1878) war
Crotus Rubianus wohl der bedeutendste Mitarbeiter, wenn nicht der
Urheber; doch dürften namentlich die ernstern
Stücke des zweiten Teils, insbesondere das »Schlauraffsche Reisegedicht«,
ein
Prachtstück der ganzen Sammlung, auf
Hutten zurückzuführen sein. Die Epistolae erschienen in zwei Teilen
an verschiedenen
Orten und unter verschiedenen
Titeln und bestehen, wie sie jetzt vorliegen, 1) aus den 41
Briefen der ersten
und zweiten
Ausgabe, die angeblich in
Venedig
[* 4] bei Minutius (absichtlich statt
Manutius), in der That aber zu
Hagenau
[* 5] bei W.
Angst
im
Herbst 1515 und Anfang 1516 erschienen;
2) aus dem zur dritten
Ausgabe (auch noch von 1516) hinzugekommenen Anhang von 7
Briefen;
3) aus dem 1517 bei
Froben in Basel
[* 6] erschienenen zweiten Teil mit 62
Briefen, wozu 4) in der zweiten
Ausgabe nochmals ein Anhang von 8
Briefen
kam. Ein sogen. dritter Teil der Epistolae (zuerst 1689 gedruckt)
ist eine Sammlung vermeintlicher Seitenstücke dazu aus verschiedener Zeit und hat mit dem ursprünglichen
Buch nichts mehr
zu schaffen. Unter den zahlreichen Gesamtausgaben sind die zu
Frankfurt
[* 7] (1643), die
Londoner Duodezausgabe ohne Jahreszahl,
die von
Maittaire (Lond. 1710),
Münch (Leipz. 1827), von Rotermund (Hannov. 1827, 2 Bde.)
und die anonym erschienene von
Böcking (Leipz. 1858, 2. Aufl. 1869) hervorzuheben. Mit
Kommentar und eingehenden
bibliographischen Nachweisen finden sie sich in
BöckingsAusgabe von »Hutteni opera«
(Supplement, Leipz. 1864-69, 2 Bde). Eine
Übersetzung ins Deutsche
[* 8] lieferte Binder (Stuttg. 1875). Eine Verteidigungsschrift
Pfefferkorns 1516 sowie die »Lamentationes
obscurorum virorum«
(Köln
[* 9] 1518) vermochten den Epistolae nur lahme und gezwungene
Witze entgegenzustellen.
Die
»Epistolae novae obscurorum virorum ex Francofurto Moenano ad
Dr. Arnoldum Rugium rubrum nec non abstractissimum datae«
von G.
Schwetschke (Frankf. 1849; neu hrsg. mit
Erläuterungen,
Halle
[* 10] 1875) behandelten die innern Angelegenheiten des deutschen
Reichsparlaments in witziger
Weise, ebenso die »Epistolae obscurorum virorum«
(Leipz. 1872) das
vatikanische Konzil.
(griech.), »Nachschluß«,
d. h. ein solcher
Schluß, der zu einem andern hinzukommt, indem man den
Schlußsatz des ersten zu einem
Vordersatz des zweiten macht. Durch Verknüpfung mehrerer
Schlüsse dieser Art entsteht die episyllogistische Schlußreihe.
Der den Episyllogismus begründende
Schluß ist der Vorschluß oder Prosyllogismus. Eine prosyllogistische Schlußreihe entsteht daher,
wenn mehrere Prosyllogismen aneinander gereiht werden. Die analytische oder regressive Schlußreihe ist prosyllogistisch,
die synthetische oder progressive aber episyllogistisch. Wird der
Ober- oder Untersatz eines
Schlusses durch einen neuen
Schluß
bewiesen, so ist dies ein Prosyllogismus; wird aber die
Folge eines
Schlusses in einem neuen
Schluß gegeben, so ist letzterer
ein Episyllogismus. Es sind also zum Prosyllogismus wie zum Episyllogismus stets mindestens zwei
Schlüsse erforderlich. Vgl.
Schluß.
Ephoros, der (vermutlich nach dem Peloponnesischen
Krieg) ein
Gesetz vorschlug und durchsetzte,
nach welchem es gestattet wurde, den ursprünglich zum unveräußerlichen
Besitz der spartiatischen
Familien bestimmten Grundbesitz
durch
Testament oder
Schenkungen an andre übergehen zu lassen.
Die
Folge war, daß im
Lauf der Zeit der
Grundbesitz in wenige
Hände kam, die Zahl der
Spartiaten sich verminderte und der spartanische
Staat seine Grundlage verlor.
