Nachdem Ende Juli 1849 die »provisorische
Regentschaft« vor dem Anzug der
Preußen
[* 7]
Karlsruhe
[* 8] verlassen hatte,
nahm dieselbe in Freiburg ihren Sitz, sowie sich auch hier die Reste der Insurgenten unter
Sigel sammelten, aber beim Herannahen
der
Preußen die Stadt räumten, welche von diesen 7. Juli besetzt und erst 1851 wieder geräumt wurde. Seit Anfang der 60er
Jahre hat Freiburg einen erheblichen Aufschwung genommen.
Vgl.
Schreiber, Urkundenbuch der Stadt Freiburg (Freib.
1828-29, 2 Bde.);
Derselbe, Geschichte der Stadt und
Universität Freiburg (das. 1857-60, 7
Tle.);
Bader, Geschichte der Stadt Freiburg (das.
1882-83, 2 Bde.);
In der
Nähe von Freiburg ist der »Edelacker«, welchen der
Sage nach unter
Ludwig dem
Eisernen der die
Bauern arg bedrückende
Adel,
zur
Strafe vor den
Pflug
[* 14] gespannt, umackern mußte. Die Stadt ist so alt wie die
Burg; 1293 wurde sie vom
König
Adolf von
Nassau erobert und verwüstet, von
Friedrich dem Freidigen wieder aufgebaut. Am kam es hier zu einem
Gefecht zwischen den
Preußen unter
Henckel v.
Donnersmark und einigen polnischen
Bataillonen, denen ein großer
Trupp österreichischer Gefangener abgenommen wurde.
In F. starb der Turnvater
Jahn.
Der waadtländische
Flügel faßt die südlichen Seitenthäler des
Pays d'en
Haut
[* 28] ein, z. B. Rüblihorn,
Gummifluh und (unmittelbar in das Rhônethal vortretend) die
Tour d'Aï (2383
m) und die
TourdeMeyen. Während der
Col deJaman
(1516 m) noch immer bloßer Bergpfad ist, hat die von
Bulle-Gruyères abzweigende, das
Jaunthal passierende
Route nach dem Niedersimmenthal
eine Fahrstraße erhalten, die von der
Eidgenossenschaft subventionierte Paßroute
Bulle-Boltigen.
(Vrîdank), Verfasser eines mittelhochdeutschen
Lehrgedichts, das den
Titel
»Bescheidenheit« (d. h. Einsicht,
Lebensweisheit) führt, aus dem ersten Drittel des 13. Jahrh. Man hat den
Namen für einen allegorischen genommen, hinter
dem der Dichter seinen wahren
Namen versteckt. Doch ist diese
Ansicht ebenso unbegründet wie die von W.
Grimm aufgestellte, von
FranzPfeiffer (»Zur deutschen Litteraturgeschichte«, Stuttg.
1855) widerlegte
Hypothese, daß
Walther von der Vogelweide der Verfasser sei.
Freidank, wahrscheinlich ein Fahrender aus
Schwaben, kam mit dem Kreuzheer
Friedrichs II., dessen begeisterter Anhänger er war,
nach dem
Heiligen Land, wo er 1229 einen Teil seines Gedichts verfaßte. Es handelt in 53
Abschnitten und
über 4000
Versen von Gott,
Seele, Ketzerei,
Arm und
Reich,
Sünde,
Pfaffen,
Königen und
Fürsten,
Weisen und
Thoren,
Weib und
Liebe,
Erkenntnis,
Gut und Übel,
Rom
[* 29] etc. und schließt mit einem
Gebet. Es stand im ganzen
Mittelalter und bis ins 16. Jahrh.
hinein in hohem Ansehen und verdiente diese Auszeichnung, indem es wenn auch ohne festen
Plan und daher als dichterische
Komposition
mangelhaft, doch einen reichen
Schatz von Lebensweisheit und
Erfahrung, zum Teil in Anlehnung an die
Sprichwörter des
Volkes,
in sich schließt. In zahlreichen
Handschriften erhalten, wurde es zuerst in der Sammlung von
Müller (Bd.
