worauf auch der
Staatsrat, dessen »unabhängig« gesinnte Mitglieder dimissionierten,
in ihrem
Sinn bestellt wurde. Die Carteretsche
Regierung erwarb sich
Verdienste durch Einführung des obligatorischen Primärschulunterrichts
(1872), Erweiterung der alten
GenferAkademie zu einer vollständigen
Universität mit vier
Fakultäten, die schon jetzt die
besuchteste der
Schweiz
[* 2] ist
(Oktober 1873), hat aber namentlich Aufsehen erregt durch den
Kampf, den sie
gegen die frühern
Bundesgenossen der
Radikalen, die Ultramontanen, zu führen hatte, welche unter der Leitung des ehrgeizigen
katholischen Stadtpfarrers
KasparMermillod das altberühmte
Bollwerk des
Protestantismus wieder in einen katholischen Bischofsitz
umzuwandeln bestrebt waren.
Schon 1864 hatte
Bischof Marilley von Freiburg,
[* 3] zu dessen
Diözese seit 1819 das katholische Genf
[* 4] gehörte, auf höhere
Weisung hin
Mermillod als seinem »Hilfsbischof« die bischöflichen
Gewalten über Genf delegieren müssen. Als 1871 Marilley
auf die direkte
Aufforderung des
Staatsrats sich weigerte, irgend welche Verantwortlichkeit für den genferischen Teil seiner
Diözese zu übernehmen, untersagte jener
Mermillod alle bischöflichen
Funktionen und entsetzte ihn, da
er sich weigerte zu gehorchen, seiner
Stelle als
Pfarrer Am erfolgte die förmliche Ernennung
Mermillods
zum apostolischen
Vikar von Genf durch den
Papst, worauf der
SchweizerBundesrat11. Febr. diese Ernennung für nichtig erklärte und
am 17. wegen der
WidersetzlichkeitMermillods dessen
Ausweisung verfügte, die sofort vollzogen wurde. In
Genf wurden, nachdem die nationalen
Parteien bei den Großratswahlen einen glänzenden
Sieg über die Ultramontanen
davongetragen, 1873 zwei
Gesetze über den katholischen
Kultus erlassen (19. Febr. und 27. Aug.), welche auch die
Verfassung der katholischen
Kirche auf die
Gemeinde basierten und von den
Geistlichen einen
Eid auf die Staatsgesetze verlangten.
AllePfarrer, die denselben verweigerten, wurden entfernt und, da nur die christ- (alt-) katholische
Richtung sich den
Gesetzen fügte,
diese als
Landeskirche anerkannt, während sich die römisch-katholischen
Genossenschaften in die
Stellung von Privatvereinen
gedrängt sahen.
Diese Ereignisse übten eine wohlthätige
Rückwirkung auf die
Haltung Genfs in eidgenössischen
Dingen
aus; während es die Bundesverfassung von 1872 als zu zentralistisch mit 7908 gegen 4541
Stimmen verworfen, standen 1874: 9674 Ja 2827 Nein
gegenüber.
Angesichts der Hetzereien
Mermillods vom französischen Gebiet aus hielt der
Staatsrat mit eiserner
Konsequenz an der
von ihm eingenommenen
Position fest; die Altkatholiken wurden in ultramontanen Dörfern durch militärisches
Einschreiten geschützt, renitente Munizipalbehörden entsetzt und
Pfarrer, die
ErlasseMermillods publizierten, dem Strafrichter
überwiesen.
Durch eine angenommene Partialrevision wurde
das fakultative
Referendum in die
Verfassung eingeführt; dagegen verwarf
das
Volk die von den Ultramontanen, Fazyanern und den protestantischen Orthodoxen angestrebte Aufhebung des Kultusbudgets
und die damit verbundene Trennung von
Kirche und
Staat mit 9306 gegen 4064
Stimmen. Die
Neuwahlen
zum
GroßenRat vom sicherten der Carteretschen
Richtung wieder eine überwiegende
Majorität.
Vgl.
