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von Rolands und seiner Gefährten Heldenkampf den Kern bildet. Statt der Assonanz tritt nun der Reim ein, und der Alexandriner (zuerst in »Voyage de Charlemagne« bei Koschwitz, s. oben) ersetzt häufig den zehnsilbigen Vers. Das letzte Stadium beginnt mit der Mitte des 13. Jahrh., wo die Begeisterung für Kreuzzüge und frommes Rittertum geschwunden war. Die schaffende Kraft [* 2] ist erloschen, die vorhandenen Stoffe werden ergänzt, kompiliert und klassifiziert; die Gedichte schwellen unnatürlich an, manche zählen über 20,000 Verse; es finden sich schon alternierende Reime.
Dem Stoff nach teilt man die Chansons de geste in drei Kreise [* 3] ein, welche ihren Mittelpunkt in dem König, Doo(li)n von Mainz [* 4] und Garin von Montglane haben; den beiden ersten Gruppen, in denen die großen Rebellen des Nordens besungen werden, stehen in der dritten die Königstreuen des Südens gegenüber. Einzelne kleinere Gruppen lassen sich hier nicht unterbringen, so der ganze »Roman des Loherains«, in welchem französische und deutsche Geschlechter sich in blutiger Fehde bekämpfen;
»Raoul de Cambrai« (hrsg. von Le [* 5] Glay, Par. 1840);
»Girartz de Rossilho«, die einzige Chanson de geste, welche dem Süden angehört (hrsg. von Michel, das. 1856);
»Amis et Amiles« (hrsg. von Hofmann, Erlang. 1852) u. a. Verfasser sind nur zu zwölf Gedichten bekannt, darunter Raimbert de Paris [* 6] (»Ogier le Danois«),
Jehan de Flagy (»Garin le Loherain«),
beide aus dem 12. Jahrh., Adenet le Roi (»Berte aus grans piés«, »Beuve de Comarchis«, »Enfances Ogier«, »Cléomadès«) aus dem 13. Jahrh. etc. Seit 1858 erscheint unter dem Titel: »Les anciens poètes de la France« eine vollständige Sammlung der altepischen Dichtungen Frankreichs von Guessard, welche allein für den fränkischen Sagenkreis auf 40 Bände berechnet ist.
Vgl. L. Gautier, Les épopées françaises (Par. 1865-68);
G. Paris, Histoire poétique de Charlemagne (das. 1866);
R. Foß, Zur Karlssage (Berl. 1869);
die Bibliographie bei Nyrop, »Den oldfranske Heldtedigtning« (Kopenh. 1883).
Der zweite große Sagenkreis ist der bretonische und umschließt die Sagen von König Artus und seiner Tafelrunde und vom Gral. Dieser wird fast nur von Normannen und Anglonormannen kultiviert und ist hervorgegangen aus den Lais der bretonischen Harfner, welche den Jongleuren entsprechen und neben ihnen auftreten. Die Sagen, Legenden und Lieder, die sich um die märchenhaft ausgeschmückte historische Persönlichkeit des Königs Artus bildeten, wurden von dem aremoricanischen Mönch Nennius 857 in seiner Chronik gesammelt und diese wieder von Gottfried von Monmouth (ca. 1150) zur Grundlage seiner »Historia Britonum« gemacht; ebenderselbe hatte etwas früher in lateinischen Versen die Prophezeiungen des Zauberers Merlin besungen, des Repräsentanten des keltischen Druidentums.
Dazu kam die Legende vom ritterlichen Keltenapostel Joseph von Arimathia, dem Bringer des heiligen Grals, welche, ebenfalls um 1150, von zwei Seiten einer Bearbeitung unterzogen wurde: von Gautier von Map, dem Vertrauten Heinrichs II. von England, welcher einen vor dem 12. Jahrh. entstandenen »Liber gradalis« ins Französische übersetzte und erweiterte, und von Robert de Borron, welcher die Sagen seiner lothringischen Heimat, wo Joseph von Arimathia anfangs begraben lag, in einem kurzen, trocknen Gedicht erzählte.
In den folgenden Jahren entstanden zahlreiche Prosabearbeitungen dieser Stoffe, in welche auch orientalische Sagen verwebt wurden, wie die vom heiligen Barlaam, von den sieben Weisen von Rom [* 7] etc. Auf diese Weise hatten sich fünf Zweige dieses Cyklus herausgebildet: die Sagen vom heiligen Gral, von Merlin, von Lancelot vom See, von der Aufsuchung des Grals und von Tristan. Anfangs fanden dieselben jedoch nur geringe Verbreitung in Frankreich, teils wegen ihrer Länge, teils wegen der Abneigung der Jongleure gegen die fremden, prosaischen Stoffe.
Erst als die meisten derselben in der feinen poetischen Bearbeitung von Chrestien de Troies vorlagen (zwischen 1170 und 1190), drangen sie ins Volk und wurden in kurzer Zeit so beliebt, daß sie nicht nur den Chansons de geste gleich geachtet wurden, sondern auch einen merklichen Einfluß auf Sitten und Denkungsart der damaligen Zeit ausübten. Auch andre Dichter beschäftigten sich mit der poetischen Gestaltung dieser Sagen; besonders die Lancelotsage hat eine eingehende Bearbeitung erfahren. Chrestiens großer Roman »Tristan« ist (ebenso wie »Le chevalier à l'épée«) gänzlich verloren gegangen; Gottfried von Straßburg, der diese Sage am vollständigsten und poetischten behandelt hat, nennt als seine Quelle [* 8] einen sonst unbekannten Thomas aus der Bretagne.
Vgl. »Les romans de la Table Ronde« von P. Paris (1868, 5 Bde.) und von de la Villemarqué (3. Aufl. 1860).