2) veröffentlicht, kritisch behandelt in den
Ausgaben von W.
Grimm (Gött. 1834, 2. Aufl. 1860), von
Bezzenberger
(Halle
[* 30] 1872),
von Sandvoß (wenig genügend, Berl. 1877). Eine erweiternde Umarbeitung gab
SebastianBrant (1508 u. öfter); neudeutsche
Bearbeitungen liegen vor
¶
mehr
von Simrock (Stuttg. 1867), Bacmeister (das. 1875) und Pannier (Leipz. 1878).
(Freigeist), besonders auf religiösem Gebiet ein Mensch, der sich in Beurteilung der höchsten Lebensfragen,
namentlich auf religiösem Gebiet, an keine Autorität und kein Herkommen bindet. Als Freidenker bezeichnete man
zuerst in England nach dem Vorgang vonAnt. Collins (»Discourse of freethinking«, Lond. 1713) sowie von Hume, Blunt, Toland u. a.
diejenigen, welche zwar die kirchlichen Zustände Englands scharf und oft spöttisch angriffen, aber an dem Glauben an einen
Gott festhielten (s. Deismus), während die französischen Freidenker, wie Voltaire und Rousseau, dann die Encyklopädisten,
mit der Zeit zu einem völligen Atheismus gelangten. In Deutschland,
[* 32] wo unter französischem Einfluß das Freidenkertum bald
Boden gewann (Strauß,
[* 33] Feuerbach), nahm die Zahl seiner Anhänger seit Wiederherstellung des orthodoxen Kirchentums bedeutend
zu; in Preußen entstanden aus dieser Richtung unter der RegierungFriedrichWilhelms IV. die Freien Gemeinden
(s. d.). Der innerhalb der letztern gebildete Deutsche
[* 34] Freidenkerbund ist jetzt
ein Zweig des am in Brüssel
[* 35] gegründeten Internationalen Freidenkerbundes.
(Frilinge), bei den alten Germanen die Hauptmasse oder der Kern der Nation. Aus ihm hob sich
auf der einen Seite, gleichsam als seine Blüte,
[* 36] der Stand der Edelinge hervor als Nachkommenschaft durch Thaten ausgezeichneter
Geschlechter; auf der andern Seite aber war jenem Kern des Volkes untergeordnet der zum Teil auch aus germanischem Blut
entsprossene, zumeist aber aus Kriegsgefangenen erwachsene Stand der Unfreien (Knechte). Daneben bildete sich der Stand der Liten
(Hörigen, Halbfreien) aus, welche der Schutzgewalt eines Freien unterworfen waren.
Nur der Freie besaß Grundbesitz als freies Eigentum, nur er nahm an dem mehr als Ehre denn als Last geltenden Kriegsdienst teil,
und nur er hatte Anspruch auf das volle Wergeld (s. d.). Durch das Wiedererstehen der Stammesherzöge
unter den letzten Karolingern, durch die Verleihung der Gerichtsbarkeit über an die Kirche, insbesondere aber durch das immer
weitere Kreise
[* 37] ergreifende Lehnswesen wurde die gemeine Freiheit auf dem platten Land immer mehr beeinträchtigt.
Wenn auf der einen Seite die fortwährenden Bedrückungen von seiten der Großen und der Heerdienst die
Freien gewissermaßen nötigten, sich in ein Schutzverhältnis zu begeben und damit auf ihre unumschränkte Freiheit zu verzichten,
so trug auf der andern Seite doch auch oft Eitelkeit, welche sich durch den Glanz an Höfen und auf Burgen
[* 38] blenden ließ, oder Habsucht, welche das freie Allod einem Herrn übertrug, um es vermehrt in der Gestalt eines Lehens zurückzunehmen,
oder fromme Einfalt dazu bei, den Wert altgermanischer Freiheit in Vergessenheit zu bringen.
