(authentische
Interpretation) oder auch das
Gewohnheitsrecht
(Usualinterpretation) sein. Die authentische
Interpretation hat
rückwirkende
Kraft,
[* 2] sofern nicht eine
Sache bereits durch rechtskräftiges
Urteil,
Vergleich etc. abgethan ist. Übrigens entsteht
durch jede Legalinterpretation ein neuer Rechtssatz, der nur zu einem frühern
Gesetz in die Beziehung gestellt ist, daß
er so behandelt werden soll, als wäre er schon durch dieses
Gesetz gegeben. Es kann daher auch in konstitutionellen
Staaten dem
Regenten das
Recht der einseitigen authentischen
Interpretation der mit Zustimmung der
Landstände erlassenen
Gesetze
nicht zugestanden werden.
Auf der andern Seite aber ist zu berücksichtigen, daß die
Worte nur dadurch Bedeutung haben, daß
sie denWillen des Sprechenden enthalten. So bestimmt denn auch das deutsche
Handelsgesetzbuch im Art. 278 ausdrücklich, daß der
Richter bei Beurteilung der
Handelsgeschäfte den
Willen der Kontrahenten zu erforschen hat und nicht an dem buchstäblichen
Sinn des
Ausdrucks haften soll.
Vgl. außer den Lehrbüchern des Pandektenrechts:
Lang, Beiträge zur
Hermeneutik
des römischen
Rechts (Stuttg. 1857).
Gewalt (legislative
Gewalt), die
Staatsgewalt, insofern sie auf dem Gebiet der
Gesetzgebung in Thätigkeit
tritt. Eine veraltete
Theorie will die
Staatsgewalt einer Dreiteilung unterziehen, indem zwischen gesetzgebender, richterlicher
und
Exekutivgewalt unterschieden und indem für die gesetzgebende Gewalt eine
Teilung derselben zwischen dem Monarchen und der
Volksvertretung
in der konstitutionellen
Monarchie angenommen werden soll. In Wirklichkeit handelt es sich jedoch dabei lediglich um verschiedene
Zweige der Thätigkeit der Staatsregierung und um die Mitwirkung der
Volksvertretung bei den wichtigern Regierungshandlungen,
insbesondere bei der
Gesetzgebung (s.
Staat).
Körper (franz.
Corps législatif) eine in
Frankreich durch die
Verfassung vom
(Konstitution
vom Jahr VIII der
Republik) eingerichtete
Körperschaft von 300 Mitgliedern, welche, aus gewählten Kollegien vom
Senat ausgesucht,
ohne
Diskussion die
Gesetze zu votieren hatte, nachdem über dieselben drei
Staatsräte und drei
Tribunen
gesprochen. Das Tribunat nämlich hatte über die
Gesetzvorschläge zu diskutieren, durfte aber nicht über sie entscheiden,
sondern nur seine Meinung dem
GesetzgebendenKörper vorlegen. Im zweiten Kaiserreich wurde durch die
Verfassung vom abermals
neben einem von der
Regierung ernannten
Senat ein gesetzgebender Körper von 262 Mitgliedern eingesetzt, die durch das allgemeine
gleiche
Stimmrecht auf sechs Jahre erwählt wurden. An seine
Stelle trat die Deputiertenkammer
(Chambre des députés) der
Republik.
Übrigens wird der
Ausdruck gesetzgebender Körper vielfach gleichbedeutend mit
Volksvertretung (s. d.) gebraucht.
bezeichnet sowohl den
Akt des Gesetzgebens als auch die
Resultate dieser staatlichen
Thätigkeit. So spricht man z. B. von der preußischen oder
von der deutschen Gesetzgebung. Ein
besonderes
Geschick in der Abfassung und in der Gestaltung der
Gesetze wird als Gesetzgebungskunst bezeichnet (s.
Gesetz).
die Befugnis zum
Erlaß allgemeiner Rechtsnormen für ein bestimmtes Staatsgebiet,
welche in konstitutionellen
Staaten durch die Staatsregierung unter Mitwirkung der
Volksvertretung ausgeübt wird. Vgl.
Gesetz,
S. 232.
der formulierte
Entwurf eines zu erlassenden
Gesetzes, welcher von einem
Organ der
Gesetzgebung ausgeht.
Die Befugnis und die
Pflicht, Gesetzvorschläge zu machen, kommt zunächst der Staatsregierung zu, welche dieselben derVolksvertretung
vorlegt, um mit der letztern das
Gesetz zu vereinbaren und zu stande zu bringen. Es hat aber regelmäßig auch die
Volksvertretung
das
Recht der gesetzgeberischen
Initiative, d. h. sie kann ebenfalls Gesetzvorschläge machen und ihre Beratung und
Annahme
im
Schoß der betreffenden parlamentarischen
Körperschaft herbeiführen.
