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Offizierkorps ist von der allgemeinen Heeresreorganisation nicht unberührt geblieben. Das seit Jahren in Beratung befindliche Avancementsgesetz hat noch nicht die Bestätigung erhalten, da der häufige Wechsel der Kriegsminister auch auf dieses Gesetz nicht ohne Einfluß geblieben ist. Im allgemeinen lehnt sich dasselbe an das bezügliche Gesetz von 1832 an. Die Ergänzung des Offizierkorps findet im Frieden zu ⅔ aus den Schulen, zu ⅓ aus Unteroffizieren statt.
Letztere müssen mindestens zwei Jahre in der Truppe aktiv gedient, eine Militärschule besucht und die vorgeschriebene Prüfung bestanden haben. Der Beförderung zum Offizier muß die Wahl vorangehen. Das Avancement zu den höhern Chargen ist von dem Bestehen wissenschaftlicher Prüfungen abhängig. ⅓ in der Hauptmannscharge werden nach der Anciennität, ⅔ nach Wahl besetzt (au choix). Die Beförderung zu höhern Chargen, vom Bataillonschef an aufwärts, findet nur nach Wahl, zum Obersten und General auf Qualifikationsurteil des Conseil supérieur de la guerre statt.
Bei Unfähigkeit zur Weiterbeförderung werden Leutnants und Hauptleute nach 25jähriger Dienstzeit ex officio verabschiedet. Die Unteroffiziere ergänzen sich aus der Truppe sowie aus den Militärvorbereitungsschulen. Auch für sie gilt die Bestimmung, daß niemand in einen höhern Grad befördert werden darf, der nicht die Qualifikation dazu besitzt. Korporale und Brigadiers (den Obergefreiten unsrer Artillerie entsprechend, Korporale bei den Fuß-, Brigadiers bei den berittenen Truppen) dürfen nach viermonatlicher Dienstzeit schon zu Unteroffizieren befördert werden. Die Schwierigkeit der Erhaltung eines Stammes älterer Unteroffiziere führte zu dem Rengagementsgesetz vom welches die Altersgrenze für Unteroffiziere auf 47 Jahre festsetzt und das Rengagement durch Solderhöhung, Verbesserung in den Wohnungs- und Eheschließungsverhältnissen sowie durch Zivilversorgung erleichtern soll.
[Militärschulen.]
Das Militärerziehungs- und Bildungswesen ist seit dem Krieg von 1870/71 außerordentlich gefördert worden; die Ansprüche sind in jeder Beziehung gesteigert, die deutsche Sprache ist obligatorischer Unterrichtsgegenstand auf allen höhern Lehranstalten geworden. Für die Ausbildung der nicht aus dem Unteroffizierstand hervorgehenden Offiziere sorgen: a) das Militärprytaneum zu La Flêche; es hat 500 Zöglinge außer den Pensionären, meist Söhne unbemittelter Offiziere; Lehrplan etwa der eines Realgymnasiums; b) die Militärschule zu St.-Cyr für Infanterie und Kavallerie, 800 Zöglinge, Kursus zwei Jahre, etwa den deutschen Kriegsschulen entsprechend; c) die polytechnische Schule zu Paris; [* 2] d) die höhere Kriegsschule (École supérieure de guerre), Generalstabsschule, etwa der deutschen Kriegsakademie entsprechend, in Paris; e) die École d'application de l'artillerie et du génie zu Fontainebleau zur fachlichen Ausbildung von Artillerie- und Ingenieuroffizieren, Kursus zwei Jahre; f) die Reitschule zu Saumur, mit welcher eine Tierarzneischule verbunden ist; g) die Unteroffizierschule in St.-Maixent zur Ausbildung von Unteroffizieren für die Beförderung zum Offizier; einjähriger Kursus, 500 Zöglinge; h) durch Gesetz vom ist die Institution der Soldatenkinder bei den Truppen (enfants de troupe) aufgehoben und sind 6 Militärvorbereitungsschulen zu Pézénas, Bagnol sur Cèze, Montreuil sur Mer, Bayeux, Allais und Billaume, mit 5000 Zöglingen, Kursus fünf Jahre vom 13.-18. Jahr, errichtet worden; i) die Administrationsschule zu Vincennes zur Ausbildung von Administrationsoffizieren aus Unteroffizieren, Kursus zehn Monate, Besuch obligatorisch; k) die Normalschule für Gymnastik zu Joinville le Pont; l) die Normalschießschule im Lager [* 3] von Châlons und 4 Regionalschießschulen in den Lagern von Châlons, Ruchard, Valbonne und Blidah; m) eine Zentralschule für Kriegsfeuerwerkerei zu Bourges. Es bestehen ferner bei allen Regimentern Regiments- und bei der Artillerie Brigadeschulen zur Ausbildung von Mannschaften und Unteroffizieren.
Uniformierung. Infanterie: dunkelblauer Dolman mit krapprotem Kragen, dunkelblauen Kragenpatten mit aufgenähter Regimentsnummer, Käppi aus dunkelblauem Tuch mit Regimentsnummer, Gradabzeichen auf jedem Ärmel, rote Beinkleider. Kavallerie: Kürassier dunkelblauer Waffenrock, Dragoner dunkelblauer, Jäger und Chasseur himmelblauer Dolman, Dragoner weißer, Jäger roter, Husar himmelblauer, Chasseur d'Afrique gelber Kragen. Artillerie: dunkelblauer Dolman mit schwarzem Kragen;
Fußartillerie dunkelblaue Kragenpatten, blaues Käppi mit roter Granate.
[Bewaffnung.]
Die Infanterie ist mit dem Gewehr M/74, System Gras (s. Handfeuerwaffen), [* 4] bewaffnet, die Jägerbataillone haben neuerdings ein Repetiergewehr erhalten; die Marineinfanterie führt das Repetiergewehr System Gras-Kropatscheck. Offiziere und Feldwebel führen einen Revolver. [* 5] Der Infanterist trägt 78 Patronen bei sich. Kavallerie: Dragoner, Husaren und Jäger haben den Gras-Karabiner M/74, die Kürassiere sowie die Unteroffiziere und Trompeter der andern Kavallerie den Revolver M/73, Dragoner und Kürassiere einen geraden, Husaren und Jäger einen gekrümmten Säbel mit Messingkorb.
