Italien
[* 2] und zum Generalstatthalter der
Lombardei ernannt, bewährte Gyulay die im Friedensdienst bewiesene
Energie nicht. Nachdem
er 29. April durch den Übergang über den Tessin
den
Krieg eröffnet, blieb er, anstatt sogleich auf
Turin
[* 3] loszugehen oder sich gegen
Novi zu wenden, um die einzige
Straße zu sperren, auf welcher die
Franzosen, mit
Umgehung der
Alpen,
[* 4]
Hilfe
bringen konnten, in der
Lomellina stehen, weil die verlangten Verstärkungen nicht ankamen, und ließ
Napoleon zwei volle
Wochen
Zeit, mit seinen Streitkräften auf dem Kriegsschauplatz einzutreffen.
Als die ersten
Gefechte, bei
Montebello und
Palestro, unglücklich ausgefallen waren, ging Gyulay über den Tessin
zurück und
erwartete, daß ihn der Feind vom
Po aus angreifen würde. Dieser wandte sich jedoch durch einen Flankenmarsch hinter der
sardinischen
Armee gegen den Tessin
und überschritt diesen bei Turbigo und Buffalora; am 4. Juni kam es zur
Schlacht bei
Magenta, in
welcher die zu vereinzelt auf dem Schlachtfeld verwendeten österreichischen Heeresteile dem konzentrischen
Angriff der Verbündeten weichen mußten. Gyulay räumte sofort
Mailand
[* 5] und alle am
Po besetzten
Punkte und zog sich hinter den
Mincio
zurück.
Hierauf ward er 16. Juni des Oberbefehls enthoben und später als
Feldzeugmeister in
Ruhestand versetzt, und es gelang ihm, durch
manche von ihm ausgegangeneDenkschriften die zum Teil sehr übertriebenen Beschuldigungen gegen sein
Verhalten vor und während der
Schlacht von
Magenta zu entkräften und namentlich sein Festhalten an der Tessinlinie durch
Befehle aus
Wien
[* 6] zu rechtfertigen. Gyulay starb kinderlos in
Wien, nachdem er seinen
Neffen, den
General v.
Edelsheim (s. d.
2), adoptiert hatte, der nun seinen
Namen annahm.
h, lat. H, h, der
Hauch, nach den Ergebnissen der Lautphysiologie ein Kehlkopfgeräusch, das durch
Verengerung der
Stimmritze entsteht, indem die an den
Stimmbändern vorbeistreichende
Luft ein Reibungsgeräusch hervorbringt, das sich dann
durch den wie bei der
Aussprache der
Vokale offen stehenden
Mund fortpflanzt. Die Griechen nannten den
Hauch
spiritus asper zum Unterschied von spiritus lenis, womit sie das ganz leise
Geräusch bezeichneten, das z. B. auch bei der
gewöhnlichen
Aussprache der deutschen
Vokale durch den vorhergehenden Verschluß der
Stimmritze entsteht.
Dem spiritus lenis scheint auch das hebräische
Schwa zu entsprechen, wie die semitischen
Sprachen und
Alphabete überhaupt an
Hauchlauten und Bezeichnungen für dieselben reich sind; die merkwürdigen arabischen
Hauchlaute hat
neuerdings der Physiolog
Brücke
[* 7] mit dem
Kehlkopfspiegel
[* 8] bestimmt, namentlich das
Ain, das er mit dem Knarren eines
Stiefels
vergleicht. Die romanischen
Sprachen haben
das h ganz aufgegeben (so im
Spanischen undItalienischen) oder
wenigstens nur schwache Überreste davon bewahrt (im
Französischen); doch war im
Spanischendas h früher ein häufiger
Laut
und sogar Vertreter des lateinischen f, z. B. in hijo aus filius. Im
Slawischen wechselt h oft mit g, z. B. in gospodar, hospodar.
Das h der germanischen
Sprachen geht, geschichtlich betrachtet, auf älteres k zurück; so in
Horn, engl.
horn, got. haurn, lat. cornu. Der
Buchstabe h stammt aus dem alten phönikischen
Alphabet; die Griechen behielten ihn in ihren
ältern
Alphabeten als
Hauchlaut bei, gaben ihm aber später den Lautwert eines langen e (Eta), während er sich bei den
Römern
alsHauchlaut erhielt. Die romanischen
Sprachen haben selbst in dem
Namendes h den
Hauchlaut aufgegeben:
ital. acca, franz. hache (spr. asch,
daraus engl. ache, spr. etsch), span.
ache (spr. ätsche).Über das deutsche Dehnungs-h s.
Orthographie.
(ital. u. franz.