Soll ein solcher Gesetzvorschlag Gesetzeskraft erlangen, so ist dazu freilich nicht bloß
die Zustimmung der
Volksvertretung und zwar beider
Kammern, wofern das
Zweikammersystem besteht, erforderlich, sondern ebenso
die Zustimmung der Staatsregierung. Nach der
Geschäftsordnung des deutschen
Reichstags bedürfen
Anträge von Abgeordneten,
welche Gesetzvorschläge enthalten, gleich den Regierungsvorlagen, einer dreimaligen
Lesung (Beratung). Ein solcher Gesetzvorschlag muß
von mindestens 15 Mitgliedern unterstützt und unterzeichnet sein. Von den Gesetzvorschlägen der
Volksvertretung
sind die von derselben ausgehenden
Resolutionen zu unterscheiden, deren
Zweck es vielfach ist, die
Regierung zur Vorlegung eines
Gesetzentwurfs aufzufordern. Die
Gesetzentwürfe der
Regierung sind regelmäßig mit einer schriftlichen Begründung
(Motive)
versehen, während bei den Gesetzvorschlägen der Abgeordneten zumeist nur eine mündliche Begründung
üblich ist.
[* 3]
(Angesicht,
Antlitz,
Facies, Vultus), der vordere Teil des
Kopfes (s. d.) bei den
Säugetieren.
BeimMenschen ist
es von Haupthaar frei und tritt infolge der größern
Ausbildung des
Gehirns weit mehr hervor, als es bei den übrigen
Säugetieren
der
Fall ist, derenNase
[* 4] und
Mund meist zu einer Schnauze verlängert sind. Darum bildet auch beim
Menschen
die
Stirn, obwohl sie anatomisch nicht zum Gesicht, sondern zum Schädelteil des
Kopfes gehört, einen Hauptteil des
Gesichts. Durch
die Verschiedenheit der Verhältnisse der einzelnen Gesichtspartien zu einander wird die Gesichtsbildung bedingt. Der je
nach der Gemütsstimmung wechselnde Gesichtsausdruck beruht im wesentlichen auf der Thätigkeit der Gesichtsmuskeln
(s. Tafel
»Muskeln«,
[* 5] Fig. 1) und wird besonders durch
Augen und
Mund als die beweglichsten Teile des
Gesichts hervorgebracht.
Die Gesichtsfarbe entspricht der übrigen Hautfarbe; bei den
Weißen zeichnet sie sich durch ein lebhafteres
Kolorit aus und
zwar vornehmlich an den
Backen, deren
Röte auf dem lebhaftern
Blutumlauf beruht.
GewisseNüancen der Gesichtsfarbe,
namentlich eine
¶
mehr
ins Gelbliche, Bläuliche, Bleifarbene gehende, sind die Wirkungen besonderer Krankheiten. Oft treten in der Gesichtsbildung
mehrerer Individuen gewisse Ähnlichkeiten hervor, so bei Familiengliedern (Familiengesicht). Außerdem zeigen nicht nur Volksstämme
und ganze Völker, sondern selbst Menschenrassen
[* 7] bei aller individuellen Verschiedenheit der Gesichtszüge eine gewisse Übereinstimmung
in denselben. Vgl. Gesichtslinien. - Bei den Insekten
[* 8] heißt Gesicht der obere oder vordere Teil des Kopfes.
(Gesichtssinn, Visus), das Vermögen, zu sehen, die Gesamtheit der Verrichtungen des Auges, vermöge deren wir
uns in der Außenwelt mittels des Lichts zu orientieren vermögen. Der Gesichtssinn hat eine unendlich viel größere Tragweite
als alle übrigen Sinne; während die Organe des Tast- und Geschmackssinnes (genau genommen auch die des
Geruchssinnes) mit dem Objekt, zu dessen Wahrnehmung sie uns verhelfen sollen, in unmittelbare Berührung gebracht werden müssen,
findet beim Gehör
[* 9] und Gesicht nur eine mittelbare Wahrnehmung statt, indem beim Gehör die von dem tönenden Objekt ausgehenden Schallwellen,
beim Gesicht die von dem leuchtenden Objekt ausgehenden Lichtätherwellen sich zwischen das wahrzunehmende
Objekt und das betreffende Sinnesorgan einschalten.
Das Auge
[* 10] verdankt die Fähigkeit der Lichtempfindung dem Sehnerv. Die Endapparate der Sehnervenfasern, nämlich die Stäbchen
und Zapfen
[* 11] der Netzhaut des Auges (s. Auge), haben die spezifische Eigenschaft, die Schwingungen des Lichtäthers in
einen Nervenreiz umzusetzen. ObjektivesLicht,
[* 12] welches auf die Stäbchen und Zapfen der Netzhaut auffällt, versetzt die mit
jenen zusammenhängenden Nervenfasern in einen Erregungszustand, welcher dem Zentralorgan der Empfindung zugeleitet wird und
hier den subjektiven Eindruck einer Lichtempfindung veranlaßt.
Zwar ruft ein jeder Erregungszustand der Sehnervenfasern subjektive Lichtempfindungen hervor, aber nur
von den Endapparaten der Netzhaut aus können die Sehnervenfasern durch objektives Licht in den Erregungszustand versetzt werden.
Für die Auffassung des Lichtreizes und für die Unterscheidung seiner Intensität (hell und dunkel) bedürfte das Auge (abgesehen
von dem zentralen Sinnesapparat im Gehirn,
[* 13] dessen Erregungszustand für uns ebensoviel wie Lichtempfindung bedeutet) nur
einer einzigen Nervenfaser, die mit einem die Lichtreizung vermittelnden Endorgan (mit einem Stäbchen) verbunden sein müßte.
