der
Engerling und der Drahtwurm beschädigen die
Wurzel,
[* 3] so daß der ganze
Stock vergilbt;
unter der Blattscheide saugt die mennigrote
Larve des Getreideschänders oder eine der
Chlorops-Larven;
an der
Spindeloder an
den
Blütenstielen nistet sich die grüne oder rötlichbraune, mit schwarzenRöhren
[* 4] und gelbem Schwänzchen
versehene Getreideblattlaus und zwischen den Blütenschuppen die weiße
Made der
Fritfliege ein.
Die Gerste enthält im wesentlichen dieselben
Bestandteile wie der
Weizen; doch kann das
Stärkemehl derselben nicht, wie beim
Weizen,
durch Auskneten des
Mehls gewonnen werden. Gerste enthält in 100 Teilen:
Die Gerste ist ein Hauptnahrungsmittel in
Sibirien,
Norwegen,
[* 6]
Schottland und
Irland; bei uns dient sie besonders
zur Bierbereitung und wird zu diesem
Zweck teilweise in
Malz umgewandelt (s.
Bier); aus dem
Malz bereitet man das
Malzextrakt.
Die rohe Gerste wird auch zur Bereitung von
Gerstenwasser benutzt; geschält liefert sie die
Perlengerste und die
Graupen (s. d.).
Das früher offizinelle präparierte Gerstenmehl (farina hordei praeparata) wird durch 30stündiges Erhitzen
von zusammengedrücktem Gerstenmehl in einem verschlossenen zinnernen
Gefäß
[* 7] im
Wasserbad bereitet. Es ist rötlichgelb, enthält
lösliche
Stärke,
[* 8]
Stärkegummi und
Dextrin und ist dadurch leichter verdaulich geworden. Es wird bisweilen noch für Rekonvaleszenten
und Brustleidende angewandt, aber besser durch
Malz (s. d.) und
Malzextrakt ersetzt.
Das
Gerstenwasser wird erhalten durch
Kochen von ½-1 Teil ausgelesener und gewaschener Gerste mit 12 Teilen
Wasser, bis die Gerste aufspringt, worauf man durchseiht und
Zucker
[* 9] und
Zitronensaft oder Kremortartari oder Himbeeressig hinzufügt.
Es ist ein kühlendes, einhüllendes und durstlöschendes
Getränk für fiebernde Kranke, bei
Ruhren,
Heiserkeit u. dgl. -
Die
Heimat der Gerste ist nicht mit Sicherheit anzugeben. H. vulgare soll noch jetzt zwischen
Euphrat und
Tigris wild wachsen. H. distichon fand
Meyer wild wachsend zwischen
Lenkoran und
Baku,
Koch im Südosten des
Kaukasus
und
Kotschy in Südpersien. Die Gerste ist vielleicht die älteste Ackerfrucht. Am längsten bekannt ist die sechszeilige
Gerste, welche Ägypter,
Juden, Griechen und
Inder seit uralter Zeit gebaut haben. Man fand ihre
Körner bei
ägyptischen
Mumien. Nach
Europa
[* 10] kam sie über
Ägypten,
[* 11] wo noch gegenwärtig die
zwei- und die sechszeilige Gerste angebaut werden.
Auch in
Griechenland
[* 12] wurden früher alle drei Gerstenarten gebaut; gegenwärtig finden sich daselbst nur noch die
gemeine und sechszeilige, welche als Pferdefutter verwendet werden. Die
Römer
[* 13] kannten die zwei- und sechszeilige Gerste. Vereint
mit dem
Hafer
[* 14] hat die Gerste ihre Herrschaft in
Europa bis über den
Polarkreis, in
Asien
[* 15] und
Amerika
[* 16] bis nahe an denselben ausgedehnt.
Der
Gürtel,
[* 17] wo der Anbau beider
Cerealien vorherrschend ist, ist der arktische und in den östlichen
Ländern
des
Kontinents auch der größere Teil des subarktischen.
einer der
Vorläufer der
Sturm- und Drangperiode,
dessen grausigen
Stoff er gewählt hatte, um eine gewisse Kraftgenialität des
Ausdrucks entfalten zu können. Weit schwächer
ist sein
Melodrama »Minona« (Hamb. 1785). Seine
»Briefe über Merkwürdigkeiten der Litteratur« (Schlesw. 1766-70, 4 Bde.)
enthalten manche verdienstvolle kritische
Arbeit. Weniger Bedeutung haben seine
Schriften über die Kantsche
Philosophie. Eine Sammlung seiner »Vermischten
Schriften« erschien in 3
Bänden
(Altona 1815).
(Krithe,
Hordeolum), eine häufig vorkommende Geschwulst der Augenlider, welche auf einer
Entzündung der
Meibomschen Drüsen beruht. Die
Affektion beginnt mit Rötung und Schwellung einer
Stelle des Augenlidrandes,
wozu sich
Jucken und
Brennen gesellen; häufig treten auch noch
Lichtscheu und Thränenfluß hinzu. Nach einiger Zeit bildet
sich auf der
Höhe der Geschwulst ein gelber Eiterpunkt, welcher anzeigt, daß die entzündete
Drüse in
Eiterung übergegangen (»reif geworden«) ist.
