Niveaus das
Fernrohr
[* 2] horizontal gestellt, so muß für
Höhenmessungen der
Winkel
[* 3] in Betracht gezogen werden, den nun der
Index
am
Gradbogen zeigt (Korrektionswinkel). Zur Beseitigung dieses lästigen Korrektionswinkels ist bei neuern Kippregeln der
Nonius
[* 4] fein verschiebbar hergestellt worden, und es kann dann jede Vertikalwinkelmessung direkt am
Gradbogen und
Nonius abgelesen
werden. Um rückwärtige
Alignements aufsuchen zu können, sind Kippregeln zum
Durchschlagen eingerichtet, d. h. das
Fernrohr
kann um 360° gedreht werden.
Zur Orientierung des
Meßtisches ist auf dem
Lineal eine schmale
Bussole mit 13-18
cm langer
Magnetnadel befestigt, welche an den
schmalen
Seinen einen
Limbus von etwa 30° trägt, dessenNord-
(Null-)
Linie genau parallel der Ziehkante
liegt, woraus auch die selbständige Verwendbarkeit der Kippregel zum
Messen von Horizontalwinkeln bis zu 15° hervorgeht. Außerdem
ist auf dem
Lineal noch ein
Dosenniveau zum Horizontalstellen des
Meßtisches befestigt. Die Vorrichtung zum Distanzmessen besteht
in einem
Fadenkreuz, dessen Kreuzungspunkt in der optischen
Achse des
Fernrohrs liegt.
Parallel
[* 5] zum horizontalen
Faden
[* 6] sind in gleichen
Abständen von diesem noch zwei
Fäden ausgespannt. Dieses
Fadenkreuz aus
Kokon-
oder Spinnenfäden ist in einem
Ring befestigt, der im Okularrohr durch vier Stellschrauben gehalten wird.
Breithaupt hat statt
dieser
Fäden in ein Glasplättchen
Striche eingeschnitten und dieses in dem Tragring befestigt. Die
Entfernung
wird an einer im Zielpunkt aufgestellten
Distanzlatte abgelesen, welche auf ihrer der Kippregel zugekehrten Seite in
Zentimeter eingeteilt
ist, und beträgt so vielmal 1
m, als
Zentimeter zwischen den beiden äußern Parallelstrichen, und so vielmal 2
m, als zwischen
dem mittlern und einem der äußern ParallelstricheZentimeter abgelesen werden; demnach wäre bei einer 3 m
langen Latte die größte meßbare
Länge 2 . 300 = 600 m. Über die Verwendung der Kippregel zur
Höhenmessung
[* 7] s. d. Die Kippregel hat sich
aus dem von
Prätorius,
Professor in
Altorf bei
Nürnberg,
[* 8] um 1590 erfundenen, von
Lehmann verbesserten, jetzt nicht mehr
gebräuchlichen Diopterlineal (s. d.) entwickelt. Besonders hat
Reichenbach
[* 9] (gest. 1826) in
München
[* 10] sich um
Erfindung der Kippregel verdient
gemacht. Zu den vorzüglichsten
Konstruktionen gehört jetzt die von
Breithaupt in
Kassel;
[* 11] vgl.
Aufnahme, topographische.
(Kaptschak), Volksstamm in
Mittelasien, besonders in dem ehemaligen ChanatChokand (der
jetzt russischen
ProvinzFerghana) wohnend. Nach
Vambéry ist es der älteste türkische
Stamm, welcher in
Sprache
[* 15] und
Sitten sowie
in
Physiognomie und
Charakter seiner alten
Nationalität am meisten treu geblieben ist. In ihrer Gesichtsbildung ähneln die
Kiptschak den
Mongolen, indem sie wie jene schiefe
Augen, vorstehende Backenknochen und ein bartloses
Kinn haben.
Bei kleiner
Statur sind sie sehr gewandt und tapfer. Sie haben bei allen
Aufständen und
Kriegen des ehemaligen Chanats
Chokand
eine sehr wichtige und hervorragende
Rolle gespielt. Jetzt wendet sich dieser kriegerische
Stamm dem friedlichen
Handel und
Ackerbau zu.
holländischen Fischer zu seinem Darstellungsgebiet zu wählen, und so entstand als sein erstes größeres Werk: das Opfer
der See (1876), welches für die Berliner
[* 23] Nationalgalerie angekauft wurde und ihm die kleine goldene Medaille der BerlinerAusstellung
einbrachte. Es folgten: sorgenvolle Stunden (1880), ein holländisches Fischerpaar am Bett
[* 24] seines kranken Kindes,
eine holländische Kirmesszene (1883) und einige kleinere Genrebilder aus dem Fischerleben.
1) Stadt im preuß. Regierungsbezirk Koblenz,
[* 37] Kreis
[* 38] Simmern, 427 m ü. M., hat eine evangelische und eine
kath. Kirche, eine Synagoge, eine Lateinschule, ein Amtsgericht, bedeutende Vieh- und Fruchtmärkte und (1885) 1348 meist evang.