Die Kürassiere tragen einen Küraß. Artillerie: Die fahrenden Batterien der Feldartillerie haben 90 mm, die reitenden 80 mm Geschütze, [* 6] die Gebirgsbatterien solche von 7 cm Kaliber. Von den frühern Feldgeschützen von 95 mm Kaliber erhält jedes Armeekorps 2 Batterien als Positionsartillerie. Die Fußmannschaften der Feldartillerie und die Fußartillerie sind mit dem Gras-Karabiner M/74 ausgerüstet, die berittenen Mannschaften der Feldartillerie mit dem Revolver.
Werkstätten und Fabriken. Geschützgießereien bestehen in Bourges für die Landartillerie und in Ruelle (Charente) für die Marine. Artilleriewerkstätten gibt es zu Mézières, Rennes, Besançon, [* 7] Nevers und Toulouse; [* 8] Feuerwerkslaboratorien in Bourges und Sevran-Livry bei Paris; letzteres vorzugsweise für Marine. Mit dem Laboratorium [* 9] in Bourges ist die pyrotechnische Schule verbunden. Pulverfabriken bestehen in Le [* 10] Bouchet, Le Rigault, St.-Chamas (Rhônemündungen), Angoulême, Esquerdes (Pas de Calais), St.-Médard (Gironde), St.-Ponce (Ardennen), Pont du Buis (Finistère), Sévran und Toulouse;
Salpeterraffinerien zu Paris, Lille, [* 11] Bordeaux [* 12] und Marseille; [* 13]
eine Fabrik für Schießwolle in Moulin blanc, Filiale der Pulverfabrik Pont du Buis;
eine Dynamitfabrik zu Vonges (Côte d'Or).
Gewehrfabriken gibt es zu Paris, Vincennes, St.-Etienne, Maubeuge, Château le Rôle.
[Festungen.]
Die 1871 eingesetzte Landesverteidigungskommission stellte folgende Grundsätze für die zur Sicherung des Landes gegen eine feindliche Invasion zu ergreifenden Maßnahmen auf:
1) Paris ist durch einen zweiten, so weit vorgeschobenen Gürtel [* 14] von Forts zu umgeben, daß es durch ihn vor einem Bombardement, womöglich vor einer Einschließung gesichert wird;
2) die wichtigen Festungen sind, entsprechend der Tragweite der heutigen ¶
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Belagerungsgeschütze, durch detachierte Forts zu verstärken;
3) gegen eine Invasion von O. muß ein neues Befestigungssystem geschaffen werden. Aus den Erfahrungen des Kriegs 1870/71 hatte man die Überzeugung gewonnen, daß es der französischen Heeresverwaltung nicht gelingen werde, Vorkehrungen zu treffen, welche eine gleich schnelle Mobilisierung der Armee gewährleisten, wie sie in Deutschland [* 16] 1870 zur Ausführung kam und bei einem künftigen Krieg ohne Zweifel noch exakter zur Ausführung kommen wird. Danach ist zu erwarten, daß deutsche Heeresmassen die Grenze Frankreichs überschreiten werden, bevor die französische Armee ihnen schlagfertig entgegentreten kann.
Hieraus folgt die Notwendigkeit, die Offensivkraft des Landes durch geeignete Defensivmittel, also durch Befestigungen, zu unterstützen. Dieser Zweck wird erreicht, wenn die Befestigungen die über die Grenze führenden Heerstraßen, vorzugsweise die Eisenbahnlinien, sperren und somit die Lebensadern unterbinden, welche der Invasionsarmee aus dem Heimatsland Lebens- und Streitmittel und Ersatz aller Art zuführen. Aus diesen Erwägungen ging die Anlage der Sperrforts (s. Festung, [* 17] S. 186) nahe der Landesgrenze gegenüber Deutschland, der Schweiz [* 18] und Italien [* 19] hervor.
Bei Verdun [* 20] beginnend, zieht sich die Kette derselben, nur hinter den Vogesen südlich Toul [* 21] bis Epinal eine Lücke zeigend, ununterbrochen fortlaufend bis zur Schweizer Grenze hin. Dieser gegenüber wie auch gegen Italien sind, durch den Charakter des Gebirges bedingt, nur die wichtigen Pässe gesperrt. Als Stützpunkte für die Sperrfortkette dienen die mit Forts umgebenen Festungen Verdun, Toul, Epinal, Belfort, [* 22] Besançon, Lyon, [* 23] Briançon. Man hofft den Feind vor den Sperrforts so lange aufzuhalten, bis die französische Armee ihre Konzentration hinter der obern Mosel vollendet hat.
Sollte aber dem Feind ein vorzeitiger Durchbruch gelingen und die Armee von ihm zurückgedrängt werden, so soll sie hinter einem zweiten Gürtel von Festungen, im S. auf dem Plateau von Langres, geschützt durch die mit Forts umgebenen Festungen Langres, Dijon, [* 24] Besançon, Grenoble, [* 25] Aufnahmestellung finden. Sollte aber eine feindliche Armee durch Belgien [* 26] den Einbruch versuchen, so sollen hier die großen Festungen Lille, Douai, Valenciennes, Maubeuge, Cambrai sowie die Sperrfestung Givet und das Sperrfort bei Hirson den Durchbruch aufhalten.
Ist derselbe dennoch gelungen, so bietet der Festungsgürtel Reims [* 27] (Reims ohne Hauptwall, Fortgürtel 60 km), Soissons, La Fère bis Amiens, [* 28] dazwischen Sperrforts bei Péronne, Ham, Lyon (großartige Fortfestung), eine zweite Barriere. Das Zentrum des Landesverteidigungssystems bildet Paris selbst. Die alte Stadtumwallung mit ihren 94 Bastionen von ca. 33 km Umfang ist stehen geblieben; ebenso bestehen noch die aus der Belagerung von 1870/71 bekannten Forts, deren Unzulänglichkeit sich erwiesen hat.
