Unternehmungsformen.LandwirtschaftlicherUnternehmer im weitern
Sinn ist eine
Person, auf deren Rechnung und
Gefahr landwirtschaftliche
Produkte hergestellt werden, im engern
Sinn eine
Person, auf deren Rechnung
und
Gefahr landwirtschaftliche
Produkte zum
Zweck des
Absatzes (Marktprodukte) hergestellt werden. Die landwirtschaftliche
Unternehmung
im weitern
Sinn ist die Vereinigung und Verwendung von landwirtschaftlichem
Boden,
Kapital und
Arbeit zum
Zweck der Herstellung von landwirtschaftlichen
Produkten auf Rechnung und
Gefahr einer Persönlichkeit (Unternehmer). Je nachdem
diese eine einzelne
Person oder eine
Mehrzahl von
Personen ist, ist die
Unternehmung eine Einzelunternehmung oder eine gesellschaftliche.
Jene ist die
Regel, diese die seltene Ausnahme. Die hauptsächlichsten landwirtschaftlichen Unternehmungsformen der Einzelunternehmung
sind in der modernen
Volkswirtschaft die
Selbstverwaltung
(Selbstbewirtschaftung), die
Administration und
die Pachtung.
Bei der
Selbstverwaltung ist der
Eigentümer des
Grund und
Bodens der Unternehmer und zugleich der persönliche
Leiter der
Unternehmung.
Diese Form ist vom privatwirtschaftlichen wie volkswirtschaftlichen Standpunkt aus die beste, vorausgesetzt, daß sie nach
Lage der Verhältnisse überhaupt durchführbar ist. Verglichen mit den andern, bietet sie eine
Reihe von
Vorteilen, die, unter übrigens gleichen Verhältnissen, bei den andern nicht, resp. nicht
in gleichem
Maß eintreten können.
Diese Vorteile lassen sich in zwei
Gruppen scheiden. Die einen haben ihren
Grund darin, daß der
Leiter des Unternehmens auch
der Unternehmer und ein Einzelunternehmer ist, also
Gewinn und Verlust allein trägt. Diese Form begünstigt
den Arbeitsfleiß des Unternehmers, die Wirtschaftlichkeit des Betriebs, insbesondere auch die
Durchführung des besten
Wirtschaftssystems,
weil jede
Steigerung des
Reinertrags dem
Leiter zu gute kommt.
Andre Vorteile haben ihren
Grund in dem Eigentumsbesitz des Unternehmers
und
Leiters.
Derselbe ist in seinen
Entscheidungen unabhängig von dritten
Personen, er kann in jedem
Fall diejenigen
Maßregeln ergreifen, welche nicht bloß für die vorübergehende, sondern auch für die dauernde
Steigerung der
Erträge die
zweckmäßigsten sind.
Leicht ausführbar sind insbesondere Kapitalanlagen (auch mit
Hilfe des
Realkredits) zur Verbesserung
des
Guts, namentlich auch solche, welche erst im
Lauf der Jahre sich bezahlt machen, und deren zeitlicher
Erfolg im voraus nicht sicher berechnet werden kann.
Geringer ist die
Gefahr des
Raubbaues, weil der
Leiter das
Interesse hat, daß das
Gut nicht verschlechtert wird. Auch für die
Gestaltung der Arbeiterverhältnisse auf größern
Gütern ist diese Unternehmungsforman sich die
beste;
der selbst wirtschaftende
Eigentümer hat,
was bei
Administratoren und Pachtern nicht der
Fall ist, ein unmittelbar persönliches
Interesse daran, daß das
Gut einen
Stamm zuverlässiger, gut gestellter, dauernd zufriedener und seßhafter
Arbeiter erhält
und bewahrt.
Endlich kommt noch ein allgemeiner sozialer und politischer Vorteil in Betracht. Bei Landwirten,
die durch Grundbesitz dauernd an den
Bezirk gefesselt sind, verwächst ihr eignes
Interesse mehr mit den allgemeinen
Interessen
des
Bezirks, sie haben ein viel größeres persönliches
Interesse (als
Administratoren und
Pachter), sich dieser anzunehmen,
und werden in einer erfolgreichen Wirksamkeit für dieselben durch die engern persönlichen Beziehungen, die zwischen
ihnen und der übrigen
Bevölkerung
[* 4] entstehen, begünstigt. - Für die Land- und
Volkswirtschaft ist es deshalb am besten,
wenn die
Selbstverwaltung nicht bloß bei dem kleinen und mittelgroßen Grundbesitz, sondern auch auf großen
Gütern (hier
unter Mithilfe von angestellten Beamten) die
Regel bildet; jedenfalls ist es ein ungesunder und für die
Dauer verderblicher Zustand, wenn der größere Teil des landwirtschaftlichen Geländes verpachtet ist oder administriert
wird. Dieser Zustand stellt sich stets dort ein, wo der kleine und mittlere Grundbesitz durch den großen, insbesondere den
Latifundienbesitz auf einen kleinen
Umfang zurückgedrängt worden ist.
