mit großer
Schnelligkeit zu seiner vollen
Stärke
[* 2] anwächst und ebenso schnell wieder auf
Null zurücksinkt. Da die Induktionsströme
ebenfalls von kurzer Dauer sind und innerhalb dieser kurzen Zeit rasch anwachsen und rasch wieder abfallen, so bringen sie
ungeachtet der geringen durch sie in
Bewegung gesetzten Elektrizitätsmengen eine sehr starke Erregung
der
Nerven
[* 3] des tierischen
Körpers oder, wie man sagt, eine sehr beträchtliche physiologische
Wirkung hervor, welche noch dadurch
gesteigert wird, daß die Öffnungs- und
Schließungsströme durch das rastlose
Spiel des Unterbrechers in rascher Aufeinanderfolge
durch den
Körper gesendet werden.
Dabei bringt der
Öffnungsstrom, als der schneller verlaufende, eine weit stärkere
Wirkung hervor als
der
Schließungsstrom. Um die Induktionsströme durch den menschlichen
Körper zu leiten, verbindet man gewöhnlich messingene
cylindrische Handhaben durch metallische
Schnüre mit den
Enden der Nebenrolle und nimmt dieselben in die etwas feuchten
Hände;
bei schwachen
Strömen empfindet man ein stechendes Prickeln, bei stärkern
Strömen treten krampfartige Muskelzusammenziehungen
ein.
Ihrer Einwirkung auf die
Nerven wegen werden die Induktionsströme zu Heilzwecken verwendet: man pflegt sie in der
Medizin
nach
Faraday, dem Entdecker der I., als
faradische Ströme und die Behandlung des menschlichen
Körpers durch dieselben als
Faradisierung zu bezeichnen.
Die induzierende
Wirkung der Hauptrolle wird bedeutend verstärkt, wennman in ihre Höhlung einen
Stab
[* 4] von weichem
Eisen
[* 5] einschiebt. Der beginnende Hauptstrom macht nämlich den Eisenkern magnetisch, d. h.
er zwingt die kleinen Kreisströme, welche die Eisenmoleküle unaufhörlich umfließen (s.
Elektrodynamik),
[* 6] die gleiche
Richtung
anzunehmen wie er selbst; nach seinem Aufhören aber kehren jene Strömchen in ihre frühern ungeordneten
Lagen wieder
zurück, und der Eisenkern wird infolgedessen wieder unmagnetisch.
Diese sich richtenden und ihre
Richtung wieder verlassenden Molekularströme erregen nun in der Nebenrolle ebenfalls Induktionsströme,
welche mit den gleichzeitig durch den Hauptstrom unmittelbar induzierten gleichgerichtet sind und diese sonach verstärken.
Dieser nützliche Einfluß des Eisenkerns wird aber durch eine andre von ihm ausgehende schädliche
Wirkung
zum Teil wieder aufgehoben. Wie in jeder zusammenhängenden Metallmasse, welche man etwa in die Hauptrolle einschieben würde,
werden auch in dem Eisenstab beim Entstehen und Verschwinden des Hauptstroms
Nebenströme induziert, welche, von
Molekül zu
Molekül übergehend, den
Umfang des
Stabes umfließen, das Anwachsen und
Abfallen sowohl des Hauptstroms
selbst als auch des
Magnetismus
[* 7] verzögern und sonach die Dauer der in der Nebenrolle entstehenden Induktionsströme verlängern,
wodurch zwar nicht die
Menge der in
Bewegung gesetzten
Elektrizität,
[* 8]
wohl aber ihre
Wirkung auf die
Nerven verringert wird. Das
Zustandekommen jener schädlichen
Ströme kann man dadurch vermeiden, daß man statt
Eines dicken Eisenstabes
ein Bündel dünner Eisendrähte, welche durch einen Firnisüberzug voneinander isoliert sind, in die Hauptspule bringt;
die
Nebenströme nehmen alsdann den gewünschten raschen Verlauf und wirken viel stärker auf die
Nerven als bei Anwendung
eines massiven Eisenkerns.
Bei der Herstellung von
Induktionsapparaten nimmt man für die Hauptrolle einen dickern
Draht
[* 9] mit nicht
zu vielen Windungen, weil sonst der Hauptstrom durch den großen
Widerstand zu sehr geschwächt würde; der Nebenrolle dagegen
gibt man möglichst viele Windungen eines sehr dünnen
Drahts, weil die
Stärke der Induktionsströme mit der Windungszahl
zunimmt. Ein für ärztliche
Zwecke vorzüglich geeigneter
Induktionsapparat ist derSchlittenapparat von
Du Bois-Reymond
[* 1]
(Fig. 3). Die Nebenspule N, deren Drahtenden in den Klemmschrauben a und b münden,
ist auf dem Brettchen S befestigt, welches wie ein
Schlitten in zwei
Nuten des
Gestells gleitet; sie kann daher nach Belieben
ganz oder nur teilweise über die Hauptspule H, welche an dem Brettchen B wagerecht befestigt ist, geschoben
werden, wodurch die
Stärke der
Nebenströme nach
Bedürfnis abgeändert wird.
Die
Unterbrechung des Hauptstroms, dessen Poldrähte in die
Klemmen c und d eingeschraubt werden, besorgt der magnetische
Hammer
[* 10] M; die
Enden des Hauptdrahts stehen ferner mit den Klemmschrauben e und
f inVerbindung, in welche die
Drähte
mit den Handhaben eingeschraubt werden, wenn man den in dem Hauptdraht selbst induzierten Extrastrom
[* 11] benutzen will.