Der dritte große Sagenkreis ist der antike. Schon früh hatte sich die gelehrte Sage in die Epen eingeschlichen: die Volkslieder hatten von jeher neben der Heldensage antike Stoffe besungen, die Lais der bretonischen Harfner wußten von Odysseus, Ödipus, Theseus etc., und in Chrestiens Gedichten sind Anspielungen darauf nicht selten. Seit dem 12. Jahrh. aber machte man große Gedichte über diese Stoffe, sei es nun, daß gelehrte Trouvères einen Stoff haben wollten, den das fahrende Volk der Jongleure sich nicht so leicht aneignen könnte, sei es auch, daß die Wißbegierde des Publikums nach neuen Liedern verlangte. Am beliebtesten war die Sage von der Zerstörung Trojas und von Alexander d. Gr., meist schon nach byzantinisch-orientalischen Traditionen; die bekanntesten Epen sind: »Le roman de la destruction de Troies« vom anglonormännischen Trouvère Beneoit de Sainte-More (er dichtete zwischen 1180 und 1190; vgl. über ihn Joly, Par. 1870-71, 2 Bde., und Fischer, Paderb. 1883),
»Le roman d'Énéas« (wohl auch von Beneoit),
Gedichte über den Argonautenzug, über Theben, J. Cäsar etc., besonders aber »Li romans d'Alixandre« von Lambert li Cors und Alexandre de Bernay (auch de Paris genannt),
vor 1188 gedichtet (hrsg. von Michelant, Stuttg. 1846),
in welchem die schon länger bekannte zwölfsilbige, zweiteilige Langzeile mit solcher Meisterschaft behandelt war, daß sie »Alexandriner« genannt wurde. Zu erwähnen ist, daß der Roman von Alexander noch fast ein Dutzend verschiedener Bearbeitungen erfuhr, von denen allerdings keine jener ersten zu vergleichen ist (vgl. Alexandersage).
Wenn einige dieser Stoffe direkt aus den alten Autoren übersetzt worden sind, andre einer freiern Gestaltung unterzogen wurden, so gab es wiederum Romane, zu denen das Altertum nichts als die Namen herlieh. Ebensowenig aber widerstrebt es dem ungeschichtlichen Sinn jener Zeiten, daß Trojaner und Makedonier die ritterlichen und galanten Allüren der Helden der Tafelrunde annehmen, die wunderbarsten Abenteuer mit Riesen und Zauberern zu bestehen haben, ja in direkte Berührung mit Artus und seinen Genossen gebracht werden, und niemals nimmt der Dichter Anstand, in seinen ¶
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Romanen Sitten und Gebräuche des öffentlichen und privaten Lebens, Wissen und Glauben seiner Personen getreulichst seiner eignen Zeit nachzubilden. Zu diesen drei großen Sagenkreisen kommen nun noch diejenigen Epen hinzu, die jener Einteilung widerstreben, z. B. solche, die ihren nordischen und dänischen Charakter festhalten, wie das Lied »Havelock le Danois« (hrsg. von Michel, 1833);
die Sagen biblischer und orientalischer Herkunft (vgl. G. Paris, Les contes orientaux, 1875): »Judas Machabée« und »Baarlaam et Josaphat«, ferner »Heraclius« von Gautier von Arras [* 10] (hrsg. von Maßmann, Quedlinb. 1842);
diejenigen spanischen und maurischen Ursprungs: »Cléomadès« (hrsg. von Hasselt, Brüssel [* 11] 1865, 2 Bde.),
»Floire et Blanceflor« (von I. ^[Immanuel] Bekker, Berl. 1844, und E. Duméril, Par. 1856);
eine Anzahl Abenteuerromane unbestimmten Charakters und der »Cycle de la Croisade« (auch »Chevalier au cygne« genannt),
ein Cyklus von fünf Gedichten, welche sich an die Person Gottfrieds von Bouillon anschließen (wozu im 14. Jahrh. noch »Baudouin de Sebourg« hinzugedichtet wurde), als deren Verfasser Jean Renaut, Richard der Pilger und Graindor von Douai genannt werden.
So war in der Mitte des 13. Jahrh. eine mächtige, blühende Litteratur erwachsen; die Verweltlichung der Stoffe hatte dieselben der Geistlichkeit entzogen und den Laien überantwortet. Trouvères und Jongleure, welche sich mit der Zeit zu Zünften zusammengefunden hatten, und zwischen denen damals fast nur noch der Unterschied der Begabung anerkannt wurde, Ménestrels oder Ménétriers, wie die Jongleure seit dem 13. Jahrh. hießen, verbreiteten dieselben von Hof [* 12] zu Hof, von Burg zu Burg, weit über Frankreichs Grenzen [* 13] hinaus und ergänzten die zivilisatorische Mission der Kreuzzüge. Ganz Europa [* 14] nahm teil an dieser Geistesblüte; besonders die deutsche Litteratur hat Anregung und Muster fast durchweg den französischen Epen entnommen.
Ein merklicher Umschwung war in den Anschauungen und Sitten der damaligen Zeit vor sich gegangen, hauptsächlich unter dem Einfluß der Ritter- und Zauberwelt des bretonischen Sagenkreises. Für den Ritter der Chansons de geste, dem mit seinem germanischen Erbteil ungefüger Tapferkeit und wildem, trotzigem Mut eine gute Portion Roheit anhaftete, erschien der edle, liebenswürdige Artusritter als das Ideal aller Ritterlichkeit, und Waffenruhm und Minnesold galten bald allein als Zweck des Daseins.
Aber Einseitigkeit und Übertreibung ließen die Schattenseiten ungebührlich hervortreten: der Frauendienst wurde zur unverhüllten Sittenleichtfertigkeit, zur seichten Liebelei, die Freude am Waffenruhm zur unersättlichen Sucht nach Abenteuern. Der durch die Kreuzzüge eröffnete Blick in die farbenglühende orientalische Welt, deren Märchen mit Begierde gelesen wurden, regte den Sinn mächtig auf, und seitdem es einem französischen Prinzen gelungen war, auf der Orientfahrt einen Kaiserthron zu erobern (1204), galt der erhitzten Phantasie nichts mehr für unmöglich.