Die
Selbstverwaltung ist aber nicht in allenFällen möglich oder zweckmäßig. Es gibt viele Gutsbesitzer,
namentlich größere, die gar nicht selber ihr
Gut verwalten können, z. B. der
Staat und andre juristische
Personen,
Unmündige
oder sonst unter
Kuratel gestellte
Personen, ferner solche, welche durch andre Berufspflichten verhindert sind, dauernd auf
ihrem
Gut zu wohnen (z. B.
Fürsten, Beamte), oder welche weder Fähigkeit noch
Neigung für den landwirtschaftlichen
Betrieb haben etc.; hier liegt es im
Interesse der landwirtschaftlichen
Produktion wie der
Besitzer selbst, daß solche
Güter
verpachtet oder administriert werden. Dasselbe ist geboten, wenn jemand einen großen, in verschiedene einzelne
Wirtschaften
zerfallenden Gutskomplex hat, dessen räumliche
Ausdehnung
[* 5] und örtliche Zerstreutheit die
Selbstverwaltung
unmöglich macht.
Bei der
Administration ist der
Eigentümer des
Gutes auch noch Unternehmer, auf seine Rechnung und
Gefahr wird das
Gut bewirtschaftet,
aber die Leitung und Beaufsichtigung des Wirtschaftsbetriebs ist einem besoldeten Beamten
(Administrator)
übertragen. Dieser
verrichtet die eigentliche Unternehmerarbeit. Der
Eigentümer stellt ihm das
Gut mit
Anlage- und
Betriebskapital,
allenfalls auch seinen
Kredit zur
Verfügung. Soweit thunlich, werden die allgemeinen Prinzipien der Bewirtschaftung festgestellt,
aber im übrigen handelt der
Administrator selbständig.
Dies letztere trifft insbesondere bei Gütern zu, die dem Staat oder andern Korporationen gehören; bei ihnen ist deshalb im
allgemeinen die Verpachtung der Administration vorzuziehen. Der Privatmann kann eher einen Administrator wenigstens so weit
beaufsichtigen und in seinem Verfügungsrecht so weit beschränken, daß nicht die dauernde Rentabilität des Gutes beeinträchtigt
wird. Aber da auch hier die notwendige Kontrolle gewisse landwirtschaftliche Kenntnisse und persönliche Bemühungen erfordert,
so wird, wer jene nicht besitzt und diese nicht aufwenden kann, in den meisten Fällen richtiger handeln, wenn er sein Gut
verpachtet.
Die Übelstände der Administration schwinden in dem gleichen Grad, als es dem Besitzer gelingt, die Interessen
der Gutswirtschaft mit den persönlichen Interessen des Administrators in Übereinstimmung zu bringen. Am besten wird dies
erreicht, wenn der Administrator außer seinen festen Bezügen einen Anteil am Reinertrag erhält und bei der Berechnung des
Reinertrags bezüglich der für größere Meliorationen gemachten Aufwendungen nur die Zinsen und eine Amortisationsquote
von dem Rohertrag in Abzug gebracht werden. Und gute Administratoren muß man materiell so stellen, daß sie lange in ihrer
Stellung bleiben. Im allgemeinen ist die Administration nur bei extensivern Wirtschaftssystemen und stabilerer Bewirtschaftung
ratsam.
Der Pachter muß als unbeschränkter Eigentümer über das gesamte tote und lebende Inventar sowie über die sonstigen Betriebsmittel
verfügen können; die Überlassung eines sogen. eisernen Inventars seitens des Verpachters
an den Pachter (d. h. eines dem Pachter für die Dauer der Pachtung mit der Verpflichtung geliehenen Inventars,
ein gleichwertiges am Ende der Pachtzeit wieder abzugeben) hindert den Pachter in der Organisation und Führung seiner Wirtschaft
und veranlaßt ärgerliche Streitigkeiten am Ende der Pacht.