Werden
die Klemmschrauben a und b der Induktionsrolle nicht miteinander verbunden, so stauen sich hier die im Nebendraht beim Entstehen
und
Vergehen des Hauptstroms in
Bewegung gesetzten
Elektrizitäten und erzeugen
elektrische Spannung, und
zwar wird jede derselben, mit dem
Elektroskop
[* 12] geprüft, sich bald positiv, bald negativ erweisen, je nachdem sie augenblicklich
mit der vom
Öffnungsstrom oder vom
Schließungsstrom herangeführten
Elektrizität sich geladen hat.
Bei größern
Induktionsapparaten springen sogar von jedem Ende der offenen Nebenrolle auf einen genäherten
LeiterFunken über;
die so entladene
Elektrizität ist aber immer nur diejenige, welche von dem
Öffnungsstrom herangeführt
wurde, denn nur diese ist zu hinreichender Dichte zusammengedrängt, um eine Luftstrecke in Form eines
Funkens durchbrechen
zu können. Auf diese
Weise geprüft, erscheint demnach das eine Ende der Induktionsspule stets positiv, das andre stets negativ,
und man bezeichnet sie daher als entgegengesetzt elektrische
Pole. Jeden größern
Induktionsapparat, welcher
die Bestimmung hat, starke Spannungserscheinungen zu zeigen, nennt
man einen Funkeninduktor; derjenige von Ruhmkorff ist in
[* 13]
Fig. 4 dargestellt. Die Pole A und B sind mit den von Glassäulen isoliert
getragenen Klemmen C und D verbunden, in welche die Poldrähte eingeschraubt werden können; nähert man die Enden der Poldrähte
einander, so geht zwischen ihnen ein prasselnder Funkenstrom über, welcher demjenigen der Influenzmaschine
vollkommen gleicht. Verbindet man die Pole mit den beiden Belegen einer Leidener Flasche,
[* 14] so erhält man, wie bei der Influenzmaschine,
eine Reihe laut knallender Funken. Technisch hat der Funkeninduktor Anwendung gefunden zum gleichzeitigen Entzünden mehrerer
hintereinander eingeschalteter Minen und zum Herbeiführen der Gasexplosionen in der Lenoirschen Gaskraftmaschine.
[* 15] Über die prachtvollen Lichterscheinungen, welche seine Entladung in verdünnten Gasen hervorbringt, s. Geißlersche Röhre.
[* 16]
[* 18] ein von Hughes angegebenes Instrument zur Prüfung der Molekularkonstitution der Metalle, besteht aus
vier Rollen
[* 19] von je 100 m Drahtlänge, welche paarweise auf zwei vertikal stehende Röhren
[* 20] aus Karton gewunden
sind. Die beiden obern Rollen sind nebst einem auf dem Sockel einer Pendeluhr stehenden Mikrophon in den Schließungskreis einer
galvanischen Batterie eingeschaltet, die beiden untern sind mit einem Telephon verbunden. Die Drähte der Rollen sind so gewunden,
daß die Ströme der obern Rollen in den untern entgegengesetzt gerichtete Ströme induzieren, welche sich
aufheben und demnach im Telephon keinen Schall
[* 21] erregen.
Zwischen den beiden Kartonröhren, welche, um die gegenseitige Einwirkung der Rollenpaare auszuschließen, mindestens 1 m
voneinander abstehen, befindet sich ein Umschalter,
[* 22] welcher es möglich macht, den Strom nach Belieben durch ein Sonometer oder
durch die I. zu senden. Bringt man nun, nachdem der Apparat so reguliert ist, daß man im Telephon gar
nichts hört, in die eine der leeren Kartonröhren eine Metallscheibe von der Große und Dicke eines Markstücks, so hört
man das Ticken der Uhr
[* 23] im Telephon sehr stark, weil nun durch die in der Metallscheibe induzierten Ströme
das Gleichgewicht
[* 24] der durch das Telephon in entgegengesetzter Richtung kreisenden Ströme gestört wird.
Indem nun Hughes den Strom mittels des Umschalters nacheinander durch die I. und das Sonometer gehen ließ und letzteres so einstellte,
daß der Schall in beiden Fällen gleich stark gehört wurde, fand er, daß für das nämliche Metall bei
gleichen Dimensionen der abgelesene Sonometergrad konstant bleibt, und daß derselbe nur mit der chemischen und molekularen
Beschaffenheit des Metalls sich ändert. Die I. ist demnach ein äußerst empfindliches Instrument zur Prüfung der Molekularkonstitution
der Metalle.
Hughes erhielt für Scheiben verschiedener Metalle, welche alle dieselbe Gestalt und Größe hatten und in
derselben Lage in die Kartonröhre gebracht wurden, in Sonometergraden die folgenden Zahlen: chemisch reines Silber 125, Gold
[* 25] 117, Münzsilber 115, Kupfer
[* 26] 100, gewöhnliches Eisen 52, chemisch reines Eisen 45, Blei
[* 27] 38, Wismut 10, Retortenkohle 2. Die Empfindlichkeit
des Apparats ist so groß, daß man eine bereits gebrauchte Münze von einer ganz neuen und sehr leicht
eine falsche von einer echten unterscheiden kann. Bringt man nämlich die zu vergleichenden Stücke in die beiden Kartonröhren,
so wird der geringste Unterschied in ihrer
Beschaffenheit durch das Telephon gehört. Hughes wendet die I. auch ohne Einschaltung
des Sonometers an, indem er in die eine Röhre den zu untersuchenden Körper bringt und dessen Wirkung durch
einen in die andre Röhre einzuschiebenden keilförmigen Zinkstreifen, der mit einer Einteilung versehen ist, kompensiert.