Jetzt bricht entweder der
Eiter von selbst nach außen durch, oder man verschafft ihm durch einen kleinen
Stich oder
Schnitt
Abfluß nach außen, worauf meist in kurzer Zeit die Anschwellung völlig zurückgeht und das
Leiden
[* 23] beseitigt ist. Eine ganz
ähnliche Erkrankung stellt das sogen.Hagelkorn (Chalazion) dar, welches auf dem Lidknorpel aufsitzt
und als eine pfefferkorn- bis erbsengroße Geschwulst unter der äußern Liddecke erscheint (s.
Tafel
»Augenkrankheiten«,
[* 24] Fig. 4). Der
Inhalt dieser Geschwulst besteht anfänglich aus
Eiter, später aus einer grauen, sulzigen
Masse, welche
Fett und
Kalk enthält. Falls dasselbe nicht von selbst auf dem Weg der
Resorption sich verkleinert
und verschwindet, muß es operativ entfernt werden. Beide Erkrankungen treten besonders häufig bei Individuen mit skrofulösen
Anlagen auf, eine Behandlung der Gerstenkörner ist außer der genannten Eiterentleerung meist gar nicht nötig. Einen
Schutz gegen
¶
mehr
das Wiederauftreten des Leidens gewährt öfteres Bestreichen der Lidränder mit roter Präzipitatsalbe.
(Saccharum hordeatum), mit Gerstenauszug gekochte Bonbonmasse, welche nach dem Ausgießen in Streifen
zerschnitten wird, die man mehrmals um sich selbst dreht.
(Gardini-Gerster), Etelka, Opersängerin, geb. 1856 zu Kaschau in Ungarn,
[* 26] trat schon mit zwölf
Jahren in einem Wohlthätigkeitskonzert mit solchem Erfolg auf, daß der zufällig anwesende Direktor des WienerKonservatoriums,
Hellmesberger, die Eltern bestimmte, ihre Tochter der Gesanglehrerin Marchesi in Wien
[* 27] zur weitern Ausbildung zu übergeben. Nach
Beendigung ihrer Studien betrat sie im Januar 1876 die Bühne zu Venedig
[* 28] als Gilda in »Rigoletto«, sang später
in Marseille
[* 29] und Genua
[* 30] und endlich 1877 im Krollschen Theater
[* 31] zu Berlin,
[* 32] wo sie das Publikum und die Kritik derart enthusiasmierte,
daß ihr Ruf sich schnell über ganz Europa verbreitete. Nachdem sie sich noch in demselben Jahr mit dem Opernunternehmer Gardini
verheiratet und beim schlesischen Musikfest in Breslau
[* 33] mitgewirkt hatte, unternahm sie größere Kunstreisen, die sie zuerst
nach Paris
[* 34] und London,
[* 35] dann auch nach Amerika führten, wo sie überall durch ihre Meisterschaft im Kunstgesang, als dramatische
Sängerin auch in naiven Rollen,
[* 36] z. B. Sonnambula, reichen Beifall erntete.
1) FranzJoseph, Ritter von, Ingenieur, geb. zu Komotau in Böhmen,
[* 37] studierte zu
Prag
[* 38] Mathematik, wurde 1788 Lehrer der Mathematik in Prag, übernahm später die Oberleitung des von ihm begründeten polytechnischen
Instituts daselbst und wurde 1811 Vorstand der Wasserbaudirektion für Böhmen. Er starb in Mladiegov bei Gitschin. 30 Jahre
lang kam fast keine bedeutende Unternehmung in Böhmen ohne seine mittelbare oder unmittelbare Teilnahme zu stande. Sein Hauptwerk
ist das »Handbuch der Mechanik« (Prag 1831, Bd. 1; 2. Aufl. von
seinem Sohn, 1832-1834, 3 Bde.). Seine Arbeit »Ob und in welchen Fällen der Bau schiffbarer Kanäle Eisenwegen oder gemachten
Straßen vorzuziehen sei« (Prag 1813) hatte großen Einfluß auf die Entwickelung des Eisenbahnwesens in Mitteleuropa.
1) Heilige, Tochter des fränk. Majordomus Pippin von Landen, geb. 626, ward 647 Äbtissin des Klosters zu
Nyvel und starb 659. Im Volksglauben galt sie wie die altheidnische GöttinFreyja als Schutzheilige der
Reisenden, welche ihr zu Ehren die Gertrudsminne tranken (vgl. Gesundheittrinken). Ihr Tag17. März. - 2) Gertrud v. Hackeborn, Äbtissin
des Cistercienserklosters Helfta bei Eisleben,
[* 48] starb 1291. - 3) Die große Gertrud, ebenfalls Nonne in dem genannten Kloster Helfta.
Den Inhalt ihrer Visionen, deren sie seit 1281 gewürdigt zu sein glaubte, legte sie nieder in dem Buch
»Insinuationes divinae pietatis«.