Weit vor dieselben hinaus ist ein Gürtel von Forts, von denen mehrere kleinen Festungen gleichen, erbaut worden. Der Raum hinter ihnen bietet Armeen Unterkunft. Diese aus 7 Forts erster, 14 zweiter Ordnung sowie 40 Redouten und Batterien bestehende Befestigungslinie (s. Karte bei Paris) hat eine Länge von 124 km, von N. nach S. einen Durchmesser von 34, von O. nach W. von 45 km und umschließt einen Flächenraum von etwa 1200 qkm. Die großen Forts (Palaiseau, Villeneuve, Chelles, Vaujours, Ecouen, Cormeilles und St.-Cyr) haben eine Besatzung von je 1200 Mann und eine Armierung von 60 schweren Geschützen. Frankreich hat 159 Festungen mit etwa 300 Forts, 400 Batterien, 20 Küstenforts [* 29] und 120 Küstenbatterien. [* 30]
Der Verwendung von Brieftauben für Kriegszwecke wird viel Aufmerksamkeit zugewendet. In Paris und Langres sind Zentralstationen, in Mézières, Verdun, Toul, Belfort, Besançon und Lyon Filialstationen für Brieftauben errichtet. Eine Luftschiffahrtsschule ist in Chalais bei Meudon unweit Paris und eine zweite 1885 in Grenoble errichtet. Den Armeen werden Luftschiffertrains für den Gebrauch des Ballon [* 31] captif beigegeben.
[Die französische Kriegsmarine.]
Die Stärke [* 32] des schwimmenden Materials der französischen Marine Mitte 1885 ist aus der folgenden Tabelle ersichtlich (zusammengestellt nach dem »Almanach für die k. k. Kriegsmarine«, Pola [* 33] 1885).
Schiffsart | Fertig | Im Bau | Zusammen |
---|---|---|---|
A. Panzerschiffe¹: | |||
1) Geschwader- (Schlacht-) Schiffe | 27 | 6 | 33 |
2) Gepanzerte Kreuzer | 9 | 3 | 12 |
3) Gepanzerte Küstenverteidiger | 6 | - | 6 |
4) Panzerkanonenboote | 1 | 7 | 8 |
5) Schwimmende Panzerbatterien | 7 | - | 7 |
Zusammen: | 50 | 16 | 66 |
B. Torpedofahrzeuge²: | |||
1) Torpedokreuzer (1260 Ton. Deplacement) | - | 4 | 4 |
2) Torpedo-Avisos (321 Ton. Deplacement) | - | 8 | 8 |
3) Hochsee-Torpedoboote | - | 3 | 3 |
4) Torpedoboote (44 Ton. Depl.) I. Klasse | 18 | - | 18 |
5) Torpedoboote (31-14 T. Depl.) II. u. III. Kl. | 60 | - | 60 |
6) Torpedodepot- und Übungsschiff mit 4 Booten | 1 | - | 1 |
Zusammen: | 79 | 15 | 94 |
C. Kreuzer³: | |||
1) Gedeckte Kreuzer | 11 | 1 | 12 |
2) Glattdeckskreuzer | 40 | - | 40 |
Zusammen: | 51 | 1 | 52 |
D. Avisos: | |||
1) Schraubenavisos | 21 | 4 | 25 |
2) Radavisos | 30 | - | 30 |
3) Transportaviso | 11 | 4 | 15 |
Zusammen: | 62 | 8 | 70 |
E. Kanonenboote: | |||
1) Kanonenboote I. Klasse | 25 | 3 | 28 |
2) Kanonenschaluppen | 37 | - | 37 |
3) Zerlegbare Kanonenschaluppen4 | 14 | - | 14 |
Zusammen: | 76 | 3 | 79 |
Frankreich Transportfahrzeuge: | |||
1) Schraubenschiffe | 30 | 2 | 32 |
2) Segelschiffe | 21 | - | 21 |
Zusammen: | 51 | 2 | 53 |
Insgesamt: | 369 | 45 | 414 |
¹ Sämtliche Schlachtschiffe führen Fischtorpedos, die gepanzerten Kreuzer 2 Schlepptorpedos. Beide Schiffsklassen führen je 2 Torpedoboote, die Küstenverteidiger je ein Torpedoboot an Deck. Die stärksten dieser Schiffe, [* 34] Formidable und Admiral Baudin, von je 11,441 To. Deplacement, 55 cm größter Panzerstärke, sind armiert mit je drei 37 cm Hinterladerkanonen von 75 Ton. Gewicht. - ² Die Torpedokreuzer haben je 5, die Avisos je 2 Überwasserlancierapparate. - ³ Sämtliche Kreuzer führen 2 Schlepptorpedos, die gedeckten je 2, die Glattdeckskreuzer je ein Auslegetorpedoboot an Bord.-
4 Die zerlegbaren Kanonenschaluppen wurden zum Gebrauch auf Flüssen für den Krieg in Tongking [* 35] gebaut. Außer den in vorstehender Tabelle Aufgeführten Schiffen sind noch mehr als 200 Segelschiffe für den Hafendienst, als Werkstätten-, Lazarett- etc. Schiffe, vorhanden.
Ludwig XIV. hinterließ 1715 eine Flotte von 150 Segeln, welche, von kleinern Schiffen abgesehen, bis 1779 auf 89 Linienschiffe und 60 Fregatten wuchs. Bei Beginn der Revolution waren 81 Linienschiffe, ¶
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86 Fregatten und 148 kleinere Kriegsschiffe mit zusammen 14,000 Kanonen und einer Bemannung von 78,000 Mann vorhanden. Beim Beginn des Krimkriegs verfügte Frankreich über eine Flotte von 252 Segelschiffen und 112 Dampfern. Dieser Krieg gab Napoleon III. Veranlassung zum Bau gepanzerter schwimmender Batterien, welche sich beim Bombardement von Kinburn so bewährten, daß sie zum Bau der ersten gepanzerten Fregatte, Gloire, welche 1858 vom Stapel lief, Veranlassung wurden. Im J. 1861 verfügte die französische Kriegsmarine bereits über 20 Panzerschiffe. [* 37] Frankreich hat großes Verdienst um die Entwickelung des Baues von Panzerschiffen.
Die Küste Frankreichs ist gegenwärtig in fünf Bezirke und die Marine dementsprechend in fünf Marinedivisionen geteilt, davon je eine in den fünf Kriegshäfen Cherbourg, [* 38] Brest, Lorient, Rochefort u. Toulon. [* 39] An der Spitze der Kriegsmarine steht der Marineminister, ihm zur Seite ein Kabinettschef und ein Admiralsrat (conseil d'amirauté). Das Personal besteht aus etwa 32 Vizeadmiralen, 50 Konteradmiralen, 110 Kapitänen zur See, 240 Fregattenkapitänen, 700 Leutnants und 490 Schiffsfähnrichen. Diesem Offizierkorps entspricht ein Mannschaftsstand von 47,000 Mann, darunter 28,000 Mann an Bord.