(griech., scil. logos), Leichenrede; in
Athen
[* 12] besonders die
Rede, welche zur
Feier der
Bestattung der im Verlauf
jedes
Jahrs für das Vaterland
Gefallenen von einem dazu berufenen Redner gehalten zu werden pflegte. Berühmt
ist besonders die Leichenrede des
Perikles auf die in den ersten
Jahren des Peloponnesischen
KriegsGefallenen, welche
Thukydides
aufbewahrt hat. Außer einer andern von
Perikles besitzen wir noch eine von
Lysias und eine unter des
DemosthenesNamen.
Später wurde auch in Friedenszeiten zum Andenken der früher Bestatteten ein Epitaphios gehalten und dabei, als
Cicero in
Athen war, die in
Platons »Menexenos« erhaltene Leichenrede vorgetragen. In der
Folge sanken die Epitaphien zu bloßen
Prunkreden herab, und auch die ähnlichen Laudationes funebres der
Römer
[* 13] haben einen vorzugsweise panegyrischen
Charakter.
(griech.), bei Griechen und
Römern das Hochzeitslied, welches uralter
Sitte gemäß meist chorweise vor
dem Schlafgemach (thalamus) der Neuvermählten abgesungen wurde. Von derartigen
Gesängen der
Sappho, des
Anakreon,
Pindar u. a.
sind nur spärliche
Fragmente auf uns gekommen. Aus der ältern römischen Zeit besitzen wir
Catullus'
»Epithalamium Peleï et Thetidos«; aus der Kaiserzeit sind Epithalamien
erhalten von
Statius,
Ausonius,
Claudianus,
ApollinarisSidonius,
Ennodius,
Venantius Fortunatus etc. und das »Epithalamium Laurentii«.
Sie waren meist im epischen Versmaß gehalten und zeichneten sich durch eine gewisse sinnliche Derbheit
und Keckheit aus. Eine Sammlung römischer Epithalamien findet sich in Wernsdorfs »Poetae
latini minores«, Bd. 4, Teil 2 (Helmst.
1789).
tierisches
Gewebe
[* 17] (s. d.), welches die freie Oberfläche der äußern
Haut, der
Schleimhäute,
Drüsen etc. bekleidet und nur aus dicht aneinander gelagerten
Zellen besteht. Nach der Form der letztern unterscheidet
man das Pflasterepithelium
[* 1]
(Fig. 1), dessen flache
Zellen wie Pflastersteine nebeneinander liegen, das
Cylinderepithelium
[* 1]
(Fig. 2), dessen hohe
Zellen wie senkrecht gestellte kurze
Stäbe nebeneinander stehen, das kubische oder
würfelförmige Epithelium, das mit
Wimpern versehene Flimmerepithelium (s.
Flimmer) etc. In
¶
mehr
vielen Fällen scheiden die nebeneinander gelegenen Zellen auf ihrer Außenfläche einen zusammenhängenden Saum (Oberhäutchen
oder Cuticula) aus, der zuweilen eine bedeutende Dicke erreicht und alsdann Panzer genannt wird (z. B. bei vielen Krebsen). Ferner
können Zellen des Epithelium in ihrem Innern einen flüssigen oder festen Stoff erzeugen und nach außen entleeren
(Drüsenzellen, s. Drüsen). Bei manchen Tieren besteht das der äußern Haut aus mehreren übereinander gelagerten ReihenZellen;
alsdann sind die äußern meist abgeplattet, eingetrocknet und in eigentümlicher Weise verhärtet (verhornt, s. Horn), so
daß man bei den Wirbeltieren auch wohl das Hautgewebe schlechtweg als Horngewebe bezeichnet (s. Haut und
Gewebe). Die innern Schichten bleiben jedoch immer weich, und bei den Fischen sind es auch die äußern.
Epitheton ornans, »schmückendes Beiwort«, heißt das dichterisch schildernde, stehende Beiwort, wie es sich besonders bei Homer häufig
findet, z. B. der »schnellfüßige Achill«, die »rosenfingerige Eos«.
[* 19]
(griech.), kurzer Auszug aus größern Werken, eine Art von Schriftstellerei, die uns besonders
in der spätern römischen Litteratur begegnet.
Hierher gehörige Produkte sind die geschichtlichen Abrisse von Florus, Eutropius
u. a. Auch die Inhaltsanzeigen zu den verlornen Büchern des Livius führen diesen Namen.
In der neuern Litteratur bezeichnet
Epitome einen kurzen Inbegriff einer Wissenschaft.
Epitomieren oder epitomisieren, etwas kurz zusammenfassen,
in einen kurzen Auszug bringen.