4) Einzige Tochter des KaisersLothar und Richenzas von Nordheim, geb. 1115, Erbin der supplinburgischen, braunschweigischen
und nordheimischen Güter, wurde 1127 die Gemahlin Heinrichs desStolzen von Bayern,
[* 49] welchem sie 1129 Heinrich den Löwen
[* 50] gebar,
und heiratete, seit 1139 Witwe, 1142 den MarkgrafenHeinrich Jasomirgott von Österreich,
[* 51] der bald darauf
mit dem Herzogtum Bayern belehnt wurde. Sie starb schon in Kindesnöten und wurde zu Königslutter begraben.
(Olfactus), das Vermögen, mittels des Riechnervs eigentümliche Empfindungen (Gerüche) wahrzunehmen, welche
sich aber nicht genauer beschreiben lassen. Der Vorgang beim Riechen besteht darin, daß die Endorgane
des Geruchsnervs (nervus olfactorius) durch die Berührung mit gewissen flüchtigen oder gasförmigen Stoffen, die mit dem
Einatmungsstrom in die Nasenhöhle gelangen, in Erregung versetzt werden. Diese Erregung wird durch die Fasern des Geruchsnervs
auf das Zentralorgan des Geruchssinns im Gehirn
[* 52] übertragen, und dadurch wird in uns die Vorstellung einer
Geruchsempfindung erweckt, deren Quelle
[* 53] wir stets unwillkürlich nach außen verlegen. Als das Organ des Geruchssinns wird
gewöhnlich die Nase
[* 54] bezeichnet; genau genommen jedoch ist es nur ein kleiner Teil der Nasenschleimhaut, welcher beim Riechen
unmittelbar in Frage kommt (s. Nase). AlleWirbeltiere besitzen deutliche Geruchsorgane und also wahrscheinlich
¶
mehr
auch einen mehr oder weniger entwickelten Geruchssinn. Beständig im Wasser lebende Tiere können aber natürlich keine Geruchsempfindungen
haben, welche denen der Lufttiere vollkommen entsprechen; dieselben werden mehr den Geschmacksempfindungen analog sein, wie
denn überhaupt die Eindrücke beider Sinne manches Gemeinsame haben. Bei den Fischen ist aber das Geruchsorgan so deutlich
ausgebildet, daß man bei ihnen auch wirklich Geruchsempfindungen voraussetzen muß, obwohl direkte Beobachtungen darüber
noch nicht gemacht wurden oder wenigstens nicht entschieden haben.
Hühner
[* 56] und sperlingsartige Vögel
[* 57] verraten einen stumpfen Geruchssinn, einen schärfern die Klettervögel,
[* 58] besonders die Papageien,
die Raub- und Schwimmvögel,
[* 59] den schärfsten die Sumpfvögel. Bei den Säugetieren ist das Geruchsorgan weit
entwickelter als selbst bei dem Menschen, und so äußern auch viele von ihnen unzweideutige Spuren einer so hohen Entwickelung
dieses Sinnes, daß man selbst Bedenken tragen würde, sie derWirkung desselben zuzuschreiben, wenn eine andre Erklärung zulässig
und nicht die Ausbildung ihrer Riechwerkzeuge dem entsprechend wäre. Man unterscheidet die Säugetiere
hinsichtlich des Geruchssinns in solche, die spüren, und solche, die wittern. Bei dem Spüren wird die Luft willkürlich eingezogen,
und es geschieht mehr in der Nähe; das Wittern wird mehr durch Einströmen der vom Wind getriebenen Luft in die Nasenlöcher
erregt und wirkt mehr in die Ferne. Spürende Tiere sind besonders die Raub- und Nagetiere.
[* 60] Zu den witternden
gehören die Wiederkäuer,
[* 61] Dickhäuter und Einhufer.
Die Geruchsempfindungen besitzen keine definierbaren Qualitäten. Wir unterscheiden sie indes ziemlich scharf nach den einzelnen
Stoffen, durch welche sie hervorgerufen werden, und wir pflegen sie auch nach diesen Stoffen zu bezeichnen. Eine Reihe
von Empfindungen, welche durch die Nasenschleimhaut vermittelt werden, und welche man gewöhnlich für Geruchsempfindungen
ausgibt, z. B. der stechende Geruch, sind nichts andres als Gemeingefühlsempfindungen,
welche mit der spezifischen Energie des Riechnervs nichts zu schaffen haben.
Grundbedingung für die Geruchsempfindung ist natürlich ein vollkommen normales Verhalten der Endorgane des Riechnervs. Leichte
katarrhalische Entzündungen der Nasenschleimhaut (Schnupfen) stören die Geruchsempfindung ganz erheblich. Wenn man, auf dem
Rücken liegend, die Nasenhöhlen
[* 62] mit Wasser gefüllt hat, so wird dadurch das Geruchsvermögen für einige Minuten vollständig
aufgehoben. Ein gewisser Grad von Feuchtigkeit der Riechschleimhaut (er wird hervorgebracht durch die Schleimdrüsen) ist dagegen
eine notwendige Vorbedingung für das Zustandekommen von Geruchsempfindungen.