Nur in Gegenden, wo besondere geographische Verhältnisse die Bewahrung altererbter Freiheit erleichterten, wie in den Bergen
[* 39] der Schweiz und in den SeelandenFrieslands, erhielten sich in größerer Anzahl auf dem Land; im übrigen Deutschland blieben
nur wenige kleine Landwirte übrig, welche sich in der von den Vätern überkommenen Stellung zu erhalten wußten (s. Bauer).
Außerdem aber erhielten sich in den Städtenfreie Gemeinden, die
sich auch wohl noch durch Zuzug vom
platten Land vergrößerten. Im übrigen gelang es nur einer Minderzahl der alten Freien, in den Adel, teils in den niedern,
teils sogar in den höhern, emporzusteigen; die Hauptmasse derselben ging in dem zahllosen Haufen der unfreien Bauern auf und
hat ihre Freiheit erst in neuerer Zeit zurückerlangt (s. Bürger).
Vgl. Montag, Geschichte der deutschen
staatsbürgerlichen Freiheit (Bamb. 1812 bis 1814, 2 Bde.);
Nachdem 1849 auf einer Konferenz zu Halberstadt eine Vereinigung mit den Deutschkatholiken (s. d.) angebahnt worden war, kam
dieselbe auf einer 1850 in Leipzig
[* 48] begonnenen und wegen einzelner Ausweisungen in Köthen fortgesetzten
Versammlung wirklich zu stande. Als Grundbekenntnis wurde aufgestellt: »Ich glaube an Gott und sein ewiges Reich, wie es von
Jesus Christus in die Welt eingeführt wurde«. Aber die aus dieser Vereinigung hervorgegangene »Religionsgesellschaft
freier Gemeinden« fand in Deutschland wenig Anklang, weil man glaubte, daß sie weniger religiöse als
politische Zwecke verfolge.
Daher schritten seit 1850 die Regierungen der meisten deutschen Staaten gegen die Freien Gemeinden ein; in Bayern
[* 49] wurde die Gültigkeit
ihrer Taufe nicht anerkannt, in Hessen
[* 50] untersagte man das Auftreten der Reiseprediger, in Sachsen wurden die Freien Gemeinden
aufgelöst und verboten, in Preußen bekämpfte man sie mit allen gesetzlichen Mitteln. So wurden dieselben,
auch infolge innerer Streitigkeiten, immer schwächer; 1859 schlossen sich 54 Gemeinden zu Gotha
[* 51] zu einem Bund freireligiöser
Gemeinden zusammen, welche als ihren ersten Grundsatz die freie Selbstbestimmung in allen religiösen Angelegenheiten anerkannten.
Mehr an die Freien Gemeinden in Deutschland erinnert die 1867 durch Anregung von M. Freie Gemeinden E. Abbot aus dem amerikanischen Unitarismus
hervorgegangene Free religious Association.
1) Stadt und Badeort im preuß. Regierungsbezirk Potsdam,
[* 61] Hauptstadt des KreisesOberbarnim, in schöner
Lage unweit der Alten Oder, Knotenpunkt der LinienEberswalde-Wriezen a. O.-Frankfurt a. O. und Angermünde-Freienwalde
der Preußischen Staatsbahn, hat ein Amtsgericht, 2 Kirchen, ein vom GroßenKurfürsten erbautes Schloß, ein Gymnasium und (1885) 6819 Einw.,
die Ziegelstein-, Thon- und Schamottewaren-, Stärke- und Sirupfabrikation betreiben. Südlich von der Stadt liegt in einem
von bewaldeten Anhöhen umschlossenen Thal
[* 62] der Gesundbrunnen von Freienwalde, mit neuem Badehaus und zehn Quellen,
unter denen der Königsbrunnen und die Küchenquelle die wichtigern sind. Er ist ein Eisenwasser, das, schon seit 1365 bekannt,
noch heute zum Trinken wie zum Baden benutzt wird. Daneben ist Freienwalde durch seine außerordentlich liebliche, bewaldete Umgegend
ein beliebter Sommeraufenthalt der Großstädter.