(lat.), ein viersilbiger Versfuß, bestehend aus drei Längen und einer Kürze, nach welcher er, je nachdem
dieselbe die 1., 2., 3. oder 4. Stelle einnimmt, als Epitritus primus (v - - -), secundus (- v - -) etc. bezeichnet
wird.
in der Geschichte überhaupt ein wichtiger
Moment, mit dem ein Umschwung in der geschichtlichen Entwickelung beginnt.
Man sagt daher von großen Persönlichkeiten und
wichtigen, einflußreichen Ereignissen: »sie machen Epoche« In der Astronomie
[* 21] ist der Zeitpunkt, von welchem
aus man die Bewegung eines Gestirns (Planeten,
[* 22] Kometen,
[* 23] Trabanten) rechnet.
bei den Griechen der letzte Teil eines lyrischen Gedichts, der nach der Strophe und
Antistrophe folgte. Dergleichen Gedichte sind die des Pindar und viele Chorgesänge in den Dramen (s. Chor,
S. 71). Ferner heißt der in einem Gedicht nach gewissen Zwischenräumen wiederkehrende Schaltvers oder Refrain sowie eine
eigne, von Archilochos erfundene Gattung lyrischer Gedichte, in denen auf einen iambischen Trimeter ein Dimeter oder überhaupt
ein kürzerer Vers folgt, wozu aber das elegische Distichon (Hexameter oder Pentameter) nicht gezählt wird.
Gedichte letzterer Art sind die dem Archilochos der Form nach genau nachgebildeten Epoden des Horaz.
(Monte San Nicola), höchster Berg auf der zur ital. ProvinzNeapel
[* 24] gehörigen InselIschia,
[* 25] 768 m hoch, ein seit 1302 erloschener
Vulkan von scharfzackigem, groteskem Ansehen, der auf seinem Gipfel eine Kapelle (San Nicola) nebst einer
in den Trachytfelsen eingehauenen Einsiedelei trägt und eine herrliche Rundsicht gewährt.
Unter dem Gipfel des Epomeo liegt
der Badeort Casamicciola (s. d.).
bei den RömernGöttin der Pferde
[* 26] und Esel, Schutzgöttin der Fuhrleute, Stallknechte und Eseltreiber, deren Bild
auch in Ställen aufgestellt wurde.
Ihr Kultus war weit und breit in italienischen und den romanisierten
Ländern verbreitet.
Bildwerke von ihr, welche sie in langem Gewand zwischen zwei Füllen oder sitzend von Rossen umgeben oder
auf einem Pferd
[* 27] reitend darstellen, haben sich mehrfach erhalten.
Vgl. »Annali dell' Instituto archeologico« 1881, S. 239 ff.
(griech., eigentlich einer, nach welchem etwas benannt ist), in den griechischen
Staaten Bezeichnung von Beamten, nach welchen in Ermangelung einer allgemein angenommenen Zeitrechnung das Jahr bezeichnet
wurde, z. B. in Sparta der erste Ephoros, in Athen der erste Archon, in Böotien der oberste Böotarch etc. Auch hießen in Attika
so die alten Landesheroen, nach welchen Kleisthenes die zehn attischen Stämme (Phylen) benannte.
die in den dritten und letzten Grad der Eleusinischen Mysterien Aufgenommenen und damit
zur vollständigen Erkenntnis der heiligen Geheimnisse Zugelassenen;
auch spöttischer Name für die, welche sich einer nur
wenigen Menschen zugänglichen, geheimern Erkenntnis oder gar einer unmittelbaren Anschauung göttlicher Dinge rühmen;
(Epopöe, griech.), eine Gattung der epischen (d. h. erzählenden) Poesie, welche außer dem Epos selbst noch das
Märchen, den Roman und die Novelle sowie die eigentliche Erzählung (s. diese Artikel) umfaßt. Das Charakteristische derselben
besteht darin, daß sie (wirklich, vermeintlich oder angeblich) Geschehenes (Geschichte, Sage, Fabel) als geschehen (nach Lessing
»Handlungen als Begebenheiten«) statt, wie die dramatische Poesie, als geschehend (»Begebenheiten als Handlungen«)
darstellt.
Form der Darstellung ist bei ihr, wie bei der dramatischen Poesie, das Nacheinander (die Succession), nur daß in der epischen
Dichtung das nacheinander Dargestellte (die einzelnen Momente der Erzählung) zwar aufeinander folgt, aber nicht eben, wie in der
dramatischen (die einzelnen Akte der Handlung), auseinander folgen muß. Die Verbindung der in der Zeit aufeinander folgenden
Begebenheiten in der epischen. Dichtung kann daher eine wunderbare entweder sein (wie im Märchen und Epos), oder doch wenigstens
scheinen (wie im Roman und in der Novelle), während sie in der dramatischen eine nach dem Kausalgesetz
notwendige nicht nur sein, sondern auch scheinen muß.