Bei trockner Nase, z. B. im Beginn des Schnupfens, riechen wir entweder gar nichts, oder der Geruch ist wenigstens stark beeinträchtigt.
Geruchsempfindungen kommen ferner nur dann zu stande, wenn die riechenden gasartigen Stoffe in einem Luftstrom mehr oder weniger
rasch in die Nase eingezogen werden. Stagniert dagegen die riechende Luft in der Nasenhöhle, so haben
wir keine Geruchsempfindungen; ebensowenig dann, wenn der Luftstrom von der Mundhöhle her in die Nasenhöhle streicht.
Daß nur gasförmige Substanzen den Riechnerv zu erregen vermögen, beweist der Umstand, daß bei der Anfüllung der Nasenhöhle
mit stark riechenden Flüssigkeiten, z. B. Eau de Cologne, keine Geruchsempfindungen wahrgenommen werden.
Die Intensität der Geruchsempfindungen, welche durch verschiedene Stoffe
hervorgerufen wird, ist außerordentlich verschieden.
Je mehr die in die Nase eingezogene Luft von einem gewissen Riechstoff enthält, umso stärker ist natürlich die Empfindung
davon; doch genügen außerordentlich geringe Mengen zur Hervorbringung einer Geruchsempfindung. So riecht die
Luft noch nach Brom, wenn 1 ccm derselben nur noch 1/30000 mgBrom enthält, und nach Moschus, wenn der Nase noch weniger als 1/2000000
mg eines weingeistigen Moschusextrakts dargeboten wird; von Schwefelwasserstoff wird noch weniger als ein Milliontel in der
Luft deutlich wahrgenommen.
Geradezu wunderbar erscheint die Feinheit des Geruchssinns in den Leistungen der Spürkraft mancher Tiere.
Mit der längern Dauer des Geruchseindrucks ermüdet die Riechschleimhaut nach und nach. Wenn wir uns einige Zeit in einer
riechenden Luft aufhalten, so verschwindet endlich die Geruchswahrnehmung für den beständigen Geruch, ohne daß dadurch
die Fähigkeit für die Wahrnehmung andrer Gerüche abnimmt. Die Bezeichnung der Gerüche als angenehm
oder unangenehm, die übrigens eine rein individuelle und willkürliche ist, beruht zum Teil auf Vorstellungen, die sich an
die Geruchsempfindung anschließen.
Diese Vorstellungen wechseln schon mit den physiologischen Körperzuständen. Dem Hungrigen z. B.
duftet eine Speise äußerst angenehm in die Nase, während bei dem Gesättigten dadurch Widerwille erregt
wird.
Vgl. Cloquet, Osphresiologie oder Lehre
[* 63] von den Gerüchen, von dem Geruchssinn etc. (Weim. 1824);
(Geruchsorgane), die zum Riechen dienenden Vorrichtungen im tierischen Körper. Ähnlich wie in betreff
der Geschmackswerkzeuge ist man auch hier vielfach, namentlich bei den niedern Tieren, im unklaren darüber,
ob man nervöse Apparate, für welche man weiter keine Deutung hat, als Geruchswerkzeuge auffassen darf. Zuweilen bringen physiologische
Versuche die Entscheidung, und so hat man z. B. auf Grund der letztern gefunden, daß viele Insekten
[* 65] mit den Fühlern riechen
(nebenbei auch tasten). Wie alle Sinnesorgane, bestehen auch die Geruchswerkzeuge im wesentlichen aus einer oder vielen in der Haut
[* 66] gelegenen
Sinneszellen (Riechzellen), die mit Nervenfasern in Verbindung stehen, so daß der sie treffende Reiz zum Gehirn fortgepflanzt
werden kann. Über die Geruchswerkzeuge der Wirbeltiere s. Nase.
(Baugerüste), behufs Errichtung neuer oder Reparatur alter Gebäude aufgeschlagene interimistische Bauwerke
von Holz,
[* 67] welche zur Unterstützung der in verschiedener HöheArbeitenden sowie zum Heben und Weiterschaffen
von Baumaterialien dienen. Die Stärke der Gerüste für Hochbauten richtet sich nach der Größe und dem Gewicht der
¶
mehr
hinaufzuschaffenden Bausteine, ihre Breite
[* 69] nach der Anzahl der Arbeiter, welche wieder abhängig von der Stärke der aufzuführenden
Wände ist. Je nachdem die Gerüste solche für Maurer, Tüncher, Schieferdecker sind, erhalten sie verschiedene Konstruktion. Die
Breite derselben bewegt sich zwischen ¾ und 2½ m. Bockgerüste von 2½-3 m Höhe, welche besonders im
Innern der Gebäude angewendet werden, bestehen aus Rüstböcken, die mit Brettern belegt sind. Bei größern Höhen werden
in Entfernungen von 2,5-3 m unbearbeitete Baumstämme von entsprechender Stärke in die Erde gegraben und gut verkeilt. An diese
werden in den Höhen der einzelnen Stockwerke mittels angenagelter Knaggen und Klammern
[* 70] oder minder sicher
mit Strängen und Würgknüppeln die Streichstangen oder Streckhölzer befestigt, welche parallel zur aufzuführenden Mauer
laufen.
