Gerinne,
ein künstlich angelegter Kanal, [* 2] namentlich eine durch Rinnen geführte Wasserleitung; [* 3]
im Mühlenwesen ein meist aus Bohlen erbauter Kanal, mittels dessen das Wasser auf oder gegen die Wasserräder [* 4] geleitet wird.
ein künstlich angelegter Kanal, [* 2] namentlich eine durch Rinnen geführte Wasserleitung; [* 3]
im Mühlenwesen ein meist aus Bohlen erbauter Kanal, mittels dessen das Wasser auf oder gegen die Wasserräder [* 4] geleitet wird.
s. Koagulieren. ^[= (lat., gerinnen) nennt man den Übergang eines Eiweißkörpers aus dem löslichen in den unlösliche ...]
s. Koagulieren. ^[= (lat., gerinnen) nennt man den Übergang eines Eiweißkörpers aus dem löslichen in den unlösliche ...]
in Südafrika [* 5] s. v. w. Zauberei. ^[= s. Magie und Hexe.]
s. Skelett. ^[= (griech. skeletos, ausgetrocknet), das Körpergerüst, also bei Wirbeltieren die Gesamtheit ...] [* 6]
1) Leopold von, preuß. General, geb. zu Berlin, [* 7] wo sein Vater Leopold v. Gerlach (geb. 1757, gest. 1813) damals Kammerpräsident war, trat 1806 in die Armee und wurde kriegsgefangen, widmete sich dann dem Rechtsstudium, ward 1813 von neuem Soldat und nahm 1813 und 1814 im Gefolge Blüchers und 1815 im Generalstab an den Befreiungskriegen teil. 1826 wurde er Adjutant des Prinzen Wilhelm von Preußen [* 8] (Kaiser Wilhelm I.), trat damals auch in ein näheres Verhältnis zum Kronprinzen, dessen pietistische und konterrevolutionäre Ansichten er teilte, und ward 1838 Oberst und Chef des Generalstabs des 3. Armeekorps. 1842 erhielt er das Kommando der 1. Gardelandwehrbrigade, ward 1844 Generalmajor, 1849 Generalleutnant und Generaladjutant des Königs und wirkte in dieser Vertrauensstellung eifrig im Sinn kirchlicher und politischer Reaktion im Innern und der Unterordnung Preußens [* 9] unter russischen Einfluß. Seit 1859 General der Infanterie, starb er infolge einer Erkältung, die er sich bei dem Leichenbegängnis Friedrich Wilhelms IV. zugezogen,
2) Franz Dorotheus, Philolog und Geschichtsforscher, geb. zu Wolfsbehringen im Gothaischen, studierte zu Göttingen [* 10] Theologie und Philologie und ward sodann Kollaborator am Gymnasium daselbst und 1817 Lehrer an der Kantonsschule zu Aarau. [* 11] 1820 erhielt er eine Professur an der Universität Basel; [* 12] 1835 ward er zugleich Mitglied des Erziehungsrats. 1875 zog er sich in den Ruhestand zurück und starb Unter seinen philologisch-kritischen Arbeiten sind die Ausgaben des Sallust mit Kommentar (Bas. 1823-31, 3 Bde.; das. 1852, 2 Bde.; 1870, 1 Bd.), der »Germania« [* 13] des Tacitus (das. 1835), der eine Übersetzung mit Kommentar (das. 1837) folgte, und die unter Mitwirkung Roths bearbeitete kritische Ausgabe des Nonius Marcellus [* 14] (das. 1842) zu nennen. Von historischen Arbeiten veröffentlichte er außer dem mit Hottinger und Wackernagel unternommenen »Schweizerischen Museum für historische Wissenschaften« (Frauenfeld 1837-39, 3 Bde.) noch: »Historische Studien« (Bd. 1, Gotha [* 15] 1841; Bd. 2 u. 3, Basel 1847-63),
»Die Geschichte der Römer« [* 16] (das. 1851, Bd. 1),
mit Bachofen, »Die Geschichtschreiber der Römer bis auf Orosius« (Stuttg. 1855) sowie verschiedene andre kleinere Schriften, namentlich Biographien berühmter Römer, wie des ältern Scipio, Marius, Sulla, Cicero, des jüngern Cato u. a. Aller wissenschaftlichen Kritik zum Trotz hielt an der Tradition über die römische Geschichte, namentlich die ältere, fest.
3) Ernst Ludwig von, Bruder von Gerlach 1), in Gemeinschaft mit Stahl längere Zeit Führer der äußersten Rechten in Preußen, geb. zu Berlin, machte ebenfalls 1813-15 die Kriege gegen Frankreich mit, widmete sich dann dem Justizdienst, wurde 1823 Oberlandesgerichtsrat in Naumburg, [* 17] 1829 Land- und Stadtgerichtsdirektor in Halle, [* 18] 1835 Vizepräsident des Oberlandesgerichts in Frankfurt [* 19] a. O. Bereits damals war er Mitglied des Klubs in der Wilhelmsstraße, der sich die Rekonstruierung des christlich-germanischen Staats als Aufgabe gesetzt hatte, und Mitarbeiter des Organs desselben, des »Politischen Wochenblattes«. 1842 ward er Geheimer Oberjustizrat, bald darauf Mitglied des Staatsrats und der Gesetzgebungskommission und 1844 Chefpräsident des Oberlandesgerichts zu Magdeburg, [* 20] wo er im Bund mit seinem Bruder, dem Konsistorialpräsidenten Göschel u. a. den Bestrebungen der Lichtfreunde energisch entgegentrat. 1849 gründete er mit andern die »Neue Preußische Zeitung« (»Kreuzzeitung«),
deren Redaktion Wagener, ein Vertrauter Gerlachs, übernahm. Gerlach schrieb für das Blatt [* 21] die monatliche oder vierteljährliche »Rundschau«, worin er eine pikante Übersicht über die Zeitereignisse im engern und weitern Kreis [* 22] im Sinn der ultrakonservativen, feudalen Richtung zu geben pflegte, wobei er oft ins Gehässige und Pasquillartige verfiel. Als Mitglied der Ersten Kammer seit 1849 hielt er sich zur äußersten Rechten und führte einen beharrlichen Kampf gegen den Konstitutionalismus und für die Herstellung mittelalterlicher Adelsprärogativen. 1850 war er auch Mitglied des Erfurter Parlaments sowie 1851 und 1852-58 wieder Mitglied der Ersten Kammer. 1858 beim Beginn der Regentschaft trat er von der Führung seiner Partei zurück, suchte aber als Verfasser der »Rundschau« fortwährend seine politischen Anschauungen geltend zu machen.