Anfangsworte eines alten, halb deutsch, halb lateinisch geschriebenen Weihnachtsliedes, das früher dem
Petrus Dresdensis (gest. 1440) zugeschrieben wurde, in der That aber aus einer das Leben des Mystikers HeinrichSuso (gest. 1365)
enthaltenden Handschrift des 14. Jahrh. stammt (vgl.
Hoffmann v. Fallersleben, In dulci jubilo, Hannov. 1854).
der größte StromOstindiens hinsichtlich seiner Länge (3200
km), aber nicht seines Flußgebiets, das bei einem Umfang von 965,000 qkm (17,525 QM.) dem des Ganges gleichwohl wenig nachsteht.
Er entspringt nahe den
¶
mehr
Quellen des Satledsch und Sanpo unter 31° 4' nördl. Br. und 81° 25' östl. L. v. Gr. am Ostabhang des 6703 m
hohen Kailas Parbat als Singhgikamba, beschreibt einen weiten nach NO. gerichteten Bogen
[* 38] und nimmt in 4000 m Höhe den an Furten
reichen Gartung auf, dessen nordöstliche Richtung er nun verfolgt. Aus dem chinesischen Tibet ausgetreten,
durchströmt der I. die LandschaftenLadak und Baltistan in Kaschmir
[* 39] und wird dort nahe der Grenze durch die östlichen Eckpfeiler
des Hindukusch unter 74° 50' östl. L. in eine südwestliche Richtung gelenkt.
Der Durchbruch in einem unzugänglichen Querthal ist erst seit kurzer Zeit bekannt geworden. Bei 100 m
Breite,
[* 40] aber geringer Tiefe hat der Fluß schnellen Lauf, tritt bald auf indisches Gebiet über, empfängt bei Attok den einzigen
größern Nebenfluß von rechts, den Kabul, und wird nach seinem Durchbruch durch das Salzgebirge schiffbar, während vorher
sein Bett
[* 41] durch Felsenriffe gesperrt war. Erst 600 km südlicher vereinigt sich mit ihm der Pandschnad,
der Zusammenfluß der fünf Ströme Dschilam, Tschinab, Rawi, Bias und Satledsch, welche der ProvinzPandschab den Namen gegeben
haben.
Die beiden ersten nehmen ihren Ursprung in den innern ThälernKaschmirs und durchbrechen in kurzen Querthälern die vorgelagerten
Himalajaketten. Mit dem kürzern Rawi vereinigen sie sich oberhalb Multan zu einem Tschinab genannten Strom.
Der Bias, jetzt ein kurzer, aber wasserreicher Nebenfluß des Satledsch, lief früher dem Rawi parallel und ergoß sich erst
südlich von Multan in den Tschinab. Der Satledsch (s. d.) ist weitaus der bedeutendste Nebenfluß des I. Nachdem
der I., wie der Satledsch schon vorher, die Südostgrenze der ProvinzPandschab gebildet hat, tritt er in
die nach ihm benannte Provinz Sind und nimmt bald darauf eine südliche Richtung an, die er fortan beibehält; seine Wassermenge
und damit die Breite seines Flußbettes schrumpfen nun aber ganz außerordentlich zusammen.
Hochwasser treten zweimal im Jahr ein: infolge der Schneeschmelze Anfang März langsam und regelmäßig,
und zur Zeit der Sommerregen schnell und unregelmäßig. Bei Attok beträgt der Hochwasserstand des I. 15 m über dem niedrigsten
Wasserstand (mit einer Geschwindigkeit von 20 km in der Stunde), bei Mari nur noch 5 m, bei den übrigen Flüssen innerhalb der
Ebene 3-4½ m. Bei niedrigem Stand führt er in der Sekunde 2600 cbm, der doppelt so breite, aber viel seichtere
und langsamere Pandschnad nur 1950 cbm; nach beider Vereinigung führt der I. bei Hochwasser 10,800 cbm. Der Gehalt des letztern
an Schlamm und feinem Sand (kleinere Rollsteine findet man schon 8 km unterhalb Kalabagh nicht mehr) beträgt
zur Hochwasserzeit1/229 des Gewichts oder 1/410 des Volumens, bei Niedrigwasser 1/588, bez. 1/1034. Im Lauf desJahrs werden 124 Mill.
cbm fester Stoffe ins Meer geführt, genug, um eine Fläche von 180 qkm meterhoch zu bedecken.
Das Gefälle des I. ist im obern Lauf sehr stark, im untern ganz unbedeutend; auf das Kilometer fällt er
von der Quelle
[* 42] bis Skardo (970 km) 4,55 m, bis Attok (700 km) 3,22, bis Kalabagh (180 km) 0,79, bis Mittankot
(600 km) 0,19 und bis zur Mündung (760 m) nur 0,09 m.