Bei absolutem Lichtmangel würde diese eine Sehnervenfaser gar nicht erregt werden, mit der Steigerung der Intensität des
Lichts würden der Reizzustand und die Lichtempfindung an Stärke
[* 14] zunehmen. Auf dieser Entwickelungsstufe befindet sich das
Gesicht zahlreicher niederer Tiere, Würmer
[* 15] etc., deren sogen. Augenpunkte Pigmentablagerungen darstellen, welche
einen lichtempfindenden Nerv umgeben. Da wir aber auch die Fähigkeit besitzen, die Farben, d. h. die verschiedenen Qualitäten
des Lichts, als verschiedene Reize wahrzunehmen, so müssen spezifische Farbenempfindungsorgane vorhanden sein, welche nur
durch Licht von
bestimmter Wellenlänge erregbar sind.
Als solche spezifische, der Wahrnehmung des farbigen Lichts dienende Endorgane des Sehnervs sind nach neuern
Untersuchungen die Zapfen der Netzhaut anzusehen. Ihre gleichzeitige Erregung bringt den Eindruck des weißen Lichts, die Erregung
jedes einzelnen den Eindruck farbigen Lichts hervor. Die in das Auge eintretenden Lichtstrahlen werden durch ein System verschieden
brechender Medien (Hornhaut, wässerige Flüssigkeit, Linse,
[* 16] Glaskörper) so auf die Netzhaut projiziert, daß
auf dieser ein verkleinertes, umgekehrtes, reelles Bild der gesehenen Gegenstände entsteht, und zwar ganz ähnlich wie in der
Camera obscura.
[* 17]
Da man nun den Gang
[* 18] der Lichtstrahlen in einem optischen System, dessen brechende Oberflächen und Brechungskoeffizienten bekannt
sind, durch Berechnung der sogen. Kardinalpunkte genau bestimmen kann, so müßte man, um das Auge als
optischen Apparat beurteilen zu können, den Gang der Strahlen durch diese vier Medien, welche durch vier sphärische Flächen,
nämlich durch die beiden Seiten der Hornhaut und die beiden Grenzflächen der Linse, geschieden sind, berechnen. Da aber
sowohl die Hauptpunkte als die Knotenpunkte im Auge sehr nahe bei einander liegen, kann man ohne nennenswerten Fehler die erstern
wie die letztern in je einen Punkt zusammenziehen und die Wirkung des ganzen Systems durch ein brechendes Medium mit einer einzigen
an Stelle der Hornhaut befindlichen brechenden Fläche darstellen. So läßt sich das komplizierte natürliche
Auge in ein schematisches (Listings reduziertes Auge) umwandeln.
In
[* 3]
Fig. 1 ist die brechende Kugelfläche des reduzierten Auges durch den punktierten Bogen
[* 19] ll zwischen den beiden Hauptpunkten
h, h,, angedeutet; der Knotenpunkt x liegt zwischen den beiden wirklichen Knotenpunkten k, k,,; die Lage der
Brennpunkte F, F,, hat keine Verschiebung erfahren. Soll nun der Ort des Bildes auf der Netzhaut für einen bestimmten Punkt des
Objekts bestimmt werden, so genügt hierzu die Kenntnis der Lage des Knotenpunktes x vollständig. Man findet nämlich den Ort
des Bildes, indem man von dem leuchtenden Punkt eine gerade Linie durch x bis zur Netzhaut zieht. Da, wo
diese gerade Linie (z. B. G, G,,), welche man als Richtungslinie oder Sehstrahl bezeichnet, die Netzhaut trifft, liegt der
Ort des Bildes.
Es ist viel darüber gestritten worden, wie es kommt, daß wir die Objekte aufrecht sehen, obschon ihre Netzhautbilder umgekehrt
sind. Im Grunde genommen ist der Streit überflüssig, weil es sich dabei um eine falsche Fragestellung
handelt. Wir müssen nämlich daran festhalten, daß nicht das Auge selbst das Bild sieht, welches in demselben entworfen wird,
sondern daß sich der von dem leuchtenden Punkt hervorgebrachte Gesichtseindruck durch die Sehnervenfasern in das Gehirn
fortpflanzt und hier erst auf eine uns freilich nicht erklärliche Weise zum Bewußtsein kommt. Das Gehirn aber versetzt stets
die empfangenen Gesichtseindrücke nach den Gesetzen der Projektion,
[* 20] d. h. in
der Richtung der Sehlinien, nach außen. Der Lichteindruck, welcher oben in der Netzhaut stattgefunden, wird dahin projiziert,
wo, wenn wir von ihm aus durch den Kreuzungspunkt der Richtungsstrahlen eine gerade Linie nach außen ziehen, diese Linie endet,
also nach unten und umgekehrt; das gleiche Verhältnis findet statt zwischen rechts und links: die Gesichtseindrücke
der linken Seite der Retina werden nach rechts, die der rechten Seite nach links projiziert.