(Liberalitas), d. h. die Bereitwilligkeit, zu geben, ohne dazu verpflichtet zu sein, setzt,
um für Tugend gelten zu dürfen, einerseits voraus, daß man zu geben habe (d. h. nicht, wie der
heil. Crispinus, das Leder stehle, um andern Schuhe daraus zu schneiden), anderseits, daß es aus reinem Wohlwollen, d. h. weder
um mit Reichtum zu prahlen, noch um durch Verachtung desselben zu glänzen, geschehe.
ein von Lehnspflichten und Abgaben freies Landgut, namentlich ein Bauerngut, welches von Frondiensten und ähnlichen
Lasten frei ist, und dessen Besitzer Freibauer, Freisasse genannt wird.
ein Hafen, zu welchem als Handelsplatz allen Flaggen
[* 80] der Zutritt offen steht, und welcher im Gegensatz zum
Hinterland von Zollabgaben und ähnlichen Handelsbelästigungen, höchstens vorbehaltlich der allgemein üblichen Hafenabgaben,
frei ist. Er bildet eine besondere Art von offenem Hafen im Gegensatz zu dem geschlossenen, welcher den
Schiffen fremder Nationen nicht zugänglich ist (s. Schiffahrtsgesetze und Schiffahrtsverträge). Das Freihafengebiet erscheint
daher in handelspolitischer Beziehung neutral, gilt dem Inland gegenüber als Ausland und wird deshalb durch die Zollgrenze
von dem übrigen Territorium des betreffenden Staats geschieden.
Das Entstehen von Freihäfen ist auf die Zeiten der prohibitiven und protektionistischen Handelspolitik zurückzuführen, und
es steht die steigende und abnehmende Bedeutung der Freihäfen in engstem Zusammenhang mit der Handelsgeschichte der letzten
Jahrhunderte. Im Mittelalter dienten sie vornehmlich dazu, um den internationalen Handel auf gewisse bevorzugte Punkte am Ausfluß
[* 81] großer Strömeoder an geeigneten Küsten zu lenken und diese rasch zu natürlichen Handelszentren zu machen.
Die Freihäfen durchbrachen in jenen Zeiten die hemmenden Verkehrsfesseln und erwiesen sich im Austausch der durch sie vermittelten
Produkte als dem wirtschaftlichen Gedeihen förderlich. Das Gedeihen handelsfreier Hafenplätze veranlaßte bald zur
Nachahmung des zuerst in Italien
[* 82] gegebenen Beispiels in Frankreich, Österreich, Spanien und Portugal, wo es
sich insbesondere um die Durchbrechung des Kolonialsystems durch diese Einrichtungen handelte. Dagegen war inEngland und ebenso
in den nordamerikanischen Unionsstaaten von eigentlichen Freihäfen niemals die Rede, sondern dort bildete sich das Entrepotsystem
schon früh als Ersatz der Freihafenprivilegien. In neuerer Zeit sind die Freihäfen als Depots von Warenbezügen
und, wenn sie günstig gelegen sind, als Träger
[* 83] eines umfassenden Zwischenhandels wichtig geworden. Sie waren die Märkte,
aus denen der Konsument oder der Händler aus zweiter oder dritter Hand seine Waren¶
mehr
auswählen und verhältnismäßig leichter mit dem AuslandVerbindungen anknüpfen konnte. Aber auch in dieser Beziehung haben
die wesentlich veränderten technischen und wirtschaftlichen Bedingungen, unter welchen der Welthandel heute betrieben werden
muß, zur Beseitigung der Freihäfen und zum Ersatz der vorteilhaften Seiten derselben durch ein großartig eingerichtetes
Entrepotsystem geführt. Statt das ganze Hafengebiet als Zollausschluß zu erklären, was den Industriellen
und dem Kaufmannsstand des Hinterlandes vielerlei Schwierigkeiten für den Export bringt und den Bewohnern des Freihafens selbst
