Außerdem lieferte er noch zahlreiche Porträtmedaillons
und
Büsten. Als
Maler kultivierte er das
Porträt und das Historienbild in
Öl, Aquarell und Pastell. Als
Architekt führte er
mehrere Grabmonumente aus. Er veröffentlichte: »Essai sur le beau« (Par. 1851);
(Äthelred), 1) EthelredI., König von
England 866-871, kämpfte unglücklich gegen die
Dänen,
die in
Ostangeln festen
Fuß gefaßt, sich
Yorks und
Nottinghams bemächtigt hatten und das ganze
Königreich zu unterjochen drohten,
und starb an einer im
Treffen gegen sie erhaltenen
Wunde23. April 871.
2) Ethelred II., »der Unberatene«, König von
England 978-1016. Unter seiner schwachen
Regierung hatte das
Reich
beständig durch die Verheerungen der
Wikinger zu leiden, gegen welche Ethelred sich vergeblich durch Bezahlung des sogen.
Dänengeldes zu schützen suchte. Zugleich griffen
Willkür der
Großen und allgemeine
Gesetzlosigkeit um sich. Nachdem Ethelred die
Tochter des normännischen
HerzogsRichard I.,
Emma, geheiratet, hielt er sich einige Zeit in der
Normandie
auf und ließ nach seiner Rückkehr in der
Nacht vom sämtliche in
England befindliche
Dänen ermorden. Die
Folge
davon waren neue Einfälle der
Dänen unter König Sven, vor welchem Ethelred aufs neue in die
Normandie flüchtete. 1014, nach Svens
Tod, zurückgekehrt, vertrieb er dessen Sohn
Knut auf kurze Zeit, starb aber in erneutem
Kampf gegen denselben
worauf
Knut als König von
England anerkannt wurde.
(grch.), als philosophische
Wissenschaft s. v. w.
Sittenlehre
(Moral- oder praktische
Philosophie), ist mit der
nicht selten mit dem gleichen
Namen belegten Sittenkunde (Moralitätslehre; moralische
Statistik) so wenig
zu verwechseln wie der Ethiker (Moralphilosoph) mit dem
Moralisten (Menschenkenner).
Letztere handelt von den
Sitten, wie sie
sind (sie seien lobens- oder tadelnswert), die Ethik dagegen von den
Sitten, wie sie sein sollen. Jene ist eine beschreibende,
diese eine vorschreibende
Wissenschaft.
Dasjenige, was sie vorschreibt, ist das
Gute, das (sittliche)
Ideal des
Wollens; derjenige, dem sie es vorschreibt, ist der
menschliche (Einzel- oder gesellschaftliche)
Wille; diese Vorschrift selbst ist das (oberste)
Sitten- (oder
Moral-)
Gesetz (s. d.).
In der (durch den
Willen) vollzogenen Verwirklichung des (sittlichen)
Ideals besteht das (einzige wahre)
sittliche
Gut, in dem
Gehorsam gegen das (sittliche)
Gebot die (sittliche)
Pflicht, in der Dauerhaftigkeit und (weder durch
Hoffnung
auf
Lohn noch durch
Furcht vor
Strafe beeinflußten) Freiwilligkeit des letztern die (sittliche)
Tugend. Wird das Willensideal
autoritativ durch den
Inhalt einer (wahren oder vermeintlichen) göttlichen
Offenbarung (des
Heiden-,
Juden-, Christen-
oder Mohammedanertums) bestimmt, so entsteht die positive (heidnische, jüdische, christliche oder islamitische) Ethik; wird
dasselbe durch eigne unabhängige
Vernunft- oder empirische Forschung erkannt, so entsteht die philosophische Ethik
(Moral, praktische
Philosophie).