Auf diesen liegen die vordern Enden der Schußriegel (Schoßriegel) oder Netzriegel, deren hintere Enden auf Mauerabsätzen,
Gurtsimsen, Sohlbänken oder auch in Rüstlöchern ruhen und den aus Rüstbrettern bestehenden Fußboden tragen. Zur Vermehrung der
Standsicherheit des Gerüstes werden die Rüstbäume sowie die Schußriegel nach der Gebäudemauer hin
etwas geneigt. Vorzuziehen ist die Errichtung einer zweiten Reihe von Rüstbäumen dicht an der Mauer, weil sich dann die bei
Handhabung großer Lasten unvermeidliche Erschütterung des Gerüstes der noch mörtelfeuchten und deshalb noch unfesten Mauer
nicht mitteilen kann.
Zum Verputzen oder zur Vornahme leichterer Reparaturen bedient man sich mit Vorteil der sogen.
Fahrgerüste oder hangenden Gerüste, worauf die Arbeiter mit ihrem Arbeitsmaterial stehen. Sie bestehen in der Regel aus einem mit
Geländern versehenen Fußboden von ca. ¾ m Breite und 2-3 m Länge, hängen in Seilen und Kloben und können
mittels Flaschenzüge aufgezogen und niedergelassen werden. Diese Gerüste müssen möglichst leicht, mit guten Sperrvorrichtungen
versehen und an hinreichend starken, in der Regel aus den Dachfenstern herausgesteckten, im Innern genügend abgespreizten
Hölzern aufgehängt sein. Zu Arbeiten, die sich bloß auf kurze Stücke einer Fassade erstrecken, und wo ein
Fahrgerüst nicht gut anzubringen ist, stellt man schwebende oder fliegende Gerüste her, indem man durch die Fenster oder auch
durch Maueröffnungen Hölzer herausstreckt, im Innern abspreizt und äußerlich mit Brettern abdeckt. Gerüste für hohe Türme,
große Brücken
[* 71] und Viadukte bei Eisenbahnen werden besonders konstruiert, aus gezimmerten Hölzern förmlich abgebunden und
deren Fußböden mit Geländer versehen. Auch diese Gerüste dienen teils als Standort der Arbeiter, teils als Transportgerüste
für Baumaterialien, teils als Vorrichtungen zum Versetzen der Steine. Ist letzteres ihr Hauptzweck, so nennt man sie Versetzgerüste
(s. d.) und unterscheidet die festen und beweglichen Versetzgerüste. Über die Gerüste zur Unterstützung von in
Ausführung begriffenen Gewölben s. Lehrgerüste.
[* 72]
(spr. scherüsähs oder -säh),Eugène, franz. Litterarhistoriker, geb. zu Reims,
[* 73] wurde auf der Normalschule
zu Paris gebildet, lehrte dann an verschiedenen Collèges und erhielt 1833 neben Villemain eine Professur der Litteratur an der
Sorbonne, die er 19 Jahre lang mit Auszeichnung bekleidete, bis er (1852) zum Sekretär
[* 74] der Fakultät der
Wissenschaften ernannt wurde. Er starb in Paris. Geruzez schrieb außer einer Reihe verbreiteter Unterrichtsbücher: »Histoire
de l'éloquence politique et religieuse en France au XIV., XV. et XVI. siècles« (1837-38, 2 Bde.);
»Essais sur
l'éloquence et la philosophie de saint Bernard« (1839),
»Essais de littérature française«
(1839, 4. Aufl. 1883);
»Histoire de la littérature française depuis ses origines jusqu'à la Révolution« (1852; 15. Aufl.
1882, 2 Bde.),
sein Hauptwerk, für welches er einen akademischen Preis erhielt, und an das sich die »Histoire de la littérature
française pendant la Révolution« (6. Aufl. 1877) anschließt.
(Gervasius von Tilbury, Gervasius Tilberiensis), Historiograph, geboren um die Mitte des 12. Jahrh.