Auch den Ereignissen von 1866 gegenüber hielt er an seinen legitimistischen Grundsätzen fest und gab dies in lauter Mißbilligung der Annexionen und des Ausschlusses Österreichs aus Deutschland [* 23] offen kund, so in der Broschüre »Die Annexionen und der Norddeutsche Bund« (Berl. 1866). Im preußischen Landtag seit 1873 zeigte er sich als einen der heftigsten Gegner der neuen Kirchengesetze, hielt sich vollständig zur klerikalen Zentrumspartei und griff 30. Jan. den Kultusminister Falk in heftiger Weise an, zog sich aber 17. Dez. durch einen Angriff auf den Fürsten Bismarck eine wahrhaft vernichtende Zurechtweisung von diesem zu. Noch 1865 zum Wirklichen Geheimen Oberjustizrat befördert, erlitt er 1874 wegen einer Flugschrift gegen die Regierung eine gerichtliche Bestrafung und erhielt deshalb seine Entlassung als Präsident in Magdeburg. Am wurde er mit Unterstützung der Ultramontanen in Osnabrück [* 24] auch zum Reichstagsabgeordneten gewählt, starb aber in Berlin infolge eines Unglücksfalls (er wurde überfahren) im 82. Lebensjahr.
4) Otto von, theolog. Schriftsteller, jüngerer Bruder des vorigen, geb. wurde 1834 Prediger an der Elisabethkirche in Berlin, 1847 Hof- und Domprediger und Konsistorialrat, 1849 Honorarprofessor an der Universität. Er starb Unter seinen Schriften sind die Auswahl aus »Luthers Werken« (Berl. 1840-48, 24 Bde.),
mit historischen Einleitungen, Anmerkungen und Registern, und »Die Heilige Schrift nach Luthers Übersetzung, mit Einleitungen und erklärenden Anmerkungen« (6. und 8. Aufl., zuletzt Leipz. 1878-80, 6 Bde.),
viel gebraucht. Im Auftrag Friedrich Wilhelms IV. studierte er in England die kirchlichen Einrichtungen, worüber er in den Schriften: »Über den religiösen Zustand der anglikanischen Kirche 1842« (Potsd. 1845) und »Die kirchliche Armenpflege, nach Chalmers« (das. 1847) Bericht erstattete. Seine »Predigten« erschienen Berlin 1850. Auch übersetzte Gerlach mehrere Schriften Baxters.
5) Andreas Christian, Tierarzt, geb. zu Wedderstedt bei Quedlinburg, [* 25] studierte 1830-33 in Berlin Tierarzneikunde, praktizierte in Hettstädt und seit 1845 als Kreistierarzt in Halberstadt, [* 26] wurde 1846 als Repetitor an der Tierarzneischule zu Berlin ¶
angestellt, 1848 zum Lehrer an derselben ernannt, 1859 als Professor und Direktor an die Tierarzneischule zu Hannover [* 28] und 1870 wieder als Direktor an die Tierarzneischule in Berlin zurückberufen und gleichzeitig zum Geheimen Medizinalrat, 1873 auch zum ordentlichen Mitglied des Landesökonomiekollegiums und 1875 zum Mitglied der technischen Deputation für das Veterinärwesen ernannt. Gerlach starb in Berlin. Er schrieb: »Lehrbuch der allgemeinen Therapie der Haustiere« (Berl. 1853; 2. Aufl., das. 1868);
»Krätze und Räude« (das. 1857);
»Die Flechte des Rindes« (das. 1857);
»Gerichtliche Tierheilkunde« (das. 1861, 2. Aufl. 1872);
»Die Trichinen« (das. 1866);
»Die Rinderpest« (das. 1867);
»Maßregeln zur Verhütung der Rinderpest« (Halle 1872, 2. Aufl. 1875);
»Die Fleischkost des Menschen« (Berl. 1875);
in Gemeinschaft mit Leisering »Mitteilungen aus der tierärztlichen Praxis im preußischen Staat« (das. 1854-59).
Als Fortsetzung des »Magazins für Tierheilkunde« gab er das »Archiv für wissenschaftliche und praktische Tierheilkunde« heraus.
(spr. scherlásch), Etienne Constantin, Baron de, belg. Staatsmann, geb. zu Biourge im Luxemburgischen, studierte die Rechte und trat während der Kaiserherrschaft am Pariser Kassationshof mit vielem Glück als Advokat auf. Nach der Vereinigung Belgiens mit den Niederlanden ließ er sich als Rechtskonsulent in Lüttich [* 29] nieder, ward Rat am Appellationshof und infolge mehrerer Schriften über das Steuer-, Zoll- und Gewerbswesen Belgiens 1824 Mitglied der Zweiten Kammer der Generalstaaten, wo er sich auf seiten der Opposition durch maßvolle Haltung, Rednertalent und politischen Blick auszeichnete.
Beim Ausbruch der Revolution (1830) wurde er Mitglied der Lütticher Sicherheitskommission, sodann Präsident der Kommission, welche mit der Abfassung eines Verfassungsentwurfs beauftragt war. Nach Surlet de Chokiers Ernennung zum Regenten Belgiens zum Präsidenten des Kongresses gewählt, stand er an der Spitze der Deputation, die dem Prinzen Leopold von Sachsen-Koburg die belgische Krone antrug, und nahm als Präsident der Repräsentantenkammer dem neuen König den Eid auf die Verfassung ab. Darauf ward er 1832 Präsident des Kassationshofs, in welchem Amt er seinen alten Ruhm als Redner und kenntnisreicher Geschäftsmann aufs glänzendste bewährte. Er war zugleich Direktor der belgischen Akademie der Wissenschaften und Präsident der belgischen Geschichtskommission.
