freiem Entschluß oder durch fremde
Stiftung. Die freiwillige
Hierodulie bei den Griechen ist wahrscheinlich durch orientalischen
Einfluß entstanden. Im
Orient waren die Hiërodulen
Knechte,
Diener derPriester, welche den um einen
Tempel
[* 2] gelegenen heiligen
Boden bebauten
und von dem
ErtragPriester und Heiligtum zu erhalten, ferner die niedern
Dienste
[* 3] des
Tempels und des
Kultus
zu verrichten hatten oder die
Musik und den
Gesang bei den
Opfern besorgten. Die weiblichen Hiërodulen gaben sich an einzelnen
Orten
den Tempelbesuchern gegen ein der
Gottheit dargebrachtes
Geschenk preis.
Strabon erwähnt einen Hierodulenstaat zu
Komana in
Kappadokien, den mehr als 6000 für den
Priester eines
mit weiten Ländereien ausgestatteten
Tempels arbeitende Hiërodulen bildeten. Das Heiligtum der
Venus Erycina in
Sizilien
[* 4] hatte von
alters her weibliche und wurde von
Jungfrauen verwaltet. In
Hellas durften Tänzerinnen und Buhldirnen im allgemeinen nicht
als Hiërodulen fungieren; speziell in
Korinth
[* 5] aber waren die Hiërodulen zugleich
Hetären und entrichteten von ihrem
Gewerbe
der
Göttin eine
Steuer.
Schenkungen von Hiërodulen, vorzüglich nach
Delphi, werden häufig erwähnt.
Kriegsgefangene, welche als Hiërodulen dem
Schutz der
Götter anheimfielen, hatten ihr
Los nicht zu beklagen. Ein uralter Hierodulenstaat, der selbst dem Feind als unverletzlich
galt, war auf
Delos; andre dergleichen
Institute fanden sich zuDelphi,
Dodona,
Eleusis,
Ephesos
[* 6] u. a. O.
Bezeichnung der Bilderschrift, deren sich die alten
Ägypter fast 4000 Jahre hindurch zur Aufzeichnung namentlich religiöser
Texte bedienten. Die Anfänge dieser
Schrift fallen
mit den Anfängen der ägyptischen Geschichte zusammen, und erst in der zweiten Hälfte des 3. Jahrh.
n. Chr. machte die merkwürdigste und älteste aller
Schriften in
Ägypten
[* 7] der koptischen Platz, welche als die christliche
Schrift das griechische
Alphabet gebraucht.
KaiserDecius (gest. 251) ist der letzte römisch-ägyptische König, dessen
Namen
wir in den Hiëroglyphen finden. Das
Material an hieroglyphischen
Schriften ist ein so unendlich reiches, daß das
Studium derselben mit den darauf gegründeten historischen, chronologischen und geographischen Forschungen eine eigne,
umfangreiche
Wissenschaft ausmacht: die Ägyptologie.
Die Hiëroglyphen sind entweder eingeschnitten, sei es einfach oder als sehr flaches
Relief ausgearbeitet, bald mit
größerer, bald mit geringer Sorgfalt in der Ausführung, oder sie sind gemalt und dann mitunter in verschiedenen
Farben,
von welcher Art künstlerischer
Arbeit das
Grab Setis I. in
Bibán el Meluk ein wahrhaft bewunderungswürdiges
Beispiel ist.
Figuren, die nur in
Umrissen gezeichnet sind, heißen lineare; dieser Art pflegen die zu sein, welche in
Publikationen von
Texten und ägyptologischen
Schriften gebraucht werden.
Die
Denkmäler der ältesten Zeit, der Pyramidenzeit, zeigen uns die Hiëroglyphen von hervorragender
Schönheit; die eigentliche
Blütezeit
des ägyptischen Schriftwesens fällt aber unter die 18. Dynastie, um 1600
v. Chr. Danach sank die
Kunst
allmählich, hatte eine neue
Blüte
[* 32] im
Zeitalter der
Psammetiche und verfiel wieder, bis sie endlich ganz erlosch. Die Ägypter
schrieben auf
Stein,
Holz
[* 33] und
Papyrus;
Neben der Hieroglyphenschrift bestand bei den alten Ägyptern eine Kurrentschrift, die sich zu jener verhält wie unser Geschriebenes
zum Gedruckten; man nennt sie nach den alten Schriftstellern die
hieratische Schrift, d. h. Priesterschrift
(welcher
Name aber nicht genau zu nehmen ist, da das
Hieratische die eigentliche im alten
Ägypten übliche und in den
Papyrus
vorwaltend angewandte
Schrift ist), von welcher fast die ganze zivilisierte
Welt ihre
Schrift ableitet. Denn nach der
ägyptischen
Schrift, wie de
Rouge ziemlich überzeugend nachwies, bildeten die Phöniker ihr
Alphabet; von den Phönikern nahmen
es die Griechen, von den Griechen die
Römer,
[* 45] von den
Römern fast ganz
Europa
[* 46] an. Unser a z. B. ist schließlich nur die zusammengeschrumpfte
Gestalt eines
Adlers, d. h.