Der thatsächliche Pachtzins kann aber teils höher (häufig bei verpachteten Parzellen), teils niedriger
(nicht selten bei größern Gütern) sein. Der Pachtzins ist heute in der Regel, und mit Recht, Geldzins. Wird der Pachtzins
als Naturalzins in einer bestimmten Art und Menge von Naturalien festgesetzt, so ist der Pachter gezwungen, seiner Produktion
eine bestimmte, vielleicht unzweckmäßige Richtung zu geben, und in schädlicher Weise in der Organisation
des Wirtschaftsbetriebs beschränkt; und wird der Pachtzins in einer Quote des Rohertrags bestimmt, so wird der Pachter zu
extensiverer Bewirtschaftung genötigt.
In beiden Fällen wird der Fortschritt der landwirtschaftlichen Produktion und die
Erzielung des höchstmöglichen Reinertrags verhindert. Der Naturalzins hat seine Berechtigung nur auf
niedrigern Wirtschaftsstufen. - Die Zeitpacht hat eine Reihe von privat- wie volkswirtschaftlichen Vorteilen.
Weil die Existenz des Pachters weniger gesichert ist als die des Gutsbesitzers, werden Pachter im allgemeinen
zur bestmöglichen Bewirtschaftung ihrer Pachtgüter gezwungen; die Zeitpacht befördert deshalb ihrer Natur nach den Fortschritt
der landwirtschaftlichen Produktion. Dazu schafft sie in den Pachtern größerer Güter eine neue wichtige landwirtschaftliche
Mittelklasse. Sie ermöglicht strebsamen Landwirten mit verhältnismäßig geringen Mitteln, landwirtschaftliche Unternehmer,
auch größere, zu werden und mit ihrer Arbeit und ihrem Kapital sich ein größeres Einkommen zu verschaffen,
als sie durch Kauf und Selbstverwaltung eines Gutes erwerben könnten; anderseits gewährt sie den Eigentümern eine größere
Rente, als sie in der Regel bei der Administration, unter Umständen sogar (wenn es ihnen an Geld oder Kenntnissen
zur tüchtigen Bewirtschaftung ihres Guts fehlt) bei der Selbstverwaltung gewinnen könnten.
Die Zeitpacht von Parzellen und kleinern Gütern verbessert die Lage von Fabrikarbeitern in ländlichen Distrikten, von landwirtschaftlichen
Lohnarbeitern und von Kleinbauern. Aber trotz dieser Vorteile wäre es kein wünschenswerter Zustand, wenn in einem Lande
der größte Teil des Areals der Pachtwirtschaft unterläge. Der Pachter hat an Verbesserungen, deren Kosten
sich erst nach einer langen Reihe von Jahren bezahlt machen, kein oder wenig Interesse, so z. B. an Neubauten, umfangreichen
Ent- und Bewässerungsanlagen, Bewaldung von kahlen, für sonstige Kulturarten ungeeigneten Flächen.
Dazu kommt die Gefahr des Raubbaues, an dem der Pachter im Gegensatz zum Eigentümer ein Interesse hat. Ferner
hat der Pachter keine besondere Veranlassung, sich um die dauernde Verbesserung der Lage der ländlichen Arbeiter zu kümmern,
und endlich würde die Verallgemeinerung der Pachtsysteme die mit der fortschreitenden landwirtschaftlichen Entwickelung notwendige
Veränderung in den Besitzverhältnissen durch Zukauf oder Verkauf von Land, durch Teilung von Gütern
etc. sehr erschweren.
Die Zeitpacht hat daher nur eine bedingte Berechtigung. Um den Interessenwiderspruch zwischen Verpachter und Pachter auszugleichen,
um einerseits dem Pachter die Kulturfreiheit zu lassen, anderseits den Raubbau zu verhindern und auch auf verpachteten Gütern
kostspieligere Bodenmeliorationen durchzuführen, müssen die Pachtbedingungen richtig stipuliert werden
(s. darüber G. Drechsler, Der landwirtschaftliche Pachtvertrag, Halle
[* 8] 1871, 2 Bde., A. Blomeyer, Pachtrecht und Pachtverträge,
Berl. 1873). Vor allem muß die Dauer der Pachtzeit genügend lang und der Pachter gegen einseitige Aufkündigungen seitens
des Verpachters und seines
¶
mehr
Rechtsnachfolgers gesichert sein. Keine Pachtperiode sollte bei Gütern, wenigstens bei größern, weniger als 15-18 Jahre
betragen. Je länger die Pachtzeit, desto mehr sind die Interessen des Pachters und Besitzers identisch, desto höher auch
in der Regel der Pachtpreis. Zweckmäßig ist die Bestimmung im Vertrag, daß schon einige Jahre (etwa drei)
vor Ablauf
[* 10] der Pachtperiode eine Verständigung darüber herbeigeführt werden muß, ob und unter welchen Bedingungen eine
Erneuerung der Pacht stattfinden soll.