Die Dichter überboten sich in Erfindungen unerhörter Thaten und fabelhafter Abenteuer, und so entstanden die Abenteuerromane, in denen die Äußerlichkeit und Zwecklosigkeit der Thaten mit der übermäßigen Wortfülle und Weitschweifigkeit der Darstellung Hand [* 15] in Hand geht. Noch bediente man sich des kurzen achtsilbigen Verses mit Reimpaaren, den die Artusromane eingeführt hatten, oder der endlosen Tirade mit Assonanzen, und der glatte, eintönige Fluß dieser Verse ist nicht der letzte Grund für den Phrasenschwall und die Frivolität der Gedichte. Mit der abnehmenden Inspiration und der sich erschöpfenden Phantasie aber nimmt die Prosa (im 14. Jahrh.) allmählich überhand. Die interessantesten Abenteuerromane sind: »Parthenopeus de Blois« von Denys Pyramus (hrsg. von Crapelet, Par. 1834) und der »Roman de la violette« oder »Gerard de Nevers« von Gilbert de Montreuil (hrsg. von Michel, das. 1834);
andre finden sich bei Crapelet, »Monuments de l'ancienne littérature française« (1816-30, 13 Bde.).
Eine Verbindung von Sage und Geschichte bieten die Reimchroniken, die nicht selten ganz episch gehalten sind; hierher gehören: der »Roman de Rou« und der »Roman de Brut« (um 1155) von Robert de Wace, die »Histoire des ducs de Normandie« von Beneoit de Sainte-More, die »Histoire des rois anglo-saxons« von Geoffroy Gaimar (um 1146),
der »Guillaume d'Engleterre« von Chrestien de Troies, die »Chronique rimée«, eine Geschichte Frankreichs und Flanderns, von Philippe Mouskes u. a. Sogar die trefflichen Memoiren des Marschalls der Champagne, Villehardouin (gest. 1213), und diejenigen Joinvilles (gest. 1319) sind von dem episch-ritterlichen Geist ihrer Zeit durchweht.
Auch die älteste lyrische Poesie hatte vorzugsweise epischen Charakter und beschränkte sich, solange sie fast ausschließlich in den Händen der Geistlichen lag, auf kirchliche und heroische Stoffe, welche in der Form der alten Kantilenen (von der heiligen Eulalia etc.) verfasst und gesungen wurden. Das Aufblühen der Volkspoesie, welche sicherlich mehr lyrischen Charakter hatte, war erst möglich, als die romanische Sprache [* 16] zur litterarischen Geltung gelangte und die Dichtkunst anfing, von weltlichen Dichtern gepflegt zu werden.
Während sich in den Lais (s. d.) und Pastourellen leichtere Verse und lebhaftere Rhythmen finden, hat die bevorzugte Gattung des 12. Jahrh., die Romanze, noch ganz epische Formen und beweist ihren volkstümlichen Charakter durch ihren engen Zusammenhang mit der epischen Poesie und das fast durchgängige Fehlen der Autornamen. Einen gewaltigen Umschwung bewirkten die Kreuzzüge. Indem sie die Völker einander näherten und den Austausch von Gedanken und Gefühlen beförderten, machten sie die Nordfranzosen mit der glänzenden Lyrik der Troubadoure bekannt; seit der Mitte des 12. Jahrh. werden auf den Schlössern Flanderns, Burgunds und der Champagne provençalische Lieder gesungen und nachgeahmt, und von dieser Zeit datiert in Nordfrankreich eine Kunstlyrik oder höfische Poesie.
Doch erst nach dem dritten Kreuzzug gewinnt dieselbe allgemeine Verbreitung; die Volkslyrik wird zurückgedrängt, die Romanzen verschwinden, die Pastourellen werden künstlicher, die Lais machen sich von der epischen Poesie los. Vornehmlich aber wird die Chanson d'amour kultiviert, und alle provençalischen Kunstformen: Jeu-parti, Descort, Serventoir oder Sirvente, Salut etc., erscheinen von jetzt an in der französischen Litteratur. Die Formen werden reicher und komplizierter, bewahren aber noch ihre ganze Freiheit, da strenge Gesetze erst mit dem 14. Jahrh. geschaffen und beobachtet werden. Auch im Norden [* 17] wurde die Poesie eine Lieblingsbeschäftigung hoher Herren: Könige und Prinzen, namentlich Thibaut IV. von Navarra, dichteten mit ihrem Hofadel um die Wette und machten dadurch die Poesie zu einer höfischen, ritterlichen Kunst. Die Zahl dieser Hofsänger wuchs demgemäß bedeutend an. Der 23. Band [* 18] der großen »Histoire littéraire de la France« erwähnt über 200 Dichter; ¶
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am gefeiertsten waren Gaces Brulez, Colin Muset, Raoul (Renaut) de Coucy, Adam de la Halle, Jean Bodel, Perrin d'Angecourt, Quesne de Bethune, Guiot de Provins u. a. Muster der ältern mehr volkstümlichen Lyrik finden sich bei P. Paris, »Romancero« (Par. 1833);
Wackernagel, »Altfranzösische Lieder und Leiche« (Basel [* 20] 1846);
E. Mätzner, »Altfranzösische Lieder« (Berl. 1853);
Bartsch, »Romanzen und Pastourellen« (Leipz. 1870).
Vgl. auch A. Scheler, Trouvères belges du XII. au XIV. siècle (Brüssel 1876).
In scharfem Gegensatz zu der höfischen Lyrik steht die volkstümliche satirische Dichtung, die in ihren Schwänken und komischen Anekdoten (fabliaux, contes) ein anschauliches Bild des damaligen Sittenzustandes bietet. Seit dem 13. Jahrh. in Aufnahme gekommen, überziehen die Fabliaux in buntester Mannigfaltigkeit die Thorheiten und Lächerlichkeiten des bürgerlichen Lebens mit ihrem derben Spott, vornehmlich das unerschöpfliche Thema der Ehe behandelnd; nur selten und mit Vorsicht werden Adel und Geistlichkeit angegriffen. In manchen Erzählungen steht der frivole, oft geradezu unzüchtige Ton, der den Fabliaux eigen ist, in eigentümlichem Gegensatz zu der frommen Tendenz, so in den heiligen Geschichten (contes dévots), die wegen ihrer gedrängten Behandlung und des kurzen Verses zu den Fabliaux gerechnet werden müssen.