Vgl. v. Pfister, Das französische Heerwesen (2. Aufl., Kassel [* 40] 1877);
Jähns, Das französische Heer von der großen Revolution bis zur Gegenwart (Leipz. 1873);
Dussieux, L'armée en France, histoire et organisation (1884, 3 Bde.);
v. Busse, Die Heere der französischen Republik 1870-71 (Hannov. 1874);
Duc d'Aumale, Les institutions militaires de la France (Brüss. 1867);
Vinoy, L'armée française (Par. 1873);
»Frankreichs Kriegsbereitschaft, eine Studie« (3. Aufl., Berl. 1884);
»Die Befestigung und Verteidigung der deutsch-französischen Grenze« (das. 1879);
»Frankreichs Landesbefestigung« (Bd. 88 des »Archivs für die Artillerie- und Ingenieuroffiziere des deutschen Reichsheers«, das. 1881);
Obermair, Die Befestigungen Frankreichs (das. 1886);
»Registrande des Großen Generalstabs« (das. 1875 ff.);
v. Löbell, Jahresberichte (das. 1874 ff.);
Chassériau, Précis historique de la marine française (1876);
J. Delabarre ^[richtig: Jules Delarbre], La marine militaire de la France, organisation et administration (1877);
v. Kronenfels, Das schwimmende Flottenmaterial der Seemächte (Wien [* 41] 1881);
Derselbe, Die Kriegsschiffbauten 1881-82 (das. 1883).
Kolonien.
Die außereuropäischen Besitzungen der Krone Frankreich waren vor der Revolution von 1789 weit ansehnlicher als jetzt. Die bedeutendste derselben ist jetzt Algerien [* 42] (s. d.) mit einem Flächeninhalt von 667,065 qkm (12,115 QM.) und (1881) 3,310,412 Einw. Eigentliche Kolonien (unter dem Marineministerium stehend) sind in Asien: [* 43] Ponditscherri, Tschandarnagar, Karikal, Mahé und Janaon in Indien mit 508 qkm (9,24 QM.) und (1882) 273,283 Einw., das französische Kochinchina mit 59,800 qkm (1086 QM.) und (1882) 1,642,185 Einw., Kambodscha mit 83,860 qkm (1523 QM.) und 1,500,000 Einw. und Tongking mit 90,000 qkm (1634 QM.) und 9 Mill. Einwohnern;
in Afrika: [* 44] Senegal und Gabun mit 700,000 qkm (12,710 QM.) und 4 Mill. Einw., Obok mit 10,000 qkm (181 QM.) und (1884) 22,370 Einw., die Insel Réunion mit 2512 qkm (45,6 QM.) und (1882) 170,518 Einw., die Inseln Mayotta, Nossi Bé und Ste.-Marie mit 824 qkm (14,9 QM.) und (1882) 28,726 Einw.;
in Amerika: [* 45] St.-Pierre und Miquelon mit 235 qkm (4,3 QM.) und (1882) 5554 Einw., Martinique und Guadeloupe mit Dependenzen mit 2858 qkm (51,9 QM.) und (1882) 364,884 Einw., Französisch-Guayana mit 121,414 qkm (2205 QM.) und (1882) 24,656 Einw.;
in Ozeanien: [* 46] Neukaledonien [* 47] und Dependenzen mit 19,950 qkm (362 QM.) und (1884) 60,703 Einw. und Tahiti [* 48] nebst Dependenzen mit 3658 qkm (66 QM.) und (1884) 25,050 Einw. Schutzstaaten sind in Asien: das Königreich Anam mit 275,300 qkm (5000 QM.) und 6,045,000 Einw.;
in Afrika: Tunis mit 116,348 qkm (2113 QM.) und 1,500,000 Einw. Die auswärtigen Besitzungen Frankreichs (s. Karte »Kolonien«) [* 49] beziffern sich sonach:
Besitzungen | QKilom. | QMeilen | Einwohner |
---|---|---|---|
Algerien | 667065 | 12115 | 3310412 |
Kolonien | 1096010 | 19903 | 17117929 |
Schutzstaaten | 391648 | 7113 | 7545000 |
Zusammen: | 2154723 | 39131 | 27973341 |
Die Nationalfarben und die Flagge Frankreichs sind Weiß, Rot und Blau (Trikolore). Die Oriflamme (s. Fahne) dient seit Karl VII. nicht mehr als Reichspanier. Das alte bourbonische Wappen [* 50] bildeten zwei zusammengeschobene Schilde, auf dem rechten blauen drei goldene Lilien. [* 51] Während der Revolution wichen die drei Lilien dem gallischen Hahn [* 52] und unter Napoleon I. dem goldenen, auf Blitzen fahrenden Adler; [* 53] mit der Restauration kehrten sie zurück, wurden aber nach der Julirevolution abgeschafft. Napoleon III. brachte den Adler wieder ins Wappen zurück. Gegenwärtig enthält das Wappen eine die Republik darstellende allegorische [* 36] Figur. Der einzige Orden [* 54] in Frankreich ist der Orden der Ehrenlegion (s. d.). S. die Tafeln »Flaggen«, [* 55] »Orden«, »Wappen«.
Litteratur.
Vgl. für die Geographie: »Dictionnaire topographique de la France« (auf Veranlassung des Unterrichtsministeriums herausgegeben; jedes Departement bildet einen Band, [* 56] 1861 ff.);
Gindre de Mancy, Nouveau dictionnaire complet des communes de la France, etc. (5. Ausg. 1874);
Joanne, Dictionnaire géographique, administratif etc. de la France (3. Aufl. 1886);
Derselbe, Géographies départementales de la France (87 Bdchn.);
Maltebrun, La France et ses colonies (Par. 1857);
Derselbe, La France illustrée (neue Ausg. 1879 ff.);
Cortambert, Géographie physique et politique de la France (zuletzt 1886);
Reclus, La France (1877, Bd. 2 der »Géographie universelle«);
Levasseur, Précis de la géographie de la France et de ses colonies (1886);
Heuzé, La France agricole (mit 46 Karten, 1875, offiziell);
Hillebrand, und die Franzosen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts (3. Aufl., Berl. 1879);
Hellwald, in Wort und Bild (Leipz. 1884 ff.);
Vignon, Les colonies françaises (1885);
Rambaud, La France coloniale (das. 1886);
Lebon, Das Staatsrecht der französischen Republik (Freiburg [* 57] 1886);
Voisin-Bey, Die Seehäfen Frankreichs (deutsch, Leipz. 1886);
die offizielle »Statistique de la France«; »Annuaire statistique de la France« (seit 1878);
Block, Dictionnaire de l'administration française (2. Aufl. 1875-79, mit jährlichen Supplementen) und den jährlich erscheinenden »Almanach national« (Staatshandbuch).