Wird eine Erneuerung nicht beschlossen, so sollten die Parteien vereinbaren, welche Entschädigungen dem Pachter zu gewähren,
wenn er bis zum vollen Ablauf der Pachtzeit Kosten für Betriebsmittel aufwendet, deren Nutzung entweder
ganz oder zum Teil dem künftigen Unternehmer zufällt. Besondere Bestimmungen müssen getroffen werden, um den Verpachter
gegen eine einseitige Änderung der Nutzungsweise der verpachteten Grundstücke seitens des Pachters sowie gegen eine Verarmung
des Bodens an seinen wichtigern Mineralbestandteilen und gegen eine Verschlechterung der physikalischen Bodenbeschaffenheit
zu schützen. Im übrigen ist der gute Zustand des Pachtwesens abhängig von genügendem Kapitalbesitz
der Pachter, richtiger Höhe des Pachtzinses und persönlichen Eigenschaften der Parteien (Intelligenz, Solidität, Arbeitsfleiß
etc. des Pachters, Redlichkeit, Billigkeit, humaner Gesinnung etc. des Verpachters). Wünschenswert ist es, daß Pachtgüter
verschiedener Größe zur Verpachtung angeboten und verpachtet werden. - AndreFormen der Verpachtung sind
die Erbpacht und die Halbpacht.
Die Erbpacht, früher üblicher als heute und in den meisten deutschen Staaten durch die Agrargesetzgebung des 19. Jahrh. beseitigt,
hat für die Gegenwart neben den vorerwähnten landwirtschaftlichen Unternehmungsformen zwar noch eine Berechtigung, nämlich
um bäuerliche Besitzungen zu erhalten und um bäuerliche Besitzer oder grundbesitzende Arbeiter in Gegenden
anzusiedeln, wo dieselben fehlen; aber nicht die Erbpacht als das frühere Rechtsverhältnis, sondern in einer neuen, reformierten
Gestalt (näheres s. unter Erbpacht). Die Halbpacht ist eine landwirtschaftliche Unternehmungsform früherer Wirtschaftsstufen
und, wo sie sich auf höhern noch heute findet, von ganz wenigen Ausnahmeverhältnissen abgesehen, durchaus
verwerflich (vgl. hierüber Halbpacht).
Die gesellschaftlichen Unternehmungsformen der offenen Gesellschaft (Kommanditgesellschaft, Kommanditgesellschaft auf Aktien
und Aktiengesellschaft) sind im allgemeinen keine passenden landwirtschaftlichen Unternehmungsformen und kommen thatsächlich
auch nur ganz vereinzelt vor (s. die betreffenden Artikel). Dasselbe gilt auch von der Produktivgenossenschaft (s. d. unter
Genossenschaft, S. 106), d. h. der Vereinigung einer größern Zahl
von Landwirten zum Betrieb einer Gutswirtschaft (in der Form der Selbstverwaltung oder der Zeitpacht) auf gemeinsame Rechnung
und Gefahr, so daß alle in der Gutswirtschaft thätigen Personen Mitunternehmer sind.
Man hat früher, auch von nichtsozialistischer Seite, die Bedeutung dieser landwirtschaftlichen Produktivgenossenschaft verkannt.
Man sah in ihr das Mittel, die kleinen und mittlern Besitzer vor dem, wie man meinte, bei freier Konkurrenz
mit dem Großbetrieb ihnen drohenden Untergang zu schützen. Diese Ansicht beruhte auf einer Verkennung der Konkurrenzfähigkeit
des Kleinbetriebs gegenüber dem Großbetrieb und auf einer Unterschätzung der Schwierigkeiten, welche sich der Durchführung
einer solchen Produktivgenossenschaft entgegenstellen.