In den kirchlichen Fragen gehörte er zu den Häuptern des belgischen Ultramontanismus, dessen Interessen er in Rede und Schrift verfocht. Nachdem er 1869 in den Ruhestand getreten war, starb er in Brüssel. [* 30] Als Schriftsteller im historischen und politischen Fach hat er sich bekannt gemacht durch »Souvenirs historiques du pays et de la principauté de Liége« (Brüss. 1825, 2. Aufl. 1842);
»Revolution de Liége sous Louis de Bourbon« (das. 1831);
»Essais sur les grandes époques de notre histoire nationale« (4. Aufl., das. 1880);
»Histoire de Liége« (das. 1843, 3. Aufl. 1875);
»Études sur Salluste« (das. 1847, 4. Aufl. 1880);
»Histoire du royaume des Pays-Bas 1814-30« (das. 1839, 3 Bde.; 4. Aufl. 1875) u. a. Seine »Œuvres complètes« erschienen 1875 in 6 Bänden.
Flecken im bad. Kreis Mosbach, unweit der Tauber und an der Linie Heidelberg-Würzburg der Badischen Staatsbahn, hat eine kath. Pfarrkirche, eine Taubstummenanstalt in dem 1803 aufgehobenen Prämonstratenser-Nonnenkloster, umfangreiche Weinberge und (1885) 1046 Einw.
Georg, Linguist und Anthropolog, geb. zu Kassel, [* 32] daselbst gebildet, studierte seit 1851 in Marburg [* 33] und Berlin und ward 1856 Gymnasiallehrer in Kassel, 1857 in Hanau, [* 34] 1858 am Kloster zu Magdeburg, 1870 Oberlehrer am Stadtgymnasium zu Halle, 1875 Professor der Geographie und Ethnographie [* 35] an der Universität zu Straßburg. [* 36] Ursprünglich linguistischen Studien zugewendet, schrieb er: »Über den altgriechischen Dativ« (Marb. 1859; fortgesetzt in Kuhns »Zeitschrift für vergleichende Sprachforschung«, Bd. 9);
»Versuch einer Methodik der Linguistik« (Magdeb. 1863);
»Intensiva und Iterativa und ihr Verhältnis zu einander« (Leipz. 1869).
Seine spätern Schriften beziehen sich auf die Anthropologie. Er bearbeitete Band [* 37] 5 und 6 von Th. Waitz' »Anthropologie der Naturvölker« (»Die Völker der Südsee, Mikronesier und nordwestliche Polynesier«, Leipz. 1870-71) und die zweite Auflage des ersten Bandes (1876). Außerdem erschienenen ihm: »Über das Aussterben der Naturvölker« (Leipz. 1868);
»Anthropologische Beiträge« (Halle 1874, Bd. 1);
»Atlas [* 38] der Ethnographie« (im »Bilderatlas«, Leipz. 1876).
Seit 1876 liefert er auch die Berichte über ethnologische Forschung in dem von Behm begründeten, seit 1880 von Wagner herausgegebenen »Geographischen Jahrbuch«.
(Karrenbütte),
in Neuchâtel Maß für Most, für Trestermost = 99,02, für Helles 73,125 Lit.
Wolfgang Adolf, Schriftsteller, geb. zu Prag, [* 39] Buchhändler daselbst, 1815-20 Redakteur der »Prager Zeitung«, entfaltete eine vielseitige, aber flüchtige und äußerliche belletristische Thätigkeit und endete durch Selbstmord Die erzählenden und beschreibenden heitern Bücher, die er (zum Teil als Gerle Erle, Konrad Spät, Hilarius Kurzweil) verfaßte, würden eine lange Liste füllen. Am bekanntesten wurden: »Korallen« [* 40] (Prag 1811);
»Schelmufskys seltsame Abenteuer« (Berl. 1821);
»Novellen, Erzählungen und Märchen« (Leipz. 1821);
»Der kleine Phantasus« (das. 1822);
»Schatten- und Mondnachtsbilder« (das. 1824).
Um sein engeres Vaterland machte er sich verdient durch eine Sammlung »Volksmärchen der Böhmen« [* 41] (Prag 1819) und den »Historischen Bildersaal der Vorzeit Böhmens« (das. 1829). Im Dramatischen war er am glücklichsten; mit Uffo Horn gemeinschaftlich gewann er 1837 einen in Stuttgart [* 42] ausgesetzten Preis durch das Lustspiel »Die Vormundschaft«; mit Lederer schrieb er das vielgegebene Stück »Die kranken Doktoren«. Ferner erhielten sich: »Der Essighändler«, »Die Abenteuer einer Neujahrsnacht« (nach Zschokke),
»Das Liebhabertheater« (nach van der Velde),
»Oheim und Neffe« (nach Holberg). Er bearbeitete auch Hans Sachs' Schwänke sowie Calderonsche Stücke und übersetzte vieles.
Hochthal in Tirol, [* 43] in der Fortsetzung des obern Pinzgaues, von dem gleichnamigen Flüßchen (das in die Ziller mündet) durchflossen, mit der Gerloswand (2200 m), dem Pfarrdorf Gerlos (377 Einw.) und dem Gerlospaß (1457 m), Übergangspunkt vom Zillerthal ins Pinzgau.
Spitze, höchster Gipfel der Hohen Tatra in Ungarn, [* 44] 2659 m hoch.
(Gärm), s. v. w. Hefe. ^[= (Bärme), die bei der Alkoholgärung auftretende schmutzig weiße bis bräunliche, breiige ...] [* 45]
(spr. schermäng), Sophie, Mathematikerin, geb. zu Paris, [* 46] widmete sich frühzeitig ernsten und gelehrten Studien und errang 1816 durch ein Memoire, worin sie die Gesetze der Schwingungen elastischer Blättchen bestimmte, einen vom Institut ¶
ausgesetzten Preis. Dasselbe erschien in weiterer Ausführung 1820 als »Recherches sur la théorie des surfaces élastiques«, denen über denselben Gegenstand noch ein zweites »Mémoire« (1826) und ein Artikel in den »Annales de physique et de chimie« (1828),
endlich ein »Mémoire sur la courbure des surfaces« in Crelles »Journal für Mathematik« (Berl. 1830) nachfolgten. Auch in der Philosophie, Geschichte, Geographie und den Naturwissenschaften war sie gründlich unterrichtet. Sie starb in Paris. Ihre Œuvres philosophiques" gab Stupuy heraus (Par. 1879).
und Germanien [* 48] (hierzu Karte »Germanien etc.«). Der Name Germani wird zum erstenmal in den Fasti capitolini, d. h. dem in dem Tempel [* 49] des kapitolinischen Jupiter aufbewahrten römischen Beamtenverzeichnis, zum Jahr 222 v. Chr. erwähnt; doch ist es mehr als zweifelhaft, ob diese Stelle auf alten Aufzeichnungen beruht, und ob nicht vielmehr erst bei einer viel spätern Redaktion der Fasten der Name Germanen eingeschoben ist. Denn es steht fest, daß er erst mit der Zeit Cäsars, der ihn in Gallien kennen lernte, und durch ihn den Römern geläufig geworden ist.