Kartenwerke (Spezialkarten): Cassini, Carte topographique de la France (1:86,400, Par. 1744-1793, in 182 Bl.);
»Carte de la France« (1:80,000, das. 1818-82, in 267 Bl.; offiziell vom Depot de la guerre);
seit 1881 wird eine neue Ausgabe dieser ¶
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Karte im Maßstab [* 59] 1:50,000 in 950 Bl. vorbereitet; »Carte de France dressé par le service vicinal« (1:100,000, offiziell vom Ministerium des Innern, etwa 120 Sektionen erschienen); die »Carte de la France« (im Maßstab 1:320,000 in 33 Bl., 1852-1881). - Generalkarte von Vogel (1:1,500,000, in Stielers »Handatlas«, 4 Bl.);
Leuzinger, Physikalische und geographische Karte von Frankreich (1:2,000,000, Bern [* 60] 1880);
Levasseur, France au 600,000 (12 Bl., Par. 1878) - Höhenschichtenkarten: Carte du nivellement général de la France (1:800,000, 1872, 6 Bl.);
H. Pigeonnot und Frankreich Drivet, Carte hypsométrique de la France (1:800,000, 1877, 9 Bl.). - Dufrénoy und Elie de Beaumont, Carte géologique et minéralogique de la France (1:500,000, 1841, 2. Ausg. 1855, 6 Bl. mit 2 Bdn. Text). Für die Topographie ist Joanne, Atlas [* 61] de la France 2. Aufl. 1872, 95 Bl.), von Wert.
Geschichte Frankreichs.
Am Ende des 5. Jahrh. n. Chr. gründete der westdeutsche Stamm der Franken in Gallien (s. d.) das Frankenreich (s. d.), welches sich durch Eroberung allmählich über die meisten deutschen Stämme Mitteleuropas ausdehnte. Dieses Frankenreich war insofern noch ein deutsches, als seine Könige nach deutschen Gesetzen und Sitten lebten, Deutsch die Sprache [* 62] ihres Hofs blieb, während allerdings die Masse des Volkes in Gallien romanisiert war. Eine besondere Existenz erlangte das alte Gallien erst wieder durch die Teilung, welche die Enkel Karls d. Gr., die Söhne Ludwigs des Frommen, 843 zu Verdun mit dem Reich ihrer Ahnen vornahmen.
Während der zweite Sohn, Ludwig, die fränkischen Besitzungen östlich vom Rhein, der älteste, Lothar, Italien und die Länder erhielt, welche östlich von Reuß [* 63] und Rhein, westlich von Rhône, Saône und Maas begrenzt wurden, fiel das Frankenland westlich von diesen letztern drei Flüssen (auch das Gebiet zwischen Pyrenäen und Ebro gehörte dazu) als Westfranken dem jüngsten Bruder, Karl dem Kahlen, anheim. Damit beginnt die gesonderte Geschichte des westfränkischen Reichs, des eigentlichen Frankreich. Die Bevölkerung [* 64] desselben war keineswegs eine gleichartige; es bestanden in ihr Unterschiede, welche für die gesamte französische Geschichte von Wichtigkeit geblieben sind.
Den Grundstock derselben bildeten die unter der römischen Herrschaft mit römischen Elementen durchmengten und romanisierten Kelten, neben denen im Südwesten Basken, im Nordwesten, in der Bretagne, nicht romanisierte Kelten wohnten. Aber während nördlich von der Loire die in großer Menge einwandernden Franken eine bedeutende Einwirkung aus Wesen und Art der Bevölkerung ausübten, blieb in den Gegenden südlich von der Loire, wo die Franken erst später erschienen waren und sich nur in sehr geringer Anzahl niedergelassen hatten, das galloromanische Element in fast unvermischter Reinheit fortbestehen. In Sprache, Sitte und Rechtsleben unterschieden sich daher Nord- und Südfranzosen, die einander viele Jahrhunderte lang bei weitem schroffer gegenüberstanden als je die Nord- und Süddeutschen.
Aus dem fränkischen Idiom der Sieger und dem verderbten lateinischen Dialekt der Gallier entwickelte sich nun eine neue Sprache, die französische, in welcher freilich die gewandtere, feinere und genauere Redeweise der geistig überlegenen Galloromanen überwog. Das erste litterarische Zeugnis, das wir von der französischen Sprache besitzen, stammt aus dem Jahr 842, also gerade aus dem Zeitraum, wo ein besonderes Frankreich zuerst in der Geschichte erscheint.
Frankreich unter den Karolingern (843-987).
Zunächst befand sich Westfranken unter der Herrschaft der Nachkommen Karls d. Gr., der Karolinger, in sehr trüben Zuständen. Die großen Vasallen hatten in dem Krieg der drei Söhne Ludwigs des Frommen gegeneinander die Macht an sich gerissen und betrachteten den Staat als ihre Beute. Sie stürzten sich auf das Besitztum der kleinen Freien und der Kirchen und rissen es an sich, wie es ihnen gefiel. Das Königtum stand machtlos in dieser allgemeinen Verwirrung; wenn es nicht ganz zu Boden gerissen wurde, so hatte es dies lediglich dem Übermaß des Übels selbst zu danken: die großen Vasallen waren so egoistisch, so roh und einander so feindlich, daß sie sich nicht einmal zu Schritten wider ihren gemeinschaftlichen Gegner, das Königtum, zu vereinigen vermochten.