Jene gestattet daher entweder wirklich (wie im Märchen und Epos) oder doch wenigstens dem Scheine nach (wie im Roman und in der
Novelle) den Eingriff übernatürlicher (persönlicher oder unpersönlicher, launischer oder sittlicher, guter oder böser)
Mächte in den Lauf der Ereignisse (das Walten der Gottheit oder des Schicksals, dämonischer, neckender
oder gesetzmäßig herrschender Geister, Mächte des Lichts und der Finsternis); das Drama schließt diesen aus (duldet keinen
deus ex machina).
Die epische Dichtung beruht entweder wirklich (wie im Märchen und Epos) auf der Annahme einer Führung derjenigen, deren
Schicksale sie berichtet, durch äußere Mächte (Zufall, Verhängnis oder Vorsehung), oder sie bringt (wie im Roman und in der
Novelle) wenigstens den Schein einer solchen hervor; die dramatische dagegen zerstört auch den Schein, indem sie zeigt, daß
ein jeder der Schmied seines Schicksals sei. Daher stellt das epische Gedicht seinen Helden passiv, von der
Führung abhängig, das dramatische aktiv, sich selbst führend, dar.
Odysseus, der von Athene
[* 31] in der Fremde und zu Hause, Dante, der von Vergil durch Hölle und Himmel
[* 32] geleitet wird, sind epische,
Ödipus, der durch seine Selbstverblendung, Lear, der durch seine Unbesonnenheit, Richard III., der durch seinen
verbrecherischen Ehrgeiz sein Schicksal heraufbeschwört, sind dramatische Helden. Jene werden bewegt, diese bewegen sich selbst.
Jene zieht der Fluß der Begebenheiten mit sich fort, diese bringen ihn hervor. Verglichen mit dem rasch zum Ende fortstürzenden
dramatischen ist der epische Fortgang in der Zeit ein zögernder.
Während im Drama jeder Moment der Handlung nur dazusein scheint, um den folgenden aus sich hervorzutreiben,
trägt die augenblickliche Lage im Epischen keine genügende Notwendigkeitin sich, zu einer nächstfolgenden überzugehen; die
treibenden Mächte (Zufall oder Schicksal, freundliche oder feindliche) liegen außerhalb (nicht, wie im Drama, innerhalb) der
Begebenheiten. Die Epik »hat Zeit«; es steht ihr
frei, bei der in
einem gewissen Zeitaugenblick vorhandenen Lage der Dinge und Personen beliebig zu verweilen, das eben Gegenwärtige behaglich
ins Breite
[* 33] auszumalen, zu der ersten Dimension
[* 34] (der Zeitfolge) die zweite (das Gemälde des Gleichzeitigen) hinzuzufügen,
das erzählende Element durch das beschreibende zu ergänzen.
Das Interesse, das sie erweckt, ist daher ganz verschieden von jenem, welches die dramatische Darstellungsform
erzeugt. Wie der epische Held, ist der epische Zuhörer geduldig;
jener wartet sein Los, dieser den Fortgang der Erzählung
ab;
jenes weiß ersterer ebensowenig von sich wie diesen der Hörer von dem bisher Vernommenen abhängig;
jenes wie dieser
kann durch ein (wirkliches oder doch anscheinendes) Wunder ganz wider berechtigte Erwartung ausfallen.
Vom dramatischen Helden wie vom Zuschauer des Dramas gilt das Gegenteil;
jenen treibt es zur That, die sein Los, diesen zum
Ausgang der Handlung, der seine Erwartung besiegelt;
jener weiß sein Geschick von seinem Thun, dieser das künftig Eintretende
von dem bereits Geschehenen abhängig;
jenes wie dieses könnte nur durch ein (vom Drama ausgeschlossenes) Wunder wider die
berechtigte Erwartung ausfallen.
Durch dieses Passivitätsgefühl hat die Stimmung des epischen Helden wie des epischen Hörers
etwas mit der religiösen (dem Abhängigkeitsgefühl und der Ergebung in das von außen verhängte Schicksal) gemein,
das dem dramatischen fremd ist. Der epische Held duldet, der dramatische kämpft gegen sein Schicksal. Um dieser mit dem Gegenstand
religiöser Verehrung verwandten Wirkung auf das Gemüt willen ist die epische Darstellungsform zur Aufnahme religiösen Gehalts
vorzüglich geeignet, welche sie noch durch die Duldung wunderbaren oder doch wunderbar scheinenden Zusammenhanges
unter den erzählten Begebenheiten unterstützt.