den Verkehr mit dem übrigen Staatsgebiet unterbindet, erreicht man den ganzen Nutzen, ohne die Nachteile zu tragen, durch
die Errichtung großer Niederlagen, Lagerhäuser, Docks, welche entweder als Entrepôts réels von seiten
des Staats selbst als Zolllagerstätten verwaltet oder als Entrepôts fictifs von Privaten unter Kontrolle der Zollverwaltung
gehalten werden, und in welchen die zollfreie Ein- und Ausfuhr, die verschiedenen mit dem Zwischenhandel verbundenen Manipulationen
des Verpackens, Sortierens, Raffinierens, Veredelns etc. bequem und rasch vollzogen werden und überdies
für den heute so wichtigen Warenlombard mit den Warrants, Pfand- und Lagerscheinen alle Erleichterungen geboten werden. So ist
man fast allgemein zu dem in England schon im J. 1733 durchgebildeten Entrepot- (Warehousing-) System, welches nachher seine
eigentümlichen Formen in Holland und Frankreich erhielt, übergegangen. In Frankreich beginnt die Errichtung
der Freihäfen schon im 16. Jahrh.; die großen Privilegien der Freihäfen Marseille,
[* 85] Dünkirchen
[* 86] und Bayonne, welche als Ȏtranger
effectif« erklärt wurden, stammen aus der Colbertschen Zeit (1669). Nach mannigfachen Wandlungen erfolgte die endgültige
Beseitigung im J. 1817, indem das in ganz Frankreich herrschende Zoll- und Entrepotsystem mit einigen zu
gunsten Marseilles stimulierten Ausnahmen eingeführt wurde.
Von den Engländern ist Aden
[* 98] in Arabien im J. 1850 zum Freihafen erklärt worden, aber auch zahlreiche andre britische
Häfen in Asien
[* 99] sind thatsächlich Freihäfen, so: Singapur,
[* 100] Georgetown auf Pinang, Malakka und besonders das wichtige Hongkong.
Im dänischen Westindien
[* 101] ist St. Thomas völliger Freihafen. Dazu wurden 1848 seitens der niederländischen Regierung ferner Manado
und Kema an der Nordspitze von Celebes erhoben; im wesentlichen können ebenso seit 1854 die molukkischen
Häfen Amboina, Banda, Ternate und Kajelie als solche gelten. In Honduras
[* 102] wurde im J. 1877 Omoa zum Freihafen erklärt. In gewissem Sinn
endlich sind durch die Generalakte der Congokonferenz in Berlin
[* 103] 1885 die Häfen der westafrikanischen Küste in dem Seegebiet,
welches sich am Atlantischen Ozean von dem unter 2° 30' südl. Br. belegenen Breitengrad bis zur Mündung
des Loge erstreckt, als Freihäfen der Zukunft anzusehen.
(Handelsfreiheit, engl. Free trade), im engern Sinn und im Gegensatz zum Zollschutz der durch Schutzzölle nicht
beengte internationale Handel. Das Schutzzollsystem will die heimische Gewerbthätigkeit gegen fremde Konkurrenz dadurch stützen,
daß es Abgaben von die Landesgrenze passierenden Waren erhebt. Das Freihandelssystem dagegen setzt sich
eine rein negative Aufgabe, welche mit der endgültigen Beseitigung vorhandener Schutzzölle gelöst ist.
Einfuhrbeschränkungen und Einfuhrverbote, welche rein polizeilicher Natur sind, insbesondere die Einschleppung von Krankheiten
verhüten sollen, militärischen Zwecken dienen etc., stehen mit demselben nicht gerade im Widerspruch.
In diesem Sinn wandte sich England dem Freihandel zu, als es 1860 die wenigen Schutzzölle, welche damals noch bestanden, aufhob und
nur Finanzzölle nebst einigen rein polizeilichen Einfuhrbeschränkungen beibehielt. Aber auch die Vereinfachung seines
Finanzzollsystems entsprach freihändlerischen, auf ungehinderte Bewegung des Verkehrs gerichteten Anforderungen.