Karl (II.) der Kahle (843-877), obwohl nicht ohne Begabung und voll Ehrgeiz, vermochte die innere Zerrüttung nicht zu bemeistern, zumal er auch durch die alljährlich wiederholten Raubanfälle der Normannen und der Sarazenen zu leiden hatte. Bordeaux, Paris, Nantes, [* 65] Angers, Orléans [* 66] und viele andre große Städte des Landes wurden von den Normannen geplündert und niedergebrannt. Der Süden Frankreichs zwischen Loire und Pyrenäen, Aquitanien, machte sich völlig unabhängig von dem König in Paris, ebenso die Bretagne. Je weniger Karl den eignen Besitz behaupten konnte, desto eifriger strebte er aber nach fremdem.
Nach dem Tod seines Neffen Lothar II. teilte er ohne Rücksicht auf den rechtmäßigen Erben dessen Land, Lotharingien (Lothringen), mit seinem Bruder Ludwig dem Deutschen in dem Vertrag zu Mersen (870): Ourthe, Maas und Jura wurden die Grenzen [* 67] Westfrankens gegen Ostfranken oder Deutschland. Ebensowenig Bedenken trug er, bei der Erledigung des Kaisertums 875 dasselbe seinem ältern Bruder, Ludwig, vorwegzunehmen, indem er nach Rom [* 68] eilte und sich dort vom Papst Johann VIII. die Kaiserkrone aufsetzen ließ.
Ja, als im nächsten Jahr Ludwig der Deutsche [* 69] starb, wollte Karl sich auch Ostfrankens bemächtigen, wurde aber von dessen Sohn Ludwig dem Jüngern bei Andernach aufs Haupt geschlagen (Oktober 876), sogar 877 aus Italien vertrieben und starb auf der Flucht in einer Hütte am Fuß des Mont Cenis. Seine Nachfolger, Ludwig II. (»der Stammler«, 877-879), Ludwig III. (879-882) und Karlmann (882-884), konnten den trotzigen Großen gegenüber um so weniger Einfluß üben, als ein früher Tod (das Zeichen erschöpfter Lebenskraft in der karolingischen Dynastie) sie alle wegraffte.
Inzwischen hausten die Normannen furchtbarer denn je. In ihrer Verzweiflung riefen 884 die westfränkischen Großen den Kaiser und König von Ostfranken, Karl den Dicken, auch zu ihrem Herrscher aus. Indes hatte diese neue Vereinigung des großen fränkischen Reichs keinen Bestand; denn als Karl der Dicke die Paris belagernden Normannen, anstatt sie zu bekämpfen, schmachvollerweise mit Geld zum Abzug bewog, wurde er 887 auf dem Reichstag zu Tribur abgesetzt; die zwei fränkischen Reiche trennten sich von neuem, und jedes ging fortan seinen eignen Weg. Damals sagten sich die Beherrscher von Niederburgund oder der Provence und von Oberburgund von der Herrschaft der Karolinger los und stifteten eigne Königreiche. In Westfranken selbst übergingen die Großen den einzigen noch lebenden Sohn Ludwigs II., Karl, und setzten dafür den tapfern Grafen Odo von Paris zum König ein, welcher der Enkel eines in Frankreich angesiedelten Sachsen, [* 70] Witichin, und der ¶
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Sohn Roberts des Tapfern war, dem Karl der Kahle das Land zwischen Seine und Loire zum Lehen gegeben hatte. Odo vermochte indes nicht zu ruhigem Genuß seiner Herrschaft zu kommen. Einerseits hielt die Kirche fest an der legitimen Dynastie der Karolinger, die sich ihr stets ergeben gezeigt hatte, und anderseits wollten die Großen nicht auf die Länge die Obergewalt eines Mannes ertragen, der aus ihrer eignen Mitte hervorgegangen war. Als Karl III., der später den unverdienten Beinamen des »Einfältigen« erhalten hat, herangewachsen war, wußte er sich an der Spitze einer starken Partei gegen Odo zu behaupten und erlangte nach dessen Tod (898) die unbestrittene Herrschaft. Um Ruhe vor den Normannen zu erhalten, trat er deren kriegerischem Führer Hrolf Gangr das Gebiet der untern Seine als westfränkisches Lehen ab (912), nachdem derselbe sich bereit erklärt hatte, zum Christentum überzutreten; Hrolf wurde unter dem christlichen Namen Robert der erste Herzog der Normandie.
Diese Festsetzung der Normannen im nördlichen Frankreich war ein überaus glückliches Ereignis. Die Raubzüge der Normannen in den fränkischen Provinzen nahmen damit ein Ende, und in den letztern konnte man sich wieder ungestört den Geschäften des Friedens widmen. Mit überraschender Leichtigkeit aber nahmen jene skandinavischen Germanen die Sprache und die Anschauungen ihrer westfränkischen Nachbarn und Unterthanen an; mit der Energie, die sie bei allen ihren Unternehmungen zeigten, verwandelten sie sich aus Germanen in Romanen und aus den unerbittlichen Feinden der christlichen Religion in deren begeisterte Vorkämpfer.
Auch Karl III., dessen eignes Gebiet nur in der Umgebung von Laon und einigen durch das ganze Reich zerstreuten Domänen bestand, vermochte auf die Länge nicht, die verräterischen Vasallen im Zaum zu halten. Er wurde geschlagen (923) und durch Hinterlist eingekerkert, bis der Schmerz über seine Gefangenschaft 929 seinem Leben ein Ende machte. Nach einer Schattenherrschaft des Herzogs Rudolf von Französisch-Burgundien folgte der nach England geflüchtete und deshalb »der Überseeische« (d'Outremer, Ultramarinus) genannte Sohn Karls III., Ludwig IV., 936. Derselbe war aber nur ein Werkzeug in der Hand [* 72] Hugos d. Gr., des Nachkommen des Königs Odo, welcher das ganze Land zwischen Aisne und Loire als Herzogtum Francien und dazu noch das französische Herzogtum Burgundien beherrschte.