¶
mehr
eines ägyptischen a, entstanden aus dem griechischen α, phönikisch ^[img], hieratisch ^[img], hieroglyphisch ^[img]; ähnlich
ist es mit den übrigen Buchstaben. Eine weitere Verkürzung der hieroglyphischen Schrift bildet die etwa im 8. Jahrh. v. Chr.
aufgekommene enchorische (wie sie Herodot nennt) oder demotische Schrift (wie sie Clemens von Alexandria nennt). Zunächst
für den alltäglichen Verkehr bestimmt, daher auch wohl epistolographische Schrift genannt, ist diese Schreibart noch verkürzter,
flüchtiger und schwieriger als die hieratische; aber auch die Sprache,
[* 48] welche mit ihr geschrieben wurde, ist nicht mehr das
Altägyptische, sondern ein Volksdialekt, der zwischen jenem und dem Koptischen in der Mitte steht.
Wenigstens wird in altägyptischen Schriften der Handwerker und Bauern kaum gedacht. Wir lesen wohl die
hochtönenden Titel der Könige, die tapfern Thaten der Kriegsmänner, die vielen Würden und Verdienste der Priester; aber von der
niedern Volksklasse ist weder in den Gräbern noch in den Tempeln die Rede. Als daher die phantastische Götterlehre der alten
Ägypter, an welcher griechische Philosophie noch in letzter Stunde auszubessern versuchte, vor dem Anprall
des Christentums ohnmächtig zusammenbrach, da war es auch mit den Hierogrammaten zu Ende; die mystische Wissenschaft, mit welcher
sie umgingen, wurde verachtet, ihre lange gepflegte Kunst war nutzlos geworden und wurde rasch vergessen.
Die alten Schriftsteller, welche über Ägypten geschrieben haben, konnten sich nur unvollkommene Auskunft
verschaffen, haben auch ihre ägyptischen Quellen mitunter durch Gräzisierung getrübt. Bei Herodot, Diodoros von Sizilien
und Plutarch in dem wertvollen Traktat »De Iside et Osiride« sowie in den »Stromata« des Clemens von Alexandria finden sich
manche Winke über das hieroglyphische Schriftsystem, aber keiner ist auf dasselbe näher eingegangen.
Nach ihnen unternahm es ein gewisser Horapollon (Horos
[* 49] Apollon),
[* 50] ein eignes Werk über die Hiëroglyphen in ägyptischer Sprache abzufassen,
das uns in einer griechischen Übersetzung erhalten ist.
Gerade diese Schrift hat aber die Veranlassung zu einer unrichtigen Deutung der Hiëroglyphen gegeben, weil sie dieselben als
reine Bilderschrift, in der jedes einzelne Zeichen einen selbständigen Begriff darstelle, betrachtet
wissen wollte und daher die wunderlichsten Erklärungen einzelner Schriftbilder gab. Die Angaben des Horapollon beruhen auf
einem Schriftsystem, das in später Ptolemäischer
[* 51] Zeit vielfache Anwendung fand, und das man um seiner Gesuchtheit und Kompliziertheit
willen das änigmatische genannt hat.
Ein tiefer Kenner der spätern Hieroglyphenschrift findet viele von Horapollons Deutungen bestätigt;
für die Entzifferung und Erklärung sind sie aber fast ganz unfruchtbar. Der letzte klassische Schriftsteller, welcher über
die Hieroglyphenschrift Auskunft gibt, ist Ammianus Marcellinus (4. Jahrh. n. Chr.), welcher in seinem Geschichtswerk (XVII,
4) die von einem ägyptischen Priester herrührende Übersetzung der Inschrift des Obelisken gibt, welchen
Konstantin nach Rom hat bringen lassen. Infolge des Eindringens des Christentums verlor sich das Verständnis der Hieroglyphenschrift
immer mehr, und mit dem letzten ägyptischen Götzenpriester ward der lange bewahrte Schlüssel dieser Schrift zu Grabe getragen.
Was nun die Entzifferung der Hieroglyphenschrift betrifft, welche nach Verlauf eines Jahrtausends von
neuern Kulturvölkern wieder aufgenommen ward, so ging die Meinung der meisten frühern Gelehrten dahin, daß jene Schrift
für Bilderschrift und symbolische Schrift zu halten sei. Da es aber an jeder festen Grundlage für die Erklärung der einzelnen
Zeichen fehlte, so überließ sich jeder seiner mehr oder minder besonnenen Phantasie, und je mehr Erklärer
endlich seit der ersten Hälfte des 17. Jahrh. aufstanden, um so viel größer wurde die Zahl
der willkürlichen Annahmen und Hypothesen. Zu den ersten Erklärern dieser Art gehören Pierius Valerius (»Hieroglyphica«,
Leid. 1629) und Michel Mercati (»Degli obelischi di Roma«,
[* 52] Rom 1589). AthanasiusKircher (»Obeliscus pamphilius«,
Rom 1650, und »Oedipus aegyptiacus«, das.
1652-54, 3 Bde.) hinterließ Foliobände von Übersetzungen ägyptischer
Inschriften; da er aber in engem Anschluß an Horapollon jedem hieroglyphischen Zeichen einen abgeschlossenen Begriff, entweder
mittels natürlicher oder mittels symbolischer Erklärung, unterlegte, so ist es ihm nicht gelungen, auch
nur eine einzige Hieroglyphengruppe richtig zu deuten. Am besonnensten gingen zu Werke Will. Warburton (»On the divine legation
of Moyses«, Bd. 2) und Zoëga, indem sie sich damit begnügten, die Nachrichten über die Hiëroglyphen bei den alten Schriftstellern
zu sammeln und zu kommentieren.