Wie er von den Galliern zu den Römern gekommen ist, so stammt er auch aus der keltischen Sprache; [* 50] alle Versuche, ihn aus dem Deutschen zu erklären (von denen die Ableitung von Ger und Mann, also Speermänner, wohl die gebräuchlichste war), sind jetzt aufgegeben. Am wahrscheinlichsten ist, daß der Name, welcher »Wäldler«, Bewohner eines Waldlandes, bedeutet, von den Galliern auf die im Maas- und Niederrheingebiet wohnenden kultur- und städtelosen Stämme keltischer und germanischer (wie die Tungern) Abstammung angewendet, schließlich auf die letztern beschränkt und zur Gesamtbezeichnung der großen Nation jenseit des Rheins geworden ist.
Andre deuten Germanen als »gute Schreier«, andre als »Ostleute«, noch andre als »Nachbarn«. Die germanischen Völker haben den Namen wohl selbst erst von den Galliern gehört und sich desselben nur im Verkehr mit Fremden, besonders mit Römern, bedient; recht heimisch und volkstümlich ist er bei ihnen nie geworden, wie es denn überhaupt an einer allgemeinen und zusammenfassenden Bezeichnung für alle Stämme der Germanen lange fehlte. Gerade darum hat sich die gelehrte Forschung des gallischen Namens bemächtigt, aber sie gebraucht ihn in noch weiterm Sinn, als er ursprünglich hatte; wir verstehen jetzt unter Germanen nicht nur die im jetzigen Deutschland lebenden Völker, sondern alle stammverwandten Nationen, also auch Goten, Vandalen, Burgunder, Skandinavier u. a.
Vgl. Mahn, Über den Ursprung und die Bedeutung des Namens Germanen (Berl. 1864).
Die erste Kunde von den Germanen kam den Völkern des Altertums durch die Reiseberichte des gelehrten Kaufmanns Pytheas von Massilia (Marseille), [* 51] der sie um 250 v. Chr. an den Küsten der Nord- und Ostsee kennen lernte; von hier gingen auch die Stämme der Cimbern und Teutonen aus, mit denen die Germanen zuerst in die Geschichte eintreten, 113-101 die Bevölkerung [* 52] Italiens, [* 53] Galliens und Spaniens in Schrecken setzend. Es hat große Wahrscheinlichkeit für sich, daß sie später als Griechen, Italiker und Kelten die gemeinsame Heimat der Völker des indogermanischen Stammes in Asien [* 54] verlassen haben und nach langen, zeitlich nicht zu bestimmenden Wanderungen durch die Tiefebenen Sarmatiens, wo Slawen und Letten sich von ihnen loslösten, eben in jenen Küstenländern zuerst feste Wohnsitze eingenommen und sich von hier aus allmählich weiter nach S. und W. verbreitet haben.
Ihr Land selbst aber war bis zu Cäsars Zeit den Römern fast ganz unbekannt, und auch durch Cäsars kurze Feldzüge im O. des Rheins und durch das, was derselbe in Gallien darüber hörte, konnte keine umfassendere und genauere Kenntnis davon gewonnen werden. Erst durch die Kriege, welche die Römer in der Zeit kurz vor und nach Christi Geburt unter Drusus, Tiberius, Germanicus u. a. gegen die Germanen führten, und während welcher sie bis an die Weser und Elbe vordrangen, erwarben sie sich eine genauere Kenntnis des Landes.
Die Grenzen [* 55] Germaniens, welches die Römer Germania magna, auch Germanen barbara und Germanen transrhenana nannten, waren, namentlich gegen N. und O., sehr unbestimmt. Im W. trennte es der Rhein von Gallien. Als die östlichen Grenznachbarn werden die von den Germanen durch die Weichsel getrennten Sarmaten genannt. Im N. endlich bildete der Ozean die Grenze, und in ihm dachte man sich das jetzige Dänemark, [* 56] Schweden [* 57] und Norwegen als Inseln, die man ebenfalls zu Germanen magna in weitester Bedeutung rechnete. Im S. grenzte es an die römischen Provinzen Vindelizien, Noricum und Pannonien; in älterer Zeit bis zu Augustus' Zeit bildete die Südgrenze der germanischen Wohnsitze der Hercynische Wald (Hercynia silva), unter welchem der zusammenhängende Gebirgszug verstanden wurde, welcher vom Schwarzwald an durch Franken und Thüringen, über das Erz- und Riesengebirge sich fortsetzend, bis zu den Karpathen reicht.
Aus der Gesamtmasse der deutschen Mittelgebirge, die als Hercynia silva zusammengefaßt werden, tauchen dann aber eine Reihe von Namen auf, die sich mit größerer Bestimmtheit auf einzelne Gebirgszüge beziehen lassen. Dahin gehören: das Gabretagebirge (der Böhmerwald, im Mittelalter Nordwald genannt);
die Sudeten (Erzgebirge);
der Mons [* 58] Abnoba oder Silva Marciana (Schwarzwald);
der Jura, dessen Name schon bei Ptolemäos und Cäsar auftritt;
der Vosagus (fälschlich Vogesus, d. h. Wasgau, Vogesen);
der Taunus;
die Silva Bacenis (deren Lage nicht zu bestimmen ist);
Semana (Thüringer Wald);
Melibocus (vermutlich der Harz);
Asciburgium (Riesengebirge);
der Teutoburger Wald u. a. Einige andre Benennungen, wie Eifel, Spessart, Odenwald etc., kommen dagegen erst im Mittelalter vor;
auch die Bezeichnung Buchenwald (silva Buchonia) für die Hohe Rhön und das Vogelsgebirge läßt sich im Altertum nicht nachweisen.
Von den Flüssen Germaniens kannten die Römer besonders den Danubius (Donau), der die Grenze von Vindelizien und Noricum gegen Germanien bildete, den Rhenus (Rhein) mit den Mündungsarmen Vahalis (Waal) und Rhenus (Alter Rhein) und mit den Nebenflüssen Nicer (Neckar), Moenus (Main) Laugona (Lahn), Luppia (Lippe) [* 59] u. a. Ferner kannten die Römer den Vidrus (Vecht), die Amisia (Ems), [* 60] die Visurgis (Weser), die Albis (Elbe), den Viadrus (Oder), die Vistula (Weichsel), den Guttalus (Pregel), [* 61] letztern freilich nur durch Hörensagen. Unter den Seen war den Römern als der bedeutendste der Lacus brigantinus oder Venetus (Bodensee) bekannt.