Si), in der
Musik der
Name eines der sieben
Stammtöne des
Notensystems und zwar in der modernen Oktaventeilung
(von
C aus) des siebenten;
in der ältern (von A aus) hieß der
Ton nicht H, sondern B (s. d.).
Zweigbahn verbunden, und bildet mit dem Fischerdorf und bekannten Badeort Scheveningen an der Nordsee eine Gemeinde. Der Haag gehört
durch seine Umgebung, den Besitz des berühmten Haagschen Busches und die Nachbarschaft des Meers sowie durch seine schönen
Straßen, großen Plätze und vielen palastartigen Gebäude zu den schönsten Städten der Niederlande. Grachten
umziehen und durchschneiden die Stadt. In der Mitte derselben liegt der Weiher (Vijver), ein von Alleen umgebenes Wasserbecken
mit Insel, in dessen Nähe das königliche Residenzschloß steht.
Unter den Plätzen zeichnen sich aus: der Buitenhof, südlich vom Weiher, mit dem Standbild Wilhelms II., der von Gräben umschlossene
Binnenhof mit vielen ansehnlichen Gebäuden, das Plein, der Vijverberg, der Plaats, das Tournooiveld.
Die Hauptstraßen, Kanäle etc. sind: das mit Bäumen bepflanzte Voorhout, der Kneuterdyk, der Prinzen- und Prinzessinnen-,
der Königinnengraben, der Wilhelmspark. Von den künstlerisch wenig bedeutenden Kirchen der Stadt gehören fünf der größten
den Reformierten (darunter eine französische), ebenso viele den Römisch katholischen; die Juden haben
zwei Synagogen, eine deutsche und portugiesische.
das Provinzialregierungsgebäude, die Gebäude der verschiedenen Ministerien
(darunter das der Marine mit einer bedeutenden Sammlung von Schiffsmodellen und nautischen Gegenständen);
der den Binnenhof umgebende sogen. AlteHof
[* 21] von Holland, durch den GrafenWilhelm
II. gestiftet, mit den Sitzungssälen der beiden Kammern der Generalstaaten und dem ehemaligen Rittersaal, einem kapellenähnlichen
Ziegelbau aus dem 13. Jahrh. (auf dem Platz vor dem Gebäude wurde Oldenbarneveldt enthauptet);
ferner das Mauritshuis am
Platz Plein (vom PrinzenMoritz von Nassau erbaut), mit einer ausgezeichneten Sammlung von Gemälden niederländischer
Maler (von denen jetzt aber viele nach dem Reichsmuseum zu Amsterdam
[* 22] übergeführt worden sind);
das Gebäude der Société littéraire
(Witte Societeit);
das Rathaus mit vier großen Gildebildern von Jan van Ravestein;
das 1875 restaurierte Gefangenenthor, worin 1672 die
Brüder Cornelis und Jan deWitt gefangen saßen und vom Pöbel zerrissen wurden.
Haag zählt mit Scheveningen (1886) 138,696 Einw. Im ganzen ist der Haag mehr
Luxus- als Handelsstadt und verdankt seine Blüte
[* 24] meist der Anwesenheit
des Hofs, der Diplomaten und des
Regierungspersonals, den aus Indien zurückgekehrten Beamten und Pflanzern sowie den zahlreichen Fremden. Doch ist die Industrie
nicht ohne Bedeutung; es gibt zahlreiche Tischlereien, Wagenbauanstalten, Ofenfabriken, Eisen-, Kupfer- und Bleigießereien,
Gold- und Silbertressen- und Schminkefabriken, Buchdruckereien und eine Geschützgießerei.
Die wissenschaftlichen und Untererrichtsanstalten der Stadt bestehen in einem Gymnasium, einer höhern Bürgerschule, einer
Zeichenakademie (zugleich für technische Wissenschaften), einer Musikschule, gymnastischen Schule, einem ethnographischen
Museum (meist chinesische und japanische Gegenstände enthaltend), der »Indische Genootschap« und dem »Instituut voor de Taal-,
Land- en Volkenkunde van Ned.-Indië« mit ausgezeichneter Bibliothek, einem zoologisch-botanischen Garten
[* 25] und einigen Altertümersammlungen, einer MengeVolksschulen, der Louisa-Stiftung, einer von den Freimaurern unterhaltenen Erziehungsanstalt
für Knaben und Mädchen, der GesellschaftDiligentia für Naturwissenschaften, der Gesellschaft zur Übung der Kriegswissenschaften
und andern Gesellschaften etc. Zu den Wohlthätigkeitsanstalten gehören die Waisen- und Alte-Männer- und Weiberhäuser der
verschiedenen Glaubensbekenntnisse, ein Institut für Idioten, die Militär- und Bürgerhospitäler etc.