Letzterer brachte in seiner Schrift »De obeliscis« (Rom 1797) die auf den Denkmälern aufgezeichneten 958 Charaktere
in sieben Ordnungen und stellte auch verschiedene Epochen der Ausbildung, Veränderung und Anwendung der Hiëroglyphen auf; Erklärungsversuche
machte er jedoch nicht. Eine neue Epoche für diese Forschungen brach infolge der Expedition NapoleonBonapartes an, indem man
einerseits durch das große von den Mitgliedern der französischen Expedition herausgegebene Werk »Description
de l'Égypte« mit den altägyptischen Denkmälern vertrauter wurde, anderseits ein unschätzbarer Fund, ein in drei Sprachen
abgefaßtes Dekret, die richtige Entzifferung der Hiëroglyphen ermöglichen zu wollen schien.
Dieses wichtige Denkmal, die »Inschrift von Rosette«, befindet sich auf einer Granittafel, welche, 1799 durch einen
französischen Ingenieur, Namens Bouchard, bei Rosette aufgefunden, beim Transport nach Frankreich den Engländern in die Hände
fiel und jetzt im BritischenMuseum aufbewahrt wird. Sie besteht aus drei Abteilungen, von denen die obere, nur halb erhaltene,
hieroglyphische, die mittlere demotische und die untere griechische Schrift enthält. Die griechische Inschrift
meldet, daß dem König PtolemäosEpiphanes im 9. Jahr seiner Regierung (ca. 197 v. Chr.) von der ägyptischen Priesterschaft
gewisse Ehrenbezeigungen bewilligt worden seien, und daß diese Bewilligung mit heiliger, demotischer und griechischer Schrift
auf diesen Stein geschrieben worden sei. Hieraus ergab sich, daß die beiden obern Abteilungen in ägyptischer Schrift
denselben Sinn ausdrückten wie die griechische, und man hatte nun einen festen Punkt, von welchem man bei Entzifferung der
obern
¶
mehr
Abteilungen ausgehen konnte. Man unternahm zuerst die Erklärung der mittlern Abteilung, welche die demotische Schrift enthält.
Silvestre de Sacy, welcher in der »Lettre au citoyen Chaptal« (Chaptal war damals Minister des Innern) die Resultate seiner Vergleichung
des griechischen und demotischen Textes mitteilte, hielt die hieroglyphische Schrift für durchgängig ideographische oder
Wortschrift, die hieratische, die er in Papyrusrollen richtig erkannt hatte, für syllabisch oder alphabetisch, die demotische
aber für eine Buchstabenschrift; doch konnte er noch nicht die einzelnen Lautzeichen entziffern und unterschied nur eine
Anzahl Gruppen, welche die NamenPtolemäos, Arsinoe, Alexander enthielten. Der schwedische Diplomat Akerblad (»Lettre au citoyen
Silvestre de Sacy sur l'inscription de Rosette«, Par. 1802) bestimmte daraus die phonetische Bedeutung
der einzelnen Schriftzeichen in den NamenPtolemäos, Alexander, Arsinoe, Berenike und noch sechs andern.
Einen weitern Schritt zum Verständnis der Hieroglyphenkunde that 1814 der englische Arzt Thom. Young, der 1815 in dem Cambridger
»Museum criticum« eine mutmaßliche Übersetzung des ganzen demotischen Teils der Inschrift von Rosette,
die Entzifferung sämtlicher darin vorkommender Eigennamen und außerdem die Erklärung von 80 andern Wörtern und ein aus
diesen Erklärungen sich ergebendes demotisches Alphabet veröffentlichte. Da aber noch immer der größere Teil der demotischen
Schriftzeichen unlesbar blieb, so kam Young zu der Ansicht, daß viele Wörter nicht alphabetisch geschrieben
seien, sondern symbolisch, durch Abkürzung oder flüchtige Zeichnung der gleichbedeutenden hieratischen und hieroglyphischen
Schriftgruppen.
Aber alle diese Versuche zur Entzifferung der geheimnisvollen Schrift waren immer noch sehr unvollkommen und wenig förderlich;
die Hiëroglyphen waren und blieben ein ungelöstes Rätsel, und kein Mensch hätte auch nur annähernd zu sagen vermocht,
was die zahllosen ägyptischen Schriften enthielten. Da bemächtigte sich im Anfang der 20er Jahre dieser Frage J. FrançoisChampollion der jüngere (s. d.), der durchdringenden Scharfsinn mit rastlosem Fleiß verband. Er wurde der Entzifferer der
Hieroglyphenschrift, indem er erkannte, daß dieselbe aus alphabetischen oder phonetischen und ideographischen
Zeichen gemischt ist; er fand das Alphabet und den Schlüssel für die Mehrzahl der Zeichen und erlangte so den Zutritt zum letzten
und ältesten Gemach im Tempel der Geschichte.
Epochemachend war seine berühmte »Lettre à M. Dacier relative à l'alphabet des hiéroglyphes phonétiques« (Par. 1822),
worin er auf Grund der Analyse einer Reihe von Königsnamen ein hieroglyphisches Alphabet aufstellte, welches,
wenn es auch noch unvollständig war, sich doch bei der Erklärung von Inschriften, auf denen dieselben Zeichen vorkamen, als
richtig bewährte. Sehr förderlich war für Champollions Untersuchungen die von Bankes 1821 nach England gebrachte hieroglyphische
und griechische Inschrift des 1815 aufgefundenen Obelisken von Philä.