Einwohner. Kirchberg, die älteste Stadt des Hunsrückens (seit 1249), gehörte ehedem den Grafen von Sponheim,
nach deren Aussterben es in den gemeinsamen Besitz der Pfalz und Badens kam. Von 1707 bis 1794 war es ganz bei Baden,
[* 39] fiel alsdann
an Frankreich und 1814 an Preußen.
[* 40] - 2) Stadt in der sächs. Kreis- und Amtshauptmannschaft Zwickau,
[* 41] an der LinieWilkau-Saupersdorf
der Sächsischen Staatsbahn, 360 m ü. M., hat eine Kirche, ein Amtsgericht, bedeutende Streichgarnspinnerei,
Tuch- und Wollwarenfabrikation, eine Dampfheizrohrfabrik, eine mechanische Weberei
[* 42] für Möbelstoffe und (1885) 6949 fast nur
evang. Einwohner. - 3) Stadt im württemberg. Jagstkreis, OberamtGerabronn, an der Jagst, hat ein Schloß des Fürsten von Hohenlohe
mit Park, Kunst- und Altertümersammlung, starke Gerberei und (1885) 1238 meist evang. Einwohner.
- 4) (Oberkirchberg) Pfarrdorf im württemberg. Donaukreis,
OberamtLaupheim, an der Iller, in einer in paläontologischer Hinsicht
sehr bemerkenswerten Gegend (Versteinerungen von Schnecken,
[* 43] Süßwassertieren, Fischen etc.), hat 575 kath. Einwohner und ist
Hauptort der Herrschaft Kirchberg, welche den GrafenFugger aus der LinieKirchberg-Weißenhorn gehört. - 5) (Kirchberg am Wald)
Marktflecken in der niederösterreich. Bezirkshauptmannschaft Waidhofen, an der Thaya, mit Schloß und Park und 848 Einw., wurde
lange Zeit von Karl X. von Frankreich bewohnt. Kirchberg ist der Geburtsort des Dichters RobertHamerling. - 6) (Kirchberg am Wechsel) Marktflecken
in der niederösterreich. Bezirkshauptmannschaft Neunkirchen,
[* 44] mit schöner Kirche, (1880) 1161 Einw. und
zahlreichen Hammer- und Sägewerken. Dabei die Hermannshöhle, eine ausgedehnte Stalaktitengrotte.
Marktflecken im Erzherzogtum Österreich ob der Enns,
[* 45] am Kremsfluß und an der Kremsthalbahn, Sitz einer
Bezirkshauptmannschaft und eines Bezirksgerichts, hat eine gewerbliche Fortbildungsschule, eine sehr alte
Kirche, Industrie und Handel in Eisenwaren, Sparkasse und (1880) 1443 Einw. Kirchdorf ist mit dem
nahe gelegenen Micheldorf (1880: 2568 Einw.) ein Hauptsitz der österreichischen Sensenfabrikation.
(ungar. Szepes-Váralja), Stadt im ungar. KomitatZips, eine der 16 ZipserStädte und Station der Kaschau-OderbergerBahn, mit Kloster, zwei Spitälern, Lehrerpräparandie, (1881) 3256 meist slaw.
Einwohnern, Getreide- und Flachshandel und Bezirksgericht. Dicht über der Stadt erhebt sich das festungsähnliche ZipserDomkapitel,
Sitz eines katholischen Bischofs mit theologischer Lehranstalt und Seminar, und 1 km östlich das ZipserSchloß auf hohen, spitzen
Granitfelsen. In der Nähe mehrere Mineralquellen und merkwürdige Kalktuffbildungen sowie die Kirchdraufer
Eis- u. Tropfsteinhöhle (80 m tief, 40 m breit) in dem Berg Drevenyik.
bezeichnet im Gegensatz zu den Tempeln der Alten, den Moscheen der Mohammedaner und den Synagogen der Juden das
der christlichen Gottesverehrung geweihte Gebäude (s. Kirchenbaukunst), dann bald die Gemeinschaft der christlichen
Gläubigen im Gegensatz zu andern Religionsgenossenschaften, bald den äußerlichen Organismus derselben, wie er sich in bestimmten
Gesellschaftsformen, Kultus und Verfassung darstellt, bald ganz allgemein die ausschließlich religiöse Gemeinschaftsform
selbst, in welchem Sinn auch von einer jüdischen, mohammedanischen etc. Kirche gesprochen werden kann,
bald auch wieder die zum Christentum sich bekennende Bevölkerung
[* 46] eines einzelnen Landes oder Staats (Landeskirche)
in Hinsicht auf ihre besondere Verfassung etc., bald endlich eine einzelne Partei der Christen, sofern sie als eine besondere,
durch Glaubenssymbole und Rechte, auch wohl Zeremonien von andern sich unterscheidende größere Religionsgesellschaft angesehen
wird, so römisch-katholische, griechisch-katholische, lutherische, reformierte Kirche im Gegensatz zu Sekte.