Von Standbildern sind noch die Statue des PrinzenWilhelm I. von Royer (auf dem Plein in der Nähe des Mauritshauses) und desselben
ehernes Reiterstandbild von Nieuwerkerke (vor dem Thor des Palais des Prinzen von Oranien, seit 1845), ein Denkmal zu Ehren des
HerzogsBernhard vonSachsen-Weimar (im Voorhout, seit 1866), die StatueSpinozas (1881, von Hexamer) und
das kolossale Denkmal zum Andenken der Befreiung von der französischen Herrschaft (von Jaquet, 1869 eingeweiht, mitten im
Willemspark) zu erwähnen.
Unweit davon liegt der Prinzessinnengarten, der schönste im H. Den größten Zuwachs und die meiste Verschönerung
erhielt die Stadt in den letzten Jahrzehnten durch Anbau breiter Straßen und schöner Landhäuser (der indischen Nabobs) im
Willemspark, an dem Weg nach Scheveningen und südlich vom weitberühmten, dem Berliner
[* 26] Tiergarten ähnlichen Park oder »Haagschen
Busch« (het Bosch). Letzterer, an die Stadt grenzend, enthält prächtige Alleen, weiterhin dichten Wald, schöne
Teiche, einen Hirschpark und das königliche Landhaus »Haus im Busch« (Huis ten Bosch, 1647 erbaut) mit dem achteckigen, herrlich
gemalten Oraniensaal. In der Nähe der OrtRyswyk (s. d.). Haag ist der Geburtsort des Dichters Johannes Secundus, der MathematikerKonstantin und ChristianHuygens, der Maler van Oß und Nuyer.
Gesellschaft zur Verteidigung der christlichen Religion (Societas Hagana pro vindicanda religione christiana),
ein am von Heringa und vier andern reformierten GeistlichenHollands gestifteter Verein, welcher
Preisaufgaben über jeweils brennende Fragen der Religionswissenschaft, der christlichen Theologie und des kirchlichen Lebens
ausschreibt, die eingelaufenen Arbeiten beurteilt und eine Auswahl derselben in fortlaufender Reihe veröffentlicht (»Werken
van het Haagsche Genootschap«, Leiden).
[* 46] Die Gesellschaft hat insofern einen internationalen Charakter, als
sie lateinisch, holländisch, französisch und deutsch geschriebene Arbeiten zuläßt; auch ist der theologische Standpunkt,
den sie vertritt, mit der Zeit ein recht weitherziger geworden.
Zu den Vorständen gehören Theologen wie J. H. ^[Johannes
Henricus] Scholten und A. Kuenen.
Vgl. »Het Haagsche Genootschap tot verdediging van de christelijke godsdienst«
(Leiden 1885).
Remi van, holländ. Maler und Radierer, geb. zu Oosterhout (Nordbrabant), siedelte 1836 nach Wien über,
von wo er Reisen durch einen großen Teil von Europa
[* 47] machte. Seine zahlreichen Landschaften, meist in Öl, seltener in Wasserfarben
ausgeführt, sind häufig Mondschein- oder auch Winterbilder von poetischer Anlage, aber von zu manierierter,
durch Massenproduktion veranlaßter Ausführung. Die bedeutendsten derselben sind mehrere aus den Karpathen, eine vom Ufer
der Theiß, eine holländische Kanallandschaft, Partie in Gelderland, Waldinterieur, Gewitter nach Sonnenuntergang und eine im
GeistHobbemas komponierte und trefflich beleuchtete Waldlandschaft.
[* 48] die (Haarstrang), ein kahler Bergrücken in der preuß. ProvinzWestfalen,
[* 49] der, von O. nach
W. ziehend, von Brilon ab das rechte Ufer der Möhne und dann der Ruhr in einer Länge von 75 km begleitet und in der Gegend von
Unna
[* 50] in das Ardey- und Ruhrkohlengebirge (s. d.) übergeht. Seine größte Höhe beträgt im O. beinahe 380, im
W. (Bischofshaar bei Körbecke) 308 m. Gegen die Möhne und Ruhr hin fällt die Haar, die schroff und felsig ab; nordwärts verflacht
sie sich zu einer fruchtbaren Landschaft, dem Hellweg (s. d.). Auf der Höhe des Bergrückens läuft der Länge nach der Haarweg.