Aber nur Objekte aus sehr bedeutender Entfernung würden sich für gewöhnlich auf der Netzhaut deutlich abbilden, besäße
das Auge nicht einen Muskelmechanismus, durch dessen Thätigkeit die Krümmung der beiden Linsenflächen derartig verstärkt
werden kann, daß nunmehr auch nähere Objekte deutliche Bilder auf die Netzhaut werfen. Neben dieser Akkommodation für Nähe
und Ferne besitzt das Auge noch die Fähigkeit, sich wechselnden Lichtintensitäten anzupassen, indem es durch Veränderung
der Pupillenweite die Größe des in sein Inneres dringenden Strahlenkegels reguliert. Man bezeichnet diese Fähigkeit als
Adaptation für Lichtstärke.
Das Auge kann niemals gleichzeitig Gegenstände deutlich sehen, die in erheblich verschiedener Entfernung gelegen sind. Strahlen,
die von einem Punkt kommen, auf welchen das Auge nicht eingestellt ist, erzeugen kein scharfes Bild, sondern ein Zerstreuungsbild.
Hält man in mäßiger Entfernung vom Auge einen durchsichtigen Schleier und hinter denselben in einer Entfernung
von 50 cm eine Schrift, so kann man nacheinander bald die Fäden des Schleiers, bald die Buchstaben der Schrift, niemals aber beide
zusammen deutlich sehen.
Die Akkommodationsbreite, d. h. der Inbegriff aller Entfernungen, aus denen das Auge scharfe Bilder aufzunehmen vermag, liegt
beim Menschen zwischen 10-12 cm (Nahpunkt) und unendlicher Entfernung (Fernpunkt). Von dieser Norm kommen häufig
Abweichungen vor. Es kann nämlich der Fernpunkt in weit größerer Nähe und dann gewöhnlich auch der Nahpunkt näher rücken
(kurzsichtige oder myopische Augen), oder es rückt der Nahpunkt in größere Entfernung, während der Fernpunkt unverändert
bleibt (weitsichtige oder presbyopische Augen), oder endlich das Auge vereinigt erst konvergente, d. h.
also aus weiter als unendlicher Entfernung kommende, Strahlen (übersichtige, hyperopische oder hypermetropische Augen).
Die Akkommodation erfolgt ausschließlich durch Formveränderungen der Linse und zwar derartig, daß beim Übergang vom Fernsehen
zum Nahesehen die Linse dicker wird und ihre vordere Fläche sich stärker wölbt
[* 21]
(Fig. 2). Damit, daß
die Akkommodation durch diese Formveränderung der Linse hervorgerufen wird, hängt es auch zusammen, daß die Akkommodationsfähigkeit
mit dem zunehmenden Alter mehr und mehr verloren geht. Die jugendliche Linse ist nachgiebig und verändert ihre Form sehr leicht,
die alte Linse hingegen ist widerstandsfähig und weniger elastisch.
Die Veränderung der Linsenform wird nun bewirkt durch die Wirkung eines im Innern des Auges gelegenen
Muskels (musculus ciliaris s. m. tensor chorioideae). Die Linse des ruhenden Auges besitzt nicht diejenige Gestalt,
welche dem
Gleichgewicht
[* 22] ihrer elastischen Kräfte entspricht. Befreit man sie von ihrer Umgebung, so wird sie dicker und nimmt
einen geringern Randumfang ein. Sie wird nun im lebenden Auge durch ein Band,
[* 23] das Strahlenband (zonula Zinnii), welches strahlenförmig
vom Rande der Linse in der Richtung auf den parallel dem Äquator des Auges gelegenen gezahnten Rand (ora serrata) nach außen
geht, befestigt, und dieses Band, welches sich am ruhenden Auge fortwährend in einem Zustand radialer
Spannung befindet, verhindert die Linse, ihre Gleichgewichtslage anzunehmen. An dieses Band treten nun in der Nähe der Ora serrata
die Fasern des Ciliarmuskels, welche ihren festen Punkt am Rande der durchsichtigen Hornhaut haben. Ziehen sich also die freien
Enden dieses Muskels zusammen, so wird sich die Ora serrata mit der Ursprungsstelle des Strahlenbandes
dem Hornhautrand nähern, damit wird die radiale Spannung dieses Bandes nachlassen, und die Linse wird die Möglichkeit erlangen,
sich ihrer natürlichen Gleichgewichtsfigur zu nähern, d. h. ihre Dicke wird zunehmen.
Die Adaptation des Auges für Lichtstärken kommt durch Verengerung oder Erweiterung der Pupille zu stande.
Die Regenbogenhaut besitzt zwei Muskeln: den Erweiterer und Verengerer der Pupille (musculus dilatator und sphincter pupillae).
Der erstere besitzt radiale, der zweite zirkuläre Faserung. Die Iris stellt eine für Lichtreize äußerst empfindliche muskulöse
Blendung dar, die sich verengert bei wachsender, erweitert bei abnehmender Lichtstärke. Diese Bewegungen haben den
Sinn einer Adaptation, indem sie entweder die Menge des auf die Netzhaut fallenden Lichts durch Abblenden der Randstrahlen mäßigen,
oder bei sinkender Lichtstärke einer bedeutenden Lichtmenge den Zutritt zur Netzhaut gestatten.