»Mémoires et documents pour servir à l'histoire de
Genève« (Genf
1842 ff.);
Pictet de Sergy,
Genève, origine et développement de cette république (das. 1842-47, 2 Bde.,
bis 1532 reichend; mit der Fortsetzung von Gaullieur bis 1856, das. 1856);
Roget,Histoire du peuple de
Genève depuis la réforme
(das. 1870-83, 7 Bde.);
Galiffe, Quelques pages d'histoire de
Genève (das. 1863);
Derselbe,Genève historique et archéologique
(das. 1872);
Pictet de Sergy,
Genève ressuscitée le 31 déc. 1813 (das. 1869);
Blavignac, Études sur
Genève depuis l'antiquité jusqu'à nos jours (das. 1872, 2 Bde.);
Le
[* 5]
Fort, L'émancipation politique de
Genève (das. 1883);
Cherbuliez,
Genève, ses institutions, ses mœurs, etc. (das. 1868);
Der Inhalt der Konvention bezieht sich 1) auf die verwundeten und erkrankten Soldaten selbst als zu pflegendes Objekt, 2) auf
die Ärzte und das Hilfspersonal als pflegendes Subjekt und 3) auf die Hospitäler und die Materialausstattung als das Mittel
zur Pflege. Die Hospitäler und Ambulanzen werden (Art. 1) auf so lange, als sich Kranke und Verwundete
darin befinden, und solange sie nicht von einer bewaffneten Macht bewacht sind, für neutral erklärt, das Material der Militärhospitäler
bleibt den Kriegsgesetzen unterworfen, während das mobile Feldlazarett und die Sanitätsdetachements (l'ambulance) im Gegenteil
unter gleichen Verhältnissen ihr Material behalten sollen (Art. 4). Das Personal der Hospitäler und Feldlazarette
(einschließlich der Intendantur, der Sanitäts- und Verwaltungsbeamten, der mit dem Transport der Verwundeten Beauftragten
und der Feldgeistlichen) soll an der Wohlthat der Neutralität teilnehmen, solange es in der Ausübung seines Berufs ist, und
solange es Verwundete gibt, die aufzunehmen sind, oder denen Beistand zu leisten ist (Art. 2). Diese Neutralität
bezieht sich aber nur auf das amtliche Personal; freiwillige Krankenpfleger, soweit sie nicht dem amtlichen Personal inkorporiert
worden sind, haben daher keinen Anspruch auf Neutralität. Das neutrale Personal kann auch nach der Besetzung durch den Feind
fortfahren, seine Pflichten in dem Hospital oder dem Feldlazarett zu erfüllen, oder sich zurückziehen.
Sobald es aufhört, seinen Beruf auszuüben, wird der besitzergreifende Truppenteil dafür Sorge tragen, es den feindlichen
Vorposten zu überliefern (Art. 3). Das sich zurückziehende Personal der Hospitäler (Art. 4) darf nur diejenigen Gegenstände
mitnehmen, die sein Privateigentum sind. Die verwundeten und erkrankten Krieger sollen (Art. 6) aufgenommen
und verpflegt werden, zu welcher Nation sie auch gehören.
Die Oberbefehlshaber sind ermächtigt, die während eines Gefechts verwundeten Krieger sofort an die feindlichen Vorposten abzuliefern,
wofern es die Umstände gestatten, und mit Einwilligung beider Teile. Alle nach ihrer Herstellung dienstuntauglich Befundenen
sollen in ihre Heimat entlassen werden. Auch die andern können entlassen werden, jedoch mit der Bedingung,
für die Dauer des Kriegs nicht mehr die Waffen
[* 30] zu führen. Jeder in ein Haus aufgenommene und gepflegte Verwundete (Art. 5,
Abs. 3 u. 4) dient demselben als Sauvegarde; jeder Einwohner, welcher Verwundete bei sich aufgenommen hat, soll
von Einquartierung und einem Teil der etwa auferlegten Kriegskontributionen frei sein.
Diejenigen Landesbewohner (Art. 5, Abs. 1 u. 2), welche den Verwundeten zu Hilfe eilen, sollen respektiert werden und frei
bleiben; den Befehlshabern der kriegführenden Mächte liegt die Verpflichtung ob, einen Aufruf an die Menschenliebe der
Einwohner zu erlassen und dieselben von der Neutralität, welche für sie daraus erfolgt, zu unterrichten.
Art. 8 überläßt den Oberbefehlshabern die Einzelheiten der Ausführung der Konvention nach Maßgabe der Instruktion ihrer
Regierungen und
der allgemeinen Grundsätze, welche in der Konvention ausgesprochen und geregelt worden. Auch die Räumungstransporte
(les évacuations) und ihr Begleitungspersonal werden unter den Schutz unbedingter Neutralität gestellt
(Art. 6, Abs. 5). Als allgemeines Neutralitätszeichen (Art. 7) gelten die Fahne und die Armbinde mit dem roten Kreuz auf weißem
Feld, mit der ausdrücklichen Bestimmung, daß die Verabfolgung der Armbinde nur den Militärbehörden überlassen bleiben
solle. Derjenige, welcher die Neutralitätsbinde trägt, ohne dazu berechtigt zu sein, setzt sich dadurch
schwerer Verantwortlichkeit und Gefahr aus.