Die Haar, die zählt zum Gebiet des zur Kreidegruppe gehörigen Plänerkalks, der durch seine
trocknen Flußbetten und unterirdischen Wasserläufe bekannt ist und viele Versteinerungen von Seetieren enthält. Merkwürdig
ist die Menge von Salzquellen am nördlichen Fuß der Haar, die, die aber nicht, wie es sonst fast überall im DeutschenReich der Fall
ist, ein Steinsalzlager zur Grundlage haben. S. Karte »Westfalen«.
[* 48] Bernard ter, holländ. Dichter, geb. zu Amsterdam, studierte hier und in LeidenTheologie und Philologie,
bekleidete darauf verschiedene Predigerstellen, bis er 1843 als Pastor in Amsterdam angestellt wurde, und erhielt 1854 die
Professur der Kirchengeschichte an der Universität zu Utrecht. Seit 1876 in den Ruhestand versetzt, starb
er in Velp bei Arnheim. Außer einer populären Geschichte der Reformation (»Geschiedenis der kerkhervorming in
tafereelen«, Haag 1843; 5. Aufl. 1854; deutsch von Groß, Gotha
[* 51] 1856) und andern Schriften auf kirchenhistorischem Gebiet (z. B.
»De historiographie der kerkgeschiedenis geschetst«, Utrecht 1870-73, 2 Bde.) hat er erzählende und
lyrische Dichtungen veröffentlicht, die sich besonders durch großen Wohllaut der Sprache
[* 52] und Anschaulichkeit der Schilderungen
auszeichnen. Wir nennen die poetischen Erzählungen: »Joannes en Theagenes« (4. Aufl., Arnh. 1856) und »Huibert
en Klaartje« (3. Aufl., Haarl. 1858),
letztere noch heute eins der populärsten holländischen Gedichte;
die lyrischen Sammlungen: »Verzameling van verspreide en onuitgegeven gedichten«
(das. 1849, 3. Aufl. 1852) und »Zangen van vroegeren leeftijd en nieuwe gedichten« (das. 1851, 2. Aufl.
1857);
eine dritte Sammlung »Gedichten« (1866; darin das prächtige »Eliza's
vlucht«) und »Laatste gedichten« (Haag 1879).
Eine Ausgabe seiner »Kompleete gedichten« erschien in 3 Bänden
(Leiden 1880).
unter Ludwig XIV. in FrankreichMode gewordene platte, auf beiden Seiten zusammengenähte, mit Watte oder
Werg ausgearbeitete Beutel
[* 54] von schwarzem Taft, welche unten breiter als oben und mit platten Schleifen besetzt oder einer Rose
ähnlich waren und anfangs dazu dienten, den zusammengelegten Haarzopf oder das Hinterhaar einer Beutelperücke
aufzunehmen; sie waren bald größer, bald kleiner. Bildlich nennt man Haarbeutel einen leichten Rausch, eine Redensart, die von einem
Major der alliierten Armee im Siebenjährigen Krieg hergenommen sein soll, welcher angeblich im Rausch zuweilen einen Haarbeutel statt
des Zopfes einzubinden pflegte.
[* 59] (Pili), in der Haut
[* 60] wurzelnde fadenförmige Gebilde, die bei sehr vielen Tieren vorkommen,
ganz allgemein jedoch nur bei den Säugetieren vertreten sind. Sie sind entweder einzellig (bei vielen Gliederfüßlern) oder
mehrzellig; im erstern Fall verlängert sich eine der gewöhnlichen Hautzellen direkt in einen Fortsatz, das Haar, im zweiten
dagegen wachsen die Zellen selbst, ohne ihre Form wesentlich zu ändern, über das Niveau der Haut hervor.
Manche Haare sind wie die Federn mit seitlichen Strahlen besetzt (Fiederhaare), andre sind durch besondere Bildungen zur Leitung
des Schalles (Hörhaare) oder zur Übertragung einer Berührung auf die Nerven
[* 61] (Tasthaare) befähigt.
Die Haare der Säugetiere (und die haarähnlichen Bildungen in den übrigen Wirbeltierklassen) bestehen mit
Ausnahme ihrer Papillen (s. unten) völlig aus Epithelzellen (s. Haut), die aber in verschiedenem Maß abgeplattet und verhornt
sind, so daß sich drei Schichten unterscheiden lassen: Oberhäutchen
[* 48]
(Fig. 1 o), Rinde (r) und Mark (m);
doch können auch
diese zum Teil fehlen (z. B. die Marksubstanz in den feinen Wollhaaren).