Letztere muß, wenn sie
¶
Das sittliche Ideal selbst läßt sich entweder so darstellen, daß dem Wollen ein gewisser Gegenstand als begehrenswert (als
ein Gut), oder so, daß ihm, sei es eine gewisse Persönlichkeit (Tugendmuster), sei es eine gewisse Handlungsweise
(Mustertugend), als nachahmenswert (als ein Muster) bezeichnet wird. Im erstern Fall nimmt die Ethik die Form einer Güter-, im
zweiten die einer Tugend- (eigentlich Tugendmuster-), im dritten die einer Pflichten- (besser Mustertugend-) Lehre
[* 15] an. Als Beispiel
der ersten Art kann die Ethik des Aristoteles dienen, welcher das Willensideal in die Erreichung der Glückseligkeit
(Eudämonie) als des höchsten Gutes setzt; als Beispiel der zweiten Art die der stoischen Schule, welche die Nachahmung des Betragens
des Weisen vorschreibt; als Beispiel der dritten die Ethik Platons, welcher das Willensideal in der Nachahmung der Harmonie durch
die (drei) Teile der Seele zu finden glaubt.
Bei den Griechen entwickelte Sokrates, nachdem die sogen. sieben Weisen mit kurzen Sittensprüchen vorangegangen waren und
die Sophisten (s. d.) für gut dasjenige erklärt hatten, was die Gesetze des Landes als solches festsetzen (»ländlich, sittlich«),
Die stoische Schule fand in der Tugend die höchste Glückseligkeit und stellte als Grundsatz auf, der Vernunft zu folgen und
mit der (vernünftigen) Natur in Übereinstimmung zu leben. Die Epikureische Schule dagegen sah in der
Tugend nur ein Mittel (allerdings das gewisseste) zur Glückseligkeit, in dieser selbst aber den höchsten Zweck und stellte
den Grundsatz höchstmöglicher Selbstbeglückung (selbstsüchtigen Lebensgenusses) auf. Gegen den Ausgang des Altertums hielten
die an Zahl wachsenden Skeptiker an dem
Grundsatz der Erhaltung der Gemütsruhe (Ataraxie) als des höchsten Guts
fest, während die Neuplatoniker unter dem Einfluß orientalischer emanatistischer Weltanschauung die Glückseligkeit in dem
Einswerden mit Gott und die (asketische) Tugend in der Abstreifung der sinnlichen Natur fanden. Im Mittelalter hörte unter dem
Einfluß der monotheistischen Religionen des Abend- und Morgenlandes die philosophische Ethik gänzlich auf und wurde durch die
positive Moral des jüdischen Dekalogs und des evangelischen Christentums im Abend-, des islamitischen Korans im Morgenland vertreten.
Erst mit dem Wiederaufleben des klassischen Altertums trat auch die Ethik desselben in der ursprünglich Platonischen, Aristotelischen,
stoischen und Epikureischen Form wieder hervor. Der originellen der Neuzeit ging, wie einst der Sokratischen,
eine Zeit der skeptischen Leugnung der Ethik als Wissenschaft voraus, indem Montaigne, Mandeville u. a. den sophistischen Spruch:
»Ländlich, sittlich« wieder zur Geltung brachten.
Der Versuch der Wiederherstellung eines allgemein gültigen Willensideals ging zuerst von den Naturrechtslehrern (H. Grotius,
Pufendorf u. a.) aus, welche dem positiven Recht ein aus der Betrachtung der allgemeinen Menschennatur
geschöpftes Natur- (Vernunft-) Recht (jus quod natura omnia animalia docuit) entgegenstellten. Demselben entsprach die Begründung
einer natürlichen Ethik, welche das sittliche Willensideal (das Sollen) aus der Natur (dem Sein) des Menschen zu schöpfen versuchte
und zu dem Ende die allgemeine (allen Menschen gemeinsame) als gute von der individuellen (nur dem Einzelnen
eignen) als der schlechten Natur unterschied.
Während die einen zu diesem Zweck ein allen Menschen gemeinsames Begehren aufsuchten, wandten sich andre zum Zweck eines gemeinsamen
Willensideals an ein gemeinsames Gefühl, wieder andre an ein allen gemeinsames Urteil. In ersterer Hinsicht wurde von Grotius
und Pufendorf der Geselligkeits-, von Spinoza der Selbsterhaltungs-, von Leibniz der Glückseligkeitstrieb
als allen Menschen gemeinsames Begehren erkannt und demgemäß die Befriedigung desselben zum Willensideal erhoben.
