protestant.
Indes die neue Verfassung hatte keinen langen Bestand. Die liberale Bevölkerung sah in ihr nur eine Befestigung des Feudalwesens und des Föderalismus, namentlich als Goluchowski bei der Zusammensetzung der Landtage der Alpenländer dem Adel und Klerus einen unverhältnismäßigen Anteil an der Vertretung einräumte. Die Ungarn wurden nicht versöhnt, sondern beharrten bei ihrer Forderung der Gesetze von 1848, die vielfach ohne weiteres in Wirksamkeit gesetzt wurden.
Die allgemeine Unzufriedenheit bewog endlich den Kaiser, den als liberal und deutsch gesinnt bekannten Schmerling an die Spitze eines neuen Ministeriums zu berufen, welchem als bedeutendste Mitglieder Lasser für das Innere und Plener für die Finanzen angehörten. Das Programm Schmerlings verkündete 23. Dez., daß die Landtage nicht eine Vertretung der Stände, sondern der Interessen, besonders des Grundbesitzes bilden, ihnen und dem Reichsrat die Initiative und Öffentlichkeit eingeräumt, die Mitglieder des Reichsrats vermehrt und direkt durch die Landtage gewählt werden sollten.
Das Programm erhielt seine Ausführung durch die Verkündigung einer Verfassung (Februarverfassung) für den Gesamtstaat und von Landesstatuten für jedes einzelne Kronland der Monarchie, jedoch mit Ausschluß der Länder der ungarischen Krone und Venetiens die Vertretung des Gesamtstaats wurde einem aus Herrenhaus und Abgeordnetenhaus bestehenden, jährlich zusammenzuberufenden Reichsrat übertragen; das Herrenhaus bestand aus erblichen und lebenslänglichen, vom Kaiser ernannten, das Abgeordnetenhaus aus 343 aus direkten Wahlen der Landtage hervorgehenden Mitgliedern. An demselben Tag (26. Febr.) erfolgte die Auflösung des verstärkten Reichsrats und die Einsetzung eines Staatsrats. Österreich trat hiermit in die Reihe der konstitutionellen Staaten ein.
Die Durchführung der neuen Verfassung stieß auf vielen Seiten auf hartnäckigen Widerstand. Die Anhänger des Absolutismus im Heer und in der Büreaukratie, die Verfechter der feudalen und klerikalen Anschauungen weissagten den Untergang des alten Österreich, und der Tiroler Landtag protestierte entschieden gegen die liberalen Grundsätze der Verfassung, besonders gegen die Gleichberechtigung der Protestanten. In Böhmen, Galizien und andern Ländern erhoben sich die nichtdeutschen Elemente und bewirkten, daß die Wahlen zum Reichsrat nur unvollständig und unter Verwahrungen vorgenommen wurden. In Ungarn äußerte sich die Abneigung gegen jede Gesamtstaatsverfassung trotz der Mahnungen einiger gemäßigter Magnaten in so heftiger Weise, daß man der Regierung auch die Steuern und die Aushebung zum Militär verweigerte. Im Landtag siegte zwar die gemäßigtere »Adreßpartei« unter Deák über die radikalere »Beschlußpartei« unter Tisza, forderte aber auch die Wiederherstellung der Gesetze von 1848 und nahm keine Wahlen zum Reichsrat vor. In Venetien wurde überhaupt die Einführung der Verfassung einem geeignetern Zeitpunkt vorbehalten.
Als der neue Reichsrat eröffnet wurde, waren Ungarn, Siebenbürgen, Kroatien, Istrien [* 48] und Venetien nicht in demselben vertreten. Dennoch enthielt die Thronrede des Kaisers die feierliche Versicherung, »daß er als seine im Angesicht aller seiner Völker übernommene und bekräftigte Regentenpflicht erkenne, die Gesamtverfassung als das unantastbare Fundament seines einigen und unteilbaren Kaiserreichs mit seiner kaiserlichen Macht zu stützen«, und verkündete den festen Entschluß, jede Verletzung der Gesamtverfassung als einen Angriff auf den Bestand der Monarchie und auf die Rechte aller seiner Völker und Länder nachdrücklich zurückzuweisen.
Doch wurde den thatsächlichen Verhältnissen insofern Rechnung getragen, als man den versammelten Reichsrat als bloße Vertretung der deutsch-slawischen Länder den engern nannte, der weitere das durch den Beitritt der ungarischen Vertreter vervollständigte Reichsparlament sein solle. Aber auch im engern Reichsrat war die Stimmung der Tschechen und Polen eine oppositionelle, so daß das ganze Verfassungswerk auf den Deutschen beruhte. Dennoch ward der Zusammentritt des Reichsrats mit Freude begrüßt, und sein Zusammenwirken mit der Regierung hatte auch die Wirkung, daß Ersparungen im Budget vorgenommen wurden, die Finanzlage sich besserte, die Valuta sich hob. Ein erheblicher Erfolg der Regierung war, daß 1863 der siebenbürgische Landtag die Februarverfassung annahm und die Wahlen zum Reichsrat vollzog.
Die deutsche Frage und der Ausgleich mit Ungarn.
In Deutschland hatte die Verleihung einer konstitutionellen Verfassung Österreich von neuem Sympathien erweckt, um so mehr als gleichzeitig in Preußen der Verfassungskonflikt ausbrach. Diese Sympathien waren um so wertvoller, als sie das Übergewicht der Deutschen in Österreich verstärken mußten, und Schmerling hielt es für möglich, sie für eine Bundesreform in großdeutschem Sinn auszubeuten, die Österreich die Hegemonie in Deutschland, Deutsch-Österreich aber die Herrschaft im Gesamtstaat verschafft hätte. Zu diesem Zweck lud Kaiser Franz Joseph 1863 die deutschen Fürsten und Freien Städte zu dem Fürstentag in Frankfurt [* 49] (August) ein.
Die Eingeladenen erschienen auch alle außer dem König von Preußen, der auf Rat Bismarcks seine Beteiligung standhaft ablehnte und damit den ganzen Bundesreformplan vereitelte. Trotzdem vereinigte sich Österreich 1864 in der schleswig-holsteinischen Frage mit Preußen zum gemeinsamen Vorgehen gegen Dänemark und nach Ablehnung der Vorschläge der deutschen Großmächte zum Krieg, in welchem die österreichischen Truppen unter Gablenz sich durch ihre stürmische Tapferkeit auszeichneten.
Die Eroberung Schleswig-Holsteins, welches Dänemark im Wiener Frieden an Preußen und Österreich abtrat, war für letzteres ohne Wert, wenn es nicht ein dauerndes enges Bündnis mit Preußen einzugehen entschlossen war, und die schleswig-holsteinische Politik Rechbergs daher ein Fehler, da die Nichtanerkennung des augustenburgischen Erbrechts Österreich die Sympathien des deutschen Volkes und das Vertrauen der deutschen Mittel- und Kleinstaaten raubte. Graf Rechberg erhielt deshalb im Oktober 1864 seine Entlassung und wurde durch den Grafen Mensdorff-Pouilly ersetzt.
Auch im Innern vollzog sich bald ein Umschwung. Das Scheitern der deutschen Bundesreformpläne untergrub auch Schmerlings Ansehen bei Hofe; noch mehr that dies die Haltung des Reichsrats. Noch in der Session von 1863 bis 1864 hatte derselbe die Geldforderungen der Regierung fast unverkürzt bewilligt, darunter auch zwei Anleihen im Belauf von 109 Mill. Gulden. Aber man hatte hierbei einen Blick in die völlige Zerrüttung der Finanzen gethan und die ¶