in Essex, war 1177 beim Frieden von Venedig zugegen, lehrte dann kanonisches Recht in Bologna, wurde unter
KaiserOtto IV. Kanzler und Marschall des arelatischen Reichs, zuletzt Propst des Nonnenklosters Ebsdorf und starb um 1235. Er
schrieb ein Anekdotenbuch für den englischen König Heinrich den jüngern, Heinrichs II. Sohn (»Liber facetiarum ad Heinricum
regem juniorem«, noch ungedruckt),
und zur Unterhaltung Ottos IV. 1212 die »Otia imperialia«, eine Sammlung
der verschiedenartigsten merkwürdigen Dinge, auch geschichtlicher;
nicht unwichtig ist darin eine Übersicht der Kaisergeschichte
seit Karl d. Gr. Herausgegeben ist letztere von Leibniz in »Scriptores Brunsvicenses«, I, 881-1004;
GeorgGottfried, ausgezeichneter Geschichtschreiber, geb. zu Darmstadt,
[* 80] erhielt seine wissenschaftliche
Vorbildung auf dem Gymnasium seiner Vaterstadt, trat 1819, der Schule überdrüssig, in einer Buchhandlung zu Bonn,
[* 81] bald darauf
in einem Tuchgeschäft zu Darmstadt in die Lehre, widmete sich aber daneben mit Eifer ästhetischen und litterargeschichtlichen
Studien und neuern Sprachen und wandte sich 1824 dem gelehrten Beruf zu. Er holte die versäumte Schulbildung
durch die fleißigsten Privatstudien nach, bezog 1825 die UniversitätGießen
[* 82] und ging Ostern 1826 nach Heidelberg,
[* 83] wo die Vorlesungen
Schlossers ihn zum Entschluß bestimmten, sich der Geschichte zu widmen. 1828 wurde er Lehrer an einem
Erziehungsinstitut zu Frankfurt
[* 84] a. M., und zwei Jahre später habilitierte er sich mit einer kleinen Schrift über die »Geschichte
der Angelsachsen« (Frankf. 1830) als Privatdozent in Heidelberg, begab sich aber bald darauf, ohne Vorlesungen begonnen zu haben,
nach Italien,
[* 85] wo er ein Jahr zubrachte. 1833 gab er eine Sammlung kleiner historischer Schriften heraus
und 1835 den ersten Band seiner »Geschichte der deutschen Nationallitteratur« (Leipz. 1835-42, 5 Bde.);
spätere Auflagen führen den veränderten Titel: »Geschichte der deutschen Dichtung«, die fünfte ist teilweise nach seinem
Tod von K. Bartsch herausgegeben (das. 1871-74). Dieses Werk war auf dem betreffenden Gebiet epochemachend,
denn Gervinus ist der erste gewesen, welcher die deutsche Litteratur im Zusammenhang mit dem nationalen und
politischen Leben und den gesamten Kulturzuständen aufgefaßt hat. Auf DahlmannsEmpfehlung wurde er 1835 als Professor der
Geschichte und Litteratur nach Göttingen
[* 86] berufen, wo er Ostern 1836 sein Amt antrat. Bald darauf gab er die »Grundzüge
der Historik« (Leipz. 1837) heraus, eine kleine, aber von ernstem Nachdenken zeugende Schrift.
Seine glücklich begonnene Wirksamkeit in Göttingen nahm ein schnelles Ende infolge des von ihm und sechs andern Professoren
unterzeichneten Protestes gegen die vom König ErnstAugust verfügte Aufhebung der hannöverschen Verfassung. Im Dezember 1837 abgesetzt
und des Landes verwiesen, lebte er nun teils in Darmstadt, teils in Italien und ließ sich 1844 in Heidelberg
nieder, wo er zum Honorarprofessor ernannt wurde und vielbesuchte Vorlesungen hielt. Dieselben machten, obgleich monoton abgelesen,
alles Reizes eines freien Vortrags entbehrend, doch durch ihren gedankenreichen und sittlich erwärmenden Inhalt einen nachhaltigen
Eindruck. Eine Frucht seiner Teilnahme an den damaligen Zeitinteressen waren seine zwei Flugschriften über
»Die Mission der Deutschkatholiken« (Heidelb. 1846) und »Die
preußische Verfassung und das Patent vom 8. Februar" (Mannh. 1847). Noch unmittelbarer bethätigte er sein Interesse an den öffentlichen
Angelegenheiten durch die 1847 in Verbindung mit Häusser, Mathy u. a. unternommene Gründung der "DeutschenZeitung«, die er ein Jahr lang redigierte und mit vielen trefflichen Leitartikeln ausstattete. Im Frühjahr 1848 wurde er von
den Hansestädten als Vertrauensmann zum Bundestag gesandt und von einem sächsisch-preußischen Wahlbezirk in die Nationalversammlung
gewählt; aber er beteiligte sich weder an dem Verfassungsentwurf der Vertrauensmänner noch an den Verhandlungen
des FrankfurterParlaments in hervorragender Weise; mit dem Gang
[* 87] der Dinge wenig einverstanden, trat er schon im August 1848 geistig
und körperlich verstimmt aus dem Parlament aus und suchte Erholung und Erfrischung auf einer Reise nach Italien.
Anfang 1849
von dort zurückgekehrt, schrieb er wieder eifrig Artikel für die »Deutsche
[* 88] Zeitung« über
die Verfassungsfrage und trat energisch für die zweckmäßige Gestaltung der Zentralgewalt und die Selbständigkeit des DeutschenReichs gegenüber Österreich ein. Nach der Auflösung der Nationalversammlung zog er sich von der Politik zurück und arbeitete
ein größeres Werk über Shakespeare aus, dessen Dramen er einer historischen und psychologischen Analyse
unterzog, wobei er aber vielfach einem allzu gesteigerten Shakespeare-Kultus huldigte (»Shakespeare«, Leipz. 1849-52, 4 Bde.; 4. Aufl.
mit Anmerkungen von RudolfGenée, das. 1872, 2 Bde.). 1853 veröffentlichte
er als Vorläufer eines größern Werkes die »Einleitung in die Geschichte des 19. Jahrhunderts«, welche wegen freisinniger
Äußerungen in ihr verboten wurde, und ließ 1854 den ersten Band der »Geschichte des 19. Jahrhunderts«
(Leipz. 1856-66, 8 Bde.) selbst folgen,
welche mit dem Wiener Kongreß beginnt und das Streben der Völker nach Freiheit und Selbstherrschaft von dem Standpunkt des konstitutionellen
Liberalismus aus schildert.