Kant war es, welcher zuerst die Entlehnung des Willensideals aus dem natürlichen (von Natur selbstsüchtigen)
Begehren der Menschennatur verwarf und darauf bestand, daß sich aus dem »Sein« (dem Menschen, wie er ist) kein »Sollen« (kein Mensch,
wie er sein soll) herausklauben lasse. Während andre (zunächst die englischen und schottischen Moralphilosophen) sich zur
Bestimmung des Willensideals (von der begehrenden Menschennatur ab) an dessen fühlende, wandte sich
Kant zu gleichem Zweck an dessen vernünftige Natur. Clarke berief sich zur Begründung des Sittlichen auf ein angebornes Schicklichkeits-,
Hutcheson u. a. auf ein ebensolches moralisches Gefühl; Cumberland fand im Wohlwollen, AdamSmith in der Sympathie den Leitstern
des Willens. Kant setzte an die Stelle des Ausspruchs des Begehrens und Fühlens den Ausspruch der praktischen
Vernunft in der Form eines unbedingten Gebots (den kategorischen Imperativ),
¶
mehr
dessen Formel lautet: Folge der Vernunft, d. h. handle so, daß die Maxime deines Wollens fähig sei, als allgemeines Gesetz zu
dienen. Von seinen Nachfolgern vertauschte der realistische (Herbart) die Form des unbedingten Gebots mit jener des unbedingten
Beifalls oder Mißfallens, welche die praktische Vernunft (das Gewissen, der sittliche Geschmack) über
das Wollen ausspricht, dasselbe dadurch für sittlich oder unsittlich erklärend. Die idealistischen (Fichte
[* 17] und seine Nachfolger)
verlegten das Ideal des Willens, welches Kant in dessen Gesetzmäßigkeit gefunden hatte, in die Freiheit desselben, so daß
schlechthin freies und sittliches Wollen für eins gelten sollten.
(Äthicus), griech. Geograph aus Istrien,
[* 20] verfaßte in der zweiten Hälfte des 4. Jahrh. n. Chr. eine dürftige
und verwirrte Weltbeschreibung, welche in lateinischer Übersetzung im Mittelalter sehr gebraucht war.
Ausgaben besorgten Wuttke (Leipz. 1854) und d'Avezac (Par. 1852).
Kant nannte in diesem Sinn das Dasein Gottes ein Postulat der praktischen Vernunft, insofern man dasselbe zwar nicht eigentlich
beweisen könne, aber
aus sittlichen Gründen daran festhalten müsse.
(griech.), Volksherrscher, Titel eines Landesfürsten, der mehr oder weniger die Oberhoheit
eines fremden Herrschers oder Volkes anerkennt, wie der MakkabäerSimon und andre jüdische Regenten;
Die Geschichte der Ethnographie ist noch nicht im Zusammenhang bearbeitet worden, und es kann sich hier
eigentlich nur um eine Vorgeschichte handeln, da die Ethnographie erst in unsrer Zeit zu einer eigentlichen Wissenschaft erhoben wurde.
Spuren der Anfänge finden wir aber bei den meisten zivilisierten Völkern. So unterschieden die alten Ägypter auf ihren
Denkmälern deutlich vier Menschenrassen, die Ludu, worunter sie sich selbst verstanden, die Aamu, womit
die Semiten gemeint sind, die Nahasu oder Neger und die Tamahu, helle VölkerAsiens und Nordafrikas (Berber). Von großem Einfluß
auf die ethnographischen Anschauungen wurde die Stammessage der Hebräer über die Schöpfung der ersten Menschen und deren Verteilung
über die Erde. Bei ihnen finden wir auch
(1. Mos. 10). in der merkwürdigen Völkertafel die erste Übersicht
über die Ausbreitung der Menschen nach den drei SöhnenNoahs: Sem, Ham und Japhet, die sich über Westasien, Nordostafrika und
Südosteuropa ausdehnten.