Die hieroglyphische Inschrift enthält hier zwei von Ringen (cartouches) eingeschlossene Schriftgruppen, deren eine schon aus
der Rosetteschen Inschrift als der NamePtolemäos bekannt war; die andre erkannte Champollion, von der griechischen Inschrift
am Fußgestell des Obelisken geleitet, für den NamenKleopatra. Von seiner irrigen, noch in der »Lettre à M.
Dacier« festgehaltenen Meinung, daß die phonetische Bedeutung der einzelnen Hiëroglyphen sich nur auf
die Eigennamen beschränke, der übrige Text aber aus rein ideographischen Zeichen bestehe,
kam Champollion erst in seinem »Précis
du système hiéroglyphique« (Par. 1824) zurück, indem er darin nachwies, daß das in
den Eigennamen aufgefundene Alphabet auch auf andre Hieroglyphengruppen anwendbar sei, in denen dieselben Zeichen wiederkehren.
Die vollständigen Resultate seiner Untersuchungen enthält die erst nach seinem Tod erschienene »Grammaire égyptienne« (Par.
1836-41),
eine Darlegung des Systems der hieroglyphischen Schrift und der Grundzüge der darin erhaltenen Sprache. In diesem
und den gleichfalls posthumen Werken Champollions: »Dictionnaire égyptien en écriture hiéroglyphique«
(Par. 1841-44),
den »Notices« und den »Monuments«, in denen die Resultate einer wissenschaftlichen Reise nach dem Nilthal niedergelegt
sind, sehen wir den ganzen Reichtum von Erkenntnis, den dieser erste Hierogrammat der Neuzeit sich zu eigen gemacht hatte. Den
zu früh verstorbenen Meister überholten bald, sich ihm anschließend, in Italien
[* 54] I. ^[Ippolito] Rosellini,
welcher ein wertvolles Werk: »Monumenti« mit Kommentar herausgab, in den Niederlanden Konr. Leemans, welcher die reiche Leidener
[* 55] Sammlung ägyptischer Altertümer durch Veröffentlichung zugänglich machte, inDeutschland
[* 56] Rich. Lepsius, der Begründer einer
kritischen Methode und der Grundleger der ägyptischen Geschichte und Chronologie, in EnglandSam. Birch,
der alsbald längere Texte, hieroglyphische und hieratische, übersetzte und das erste vollständigere Wörterbuch verfaßte,
in Frankreich Eman. de Rouge, der zuerst genaue grammatische Analysen lieferte und ein vielfach berichtigtes Verzeichnis der
Charaktere mit ihren Lautwerten aufstellte. Die vom König FriedrichWilhelm IV. von Preußen
[* 57] 1842-45 unter
Lepsius' Leitung nach Ägypten entsandte wissenschaftliche Expedition ergab als bedeutende Resultate eine wertvolle Sammlung
von Altertümern, die dem ägyptischen Museum in Berlin einverleibt wurde, und die Veröffentlichung der DenkmälerÄgyptens
und Nubiens in einem Prachtwerk.
Nachdem das wahre System der Hieroglyphenschrift entdeckt war, wurde es später leichter, auch die aus
ihr abgeleitete hieratische und demotische Schrift zu lesen. Es versteht sich von selbst, daß es andre Wege der Entzifferung
als den von Champollion betretenen nicht gibt. So sind die von Röth gemachten Übersetzungen ganz unbegründet und phantastisch,
und ebenso findet sich in den frühern Schriften von Gulianow, Spohn, Seyffarth, Uhlemann keine richtige
Deutung der Hieroglyphenschrift. Die Richtigkeit der Methode, welche die Champollionsche Schule befolgte, wurde 1866 auf das
glänzendste durch den ganz unerwarteten Fund eines neuen umfangreichen Dekrets in
¶
mehr
drei Sprachen bestätigt. Auf einer Reise durch das Nildelta fand nämlich Lepsius unweit des heutigen San, des alten Zoan oder
Tanis, einen Stein, der einen und denselben Text unversehrt in hieroglyphischer, demotischer und griechischer Fassung enthielt.
Diese Inschrift (»Dekret von Kanopos«, 1866),
von deren hieroglyphischem Teil man 1881 ein Duplikat bei Damanhûr
gefunden hat, ist für die ägyptologische Wissenschaft von großer Bedeutung gewesen. Sie erschien in einer neuern Ausgabe
von P. Pierret: »Le décret trilingue de Canope« (Par.
1881).
wie es nun sich immer deutlicher und klarer enthüllt hat, ist deshalb so lange verborgen geblieben,
weil es ein mannigfaltiges Gemisch aus lautlichen und stummen oder figürlichen Zeichen ist. Mag immerhin der Anfang der Schrift
ein ideographischer gewesen sein, so daß man z. B., um das WortKrokodil zu schreiben, das Tier zeichnete, so mußte sich doch
solche Art der Schrift sehr bald als unzulänglich erweisen, auch zu fortwährenden ZweideutigkeitenAnlaß
geben.
Soweit wir auch die Hieroglyphenschrift verfolgen können, ist sie eine wesentlich phonetische Schrift, d. h. eine solche,
welche zunächst und vorwaltend den Laut der Wörter ausdrückt. Die Entwickelung der hieroglyphischen Schrift ist folgendermaßen
zu erklären. Ihre Grundlage bildet ein Alphabet von etwa 25 Buchstaben, das mit dem semitischen ziemlich
übereinstimmt; neben jedem alphabetischen Zeichen existieren noch einige Varianten, welche mitunter eine Modifikation der
Aussprache des folgenden Vokals bedingen.