Satirischer Art sind auch die Dits, Débats, Disputes oder Disputoirons, Batallies, Legs oder Testaments, Parodies, Resveries, Fatrasies etc.; einige von diesen wagen sich sogar auf das Gebiet der Politik, worin der Einfluß der provençalischen Sirventes nicht zu verkennen ist. Die dialogische Form einzelner Gedichte (débats, disputes etc.) entwickelt oft dramatische Lebendigkeit und bildet das natürliche Mittelglied bei dem Übergang der satirischen Poesie in die dramatische, der sich im 15. Jahrh. vollzieht. Noch sind als satirische Formen die »Bibles« zu erwähnen, umfangreiche Sittenspiegel, von denen die »Bible« von Guiot de Provins (Ende des 12. Jahrh.) und die »Bible au seigneur de Berze« (ca. 1210) am berühmtesten waren. Der gefürchtetste Satiriker des 13. Jahrh. ist Rutebeuf; seine Verse richten sich besonders gegen die hohe Geistlichkeit und sprudeln von übermütiger, zügelloser Laune. Eine Reihe andrer Dichter findet sich besprochen bei V. Le Clerc, Histoire littéraire de la France, Bd. 23. S. Fabliau, wo auch die Sammlungen von diesen Dichtungen angeführt sind.
Zu der satirischen Poesie müssen noch zwei Gedichte gezählt werden, welche große Berühmtheit erlangt haben und Geist und Charakter dieser Periode aufs treueste zur Anschauung bringen: der »Roman de Renart« und der »Roman de la Rose«. Die Fabel vom Fuchs [* 21] und vom Wolf ist lateinischen Ursprungs (Äsop) und schon frühzeitig in den Klöstern mit Vorliebe gepflegt worden; die ältesten Bearbeitungen, die beiden lateinischen Gedichte: »Isemgrimus« und »Reinhardus«, datieren aus der Mitte des 12. Jahrh. Auf Grund der Überlieferung oder durch Neudichtung entstanden nun gegen Ende des 12. Jahrh. 32 verschiedene Branchen, in denen einzelne Abenteuer des Fuchses besungen werden, und deren Autoren, außer Pierre de Saint-Cloud und Richard de Lison, nicht genannt sind.
Schon in diesen Gedichten macht sich neben dem altepischen ein allegorisch-satirisches Element bemerklich, das in den Bearbeitungen des folgenden Jahrhunderts (»Renart le contrefait« u. a.), welche durch Kompilationen und abenteuerliche Erfindungen, breite Redseligkeit und das Auskramen unverdauter Gelehrsamkeit zu einem unnatürlichen Umfang (62,000 Verse) anschwellen, die Hauptsache bildet. Die vollständigste Ausgabe ist die von Méon (Par. 1826, 4 Bde.); Ergänzungen bietet Chabaille (das. 1835).
Vgl. Jonckbloet, Étude sur le Roman de Renart (Haag [* 22] 1863).
Schon früh hatte sich die Allegorie in die Litteratur hineingedrängt; die pedantische Gelehrsamkeit der lateinischen Klosterpoesie sowie die künstelnde Tändelei der Troubadoure hatten sich ihrer mit Vorliebe bedient; zur Vollendung aber gelangte sie erst im »Roman de la Rose«, von Guillaume de Lorris (ca. 1240) begonnen und von Jehan de Meung, genannt Clopinel, um 1300 vollendet. Während der erste Teil (4000 Verse), der trotz des einförmigen Gegenstandes und der unpoetischen Form durch die Grazie und Lebendigkeit des Stils interessieren könnte, mehr der lehrhaften Dichtung angehört, wendet sich der zweite Teil (18,000 Verse) ganz zur Satire und bietet zugleich ein umfassendes Bild des damaligen Wissens. Gerade dieser encyklopädischen Eigenschaft wegen war das Gedicht jahrhundertelang ein Lieblingsbuch der Franzosen; aber schon früh haben die Trivialitäten und Pedanterien sowie der Wust unreifen Wissens ihre gebührende Kritik gefunden. Die beste Ausgabe ist von Fr. Michel (Par. 1864, 2 Bde.).
Eng mit der satirischen Dichtung verwandt ist die didaktische; sie hat mit ihr die Entwickelung aus der Predigt gemeinsam und bleibt ebenfalls ausschließlich geistlichen und bürgerlichen Dichtern überlassen. Neben rein belehrenden Schriften, wie Kalendern (computs), z. B. dem »Liber de creaturis« von Philippe de Thaun (ca. 1119),
zoologischen Werken (»Bestiaires«, z. B. von Philippe de Thaun, von Wilhelm von der Normandie, »Volucraires« etc.),
kosmographischen (»Dits des planètes«, »Vers du monde« u. a.),
Jagdbüchern (»Dels Auzels cassadors«, »La chace dou cerf«) u. a., stehen die moralisierenden Gedichte, Heiligenbiographien, Übersetzungen klassischer Werke (»Disticha Catonis«, ca. 1145, Aristoteles, Boethius),
Anstandslehren (»Castoiements, doctrinaux, enseignements«),
die mehr homiletischen Schriften des Reclus du Moliens (»Miserere« und »Roman de charité«, 13. Jahrh.),
das lange Gedicht »Moralités des philosophes« und viele andre, welche gar keinen poetischen Wert haben. Hierher gehören auch die moralisierende Tierfabel und die mit ihr eng verbundene Menschenfabel, orientalischen oder klassischen Ursprungs. Unter den zahlreichen Sammlungen (»Ysopets« nach Äsop) ist diejenige der Marie de France (13. Jahrh.) die berühmteste.
Vgl. Robert, Fables inédites des XII., XIII., XIV. siècles (Par. 1825, 2 Bde.).
Der »Roman des sept sages de Rome« oder »Dolopathos« ist eine Sammlung von Märchen orientalischer Herkunft. Bald wurde alles mögliche in Verse gebracht, medizinische, juristische, grammatische Stoffe; man reimte das Alphabet, die Münzen [* 23] und Straßen von Paris. Auch encyklopädische Werke erhalten eine poetische Form, wie die »Bible de sapience« von Herman von Valenciennes (13. Jahrh.) und die umfangreiche »Image du monde« von Gautier von Metz [* 24] (ca. 1245).