Diese sind in landwirtschaftlichen Unternehmungen durch die Natur des landwirtschaftlichen Betriebs und
der landwirtschaftlichen Bevölkerung noch erheblich größer als in gewerblichen Unternehmungen, und
wenn auch, wie Erfahrungen
gezeigt haben, die erfolgreiche Durchführung der landwirtschaftlichen Produktivgenossenschaft nicht unmöglich ist, werden
doch die Verhältnisse, unter denen sie gedeihen können, für jetzt wie für eine absehbare Zukunft
immer nur ganz ausnahmsweise vorhanden sein. Heute sind es nur noch die Sozialisten, welche die Produktivgenossenschaft auch
für die Landwirtschaft verteidigen.
Die eigentliche Entwickelung und Verbreitung des landwirtschaftlichen Vereinswesens erfolgte aber erst seit der Mitte dieses
Jahrhunderts. In Preußen
[* 22] gab es 1815 nur 8, 1820 nur 15, 1830 nur 45 In den 30er Jahren beginnt eine stärkere Ausdehnung.
Man zählte 1840: 145, 1850: 313, 1860: 541, 1870: 865. Im J. 1881 gab es: 33 Provinzial-, Zentral- und
Hauptverbände mit 262 Kreisvereinen, 615 Ortsvereinen, 357 Bauernvereinen, 22 Pferdezuchtvereinen, 4 Rindviehzuchtvereinen, 31 Geflügelzuchtvereinen, 68 Bienenzucht-
und Seidenzuchtvereinen, 22 Obst- und Gartenbauvereinen und 18 weitern verwandten Vereinen. Die 1399 Vereine hatten eine Mitgliederzahl
von 118,560. Auf die einzelnen Provinzen kamen:
Die eignen Einnahmen der Vereine betrugen 742,126 Mk., die Staatszuschüsse 739,440 Mk. Außer
diesen zentralisierten, mit der Staatsverwaltung in Verbindung stehenden Vereinen gibt es noch zahlreiche nicht zentralisierte
Vereine für landwirtschaftliche und verwandte Zwecke. In ähnlicher Weise haben die landwirtschaftlichen Vereine auch in den
übrigen deutschen Staaten zugenommen. Für die Verbreitung und erhöhte Wirksamkeit der landwirtschaftlichen
Vereine war von großer Wichtigkeit, daß sich in den einzelnen Provinzen und Ländern die Lokalvereine zu Zentralvereinen verbanden
und mit der Staatsgewalt in eine geregelte Verbindung traten.
Die Zentralisierung erhöhte den Einfluß der Vereine und führte zu einem den ganzen Zentralvereinsbezirk
umfassenden Netz von Lokalvereinen, die Verbindung mit der Staatsgewalt führte den Vereinen aus der Staatskasse Geldmittel zu
und ermöglichte der Staatsgewalt eine Einwirkung auf die Vereinsthätigkeit. Heute sind die landwirtschaftlichen Vereine in
allen deutschen Staaten, mit Ausnahme einiger ganz kleiner, so organisiert, daß die Lokalvereine eines Landes oder eines
größern Landesteils einen Zentralverband (unter verschiedenen Namen) bilden, welcher den direkten Verkehr mit der Staatsregierung
pflegt.
Bei einem Teil der Zentralvereine sind weiter für die einzelnen Zweige des landwirtschaftlichen Betriebs und für die einzelnen
Zwecke der landwirtschaftlichen Vereine besondere Sektionen des Zentralvereins und der Lokalvereine (für Ackerbau, Viehzucht,
[* 23] landwirtschaftliche Nebengewerbe, Meliorationen, Genossenschaftswesen, Unterricht etc.) eingerichtet, um
dadurch die Einwirkung der Vereine auf die Verbesserung des Betriebs und die Erhöhung desReinertrags der Landwirte im Vereinsbezirk
zu steigern, und ferner bestehen noch neben den landwirtschaftlichen Vereinen besondere Ortsvereine.
Mit dieser Organisation ist der Landwirtschaftliche Zentralverein der Rheinprovinz
[* 24] den andern vorangegangen, und sie
hat sich dort vortrefflich), namentlich zur Hebung der bäuerlichen Wirtschaften, bewährt. Der Staat unterstützt die
landwirtschaftlichen
Vereine mit Geldmitteln, erfordert deren Gutachten und nimmt ihre Wünsche entgegen. Die Staatsmittel dürfen nur zu den vorgeschriebenen
oder vereinbarten Zwecken verwendet werden; im übrigen ist die Thätigkeit der landwirtschaftlichen Vereine eine ganz
freie.