Der optische Apparat des Auges hat zahlreiche Unvollkommenheiten mit den künstlichen Systemen gemein, Mängel, die teils von der
Unvollständigkeit der Zentrierung und von kleinen Unregelmäßigkeiten in der Gestalt der brechenden
Flächen, teils aber davon herrühren, daß das Gesetz der Vereinigung aller homozentrischen Strahlen in einem Punktnur für
die zentral auffallenden Strahlen gilt, während sich die Randstrahlen nicht mehr vollkommen vereinigen.
Letzterer Mangel bewirkt die sogen. sphärische oder monochromatische
Abweichung, und er ist z. B. daran schuld, daß uns die Sterne strahlenförmig erscheinen. Hiervon leitet sich auch die sogen.
Irradiation
[* 24] ab. Sie besteht darin, daß stark beleuchtete helle Flächen auf dunklem Grund größer erscheinen als dunkle Flächen
auf hellem Grund. HelleHandschuhe und Schuhe lassen Hände wie Füße größer erscheinen als dunkle. Wohlbeleibtheit
der Damen tritt in heller Kleidung besonders auffallend hervor. Die Irradiation erklärt sich daraus, daß die Zerstreuungskreise
des beleuchteten hellen Gegenstandes über den benachbarten dunkeln hinausgreifen, und daß sich daher der erstere auf Kosten
des letztern vergrößert. Trübungen der brechenden Medien oder beschattende Objekte unmittelbar vor derNetzhaut
rufen die sogen.
Diese Wahrnehmung der Netzhautgefäße bezeichnet man als die Purkinjesche Aderfigur; sie kennzeichnet sich als deutlicher
Gefäßbaum im Gesichtsfeld, der ganz demjenigen gleicht, welcher durch Injektion
[* 27] der Netzhautgefäße erhalten oder mittels
des Augenspiegels wahrgenommen wird. Man kann diese Aderfigur jeden Augenblick erzeugen, wenn man in einem
finstern Zimmer eine dunkle Wand fixiert und etwas seitwärts vom Auge ein Kerzenlicht hin und her bewegt.
Die entoptischen Erscheinungen des Glaskörpers zeichnen sich vor denen der andern Gebilde durch ihre Beweglichkeit aus, weshalb
sie auch als fliegende Mücken (mouches volantes) bezeichnet werden. Noch einen andern Mangel teilt das
Auge mit zahlreichen optischen Instrumenten. Die Bilder besitzen nämlich oftmals farbige Säume wegen der ungleichen Brechbarkeit
der verschiedenfarbigen Strahlen. Man bezeichnet diesen Mangel als chromatische Abweichung. Diese sowohl als die monochromatische
Abweichung werden übrigens durch die Iris sehr gemäßigt, indem diese die Randstrahlen abschneidet.
Das auf den Augenhintergrund fallende Licht wird keineswegs von dem Pigment der Aderhaut ganz verschluckt, denn man kann nachweisen,
wie ein Flammenbildchen auf der Netzhaut als Lichtquelle wirkt, welche den ganzen übrigen Augenhintergrund mit einem merklichen
Lichtschimmer überzieht. Früher nahm man eine Lichtentwickelung, eine Art Phosphoreszenz,
[* 28] im Innern
des Auges selbst an und suchte hierdurch das Leuchten desAuges mancher Tiere, welches von dem Erregungszustand und dem Willen
des Tiers abhängig sein sollte, zu erklären.
Wir wissen jetzt, daß das Augenleuchten auf eine Zurückwerfung von solchem Licht zurückzuführen ist, welches
vorher von außen eingefallen ist, und dieser Vorgang wird durch eine das
Licht stark reflektierende Membran, das sogen. Tapetum
lucidum, welche unmittelbar unter der Netzhaut liegt, äußerst begünstigt. In völlig finstern Räumen wird niemals Augenleuchten
beobachtet. Aber weil die Lichtmenge, welche beim Leuchten reflektiert wird, nur gering ist, darf die
Umgebung nur schwach beleuchtet sein, soll überhaupt das Augenleuchten wahrgenommen werden.
Um die Wirkung des ins Auge dringenden Lichts kennen zu lernen, haben wir uns zunächst mit der Einrichtung der Netzhaut vertraut
zu machen. Diese ist die innerste der Augenhäute und setzt sich zusammen aus den Fasern des Sehnervs, aus
eigentümlichen Anhangsgebilden dieser Fasern und endlich aus einer bindegewebigen Stützsubstanz, in welche die eigentlichen
nervösen Elemente eingelagert sind. Der feinere Bau derNetzhaut ist äußerst verwickelt; es sei deshalb hier nur kurz erwähnt,
daß man auf einem zur Flächenausbreitung der Netzhaut senkrechten Schnitt zehn verschiedene Schichten deutlich unterscheiden
kann, wie bei
[* 25]
Fig. 3 (vom Innern des Augapfels nach außen) angegeben.
Die ganzen Schichten kann man als ein schwammartig durchlöchertes Bindegewebe auffassen, in dessen Lücken die eigentlichen
nervösen Elemente eingelagert sind. In der Faserschicht, Ganglienzellenschicht und den beiden Körnerschichten sind die Lücken
verhältnismäßig groß, und hier dominiert daher das Nervengewebe. In den beiden Körnchenschichten herrscht
die Bindesubstanz vor. Die beiden Begrenzungsschichten bestehen ganz aus Stützsubstanz; die äußere ist zum Zweck des Durchtritts
der nervösen Elemente filigranartig durchbrochen. Die Stäbchen und Zapfen sind ausschließlich nervöse Elemente, und die
Pigmentschicht ist gewissermaßen als eine Umhüllungsschicht derselben aufzufassen. Sie bildet ein regelmäßiges Mosaik
von platten, sechseckigen Zellen, welche pigmenthaltige Fortsätze zwischen die Stäbchen und Zapfen aussenden.