Die periodischen Überschwemmungen erzeugen zu beiden Seiten des Laufs einen schmalen, im O. von der indischen
Wüste eingeengten Kulturstreifen, der noch durch die zahlreichen Bewässerungsanlagen an seinen Ufern erweitert wird.
Diese entziehen aber dem I. und seinen Nebenflüssen viel Wasser; es ist auch sicher, daß der Wasserreichtum des Flusses infolge
der Ausläufe
von Gletscherseen und verminderter Niederschläge gegen früher bedeutend abgenommen hat.
Ein ehemaliger großer östlicher Nebenfluß, der Ghaggan, dessen breites Bett noch deutlich erkennbar ist, erreicht den I.
längst nicht mehr, und sein unteres Gebiet ist bereits gänzlich von der Wüste verschlungen. Oberhalb Schikarpur zweigt sich
der Narra-Arm ab, wahrscheinlich das frühere Bett des I. selber, der im jetzigen Rann von Katsch seine Mündung
hatte; indessen ist dieser Arm, dessen mittlerm Lauf der Mithrunkanal folgt, nur zu Zeiten großer Hochfluten auf der ganzen
Strecke vom I. bis zur Mündung mit Wasser gefüllt.
Bei Haidarabad, 150 km vom Meer, beginnt das ausgedehnte Delta
[* 43] des I., das 200 km der Küste und 8000 qkm
umfaßt. Die Zahl der Mündungsarme ist eine sehr große und ihre Wassermenge außerordentlichem Wechsel unterworfen. Gegenwärtig
ist der unter 24° 6' nördl. Br. und 67° 22' östl. L. v. Gr. ausmündende Hadjamro
der bedeutendste; doch gestattet keiner derselben Seeschiffen den Zugang, ein großes Hindernis für
den Verkehr, da der I. von Tatta im Delta bis Multan von Dampfern befahren werden kann.
Als Hafen des I. ist daher Karatschi anzusehen, von wo eine Eisenbahn den Fluß aufwärts und in mehreren Zweigen durch das Pandschab
zieht; doch ist der Fluß nur an einer Stelle überbrückt und zwar bei Attok durch eine Schiffbrücke, die
aber bei Hochwasser während 4-5 Monaten abgefahren wird. Dampfer verkehren auf dem I. seit 1835, und 1859 wurde die Indus-Dampfschiffahrtsgesellschaft
gegründet, welche 14 Personenschiffe und 43 Barken besitzt. Der Handel auf dem I. ist indes unbedeutend, auch liegen keine
wichtigen Handelsstädte an seinen Ufern.
die hautartige Hülle auf den Blättern vieler Farne,
[* 45] welche die Sporangienhaufen als verschieden
gestaltete Schuppe oder von unten in Form einer muschelförmigen Klappe oder eines Bechers umfaßt (s. Farne, S. 51).
(lat. Industria, »Fleiß, Betriebsamkeit«).
Bezüglich des Wortes I. besteht ein verschiedener Sprachgebrauch. Im weitesten Sinn ist I. gleichbedeutend
mit Gewerbe im engern Sinn und diejenige Produktion, deren Gegenstand die Bearbeitung von Rohstoffen ist, um aus ihnen (durch
Verbindung, Trennung, Formveränderung) Güter von höherm Wert herzustellen. Die I. in diesem Sinn steht koordiniert neben
der Urproduktion (Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Fischerei,
[* 46] Jagd, Bergbau
[* 47] und andrer Gewinnung roher Naturstoffe),
dem Handel, dem Transportwesen, der Versicherung und den persönlichen Dienstleistungen. Im engern Sinn bildet I. den Gegensatz
zum Handwerk (s. d.) und umfaßt einerseits die Fabrikindustrie, die gewerbliche
Produktion in Fabriken (s. d.), anderseits die Hausindustrie, diejenige gewerbliche Produktion, bei welcher die Arbeiter in ihren
eignen Räumen für größere Unternehmer neue Gewerbsprodukte des Massenkonsums herstellen (s. Fabriken).
Im engsten Sinn ist I. die gewerbliche Produktion in Fabriken.
Auf dem verschiedenen Maß, in welchem diesen Bedingungen Genüge geleistet wird, beruht die örtliche industrielle Arbeitsteilung,
welche um so mehr Platz greifen kann, je weniger bei guter Entwickelung des Verkehrswesens der freie Wettbewerb beschränkt
wird. Von der natürlichen Beschaffenheit des Landes sind zuvörderst die Rohstoffe abhängig, welche der Verarbeitung zu
Gebote stehen; dann ist dieselbe aber auch insofern von Wichtigkeit, als das Vorhandensein von Wasserkräften und Brennmaterialien,
namentlich Steinkohlen, diesem wirksamsten Hebel
[* 49] der I. sich lediglich nach ihr richtet; endlich kommt dieselbe auch noch in der
Hinsicht in Betracht, daß Ackerbau und Viehzucht
[* 50] durch sie bedingt sind, deren Ertrag wieder die Menge der
ohne Zufuhr von außen zu ernährenden Arbeiter sowie die Preise der Lebensmittel bestimmt und also auch für die Höhe der
Arbeitslöhne maßgebend ist.