Die landwirtschaftlichen Vereine haben in den letzten 50 Jahren auf die Verbesserung des landwirtschaftlichen Betriebs und
Hebung der landwirtschaftlichen Bevölkerung wie der Landwirtschaft (Gründung von Versuchsstationen und landwirtschaftlichen
Kreditanstalten, Förderung von Ausstellungen, Wettkulturen u. dgl.) unzweifelhaft
günstig gewirkt; die Wirksamkeit derselben aber könnte und würde eine noch viel größere sein, wenn
die Beteiligung der Landwirte an den Vereinen eine allgemeinere und ihre Mitwirkung an den Aufgaben derselben eine intensivere
sein würde. Das letztere würde am sichersten erreicht werden, wenn allgemein die Bildung von Sektionen (wie in der Rheinprovinz)
und dazu in Gegenden mit stark parzelliertem Besitz die Bildung von Ortsvereinen durchgeführt würde.
Verringert wird die Wirksamkeit der landwirtschaftlichen Vereine auch dadurch, daß die Beiträge meist zu niedrig sind und
den Vereinen die genügenden Geldmittel fehlen. - Aus dem Bedürfnis der deutschen Landwirte, einen gemeinsamen Vereinigungspunkt
und ein Organ zur Vertretung der gemeinsamen Interessen zu haben, entstand die Wanderversammlung der deutschen
Land- u. Forstwirte, welche zum erstenmal 1837 in Dresden
[* 25] tagte und dann über 30 Jahre lang alljährlich an einem OrteDeutschlands
[* 26] stattfand.
Sie erlag der Konkurrenz mit dem im J. 1867 gegründeten Kongreß norddeutscher Landwirte, welcher 1872 sich zum Kongreß deutscher
Landwirte erweiterte. Dieser wurde seit 1875 wesentlich das Organ einer politischen Partei (der Agrarier)
und verlor dadurch an Bedeutung. Neben ihm wurde 1872 der Deutsche
[* 27] Landwirtschaftsrat (s. d.) gegründet, aber nicht, wie
der Kongreß, als eine freie Versammlung deutscher Landwirte, sondern als eine aus 60 gewählten Mitgliedern bestehende Vertretung
aller landwirtschaftlichen Zentralvereine.
Österreichs sind gleichfalls zentralisiert, doch gibt es auch zahlreiche nicht zentralisierte
Vereine für einzelne Zweige der Landwirtschaft. Die oberste Leitung untersteht dem Ackerbauministerium. In der Schweiz
[* 28] besitzt
jeder Kanton
[* 29] seinen landwirtschaftlichen Kantonalverein, welcher sich jährlich zu einer allgemeinen Versammlung vereinigt;
die nennenswertesten sind die zu Basel,
[* 30] Bern,
[* 31] Genf,
[* 32] Lausanne
[* 33] und Zürich.
[* 34] Das landwirtschaftliche Vereinswesen in Frankreich erfreut
sich dort einer hohen Würdigung.
Gewöhnlich ist mit den zahlreichen Sociétés des sciences eine Sektion für Ackerbau verbunden; außer diesen gibt es aber
noch sehr viele selbständige, ausschließlich der Landwirtschaft gewidmete Lokalvereine, welche immerhin von Bedeutung sind
und gewöhnlich die NamenSociétés d'agriculture, bez. Comices agricoles führen. Gewöhnlich
bilden die in den Hauptstädten der Departements befindlichen Vereine eine Art Konzentrationspunkt für die in den meisten
übrigen Departementsstädten von größerer Einwohnerzahl befindlichen Vereine. Mit der Regelung des Landwirtschaftswesens
in Frankreich überhaupt ist auch hier das Ackerbauministerium betraut.
Ähnliche Verhältnisse finden sich in England, wo bereits 1723 die Society of Improvers in the knowledge
of Agriculture in Scotland, wohl der älteste aller landwirtschaftlichen Vereine, gegründet wurde, dann in Italien
[* 35] und Rußland.
GroßeAufmerksamkeit wird dem
¶
Die landwirtschaftlichen Versuchsstationen
standen anfangs meist unter der Leitung von Chemikern; sie wurden ursprünglich auf Stöckhardts Anregung (die erste 1851 zu
Möckern bei Leipzig) als »agrikulturchemische Versuchsstationen« gegründet, weil man damals alles Heil für die Landwirtschaft
von der Chemie erwartete, und erst später fanden auch solche Aufgaben Berücksichtigung, welche nur oder vorwiegend mit Hilfe
andrer Wissenschaften, namentlich Pflanzen- und Tierphysiologie, gelöst werden konnten.