Die Verbindung zwischen den am weitesten nach außen gelegenen Stäbchen und Zapfen und den dem Innenraum des Augapfels fast
unmittelbar anliegenden Fasern des Sehnervs (nur die innere Begrenzungsschicht bildet eine schwache Scheidewand) erfolgt derartig,
daß die Fasern dieses Nervs sich an die Ganglienzellen
[* 29] begeben. Diese Zellen, die sich im
Schichten in der Netzhaut des Menschen. Reihenfolge der Schichten (von innen nach außen): 1 Innere Begrenzungsschicht, 2 Nervenfaserschicht, 3 Ganglienzellenschicht, 4 innere
Körnchenschicht, 5 innere Körnerschicht, 6 äußere Körnchenschicht, 7 äußere Körnerschicht, 8 äußere Begrenzungsschicht, 9 Schicht
der Stäbchen und Zapfen, 10 Pigmentschicht.]
¶
mehr
Bau kaum von den gewöhnlichen Ganglien- oder Nervenzellen unterscheiden, senden mehrere Ausläufer aus, die nach außen dringen
und sich in äußerst feine Fädchen teilen, welche an die innere Körnchenschicht treten und sich innerhalb derselben verlieren.
Die Fäden stehen wohl unzweifelhaft im Zusammenhang mit der inneren Körnerschicht. In dieser findet man
nämlich zahlreiche größere Körner, die in ihrem Verhalten an kleine Nervenzellen erinnern, und von denen jedes Korn zwei
Ausläufer besitzt, deren einer nach innen, der andre nach außen gerichtet ist.
Der erste Ausläufer dürfte im Zusammenhang stehen mit den Fädchen der innern Körnerschicht, während der andre in Fädchen
der äußern Körnchenschicht übergeht, die sich, wie die jetzt folgende äußere Körnerschicht, wesentlich
wie die entsprechende innere Schicht verhält. Jedes Korn der äußern Körnerschicht steht nun mittels eines nach außen gerichteten
Ausläufers mit einem Stäbchen oder Zapfen der jetzt folgenden Schicht in Verbindung. Die Schicht der Stäbchen und Zapfen setzt
sich aus dicht gedrängten nervösen Elementen von zweifacher Art zusammen: die einen sind kürzer und
dicker (Zapfen), die andern länger und schmäler (Stäbchen). Im übrigen sind beide wohl schwerlich wesentlich verschiedene
Elemente. Die Stäbchen und Zapfen stellen die letzten nervösen Anhangsgebilde dar und sind als die Angriffsstellen des Lichtreizes
zu betrachten; hier bewirken die Ätheroszillationen eigentümliche Veränderungen, welche die Fasern
des Sehnervs, die selbst für Licht völlig unempfindlich sind, erregen und zu Gesichtsempfindungen führen.
Fragen wir uns, welche Elemente der Netzhaut durch Licht reizbar sind. Jedes Sehobjekt, jeden Gegenstand kann man als eine Mosaik
vieler leuchtender Punkte auffassen. Deshalb muß auch die Netzhautschicht, in welcher die Nervenreizung
erfolgt, einen mosaikartigen Bau besitzen; ein solcher kommt aber nur der Schicht der Stäbchen und Zapfen zu. Auch schon der
Umstand, daß diese Schicht am äußersten Ende der oben beschriebenen Verkettung von nervösen Elementen gelegen ist, weist
auf sie als die reizbaren Elemente hin.
Die Sehnervenfasern selbst und die Schichten der Ganglien und Körnchen sind als Angriffsstellen des Lichtreizes
schon deshalb ungeeignet, weil Nervenfasern sowohl als Ganglien und Körnchen in mehreren Lagen übereinander liegen und daher
der Lichtstrahl meist mehrere Elemente gleichzeitig reizen würde. Man kann aber auch direkt nachweisen, daß die Fasern des
Sehnervs selbst durch Licht nicht reizbar sind. Die ziemlich große Eintrittsstelle des Sehnervs enthält
nämlich gar nichts andres von nervösen Elementen als Nervenfasern.
Läßt man nun auf diese Stelle das Bild eines hellen Gegenstandes fallen, so nimmt man nicht die Spur einer Lichtempfindung
wahr. Fixiert man von den beiden dunkeln Marken in der folgenden
[* 30]
Fig. 4 die rechts gelegene mit dem linken
Auge (das rechte Auge wird geschlossen) aus einer Entfernung von ca. 25 cm, so wird die links befindliche unsichtbar. Ebenso verschwindet
die rechts gelegene, sobald man die links gelegene mit dem rechten Auge fixiert. Um die richtige Entfernung zu
finden, nähert man das Buch aus größerer Entfernung allmählich dem Auge.