Die Berichte der Römer über die Bodenbeschaffenheit und das Klima [* 62] Germaniens lauten sehr ungünstig. Nach ihnen war Germanien durchweg ein rauhes Land voll von Sümpfen und dichten Wäldern; die Niederungen des Rheins waren weite Moore, die sich, mit Waldungen abwechselnd, bis an die Elbe fortzogen, und über welchen ein düsterer Himmel [* 63] und eine nebelvolle, regenreiche Luft sich ¶
Maßstab [* 65] 1:8000000.
Zum Artikel »Germanen« ^[richtig: »Germanen und Germanien«]. ¶
ausbreiteten. Dem kurzen Sommer folgte ein langer Winter mit furchtbaren Stürmen, und die Ströme bedeckten sich auf lange Zeit mit Eis. [* 68] Die gewaltigen Wälder, die damals einen großen Teil des Landes bedeckten, bestanden vorzugsweise aus Buchen und Eichen; im N. gab es auch Nadelholz. Die ungeheuern Eichstämme bewunderte der ältere Plinius, der selbst im nördlichen Westfalen, [* 69] im Lande der Chauken, gewesen war. Obstbäume aber, wenigstens edlere, gediehen nach Tacitus nicht.
Die Getreidearten, welche der Boden hervorbrachte, waren Gerste, [* 70] Hafer [* 71] und Hirse, [* 72] vielleicht auch Weizen; dazu wurden Flachs und einiges Gemüse, Rüben, Rettiche, Spargel, Bohnen gebaut. Der hauptsächlichste Reichtum der Bewohner bestand in zahlreichen Viehherden, die auf den reichbewässerten Wiesengründen und Waldtriften die herrlichste Weide [* 73] fanden. Die Rasse des Rindviehs war zwar klein und unansehnlich, aber stark und dauerhaft; außerdem kamen Schafe, [* 74] Ziegen und besonders Schweine [* 75] vor.
Die einheimischen Pferde [* 76] waren ebenfalls unansehnlich und nicht besonders schnell, aber sehr ausdauernd und genügsam. Wild der verschiedensten Art fand sich natürlich in den unermeßlichen Waldungen äußerst zahlreich und bot der Jagdlust der Germanen unerschöpfliche Nahrung. Am merkwürdigsten erschienen den Römern das Elen [* 77] oder Elch (Alces) und der Auerochs (Urus); außerdem aber fanden sich noch Bären, Wölfe, Luchse, wilde Katzen, [* 78] Wildschweine, Hirsche, [* 79] Rehe etc. in Menge.
Auch werden die Gewässer als fischreich gerühmt. Von den Mineralien [* 80] ist als am berühmtesten im Altertum der Bernstein [* 81] zu nennen, der bei den Germanen Glesum hieß. Auch Silber und Eisen [* 82] kommen vor, wenn auch nicht in großer Menge. Salz [* 83] gewann man aus den an verschiedenen Orten hervorbrechenden Salzquellen, indem man die Sole über die glühenden Kohlen eines brennenden Holzstoßes goß. An der Meeresküste wurde das Salz aus dem Meerwasser gewonnen. Auch die vorzüglichen Heilquellen, besonders am Rhein, waren bereits bekannt und benutzt, z. B. die Wässer von Wiesbaden [* 84] (Aquae Mattiacae) und die von Baden-Baden [* 85] (Aquae oder Civitas Aurelia Aquensis).
Als ein besonderer Teil von Germania magna ist das sogen. Zehntland, Agri decumates (s. d.), anzusehen, der südwestliche Winkel [* 86] Deutschlands [* 87] zwischen Oberrhein und Oberdonau, welcher nach dem Zurückweichen der Markomannen seit ca. 100 n. Chr. mehrere Jahrhunderte hindurch im Besitz der Römer blieb. Durch einen von Regensburg [* 88] durch Schwaben und Franken bis an den Rhein (bei Koblenz) [* 89] sich 500 km weit hinziehenden Grenzwall geschützt, diente es als Vorwacht gegen Einfälle in die römische Provinz, bis unter der Herrschaft des Honorius zu Anfang des 4. Jahrh. die Alemannen auf allen Punkten die Befestigungslinie durchbrachen, das ganze Zehntland überschwemmten und den Römern entrissen. Von der Thätigkeit der Römer in diesen Gegenden zeugen zahlreiche Anlagen von Kastellen, Straßen, Städten sowie viele aufgefundene Altertümer; die hauptsächlichsten Fundorte sind: Baden-Baden (Aurelia Aquensis oder Aquae), Rottweil [* 90] (Arae Flaviae), Rottenburg (Sumelocenna), Kannstatt [* 91] (Clarenna), Pforzheim [* 92] (Porta Hercynia) u. a.
Von Germania magna ist wohl zu unterscheiden Germanen cisrhenana oder die römische Provincia Germania, welche auf der westlichen Seite des Rheins diejenigen Gegenden umfaßte, die nach und nach von germanischen Stämmen, die den Rhein überschritten hatten, besetzt worden waren. Anfangs rechnete man diese Landstriche zu Gallia Belgica; allein bald nach Augustus nannte man sie nach ihren Bewohnern Germania und teilte sie in zwei Teile: Germanen superior oder Germanen prima vom Juragebirge bis zur Nahe und Germanen inferior oder Germanen secunda von der Nahe bis zum Meer.