Auch die Etymologie des Wortes ist streitig, wenngleich jetzt die meisten Gelehrten den Ursprung desselben auf das griechische
Kyriakón (Herrenhaus, Haus), in welchem sich die Gemeinde des Herrn zu seinem Dienst versammelt, zurückführen. Da sonach weder
Sprachgebrauch noch Etymologie zu einem irgend sichern Resultat verhelfen, so hilft nur eine teils
¶
mehr
begriffliche, teils historische Ableitung zur Orientierung in dem Gewirr von Ansichten und Meinungen, den das schon nach LuthersUrteil »blinde, undeutliche« Wort veranlaßt hat.
Wenn die Religion ein wesentliches Moment in dem geistigen Gesamtleben der Menschheit ist, wie sie sich denn in dem bisherigen
Verlauf der Geschichte als umfassendstes Thema derselben erwiesen hat: so wird es auch als eine dem Menschengeist
innewohnende allgemeine Notwendigkeit bezeichnet werden müssen, daß er sich behufs Lösung dieses Teils seiner Aufgabe eine
eigne, also ausschließlich religiöse Gemeinschaftsform schafft, im Unterschied zu politischen, sozialen, wissenschaftlichen,
künstlerischen Gemeinschaftsformen. In diesem rein idealen Sinn ist die Kirche der Organismus des religiösen
Lebens der Menschheit überhaupt.
Wirklich vorhanden ist diese Ecclesia (s. d.) immer nur in einer Gemeinde, wie Staat und Volk immer nur in einer Nationalität
mit bestimmter Staatsform. Während aber in der vorchristlichen Zeit das religiöse und das politische Leben der Menschheit
ununterscheidbar zusammenfallen und ineinander aufgehen, hat das Christentum eine über die nationalen
Gegensätze übergreifende, auf geistigen Zusammenschluß der Menschheit abzweckende, rein religiöse Gemeinschaft eingeführt,
und es ist daher kein Zufall, daß dem Wort Kirche trotz seiner allgemeinen Bedeutung doch eine spezifische Beziehung auf die christliche Religion
anhaftet (s. Christentum).
Der leitende Gedanke bei der theoretischen Durchbildung des Begriffs der Kirche ist der eines gesellschaftlichen
Wunders, welches dem Wunder derPersonChristi als des menschgewordenen Gottessohns entspricht und seine Fortsetzung darstellt.
In diesem Sinn führen die Briefe an die Epheser und Kolosser das sonst von Paulus gebrauchte Bild vom Leib, darin Christus
der Geist ist, dahin weiter, daß die als eine die irdische und überirdische Welt umfassende Gemeinschaft derGeister erscheint,
wovon der im Himmel
[* 48] erhöhte Christus das Haupt ist.
Damit war die Vorstellung eines sinnlich-übersinnlichen Organismus gegeben, welcher sein eigentliches Wesen in der überirdischen
Welt, seine irdische Erscheinung aber in den einzelnen Gemeinden und in der Gesamtheit aller dieser einzelnen
Gemeinden hat. Dies das wesentliche und stehende Schema, in welches dann alle christlichen Religionsgenossenschaften und Lehrbegriffe
ihre eigentümlichen Auffassungen vom Wesen der Kirche hineingezeichnet haben, indem sie bald mehr das eine, bald mehr das andre
Moment hervorheben oder ihre Sonderstellung durch die Eigentümlichkeit der Verbindung beider Momente bezeichnen.
Dieselbe als ein Verhältnis fast durchgängiger Einerleiheit aufzufassen, ist von jeher der hervorstechende Charakterzug
des Katholizismus (s. d.) gewesen. Dieser versteht unter Kirche unmittelbar
die irdische Erscheinung selbst, die mit wunderbaren Kräften aus der übersinnlichen Welt ausgestattete, angeblich von Christus
selbst gestiftete Heilsanstalt, deren wesentliche Organe die Bischöfe als Nachfolger der Apostel sind.
Die Kirche ist ihm die christliche Gesellschaft schlechthin.
Daß außer ihr, die am liebsten unter dem Bild einer Mutter oder einer ArcheNoah, eines Schiffleins Christi gedacht wurde, keine
Rettung zu finden, in ihr aber die Fülle des Heils sei, wurde sowohl den Heiden als den Häretikern gegenüber
einstimmig behauptet. Cyprian und Augustin sind die Hauptschöpfer dieses Kirchenbegriffs, auf dessen Ausbildung namentlich
das Aufblühen der Kirche unter dem Schutz des Staats sowie der Sieg des Augustinismus über die Lehre
[* 49] der Pelagianer, Manichäer und
Donatisten einwirkten. Im Streit mit den letztern erkannte Augustin in der Kirche die Gesamtheit aller Getauften
und beförderte durch kecke Vereinerleiung des in der Wirklichkeit gegebenen Organismus mit dem Reiche Gottes die katholische
Weltanschauung, welche, von der Theologie der römischen Bischöfe auf den dortigen Primat ausgedehnt, die Hierarchie des Mittelalters
vorbereiten und vollenden half.