Die dramatische Poesie entwickelte sich ebenfalls aus dem religiösen Kultus, indem in die Liturgien an hohen Festen und in die Recitationen von Heiligengeschichten nach und nach Dialog und Handlung eingefügt wurden;
bis zum Ende des 11. Jahrh. herrschte die lateinische Sprache ausschließlich. Um diese Zeit jedoch machten sich Neuerungen bemerklich;
episodenartig werden Erzählungen und gereimte ¶
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Gesänge eingeschoben und profanes Beiwerk in Menge hinzugefügt; auch die Volkssprache zeigt sich hier und da in Phrasen und ganzen Versen. Diese Dramen schließen sich alle an das Alte oder Neue Testament an (Mysterien) oder behandeln heilige Geschichten (Mirakel); die ältesten uns erhaltenen in gemischter Sprache (drames farcis) sind aus dem 12. Jahrh.: die Mysterien von Adam (hrsg. von Luzarche, Tours [* 26] 1854), von Daniel, von den klugen und thörichten Jungfrauen;
aus dem 13. Jahrh.: die Mysterien von den drei Marien und zwei Fragmente von der Leidens- und Auferstehungsgeschichte.
Allmählich jedoch machte sich das Drama von der Kirche los, wählte öffentliche Plätze als Bühnen und wurde die Lieblingsdomäne der Trouvères und Ménestrels, unter deren Händen es in der folgenden Periode ganz weltlich wurde. Dieser Umschwung läßt sich schon beobachten in den beiden Mirakeln oder Jeux aus dem 13. Jahrh.: »Li jus de saint Nicholai« von Jean Bodel und »Miracle de Théophile« von Rutebeuf. Ganz weltlich dagegen sind die Anfänge des Lustspiels, welches aus den Dits, Disputes, Jeux-partis, Pastourelles etc. entstand und in seiner einfachsten Form nichts weiter war als recitierter Dialog. Hier ist vor allen der Trouvère Adam de la Halle (gest. 1286) zu nennen, dessen Dichtungen: »Li jus Adan ou de la feuillée« (ca. 1262) und »Li gieus de Robin et Marion« (ca. 1284),
ein anmutiges Schäferspiel, lange Zeit beliebt waren. Zu letzterm galt »Li jus de Pélerin« (von einem Ungenannten) als Vorspiel. Die Allegorie und der lehrhafte Ton, der bald alle naive und frische Begeisterung ertöten sollte, sind auch schon in diesem Zeitraum nachzuweisen: »Le dispute de Pierre de la Broche contre la fortune par devant reson« (ca. 1270) ist eine Art politischer Moralität.
Vgl. Duméril, Origines littéraires du théâtre moderne (Par. 1849);
Coussemaker, Drames liturgiques du moyen-âge (Rennes 1860);
Montmerqué und Michel, Théâtre français du moyen-âge (Par. 1839);
L. Gautier, Origines du drame chrétien (im Journal »Le Monde« 1872).
Das 14. und 15. Jahrhundert.
In der epischen Poesie, wo das überfeinerte Rittertum und die vage, märchenhafte Natur des bretonischen Sagenkreises überwucherten, war gegen Ende des 13. Jahrh. eine Versumpfung eingetreten: es fehlte an frischem natürlichen Schwung, die scholastische Gelehrsamkeit gefiel sich in allegorischen Abstraktionen, und das erwachte Selbstgefühl des Bürgertums und der satirische Geist seiner Poesie äußerten sich in Parodien und Karikaturen gegen das zusammenbrechende Mittelalter.
Die epischen Gedichte werden entweder umgeformt und erweitert (fast überall tritt der Alexandriner ein), oder die Stoffe werden kombiniert und encyklisch bearbeitet, z. B. »L'entrée en Espagne« von Nicolas von Padua, [* 27] »Charlemagne« von Girard von Amiens, [* 28] »Perceforest« u. a. Oft sind es Aufzählungen einer unendlichen Reihe von fabelhaften Ereignissen; so muß Perceforest 400 Jahre leben, um alle ihm zugeschriebenen Abenteuer bewältigen zu können. Im 15. Jahrh. werden viele Gedichte in Prosa übersetzt und zwar im Geist eines frivolen, spottsüchtigen Bürgertums, wodurch sie jede Ähnlichkeit [* 29] mit den alten Heldengedichten verlieren.
Mit dieser Umwandlung endet die epische Poesie des Mittelalters, und nur spärliche Reste haben sich durch die »Bibliothèque bleue« in die Volksbücher unsrer Zeit hinübergerettet. Viel früher waren die Fabliaux und Contes prosaisch bearbeitet worden, und hier ist der Ursprung des Prosaromans und der Novelle zu suchen, für welche die zwei Jahrhunderte lang aufgespeicherte Masse von ernsten und heitern, ritterlichen und volkstümlichen, kriegerischen und galanten Geschichten eine unerschöpfliche Fundgrube war.
Einige, und zwar die schönsten, stammen schon aus dem 13. Jahrh. und sind enthalten in den »Nouvelles françoises en prose du XIII. siècle« von Moland und d'Héricault (Par. 1856),
z. B.: »Amis et Amile«, »Le roi Flore et la belle Jehanne«, die liebliche, zum Teil dramatisch belebte, zum Teil gesungene Erzählung von »Aucassin et Nicolete« (hrsg. von Suchier, 2. Aufl., Paderborn [* 30] 1881),
die »Comtesse de Ponthieu« u. a. Im 14. Jahrh. verliert der Roman die natürliche Anmut, die den Reiz jener Erzählungen bildet; die Phantasie erschlafft, und unter den Einwirkungen des langen Kriegs verwildern Sitte und Sprache. Drei Romane aus dieser Zeit finden sich gedruckt in den »Nouvelles françoises du XIV. siècle« von Moland und d'Héricault (1858): »Légende d'Assenath«, »Histoire de Foulques Fitz Wasin« und »Troïlus«. Der italienische Einfluß, der sich in dem letztgenannten bemerklich macht, überwiegt in den Schriften von Antoine de La Salle (15. Jahrh.),
einem Burgunder, der am Hofe von Neapel, [* 31] in Burgund und Flandern gelebt hat. Von ihm ist der Roman »Chronique du petit Jehan de Saintré« (1459),
der »Télémaque« dieser Epoche trotz der ironischen Färbung des Schlusses; auch ist er wohl der Redakteur der berühmten »Cent Nouvelles nouvelles« (zwischen 1456 u. 1461), deren Autoren eine Anzahl großer Herren sind, die sich um den Dauphin von Frankreich, den künftigen Ludwig XI., auf Schloß Genappe versammelt hatten. Der Prinz galt auch lange für den Verfasser dieser mit viel Anmut und Feinheit, aber frivol und sogar cynisch geschriebenen Novellen, in denen neben Stoffen aus Poggio und Boccaccio zumeist zeitgenössische Anekdoten behandelt sind; allein die Vorzüge des Stils und der glänzende Witz weisen auf La Salle hin.