Als älteste, um 1500 v. Chr. gesetzte Urkunde über Völker und Sprachen hat diese Tafel Anlaß zu wichtigen Forschungen über
die Urverbreitung unsers Geschlechts gegeben. (Vgl. Knobel, Die Völkertafel der Genesis, Gieß. 1850.) Auffallend
ist es, daß Römer
[* 22] und Griechen bei ihrer ausgedehnten Bekanntschaft mit der damaligen Welt so geringen Nutzen für die Völkerkunde
gezogen haben, so daß sie kaum zu einer Ahnung dieser Wissenschaft gelangten. Da kein Schriftsteller des Altertums sich
mit dem Studium fremder Sprachen und Litteraturen abgab, sind die Nachrichten, welche uns die Alten von fremden Völkern überlieferten,
für die Zwecke moderner Wissenschaft nur schwer zu verwerten, weil ihnen die scharfe Beobachtung des eigentlichen ethnologischen
Moments abgeht.
Doch ist einzelnes zu verzeichnen, wie denn Ktesias mitteilt, daß es in Indien auch helle Völker gebe,
im Gegensatz zu der damals gültigen Annahme, daß die Menschen nach dem Äquator zu immer dunkler würden. Vitruv gibt an, daß
die blonden hellen Völker im Norden,
[* 23] die wollhaarigen dunkeln im Süden wohnten. Wie gering die Leistungen auf dem Gebiet der
beschreibenden Völkerkunde waren, erkennt man an der Schilderung der Skythen durch Hippokrates, so daß
wir über dieses Volk noch heute nicht völlig im klaren sind. Auf dem Weg des Vergleichs gemeinsame Abkunft entfernter Völker
zu erkennen, versuchte Herodot, welcher die Kolchier am Kaukasus auf Grund übereinstimmender Sitten für ein Bruchstück der
Ägypter erklärte. Aber mit großem Scharfsinn wurde der Einfluß der
¶
Auch im Mittelalter gelangte man nicht wesentlich weiter. Die Erschließung Ostasiens hatte die Europäer mit einem neuen Menschenschlag
in Verkehr gesetzt, und die auffallenden Verschiedenheiten der Gesichtsbildung waren den nach Asien
[* 25] gesandten
Franziskanern nicht entgangen. Der päpstliche Gesandte zum Großchan der Mongolen, PlanCarpin (Mitte des 13. Jahrh.), schildert
das breite Antlitz der Mongolen, ihre starken Backenknochen, platten Nasen, schiefen Augen.
Dieses gelte, fügt er hinzu, auch von den Chinesen. Eine unbefangene, universelle Auffassung des Menschen
wurde aber erst mit der neuern Zeit, mit der Reformation und der Entdeckung der Neuen Welt, möglich. Es bildete sich in den
Geistern eine mehr nüchterne, auf die Beobachtung der Dinge dringende Weltanschauung. Man fing an, neben den andern Objekten
der sinnlichen Wahrnehmung auch dem Menschen eine erhöhte Aufmerksamkeit zuzuwenden. Doch interessierte
damals noch zunächst das Kuriose, jene wilden Menschen mit Kannibalenfesten, die erst durch Entscheidung eines päpstlichen
Dekrets als Menschen anerkannt wurden.
Gering war der Fortschritt in den folgenden Jahrhunderten, wenn auch in Leibniz' strahlendem Genius sich bereits einige der Großthaten
spiegelten, zu denen einst die ethnographische Wissenschaft berufen sein sollte. Die Wichtigkeit des Vergleichs
der Naturvölker für die Geschichte der Kulturvölker erkannte 1766 Steebs, indem er aussprach: »Wenn
wir die Beschreibung der Grönländer, der Hottentoten und der meisten amerikanischen Völker mit der Beschreibung der Skythen,
Sarmaten und alten Deutschen zusammenhalten, so werden wir die Mängel der alten Nachrichten ersetzen
können«.
Herder verlangte das Studium der menschlichen Natur, wie man Tiere und Pflanzen studiert, und 1793 definiert Meiners: »Die Geschichte
der Menschheit allein begreift den ganzen Menschen und zeigt ihn, wie er zu allen Zeiten und in allen Teilen der Erde beschaffen
war«. Erweitert wurde der Horizont
[* 26] abermals mit den Entdeckungen in der Südsee, die sich an Cook und Forster
knüpfen, und der Name der Ethnographie wird zuerst (z. B. in der »Ethnographischen Bildergalerie«, Nürnb. 1791) im Anschluß an die
Geographie genannt, während der Name der Anthropologie als Bezeichnung eines bestimmten Wissenszweigs zuerst bei
MagnusHund, »Anthropologia de natura hominis« (Leipz.