Das geschichtliche Gewächs des den Weltstaat sich dienstbar machenden und die Nationen erziehenden Katholizismus
wurde hier gleichsam mit Haut
[* 50] und Haaren zum Glaubensgegenstand erhoben. Dem Katholizismus ist die Kirche die unmittelbar gegenwärtige
Erscheinung der überirdischen OrdnungGottes, begabt mit sichtbarem Oberhaupt, unfehlbarer Lehre, wunderbaren Gnadenmitteln,
über alle sonstigen Ordnungen des Menschenlebens so erhaben wie der Geist über das Fleisch, aus himmlischen
Regionen herabgesenkt auf die Erde, um möglichst viele Menschen auf Erden kraft der Sakramente zu retten und in die übersinnliche
Welt emporzuheben. In diesem vom römischen Katechismus aufgenommenen Unterschied von streitender und triumphierender Kirche begegnet
uns die letzte schwache Spur einer Unterscheidung von Wirklichkeit und Ideal.
Aus der notwendigen Unterscheidung im Gegenteil eine Trennung zu machen, die ideale Gemeinschaft loszureißen von der empirischen
Kirche, war der gemeinsame Gedanke aller reformatorischen, aber auch aller schwärmerisch aufgeregten Sekten des Mittelalters. Der
Gegensatz zwischen äußerlicher und innerlicher Auffassung des Begriffs der Kirche trat in dem Kampf zwischen
Katholizismus und Protestantismus in der Weise hervor, daß nach römisch-katholischer Ansicht die in der sichtbaren, unter dem
Papst als ihrem Oberhaupt vereinigten Gemeinschaft der auf ein äußerliches Bekenntnis und auf einen und denselben Gebrauch
der Sakramente hin Getauften, also in der empirischen rechtlichen Abgrenzung der Glaubensgemeinschaft, nach
protestantischer Ansicht aber vornehmlich in der »Gemeinschaft der Heiligen« (s. d.) besteht, an die, als an die der
Erlösung durch Christus entsprechende Gesamtwirkung, man glaubt, die man aber nicht sieht.
Nach der einen Ansicht gelangt der einzelne durch die Kirche zu Christus, nach der andern durch Christus zur Kirche. Doch lenkt
auch die protestantische Dogmatik vom absoluten Idealismus ein, indem sie unsichtbare und sichtbare Kirche unterscheidet und beide
im Zusammenhang miteinander hält durch die Lehre von den Merkmalen der wahren Kirche. Als solche gelten, zumal dem Luthertum, reine
Lehre und stiftungsgemäße Sakramentsverwaltung. Da immer wird »Gemeinschaft der Heiligen« stetig erzeugt und
die unsichtbare Kirche am meisten gefördert, wo in einer sichtbaren das WortGottes unverfälscht gelehrt, die Sakramente einsetzungsgemäß
verwaltet werden, d. h. die lutherische Kirche erschien als der verhältnismäßig adäquateste
Ausdruck der Idee der Kirche. Die reformierte Lehre unterscheidet sich davon nur durch Ausnahme ethischer Merkmale und disziplinarer
Bestimmungen. Gegen die Anknüpfungspunkte, welche dieser protestantische Kirchenbegriff im katholischen
fand, bildeten zunächst wieder die Mystiker und Enthusiasten in ähnlicher Weise wie die mittelalterlichen Sekten eine fortwährende
Opposition. Anderseits offenbarte allmählich der Protestantismus eine grundsatzmäßig auf Umsetzung des Christentums aus der
¶
mehr
kirchlichen in die weltlichen Form gerichtete Tendenz; die Religion selbst fing an, sich von der Theologie zu emanzipieren,
und es fiel der Kirche immer schwerer, ein sicheres und klares Bewußtsein von ihrer Existenzin sich zu tragen. Die Periode der
Aufklärung sah geradezu in jeder Selbständigkeit des kirchlichen Lebens dem Staat gegenüber etwas Hierarchisches.
Dieser Mangel an allgemein kirchlichem Leben aber bewirkte, daß in den einzelnen der Gemeinschaftstrieb sich um so stärker
regte, und so entstanden Kirchlein in der Kirche, z. B. die Brüdergemeinde, während andre, z. B. Swedenborg, an der Gegenwart
verzweifelnd, die Kirche eines neuen Jerusalem
[* 52] in ihre idealvisionäre Welt hineinbauten.
Die Reaktion des 19. Jahrh. aber belebte sofort auch wieder den Kirchenbegriff in allen christlichen
Denominationen, und so hat namentlich auch die neuere protestantische Theologie seit Schleiermacher das Dogma von der Kirche zu bearbeiten
und es selbst über die noch unvollkommenen Anfänge im Reformationszeitalter hinauszuführen versucht. Mit der Ausbildung
des Dogmas hält auch die Ausbildung des Kirchenrechts und der Kirchenverfassung gleichen Schritt.
II. Geschichtliche Entwickelung der christlichen Kirche.
Eine richtige Würdigung des kirchengeschichtlichen Prozesses setzt vor allem Einsicht in die religionsgeschichtlichen Thatsachen
voraus, daß die Wirkungen der schöpferischen Persönlichkeiten, nach welchen die großen Epochen der
religiösen Entwickelung benannt zu werden pflegen, nur sehr teilweise zusammenfallen mit dem, was auf ihren Namen hin gethan
und gewirkt, gesprochen und gedacht wird. Auch die christliche Kirchengeschichte stellt nichts weniger als geradlinige Entwickelung
von Jesus oder von Paulus aus dar, sondern einen der kompliziertesten Prozesse, welche wir kennen.