Am geeignetsten aber zu diesem Zweck ist diejenige Gattung der Epik, welche den letztern nicht bloß duldet, sondern fordert,
die wunderbare Fügung der erzählten Begebenheiten durch übernatürliche Mächte nicht bloß dem Anschein nach, wie der
Roman, oder nicht einmal dem Scheine nach, wie die Erzählung, sondern wirklich zuläßt und dabei den Schein
der Wunderbarkeit nicht, wie das Märchen (welches das Übernatürliche als natürlich darstellt), vermeidet, sondern durch
ausdrückliche Darstellung des Übernatürlichen als eines solchen provoziert.
Diese Gattung ist das Epos oder Heldengedicht. Dasselbe ist rein religiöser Natur, d. h. es setzt den Glauben an das Dasein
und Walten übernatürlicher (nicht notwendig sittlicher) Mächte voraus, von deren Leitung das Menschenschicksal abhängt.
Jede Form der Religion, d. h. jede der verschiedenen Auffassungen jener Mächte (als persönliche oder
unpersönliche, als dämonische und göttliche, Zufalls- und Schicksalsgewalt), hat ihr eignes der religiöse Unglaube, für
welchen dergleichen überhaupt nicht vorhanden sind, kann keins haben.
Die Stelle desselben vertritt der Roman, in welchem der Lauf der Begebenheiten »romanhaft«, d. h.
dem Scheine nach wunderbar, in Wahrheit aber natürlich ist, während er im E. dem Schein und dem (geglaubten) Sein nach übernatürlich
ist. Das Epos gehört der religiösen, der Roman wie das Drama der philosophierenden Bildungsstufe des Menschen
und der Menschheit an. »Homer und Hesiod haben den Griechen ihre Götter gemacht.« Da das eigentlich Handelnde im E. nicht
der epische Held, sondern die führenden Mächte sind, so kann von einer Einheit derHandlung, wie im Drama, wo die That des
Helden sein Los erzeugt, im E. nicht die Rede¶
mehr
sein. Dem epischen Helden wird sein Los verhängt, der dramatische verhängt es sich selbst. Sollen daher die erzählten Begebenheiten
durch eine andre als durch die lockere Einheit derselben Zeitlinie verbunden sein, in welche sie fallen, so kann dies nur
durch die Einheit der leitenden Person (des epischen Helden) oder der thätigen Mächte (der leitenden Götter-
oder Schicksalsgewalt) oder beider zugleich sein. Dante, der, von Vergil geführt, die Reise durch die Hölle und das Fegfeuer,
von Beatrice geleitet, jene durchs Paradies vollführt, ist der epische Held, dessen Einheit die Teile des epischen Gedichts
zu einem Ganzen verknüpft, wie die Person des Odysseus die Schiffermärchen der »Odyssee«.
Dagegen ist die Einheit der »Ilias« nicht sowohl in der Einheit derPerson des Achilleus, seines Streits und seiner Versöhnung
mit Agamemnon, welche den Inhalt des Epos keineswegs erschöpft, als vielmehr in derjenigen der leitenden Götterwelt begründet,
von welcher das Schicksal der Kämpfer um Troja
[* 36] bedingt ist. Die Einheit derPerson macht die Erweiterung
des Epos durch An- oder Einfügung weiterer Begebenheiten, welche derselben Person widerfahren, die Einheit der leitenden Mächte
eine solche durch Ausdehnung
[* 37] der Erzählung auf weitere Ereignisse möglich, welche derselben Schicksalsgewalt entsprungen
sein sollen.
Wie jener nur durch die Grenze der Lebens-, wird dieser nur durch die Grenze der Herrschaftsdauer (Sturz
der olympischen Götter durch ein neues Göttergeschlecht: Götterdämmerung) ein Ziel gesetzt; an die Person des wandernden
Helden schießen kristallartig Erlebnisse wie an die Gestalten der waltenden Götter Verhängnisse über sterbliche Menschen
an. Während das Drama in seinen Charakteren und der Situation einen grundlegenden Anfang, in seiner Katastrophe
ein abschließendes Ende besitzt, läßt das Epos vor und nach dem durch seine Begebenheiten ausgefüllten Zeitabschnitt
Zeiträume zur Ausfüllung mit weitern Schicksalen des Helden oder mit weitern Schicksalsbestimmungen der Götter frei: Achilleus'
Schicksalen vor Troja gehen jene des Paris
[* 38] vor dem Krieg der Zeit nach voran, folgen jene desselben Helden
nach Achilleus' hinterlistiger Erlegung nach.