Man sieht alsdann die Marke bei einer bestimmten Entfernung verschwinden und bei einer weitern Annäherung wieder auftauchen.
In diesem Versuch nun verschwindet die
eine Marke dann, wenn ihr Bild gerade auf die Eintrittsstelle des Sehnervs fällt; diese
Stelle bezeichnet man deshalb als den blinden Fleck. Daß beim gewöhnlichen Sehen
[* 31] keine der Eintrittsstelle
des Sehnervs entsprechende Lücke empfunden wird, hat darin seinen Grund, daß die Punkte, welche von der Umgebung des blinden
Fleckes wahrgenommen werden, aneinander rücken und diese Lücke ausfüllen.
Durch äußerst starke Reizbarkeit zeichnet sich eine andre Stelle der Netzhaut, der sogen. gelbe Fleck,
aus; sie enthält keine Spur von Optikusfasern, wohl aber enthält sie eine mächtige Ganglienschicht und ist ganz außerordentlich
reich an Zapfen, nervösen Elementen, die an allen andern Stellen der Netzhaut nur vereinzelt auftreten. Auch durch Prüfung des
Ortssinnes der Netzhaut (s. unten) hat man die Anschauung begründet, daß die Stäbchen und Zapfen die reizbaren
Elemente der Netzhaut sind.
Man nimmt heute allgemein an, daß chemische Vorgänge in der Netzhaut von höchster Wichtigkeit für den Sehakt sind, ja
daß ohne sie ein Sehen überhaupt nicht möglich ist. Um chemische Prozesse zu erzeugen, muß das Licht
absorbiert, muß es durch chemische Arbeitsleistung verbraucht werden. Die Ätherbewegung wird in der Netzhaut in molekulare
Bewegung umgewandelt. Nimmt man nun an, daß die wirksamen Endorgane des Sehnervs, also die Stäbchen und Zapfen, von lichtempfindlichen
Substanzen umgeben sind, so kann man sich vorstellen, wie das auf diese Substanzen fallende Licht chemische
Körper in Freiheit zu setzen vermag, die dann als Reize auf die Nervenendigungen wirken und so zu Gesichtsempfindungen führen.
Die Neuzeit konnte chemische Prozesse in unmittelbarster Nähe der Stäbchen direkt nachweisen. Die Außenglieder der Stäbchen
der meisten Wirbeltiere (Hühner
[* 32] und Tauben
[* 33] bilden Ausnahmen) sind mit einem eigentümlichen roten Farbstoff,
dem sogen. Sehrot oder Sehpurpur (s. d.), überzogen. Dieser Farbstoff wird unter der Einwirkung des Lichts zerstört, und man
konnte durch partielle Belichtung der Netzhaut photographische Bilder, sogen. Optogramme, erhalten.
Aber nicht allein destruktive, sondern auch regenerative Vorgänge werden in der Netzhaut beobachtet. Denn die beim Sehen gebleichten
Stäbchen sind des Purpurs nur vorübergehend beraubt und nehmen nach kurzem Aufenthalt im Dunkeln bald
wieder ihre alte Färbung an. Bemerkt sei noch, daß auch elektrische Ströme in der Netzhaut nachgewiesen sind, und daß im
Verhalten dieser eine Änderung eintritt, sobald das Auge durch Licht gereizt wird. Diese Retinaströme sind, wie Holmgreen
^[richtig: Holmgren = Frithjof Holmgren (1831-1897)] nachwies, nicht an die Gegenwart des Sehpurpurs geknüpft.
Ist nun auch Licht der adäquate Reiz für die Netzhaut, so wird doch der Sehnerv mit seinen Ausbreitungen auch durch allgemeine
mechanische oder elektrische Reize in Erregung versetzt (vgl. Reiz). So z. B. erfüllt ein Stoß auf das
Auge das Gesichtsfeld mit einem intensiven Lichtblitz. Ferner blitzt das Gesichtsfeld hell auf, sobald man einen schwachen
elektrischen Strom, der Zweige durch das Auge sendet, schließt oder öffnet.
Durch Einwirkung des Lichtreizes auf die Netzhaut entstehen Lichtempfindungen. Da nun die Trägheit eine allgemeine Eigenschaft
der Materie ist, so kann es nicht überraschen, daß eine gewisse Zeit verstreicht, bevor auf Einwirkung
des Reizes die Netzhaut in
einen merklichen Erregungszustand geraten ist, und daß anderseits die Erregung den Reiz kurze Zeit überdauert. Es erscheint
eine glühende Kohle als Feuerkreis, sobald sie mit einer gewissen Geschwindigkeit im Kreis
[* 35] gedreht wird. Nach jedem Gesichtseindruck
bleibt also der gesehene Gegenstand noch kurze Zeit sichtbar, es bildet sich ein sogen. Nachbild. War
der Lichteindruck stark, so kann die Erregbarkeit der Netzhaut durch Ermüdung derartig abnehmen, daß eine dunkle Stelle von der
Gestalt des gesehenen Gegenstandes als Nachbild erscheint (negatives Nachbild). Zuweilen wechseln positive mit negativen Nachbildern
im schnellen Wechsel ab, wie das z. B. der Fall ist, wenn man die Augen etwa eine halbe Minute hindurch scharf
auf den kleinen weißen Fleck in der Mitte der
[* 34]
Fig. 5 richtet und nunmehr kurze Zeit hindurch ruhig auf eine weiße
Fläche sieht. FarbigeNachbilder, s. unten.