Als Ludwig IV. Miene machte, sich auf eigne Füße zu stellen, rettete nur die Dazwischenkunft seines Schwagers, des mächtigen deutschen Königs Otto I., ihn vor der Rache des übermütigen Hugo. Unter Ottos Schutz folgte auf Ludwig IV., 954 dessen 13jähriger Sohn Lothar III., dessen Regierung ruhig, aber auch machtlos war, und diesem 986 sein Sohn Ludwig V., der wegen seiner kurzen, thatenlosen Regierung »der Faule« (le Fainéant) genannt wird, aber schon 987, noch nicht 20 Jahre alt, starb. Es war jetzt nur noch ein einziger Karolinger übrig, Lothars III. Bruder Karl, der aber als Herzog von Niederlothringen deutscher Vasall war. Dies benutzte der Sohn Hugos d. Gr., Herzog Hugo von Francien, mit dem Beinamen Capet (Kapuze), um mit Hilfe seines Bruders, des Herzogs Heinrich von Burgund, und des Erzbischofs Adalbert von Reims sich von den Großen die Königskrone zu erwirken. Ein Versuch Karls, ihm dieselbe zu entreißen, scheiterte; Karl und sein Sohn beschlossen ihre Tage im Kerker. Damit endete die unglückliche Herrschaft der westfränkischen Karolinger.
Die Herrschaft der direkten Linie der Capetinger (987-1328).
So gelangte 3. Juli 987 die Dynastie der Kapetinger auf den französischen Thron, [* 73] den sie in verschiedenen Linien bis zur großen Revolution behauptet hat, eine Dynastie deutscher Abstammung ebenso wie die Karolinger. Aber das westfränkische Volk war inzwischen vollständig romanisiert. Während im Innern des Reichs die verschiedenen Stämme sich zu einer nördlichen und einer südlichen Einheit verschmolzen hatten, waren von germanischem Wesen nur geringe Spuren in der Sprache übriggeblieben.
Als Staat befand sich Frankreich allerdings in völligster Zerrüttung. Der Süden hatte sich von der königlichen Gewalt fast völlig losgerissen; auch im mittlern und nördlichen Teil wollten die großen Vasallen die Oberlehnshoheit der Krone nur noch der Form nach anerkennen. Den politischen Zerfall Frankreichs verhindert, es neu organisiert und allmählich fast alle französisch redenden Gebiete des alten Frankenreichs zu Einem Staat vereinigt und so die französische Nation eigentlich erst geschaffen zu haben, das ist das Verdienst des kapetingischen Herrscherhauses.
Das Reich Hugo Capets wurde nach dem unmittelbaren Besitztum desselben France, Frankreich, seine Unterthanen Franzosen genannt. Indessen mußte Hugo erkennen, daß anfangs seine Macht durch das Königtum nicht verstärkt, sondern lediglich vermindert war. Zunächst benutzten die Aquitanier die Beseitigung der legitimen Dynastie, um abermals von dem König von Francien abzufallen und sich den Franzosen feindselig gegenüberzustellen. Aber auch im Norden [* 74] kümmerten sich die Herzöge und Grafen wenig um den König, Kämpfe und Empörungen erschütterten unausgesetzt das Reich.
Nur durch Nachgeben, Schenkungen, Anerkennung der vollendeten Thatsachen vermochte Hugo sich zu behaupten und durch vorsichtiges, aber konsequentes Festhalten an der Oberlehnsherrlichkeit der Krone dieser allmählich eine moralische Macht zu verschaffen. Die Befestigung der Dynastie auf dem Thron und die Anerkennung der Erblichkeit der Monarchie in Frankreich beförderten die Kapetinger ferner dadurch, daß die ersten Könige noch bei Lebzeiten den zur Thronfolge bestimmten Sohn krönen ließen und zum Mitregenten annahmen, wobei das Glück sie auffallend begünstigte.
Fast nie hinterließ ein König einen unmündigen Sohn, nie war die Thronfolge zweifelhaft, so daß nie ein verderblicher Erbstreit entstand und die Großen des Reichs nie in Versuchung kamen, ein Wahlrecht auszuüben. Indem die Könige nicht nach fernen Reichen und Eroberungen trachteten, sondern nur auf die Interessen ihrer Dynastie und ihres Landes bedacht waren, erwarben sie sich das Vertrauen der friedlichen Stände, der Geistlichkeit und der Städte, und vermochten die königliche Autorität über die Vasallen mehr und mehr zu verstärken.
Hugo Capet starb schon 996, und ihm folgte ohne alle Anfechtung sein schon mehrere Jahre zuvor von den Großen anerkannter und gekrönter Sohn Robert (996-1031), der seine Zeit mit dem Lesen der heiligen Schriften und der Abfassung von Meßbüchern verbrachte und in mönchischer Zurückgezogenheit lebte, aber mit den großen Vasallen in gutem Einvernehmen stand. Auch behauptete er das Herzogtum Burgund nach dem kinderlosen Tod seines Oheims Heinrich für das kapetingische Haus, indem er es seinem dritten Sohn, Heinrich, verlieh. Dasein ältester Sohn, Hugo, vor ihm starb, der zweite, Odo, geistesschwach war, so ließ er 1027 den dritten Sohn in Reims ¶
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krönen, und dieser folgte ihm als Heinrich I. (1031-1060). Die Regierung desselben war durch manche Kämpfe mit Verwandten und Vasallen beunruhigt und daher erfolglos. Nur hatte der König das Glück, 1059, ein Jahr vor seinem Tode, die Krönung seines Sohns in Anwesenheit der Häupter des Klerus und des Adels feiern zu können. Dieser, Philipp I. (1060-1108), war von zügellosen Sitten und zog sich durch sein anstößiges eheliches Leben den Bann der Kirche zu. Von allen ritterlichen Unternehmungen hielt er sich fern und nahm auch nicht am ersten Kreuzzug teil, welchem sich die meisten französischen Großen anschlossen. Wurde hierdurch das Königtum von manchem unbotmäßigen Vasallen befreit, so erwuchs eine schwere Gefahr für die französische Monarchie infolge der Eroberung Englands durch Herzog Wilhelm von der Normandie (1066), da nun der mächtigste französische Vasall eine unabhängige Königskrone trug.
Die Zeit größerer Kraft [* 76] und stärkern Einflusses begann für das französische Königtum erst, als Philipp I., durch die Last der Jahre und seiner Unfähigkeit niedergedrückt, 1101 seinen Sohn Ludwig zum Mitregenten berief und dieser 1108 auf dem Thron folgte. Ludwig VI. (»der Dicke«, 1108-37) war lebhaft, mutig, von klarem Urteil und scharfem Blick für das Richtige und Angemessene. Er strebte zwar noch nicht die Unterwerfung seiner großen Vasallen unter den königlichen Willen an, aber in seiner unmittelbaren Umgebung, in den königlichen Domänen Isle de France und Orléanais, Sens und Bourges, wollte er Herr sein, wollte er die Kirche und das niedere Volk, die bisher schutzlos dem Wüten raubgieriger Burgherren preisgegeben waren, in ihren Rechten und ihrem Eigentum schützen.