Der über die Haut frei hervorragende Teil des Haars (Schaft) und der darin verborgene (Wurzel)
[* 62] verhalten sich hierin ganz gleich,
doch ist letztere, da sie allseitig von Haut umgeben wird, weich. Ihr unteres, kolbig angeschwollenes Ende
(Haarzwiebel oder
Haarknopf,
[* 48]
Fig. 2 Hz) besteht aus weichen, rundlichen Zellen, ähnlich denen der sogen. Schleimschicht
der Oberhaut. Wie ein Fingerhut dem Finger, so sitzt die Zwiebel der Papille
[* 48]
(Fig. 2 P) auf, welche zur Lederhaut gehört und gleich
den andern Papillen derselben reich mit Blutgefäßen und Nerven versorgt ist. An ihrer Oberfläche ist die eigentliche Bildungsstätte
des Haars, denn hier entstehen fortwährend neue Zellen, welche die auf ihnen lagernden allmählich aus der Hauteinsenkung
herausschieben. (Somit ist der älteste Teil des Haars seine Spitze.) Letztere nennt man auch Haarbalg
[* 48]
(Fig. 2 Hb); er ist nur
Einstülpung der Haut und wird daher gleich dieser von der Oberhaut überzogen. Seitlich vom Haar liegt
eine Talgdrüse
[* 48]
(Fig. 2 T; s. Haut), welche ihre Absonderung an das Haar gelangen läßt; ferner setzt sich an jeden Haarbalg
ein aus glatten Fasern bestehender Muskel (M) an, der sowohl die Entleerung der Drüse bewirkt, als auch den schräg liegenden
Haarbalg gerade richtet und gegen die Oberhaut andrückt, so daß diese in Form eines kleinen, runden
Walles um die Austrittsstelle der Haare hervortritt und die sogen. Gänsehaut bildet.
BeimMenschen sind die Haare fast über den ganzen Körper verbreitet. Nur die Innenfläche der Hand
[* 63] und die Fußsohle, die vordern
Finger- und Zehenglieder und die Lippen sind ohne Haare. Man rechnet im Durchschnitt beim Mann auf 1 qcm Haut
des Scheitels 171, des Kinnes 23, der Vorderfläche des Oberarms 8 Haare; ihre Gesamtzahl auf dem Kopf mag 80,000, auf dem übrigen
Körper noch 20,000 betragen, das Gewicht des Kopfhaars bei Frauen 250 g und mehr. Auf gleich großen Flächen
der Kopfhaut stehen die schwarzen Haare weniger dicht als die braunen und noch weniger dicht als die blonden (Verhältnis 86:95:107).
An den einzelnen Körperstellen haben die eine bestimmte Richtung.
Die Entwickelung der Haare beginnt beim Menschen bereits am Ende des dritten Monats des Fötallebens. Zuerst entsteht
eine Einsenkung der Lederhaut, welche aber von der hier stärker wachsenden Oberhaut gänzlich ausgefüllt wird. In diesen
nach der Innenseite des Körpers zu gerichteten Zapfen
[* 64] wächst dann von der Lederhaut aufwärts eine keulenförmige Papille hinein,
auf deren Oberfläche die Zellen der Oberhaut bei lebhaftem Wachstum sich zum Haar gruppieren. Das junge
Haar durchsetzt darauf in 4-5 Wochen den ganzen Zapfen und erscheint mit der Spitze auf der Oberfläche der Haut. Zuerst ent-
stehen die Haare der Augenbrauen und die Augenwimpern, später die Kopfhaare und zuletzt die Haare des übrigen Körpers. In der 24. Woche
des Fötallebens ragen die meisten Haare schon über die Hautoberfläche hervor; es sind aber noch die sogen.
Wollhaare mit kurzen Haarbälgen. An vielen Hautstellen bleiben sie für immer fortbestehen, an andern
dagegen entwickeln sich statt ihrer dickere Haare von einer neuen, tiefer gelegenen Papille aus; hierauf bildet sich die Papille
des Wollhaars zurück, und dieses fällt aus.
Dieser Haarwechsel erfolgt während der Kindheit wahrscheinlich mehrere Male. Auch später fallen die Haare, sowie sie ihre Länge
erreicht haben, aus und werden durch andre, welche neben ihnen aus einer Abzweigung der Papille hervorsprießen,
ersetzt. Bei vielen Tieren ist dieser Haarwechsel periodisch, beim Menschen geschieht er unmerklich. Täglich fallen von den
Haaren des Kopfes im Mittel 38-103 aus; das tägliche Wachstum beträgt, einerlei ob die Haare geschnitten werden oder nicht,
0,2-0,3 mm. Die Barthaare werden in ihrem Wachstum dagegen durch das Rasieren gestärkt.