Die kurzen Vokale nämlich, welche im Inlaut zu sprechen sind, werden gewöhnlich, wie im Semitischen, nicht geschrieben;
wollte man zod schreiben, so setzte man nur zd. Die einfache alphabetische Schrift genügte den Ägyptern
aber nicht; denn da die Sprache eine kurze, meist noch einsilbige war, so würde eine rein alphabetische Schrift, die noch
dazu die Vokale meist unbestimmt ließ, sehr häufig an erheblicher Unklarheit und Vieldeutigkeit gelitten haben, zumal wo
nicht der Accent und der Vortrag des Sprechenden der Auffassung zu Hilfe kam.
Daher fügte die Schrift hinter den Buchstaben der Wörter meist ein bestimmendes ideographisches Zeichen hinzu (ein Determinativ).
Auch setzte man wohl mehrere Determinative zu einem Wort, um den Begriff noch genauer zu bestimmen; z. B. set, schießen, hat
außer einem vom Pfeil durchbohrten Tierfell noch einen mit einem Instrument versehenen Arm zum Determinativ,
um eine Handlung zu bezeichnen; das gleiche Zeichen findet sich bei den meisten Verben. Zod, sagen, determinierte man durch
einen Mann, der die Hand
[* 60] an die Lippen hält; am, essen, sura, trinken, desgleichen, und dem letztern Wort fügte man außerdem
noch drei Wellenlinien bei, um zu bezeichnen, daß der Begriff des Wortes mit dem Wasser in Verbindung stehe.
Manche von diesen Determinativen sind ganz speziell und bezeichnen den Begriff des Wortes selbst, wie z. B. das Krokodil hinter
msah den Namen dieses Tiers; andre sind generell und bezeichnen nur eine Kategorie von Begriffen, in welche
auch der fragliche fällt, wie z. B. der bewaffnete Arm, oder der Sperling, der sich hinter allen Wörtern befindet, welche
klein, elend, krank, schwach, traurig, einsam, schlecht, boshaft, arm u. dgl.
bedeuten. Diese Methode der Determination ist im hieroglyphischen Schriftsystem allgemein geworden, so daß fast nur grammatische
Partikeln eines Determinativums entbehren.
Zur weitern Vereinfachung dieses deutlichen, aber etwas umständlichen Systems ließ man die alphabetischen
Zeichen bei vielen
sehr bekannten Wörtern fort und schrieb also z. B. nur das Tierfell mit dem Pfeil, wo man set, schießen, schreiben wollte,
mit Hinzufügung des bewaffneten Arms; man zeichnete nur den Säemann, wo man set, säen, ausdrücken
wollte, etc. Höchstens fügte man noch das anlautende s oder das auslautende t hinzu, um recht
deutlich zu sein, und endlich gebrauchte man das ursprünglich nur Einen Begriff determinierende Zeichen überhaupt und in
vielen Wörtern, welche die Aussprache set hatten, allerdings unter Hinzufügung andrer determinierender Zeichen, namentlich
der generellen Art. Weiter geschah es, daß selbst generelle Determinative, die an sich vielen Wörtern zukamen, wo ihre Bedeutung
aus dem Zusammenhang ersichtlich war, als Abkürzung des ganzen Wortes gesetzt wurden, wie z. B. der Sperling sich gelegentlich
für das Wort schera, klein, findet.
Auf diesem fortwährenden Übergang ideographischer Zeichen in phonetische beruht das Wesen der Hieroglyphenschrift;
es ist unmöglich, eine Klasse von phonetischen und eine Klasse von ideographischen Charakteren aufzustellen, weil jene aus
diesen fortwährend entstehen und es zufällig ist, wenn etwa ein ideographisches Zeichen nicht in phonetischer Verwendung
vorkommen sollte. Insofern die Zeichen phonetisch sind, d. h. gesprochen werden, sind
sie entweder primär (die alphabetischen Zeichen), oder sekundär (die aus speziellen Determinativen entstandenen Silbenzeichen),
oder tertiär (die aus generellen Determinativen entstandenen Wortzeichen).
Die Schrift aller Epochen führt uns alle Stadien dieses Systems gleichmäßig vor, und wenn wir die Buchstaben eines Wortes mit
a und b bezeichnen, das spezielle Determinativ mit x, das generelle mit y, so könnte dies Wort auf sechs
Weisen geschrieben werden:
1) ab, 2) ab+x+y, 3) a+x+y, 4) x+b+y, 5) x+y, 6) y. Freilich werden nicht bei allen
Wörtern diese sechs Möglichkeiten durchgeführt; bei den meisten hat die Praxis sich vielmehr für die eine oder die andre
entschieden. Anderseits kommen aber von vielen Wörtern mehrere Varianten vor, und es leuchtet ein, daß dieselben für die
rasche Entwickelung der Wissenschaft von großem Nutzen waren. In denZeiten der Ptolemäer mehrte sich die Zahl der Zeichen außerordentlich,
da man weniger Sorgfalt auf die Ausführung als auf Mannigfaltigkeit und Künstlichkeit verwandte;
man ließ jetzt die alphabetischen Zeichen entweder ganz aus, oder erfand neue alphabetische Zeichen nach einem willkürlichen
System, welches man das akrophonische nennen kann.