Die Bevölkerungsverhältnisse eines Landes sind für die I. von Bedeutung, weil nach ihnen sich bestimmt, wieviel Arbeitskräfte
der I. überlassen werden können, resp. dürfen, ohne daß der Landwirtschaft dadurch Eintrag geschieht,
die Entwickelung der I. aber von der Menge der ihr zu Gebote stehenden Arbeitskräfte vornehmlich abhängt. Die allgemeine und
ökonomische Bildungsstufe, auf welcher eine Bevölkerung
[* 51] steht, wird zu einer Lebensbedingung der I., weil von ihr einerseits
die Arbeitsfähigkeit der industriellen Arbeiter und damit auch die Güte der industriellen Erzeugnisse
abhängt, anderseits der gewohnte Unterhaltsbedarf der Arbeiter, welcher bei der Bildung der Lohnhöhe einer der wichtigsten
Faktoren ist.
Die Handelsbeziehungen zum Ausland bedingen die I. eines Landes in hohem Grad, einmal, weil durch sie die Möglichkeit gegeben
ist, Rohstoffe andrer Länder, welche mit Vorteil verarbeitet werden können, wie z. B.
die Baumwolle
[* 52] und Seide
[* 53] in Deutschland,
[* 54] von außen zu beziehen, und dann, insofern sie es ermöglichen, die über den eignen
Bedarf hinaus erzeugten Fabrikate mit Gewinn ins Ausland abzusetzen. Hierbei ist aber nicht zu übersehen, daß die Verarbeitung
ausländischer Rohstoffe und die industrielle Produktion über den eignen Bedarf hinaus auch manche Gefahren
im Gefolge hat, indem sowohl der Einkauf der erstern als der Absatz der überschüssigen Fabrikate durch Krieg und sonstige Krisen
bedeutende Störungen erleiden und hierdurch das Wohl des Volkes um so mehr benachteiligt werden kann, als eine schwunghaft
betriebene I. auch eine rasche Zunahme der Bevölkerung, selbst in Ländern von geringer Fruchtbarkeit,
zur Folge hat.
Der Absatz der überschüssigen Fabrikate nach dem Ausland kann außer durch Krieg auch durch Änderungen in der Zollpolitik fremder
Staaten sowie durch neuentstandene Konkurrenz andrer Völker geschmälert werden; doch lassen sich dadurch herbeigeführte Störungen
in der Regel leichter überwinden, wenn der Handel mit dem Ausland bereits hoch entwickelt ist, und besonders,
wenn demselben eine bedeutende Handelsflotte zu Hilfe kommt, die den Verkehr mit den entferntesten Gegenden der Erde möglich
macht.
Auch hat die Erfahrung mehrfach bewiesen, daß, wo ein reges industrielles Leben herrscht, leicht neue Erwerbszweige aufgefunden
werden, welche den Abgang oder die Schmälerung eines ältern ersetzen. Je höher entwickelt und vielseitiger
die I. eines Landes ist, desto leichter wird sie Störungen überwinden, die einen einzelnen Zweig treffen; Länder, die ausschließlich
auf den Ackerbau angewiesen sind, bleiben zwar selbstverständlich von industriellen Krisen verschont, leiden aber desto schwerer
unter den Folgen des Mißwachses.
Eine
unentbehrliche Grundlage und ein wesentliches Erfordernis jedes Industriebetriebs ist das Kapital; jede industrielle
Unternehmung bedarf eines stehenden Kapitals für Herstellung der Baulichkeiten, Beschaffung der Werkzeuge,
[* 55] Maschinen und eines
umlaufenden Kapitals, d. h. eines bis zum Eingehen des Erlöses für die verkauften Fabrikate zu leistenden Vorschusses, und
nur, wo die nötigen Geld- oder Kapitalkräfte vorhanden sind und der I. zu Gebote stehen, wo mithin auf der Grundlage natürlicher
Produktion, also durch Ackerbau, Viehzucht etc., schon ein gewisses Maß von Wohlstand geschaffen ist, kann industrielles Leben
sich gedeihlich und für das Ganze ersprießlich entwickeln.
Von der höchsten Wichtigkeit endlich für die Entstehung und Ausdehnung
[* 56] der I. und für ihre Konkurrenzkraft
auf dem Weltmarkt sind die Zustände des Transportwesens (namentlich der Eisenbahnen, Kanäle, der Seeschiffahrt) und die Organisation
des Kreditwesens. Die I. im engern Sinn kann daher nur bei Völkern, die auf der höchsten Wirtschaftsstufe stehen, zu einer
großen Ausdehnung und zu einer ihre Gesamtproduktion und ihren gesamten Verkehr beherrschenden Stellung
gelangen. In betreff der nationalen Konkurrenz, der Konkurrenz zwischen gleichartigen Industriezweigen eines und desselben
Landes oder Volkes, gilt im wesentlichen das über den Wettbewerb zwischen Völkern und Ländern Gesagte; auch hier geben günstige
lokale Verhältnisse in dem oben angedeuteten Umfang, größere Intelligenz, höhere Kultur, größere Arbeitsfähigkeit
der Arbeiterbevölkerung, weiter verzweigte Geschäftsverbindungen, größeres Kapital dem einen inländischen Industriellen
den Vorrang vor dem andern.