Auch in der lyrischen Poesie ist der Schwung erlahmt und die Phantasie vertrocknet; auch hier mischt sich die Pedanterie hinein mit ihren moralisierenden Allegorien und spitzfindigen Künsteleien, und die Verskunst wird zum kindischen Spiel mit Worten und Reimen. Die bevorzugten Formen sind der Chant royal und die Ballade; ersterer zum Ruhm Gottes und der Jungfrau gesungen und von den litterarischen Gesellschaften (Puys de palinods, Chambres de rhétorique, Cours d'amour etc.) auf den Sängerkämpfen meist mit dem Preis ausgezeichnet, während die Ballade kürzer und anspruchsloser ist.
Dazu kommen die Rondeaux, Lais, Virelais, Chansons, Serventois, Dits, Pastourelles etc., deren Bau immer schwieriger, deren Rhythmus immer komplizierter wird. Eine interessante Sammlung ist »Le livre des Cent Ballades« vom Ende des 14. Jahrh. Die Zahl der Dichter ist groß; die besten Namen sind: Guillaume Machaut, Eustache Deschamps, J. ^[Jean] Froissart, Christine de Pisan, Alain Chartier, Jehannot de Lescurel. Die schrecklichen Leiden, [* 32] die der 100jährige Krieg mit England über Frankreich brachte, begeisterten das patriotische Gefühl zu einigen Gesängen, die an die beste Zeit der epischen Poesie anklingen (»Le combat de Trente Bretons contre Trente Anglais«, 1350, und eine gereimte Chronik über Bertrand Duguesclin, 1384), und zu Kriegs- und Vaterlandsliedern, zu denen außer den oben genannten auch Karl von Orléans, [* 33] Martial d'Auvergne, Villon, wohl auch Olivier Basselin (gest. 1418) beitragen. Der Name des letztern knüpft sich an ¶
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eine Sammlung von Volksliedern (»Vaux-de-Vire« genannt),
die jedoch erst später verfaßt worden ist, während einige von Basselins und seiner Genossen Gedichten sich wohl in den »Chansons normandes du XIV. siècle« (hrsg. von Gasté, Caen 1866) erhalten haben. Das 15. Jahrh. weist zwei Lyriker von hervorragender Bedeutung auf: Karl von Orléans (gest. 1465) und Fr. Villon (gestorben um 1480); der erste ein fürstlicher Sänger, fein, elegant, der Vertreter der höfischen Poesie; der andre ein Volksdichter, kühn, genial, oft cynisch und frech, das Muster eines verbummelten Studenten und Landstreichers. Diesem steht am nächsten Guillaume Coquillart (gest. 1510) mit seinen frivol-burlesken, meist satirischen Gedichten (hrsg. von d'Héricault, 1857), während Octavien de Saint-Gelais (gest. 1502) mit seiner glatten, moralisierenden Gelegenheitsdichtung und seiner Vorliebe für Allegorie zu den höfischen Dichtern gezählt werden muß.
Einen neuen Mittelpunkt fand die Poesie in Flandern, am Hof des mächtig aufblühenden burgundischen Reichs; dort sammelte sich eine Dichterschule, die durch rhetorischen Schwulst und pedantische Gelehrsamkeit zu glänzen suchte, und deren Hauptvertreter Georges Chastelain, Jean Molinet und Jean le Maire (genannt »les grands rhétoriqueurs«) sind; sie fanden zahlreiche Schüler und sind als die Vorläufer der »Plejade« zu betrachten. Doch erfreute sich in Frankreich die Manier, feine und leichte, lustige und bissige Gedichte zu fabrizieren, worin z. B. Martial d'Auvergne, Henri Baude und Jean Marot sich auszeichneten, trotzdem einer größern Beliebtheit; interessante Proben dieser frischen Poesie bieten die Sammlungen: »Chants populaires du XV. siècle« von G. Paris (Par. 1875) und »Französische Volkslieder«, zusammengestellt von M. Haupt (hrsg. von A. Tobler, Leipz. 1877). -
In dieser Zeit des Niedergangs der Poesie ist die didaktische Dichtung schwer von der lyrischen zu trennen; bei vielen Dichterlingen bestand die Lyrik ja nur aus langweiligen, lehrhaften Erörterungen. Mit Vorliebe erging man sich in einem breit-moralisierenden und platt-satirischen Ton;
am meisten sagte der scholastisch-dialektischen Gelehrsamkeit die Allegorie zu.
Der größte Teil der hierher gehörigen Schriften ist noch ungedruckt, und nur wenige verdienen eine Erwähnung, wie: »Le miroir de mariage« von Eustache Deschamps;
die »Dits moraux« oder »Enseignements de Christine à son fils« von Christine von Pisan, welche sogar der königlichen Familie Ermahnungsschriften zukommen ließ;
»Le bréviaire des nobles« von Alain Chartier;
»Les trois pélerinages« von Guillaume de Guilleville;
die moralisierten Metamorphosen Ovids von Philipp von Vitry u. a.
Den volksmäßigen Charakter trug am meisten in dieser Periode die dramatische Poesie. Die Mysterien und Mirakel nahmen nach und nach mehr weltliches Element in sich auf, verlegten ihre Bühne auf Straßen und öffentliche Plätze, gingen aus den Händen der Geistlichkeit in die der Laien über und dienten dem Volk bald mehr zur Kurzweil als zur Andacht. Mit der Mitte des 15. Jahrh. hörte auch hier die ursprüngliche Einfachheit auf: die Stoffe werden encyklisch verarbeitet, schwellen übermäßig an und werden prächtiger inszeniert;
realistische Einschaltungen und possenhafte Zwischenspiele nehmen allmählich überhand, und es gab Mysterien, die wochenlang dauerten, bei welchen Hunderte von Menschen thätig waren und ganze Städte und Provinzen das Publikum bildeten.