Die ersten Bände fanden Beifall, obwohl das Gervinus zu Gebote stehende urkundliche Material dürftig war und
die Reflexion
[* 89] die geschichtliche Darstellung überwucherte. Das Interesse des Publikums erlahmte aber vom dritten Band ab, der
die Revolution in Südamerika
[* 90] mit ermüdender Breite behandelte, und konnte auch nicht durch die Schilderung des griechischen
Freiheitskampfes und der deutschen und französischen Geschichte bis 1830 wieder belebt werden. Die Katastrophe
des Jahrs 1866, welche das von Gervinus so ersehnte Ziel der politischen EinheitDeutschlands
[* 91] auf einem ganz andern Weg näher rückte,
namentlich die preußischen Annexionen, verstimmte ihn tief; er sah der weitern Entwickelung der Dinge nur mit Erbitterung gegen
Preußen
[* 92] und mit Groll über seinen großen Staatsmann, der sich so gar nicht an die Vorschriften
politischer Doktrinäre hielt, zu. Dieser Stimmung gab er selbst nach Beginn des Kriegs gegen FrankreichAusdruck in der vom November 1870 datierten
Vorrede zum ersten Band einer neuen Auflage seiner »Geschichte der deutschen Dichtung«.
Der Ärger über den Gang der deutschen Politik untergrub seine ohnehin erschütterte Gesundheit, er starb
nach kurzer Krankheit in Heidelberg. Seine Ansichten über die politischen Dinge seit 1866 hat er selbst noch weiter
ausgeführt in zwei nach seinem Tod von seiner Witwe (geb. Schalver) herausgegebenen Aufsätzen: »Denkschrift zum Frieden an das
preußische Königshaus« und »Selbstkritik« (»Hinterlassene
Schriften«, Wien 1872). Die letzte größere Arbeit, die er veröffentlichte, war ein Buch über »Händel und Shakespeare. Zur
Ästhetik der Tonkunst« (Leipz. 1868). Nicht unerwähnt darf bleiben sein »Nekrolog
FriedrichChristophSchlossers« (Leipz. 1861), worin er seinem alten Lehrer ein Denkmal persönlicher Freundschaft setzte und
sich über die Aufgaben des Geschichtschreibers aussprach.
Die schriftstellerische Bedeutung von Gervinus beruht in erster Linie auf seiner Litteraturgeschichte, an welcher die Kritik zwar
mancherlei auszusetzen hat, die aber doch eine neue Bahn gebrochen und eine neue Grundlage für dieses Fach geschaffen hat
und maßgebend für alle Spätern geblieben ist. Die Großartigkeit seiner Auffassung, welche das Ineinandergreifen
der verschiedenen geistigen Gebiete vor Augen stellte, hat in die ganze Geschichtschreibung neues Leben gebracht. Auch darf
man es ihm nicht vergessen, daß er durch seine ganze schriftstellerische
¶
mehr
und besonders seine publizistische Thätigkeit zur Entwickelung des nationalen Bewußtseins unendlich viel beigetragen hat.
Aus seinem Nachlaß gab Gervinus' Witwe »Händels Oratorientexte, übersetzt von Gervinus« (Leipz. 1873) heraus.
Robert, Eisenbahningenieur, geb. zu Karlsruhe,
[* 94] wo er an dem Lyceum und der polytechnischen Schule seine
Ausbildung empfing, ward seit 1840 bei der Oberdirektion des Wasser- und Straßenbaues beschäftigt, 1846 zum Ingenieur bei diesem
Kollegium ernannt und 1847 zum Assessor, 1853 zum Baurat, 1863 zum Oberbaurat und 1871 zum Baudirektor
befördert. 1863-64 gab Gerwig mit dem württembergischen Oberbaurat v. Beckh ein Gutachten über die Gotthardbahn und fast gleichzeitig
mit dem Präsidenten der württembergischen Eisenbahnkommission, v. Klein, ein solches über die Lukmanierbahn ab und gehörte
zu den badischen Bevollmächtigten der internationalen Gotthardkonferenz in Bern.
[* 95] Hierauf mit der Projektierung
der Verbindungsbahn Hausach-Villingen, der sogen. Schwarzwaldbahn, beauftragt, legte er 1868 den ausgearbeiteten
Bauplan vor und führte diese kühne Gebirgsbahn, welche auf einer Länge von 52 km 596 m steigt und neben andern Kunstbauten 38 Tunnels
enthält, bis 1872 zu solcher Zufriedenheit aus, daß ihm in diesem Jahr die Bauleitung der Gotthardbahn
einschließlich des 14,8 km langen Tunnels angeboten und von ihm als Oberingenieur übernommen wurde.