Zur praktischen Anwendung gelangte die Konvention zuerst in den 1866er Kriegen; bereits bei dieser ersten Anwendung wurde die
Ausführbarkeit ihres Grundgedankens dargethan, zugleich aber ergab sich die Notwendigkeit einer Revision der Konvention. Mit
der Anbahnung einer solchen beschäftigten sich zunächst eine militärärztliche Konferenz in Berlin
[* 31] unter
dem Vorsitz Langenbecks, eine während der Weltausstellung in Paris zusammenberufene internationale Versammlung der Hilfsvereine
und der von 20 deutschen Vereinen des RotenKreuzes beschickte deutsche Vereinstag zu Würzburg
[* 32] Diesen vorbereitenden
Versammlungen folgte der PariserKongreß, eine von 57 Vertretern der National- und Zentralkomitees und
von einer Anzahl Abgeordneter der Regierungen gebildete Privatversammlung, deren Beschlüsse als Wünsche den Konventionsregierungen
für die Revision des internationalen Vertrags selbst unterbreitet wurden.
Der Inhalt dieser Zusatzartikel entsprach den ausgesprochenen Wünschen nicht. Keine Berücksichtigung fanden von vornherein:
die Ausdehnung
[* 35] der Neutralität auf die Mitglieder der Hilfsvereine, die Feststellung einer Kontrollmaßregel zur Verhütung
des Mißbrauchs der Neutralitätsbinde und die Annahme eines gemeinsamen Zeichens zur Feststellung der
Identität der Gefallenen. Von den 14 Zusatzartikeln beziehen sich 9 auf Ausdehnung der Konvention auf die Marine, 5 enthalten
Zusätze zur 1864er Konvention. In den letztern wird eine genauere Definition der Benennung »Ambulance« gegeben (Zusatzart.
3) und bestimmt, daß den in die Hände der feindlichen Armeen gefallenen neutralen Personen der Fortgenuß
ihrer Gehaltbezüge gesichert bleiben solle (Zusatzart. 2). Weiter werden die unverständlichen und unausführbaren Vorschriften
des Art. 5 der Konvention dahin modifiziert, daß bei der Verteilung der aus der Einquartierung der Truppen und aus den zu leistenden
Kriegskontributionen entstehenden Lasten das Maß des von den betreffenden Einwohnern entwickelten Eifers
für Mildthätigkeit in Betracht gezogen werden solle. Zusatzart. 5 erweitert die Bestimmung im Art. 6 der Konvention dahin:
»daß, mit Ausnahme derjenigen Offiziere,
¶
mehr
deren Anwesenheit in der betreffenden Armee auf den Erfolg der Waffen von Einfluß sein würde, die in die Hände des Feindes
gefallenen Blessierten, selbst wenn sie nicht als unfähig zum Fortdienen erkannt werden, nach erfolgter Herstellung oder
noch früher in ihre Heimat zurückzusenden sind (früher 'können') unter der Bedingung, daß dieselben
während der Dauer des Kriegs nicht wieder die Waffen führen dürfen«: eine Erweiterung, welche die Ausführung dieses Zusatzartikels
absolut unmöglich macht.
Einflußreicher ist dagegen die im ersten Zusatzartikel enthaltene Neuerung, welche das im Art. 3 der Konvention enthaltene
»können« beseitigt und in vorschreibender Weise bestimmt: »Das Hilfspersonal fährt nach der Besetzung
durch den Feind fort, den Kranken und Verwundeten des Feldlazaretts etc. seine Sorgfalt zuzuwenden. Sobald dieses Personal
sich zurückzuziehen wünscht, hat der Kommandant der Besatzungstruppen den Zeitpunkt des Abzugs zu bestimmen, den er jedoch
nur auf eine kurze Zeitdauer und zwar, sobald militärische Notwendigkeiten vorliegen, hinausschieben kann.«
Diese Zusatzartikel sind niemals ratifiziert worden. Sie bilden daher kein geltendes Recht; nur während
des deutsch-französischen Kriegs haben sie vermöge eines ausdrücklichen Übereinkommens zwischen den kriegführenden Staaten
in praktischer Geltung gestanden. Die damals gemachten Erfahrungen werden nicht dazu beitragen, die Abneigung der Mächte
gegen eine staatsverbindliche Ausdehnung der Konvention von 1864 zu beseitigen.