Während diese Darstellungen ihre Stoffe aus der Bibel [* 35] und Heiligenlegende entlehnten, behandelten die Farces, Soties und Moralités nur weltliche Stoffe. Die Farcen, welche auch die Dits, Débats, Disputes, Monologues, Dialogues, Sermons joyeux etc. mit umfassen, ziehen die Schäden und Gebrechen des sozialen Lebens, besonders das Lächerliche, vor ihr Forum; [* 36] sie versteigen sich in ihren übermütigen, derben Scherzen nicht selten bis zur Schamlosigkeit. In den Sottien tritt eine Gesellschaft von Narren auf, mit Eselsohren und Schellenkappe, die im Vertrauen auf das Privilegium der Narrheit: »ridendo dicere verum«, oft recht ernste und wichtige Dinge behandeln;
ihre Lieblingsthemata waren politische.
Doch wirkte das Einerlei ihrer Figuren ermüdend; es waren immer dieselben Masken, [* 37] immer dieselben Personen und Attribute, der »Prince des sots« meist die Maske für König und Staat, die »Mère sotte« für Kirche und Geistlichkeit etc. Das Interesse des Publikums knüpfte sich bald nur noch an die Pantomimen und Grimassen, und damit verlor die Sottie ihre Bedeutung. Die Moralitäten sind ebenfalls politisch; auch sie wollen die Wunderlichkeiten und Thorheiten der menschlichen Gesellschaft heilen, aber sie sind dabei ernsterer Natur und haben eine moralisierende Tendenz; sie machen den ausgiebigsten Gebrauch von der Allegorie, die naturgemäß schon in der Sottie eine große Rolle spielt. Blut und Leben, Leidenschaft und Charakter fehlten auch ihnen, und Hohlheit und Langweiligkeit waren ihre schlimmsten Gebrechen. Alle diese dramatischen Gattungen gehen leicht ineinander über; häufig ist eine Sottie nichts weiter als eine von Narren aufgeführte Moralität; auch für die Pastorales und Bergeries (Hirten- und Schäferspiele), welche sich hier und da finden, ist eine strenge Abgrenzung nicht durchgeführt worden.
Dies sind die dramatischen Formen, in denen das ausgehende Mittelalter seinen Geist und seine Sitten zum Ausdruck brachte. Hundert Jahre lang, von der Mitte des 14. bis zu der des 15. Jahrh., wütete der schreckliche Krieg mit England; aber das geistige Leben der Nation ruhte nicht. Wie um Vergessen von seinen Drangsalen zu suchen, strömte das Volk zu den großen Festen, an denen die Leidensgeschichte und Auferstehung des Heilands dargestellt wurde; überall bildeten sich litterarische Gesellschaften, die den kunstvollen Gesang pflegten oder mit übermütigen Possen Not und Jammer der Zeiten zu übertönen versuchten.
Als aber der Friede gesichert war und Frankreich mächtiger denn je dastand, da brach eine lange glückliche Zeit an, die bis zur Mitte des 16. Jahrh. dauerte, und in der das geistige Leben einen gewaltigen Aufschwung nahm und besonders die dramatische Kunst eifrig gepflegt wurde. Unter den litterarischen Gesellschaften, welche sich überall zusammenfanden, interessieren uns am meisten die in Paris entstandenen. Hier war es vor allen die Zunft der Parlaments- und Gerichtsschreiber, der »Clercs de la Bazoche«, welche seit 1303 das Vorrecht hatten, bei ihren öffentlichen Aufzügen dramatische Spiele zu veranstalten.
Dies geschah zuerst in gemischter Sprache, lateinisch und französisch, woher diese Stücke »Farces« genannt wurden, ein Name, der bald auf alle satirisch-possenhaften Darstellungen ausgedehnt wurde. Ein Meisterwerk ging aus der Bazoche hervor, die »Farce de Patelin« (um 1469); durch ihren geschickten Aufbau, die Lebendigkeit und Wahrheit der Charakterzeichnung und durch ihre treffliche Komik überragt sie weit alle gleichzeitigen Stücke. Der große Erfolg der Bazoche regte 1380 ¶
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eine andre Vereinigung an, die der »Enfants sans soucy«. Dies waren junge Leute aus guter Familie, welche in der Narrentracht der Karnevalszeit auf ihrem Theater in [* 39] den Hallen ihre lustigen Stücke (soties) aufführten. Das christliche Drama fand seine Darsteller in einer Gesellschaft frommer Handwerker, der »Confrères de la Passion«, die 1396 gegründet war und 1402 das Privilegium für die Darstellung von Mysterien und Mirakeln erhalten hatte. Dasselbe wurde ihr aber 1548 durch Parlamentsbeschluß wieder entzogen, als das Überwuchern des komischen Elements den Schichten der Bevölkerung, [* 40] denen Renaissance und Reformation die Augen geöffnet hatten, zum Ärgernis wurde. Eine Zeitlang traten die Moralitäten in die Lücke ein; aber die Vorstellungen der Confrérie hatten ihren Reiz verloren. Sehr häufig tauschten diese Gesellschaften ihre Stücke miteinander aus, und das interessanteste Datum hierfür ist das Jahr 1511, in welchem der Dichter und Schauspieler Pierre Gringore (gest. 1547) auf seinem Theater (in den Hallen) mit Erfolg eine Art Trilogie in Szene setzte: »Jeu et sotie du prince des sots«, »Moralité de l'homme obstiné« und die obscöne Farce »De dire et de faire«. Sammlungen von Komödien finden sich bei Leroux de Lincy und Michel, Recueil etc. (Par. 1837, 4 Bde.); Viollet le Duc, Ancien théâtre français (das. 1854, 10 Bde.), und P. L. Jacob, Recueil de farces, etc. (das. 1859); von Mysterien bei Jubinal (das. 1837, 2 Bde.).
Das 16. Jahrhundert.