Nach demselben verwandte man die speziellen Determinative und selbst auch die generellen phonetisch für den anlautenden
Buchstaben ihres Wortes. Man ließ also (um bei jenem Beispiel zu bleiben) x nicht ab bezeichnen, sondern
vielmehr nur ein einfaches a, und da ein Determinativzeichen nicht selten mehreren Wörtern verschiedenen Lauts zukam, also
polyphones Phonetikum werden konnte (wie x z. B. auch für ba stehen könnte), so konnte
es auch für b eintreten. Dies machte die Texte sehr dunkel und schwierig zu entziffern; der Tempel von
Esneh, der späteste, liefert eine Fülle rätselhafter Texte dieser Art.
Die Entzifferung der Schrift ist natürlich nur der erste Schritt im Studium der Hiëroglyphen, der zweite und schwierigere ist die Erklärung
der Sprache. Das Altägyptische ist eine vielfach noch einsilbige Sprache und steht zwischen den isolierenden
Sprachen (wie dem Chinesischen) und den agglutinierenden (wie dem Türkischen) in der Mitte. Es hat noch nicht eigentliche
¶
die Wurzel
[* 62] kann meist noch nominal, verbal oder adverbial aufgefaßt werden. Es gibt
im Altägyptischen nicht besondere Formen für die Tempora, Modi und Kasus;
auch wird das Aktiv kaum vom Passiv unterschieden;
die grammatischen Beziehungen werden nur durch Partikeln ausgedrückt;
Die ägyptische Sprache hat während der langen Dauer ihres Bestehens einige Veränderungen erfahren; einen von dem
altägyptischen abweichenden Sprachcharakter zeigen schon die profanen Schriften der hieratischen Papyrus, welchen man neuägyptisch
genannt hat. Weiter entwickelt ist die demotische Tochtersprache, die gleichfalls vorwaltend zu profanen Schriften verwandt
wurde; aber erst im Koptischen, der Sprache der christlichen Ägypter, gelangt die Sprache zu der vollsten
Entfaltung ihrer diakritischen Fähigkeiten. In der wissenschaftlichen Behandlung sind jedoch kaum die ersten Anfänge gemacht
worden; die nötigsten Regeln gaben E. de Rouge in seiner »Chrestomathie égyptienne« (Par. 1868),
Hiëroglyphen Brugsch in seiner »Hieroglyphischen
Grammatik« (Leipz. 1872) und P. Le PageRenouf in der seinigen (»An elementary grammar of the ancient Egyptian
language«, Lond. 1875). Eine Erklärung der den hieroglyphischen entsprechenden hieratischen Schriftzeichen veröffentlichte
S. Levi (»Raccolta dei segni ieratici egizj nelle diverse epoche con i correspondenti geroglifici e di loro differenti valori
fonetici«, Tur. 1880). Hiëroglyphen Brugsch hat auch eine »Grammaire démotique« (Berl.
1855) veröffentlicht, das erste eingehendere Werk über diesen Dialekt, welches die vorangegangenen ArbeitenYoungs, Kosegartens,
Leemans', Hincks', de Saulcys und de Rougés weit übertrifft. Erfreuliche Fortschritte in der Erkenntnis der altägyptischen
Sprache wurden neuerdings von E. Révillout in seinen genialen demotischen Forschungen und von A. Erman
in seiner »Neuägyptischen Grammatik« (Leipz. 1880) gemacht. NeueGesichtspunkte für die Behandlung der ägyptischen Sprache
nach streng wissenschaftlicher Methode suchte die »KoptischeGrammatik« vonL.Stern (Leipz. 1880) zu gewinnen. Die koptische Sprache
ist das wichtigste Hilfsmittel zur Erklärung der Hiëroglyphen, da sie den nämlichen Wortschatz hat, der uns namentlich
aus der Bibelübersetzung bekannt geworden ist. TheodorBenfey (»Über das Verhältnis der ägyptischen Sprache zum semitischen
Sprachstamm«,
[* 63] Leipz. 1844) wies nach, daß diese Sprache mit dem Semitischen Verwandtschaft und einen gemeinsamen Ursprung
hat.
Obwohl nun das Ägyptische sich vom Semitischen früh getrennt und einen andern Weg eingeschlagen hat,
so bietet es doch in den Wurzeln und in der Bildung der Stämme so große Analogien mit dem asiatischen Sprachstamm, daß dieser,
wenn mit Sachkenntnis und Mäßigung verglichen, ein Hilfsmittel bei der Interpretation der Hiëroglyphen werden kann. Ob auch die indogermanischen
Sprachen mit dem Ägyptischen und Semitischen verwandt sind, ist noch fraglich; beim heutigen Stande dieser
Untersuchungen sind Vergleichungen auch dieses Sprachstammes mit dem Altägyptischen nicht angebracht.