Während der rohe und übermütige Adel immer zahlreicher nach dem Heiligen Land auswanderte und die Normannen ihre Politik und ihre Kräfte auf England wandten, dehnte unter Ludwigs Leitung das königliche Haus im engen Bund mit der Kirche, welche die weltlichen Großen sehr zu fürchten hatte, unter beständigen kleinen Kämpfen seinen Einfluß über das Zentrum Frankreichs aus. Er begünstigte die Städte durch so zahlreiche und ausgiebige Privilegien, daß man ihn vielfach als den Begründer der städtischen Freiheit in Frankreich preist.
Aber auch das bisher in dumpfer Knechtschaft verkommene Landvolk durchzog ein freierer und kühnerer Geist. Zugleich lernte es den König als seinen eigentlichen Herrn und Führer, seinen Verteidiger und Wohlthäter betrachten. Das Gefühl der durch das Königtum repräsentierten Reichseinheit machte sich immer mehr in den Gemütern des Volkes geltend. Mit Hilfe solcher Bundesgenossen zwang Ludwig VI. seine trotzigen Lehnsträger zum Gehorsam, und bald sah man sie auf des Königs Aufgebot mit ihren Mannen zu dessen Heere reiten. Als der deutsche Kaiser. Heinrich V. den französischen König mit einem Krieg bedrohte, scharten sich Große, Ritter und Volk wetteifernd in Reims um das königliche Banner (1124), so daß der Kaiser sein Vorhaben aufgab. Am Ende seines Lebens genoß Ludwig VI. noch den Triumph, seinen ältesten Sohn, Ludwig, mit Eleonore, der einzigen Tochter und Erbin des Herzogs Wilhelm X. von Aquitanien, vermählt zu sehen. Bald darauf starb Ludwig VI. nach einer Regierung, welche dem Königtum wesentlich festere Grundlagen verliehen hatte.
Sein Nachfolger Ludwig VII. (1137-80), abergläubisch fromm und unentschlossen, bald wild leidenschaftlich, bald apathisch, unternahm 1147, um die grausame Züchtigung der aufrührerischen Champagne zu sühnen, gemeinsam mit dem deutschen König Konrad III. einen Kreuzzug nach Palästina, [* 77] welcher erfolglos blieb. Er überließ dem klugen und thatkräftigen Abt Suger von St.-Denis, der schon seinem Vater zur Seite gestanden, während seiner Abwesenheit die Verwaltung des Reichs, und dieser kräftigte durch Förderung der Städte und durch Erhöhung des Ansehens und der Macht der königlichen Gerichte die königliche Gewalt.
Alle bisherigen Erfolge wurden aber wieder gefährdet, als Ludwig sich von seiner sittenlosen Gemahlin Eleonore von Aquitanien trennte und es zuließ, daß diese ihr Erbgut, die Provinzen Poitou, Guienne, Gascogne u. a., ihrem zweiten Gemahl, Heinrich Plantagenet, der 1154 König von England wurde, zubrachte. Dadurch kam ein großer Teil Frankreichs (27 der jetzigen Departements) unter englische Herrschaft. Ludwigs Besitz war nicht halb so groß als der des englischen Königs, der ihn 1169 im Vertrag von Montmirail noch zwang, ihm Quercy und Bretagne abzutreten. So ungünstig auch bei dem Tod Ludwigs VII. anscheinend die Sache der Kapetinger den Plantagenets gegenüberstand, so hatten doch jene einen mächtigen Rückhalt an dem Begriff ritterlicher Treue, der sich allmählich in dem ganzen Adel entwickelt hatte, sowie an der festen Anhänglichkeit der zahlreichen und wohlbegüterten Städte und der geknechteten, nur vom Königtum geschützten Bauern.
Während so die königliche Autorität langsam unter vielfachen Wandlungen erstarkte, nahmen Bildung und Geistesthätigkeit bedeutend zu, angeregt durch die Berührung mit der höhern orientalischen Kultur in den Kreuzzügen. Diese erfüllten die kriegerischen Klassen mit idealem Enthusiasmus und zugleich mit Vorliebe für das Abenteuerliche und Gefährliche. In F., das sich ja mehr als alle andern Nationen an den Kreuzzügen beteiligte, erhielt dieses »Rittertum« seine erste Ausbildung und entfaltete hier seine höchste Blüte; [* 78] auch die ritterliche Poesie entstand auf französischem Boden. In den Städten erfand man die sogen. gotische Architektur, die, von den reichen Bürgern eifrig gepflegt, die herrlichsten Bauwerke des Mittelalters hervorbrachte und sich siegreich über das ganze Abendland verbreitete. So herrschte im F. des 12. Jahrh. außerordentliche Rührigkeit, Frische und Fruchtbarkeit des geistigen Lebens.
Der Sohn Ludwigs VII., Philipp II. (»Augustus«, d. h. Mehrer des Reichs, 1180-1223), der 1180, 15 Jahre alt, den französischen Thron bestieg, war ein hochbegabter Fürst, von klarer Einsicht, besonnen, energisch, sparsam, nüchtern und schlau, freilich auch hart, habgierig und treulos. Er erkannte bald, daß die französischen Könige vor allem danach streben müßten, die Macht des Hauses Plantagenet in Frankreich zu brechen und die französischen Besitzungen desselben an sich zu bringen.
Solange fremde Herrscher von größerer Macht als der König von Frankreich dessen Vasallen waren, konnte der französische König nicht die Unterordnung der Lehnsmannen unter seine Gewalt erreichen. Die Empörungen der Söhne Heinrichs II. gegen den Vater, dann ihr Zwist untereinander begünstigten Philipps Politik. 1189 mußte Heinrich Berry und Auvergne an die französische Krone abtreten. Der Beteiligung am dritten Kreuzzug konnte sich Philipp nicht entziehen. Aber sofort nach der Eroberung von Akka kehrte er nach Frankreich zurück und benutzte die lange Abwesenheit Richards von seinem Reich, dessen treulosen Bruder Johann durch das Versprechen, ihm zum englischen Thron zu verhelfen, zur Abtretung des östlichen Teils der Normandie und ¶