Die Frage, ob der Staat durch Errichtung und Betreibung industrieller Etablissements mit seinen Angehörigen konkurrieren solle,
was in anbetracht der großen ihm zu Gebote stehenden Hilfsmittel und der ihm zukommenden Autorität große
Erfolge zu sichern scheinen möchte, muß für die Kulturvölker der Gegenwart im allgemeinen verneint werden. Früher, als
die Fabrikindustrie erst im Entstehen war und es für die Gründung und den Betrieb von größern privaten Unternehmungen an
geeigneten Unternehmerkräften, Kapitalien und ausgebildeten Arbeitern fehlte, konnte es mit Recht als
eine Aufgabe der Staatsgewalt hingestellt werden, durch Gründung von Staatsunternehmungen neue Industriezweige im Land einzuführen
oder schon bestehende zu sicherer Blüte
[* 57] zu bringen, sie insbesondere dem Ausland gegenüber konkurrenzfähig und zu Exportgewerben
zu machen, und zahlreiche Staaten des europäischen Kontinents haben auch in der That in durchaus rationeller
Politik seit dem 17. Jahrh., namentlich im 18., Staatsunternehmungen, besonders kunstgewerbliche,
gegründet.
Solche Unternehmungen waren Muster- und Erziehungsanstalten. Aber heute fehlt es bei den Kulturvölkern weder an Unternehmerkräften,
noch an Kapital, noch an Arbeitern, um private Unternehmungen, auch die größten, zu gründen und erfolgreich zu betreiben;
die I. bedarf nicht mehr des frühern Erziehungsmittels. Gegen staatliche Unternehmungen dieser Art, die
mit privaten konkurrieren, spricht im allgemeinen, daß sie in der Regel teurer produzieren und den Bedürfnissen und Wünschen
der Konsumenten weniger entsprechen und daher in freier Konkurrenz bei richtigem Betrieb und bei richtiger Bilanzaufstellung
gar nicht mit privaten konkurrieren können. Dagegen ist die Herstellung industrieller Produkte, welche
für die Staatswirtschaft gebraucht werden, in Staatswerkstätten und -Fabriken volks- und
¶
mehr
staatswirtschaftlich gerechtfertigt, wenn der Staat die Produkte auf diese Weise billiger oder besser dem Bedarf entsprechend
erhalten oder wenn er nur so auf die sichere Befriedigung seines Bedarfs rechnen kann.
Vgl. Haushofer, Der Industriebetrieb
(Stuttg. 1874);
Bourcart, Die Grundsätze der Industrieverwaltung (Zür. 1874);
Arbeiterfrage.Die i. A. ist die soziale Frage für die im gewerblichen Großbetrieb (Fabriken, Salinen, Berg-
und Hüttenwerke, größere Hausindustrielle und Handwerksunternehmungen) beschäftigten Lohnarbeiter, somit ein Teil der
oft schlechthin als »soziale Frage« bezeichneten Arbeiterfrage (s. d.). Die besondere Behandlung derselben
an dieser Stelle wird sich nur auf eine Charakterisierung der verschiedenen reformbedürftigen Mißstände wirtschaftlicher
und moralischer Natur und der zu ihrer Beseitigung geeigneten Maßregeln erstrecken.
Dieselben können zunächst darin bestehen, daß das Einkommen dieser Klassen, welches fast ausschließlich Arbeitseinkommen
(vgl. Arbeitslohn) ist, nicht genügend sichergestellt ist (Verschiebungen in der Produktion, Änderungen
in Technik und Verkehr, Erfindungen, Krisen, welche Arbeiter entbehrlich machen; Gefahr der Erkrankung für Arbeiter, infolge deren
der Verdienst auf einige Zeit in Wegfall kommt, etc.), daß dasselbe nicht zureicht, um den der errungenen Kulturstufe entsprechenden
notwendigen Lebensbedarf zu decken, und daß es keine Aussicht auf Steigerung bietet.
Das thatsächliche Einkommen der Lohnarbeiter ist außerordentlich verschieden. Unzweifelhaft reicht bei vielen Arbeiterklassen
der Lohn hin, um bei sparsamer und wirtschaftlicher Lebensweise ein wirkliches Kulturleben und oft auch noch die Ansammlung
von Ersparnissen zu ermöglichen. Es ist vielfach höher als das von kleinen Handwerkern und Beamten.
Doch gibt es in fast allen Industriezweigen auch Arbeiter, deren Lohn bei einer mittelstarken Familie nur gerade die Befriedigung
der dringendsten Bedürfnisse in dürftigster Weise, bei starker Familie aber nicht einmal diese gestattet; es ist dies die
Klasse der sogen. mechanischen, der ungelernten Lohnarbeiter, des eigentlichen
Proletariats.
Nur für sie gilt das sogen. eherne Lohngesetz, welches von den meisten Sozialisten fälschlich als für alle Lohnarbeiter
bestehend behauptet wird (vgl. Arbeitslohn). Doch liegt die Ursache der Unzulänglichkeit des Lohns nicht darin, daß letzterer
durch freien Vertrag bestimmt wird, sondern sie liegt einerseits in der geringen Arbeitsfähigkeit dieser
Personen, anderseits darin, daß in der Regel infolge übermäßiger Volksvermehrung ein Mehrangebot von Arbeitskräften vorhanden
ist und nun diese Arbeiter durch ihre eigne Konkurrenz den Lohn herabdrücken. In andern Klassen wird das geringe Einkommen nur
bei besonders kinderreichen Familien zum
Übelstand. In beiden Fällen sind die Bedrängten an den ungünstigen
Einkommensverhältnissen nicht schuldlos.