Den allmählichen Übergang des Altägyptischen zum Demotischen und weiter zum Koptischen in seinen drei Dialekten (dem unter-,
ober- und mittelägyptischen) zur Anschauung zu bringen, bleibt einem künftigen Grammatiker noch vorbehalten. Vorläufig scheint
die hieroglyphische Sprache noch alle Kräfte in Anspruch zu nehmen; die Schwierigkeiten derselben sind
immer noch sehr erhebliche, denn obwohl
man durch die ArbeitenGoodwins, Chabas', Masperos, Brugsch', Dümichens u. a. in den letzten
Jahren sehr bedeutende Fortschritte gemacht hat, so ist doch fast kein Text ohne irgend eine crux interpretum, und
zwar liegt die ganze Schwierigkeit im Wörterbuch. Das von Champollion zusammengestellte ist ein rühmlicher Anfang, der aber
heute nicht mehr auf der Höhe der Wissenschaft steht;
das von Birch veröffentlichte (in Bunsens »Egypt's place in universal
history«, Bd. 5, Lond. 1867)
ist eine fleißige Arbeit, welche, kurz gefaßt, über 4000 Wörter nachweist;
das von Brugsch herausgegebene
»Hieroglyphische Wörterbuch« (Leipz. 1867-68 und Fortsetzung 1880-82),
den Wortschatz in ziemlicher Vollständigkeit umfassend
und durch zahlreiche Beispiele erläuternd, ist vom größten Nutzen gewesen;
auf diese beiden stützt sich in der Hauptsache
das »Vocabulaire hiéroglyphique« von Pierret (Par. 1875).
Daß im einzelnen noch manches zweifelhaft
bleibt, bedarf kaum der Erwähnung.
V. Altägyptische Litteratur.
Was nun die Litteratur betrifft, welche uns die Entzifferung der Hiëroglyphen zugänglich gemacht hat, so ist sie
durchaus so beschaffen, wie sie von einem so alten, am Althergebrachten zäh festhaltenden, in Aberglauben gebannten und ernsten
Volk zu erwarten war. Die ganze Litteratur ist von der Religion oder Theologie so durchdrungen, daß sie
fast unzertrennlich davon erscheint. Die Inschriften aller Tempel und die Texte der bei weitem meisten Papyrusrollen sind religiösen
Inhalts und zwar theologisch oder mythologisch oder hymnologisch oder liturgisch.
Die ältern Tempel sind die von Abydos, Theben, Abu Simbal in Nubien; die jüngern und an Inschriften fast
unerschöpflichen die in Philä, Kom Ombo, Dendrah, Edfu, Esneh. Diese Tempel sind die Bethäuser der Könige; die verschiedenen
Könige, welche einen Tempel erbaut oder ausgebaut haben, werden hier unzähligemal vor derGottheit opfernd dargestellt; erläuternde
Texte schließen sich an, und wir werden aufs genaueste über die Gründung und Weihung des Baues, über
den Tempelritus und die priesterlichen Gebräuche unterrichtet. Dümichen (»Altägyptische Tempelinschriften«, Leipz.
1867-68, 2 Bde.; »Resultate einer wissenschaftlichen Expedition«, Berl. 1871),
de Rougé (»Inscriptions hiéroglyphiques recueillies à
Edfou«, das. 1880) und Brugsch (»Reise nach der großen Oase El Khargeh in der LibyschenWüste«, Leipz. 1878) haben viele dieser
Inschriften veröffentlicht.
Vgl. auch Dümichen, Baugeschichte des Denderah-Tempels und Beschreibung der einzelnen Teile des
Bauwerkes (Straßb. 1877).
Mariette, lange Jahre hindurch Direktor der Ausgrabungen in Ägypten und des Museums in Bulak, hat viele von
Sand und Schutt bedeckte Denkmäler wieder an das Tageslicht gebracht, und vieles steckt wohl noch unter der Erde. Einen besonders
reichen Ertrag hat ihm die Durchforschung der Nekropole von Abydos geliefert (»Catalogue général des monuments d'Abydos découverts
pendant les fouilles de cette ville«, Par. 1880). Die Darstellungen und Inschriften in den weiten, in die
Felsen gehauenen Grabkammern, in welchen die Überlebenden Totenfeiern zu begehen pflegten, beschäftigen sich vorwaltend
mit dem Leben nach dem Tod und mit der Unterwelt, so namentlich die riesigen Königsgräber in Theben (Bibán el Meluk); die Gräber
der Privatleute der ältern
¶
mehr
Zeit dagegen bis zur 18. Dynastie, in Gizeh, Sakkâra, Sauiet el Meitin, Qasr el Sayyad, Meidum, Abd el Qurna, El Kab, gedenken
in ihren Wandgemälden häufiger des irdischen Lebens des Verstorbenen; die Inschriften geben seine Biographie und rühmen seine
Tugenden. Die Darstellungen aus dem Privatleben mit den dazu gehörigen Inschriften haben manchen sachlichen
und sprachlichen Aufschluß gegeben. Die Inschriften der Sarkophage sind dagegen wieder durchaus religiösen Charakters; meist
sind es Gebete über den Verstorbenen, oder sie behandeln, wie namentlich in späterer Zeit, die ganze Lehre
[* 66] von der »Amenthes«,
der Unterwelt.
Von den zahlreichen religiösen Büchern der alten Ägypter waren einige im alten Ägypten, nach der Menge
der auf uns gekommenen Exemplare zu schließen, außerordentlich verbreitet. Das bedeutendste und umfangreichste derselben
ist das »Totenbuch der alten Ägypter«, welches Lepsius schon 1842 nach der vollständigsten TurinerHandschrift auf 79 Tafeln
herausgab. Sein ägyptischer Titel ist »Per m heru« (»Der Ausgang aus dem Tag«, d. h. aus dem Leben); dieses
Buch, von den Franzosen weniger passend als »Rituel funéraire« bezeichnet, enthält 165 Kapitel.