Die christliche Kirche ist im eminenten Sinn des Wortes »das Ding mit den vielen Ursachen«, davon die Philosophie weiß, und es bedarf
einer nicht eben alltäglichen Vorurteilslosigkeit und Unbefangenheit, um jedem der hier mitwirkenden Faktoren das Seine zu
geben. Das Evangelium Jesu und die gemeinsame apostolische Verkündigung kommt hier allerdings in erster
Linie, darum aber nichts weniger als in einziger Weise in Betracht. Denn mit dieser Predigt vom Reiche Gottes (s. d.) ist noch
lange nicht dasjenige gemeint gewesen oder gar ins Leben gerufen worden, was man Kirche nennt. Im Gegenteil war
es der Grundirrtum einer dogmatisch bedingten Geschichtsdarstellung und zwar ebenso auf protestantischer wie auf katholischer
Seite, daß die Entstehung der Kirche mit der Entstehung des Christentums (s. d.) gegeben gewesen sei.
Die christlichen Gemeinden waren vielmehr ursprünglich lediglich Verbände zu einem heiligen Leben auf Grund einer gemeinsamen
Hoffnung und Sehnsucht nach demnächstiger Weltvollendung durch den wiederkehrenden Messias. Von seinen
Sprüchen, die zu kühnem Gottvertrauen und alles aufopfernder Bruderliebe mahnten, von seinen Gleichnissen, die das
leise Nahen einer göttlichen Lebensordnung, eines »Himmelreichs«, abbildeten, von seinen Weissagungen, welche demselben Reich
ein »Kommen mit Macht« noch innerhalb der Lebzeiten der Zuhörer in Aussicht
stellten, zehrten diese Gemeinschaften.
Die eigne Produktionskraft aber that sich Genüge und wirkte sich aus in einem kräftig pulsierenden Leben des Enthusiasmus,
der Inspiration, der Prophetie, welches sich auch durch die grundsatzmäßige Gebundenheit
an die Autorität des Alten Testaments
nicht sehr beengt fühlte. Die ersten Christengemeinden waren Gemeinschaften von Inspirierten mit beweglichen,
mannigfaltig nüancierten Verfassungsformen, die bald mehr an die jüdischen Synagogenverbände, bald mehr an die griechischen
Kultvereine und römischen Kollegien erinnerten. Das Gemeindeleben selbst trug ein hervorstechend sozialistisches, aber durch
und durch religiös bedingtes Gepräge; der heidnischen Kulturwelt stand es in Erwartung eines baldigen Weltendes durchaus
ablehnend gegenüber.
Erst etwa seit Mitte des 2. Jahrh. sehen wir die zielbewußtern, von praktischen
Trieben beseelten und allmählich vom Bewußtsein einer Weltmission durchdrungenen unter diesen Gemeinden im römischen Weltreich
allmählich sich zusammenfinden in jener nach außen immer weiter reichenden, nach innen immer fester gefügten Konföderation,
welche sich die »Großkirche«, die »allgemeine«,
die »katholische Kirche« (s. d.) nannte. In der Mitte des 3. Jahrh.
steht dieselbe wesentlich ausgewachsen und fertig vor uns.
Aber wie ganz andre Züge weist das Christentum nunmehr in dieser neuen Gestalt auf, in welcher die ursprüngliche Abgeschlossenheit
gegen die Welt, wenn nicht in der Theorie, so doch faktisch bereits aufgegeben war! Was uns hier entgegentritt,
das ist ein mit festen, hierarchisch gegliederten Verfassungsformen ausgestattetes Gemeinwesen, eine Kultusanstalt mit Opfer
und Priestertum, neben der alttestamentlichen jetzt auch eine neutestamentliche Offenbarungsurkunde, ein nicht bloß von
Propheten, sondern auch von Aposteln geschriebener Kanon (s. d.), ein bereits in Taufbekenntnis und Glaubensregel formulierter
Glaube, eine eigentliche Theologie (s. d.), und in dem allen ist zumeist griechisch-römischer Geist spürbar,
nicht etwa jüdischer.
Der hellenische Geist ist in der Abwandlung, die er damals erfahren hatte, zu allen Poren des neuen Gemeinwesens eingeströmt,
der ursprüngliche Enthusiasmus, die aus eigner Fülle schöpfende apokalyptische Begeisterung ist verduftet. Eine Kirche ist geworden,
welche nicht mehr lediglich eine Gemeinschaft derHoffnung und der Zucht, des Glaubens und Liebens, sondern
vor allem einen Staat im Staate darstellt, nominell gegründet auf das Evangelium Jesu, thatsächlich eine ganz eigentümliche
Organisation religiös empfindender, von gemeinsamen Idealen zehrender Massen, die sich berufen wußten, in der großen Konkurrenz der
verschiedensten Religionsweisen, Kulte, Mysterien und Schulen, welche sich um den geistigen Besitz des römisch-griechischen
Weltreichs stritten, die Palme
[* 53] davonzutragen.