Auch in diesen Gegenden wurde von den Römern eine große Menge von festen Plätzen und Standlagern errichtet, und stets hatte hier eine größere Anzahl von Legionen als irgendwo sonst ihre Standquartiere, bereit, die Angriffe der kriegslustigen und gefürchteten Nachbarn zurückzuschlagen. Das Land zwischen Wasgau und oberer Maas gehörte zur Provinz des obern Belgien, [* 93] die Gebiete am Knie des Rheins bei Basel zur sequanischen Provinz, die Länder südlich von der Donau zu den Provinzen Rätien und Vindelizien (vom Bodensee bis zur Mündung des Inn), Noricum (bis zum Wiener Wald und zur obern Save), Pannonien (bis zur mittlern und untern Save). Zu Germanien wurden alle diese Gebiete nicht gerechnet, wie denn auch ihre Bevölkerung noch größtenteils keltisch war.
scheidet Tacitus in drei große Gruppen: die Ingävonen am Meer, die Herminonen in der Mitte des Landes und die Istävonen, zu denen alle übrigen gehören würden. Auch Plinius kennt diese drei Stämme, denen er aber noch einen vierten, die Vandalen, und als fünfte Gruppe die Peukiner und Bastarner hinzufügt. Diese letztere Fünfteilung ist jedenfalls unrichtig; aber auch die Dreiteilung des Tacitus beruht wohl nur auf alten Sagen und Liedern, welche dem Stammvater der Germanen, Mannus, drei Söhne gaben, von denen diese großen Gruppen abstammen sollten; im wirklichen Leben des Volkes findet sie keine Begründung. Viel mehr der natürlichen Gliederung des Volkes entsprechend ist eine von Cäsar und Tacitus gemachte Scheidung, bei der die Sueven im NO. der Elbe und die nichtsuevischen westlichen Völkerschaften einander gegenübergestellt werden; jene bewohnten die große nordöstliche Ebene, lebten weniger von Ackerbau als von Jagd und Viehzucht und [* 94] waren zu Wanderungen geneigt, wie sie dann auch ihre Wohnsitze den Slawen überließen.
Unter den einzelnen Völkerschaften sind die wichtigsten folgende, die hier in den Sitzen, welche sie bis zum 3. Jahrh. n. Chr. eingenommen haben, aufgeführt werden. Am linken Rheinufer, wohin sie vielleicht mit Ariovist gekommen waren, also in der römischen Provinz Germania superior, saßen die drei Stämme der Triboker (im Elsaß), Nemeter (bei Speier) [* 95] und Vangionen (bei Worms); [* 96] Mainz [* 97] (Mogontiacum), Worms (Borbetomagus), Speier (Noviomagus) und Straßburg (Argentoratum) sind hier die wichtigsten Plätze.
Weiter nördlich, im niedern Germanien, noch mitten unter keltischen Stämmen, wohnten die Ubier, deren Mittelpunkt Köln [* 98] (Colonia Ubiorum s. Agrippinensis) war; auch Bingen, [* 99] Koblenz, Remagen und andre Kastelle waren hier von Drusus gegründet; weiter der Mündung des Stroms zu, auf der vom Rhein gebildeten Insel, die ihrer Tapferkeit wegen gepriesenen Bataver, deren Name sich in dem Landschaftsnamen Betuwe noch erhalten hat, und im Innern um Tongern die Tungrer. An der Küste der Nordsee hin folgen die Friesen, vom Rhein bis zur Ems, und die Chauken, von der Ems über die Weser hinaus bis zur Elbe. Im S. schloß sich hier eine Reihe von Stämmen an, die später zu dem fränkischen Volk verschmelzen, die Chamaven und die Chattuarier;
an die erstern erinnert der im Mittelalter vorkommende Gau Hamaland um ¶
Deventer, letztere sind zwischen Ruhr und Lippe zu suchen;
weiter die Ampsivarier, ursprünglich an der Ems, aber von hier durch die Chauken verdrängt;
die Sigambrer, auf beiden Seiten der Ruhr von der Lippe bis zur Sieg, welche durch Tiberius besiegt und zum Teil auf römischem Boden angesiedelt wurden, während die Zurückgebliebenen später unter dem Namen Marser erscheinen;
endlich die Brukterer, in dem Winkel zwischen Ems und Lippe und die Ems hinab.
Mehr im Innern sind die Hauptstämme die Katten, im jetzigen Hessen [* 101] und bis nahe an den Rhein, die Angrivarier, an der mittlern Weser, die Cherusker, von der Weser im O. bis zum Harz und weiter zur Elbe und im S. bis zum Thüringer Wald, und die Hermunduren, zwischen Main und Donau. Katten und Hermunduren bilden den Übergang zu den suevischen Stämmen, unter denen zu nennen sind: die Semnonen, östlich von der Elbe, die Reudigner, Avionen, Eudosen, Suardonen, Nuithonen und eine Anzahl andrer, wenig bekannter Völkerschaften im O. bis zur Meeresküste hin. Tacitus rechnet auch die Langobarden, die wohl schon zu seiner Zeit im Lüneburgischen saßen, sowie die Angeln und Wariner in Holstein und Mecklenburg [* 102] zu den Sueven. Auch die Markomannen in Böhmen und die Quaden östlich von diesen an der Donau gehören zu den Sueven. Weiter ostwärts noch saß das mächtige, in mehrere Zweige zerfallende Volk der Lygier.
Eine eigne zusammengehörige Gruppe für sich bilden die Völker des gotisch-vandalischen Stammes, welche sämtlich im äußersten Osten des alten Germanien zwischen Oder und Weichsel und über dieselbe hinaus bis an die Memel [* 103] hin wohnten. Zu ihnen gehören außer den Goten und Vandalen selbst auch die Burgundionen, deren älteste Sitze im Gebiet der Netze und Warthe lagen, die Gepiden an der obern Weichsel, die Alanen, Rugier, Skiren, Turkilinger, Heruler, Lemovier u. a. Auch in Schweden und Dänemark haben eine Zeitlang Goten gesessen, wie die Namen einiger Provinzen noch an sie erinnern.
Eine letzte Gruppe bilden endlich die nordischen Germanen oder Skandinavier, zu denen die Sulonen (Schweden) gehören, die Tacitus fälschlich zu den Sueven zählt. Die jenseit der Goten im N. sitzenden Ästuer gehören nicht mehr zu den Germanen, sondern zum lettischen Stamm. Sehen [* 104] wir von den Skandinaviern ab, so breiten sich also die Germanen von der Donau bis zur Ost- und Nordsee, vom Rhein bis zur Weichsel und den Karpathen aus. Cäsar kannte etwa 20 germanische Völker, Strabon und Plinius etwa 30, Tacitus über 60 und Ptolemäos über 100. Wesentliche Veränderungen in dieser geographischen Verteilung der Stämme der Germanen traten erst seit dem Ausgang des 2. und dem Anfang des 3. Jahrh. n. Chr. ein, zur Zeit, da auch die alten Völkerschaftsbezeichnungen allmählich verschwinden und neue Namen, neben dem der Goten die der Alemannen, Franken, Sachsen, [* 105] dann auch der Bayern [* 106] u. a., gebraucht werden, bis im 4. Jahrh. jene gewaltige Völkerbewegung (s. Völkerwanderung) einen großen Teil der Germanen zu Zügen bewog, auf denen sie das weströmische Reich zerstörten und auf dessen Boden mächtige Reiche, das westgotische in Gallien und Spanien, [* 107] das vandalische in Afrika, [* 108] das ostgotische und langobardische in Italien, [* 109] das burgundische im Rhônegebiet, das angelsächsische in Britannien, das fränkische im nordöstlichen Gallien, begründeten.