Die Entstehung des Epos aus einzelnen Liedern, deren jedes die Begebenheit nur eines oder weniger Zeitmomente, deren
Zusammenfassung aber die Begebenheiten einer ganzen Zeitreihe von beträchtlichem Umfang umfaßt, ist durch die lockere Einheit derPerson (des einzelnen Helden oder seines ganzen Geschlechts in auf- und absteigender, ja sogar in den Seitenlinien:
Lajos' Haus; die Atriden; die Nibelungen; Marko Kraljevic u. a.) oder der waltenden Mächte (die olympische, indische, nordische
Götterwelt; das Reich des Lichts und der Finsternis im persischen, Himmel und Hölle, Christus und Satan im christlichen Epos) nicht
nur möglich, sondern bei vielen derselben (wie beim Homerischen, indischen, serbischen Epos) sogar
wahrscheinlich gemacht.
Gegen die auf diesem Weg liegende Gefahr eines »unendlichen Epos« (desgleichen die Weltgeschichte ist) gilt die Warnung des Aristoteles,
daß das Epos sowenig wie die Tragödie (d. h. das Drama überhaupt) eine gewisse die Überschaubarkeit hindernde Ausdehnung
überschreiten, noch unter einer solchen im entgegengesetzten Sinn zurückbleiben solle. Die Abschnitte des Dramas, das eine
in der Zeit sich bewegende Handlung ist, werden durch die Ruhepunkte der Handlung, jene des Epos dagegen, das eine sich durch
die Zeit ausdehnende Erzählung ist, durch die Abschnitte der Zeit, welche die letztere braucht, festgesetzt.
Daß die Stillstände
der Erzählung jedesmal mit einem Stillstand des Erzählten zusammenfallen, ist dabei allerdings möglich,
aber keineswegs notwendig. Nicht bloß der Märchenerzähler (Scheherezade), sondern auch der epische Dichter (Ariost) bricht
seine Erzählung ebenda ab, wo sie am spannendsten wirkt; jener verschiebt die Fortsetzung auf den folgenden Tag,
dieser auf den folgenden (d. h. am folgenden Tag vorzutragenden) Gesang. Die Märchen der »Tausendundeine Nacht«, die Erzählungen
des Dekameron, Heptameron sind nach Tagen eingeteilt; die Gesänge des für die Recitation, wie das Drama für die Aufführung
(nicht zur Lektüre), bestimmten Epos sind bestimmt, tagweise vorgetragen zu werden.
Dieselben haben daher, wie die regelmäßigen Zeitabschnitte (Stunde, Tag, Jahr), untereinander gleiche
Länge, gleichviel welche Zeit das Erzählte umfassen mag. Die Zahl der Akte im Drama ist durch die Geschlossenheit der Handlung
und deren organischen Fortschritt bestimmt, die Zahl der Gesänge im E. willkürlich. Nicht nur die gleichzeitigen Begebenheiten
verschiedener Personen können zusammen verwoben (Mehrheit epischer Helden), sondern Begebenheiten einer
frühern Zeit können der Erzählung der gegenwärtigen eingeflochten werden (Episoden).
In der Regel hat der Erzähler allein das Wort; er kann dasselbe an einen seiner Helden abtreten, der es im eignen oder wieder
im Namen eines andern führt. Die lebhaftere Darstellungsweise, welche dadurch entsteht, ist der dramatischen
ähnlich, so daß manches epische Gedicht sich mit Leichtigkeit in ein dramatisches verwandeln ließe (z. B.
das Gespräch des Glaukos und Diomedes bei Homer), aber nicht gleich. Der epische Dichter stellt auch diese den Helden selbst
in den Mund gelegten Reden als geschehene (nicht als geschehende), als bloße Begebenheiten dar; das historische
Präsens ist ganz vom dramatischen verschieden.
von dem das sogen. bürgerliche
Epos (Goethes »Hermann und Dorothea«) eine Unterart darstellt. Ist dagegen das Unglück wie das Glück so unbedeutend, daß beide
¶
In Bezug auf die Entstehung wird das kunstmäßig entstandene (Kunstepos) dem naturwüchsigen Epos (Volksepos)
entgegengesetzt. Fast alle großen Kunstepen sind aus der Überarbeitung von ursprünglichen Volksepen hervorgegangen. Die
Anfänge derselben verlieren sich bei den verschiedenen Völkern in ihr vorgeschichtliches Altertum. Die Heldenlieder der
Chinesen hat Konfutse im »Schi-King« gesammelt; die Heldenthaten des Ägypterkönigs Ramses d. Gr. feiert das in
einem Papyrus erhaltene historische Gedicht seines Hofpoeten Pentaur; das Siegeslied der Deborah (um 1300 v. Chr.) und die zwölf
zusammenhängenden Abenteuer der (an den Sonnen- und Heraklesmythus mahnenden) Simsonsage zeigen die Spur epischer Heldendichtung
bei den alten Hebräern.