Demnach repräsentierte die »Großkirche« eine hierarchische Heilvermittelungsanstalt
für die Massen, und die sittlichen Anforderungen an ihre einzelnen Mitglieder erlitten notwendigerweise eine immer größere
Einbuße an Idealität. Aus den Gemeinden des Urchristentums schloß eine Todsünde aus; nur Aspiranten
des Himmelreichs kamen in Betracht, nicht Weltbürger, Staatsdiener, Gelehrte, Industrielle, Künstler, Soldaten etc. In der Gemeinschaft der
katholischen Kirche dagegen konnte jeder seine Stelle finden, sofern er nur sich gewissen Ordnungen und Regeln unterwarf, gewisse
Bekenntnisse anerkannte, gewisse Übungen praktizierte. Individuelle Inspiration, Prophetie auf eigne Hand
[* 54] war nunmehr verboten, wie auch Kundgebungen einer allzu unbedingten Hingebung dem Mißtrauen verfielen, ohne daß darum die
höchsten Güter des Christentums geradezu unzugänglich geblieben wären. Die Kirche ist das für eine Rolle in¶
mehr
der Weltgeschichte eingerichtete und insofern das säkularisierte, das mit dem Instinkt der Weltherrschaft versehene, allerorts
praktisch zurechtgelegte Christentum. Nichts ist begreiflicher, als daß das Römerreich nicht freiwillig abdankte zu gunsten
der sich anmeldenden geistigen Großmacht; es waren bekanntlich gerade die echtesten Erben und Fortleiter der alten Traditionen
römischer Politik, welche in der christlichen Kirche eine Todfeindin erkennen und sie bis aufs Blut bekämpfen
zu müssen glaubten.
Aber eigenste Kraft
[* 56] und eine Verkettung günstiger Umstände verhalfen letzterer zum Sieg. Ein genialer Eroberer that den kühnen
Wurf; erstellte sich anfänglich über die Parteien, um je länger, desto mehr in der christlichen Kirche die
eigentliche Trägerin aller zukunftsvollen Mächte zu erkennen und in ihrer bereits bestehenden Einheit die Unterlage einer
erst herzustellenden Einheit des Reichs zu suchen. Die Bischöfe der Kirche sollten den wankenden Kaiserthron stützen, ihm im Glauben
der Völker den eingebüßten Kredit wieder verschaffen. Was Konstantin (306-337) wollte, das war eine handliche
Staatskirche. Aber nur in der östlichen Hälfte des Reichs konnte seine IdeeDurchführung finden, und zwar war es wesentlich
das Dogma, bei dessen Ausbildung die byzantinischen Kaiser und fast mehr noch ihre Frauen sich beteiligten.
Während aber von der kirchlich werdenden Christenheit vor allem das ganze Judentum als Religion mit Beschlag belegt, die ganze
alttestamentliche Geschichte als Vorgeschichte der in Anspruch genommen wurde, rechnete der Gnostizismus
dieses Alte Testament vielmehr in das von ihm noch viel heftiger als von der Kirche verworfene Judentum ein und ging deshalb der
Kirche mit Bildung eines eignen, eines neutestamentlichen Kanons sogar voran. In den Wirren des mit der Gnosis geführten Kampfes
erfuhr die Kirche erstmalig das Bedürfnis, ihr einfaches Taufbekenntnis durch Erweiterungen zu erläutern
und in eine die kirchlich korrekte Überlieferung fixierende Glaubensregel umzuwandeln. An diese Glaubensregel setzt sich sofort
die noch ganz embryonale und fragmentarische Theologie der antignostischen Kirchenväter, eines Justinus, Irenäos, Tertullian,
an. Erst durch das Medium der als »Neues Testament« kanonisierten Schriften der apostolischen und nachapostolischen
Epoche im Verein mit der Glaubensregel werden jetzt auch die treibenden Ideen des Urchristentums selbst in dieser Kirche eine wirksame
Macht.
Aber den gut christlichen Elementen, mit welchen auf diesem Weg das Dogma ausgestattet wurde, halten die sich mehrenden griechischen
die Wagschale. Hand in Hand mit der im Verlauf des 3. Jahrh. sich vollziehenden Umbildung der in einen
heiligen Staat erfolgt eine Umsetzung der Glaubensregel in die hellenisch fundamentierte, aus der Stoa und aus dem Platonismus
abzuleitende Religionsphilosophie eines Clemens und Origenes.
Den Kristallisationspunkt für diesen Prozeß bildet die von Tertullian,
Hippolyt u. a. in die Glaubensregel eingeführte Lehre vom Logos (s. d.), mit welcher der Kern der kirchlichen
Weltanschauung ins Dasein getreten ist.