1501),
vorkommt.
In seinem Werk »Systema naturae« hatte Linné den Menschen (Homo sapiens) zusammen mit den Affen
[* 27] zur Ordnung der Primaten gestellt
und ihn kurz in vier Gruppen als amerikanischen, europäischen, asiatischen und afrikanischen Menschen gegliedert, wozu er
noch verwilderte und mißgestaltete Menschen als besondere Varietäten hinzufügte, hierdurch schon seinen
Standpunkt gegenüber der Ethnographie kennzeichnend. Weit höher stand Buffon, der 1749 in seinen »Variétés dans l'espèce humaine«
außer der körperlichen Schilderung schon die geographische Verbreitung, die Sitten etc. der Völker skizziert, aber auch
noch bei der geographischen Anordnung stehen bleibt.
Erst der große Blumenbach trennte auf anthropologischer Basis das Menschengeschlecht in fünf Abarten (»De
generis humani varietate nativa«, Götting. 1776, und »Decades craniorum diversarum gentium«, 1790).
Die kaukasische Rasse mit symmetrischem Schädelbau stellte er in die
Mitte, die Mongolen mit fast quadratischen und die Neger
mit eng zusammengedrückten, prognathen Schädeln an die beiden Endpunkte der Formenreihe, während er
die Amerikaner zwischen Mongolen und Kaukasier, die Malaien zwischen die Kaukasier und Neger als Übergänge einschaltete.
Jeder dieser Rassen gab er ihre Merkmale nach Schädelbildung, Hautfarbe, Haar,
[* 28] Augenstellung und Mundform. Als aber Blumenbach
seine Merkmale aufstellte, war er sich deutlich bewußt, daß es unmerkliche Stufen und Übergänge, nirgends
aber scharfe Grenzen
[* 29] der Abarten gebe. Neben der Anatomie trat die Linguistik hilfreich beim Aufbau der Ethnographie auf, indem sie es
ermöglichte, durch Vergleich die Völker genealogisch zu vereinigen, und diesen Weg betrat 1800 der spanische PriesterDon Lorenzo
Hervás, indem er die Sprachen nach ihrer grammatischen Übereinstimmung in Gruppen ordnete und die semitischen
und finnischen Sprachen zusammenstellte.
Verhieß nun auch die Sprache
[* 30] Aufschluß über die Abstammung der Völker, so war sie doch kein untrügliches
Zeichen innerer Blutsverwandtschaft, indem bald erkannt wurde, wie sie dem Wechsel unterworfen ist und ganz entfernt voneinander
stehende Völker durch Tausch zu gleichen oder verwandten Sprachen gelangen können. Hilfreich wie die Linguistik gesellten
sich auch Urgeschichte (Prähistorie) und Anthropologie der Ethnographie zu, die, auf solcher Basis erwachsend, sich
erst in unsrer Zeit zur eigentlichen Wissenschaft auszubilden beginnt, wenn auch nicht verkannt werden darf, daß sie erst
in den Anfängen steht.
Die Geburt der Ethnographie als moderner Wissenschaft datiert nicht vor dem Jahr 1829, als Milne-Edwards an Thierry
in Paris einen Brief richtete, durch welchen die Begründung der Société ethnologique angebahnt und zugleich in bedeutungsvoller
Weise die spätere Verbindung der Urgeschichte mit der Ethnographie vorbereitet wurde. Nicht minder wichtig war die Anregung, welche zuerst 1843 Jomard
zur Gründung ethnographischer Museen gab, der auch wenige Jahre später erkannte, daß es schon hohe Zeit
sei, die Geräte und Waffen
[* 31] der Naturvölker, die Überreste dahinschwindender Nationen zu sammeln.