Die wahrgenommenen Gegenstände besitzen alle eine gewisse Farbe, welche von dem Licht herrührt, welches sie durchlassen oder
reflektieren. Das gewöhnliche Sonnenlicht läßt sich mit Hilfe eines Prismas in ein Farbenband zerlegen,
welches als Hauptfarben Rot, Orange, Gelb, Grün, Blau, Indigblau und Violett zeigt, aus denen sich alle überhaupt vorkommenden
Farben durch bloße Mischung herstellen lassen. Durch Mischung mehrerer Spektralfarben kommt man zu folgenden Ergebnissen:
1) Mehrere Farbenpaare liefern, in einem bestimmten Verhältnis gemischt, Weiß. Solche Paare nennt man
komplementäre Farben. Es sind das:
2) ReinesGrün besitzt keine Komplementärfarbe. Um aus GrünWeiß zu erhalten, muß es mit zwei Farben, mit Rot undViolett,
gemischt werden. Rot, Grün und Violett, die einzigen drei reinen Farbenqualitäten, welche zusammen Weiß geben, bezeichnet
man als Grundfarben, und es lassen sich alle übrigen Farbenqualitäten aus Mischungen dieser Grundfarben herstellen.
4) Alle Mischfarben des Spektrums lassen sich durch Vermischung zweier Farben desselben hervorrufen. AlleFarben lassen sich somit
auf drei Grundfarben zurückführen, ein Umstand, der für die Beantwortung der Frage, wie es komme, daß die Netzhaut so verschiedenartiger
Erregung fähig ist, von großer Bedeutung ist. AlleErscheinungen der Farbenempfindung werden nämlich
verständlich, sobald man annimmt, daß in jedem Punkte der Netzhaut so viel verschiedene farbenempfindende Nervenfasern enden,
wie Grundfarben existieren, und daß jede dieser Nervenfasern
nur durch eine ganz bestimmte Grundfarbe erregt werden kann.
Man lehrt deshalb, es gebe drei verschiedene farbenperzipierende Elemente, nämlich ein rot empfindendes,
ein grün empfindendes und ein violett empfindendes, und jede Netzhautstelle enthalte ein Multiplum von Nervenendigungen,
deren jede durch eine bestimmte Grundfarbe allein oder doch hauptsächlich erregt werde, daß es somit nur drei Grundempfindungen
gebe (Young-Helmholtzsche Farbentheorie). Helmholtz hat die Wirkung der Spektralfarben auf die Netzhaut in untenstehender
[* 34]
Fig. 6 wiedergegeben.
Die Horizontale bedeutet das Spektrum. Über derselben erheben sich drei Kurven, von denen jede eine Grundfarbe repräsentiert.
Legt man von der Horizontalen senkrechte Linien durch die Kurven, so erkennt man an den Abschnitten, in welche diese Linien zerfallen,
wie stark jedes der drei Nervenelemente bei Einwirkung einer bestimmten Spektralfarbe auf die Netzhaut
erregt wird.
Hering hat eine auf den subjektiven Empfindungen fußende Farbenhypothese aufgestellt. Auf den Unbefangenen machen nach Hering
vier Farben den Eindruck des Einfachen, nämlich: Rot, Grün, Gelb und Blau; ferner erzeugen sowohl Weiß als SchwarzEmpfindungen
von durchaus einfachem Charakter. Die zusammengesetzten Farben können aus den genannten Grundfarben hervorgehen;
es lassen sich aus keiner zusammengesetzten Farbe mehr als zwei Grundfarben heraus empfinden.
BeimSehen erfährt die Sehsubstanz eine chemische Umwandlung, dem entsprechend muß es sich um eine Zerstörung (Dissimilierung)
und eine Erneuerung (Assimilierung) derselben handeln. Die sechs genannten Grundempfindungen ordnen sich zu den drei Paaren:
Weiß und Schwarz, Grün und Rot, Gelb und Blau. Jedem der Paare entspricht eine besondere Sehsubstanz, die
als schwarz-weiße, grün-rote und gelb-blaue Sehsubstanz bezeichnet werden kann. In der schwarz-weißen Substanz entspricht
der Dissimilierung das Weiß, der Assimilierung das Schwarz. Verlaufen beide Prozesse gleichzeitig, so treten je nach der Intensität
derselben die Übergänge zwischen reinem Weiß und reinem Schwarz, d. h. die verschiedenen Stufen des Graus,
hervor. Für die zwei andern Substanzen läßt Hering es noch unentschieden, welche Empfindung der Dissimilierung, welche der
Assimilierung entspricht.
Bei längerer Betrachtung eines farbigen Objekts verliert die Farbe desselben allmählich ihre ursprüngliche Lebhaftigkeit.
Richtet man dann das Auge auf eine weiße oder schwarze Fläche, so erscheint das Nachbild des Objekts in der
zugehörigen Komplementärfarbe. So z. B. erscheint das Nachbild eines roten Gegenstandes grünlichblau. Das erklärt sich
sehr leicht mit Hilfe der Young-HelmholtzschenTheorie; durch