1874 beschäftigte sich der in Brüssel
[* 37] tagende völkerrechtliche Kongreß über das gesamte internationale Kriegsrecht auch
mit der genfer Konvention Die sieben auf die Verwundeten, das Sanitätsmaterial und -Personal bezüglichen Paragraphen der russischen Vorlage
enthielten zwar eine ganz erhebliche Umgestaltung eines Teils des bisher geltenden Rechts; sie wurden aber
gestrichen und folgender Beschluß gefaßt: »Die Verpflichtungen der Kriegführenden
in Bezug auf die Verwundeten- und Krankenpflege werden durch die genfer Konvention vom geregelt, vorbehaltlich der Abänderungen,
die in Bezug auf dieselbe in Zukunft etwa vereinbart werden sollten«.
Die Beratungen und Verhandlungen dagegen über den russischen Entwurf und die von dem deutschen Bevollmächtigten
und der belgischen Regierung eingebrachten Gegenentwürfe, bei denen sich sehr weitgehende Meinungsverschiedenheiten ergaben,
und deren Resultat in den Kommissionsprotokollen niedergelegt ist, enthalten für die Zukunft hochwichtiges Material. Der von 15 Staaten
und von allen europäischen Großmächten beschickte Kongreß verfügte über ein reiches, bereits vielfach durchgearbeitetes
Material und konnte eingehende praktische Erfahrungen berücksichtigen. Namentlich trat den früher gemachten Erfahrungen gegenüber
die Auffassung der Vertreter Deutschlands
[* 38] maßgebend in den Vordergrund. In vielen schwierigen Punkten ist in der Kommission
eine Einigung erzielt worden; die Beschlüsse nehmen gebührend auf das kriegerische Interesse Rücksicht; sie zeigen große
Sachkenntnis, Schärfe, Gründlichkeit und praktischen Blick und erstreben nur das wirklich Erreichbare
und Ausführbare.
Leider haben diese Kommissionsbeschlüsse praktische Geltung nicht erlangt; thatsächlich steht die Konvention von 1864 allein
noch in Kraft.
[* 39] Dieselbe bedarf aber ganz entschieden einer Revision, denn sie enthält unausführbare und übertriebene Bestimmungen,
welche auf das oberste Gesetz des Kriegs, die unbedingte
militärische Aktionsfreiheit, nicht genügende
Rücksicht nehmen und daher notwendigerweise durch die allmächtige Gewalt derThatsachen durchbrochen werden müssen.
Hieraus erklärt sich ein großer Teil der in den letzten Kriegen beklagten sogen. Konventionsverletzungen, wenn auch nicht
geleugnet werden soll, daß in vielen Fällen Unkenntnis der betreffenden Konventionsbestimmungen und böser Wille
zu wirklichen Verletzungen geführt haben. Bei einer Revision wird, abgesehen von den bereits oben dargelegten Gesichtspunkten,
vor allem darauf Rücksicht zu nehmen sein, den vagen und unrichtigen AusdruckNeutralität durch den Begriff Unverletzlichkeit
zu ersetzen und die Hauptbestimmungen des Vertrags in die militärischen Reglements und Sanitätsinstruktionen der kontrahierenden
Staaten aufzunehmen. In Deutschland
[* 40] ist dieses Ziel bereits teilweise erreicht, indem, ohne Bezugnahme auf
Gegenseitigkeit und internationale Verträge, in § 5 der Kriegssanitätsordnung vom bestimmt ist: »Kranke und verwundete
Kriegsgefangene nehmen gleich den Soldaten des deutschen Heers und den Angehörigen verbündeter Heere an der Krankenpflege teil«.
Auch die genfer Konvention nebst den Zusatzartikeln vom ist der Sanitätsinstruktion
als Beilage D beigefügt.
Vgl. Gurlt, Der internationale Schutz der im Felde verwundeten und erkrankten Krieger (Berl. 1869);
Palasiano ^[richtig: Palasciano = Ferdinando Palasciano (1815-1891)], La neutralità dei feriti in tempo di guerra (Neap.
1861);
Moynier, Étude sur la convention de Genève (Par. 1870);
See (bei den RömernLacus Lemanus, franz. Lac deGenève, Lac Léman, im MittelalterLac Losannete
oder Mer du Rhône), der größte See der Schweiz, hat die Gestalt eines gegen S. gekrümmten Halbmondes, dessen östliche Spitze
jedoch im Lauf der Jahrtausende von dem hier mündenden Rhône durch Schuttablagerungen allmählich ausgefüllt wurde. Die
Länge beträgt 90 km, die größte Breite,
[* 41] zwischen Evian und St.-Sulpice, 15 km, der Flächeninhalt 573 qkm
(10,4 QM.). Er liegt 375 m ü. M.