Dadurch kam System in die Ethnographie, und den Franzosen gebührt das Verdienst, so die Wiege der Ethnographie geschaffen zu haben. Es folgten
Amerikaner und Briten und später erst die Deutschen. Abgesehen von den Leistungen Einzelner, konzentriert
sich die wissenschaftliche Thätigkeit auf ethnographischem Gebiet, aber immer noch verquickt mit den Schwesterwissenschaften
der Urgeschichte und Anthropologie, heute in den verschiedenen Gesellschaften, Vereinszeitschriften und Museen, die in den meisten
Kulturländern bestehen.
durch die Société d'anthropologie überholt und verdunkelt worden, deren SeelePaulBroca (gest. 1880) war, und an deren SpitzeMänner wie Geoffroy Saint-Hilaire, Boudin, de Quatrefages, Gratiolet, Pruner Bei, Bertrand, Lartet, Lagneau, Bertillon, Faidherbe,
de Mortillet etc. standen, und die in ihren »Bulletins« eine Fülle neuen Materials nebst höchst anregenden
Diskussionen veröffentlicht. Zumeist von Mitgliedern dieser Gesellschaft ist auch die »Revue d'Anthropologie«, seit 1871 unter
Brocas, seit 1880 unter Topinards Redaktion, geschrieben, welcher sich seit 1882 Ethnographie Hamys vortreffliche
»Revue d'Ethnographie« zugesellte. In Amerika
[* 33] wurde 1842 eine Ethnological Society durch Gallatin und Schoolcraft ins Leben gerufen,
welche seit 1845 »Transactions« veröffentlichte, aber später einging, als durch die amtlichen Publikationen
und die Schriften der Smithsonian Institution auf unserm Gebiet der Privatthätigkeit eine überwältigende Konkurrenz entstand.
In England arbeiteten längere Zeit zwei Gesellschaften nebeneinander, deren Publikationen den größten Schatz ethnographischen
Quellenmaterials bergen, wie dies bei den riesigen überseeischen Beziehungen dieses Landes vorauszusetzen
war.
Seit 1848 war unter Prichards Vorsitz die Ethnological Society in London begründet worden, die in Latham, Crawfurd, Owen, Beke,
Bollaert, Ridley, Hooker, HydeClark, Howorth, Lubbock, Huxley, Tylor, LaneFox u. a. eifrige Förderer hatte. Diese Gesellschaft
veröffentlichte (1848-70) ein »Journal« und daneben höchst wertvolle »Transactions« (1861-69, 7 Bde.). Zum
Teil im Gegensatz zur vorstehenden Gesellschaft und namentlich bedingt durch eine freiere Auffassung, so auf religiösem Gebiet,
entstand 1863 die Anthropological Society unter JamesHunts Leitung, welche als ihr Organ die »Anthropological Review« (1863-70, 8 Bde.)
u. außerdem »Memoirs« (3 Bde.)
publizierte, die dem Wert nach den Publikationen der ältern Gesellschaft mindestens gleichstehen. Die
wünschenswerte Vereinigung beider Gesellschaften fand 1871 unter dem Namen Anthropological Institute of Great Britain and Ireland
statt, und dasselbe hat seitdem 14 Bände eines ganz vorzüglichen »Journal« publiziert.
In Deutschland fand, zunächst auf anthropologischer Grundlage, die neue Wissenschaft ihre gesellschaftliche Vertretung auf
der Anthropologenversammlung zu Göttingen
[* 34] im September 1861, die von K.
Indem die Ethnographie zu ihrer Unterstützung und zu ihrem Ausbau der meisten andern Wissenschaften bedarf, wird
sie selbst zu einer der umfassendsten und schwierigsten Wissenschaften. Was heute alles in ihren Rahmen hineingehört, mag
aus der folgenden Übersicht erkannt werden. Die Ethnographie hat zunächst die geographische und rassenweise Verteilung
der Völker sowie deren Ursitze und Wanderungen in Betracht zu ziehen und den Rassencharakter zu bestimmen.
Neben den zunächst ins Auge
[* 51] fallenden Unterschieden der Hautfarbe, Kopfform, Art der Haare,
[* 52] des Wuchses gibt es feinere Nüancen,
welche sich nicht gleich bemerkbar machen, die aber, wie z. B. die Mongolenfalte des Augenlides
(Epicanthus) oder das Inkabein (Os Incae) des Schädels, unter Umständen zu Rassenmerkmalen werden können.
Einteilungen in Rassen sind vielfach neben den oben erwähnten ältern in neuer Zeit aufgestellt worden, doch haben sich alle
bisher versuchten Systeme so mangelhaft erwiesen, daß man (z. B. Gerland) zu einer geographischen Klassifizierung zurückkehrte.