Der Verstorbene, dem der das Totenbuch enthaltende Papyrus in den Sarg beigegeben wurde, ist selbst die handelnde und redende
Person darin, und der Text betrifft nur ihn und seine Begegnisse auf der langen Wanderung nach dem irdischen
Tod. Es wird entweder erzählt und beschrieben, wohin er kommt, was er thut, was er hört und sieht, oder es sind die
Gebete und Anreden, die er selbst zu den verschiedenen Göttern spricht, zu welchen er gelangt. Einige Teile des Totenbuchs
sind sehr alt und reichen bis in die ersten Königsdynastien;
die Texte der 18. Dynastie
sind schon ausführlicher, aber noch ziemlich korrekt;
danach kommen die spätern Texte, welche umfangreicher, mit
vielen Glossen und Interpolationen versehen und wegen der Nachlässigkeit der Schreiber meist sehr fehlerhaft sind. S. Birch
versuchte die erste vollständige Übersetzung dieses Buches (»Egypt's place«, Bd.
5);
eine neuere hat P. Pierret (»Le livre des morts«, Par. 1882)
geliefert.
Die Herausgabe der ältern (thebaischen) Redaktion des Totenbuchs wurde auf Vorschlag des LondonerOrientalistenkongresses von 1875 von E. Naville übernommen; seine Ausgabe: »Das ägyptische Totenbuch der XVIII. bis XX. Dynastie«
erschien mit Einleitung in 2 Foliobänden (Berl. 1886). Die religiösen Texte, welche sich in den Grabkammern der 1881 geöffneten
Königspyramiden bei Sakkâra angeschrieben finden, bilden die sprachlich und inhaltlich wichtige älteste
Form des Unsterblichkeitsglaubens der alten Ägypter, das altmemphitische Totenbuch.
Einen Auszug aus dem Totenbuch bildet das »Schai n sinsin« (»Das Buch vom Atmen oder von der Wiederbelebung«),
welches viel kürzer
ist und namentlich in späterer Zeit an die Stelle des umfangreichern Werkes trat; das Berliner
[* 67] Museum hat drei Exemplare
dieses Büchleins. Die erste Ausgabe desselben veröffentlichte Hiëroglyphen Brugsch (»Schai en sinsin«, Berl. 1848),
eine neuere de Horrack (»Schâ en sensen, le livre des respirations«, Par. 1877). Die demotische Version des Totenbuchs, welche
in einem PariserPapyrus erhalten ist, hat E. Révillout teilweise ediert (»Le rituel funéraire de Pamonths«, Par.
1880). Das dritte verwandte Buch enthält die eigentliche Lehre von der
Unterwelt und ist betitelt: »Am-tuat«, welches gleichfalls
in Papyrusrollen erhalten ist;
es wurde veröffentlicht von Lanzone (»Le domicile des esprits«, Tur. 1879).
Aus den Königsgräbern
stammen die von E. Naville unter dem Titel: »La litanie du soleil« (Leipz. 1875)
veröffentlichten Texte. Ein liturgisches Buch über gewisse Bestattungsgebräuche ist das von E. Schiaparelli veröffentlichte
»Libro dei funerali« (Tur. 1881).
Vgl. auch O. v. Lemm, Das Ritualbuch des Ammondienstes (Leipz. 1882).
Diese Werke sind durchweg mystischen Charakters und ohne ausführliche Kommentare schwer verständlich. Von der gesamten religiösen
Litteratur sagen unserm Geschmack am meisten die vielen Hymnen an die Götter zu, deren poetischer Schwung
nicht selten an die Sprache der Psalmen erinnert; sie finden sich auf Grabsteinen und in Papyrusrollen.
ebenso die
aus Dêr el Bahari (das. 1877) und die von E. de Rougé gesammelten Inschriften (»Inscriptions hiéroglyphiques, copiées en
Égypte«, Par. 1877 ff.). Die längste aller Papyrusrollen, der große PapyrusHarris im BritischenMuseum,
aus der 20. Dynastie, dessen Inhalt zuerst A. Eisenlohr (Leipz. 1872) bekannt machte, und der von S. Birch herausgegeben und
übersetzt wurde (»Facsimile of an Egyptian hieratic papyrus of the reign of Ramses III.«, Lond. 1876),
ebenso den Kalender (»Matériaux pour servir à la reconstruction du calendrier
des anciens Égyptiens«, das. 1864). Weitere nützliche Publikationen dieser Art sind: Dümichens »Kalenderinschriften« (Leipz.
1866),
E. v. Bergmanns »Hieroglyphische Inschriften« (Wien
1879) und Mariettes »Listes géographiques« (Leipz. 1875). Die Zahl der Dekrete, der Triumphsteine, der geographischen und der
kalendarischen Listen ist eine sehr erhebliche.
Den anziehendsten Teil der ägyptischen Litteratur bilden aber die nicht religiösen Papyrusrollen, die sämtlich hieratisch
geschrieben sind. Einige derselben enthalten Erzählungen oder Märchen, welche für die Geschichte dieser
Dichtungsgattung wegen ihres Alters von größter Wichtigkeit sind, oder sie feiern die Thaten der Könige; andre geben nur
Briefe, in welche nicht selten ethische Betrachtungen eingekleidet sind; auch fehlt es nicht an Schriften, welche die Lebensweisheit
der alten ägyptischen Philosophen zur Anschauung bringen.
Vgl. Maspero, Les contes populaires de l'Égypte
ancienne (Par. 1882).