Weil aber die Verhältnisse der Völker verschieden und wechselnd sind, und weil gleiche Maßregeln nicht bei
allen Völkern die gleiche Wirkung haben, so kann auch die rationelle Landwirtschaftspolitik weder für alle Zeiten und Wirtschaftsstufen noch
selbst für die heutigen auf der höchsten Wirtschaftsstufe stehenden Kulturvölker die gleiche sein. Die Frage der rationellen
Landwirtschaftspolitik kann deshalb endgültig auch nur für den einzelnen Staat nach seinen gegebenen Verhältnissen entschieden
werden.
Aber wenn auch demgemäß für die heutigen Kulturstaaten die berechtigte und zweckmäßige Staatsintervention im einzelnen
eine verschiedene ist, so gibt es doch gewisse allgemeine Grundsätze, die alle Kulturstaaten heute in ihrer Landwirtschaftspolitik befolgen,
und gewisse Aufgaben, die alle erfüllen sollten, damit die privatwirtschaftliche Aufgabe der Landwirte (Erzielung des
möglichst hohen Reinertrags durch guten Betrieb) und die volkswirtschaftlichen Aufgaben der Landwirtschaft (höchstmögliche
nachhaltige Verwertung der landwirtschaftlichen Produktionskräfte, eine gute Verteilung des landwirtschaftlichen Grundeigentums
und befriedigende wirtschaftliche wie soziale Lage der landwirtschaftlichen Bevölkerung) erreicht werden.
Und dahin gehört vor allem, daß der Staat auf der Grundlage der Freiheit des Grundeigentums, der Arbeit,
des Kapitals, des Betriebs und des Absatzes die Landwirte grundsätzlich auf ihre eigne Kraft hinweist und nur da eintritt,
wo zur Erfüllung jener Aufgaben die eigne Kraft derselben erwiesenermaßen unzureichend, eine erfolgreiche Wirksamkeit des
Staats jedoch möglich ist. Wenn es im allgemeinen richtig ist, daß der Staat in seiner Wirtschaftspolitik
zu wenig, aber auch zu viel thun kann und das Zuviel vielleicht schädlicher als das Zuwenig ist, so gilt dies ganz besonders
für die Landwirtschaftspolitik, weil die landwirtschaftliche Bevölkerung in besonders hohem Grad geneigt und bestrebt ist, auch da, wo sie sich
selber helfen könnte, die Hilfe des Staats zu erlangen.
Zur Erfüllung der ihm auf dem Gebiet der Landwirtschaftspflege obliegenden Aufgaben bedarf der Staat besonderer Organe. GrößereStaaten haben gewöhnlich ein besonderes landwirtschaftliches Ministerium, in kleinern besteht eine besondere landwirtschaftliche
Abteilung in irgend einem der andern Ministerien. Wünschenswert ist es, daß daneben noch ein beratendes Kollegium besteht,
welches aus landwirtschaftlichen (teils von der Regierung ernannten, teils von landwirtschaftlichen Vereinen gewählten) Sachverständigen
gebildet ist und von Zeit zu Zeit zusammentritt, um sich über Maßnahmen der Landwirtschaftspolitik gutachtlich zu
äußern und selbständig Wünsche und Anträge im Interesse der Landwirtschaft vorzubringen (in PreußenLandes-Ökonomiekollegium, in Württemberg
[* 70] landwirtschaftliche Zentralstelle, in Sachsen
[* 71] Landeskulturrat etc.). Ein solches Kollegium
bringt die Regierungin direkte persönliche Beziehungen zu den hervorragendsten Vertretern der Landwirtschaft und erleichtert
ihr die Durchführung einer dem Land nützlichen Landwirtschaftspolitik.
deutscher, ein 1872 gebildetes, aus Vertretern der landwirtschaftlichen Provinzial-,
Zentral- und Hauptvereine Deutschlands bestehendes, von den Regierungen anerkanntes Kollegium mit dem Sitz in Berlin, das sich
die Aufgabe stellt, die landwirtschaftlichen Interessen im Gesamtumfang des DeutschenReichs wahrzunehmen und überall, wo dieselben
durch die Reichsgesetzgebung oder durch Anordnungen und Maßregeln der Reichsverwaltung gefördert werden
können oder geschädigt zu werden Gefahr laufen, nicht nur die von ihr erforderten Gutachten abzugeben, sondern auch unaufgefordert
und beizeiten an den Reichskanzler motivierte Vorstellungen zu richten oder sich mit Anträgen an den Reichstag zu wenden. In
allen Fragen, welche nicht mit der Reichsgesetzgebung in Verbindung stehen, aber doch für die Landwirtschaft
des Reichs von Wichtigkeit sind, wendet sich der Landwirtschaftsrat unmittelbar an die Einzelregierungen.