Einer irrtümlichen Geschichtsphilosophie entsprungen ist die oft gehörte Meinung, diese und ähnliche Formeln hätten unter
den Bedingungen, welche bei der dogmatischen Entfaltung des christlichen Bewußtseins maßgebend und wirksam gewesen sind,
gerade so ausfallen müssen, wie sie thatsächlich ausgefallen sind. In Wahrheit hätte sich die Andacht
der Kirche aber z. B. mit dem gottähnlichen Christus des Arianismus ebensogut befriedigen können wie bei dem gottgleichen des
Athanasius, und wie die Dinge zu Nicäa lagen, hat sogar alles zu der erstern Formel gedrängt.
Daß die letztere siegreich wurde, ist dem persönlichen Eingreifen des Konstantin wie später des Theodosius
zu verdanken. Ebenso hatte im Nestorianisch-Eutychianischen Streit bereits der Monophysitismus den Sieg in den Händen, als
er ihm nachträglich auf der vierten ökumenischen Synode durch das im Bund mit dem römischen Bischof erfolgende Einschreiten
der KaiserinPulcheria wieder entwunden wurde. Gegenteils ist der monophysitische Rückschlag, welcher dann
auf der fünften ökumenischen Synode eintrat, das persönliche Werk Justinians und Theodoras gewesen.
Der monotheletische Streit ist durch die Politik des KaisersHeraklios hervorgerufen und in seinem Verlauf ganz durch die KaiserConstans und Constantinus Pogonatus bestimmt worden. Den Bilderstreit haben erstmalig und endgültig die beiden Kaiserinnen
Irene und Theodora abgeschlossen. Das Abendland ist dieser Entwickelung des Dogmas, wie es der zweiten Hälfte
der Geschichte der alten Kirche ihr bezeichnendes Gepräge verleiht, nur einfach zustimmend gefolgt, und was es Selbständiges
auf diesem Gebiet leistete, die Sünden- und Gnadenlehre des Augustinus, das hat im kirchlichen Leben und in der theologischen
Praxis keineswegs zu einer so großen Entfernung von der griechischen Theologie geführt, als es gemäß dem
¶
mehr
harten Wortlaut der Augustinischen Sätze, die ja nur sehr bedingt und abgeschwächt zur Annahme gelangt sind, scheinen mochte.
Während so der unendliche Streit um die Glaubensbegriffe Kirche und Staat zugleich in beständiger fieberhafter Erregung erhielt,
wurde das klassische Heidentum systematisch vernichtet, vielfach unter Anwendung derselben brutalen Mittel, welche in den
vorkonstantinischen Zeiten gegenüber der jungen Pflanzung in Anwendung gekommen waren, welche den großen Bau des Weltreichs
zu durchwuchern und zu zersprengen drohte. Statt dessen hat sie dieses Weltreich in den letzten Jahrhunderten seines Bestandes,
wenigstens von außen, mit einem neuen Blätter- und Blütenschmuck umgeben; sie hat es mit ihrem Duft
erfüllt, aber seinen Zerfall schließlich nicht aufzuhalten vermocht, eine Thatsache, die seit der EroberungRoms durch Alarich
schon den Kirchenvätern zu denken gab.
Außerdem war das Christentum so sehr identisch mit der römischen Staatsreligion, es war so sehr Reichsreligion geworden,
daß es in dem mächtigsten Staat, welcher noch neben dem Imperium bestand, in Persien,
[* 58] wo es weit um sich
gegriffen hatte, gerade aus nationalen und politischen Gründen unterdrückt und so seiner Ausdehnung
[* 59] im Osten schon vor den
Zeiten des Islam ein Ziel gesetzt wurde. Dieser hat dann über die ganze Christenheit des Morgenlandes, soweit er sie nicht einfach
vernichtete, ein Leichentuch gebreitet, unter welchem sie einen langen, vielleicht ewigen Winterschlaf
angetreten hat. S. Griechische Kirche.
Die Schicksale des Christentums sollten sich im Abendland entscheiden. Alles hing davon ab, ob das Schiff
[* 60] der Kirche den Zusammenprall
der alten römischen und der neuen germanischen Strömung der Weltgeschichte, wie solcher in der Völkerwanderung
erfolgte, aushalten, oder ob es, wie das staatliche Fahrzeug, darin zerschellen würde. In der That vollzog sich der Übergang
in das neue Fahrwasser aufs glücklichste. Ja, es schien, als ob die Kirche erst in den germanischen, bez.
romanischen, in zweiter Linie auch in den slawischen Völkerschaften, die sich jetzt vor dem Kreuz
[* 61] beugten,
den richtigen und entsprechenden Naturboden gefunden habe, auf welchem ihre Saaten ein unverkümmertes und dabei zugleich
auch wieder verhältnismäßig originelles Gedeihen finden sollten. An die Stelle der Hellenisierung des Christentums trat
jetzt seine Germanisierung.
Nicht bloß wuchsen aus dem altgemanischen Heidentum zahlreiche Anschauungen und Sitten hinüber in den
christlichen Glaubens- und Kultuskreis (darunter namentlich mancherlei Teufels- und Hexenspuk), sondern auch germanische Rechtsbräuche
erwiesen sich wirksam wie in der Dogmatik (z. B. Versöhnungslehre des Anselmus), so auch in der Ausbildung des Kirchenrechts
(z. B. Ehewesen); auch was dem Christentum in Bezug auf Hebung
[* 62] und Wertung des weiblichen Geschlechts nachgerühmt wird,
ist wenigstens teilweise zur germanischen Erbschaft zu schlagen.