Unter Berücksichtigung der meisten vorhandenen Merkmale stellte OskarPeschel sein System auf, indem er
sieben Menschenrassen unterschied:
Nach den Haaren zerfallen sie in zwei große Abteilungen, nämlich Wollhaarige und Schlichthaarige. Während bei den erstern
das Haar bandartig abgeplattet und der Querschnitt desselben länglichrund erscheint, ist jedes Haar bei
den letztern cylindrisch und zeigt sich der Querschnitt desselben kreisrund. Sämtliche wollhaarige Menschenrassen sind langköpfig
und schiefzähnig, zeigen also die relativ größte Verwandtschaft mit dem Affentypus. Sie wohnen alle auf der südlichen
Erdhälfte bis zum Äquator und einige Grade über denselben hinauf. Innerhalb dieser beiden großen Abteilungen
ergeben sich nach der nähern Beschaffenheit und dem Wachstum des Haars beiderseits wieder Unterabteilungen, die zu folgendem
System führen:
¶
b) Lockenhaarige (Eupeocami): Drawida, Nuba, Mittelländer.
Die Merkmale, nach welchen das menschliche Geschlecht in Rassen einzuteilen ist, können unterschieden werden in anatomische,
physische, physiologische und physiognomische. Hier, wo es sich um die Form des Schädels, den Gesichtswinkel,
die Insertionsweise der Zähne,
[* 54] die Verhältnisse des Körpers, um Hautfarbe, Stellung, Form und Farbe der Augen und Haare, Bartbildung,
um Blutumlauf, Atmung, Verdauung, um Gesichtsausdruck, Gesten, Mienenspiel etc. handelt, hat die Anthropologie einzutreten und
der Ethnographie vorzuarbeiten. Es schließt sich hieran die Beachtung der sprachlichen Merkmale,
die in der Ethnographie oft von großer Wichtigkeit bezüglich der Verwandtschaft der Völker werden können, im allgemeinen aber in
unsrer Wissenschaft sekundäre Bedeutung haben.
Die Sprache gehört nicht zu den natürlichen, einer Rasse, einem Volk oder Individuum inhärierenden Charakteren. Sie wird nicht
ererbt, sondern erlernt, und ihr Wechsel bei ganzen Völkern wie bei Individuen ist eine bekannte Thatsache.
Ähnlich verhält es sich mit der Religion, welche für die Klassifikation der Völker ohne Wert ist, so bedeutsam sie auch
für die Ethnographie im allgemeinen erscheint. Von speziellem Wert für die Ethnographie ist die Beobachtung des Typus, welcher
einer Bevölkerung
[* 55] eigen ist, wiewohl zur Würdigung dieser feinen, fast unmeßbaren Nüancen eine sehr gute Beobachtung nötig
ist; neben dem Nationaltypus finden der Klassen- und Ständetypus ihre Würdigung.
Auch die geistige und moralische Begabung gehören wie Fehler, Mängel und Gebrechen hierher. Dieselben sind teils allgemeiner,
teils lokaler Natur, und erstere, wenn sie bei der großen Mehrheit der Bewohner eines Landes sich finden,
bilden in ihrer Gesamtheit den Nationalcharakter, wie man z. B. vom Handelsgeist und dem
kolonisatorischen Geschick der Engländer, vom Schachergeist der Juden redet. Die Rassen als solche sind geistig mehr oder minder
begabt, und eine Abschätzung nach ihrem Wert in dieser Beziehung gehört ebensowohl in den Rahmen der
Ethnographie wie die Beachtung der pathologischen Eigentümlichkeiten, die Neigung zu Mißbildungen, Affektionen und Krankheiten, die mit
den klimatischen Verhältnissen oder der Rasse zusammenhängen (Kropf, Albinismus, Ophthalmie, Aussatz, Elefantiasis, Fieber, Schwindsucht).