Die Bekanntschaft mit der glänzenden Bildung und der feinen Geselligkeit der Italiener, welche die Franzosen aus den Kriegen Karls VIII., Ludwigs XII. und Franz' I. mit heimbrachten, und das Studium der Werke des Altertums, welche durch berühmte Gelehrte (Budäus, Scaliger, Casaubonus, die beiden Stephanus u. a.) und durch treffliche Übersetzer (besonders Amyot) dem großen Publikum zugänglich gemacht wurden, übten eine mächtige Wirkung auf das geistige Leben der Nation aus.
Überall zeigte sich Interesse für Kunst und Wissenschaft, besonders aber an den glänzenden Höfen des lebensfrohen, genußsüchtigen Franz I. und seiner Schwester Margarete von Navarra, der Verfasserin einer vielbewunderten Novellensammlung in Boccaccios Geschmack, des »Heptameron«. Wer eine lustige Erzählung, ein Madrigal oder ein Sonett, ein Rondeau oder ein witziges Epigramm zu schmieden vermochte, stand in hohen Ehren, und oft trug ein gelungenes Gedicht den Lohn reicher Pfründen davon.
Auch spanisches Wesen fand am französischen Hof Eingang: die Amadisromane, die unter dem Einfluß der Artusromane entstanden sind, und welche Franz I. während seiner Gefangenschaft zu Madrid [* 41] kennen und lieben gelernt hatte, wurden auf den Wunsch des Königs ins Französische übertragen und fanden begeisterte Aufnahme. In dieser geistig angeregten, jedoch noch ziemlich rohen Gesellschaft gab den Ton Clément Marot an (gest. 1544), der Lieblingsdichter der königlichen Geschwister, dessen unverwüstliche Laune, Naivität und Frische trotz seiner Derbheiten noch jetzt ansprechen; nächst ihm Des Périers (gestorben um 1544), der mit Margarete den Ruhm teilt, die elegantesten und pikantesten Erzählungen verfaßt zu haben.
Ebenso originell wie Marot, aber ungleich bedeutender ist Fr. Rabelais (1495-1553), der in seinem »Gargantua et Pantagruel« ein geniales Gemälde der Verderbnis und der Thorheiten seiner Zeit entwirft. Schonungslos greift er die Mächtigen der Erde, besonders die Kirche, an und entwickelt dabei in seiner Ausdrucksweise einen Reichtum und eine schöpferische Kraft, wie sie nie wieder ein französischer Schriftsteller besessen hat. Dies waren die Hauptvertreter der nationalen, volkstümlichen Richtung, die von einem selbstbewußten, freisinnigen Bürgertum gepflegt wurde; ihre Spottgedichte und Satiren sind zugleich der Ausdruck des immer dringender sich erhebenden Rufs nach kirchlichen Reformen.
Die wuchtigsten Hiebe gegen die verrotteten Institutionen der mittelalterlichen Kirche führten die berühmten Prosaisten der Reformation, Calvin (gest. 1564), La Boétie, Michel L'Hôpital u. a.; die Existenz des Papsttums war ernstlich gefährdet. Da raffte die Kirche noch einmal alle ihre Macht zusammen, und in einem der schrecklichsten Bürgerkriege, die je ein Land verwüstet, wurden der Widerstand und die Kraft des Bürgertums gebrochen: Kirche und Königtum standen unumschränkter da als je.
Hiermit war auch der Sieg des italienischen und altklassischen Einflusses über die nationale Strömung in der Litteratur endgültig entschieden;
am Hof, wo eine Katharina von Medicis herrschte, waren diese fremden Elemente schon seit Rabelais' Tod (1553) die herrschenden gewesen.
Damals hatte sich nämlich eine Vereinigung von sieben Dichtern, die sogen. Pléjade, zusammengefunden, die den ausgesprochenen Zweck verfolgte, durch die Verschmelzung der antiken mit der modern-italienischen eine nationale Bildung zu schaffen und die französische Sprache zur Höhe der klassischen zu erheben. Der Herold der neuen Schule, Joachim Du Bellay (gest. 1560), verkündete diesen Zweck in seinem berühmten Manifest »Défense et illustration de la langue française« (1549); ihr Haupt Ronsard (gest. 1585) hat ein halbes Jahrhundert hindurch unbestritten den französischen Parnaß beherrscht. Ein Feuereifer beseelte diese Dichterschule: der Meister selbst dichtete Oden nach Pindar und Horaz, Elegien nach Tibull, Liebes- und Trinklieder nach Anakreon, brachte den »Plutos« des Aristophanes auf die Bühne und suchte mit seiner »Franciade« in Vergils Manier das Frankenvolk mit Ilions Geschicken in Verbindung zu setzen; Jodelle (gest. 1573) schrieb Dramen nach klassischen Mustern (»Cléopâtre captive«, »Didon se sacrifiant« etc.), die vor einem eleganten und gelehrten Publikum ungeheuern Beifall fanden; andre strebten nach dem Ruhm Petrarcas und suchten die poetische Sprache Ronsards noch künstlicher zu gestalten. Aber hierin gerade lag der Fehler der Pléjade: diese Sucht nach neuen Worten und Wendungen, dieser Abscheu vor dem Gewöhnlichen, Hergebrachten mußten zur Unnatur und Geschmacklosigkeit führen. Denn nur da, wo Ronsard am wenigsten antikisiert, zeigt er sich als wahren Dichter; der Mittelmäßigkeit seiner Schüler aber fehlt jeder poetische Hauch. Am natürlichsten sind noch die Gedichte von Phil. Desportes (gest. 1606) und Jean Bertaut (gest. 1611), den Typen der galanten, frivolen Abbés dieser Zeit; doch auch sie entgehen nicht dem scharfen Spott Malherbes. Mehr an Marot als an Ronsard schließen sich an Jean Passeret (gest. 1602) und Louise Labé (gest. 1566), die schöne Seilerin; bei ihnen findet man oft tiefes Gefühl und echt lyrischen Schwung. Auch im Drama hat die Pléjade nichts Bleibendes geschaffen: Jodelles Stücke hatten keine Ahnung von dramatischer Verknüpfung, und von seinen Nachfolgern kann nur Robert Garnier (gest. 1590) auf Erwähnung Anspruch machen. Neben diesem gelehrten Schuldrama, das vornehmlich aus Übersetzungen und Nachahmungen von Terenz, Seneca etc. bestand, gab es eine ¶