Der Hauptteil hat (bei Vevey-Meillerie) bis 309 m Tiefe; der westliche, kleinere, stromähnliche Arm bis Genf
heißt der KleineSee
und ist höchstens 75 m tief.
Zwischen Versoix und Collonge streicht eine Sandbank von Ufer zu Ufer (banc de travers), welche bei niedrigem
Wasserstand den Dampfbooten hinderlich war und ausgebaggert werden mußte. Die Uferlandschaften sind wegen ihrer Schönheit
berühmt. Im westlichen Teil sieht man den Montblanc. Fast das ganze Nordufer hat nur Hügelform. Der Jorat, als höchster Punkt,
erhebt sich nur 553 m über den See. Der Jura hält sich in ziemlicher Ferne; selbst seine Vorstufen, die
Weinhalden von La Côte, senden höchstens einen Hügelvorsprung an den See heran.
Auch auf der Südseite sind die zwei westlichen Dritteile von Genf
bis Evian eben, und erst 7 km südlich von
Yvoire steigt waldbewachsen der HügelBoissy etwa 300 m über den See empor; dahinter, weit nach S., die Voirons (1456 m ü. M.),
das erste bedeutende Gebirgsglied. Weiterhin folgen großartige Gebirgsmassen, höher und höher bis zur majestätischen
Firnwelt. Während aber das schweizerische Ufer das Bild eines reichen, üppigen, dicht belebten Geländes darbietet,
geschmückt mit zahllosen saubern Häusern,
¶
mehr
Kastanienwäldchen, heitern Obst- und Weingärten, Hafen- und Stapelplätzen, ist das savoyische Südufer eine Landschaft von
mehr ernstem und einsamem Charakter, die eine spärlichere Kultur zeigt und nur einen einzigen Hafen besitzt. Unter den zahlreichen
kleinen Zuflüssen (außer dem Rhône) sind die bedeutendern die savoyische Dranse, auf der Nordseite die Veveyse,
Venoge und Aubonne; den Abfluß bildet der Rhône bei Genf.
Die Niveaudifferenzen sind ziemlich bedeutend, durchschnittlich 1 ⅔
m, in einzelnen Jahrgängen weit mehr; der tiefste Stand fällt zumeist in den März, der höchste in den August.
Das Seewasser ist außerordentlich rein und von prächtiger bläulicher Farbe, dessen Transparentwirkung man
am besten beim Ausfluß
[* 43] in den dahinstürzenden Rhônewellen erkennen kann. Eine gewisse Strömung, von den Anwohnern Lardeyre
oder La Dière genannt, geht im Frühjahr und Herbst im östlichen See, nach verschiedenen Richtungen hin, oft so stark, daß
kein Ruder sie zu bewältigen vermag. Man glaubt, daß sie von unterirdischen Zuflüssen herrühre, die
dem See einen großen Teil (im Sommer ein Drittel, im Winter die Hälfte) seiner Wassermenge zuführen.
Ein andres eigentümliches Phänomen ist die mit einiger Regelmäßigkeit wiederkehrende Bewegung und Veränderung im Wasserstand
des Seespiegels, die Seiches, der »Ruhs« des Bodensees analog, an Ebbe und Flut erinnernd. Diese Erscheinung tritt
bei völlig windstiller Luft, ohne Wellenschlag und äußerlich sichtbare Strömung, ein; der See steigt 4-5 Minuten lang und
sinkt dann wieder in ebensoviel Zeit. Zu Genf
ist die Bewegung am stärksten; bisweilen erreicht sie 1½ m. Zu Morges, wo sie von
ProfessorDufour sorgfältig beobachtet ward, übersteigt sie kaum 12-15 cm. Die Ursache schreibt man dem
ungleichen Druck der Luftsäulen zu, welche gleichzeitig auf verschiedene Stellen der Wasserfläche einwirken.
Auch Wasserhosen treten periodisch auf. Ferner beobachtet man daselbst die Luftspiegelungen der Wüste (mirages) und die Fata Morgana
Unteritaliens. Erstere finden statt, wenn die Wasseroberfläche wärmer ist als die Luft; am prächtigsten
in den Morgenstunden des Septembers und Oktobers. Die andre Erscheinung tritt ein, wenn umgekehrt die Luft wärmer ist als das
Wasser (an heißen Nachmittagen im März bis Juni); dann sieht man Gegenstände, die sonst wegen der Wölbung der Erdoberfläche
nicht sichtbar sind, auftauchen, manche in entstellter Form oder beträchtlich vergrößert.