Die Anhänger dieser Freihandelstheorie (Freihändler, engl. Free-traders) erblicken in dem Schutzzoll
eine nur unwirtschaftliche Aufwendungen veranlassende, den Zwang zu billiger und guter Produktion beseitigende einseitige Begünstigung
eines Teils der Bevölkerung
[* 104] auf Kosten eines andern, während der Freihandel die Konkurrenz verallgemeinere, die vorteilhafteste Arbeitsteilung
ermögliche und damit nicht allein zur vollständigsten Auswertung und zur Mehrung der vorhandenen Kräfte,
sondern auch zur sichern und regelmäßigen Versorgung des Marktes führe. Alle Beschränkungen des Handels, auch solche, welche
zur Vergeltung gegen eine uns nachteilige Handelspolitik fremder Länder, insbesondere in der Form der Retorsionszölle (Vergeltungszölle),
verhängt werden, werden als nachteilig bezeichnet. Sperrt der Fremde seine Thür, so schädigen wir uns selbst,
wenn wir das Gleiche thun und den Landesbewohnern verwehren, ihren Bedarf so billig wie seither zu decken (vgl. Zölle).
Der Freihandel im weitern Sinn des Wortes ist gleichbedeutend mit der Freiheit des Erwerbs wie überhaupt des wirtschaftlichen Lebens,
allerdings unter der Voraussetzung, daß die zum Schutz wohlerworbener Rechte gebotenen Schranken nicht
überschritten werden; der Freihändler in diesem Sinn verwirft alle durch Gesetz und Verwaltung geschaffenen künstlichen Beschränkungen
von Erwerb und Verkehr, wie Erschwerung der Niederlassung,
¶
mehr
Beschränkungen in der freien Wahl des Berufs und der beliebigen Verwertung von Arbeits- und Kapitalkräften durch Zunftverfassung,
Privilegien, Monopole, Konzessionswesen, Auflegung von Maximalsätzen (Taxen) für Warenpreise und Arbeitslöhne, Wuchergesetze,
Luxusverbote u. dgl. In ihrer extremen, aber in der
Wirklichkeit in solchem Umfang noch nie und nirgends praktisch gewordenen Ausgestaltung beruht diese Freihandelslehre
auf einer rein individualistischen Auffassung aller volkswirtschaftlichen Verhältnisse.
Nach dieser am konsequentesten von JohnPrince-Smith vertretenen Auffassung soll alles wirtschaftliche Getriebe
[* 106] aus freier individueller
Thätigkeit und aus der von freien Vereinigungen entspringen. Organ der Volkswirtschaft ist der Markt, auf welchem sich die
Interessen berühren und die Kräfte messen. Bei freier Konkurrenz werden die Kapitalien und Kräfte richtig
verteilt und am vollständigsten ausgewertet, die Preise immer eine angemessene, den Verhältnissen entsprechende Höhe, die
Gewinne ein gleiches Maß behaupten.
Die heutigen Freihandelsideen führen ihren Ursprung zurück auf das physiokratische System, dessen Forderungen als eine Reaktion
gegen die damaligen feudalistischen und polizeilichen Einschnürungen und Beschränkungen zu betrachten sind, und das im
Gegensatz zu den seitherigen künstlichen Gestaltungen der Volkswirtschaft die »natürliche Ordnung« von
Wirtschaft und Verkehr wiederhergestellt wissen wollte. Die Forderungen der Physiokraten wurden großenteils durch die französische Revolution
verwirklicht.