Die Lebensdauer der Kopfhaare beträgt 2-4 Jahre, der Augenwimpern nur 100-150 Tage. Haare, die mit ihrer Wurzel ausgerissen und
in einen Hautschnitt eingefügt worden sind, wachsen bisweilen fort und gedeihen auf ihrem neuen Wohnsitz. Ausgedehnte Zerstörungen
der Lederhaut behaarter Stellen führen immer zu haarlosen Narben; anderseits bilden sich auf Narben an sonst
schwach behaarten Stellen, z. B. am Oberarm, bisweilen lange Haare von der Stärke
[* 67] des Barthaars. - Die Kräuselung des Haars hängt
nicht von der Dicke desselben, sondern von der Form seines Querschnitts ab und ist um so stärker, je mehr
dieser von der Kreisform abweicht. - Die Farbe der Haare ist sehr verschieden und verändert sich auch während des Wachstums
fortwährend; namentlich werden hellblonde Haare mit zunehmendem Alter immer dunkler.
Zur Hervorbringung der Farbe dienen zwei Faktoren: Farbstoff und Luft. Ersterer, bräunlich bis braunschwarz, findet sich spärlich
oder reichlich in der Rinde vor, die Luft hingegen hauptsächlich im Mark in und zwischen den Zellen desselben, und zwar sind
helle Haare reicher an kleinen lufthaltigen Räumen als dunkle. Durch die schwach gefärbte Rinde heller Haare schimmert bei auffallendem
Lichte die Luft des Marks silberweiß hindurch, während ihre Wirkung durch die starke Färbung dunkler Haare aufgehoben
wird.
Bei den sogen. grauen oder weißen Haaren enthält auch die Rinde zahlreiche Lufträume. Für das Ergrauen der Haare gibt es
zwei Ursachen: entweder es bildet sich kein Farbstoff mehr, oder die Menge der Lufträume nimmt zu.
Letzteres findet namentlich
bei dem plötzlichen Ergrauen statt, dessen eigentümliche Gründe man indessen nicht kennt;
ersteres
beim Ergrauen der Haare im Alter oder beim jährlichen Haarwechsel derjenigen Säugetiere, welche ein weißes Winterkleid tragen.
Die Haare besitzen eine große Festigkeit.
[* 68] Ein menschliches Kopfhaar zerreißt durchschnittlich erst bei einer Belastung mit 180 g.
Sie sind ferner stark hygroskopisch, und der Saussuresche Feuchtigkeitsmesser ist im wesentlichen ein
entfettetes Haar, welches sich in feuchter Luft ausdehnt, in trockner zusammenzieht. Trockne Haare werden durch Reiben elektrisch
und können selbst Funken sprühen, wie dies von den Haaren derKatzen
[* 69] bekannt genug ist. Als schlechte Wärmeleiter schützen
die Haare die mit ihnen bedeckten Körperteile vor derKälte.
Die Haare haben eine nicht geringe physiognomische Bedeutung, und aus der Behaarung des Kopfes schließt man wohl auf die Körperkraft
des Individuums, indessen nicht immer mit Recht.
Die Pflege des Haars zur Erhaltung und Verschönerung desselben sollte sich auf möglichst wenige Maßregeln beschränken. Man
weiß thatsächlich sehr wenig darüber, was den Haaren heilsam ist und was ihnen schadet, und man hat
diese Unwissenheit mit einer Unzahl von Vorschriften zudecken wollen. Die Hauptsache scheint zu sein, die Haare nicht
übermäßig zu mißhandeln durch festes Binden, Flechten,
[* 72] durch häufiges Brennen, Färben u. dgl. Reinlichkeit des Haars und
des Haarbodens wird am besten durch Kamm und mäßig harte Haarbürsten erreicht, auch kann man ohne Nachteil
das Haar mit Wasser und Seife oder Seifenspiritus waschen; nur sollte man für schnelles Trocknen desselben Sorge tragen und,
falls die Haare nicht von Natur sehr fettig sind, durch Einölen nachhelfen.
Das Brennen der Haare sollte man jedenfalls nicht oft vornehmen, nur auf die Enden der Haare beschränken und
die Eisen
[* 73] nicht zu heiß machen (sie dürfen weißes Papier nicht gelb färben). Über den Einfluß des Schneidens der Haare auf
das Leben derselben sind die Ansichten geteilt. Auch weiß man wenig oder nichts über den Einfluß der
Kopfbedeckungen; jedenfalls schützen diese das Haar vor Verunreinigung und verhindern in hoher Temperatur einen übermäßigen
Wasserverlust desselben. Zu warme Kopfbedeckungen (Pelzmützen oder gar wasserdichte Mützen) sind entschieden verwerflich,
weil sie die Ausdünstung der Kopfhaut unterdrücken; anderseits sind Kopfbedeckungen notwendig, wenn man den Sonnenstrahlen
ausgesetzt ist. Vgl. Kahlköpfigkeit.