Hierdurch wurden die Grenzen Germaniens gänzlich verschoben; der Osten rechts der Elbe und Saale, Böhmen, Österreich, [* 110] das ganze Ostalpengebiet ging an die nachdrängenden Slawen verloren, die Reiche in Italien, Afrika und Spanien gingen zu Grunde, und ihre germanischen Einwohner wurden romanisiert. Gleiches Schicksal hatten die Burgunder und der westliche Teil des Frankenreichs. Germanisch blieben also bloß Skandinavien, England und dann das Gebiet zwischen Alpen [* 111] und Nordsee, Mosel, Maas und Schelde westlich, bis zur slawischen Grenze östlich, dessen Bewohner, sämtlich mit dem Frankenreich vereinigt, später ein eignes, das ostfränkische Reich, bildeten und im 10. Jahrh. den Namen »Deutsche« [* 112] empfingen (das Weitere s. unter Deutschland, Geschichte).
Über Lebensweise, Sitten und Gebräuche sowie über die staatlichen Einrichtungen der Germanen verdanken wir ausführliche Nachrichten, die sich, je näher sie die kritische Forschung geprüft hat, als um so zuverlässiger erwiesen haben, der »Germania« des Tacitus, die 98 n. Chr. geschrieben ist. Große und kräftige Gestalt, weiße Haut, [* 113] blondes Haar, [* 114] glänzende, blaue Augen werden als allen Germanen eigentümlich bezeichnet. Schon in früher Kindheit ward der Körper an Arbeit und Entbehrung gewöhnt.
War der Jüngling herangewachsen, so bekleidete ihn ein angesehener Mann oder der eigne Vater in der Versammlung des Volkes mit den Waffen: [* 115] damit trat er in die Gemeinschaft des Volkes ein, und von nun an legte er die Waffen nicht wieder ab. In Jagd und Krieg ging das Leben des Mannes auf; die Geschäfte des Hauses und Feldes überließ man den Weibern, Knechten, Greisen und denen, die sonst zur Führung der Waffen unfähig waren; der freie Mann saß oft genug ganze Tage in träger Ruhe am Herde.
Doch war die Stellung der Frau keine niedere und unedle: streng ward die Heiligkeit der Ehe gewahrt, Vielweiberei war unbekannt, unkeuscher Wandel streng verpönt. Im Haus waltete die Frau als »Herrin«, der Mann hörte auf ihren Rat;
als Wahrsagerinnen thaten Frauen den Willen der Götter kund und übten so auf das Geschick ganzer Völker Einfluß aus.
Über die Stufe des nomadischen Hirtenlebens sind die Germanen zur Zeit, da wir von ihnen Kunde haben, schon hinausgekommen; längst war der Pflug [* 116] bekannt, und überall ward Ackerbau getrieben. Teils auf Einzelhöfen wohnte der freie Mann, teils hatte man sich in Dörfern angesiedelt, doch so, daß jedes Haus freier Hof- oder Gartenraum umgab; Städte gab es wenig, auch feste Plätze werden nur selten erwähnt, und die man hatte, waren ohne sonderliche Bedeutung. Im Charakter der Germanen überwogen die guten und rühmenswerten Eigenschaften: tadelte der Römer ihre Härte und Grausamkeit, ihre Roheit und ihren Mangel an feinerer Gesittung, so mußte er mit rühmenden Worten ihrer Gastfreiheit und Ehrlichkeit, ihrer Offenheit und ihrer Freiheitsliebe, ihrer Keuschheit und ihres Rechtsbewußtseins, vor allem aber ihrer Treue gedenken, die nur mit dem Leben endete.
Das nächste Band, das die Genossen des Volkes umschlang, war das der Familie oder Sippe: den Mitgliedern eines Geschlechts lag ob die Pflicht gegenseitiger Unterstützung und gegenseitigen Schutzes, der Rache für einen der erschlagenen Blutsverwandten, ferner der Zahlung der Buße, des »Wergeldes«, das zu zahlen war, wenn einer aus seiner Mitte einen Totschlag begangen hatte, wie auch anderseits das Geschlecht als Gesamtheit das Wergeld zu empfangen hatte, wenn einer der Seinigen erschlagen war. Auch ¶
vor Gericht hatten die Geschlechtsgenossen die Pflicht, einander beizustehen; aus dieser Pflicht ist das altgermanische Institut der Eideshelfer erwachsen.
Eine andre Verbindung als die Familie begründete die Dorf- und Markverfassung. Nicht alles Land nämlich, das bei der ersten Ansiedelung der Germanen von denen, die sich zu einem Dorfe vereinigten, gemeinsam in Besitz genommen worden, war unter die Einzelnen verteilt;
vieles blieb brach liegen und diente als Wald oder Weide allen zur Nutznießung nach bestimmten Regeln und in abgemessenem Umfang: dies wird als »gemeine Mark« oder »Allmande« bezeichnet. So hatten die Dorfgenossen auch unmittelbar gemeinsame Interessen;
um darüber zu verhandeln, traten die Dorfbewohner an ein für allemal bestimmten Plätzen, meist unter einem alten Baum, häufig einer Linde, zusammen;
ein gewählter Dorfvorsteher leitete die Verhandlungen und nahm auch sonst das Interesse der Dorfschaft wahr.
Aber eigentlich staatliche Funktionen übten auch sie nicht aus. Diese kamen vielmehr nur dem Verband [* 118] der Völkerschaft und seinen Gliederungen, den Hundertschaften, zu. Die Staatsgewalt stand innerhalb der Völkerschaft der Gesamtheit der ihr angehörigen freien Männer zu, die bewaffnet (denn Heer und Volk sind identisch) zur Völkerschaftsversammlung sich einfanden. So war die Verfassung der alten Germanen, wenn wir die moderne Bezeichnung anwenden sollen, durchweg eine republikanische, und es machte darin keinen Unterschied, ob an der Spitze der Völkerschaften ein erblicher König aus einem besonders edlen Geschlecht stand, wie das bei den Ostgermanen, Goten und Sueven, der Fall war, oder ob es einen solchen nicht gab, wie bei den westlichen Germanen.