Die zur Geschäftsführung notwendigen Mittel werden von den landwirtschaftlichen Zentral- oder Generalvereinen des Reichs nach
einem durch Statut bestimmten Verteilungsmaßstab aufgebracht. Alljährlich versammelt sich der Landwirtschaftsrat einmal,
in der Zwischenzeit wird er durch einen ständigen Ausschuß vertreten. Die Verhandlungen u. Referate sowie
die Denkschriften des deutschen Landwirtschaftsrats werden durch sein Organ, das in zwanglosen Heften erscheinende »Archiv des
deutschen Landwirtschaftsrats«, veröffentlicht.
(Obsessio viarum), in der peinlichen GerichtsordnungKarls V. ein Verbrechen, welches darin besteht, daß ein
Unterthan von seinem gewöhnlichen Aufenthaltsort entweicht und, mit gefährlichen Menschen vereinigt,
einzelne Mitbürger oder ganze Gemeinheiten auffordert, sich mit ihm wegen dessen, was er ihnen schuldet, oder wegen seiner
angeblichen Ansprüche abzufinden, für den Unterlassungsfall aber durch Fehde- oder Brandbriefe die Personen oder Güter der
Aufgeforderten zu mißhandeln und zu beschädigen droht.
Die Strafe der Landzwinger war das Schwert. Die moderne Strafgesetzgebung faßt eine solche Handlungsweise lediglich als eine
besonders strafbare Bedrohung auf. Das deutsche Strafgesetzbuch (§ 126) insbesondere belegt denjenigen, welcher durch Androhung
eines gemeingefährlichen Verbrechens, also namentlich einer Brandstiftung, den öffentlichen Frieden stört, mit Gefängnis
von einem Tag bis zu einem Jahr, wofern nicht etwa der Thatbestand einer Erpressung (s. d.) vorliegen sollte.
(spr. lehn),EdwardWilliam, berühmter engl. Arabist, geb. zu Hereford, ward für den geistlichen Stand
erzogen, wandte aber seine ganze Aufmerksamkeit dem Studium des Arabischen zu und verweilte wiederholt (1825-28 und 1833-1835)
in Ägypten,
[* 72] wo er sich eine eingehende Kenntnis von Land und Leuten erwarb und sein anziehendes Buch »An
account of the manners and customs of the modern Egyptians« (1836, 2 Bde.; 5. Aufl.
1871; deutsch, Leipz. 1856) schrieb.
Demnächst folgten von ihm eine meisterhafte neue Übersetzung von »Tausendundeine Nacht« (neue Ausg.
1877, 3 Bde.) und »Arabian
tales and anecdotes« (in Knights »Weekly Volume« 1846). Im J. 1842 begab er sich von neuem nach Ägypten und blieb daselbst
bis 1849, unablässig Material sammelnd für das Hauptwerk seines Lebens, das große »Arabic-English lexicon«, von dem 1863-75 5 Bände
erschienen, deren erster ihm bereits eine jährliche Pension von 100 Pfd. Sterl. aus der Zivilliste eintrug.
In der Vollendung dieses Riesenwerks, das zum erstenmal den ganzen arabischen Sprachschatz an der Hand
[* 73] der vorzüglichsten
einheimischen Lexikographen mit dem feinsten Verständnis für orientalische Anschauungen und Sitten und in klarer und übersichtlicher
Darstellung vorführt, wurde er durch den Tod (er starb in Worthing) unterbrochen. Doch wurde
eine Fortsetzung, zu der Lane sehr reiches Material hinterließ, von seinem Großneffen Stanley Lane Poole unternommen; hiervon
erschienen bisher Band
[* 74] 6-8 (mit Biographie von dem Herausgeber, 1877-87).
Flasche
[* 75] (spr. lehn-), s. Leidener Flasche. ^[= (Kleistsche Flasche), Apparat zur Anhäufung von Elektrizität, welcher 1745 von Kleist in Kammin ...]
[* 76]