Zum Färben der Haare sind meist bleihaltige Mittel empfohlen worden, vor deren Anwendung aber entschieden
zu warnen ist. Unschädlich ist die Anwendung von frisch gepreßtem Walnußschalensaft, humussaurem Ammoniak und Pyrogallussäure,
während Höllensteinlösung Vorsicht erheischt. Die reine Höllensteinlösung gibt einen unangenehmen Farbenton und die
gleichzeitige Anwendung von Schwefelleber ein zu intensives Schwarz. Sehr konzentrierte Lösungen beschädigen
auch das Haar.
Das Mittel färbt dunkel schwarzbraun und gibt mit verdünnterer Höllensteinlösung hellere Töne. Zum
Blondfärben dunklerer Haare wird jetzt eine schwache Lösung von Wasserstoffsuperoxyd (Golden hair wash, Eau de Jouvence) benutzt.
Um Haare von Stellen, wo man sie nicht haben will, zu entfernen, wendet man die Enthaarungsmittel (depilatoria) an, von welchen
das bekannteste das Rusma ist, welches aus Ätzkalk und Auripigment (Schwefelarsenik) besteht. Ebenso wirksam,
aber ungefährlich ist frisch bereitetes Calciumsulfhydrat, welches messerrückendick auf die zu
¶
mehr
enthaarende Stelle aufgetragen und nach einigen Minuten abgewaschen wird. Dies Mittel entfernt aber nicht die Haarwurzeln, und
die Haare wachsen daher wieder nach. Ziemlich vollständig werden die Haarwurzeln durch das Psilothron entfernt, eine Harzmischung,
welche mit dem Haar fest verklebt und beim Abnehmen die Wurzeln auszieht. Alle diese Mittel entfernen nur
ausnahmsweise die Haare dauernd, meist wachsen sie mit immer dicker werdendem Schaft wieder. Als sicherstes und bei sachverständiger
Ausführung nicht sehr schmerzhaftes Verfahren wird neuerdings die Elektrolyse
[* 75] empfohlen.
Mittels sehr feiner, biegsamer Stahlnadel wird mit oder ohne vorheriges Ausziehen des Haars der Haarbalg angestochen, dann die
galvanische Kette geschlossen, während die andre Schwammelektrode in der Nähe aufgesetzt ist, und so
die Haarwurzel ausgebrannt und damit dauernd zerstört.
Vgl. Pinkus, Die Krankheiten der menschlichen und die Haarpflege (2.
Aufl., Berl. 1879);
Geschichte der Haartrachten; technische Verwendung.
Zu allen Zeiten und bei allen Völkern wurde das Haar mit mehr oder weniger Kunst und Geschmack geordnet und gepflegt. Die Assyrer,
Perser und Ägypter kräuselten Haar und Bart auf das sorgfältigste und ersetzten fehlendes auch durch Perücken. Haar und Bart
wurden reich gesalbt, auch gefärbt und mit Binden, Bändern, Reifen und Schmucksachen
[* 77] aus edlem und unedlem
Metall geschmückt (s. Tafel »Kostüme
[* 78] I«,
[* 79] Fig. 2 u. 3). Bei den Hebräern wurde das Haupthaar dick und stark getragen, und
ein Kahlkopf galt nicht nur als arge Beschimpfung, sondern war zum Teil auch wegen Verdachts des Aussatzes dem Volk verhaßt.
Die Männer pflegten das Haar von Zeit zu Zeit mit einem Schermesser zu stutzen, und nur Jünglingen scheint die ältere Sitte
gestattet zu haben, lang herabwallendes Haar zu tragen. Bei den spätern Juden aber galt langes Haar der Männer für ein Zeichen
der Weichlichkeit, und den Priestern war es untersagt, solches zu tragen. Nur zufolge eines Gelübdes ließen
auch Männer bisweilen das Haar wachsen. Die Frauen dagegen legten stets einen hohen Wert auf lange und pflegten sie besonders
zu kräuseln und zu flechten.
Kämme sind im Alten Testament nirgends erwähnt, während andre Völker sie kannten. Man salbte das Haupthaar
mit wohlriechenden Ölen und gab demselben durch Einstreuen von Goldstaub Glanz. Die Griechen sahen im Haar den vorzüglichsten
Schmuck des menschlichen Hauptes, und Homer zählt es zu den GeschenkenAphrodites. Während die Spartaner vom Mannesalter an
das Haar lang trugen, weil es der wohlfeilste Schmuck sei, trugen die Athener wenigstens seit der Zeit der
Perserkriege vom Mannesalter an das Haar mäßig verschnitten und künstlich in Locken gedreht, und während die Spartaner den
Knaben das Haar kurz schnitten, trugen diese in Athen
[* 80] und anderwärts, bis sie die Ephebenjahre (in Athen das 18. Jahr) erreichten,
lang herabhängendes Haar; dann aber verschnitt man es ziemlich kurz und ließ es erst mit dem Beginn des
reifern Alters wieder länger wachsen.