Ein eigentliches Epos aber findet sich erst bei den Völkern arischer Abstammung und zwar sowohl
bei jenen des Orients (Inder und Iranier) als des Occidents (Gräko-Italiker, Kelten, Germanen und Slawen). Von den beiden Hauptepen
der Inder stellt das eine, der »Mahâbhârata«, den Kampf zweier arischer Heldengeschlechter, der Kuruinge und Panduinge, unter
sich, das andre, das »Râmâyana«, den Kampf des Sonnenhelden Rama, als Repräsentanten des Ariertums, mit
den dunkelfarbigen, in der Volksmeinung zu Affen
[* 41] gewordenen Ureinwohnern des Landes (den sogen. Drawidastämmen) dar.
Als Verfasser des erstern wird Vjasa (der »Ordner«, so daß dieser Name auch den bloßen Sammler und Bearbeiter vorhandener
Lieder bedeuten kann), als jener des zweiten Valmîki genannt; beide haben wiederholt (wie es wahrscheinlich
ist, noch in der Zeit nach Christus) Umarbeitungen durch Einschübe und Erweiterungen erfahren. Der Charakter des Wunderbaren
wird dem geschichtlichen Kern beider Dichtungen dadurch verliehen, daß die kämpfenden Helden teils Söhne und Enkel von Göttern,
teils selbst Inkarnationen von solchen sind.
Das unterliegende Geschlecht hat im »Mahâbhârata« durch gewaltsamen Thronraub, aber auch das siegreiche
dadurch schwere Schuld auf sich geladen, daß das Haupt desselben seine eigne Gattin frevelhaft im Würfelspiel auf einen Wurf
gesetzt und verloren hat. Nachdem die Kuruinge, ihren Thronraub sühnend, gefallen sind, werden auch die Panduinge zur Strafe
für ihren Frevel bis auf den letzten Mann erschlagen. Unter den zahllosen Episoden, welche die einfache
Handlung umranken, ragt die Liebesgeschichte Nals und Damajantis durch Treue und Zartheit hervor.
Wie das »Mahâbhârata« durch den tragischen Untergang zweier mächtiger Geschlechter dem Charakter des tragischen, so entspricht
das »Râmâyana«, welches den Sieg des HeldenRama über sich selbst und dadurch über seine Feinde schildert,
jenem des erlösenden Epos. Als ihm, dem ältesten, sein Vater statt der ThronfolgeVerbannung ankündigt, weil er seiner zweiten
Gemahlin, die ihren eignen Sohn auf den Thron
[* 42] erheben will, diese ihre Bitte zu erfüllen gelobt hat, unterwirft sich Rama
freiwillig und gegen den Willen der Brüder dem ungerechten Befehl aus Gehorsam gegen die Eltern, während
die Gattin und die Brüder freiwillig sein Schicksal teilen.
Für diese Treue gegen die Pflicht verleihen die Götter ihm den Sieg über die finstern Riesen
der Insel (Ceylon),
[* 43] die ihm die
Gattin geraubt haben, und führen ihn nach 14 Jahren des Exils glorreich auf den Thron seiner Väter zurück.
In der spätern Gestalt des indischen Epos trat die Götternatur der Helden, die nun fast sämtlich Inkarnationen der Gottheit
selbst werden, immer mehr hervor und artete der wunderbare Charakter der Begebenheiten ins Maßlose, Abenteuerliche und Phantastische
aus, während die physische Helden- ebenso wie die ethische Entsagungskraft (letztere namentlich in der
Form übermenschlichen Büßertums) ins Grenzenlose gesteigert ward.