Einzelne Arbeiter können sich wohl zu Unternehmern emporschwingen (Krupp, Borsig etc.), auch kann ein kleiner Teil zu den bessern
und einträglichern Stellungen eines Vorarbeiters, Aufsehers, Meisters in den Fabriken gelangen. Doch hat der bei weitem größere
Teil der industriellen Arbeiter schon frühzeitig die höchste Stufe des Einkommens erreicht und keine Aussicht,
ein höheres zu erlangen. Nun kann aber bei eintretender Arbeitsunfähigkeit (Krankheit, Alter, Tod) das Einkommen ganz in Wegfall
kommen, wenn nicht die Arbeiter, bez. ihre Familien dagegen durch Unterstützungskassen, Versicherungsanstalten oder sonst
(Invalidenversorgung) geschützt sind.
Endlich ist hervorzuheben, daß isolierte, d. h. nicht in Gewerkvereinen organisierte, Lohnarbeiter in der
Regel von den vorübergehenden günstigen Konjunkturen aus dem Produktenmarkt ihres Industriezweigs keinen Vorteil haben, unter
den ungünstigen aber mit leiden.
Vgl. über thatsächliche Löhne unter andern: Ducpétiaux, Budgets économiques des classes
ouvrières en Belgique (Par. 1855);
Weitere Übelstände können darin bestehen, daß auf Kosten von Gesundheit und Sittlichkeit die Arbeitszeit
zu lange bemessen ist und keine genügenden Ruhetage (Sonntage) gewährt werden. Zwar ist je nach der Art der Arbeit und der
Anstrengung die berechtigte Grenze der Arbeitszeit verschieden für die verschiedenen Arbeiterklassen, doch dürfte im allgemeinen
bei eigentlicher Fabrik- und Bergwerksarbeit die Forderung einer zehnstündigen wirklichen Arbeit, also
eines nur zwölfstündigen Arbeitstags (zwei Stunden Ruhepausen), nicht unbillig sein.
Sonntagsarbeit sollte nur da stattfinden, wo die Technik einen ununterbrochenen Betrieb erheischt, und hier auch nur in der
Weise, daß ein regelmäßiger Schichtwechsel vor sich geht und die Arbeiter nur einen Sonntag um den andern
arbeiten. Gesetzgebung (über Kinder- und Frauenarbeit), Agitation der Arbeiter (Gewerkvereine) und humanitäre Bestrebungen haben
zwar schon manche Besserung erzielt, doch ist die Arbeit noch nicht überall in wünschenswerter Weise geregelt. In Deutschland
ist die Regel eine zehn- bis elfstündige wirkliche Arbeitszeit, in der Textilindustrie steigt sie nicht
selten bis 12 und 13 Stunden, und regelmäßige Sonntagsarbeit besteht auch noch vielfach da, wo die Technik sie nicht gebieten
würde.
Auch Nachtarbeit sollte nur da stattfinden, wo sie aus technischen Gründen unentbehrlich ist, und dann mit regelmäßigem
Schichtwechsel, so daß die Nachtarbeiter einer Woche die Tagarbeiter in der nächsten sind. Die Art der
Beschäftigung kann Sittlichkeit, Gesundheit und Leben gefährden, indem die Arbeit allzu eintönig und einförmig ist, in ungesunden
Räumen unter Einatmung schädlicher Stoffe, ohne genügende Sicherung gegen gefährliche Maschinen etc. stattfindet (s. Gewerbekrankheiten)
oder auch männliche und weibliche Arbeiter, Erwachsene und Kinder zusammen arbeiten.
findet sich unter anderm in den angeführten Werken von Engels und Marx, in den Berichten der englischen Fabrikinspektoren und
der großen Enquetekommissionen;
vgl. fernerL.Faucher, Études sur l'Angleterre (2. Aufl., Par. 1856, 2 Bde.);
Viele Lohnarbeiter,
insbesondere solche, welche keinem Arbeiterverband angehören, befinden sich trotz Freizügigkeit, Freiheit des Arbeitsvertrags
in einer Abhängigkeit von ihren Arbeitgebern, die schädlich auf Lohnhöhe, Arbeitszeit, Art der Arbeit
und persönliche Behandlung einwirkt. Hauptursache derselben sind Einseitigkeit der Ausbildung, die Abgelegenheit einer Fabrik
oder eines Bergwerks von andern Unternehmungen, in denen der Arbeiter Beschäftigung suchen könnte, Mangel an Zeit, andre Arbeit
zu suchen, Gebundenheit an einen Ort durch Land- oder Hausbesitz.
Für Verbesserung der Arbeiterwohnungen (s. d.) ist zwar in neuerer Zeit viel geschehen, aber trotzdem
entspricht eine große Zahl, wenn nicht die Mehrzahl derselben keineswegs den im Interesse der Gesundheit und Sittlichkeit an
sie zu stellenden Anforderungen. Gerade die Wohnungsfrage ist noch wichtiger als die Lohnfrage, indem viele
Übelstände (große Sterblichkeit, Unsittlichkeit etc.) dadurch verursacht werden, daß die Wohnungen ungesund, schmutzig
und zu klein sind.
Die Arbeiter sind meist genötigt, ihren Lebensbedarf im kleinen bei Krämern einzukaufen; dabei müssen sie oft höhere Preise,
noch dazu gewöhnlich für schlechtere Ware, zahlen. Früher hielten auch wohl Unternehmer oder deren
Aufseher solche Kramläden und verpflichteten ihre Arbeiter, in denselben die Waren zu kaufen. Leider ist diese Maßregel häufig
zu einem Mittel der Ausbeutung geworden, indem den Arbeitern schlechte Waren zu hohem Preis verkauft wurden (Trucksystem).