Als aber Meinungsverschiedenheiten zwischen dem schweizerischen Staatsmann Escher und dem Bauunternehmer Favre in Verbindung
mit finanziellen Schwierigkeiten seine Wirksamkeit lähmten, legte Gerwig 1876 jene Stelle nieder, um die technische Leitung des
gesamten badischen Eisenbahnwesens zu übernehmen. Er war Mitglied des badischen Landtags und seit 1875 des deutschen Reichstags,
wo er der nationalliberalen Partei angehörte; starb in Karlsruhe.
(Geryones, Geryoneus), fabelhafter König der InselErytheia im äußersten Westen des Okeanos, Sohn des Chrysaor
und der Kallirrhoë, war aus drei Körpern zusammengesetzt, die nur in der Gegend des Bauches zusammengewachsen
waren, und besaß große Herden roter Rinder,
[* 96] welche sein Hirt Eurytion in Begleitung des zweiköpfigen Hundes Orthros weidete.
Ges (ital. Sol bemolle, franz. Sol bémol, engl. G flat), das durch ^ erniedrigte Gês. Der Ges dur-Akkord
= ges b des, der Ges moll-Akkord = ges heses des.
Bezeichnung für gewisse deutsch-nationale Eigentumsverhältnisse und zwar für das gemeinschaftliche
Eigentum einer genossenschaftlich zusammengefaßten Mehrheit von Eigentümern, z. B.
der Markgenossenschaften, der Gewerkschaften etc. Der Begriff ist jedoch ein bestrittener, indem derselbe im wesentlichen mit
dem römisch-rechtlichen Begriff des Eigentums einer juristischen Person zusammenfällt;
jedenfalls ist er
heutzutage ohne
praktische Bedeutung.
die ungeteilte Herrschaft mehrerer Personen über ein und dasselbe Gebiet. Der Umstand, daß bei den
deutschen Dynastengeschlechtern der Grundsatz der Primogeniturerbfolge verhältnismäßig spät zur Geltung gelangte, wonach
immer der Erstgeborne der Linie des Erstgebornen zur Regierung kommt, erklärt es, daß eine solche Gesamtregierung im
frühern deutschen Staatsleben nichts allzu Seltenes war. Namentlich in der Form des Gesamtlehens kommt die Gesamtregierung vor,
doch schritten die Mitregenten vielfach zur wirklichen Teilung von Land und Leuten, wie z. B. die SöhneErnsts des Frommen von
Sachsen. In neuerer Zeit kam ein eigentümlicher Fall der Gesamtregierung infolge des deutsch-dänischen
Kriegs von 1864 vor, indem Österreich und Preußen die Elbherzogtümer in eine Gesamtregierung (Kondominat) nahmen.
diejenigen Personen, welche zur Unterhaltung des völkerrechtlichen Verkehrs von einem Staat an einen andern
gesendet werden. Sie werden notwendig, sobald Staaten in friedlichen Verkehr treten. Das frühere Altertum hatte keine ständigen
diplomatischen Verbindungen. Die Athener wählten ihre Gesandten (presbeis, »Alte«) durch Stimmenmehrheit,
gaben ihnen bestimmte Vollmachten und ließen sich in der Regel nach vollbrachtem Geschäft Rechenschaft von ihnen ablegen.
Die Legati oratores der Römer standen unter der speziellen Aufsicht des Senats. Gesandte auswärtiger Könige oder Staaten mußten
sich bei den Praefecti aerarii im Saturnustempel melden. Sie erhielten freie Wohnung, standesmäßige
Verpflegung und Plätze im Zirkus und im Theater neben den Rittern. Den Gesandten feindlicher Völker wurde in der Villa publica
auf dem MarsfeldWohnung angewiesen und zur Audienz der Apollo- oder der Minervatempel geöffnet. Der gesandtschaftliche Verkehr
im klassischen Altertum bewegte sich durchaus in den Formen der Mündlichkeit.
Solange die republikanischen und demokratischen Staatseinrichtungen in Griechenland und Rom
[* 101] bestanden, traten die Gesandten
als Redner vor derVolksversammlung oder im Senat auf. Die Heilighaltung der Gesandten war übrigens keine Eigentümlichkeit
der klassischen Welt, selbst bei den rohesten Völkern gilt sie als Grundsatz. Je mehr das europäische Staatsleben sich entwickelte,
um so wichtiger wurde das Gesandtschaftswesen, zuerst in Italien, vornehmlich in Venedig; doch kannte man vor den Zeiten der
Reformation nur eine Art Gesandte, nämlich die Botschafter (magni legati, oratores, ital. ambasciatóri, span.
embajadóres, franz. ambassadeurs, wahrscheinlich von ambacti oder dem in der karolingischen
Zeit gebrauchten envagiar). Ministerresidenten erscheinen zu Anfang des 16. Jahrh. Alle Gesandten wurden
nur zu bestimmten Zwecken¶