Damit sind wir aus den Zeiten der alten in diejenigen des Mittelalters hinübergetreten. Was sich in jenen als ein fortschreitender
Prozeß darstellt, das ist jetzt zur vollendeten, innerhalb des katholischen Rahmens nicht mehr rückgängig zu
machenden Thatsache geworden: die gänzliche Entmündigung der Gemeinde zu gunsten der Priesterschaft. Diese allein stellt die
Kirche im aktiven Sinn dar; die Laien sind bloß Objekt des priesterlichen Handelns. Nur Priester können der Lehre und Sakramente warten;
alles Heil für die Welt ist daher an
das Priestertum geknüpft und außer der Kirche überhaupt kein Heil.
Das ursprüngliche Wahlrecht der Gemeinden war schon vor Konstantin vielfach erschüttert; selbst nachher wurden jedoch noch
Stimmen gehört, die von einem allgemeinen Priestertum aller Christen vor Gott wußten. Je länger, je mehr beschränkte sich
jedoch die Laienthätigkeit in den obern Schichten auf Beteiligung an byzantinischen Hofkabalen und Palastrevolutionen,
in den untern auf gelegentliches Tumultuieren und Losschlagen im Interesse irgend eines geistlichen Zugführers.
Aber es gab auch ernstere Geister in dieser Laienwelt, und die urchristliche Idee der Weltentsagung und Weltfeindschaft schuf
sich, als ihr von seiten eines von den Lasten des Staates befreiten, in Glanz und Machtfülle gekleideten
Klerus immer weniger entsprochen wurde, bald eine neue Form christlicher Lebensführung im Kloster (s. d.). Von Haus aus galten
die Mönche durchaus als Laien; sie vertraten jene der Welt abgewandte Seite des Christentums, jene urchristliche »Vollkommenheit«,
welche nicht bloß das in seiner Masse stets unvollkommene Kirchenvolk, sondern auch der in die Geschäfte
dieser Welt immer tiefer verwickelte Klerus nicht mehr darstellen und verwirklichen konnte.
Bald aber empfingen die Klosteräbte die Priesterweihe und fingen die Klöster an, Pflanzschulen des Klerus zu werden, wie das
wenigstens in Bezug auf die höhere Geistlichkeit in der griechischen Kirche bis auf den heutigen Tag so geblieben
ist. Thatsächlich hat der Klerus die anfänglich bedenklich erscheinende Konkurrenz des Mönchtums rasch, wenn auch nie vollständig
besiegt. In den dogmatischen Kämpfen der Reichskirche sehen wir stets ganze Heere von Mönchen für das Ansehen dieses oder
jenes Patriarchen ins Feld rücken, und z. B. auf der Räubersynode haben ihre Knüttel und Fäuste einen
blutigen Sieg erfochten.
Die Kehrseite zu einer solchen akuten Bethätigung des Mönchtums bildete im Orient die chronische Beschäftigung der Kontemplation,
der klösterliche Quietismus, welcher sich bemühte, sich auf dem Weg ekstatischer Halluzinationen in wenigstens momentanen
Vorgenuß eines rein jenseitigen Heils zu versetzen. Das edlere, kulturfreundliche Mönchtum dagegen,
welchem insonderheit Britannien und Deutschland
[* 63] ihre Christianisierung, ganze Schichten der Bevölkerung Belehrung und Unterweisung,
Werke des klassischen AltertumsErhaltung, Wüsteneien Urbarmachung verdanken, ist eine Schöpfung des Abendlandes.
Ganz besonders in den Anfangszeiten des Mittelalters erwiesen sich die Benediktiner (s. d.) als die praktisch wirksamsten Vertreter
des christlichen Gedankens in den Formen, wie die Zeit ihn zu verstehen vermochte. Überall bilden damals
die Klöster die Mittelpunkte des kirchlichen Lebens, die Ausgangspunkte der Mission (s. d.), die Pflegestätten der Wissenschaft,
die Herde auch aller weltlichen Kultur, bevor auf diesem letztern Gebiet einzelne gewaltige Herrscher, wie Karl und Alfred, mit
selbständigem Programm vorangingen.
Aber auch in solchem Fall war nachhaltige Wirksamkeit nur im engen Verein mit der Kirche möglich, deren Würdenträger
im Rate der Großen saßen, deren Diener die ausübenden Organe lieferten auch für die Kulturmission des Staats, soweit eine
solche zu den bewußt ergriffenen Aufgaben der Zeit gehörte. In dieser ersten Hälfte des Mittelalters
bietet die abendländische Kirche überhaupt vielleicht den befriedigendsten Anblick dar, welchen sie im ganzen Verlauf
ihrer Existenz erreicht hat. Ihre Aufgabe und Stellung in der Welt war ihr ein für allemal gestellt und
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