Zu unterscheiden sind solche, welche bei verheirateten Arbeitern, bei männlichen Arbeitern überhaupt
und bei unverheirateten weiblichen Arbeitern vorkommen. Bei verheirateten Arbeitern stehen Häuslichkeit und Familienleben
oft im Widerspruch mit den Forderungen von Sittlichkeit und Kultur. Die Ursache hiervon liegt häufig in Unzulänglichkeit des
Einkommens oder übermäßiger Ausdehnung der Arbeitszeit der Familienväter; aber nicht selten wirken doch auch andre Ursachen
mit, wie frühe leichtsinnige Eheschließungen, Mangel des Bewußtseins der sittlichen Pflichten der Eheleute
und Eltern, Unwirtschaftlichkeit der Frauen und Unfähigkeit derselben, dem Mann ein ordentliches, behagliches Hauswesen zu
bereiten, regelmäßige Erwerbsthätigkeit der Frau außerhalb der Wohnung etc. Ein schwerwiegender Übelstand beruht darin,
daß die Kinderzahl diejenige Grenze übersteigt, welche Kultur und Lohnhöhe gestatten.
Folge hiervon ist eine beklagenswerte Ausbeutung der Arbeitskraft der armen Kinder, große Kindersterblichkeit, häufige Krankheiten
und frühzeitiger Tod
der Frauen, dann aber auch der Nachteil, daß jede dauernde Steigerung des Lohns über eine Höhe, bei der
nur gerade der notwendige Lebensbedarf für die Durchschnittsfamilie notdürftig gedeckt wird, erschwert oder gar
unmöglich gemacht wird. Dazu gesellt sich die mangelhafte Ausbildung der Kinder. Die Schule allein reicht für die Ausbildung
meist nicht hin.
Der Familie fällt insbesondere die Pflege der sittlichen Eigenschaften als wesentliche Aufgabe zu. Diese wird aber leider nur
zu oft in ungenügender Weise erfüllt, ja es wird häufig noch verdorben, was Schule und kirchlicher Einfluß
Gutes geschaffen.
Vgl. darüber namentlich die englischen Enqueten: »Childrens Employment Commission« (first report: »Mines«,
1862, 3 Bde.; second report, 1843, 3 Bde.);
»Agriculture, Employment of women and children« (4 reports, 1867-70).
Auch der Mangel an Gelegenheit und Fähigkeit zu einer das Leben verschönernden Erholung und weitern
Ausbildung in den freien Stunden ist oft zu beklagen und ein für die ganze Existenz dieser Klassen schwer ins Gewicht fallender
Übelstand.
Bei männlichen Arbeitern überhaupt, verheirateten wie unverheirateten, finden sich oft unter andern als unmoralische Erscheinungen:
geringer Arbeitsfleiß, Unwirtschaftlichkeit, Mangel an Sparsinn, wo das Einkommenan sich ein Sparen gestatten
würde, geringer Trieb zu besserer Ausbildung etc.;
eine feindselige bis zu fanatischem Hasse sich steigernde Gesinnung gegen
die besitzenden Klassen und Mißtrauen, auch gegen uneigennützige, humane Reformmaßregeln;
Bei unverheirateten Arbeiterinnen kommen außer einer inhumanen Arbeitszeit und Arbeitsart in Betracht einerseits die mangelnde
Gelegenheit, sich in den freien Stunden die für ihren künftigen Beruf als Hausfrauen notwendigen Eigenschaften und Fähigkeiten
anzueignen, anderseits eine weitverbreitete geschlechtliche Unsittlichkeit, welche ihre Gesundheit schädigt, uneheliche Geburten
herbeiführt und das künftige Familienleben gefährdet. Befördert wird dieselbe nicht selten durch
die Art ihrer Beschäftigung (unkontrollierter Verkehr mit männlichen Arbeitern), durch die Art ihrer Schlafstellen etc.
Doch wäre es verfehlt, nur gegen die arbeitende Klasse allein Vorwürfe zu erheben; auch die Arbeitgeber und besser situierten
Gesellschaftsklassen lassen sich schwere Sünden zu schulden kommen, so, wenn erstere ihr Verhältnis zu
ihren Arbeitern nur als ein rein juristisches Vertragsverhältnis und nicht zugleich als ein moralisches auffassen, wenn
sie sich begnügen, ihre vertragsmäßigen Verpflichtungen zu erfüllen, ohne sich weiter um die soziale Lage ihrer Arbeiter
zu bekümmern und an der Hebung
[* 65] ihrer Lage mitzuwirken.
Der Mißstand wird viel größer, wenn die Unternehmer in rücksichtsloser Weise ihre Arbeiter nur als
Produktionsmittel ausbeuten, dieselben geringschätzig behandeln und ihnen überdies durch eigne Unsittlichkeit und Unwirtschaftlichkeit
ein schlechtes Beispiel geben. Die höhern Klassen sollten sich dessen bewußt sein, daß sie im eignen Interesse handeln, wenn
sie auch für die untern Klassen besorgt sind, und daß ohne ihre Mitwirkung keine genügende Besserung
in der Lage der letztern zu erzielen ist. Nur wenn jene Klassen von dieser Pflicht erfüllt handeln, kann die soziale Reform
gelingen.
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