Auch in den von Königen beherrschten Staaten war nicht der Monarch, sondern die Volksversammlung die Trägerin der Souveränität; die höchsten Rechte, wie das, über Krieg oder Frieden zu entscheiden, über Leib und Leben der Volksgenossen zu urteilen, die Beamten der Abteilungen des Volkes zu ernennen, standen nicht dem König, sondern dem Volk zu. Die Versammlung fand zu bestimmten Zeiten bei Neu- oder Vollmond oder außerordentlich bei besondern Veranlassungen statt; festliche Schmausereien gingen den Beratungen voran, die unter freiem Himmel (in heiligen Hainen oder an andern der Gottheit geweihten Stätten) abgehalten wurden.
Der König oder, wo es einen solchen nicht gab, einer der Fürsten leitete die Verhandlungen; weitläufige Debatten waren nicht üblich, nur Männer, die durch Adel, Alter, Kriegsruhm oder Beredsamkeit ausgezeichnet waren, pflegten das Wort zu ergreifen; dann entschied die Versammlung, wenn auch nicht in förmlicher Abstimmung: mit beifälligem Zuruf und lautem Zusammenschlagen der Waffen nahm man die gemachten Vorschläge an, mit unwilligem Murren oder Geschrei verwarf man sie.
Nur in den monarchischen Staaten gab es in der Person des Königs einen ständigen Vorsteher des Volkes; in denen, die keinen König hatten, ward ein solcher nur für die Zeit eines Krieges aus der Zahl der Fürsten durch das Volk erwählt; Herzog wird man ihn genannt haben. Außer den Versammlungen des ganzen Volkes gab es solche der einzelnen Hundertschaften, in welche die Völkerschaft regelmäßig zerfiel. Hier ward (von jenen wenigen Fällen abgesehen, in denen das ganze Volk richtete) das Recht gesprochen; andre Funktionen übte die Versammlung der Hundertschaft wahrscheinlich nicht aus.
An der Spitze der Hundertschaften in Krieg und Frieden, in Heer und Gericht standen Fürsten (principes), die von dem gesamten Volk für alle Hunderte desselben aus den tüchtigsten freien Männern derselben ohne Unterschied des Standes gewählt wurden. Ihr und der Könige Vorrecht war es, ein Gefolge zu halten, d. h. eine Anzahl tapferer junger Männer um sich zu versammeln, die, durch das feste Band der Treue an ihren Gefolgsherrn gekettet, mit ihm Leid und Freud', Ehre und Ruhm, Beute und Gefahren teilten, ihm in den Kampf und in den Tod folgten. Der Eintritt in ein solches Gefolge minderte Freiheit und Ehre nicht; im Gegenteil hob die Ehre des Herrn die des Gefolges, war sein Ruhm auch der des Gefolges.
Ist somit in der Verfassung der Germanen der politischen Freiheit der weiteste Spielraum gelassen, so gilt dasselbe auch von der politischen Gleichberechtigung aller Freien, für die in staatlicher Beziehung kein Unterschied irgend welcher Art bestand. Dies schließt aber eine gewisse ständische Gliederung innerhalb des Kreises der Freien nicht aus. Vielmehr ist es sicher, daß es wenigstens bei den meisten Völkerschaften der Germanen einen, wenn auch nicht sehr zahlreichen Adel gab; seine Mitglieder, die »Adalinge« oder »Ethelinge«, galten als besonders angesehen oder einflußreich, man legte hohen Wert auf edle Geburt und vornehme Abkunft; aber politische Vorrechte verlieh der Adel nicht, höchstens das eine kann angeführt werden, daß die Könige, wo es solche gab, regelmäßig einem und zwar dem edelsten der adligen Geschlechter angehörten.
Unter den Freien standen die Hörigen (Liten oder Halbfreien), vielleicht Angehörige ganzer Völkerschaften, die im Krieg unterworfen worden waren; sie entbehrten des freien Grundbesitzes und besaßen nur Land, für das sie einem Herrn dienten oder zinsten; sie hatten keine politischen Rechte, aber ihre Person war frei. Noch tiefer standen die Knechte, meist einzelne Kriegsgefangene, die als Sache galten, gekauft und verkauft werden konnten und somit in harter Abhängigkeit standen. Aber auch ihre soziale Stellung war keine allzu ungünstige, selten nur hören wir von grausamer Behandlung der Knechte; in der Regel lebten sie auf ihnen angewiesenem Land, von dem sie Getreide [* 119] oder Vieh als Abgabe entrichteten, und mit der römischen Sklavenwirtschaft hat das Verhältnis der Knechte bei den Germanen wenig gemein.
Der Gliederung des Volkes im Frieden entsprach die Ordnung im Gefecht: das Gefolge umgab seinen Führer, familien- und stammweise vereinigt focht das übrige Volk. Die Schlachtordnung war meist keilförmig, Reiter und Fußstreiter waren vermischt. Der Angriff begann mit einem wilden Schlacht- oder Schildgesang (baritus), welchen die Römer nicht schrecklich genug schildern können. Der Angriff war stürmisch, aber nicht immer ausdauernd; oft wich man zurück; aber nur, um den Angriff alsbald zu erneuern.
Den Schild [* 120] auf feiger Flucht wegzuwerfen, galt als die ärgste Schmach, lieber setzte man sich gewissem Tod aus; daher kommt es, daß in unglücklichen Kämpfen stets die Leichen von Tausenden der Germanen das Schlachtfeld bedeckten. Es fehlte den Germanen nicht an geschickter und kundiger Führung; anfangs den Römern an Kriegskunst nicht gewachsen, haben sie doch bald von den Siegern gelernt. Ihre Hauptwaffe war der Speer, der mit eiserner Spitze beschlagen war und zum Kampf in der Nähe und in der Ferne diente, und, besonders bei den Völkern des Nordens, das kurze Schwert. Hauptverteidigungswaffe war der meist bunt gemalte Schild. Das Fußvolk führte auch Bogen [* 121] und Pfeile. Nur wenige Bevorzugte hatten ¶