Sklaven durften bei den Spartanern sowohl als anderwärts die Haare nicht lang tragen. BeimEintritt in das Ephebenalter weihte
der Jüngling das ihm abgeschnittene Haar einer Gottheit, gewöhnlich dem Apollon.
[* 81] Die Jungfrau schnitt sich
vor derHochzeit das Haar ab; in Sparta trugen die Bräute verschnittenes Haar. Allgemein war die Sitte, durch Vernachlässigung
des Haars seine Trauer auszudrücken,
indem man es entweder abschnitt, oder unordentlich herabhängen ließ.
Dies geschah bei Sterbefällen, nach verlornen Schlachten
[* 82] etc., daher auch die Sitte der Alten, nach überstandener Gefahr,
besonders nach einem Schiffbruch, das Haar zu scheren und dem Poseidon
[* 83] zu opfern. Auf den ältesten Kunstdenkmälern erscheinen
Frauen und männliche Figuren mit langen, zopfartigen Locken, die weit über die Achseln, ja über die Brust herabhängen. Spätere
Kunstwerke zeigen das Haar offen, gescheitelt und hinten in einen Schopf zusammengebunden, über welchem
man eine Art Haube oder Haarnetz trug.
Die ersten Haarkräusler finden wir zu Athen, wo sie ein besonderes Gewerbe bildeten. Bis 300 v. Chr., wo
P. Ticinius Mena den ersten Tonsor aus Sizilien
[* 89] nach Rom brachte, ließen die Römer
[* 90] nach dem Zeugnis des Varro das Haar lang herabhängen;
zu Ciceros Zeit aber prangten nicht nur junge Stutzer, sondern selbst hohe Staatsmänner mit künstlichem und salbenduftendem
Lockenbau. Der Haarputz der Frauen nahm seit der Augusteischen Zeit eine immer reichere Form und größere
Dimensionen an (Textfig. 9 u. 10), und da zu der beliebten
Fülle von Zöpfen und Locken die Haare. EinesKopfes nicht ausreichten, nahm man dazu falsches Haar (capillamentum).
Die alten Bewohner des europäischen Nordens, namentlich die Kelten, banden das Haar am Hinterkopf zusammen
(daher hieß bei den Römern das eigentliche Gallien, zum Unterschied von der gallischen Provinz, Gallia comata). Das lange,
starke Haar galt ihnen als ein Merkmal männlicher Würde und Freiheit. Die germanischen Völker zeichneten sich durch ihr langes,
braungelbes, hier und da in das Goldblonde oder Rötliche fallende Haar aus. Abgeschornes Haar war bei
Kelten und Germanen ein Zeichen der Unterthänigkeit; auch hat sich das Haarabscheren als entehrende Strafe lange in einzelnen
deutschen Rechten erhalten.
Bei den Franken war die Ehrentracht des langen Haars eine Zeitlang ein Zeichen der königlichen Würde (daher heißen die Merowinger
auch die gelockten Könige), und solange dies währte, mußten alle Unterthanen kürzeres Haar tragen. Dagegen
trugen Karl d. Gr. und die Karolinger kurzes Haar (s. Tafel »Kostüme I«,
[* 79] Fig. 10), während die Sachsen,
[* 91] die in den frühern
JahrhundertenKopf- und Barthaar schoren, in und nach der Zeit Karls d. Gr. bis gegen Ende des 10. Jahrh.
das Haar lang herabfallen ließen.
Auch die Frauen ließen es entweder frei herabhängend wachsen, oder banden es auf und befestigten es mit Knopfnadeln. In den
folgenden Jahrhunderten pflegten die Männer das Haar bis auf die Schultern herab zu tragen, über der Stirn kurz abzuschneiden,
es auch zu kräuseln und zu locken, während die Frauen es, wie früher, lang herabwallen ließen (s.
Tafel »Kostüme I«,
[* 79] Fig. 13), oder mit dem Gebende
[* 92] (s. d.) bedeckten, oder durch einen Schapel (s. d.) hielten, oder, besonders
in Frankreich und England, mit Bändern zu einem oder zwei Zöpfen umwanden, die auf den Rücken oder vorn über
die
¶