AndreStaaten folgten später unter dem Druck der Not, der sich mehr und mehr verbreitenden Idee des allgemein gleichen Staatsbürgertums
sowie der modernen Gestaltung von Verkehr und Technik wenigstens bis zu gewissen Grenzen
[* 108] auf der von Frankreich
vorgezeichneten Bahn. Die Freihandelsideen des physiokratischen Systems fanden einen hervorragenden Vertreter in AdamSmith (s. d.),
dessen Lehren
[* 109] in englischen, vorzüglich aber in deutschen Gelehrten- und Beamtenkreisen auf einen fruchtbaren Boden fielen.
An der KönigsbergerUniversität von Ch. J. ^[ChristianJakob] Kraus, dann von J. G. ^[JohannGottfried] Hoffmann
und K. H. Hagen
[* 110] vorgetragen, ferner von Rau, Roscher u. a. in ihren Hauptgrundzügen weiter verbreitet, schlugen diese Ideen im
deutschen Beamtentum kräftige Wurzeln. Dann fanden sie im Bürgertum, insbesondere in dem des deutschen Nordens, eine starke
Stütze.
In der Praxis machten sich die freihändlerischen Ideen immer dann geltend, wenn herrschende Gegenströmungen
zu bekämpfen, vorhandene Schranken zu beseitigen waren. Infolgedessen nahmen die freihändlerischen Bestrebungen, auch wo
sie nicht in extremer Ausbildung aufgetreten sind, einen vorzüglich negativen Charakter an. Die Notwendigkeit des Kampfes führte
naturgemäß zur Parteibildung mit Programmaufstellung. Eine solche Freihandelspartei bildete sich in
den 20er Jahren in England, nachdem
bereits 1820 Londoner Kaufleute eine entsprechende Petition bei dem Parlament eingereicht
hatten.
Das Programm dieser Partei wurde von Huskisson im Parlament verkündet. Eine echte Freihandelspartei, wenn auch anfangs
mit beschränktem Gebiet ihrer Wirksamkeit, war auch die Anti-cornlaw-league (s. d.), deren hervorragendere
Mitglieder, wie Cobden, Bright u. a., übrigens auch auf andern Gebieten und nach Auflösung jener Verbindung in freihändlerischem
Sinn wirkten. Nachdem unter dem Ansturm der Vertreter der hoch entwickelten Industrie und des Handels die Korngesetze gefallen
und 1849 der letzte Rest der Navigationsakte beseitigt worden war, führte 1860 der englisch-französische
Handelsvertrag zu einer vollständigen Aufhebung der noch bis dahin bestehen gebliebenen Schutzzölle. In Frankreich dagegen
haben sich von je nur vereinzelte Stimmen aus den Kreisen der Praktiker für Abschaffung aller Schutzzölle erhoben.
Der Übergang zu einer gemäßigtern Handelspolitik, welcher seit 1860 erfolgte, war das eigenste Werk von Napoleon III.,
dessen Maßregeln auf großen Widerstand stießen. Die von ihm abgeschlossenen Handelsverträge, zumal da die Klausel der Meistbegünstigung
in dieselben aufgenommen wurde, führten mehr und mehr zu Handelserleichterungen. Nach 1870 schlug die französische Handelspolitik
unter dem Druck der Finanzlage des Staats wieder eine von Thiers besonders begünstigte protektionistische Richtung ein, die
sich auch im Tarif vom sowie in den seither aufgestellten Konventionaltarifen behauptet hat.
Im NordenDeutschlands
[* 114] fand der Freihandel schon frühzeitig eine entschiedene Vertretung in den Hansestädten, dann in dem preußischen
Beamtentum. Eine weitere Stütze fanden die freihändlerischen Ideen in den Bestrebungen zur Bildung und Entwickelung des
Zollvereins, in welchem Preußen, das bereits einen liberalen Zolltarif aufgestellt hatte, an den Grundsätzen desselben
festzuhalten suchte. Als nun in den Jahren 1842-46 der Zolltarif mehr in protektionistischem Sinn umgebildet wurde, entstand
auch sofort auf Anregung von JohnPrince-Smith ein eigner Freihandelsverein, der eine lebhafte Thätigkeit entfaltete.