Die Temperatur des Wassers bei einem Wärmestand der Oberfläche von 24,4° C. betrug in einer Tiefe von 300 m
nur 8,2° C. Ein völliges Zufrieren wurde noch nie beobachtet; nur der westliche Teil überfriert
in kalten Wintern. Unter den Winden,
[* 44] die auf dem See herrschen, ist der kälteste die Bise, ein Nordostwind.
Der Vaudaire kommt aus dem Wallis
und treibt die Wellen
[* 45] zu bedeutender Höhe; der furchtbarste aber ist der aus den Schluchten Savoyens
unerwartet und heftig hervorbrechende Bornand.
Der Regen bringende Südwestwind heißt vorzugsweise der »Genfer«; ein austrocknender Südwind wird bezeichnend Séchard genannt.
Der angenehme Rébat bewegt an Sommermittagen die Oberfläche leicht kräuselnd. An Fischen ist der genfer See nicht
so reich wie andre SchweizerSeen. Man zahlt 21 Arten, von denen der Weißfelchen (Salmo fera), die große Seeforelle (20-25 kg
schwer), die Ritterforelle und die Kaulquappe die beliebtesten sind. Der Fischfang ist an den beiden Enden am
ergiebigsten. In der Tiefe des Sees hat man 35-40 Tierarten entdeckt, die sämtlich den niedern Tieren
angehören. Pflanzen
finden sich daselbst nicht vor. - Der genfer See bildet die große Straße, welche für drei SchweizerKantone und Savoyen den Warentausch
vermittelt.
Größere Frachtschiffe hatten sich von jeher zu den Kähnen und Fischerbarken gesellt; später kamen noch
die Dampfer hinzu, hier zuerst von allen SchweizerSeen der GuillaumeTell 1823. Doch steht hinsichtlich der Zahl der Dampfschiffe,
wie überhaupt als internationale Handelsstraße, der Léman weit hinter dem Bodensee zurück. Diese Bedeutung mußte sich noch
verringern, seit die ganze Schweizerseite entlang eine Uferbahn raschern Verkehr ermöglicht. Die verschiedenen
Dampfschiffahrtsgesellschaften haben sich im Januar 1873 vereinigt zur »Compagnie générale de navigation sur le lacLéman«,
die, ungerechnet die zwei der Ligne d'Italie gehörigen und außer Dienst befindlichen, zwölf Boote besitzt, darunter den schönen
Salondampfer Montblanc (1875 gebaut).
Vgl. Rey, Genève et les rives du Léman (3. Aufl., Par. 1875);
Die Stadt, als Sommerfrische beliebt, ist entstanden aus der ehemals reichsunmittelbaren Benediktinerabtei Gengenbach, die, zwischen 724 und 746 gegründet, 1643 dreimal
von den Schweden geplündert und 1689 von den Franzosen zerstört wurde, und war bis 1802 freie Reichsstadt.
¶
Pamphilus, Dichter, in der zweiten Hälfte des 15. Jahrh. zu Basel
oder zu Gengenbach
in Baden geboren, war von 1517 bis 1522 als Buchdrucker zu Basel
thätig und starb um 1523. Gengenbach war kurze Zeit Gegner, dann aber entschiedener
Anhänger Luthers. Er beschrieb poetisch die damaligen Kriege in Oberitalien
[* 53] (an denen er vielleicht Anteil
nahm), den Bauernaufstand (»Bundschu«) etc.,
verfaßte auch mehrere Schauspiele: »Die zehn Alter der Welt« (1515),
»Die Gauchmatt« (1516) und »Der
Nollhart« (1517), alle drei von einfachster Anlage und trotz ihrer Bestimmung, in der ausgelassenen Fastenzeit gespielt zu
werden, durchaus ernst gehalten. Seine Werke wurden von Gödeke (Hannov. 1856) herausgegeben.
Für den Eintritt in den Senat schrieb er: »De codice saeculi XV. Erlangensi inedito, cui promtuarium juris inest« (Erlang. 1854).