Unter den sprachlichen Erwägungen, welche für die Ethnographie von Wert sind, haben wir zunächst
die Frage nach der Verwandtschaft der Sprache zweier Völker ins Auge zu fassen, wobei eine bloße (oft zufällige) Übereinstimmung
einzelner Wörter keineswegs genügend erscheint; ebensowenig kann ein Kriterium der Verwandtschaft in der Bildungsweise zweier
Sprachen liegen, welche nur ein bestimmtes Entwickelungsstadium bezeichnet. Die genetische Übereinstimmung
zweier Sprachen wird nur dargethan, wenn Ähnlichkeiten und Übereinstimmungen in ihrem grammatischen Bau und in ihren Grundbestandteilen,
den Wurzeln, vorhanden sind.
In das Gebiet der Ethnographie gehörten ferner die geographische Ausdehnung
[* 56] und Begrenzung der Sprachen (Sprachgebiete) sowie die Frage
nach der Koexistenz verschiedener Sprachen, denn in Gebieten mit scharf getrennten Kasten und Klassen können
auf demselben Gebiet zwei oder mehr Sprachen
vorkommen: das Idiom der Eroberer und dasjenige der Besiegten, oder die Sprache
der höhern Kasten und diejenigen der untern Volksklassen. So gibt es Rangsprachen in China;
[* 57]
bei den Kariben war eine Weibersprache
neben der Männersprache bekannt. Im Anschluß hieran hat die Ethnographie sich mit der Zeichen-
und Gestensprache nach Art der Taubstummen, wie sie z. B. bei den amerikanischen Indianern gebraucht wird, sodann mit den
Anfängen und Substituten der Schrift sowie mit dieser selbst zu befassen, und oft kann es von Wichtigkeit sein und ethnographische
Aufschlüsse herbeiführen, wenn die Zahlensysteme verschiedener Völker miteinander verglichen werden.
Es gibt Völker, die nur 1, 2, 3 zählen und alles darüber Befindliche mit »viel«
bezeichnen, während andre nach dem Dezimal-, wieder andre nach dem Vigesimalsystem rechnen.
Von der allergrößten Wichtigkeit ist das Studium der Sitten und Gebräuche eines Volkes, insofern aus denselben auf Ursprung
und Vergangenheit geschlossen werden kann. Eingelebte Gebräuche bleiben lange erhalten, und alle haben oder hatten einmal,
so sonderbar sie auch jetzt erscheinen mögen, Sinn und Berechtigung. Selbst nachdem der Ideenkreis, die
Weltanschauung eines Volkes sich ganz geändert haben, bleiben sie. Zu unterscheiden ist zwischen natürlichen Gewohnheiten
und Nachahmungen.
Die erstern sind die Folgen gegebener Verhältnisse, finden sich daher bei allen Völkern auf gleicher Kulturstufe oder unter
den nämlichen Lebensbedingungen. Diese Sitten haben den Wert eines deskriptiven Elements, eines charakteristischen
Bestandteils der Volksbeschreibung, während den Nachahmungen bloß historische Bedeutung zukommt. Es wäre aber ein großer
Fehlschluß, aus Übereinstimmung und Ähnlichkeit
[* 58] in den Anschauungen und Gebräuchen räumlich weit voneinander getrennter
und ethnisch verschiedener Völker sofort auf Verwandtschaft derselben oder Entlehnung solcher Sitten und
Vorstellungen schließen zu wollen. Je weiter und eingehender man eine solche Sitte oder Anschauung über die Erde verfolgt,
desto häufiger zeigt sich das unabhängige Entstehen derselben, und wir gelangen zu dem Schluß, daß zur Erläuterung derartiger
Übereinstimmungen, bei denen Entlehnung ausgeschlossen ist, auf die psychologischen Anlagen des Menschen zurückgegangen
werden muß.
Wie die Menschen gleich sehen, hören, schlafen, essen, so sind auch ihre geistigen Funktionen in ihren wesentlichen Zügen
dieselben, allerdings nach Rasse und Lebensraum variierend. Die menschliche Natur zeigt sich überall als dieselbe, und Menschen
wie Völker besitzen, wenn sie auf derselben gleichartigen Entwickelungsstufe angelangt sind, unabhängig voneinander
dieselben Ideen und technischen Fertigkeiten. Überall ist der zugehauene Feuerstein die ursprüngliche Waffe oder das erste
Gerät;