Seine übrigen, für die germanistische Rechtswissenschaft vorzüglich wertvollen Schriften sind: »Quellengeschichte
und System des bayrischen Privatrechts« (Erlang. 1846, Heft 1);
eine zwischen Hals und Kopf, über dem ersten Halswirbel, bei Pferden sich zuweilen bildende Entzündungsgeschwulst,
welche sehr schmerzhaft ist und gewöhnlich zu Fistelgeschwüren führt. Das Übel entsteht meist durch
Druck beim Scheuern der Mähne unter der Krippe oder unter dem Latierbaum oder auch durch die üble Gewohnheit mancher Pferde,
[* 60] nach rückwärts in die Halfter zu drängen und hierbei das Genickstück der letztern straff anzuziehen. Die Behandlung wird
anfangs am besten durch Vermeidung der bezeichneten Ursachen und scharfe Einreibungen bewirkt. Sobald Fistelgeschwüre
zu konstatieren sind, kann nur eine operative Kur von Nutzen sein. Tief gehende Eiterungen, die sich bei Vernachlässigung
des Krankheitsfalles ausbilden, sind gewöhnlich tödlich.
bedeutet einen Bruch des Zahnfortsatzes des zweiten Halswirbels, wobei sehr gewöhnlich eine so heftige
Quetschung im obersten Teil des Rückenmarks erfolgt, daß sofort Atmung und alle Bewegungen gelähmt werden
und augenblicklicher Tod eintritt. Die Tafel »Skelett
[* 61]
des Menschen II« veranschaulicht in
[* 52]
Fig. 7, 8 und 9 den anatomischen Bau
des eigenartigen Gelenks zwischen Kopf und Wirbelsäule und zeigt, wie stark der verhältnismäßig dünne und lange Zahnfortsatz
bei heftigem Ruck des Kopfes nach vorn oder gewaltsamer Beugung
[* 62] gefährdet ist.
Verursacht wird das Genickbrechen meist durch Sturz auf den Kopf oder Fallen
[* 63] mit schwerer Last auf dem Nacken, kurz durch grobe Gewaltwirkung;
doch sind Fälle vorgekommen, daß bei übertriebenem Kneten (Massage), ja bei bloßem heftigen Beugen des Kopfes beim Abtrocknen
der Zahnfortsatz gebrochen ist. Die Wirkung äußert sich sofort in Lähmung oder plötzlichem Tod, jedoch
ist es ausnahmsweise gelungen, wenn die Quetschung des Rückenmarks sehr geringfügig war, durch wochenlanges vorsichtiges
Lagern des Kranken Heilung des gebrochenen Zahnfortsatzes zu erzielen.
(franz., spr. schenih, v.
lat. genius), höchster Grad allgemeiner oder spezieller Anlage, der sich vom Talent (s. d.) dadurch unterscheidet,
daß dieses mäßiger, das Genie aber (scheinbar wenigstens) gar keiner Übung bedarf, um zur Fertigkeit zu werden
(vgl. Anlage). Da nun bei jeder Anlage derjenige Grad der höchste ist, durch welchen dieselbe zur Hervorbringung eines völlig
Neuen, Niedagewesenen auf ihrem Gebiet befähigt erscheint, so ist mit dem Begriff des Genies jener der
Originalität verknüpft, die Bezeichnung Originalgenie daher ein Pleonasmus.
Dessenungeachtet ist das Genie wie jede Anlage an die allgemeinen Gesetze des psychischen Lebens gebunden, und dessen Eigentümlichkeit
besteht nicht negativ in einer ungebundenen Freiheit, sondern positiv in einer gesteigerten Entwickelungsfähigkeit.
Das Genie ist entweder ein universelles, d. h. es sind bei einem Menschen mehrere Geisteskräfte in ungewöhnlichem Maß vorhanden,
welche alle, sich gegenseitig unterstützend, zur Entwickelung gekommen sind und nur in verschiedenen Sphären sich thätig
äußern, oder es zeigt sich eine besondere Fähigkeit und schöpferische Kraft für ein bestimmtes Fach
wissenschaftlicher oder praktischer Thätigkeit (philosophisches, mathematisches, poetisches, mechanisches Genie). Der
erste Fall ist selten; die Originalität des Genies ist ohne eine entsprechende Einseitigkeit, die in Bezug auf andre Gebiete
nicht selten bis zur Borniertheit (Molières »petit grain de folie«) ausarten kann, kaum denkbar.
Wenigen ist es gegeben, auch nur, wie z. B. Leonardo da Vinci, Michelangelo, auf den Gebieten aller Zweige
der bildenden Kunst zugleich als Genie sich zu offenbaren. Noch seltener ist diese Erscheinung in der Wissenschaft oder im Leben.
Solche Genies haben zugleich auf mehreren Gebieten umgestaltend gewirkt, wie jedes echte Genie auf dem seinigen. Je nach
der Sphäre, welcher die Anlage zugehört, läßt sich von einem Genie im Denken (theoretisches Genie),. Fühlen (ästhetisches Genie) und
Wollen (praktisches Genie) sprechen, deren erstes neue Gedanken erzeugt, zweites neue Gefühlsausdrücke hervorruft, drittes neue
Thaten vollbringt. Je nachdem die erstern Aufstellung von Begriffen oder Feststellung von (historischen, naturwissenschaftlichen
etc.) Thatsachen sind, läßt sich rationales und positives Genie unterscheiden. Das ästhetische Genie äußert
sich je nach der Qualität der von ihm neugeschaffenen Gefühlseindrücke als tragisches, komisches, humoristisches etc.
Genie; das praktische Genie je nach dem Eingreifen seiner That in das Natur- oder Geistesleben als Herr über
¶
mehr
die Körper- oder Geisteswelt, in ersterer Hinsicht als technisches in dieser als reformatorisches (Denken, Fühlen oder Wollen
andrer nach dem eignen umgestaltendes) Genie, wie es die großen Erfinder in der industriellen, die großen Denker, Dichter,
Religionsstifter und Staatengründer in der wissenschaftlichen, künstlerischen, kirchlichen und politischen Welt gewesen
sind.
Vgl. Gerard, Essay on genius (Lond. 1774; deutsch von Garve, Leipz. 1782);
J. A. ^[JohannAdolf] Schlegel,
Abhandlung vom in den schönen Künsten, im 2. Band
[* 65] seiner Übersetzung von Batteux' »Les beaux-arts reduìts à un même principe«
(3. Aufl., das. 1770);
Sulzer, Untersuchung über das in dessen »Vermischten Schriften«, Bd. 1 (das.
1800);
Die Organisation derGenietruppen ist in den einzelnen Heeren recht verschieden. Deutschland s. Pioniere.
Österreich hat 2 Genieregimenter und 1 Pionierregiment, jedes zu 5 Feldbataillonen à 4 Kompanien, die in Bezug auf den allgemeinen
Pionierdienst (Wegebau und -Zerstörung, Feldbefestigung)
[* 67] gemeinsame Verwendung finden; speziell aber fällt den erstern die
Mitwirkung im Festungsdienst (Mineurdienst), dem letztern der Kriegsbrückenbau zu, zu welchem Zweck ihm 56 Kriegsbrückenequipagen
à 53 m Brückenlänge zugewiesen sind.
das 4. ist das Pontonierregiment, es besteht aus 8 Pontonier-, 2 Lagunen- (lagunari) und 4 Trainkompanien.
Großbritannien hat 34 aktive Ingenieurkompanien, davon sind 4 Topographen-, 2 Eisenbahn-, 7 Torpedo-, 5 Feld-
(jede mit einem leichten Ingenieurpark), 16 Garnison- (Festungs-) Kompanien; außerdem 9 Ersatz-, 3 Kadrekompanien, 1 Telegraphenbataillon
zu 2 Divisionen, von denen eine stets kriegsbereit, 1 fahrende Pontonierkompanie, 1 Ersatz-Sappeurabteilung, 1 Ingenieurfeldpark
und 2 Luftschiffahrtskompanien, von denen eine in Südafrika.
[* 68] Rußlands Ingenieurtruppen bestehen aus 17 Sappeurbataillonen, 4 Sappeurkompanien, 8 Pontonier-, 4 Eisenbahnbataillonen, 6 Feld-, 2 Belagerungsingenieur-, 16 Telegraphenparken.
Ihr Oberbefehlshaber (Generalinspektor), der Praefectus fabrorum, war nur dem Feldherrn unterstellt. Im
Mittelalter bis in das 16. Jahrh. war der Ingenieurdienst von dem der Artillerie nicht getrennt. Bei den Spaniern und Italienern
taucht schon um die Mitte des 14. Jahrh. der Name Ingenieros (span. engeños, ital. ingegni, Kriegsmaschinen) für die Kriegsleute
auf, welche die Kriegsmaschinen anzufertigen und zu gebrauchen verstanden. In den Landsknechtheeren Anfang
des 16. Jahrh. hatte der Artillerieoberst eine gewisse Anzahl Schanzbauern für den Schanzen-, Wege- und Brückenbau zu stellen,
die unter einem Schanzbauernhauptmann, Schanz- und Brückenmeistern standen; sie sind als die Anfänge der Genietruppe anzusehen.