Die persische Heldensage, aus dem uraltpersischen Gegensatz eines Licht- und Finsternisreichs (Ormuzd und Ahriman) entsprungen
und auf den Kampf der Nachkommen Dschems, des guten, mit Sohak, dem bösen Fürsten, übertragen, hat erst 1000 n. Chr. ihre
kunstmäßige Bearbeitung durch Firdûsi, den Dichter des »Schâhnâmeh«; erhalten. Mittelpunkt derselben ist Rustem, der Unbesiegbare,
den der böse Feind Ahriman lange vergebens (zuletzt durch dessen eignen ungekannten Sohn, der im Kampf gegen den Vater von dessen
Hand
[* 44] fällt) zu verderben sucht, bis er zuletzt durch Arglist in eine Wolfsgrube gelockt und in dieser begraben
wird.
Kämpfen hier Götter zweier Reiche und dem entsprechend Iranier und Turanier als Völker verschiedener Abstammung im Spiegelbild
des Epos, so sind es im Homerischen der Griechen nicht nur Glieder
[* 45] derselben (olympischen) Götterwelt, sondern auch Völker
derselben Abstammung (Troer und Achäer), die miteinander im Streit liegen. Während die einen (Apollon,
[* 46] Ares,
[* 47] Aphrodite)
[* 48] den Troern, stehen die andern (Hera,
[* 49] Athene, Poseidon) den Griechen bei; nur der »Vater der Götter und Menschen«,
Zeus,
[* 50] wägt gleichmäßig die Wagschalen beider ab. Wie im indischen »Mahâbhârata«, bildet in der »Ilias« der Verlust einer
Frau, die dort freventlich vom eignen Gatten auf das Spiel gesetzt, hier ebenso freventlich vom Gastfreund
entführt wird, den Hebel
[* 51] der Handlung, der hier wie dort den Untergang des ganzen blutsverwandten Geschlechts (der HäuserPandus
und Priamos') nach sich zieht.
Helenas, der schönen Gattin des AtridenMenelaos,
[* 52] Raub durch Paris, Priamos' Sohn, den alle griechischen Fürsten
zu rächen geschworen haben, einigt die zersplitterten Kräfte aller kleinen achäischen Heer- und Seekönige zu einer gemeinsamen
großen Unternehmung übers Meer, deren Frucht nach zehnjährigen Kämpfen der Fall und BrandTrojas ist. Einzelne Helden und Thaten
derselben mögen lange Zeit hindurch Stoff einzelner epischer Lieder wandernder Rhapsoden gewesen sein, ehe
es einem oder dem andern der letztern gelang, sämtliche Thaten eines Helden oder jene sämtlicher Helden in epischer Folge
aneinander zu reihen und zum Epos zu gestalten. Je nachdem jene Lieder einem der Helden vor Troja als Preisgesänge galten oder
Begebenheiten eines der von Troja Heimgekehrten berichteten, wurden sie Aristeia (»Heldenthaten«)
oder Nostoi (»Heimfahrten«) genannt, und zwar ist aus dem Preisgesang auf
Achilleus, den Sohn des sterblichen HeldenPeleus und der Meergöttin Thetis, die Homerische »Ilias«, aus den Berichten von den
zehnjährigen Irrfahrten des heimkehrenden »Dulders« Odysseus, des Königs von Ithaka, die »Odyssee« hervorgegangen. Das Wachstum
der »Achilleis« zur »Ilias« vollzog sich (nach Wolf und Lachmann) allmählich und (nach Carriere) unter der
läuternden Einwirkung des Homerischen Genius, zu dessen Werk es in der Meinung der Griechen ward, in welcher als Stammheros
Homer ein ganzes
¶
mehr
Sängergeschlecht vertrat. Auch hier wie bei den Indern, gehört das Epos, welches den »UntergangIlions und des Volkes des lanzenkundigen
Königs« besingt, der tragischen, dasjenige, welches den Sieg des »Dulders« Odysseus über das Ungemach der Meerfahrt und die
nach seiner Gattin lüsternen Freier feiert, der erlösenden Gattung an. Wie im indischen Epos, erscheinen
auch hier die führenden Götter in menschlicher, die Beschützerin des Odysseus und seines Sohns in Mentors, des erziehenden
Freundes des letztern, Gestalt. An die Homerischen Epen, »wie Planeten um die Sonne«,
[* 54] reihen sich (seit 777 v. Chr.) die sogen.
cyklischen Dichter, die Sage von Troja ergänzend oder andre Sagenstoffe, wie die Sagen von Theben, Athen
und Mykenä
[* 55] (das Haus des Lajos, Theseus, Herakles),
[* 56] besingend.
In Rom,
[* 57] wo (nach Schwegler) alle Bedingungen zu einem Volksepos nach Art des Homerischen fehlten, entstand durch Vergil (70-19
v. Chr.) ein Kunstepos, das der Augusteischen Litteraturblüte angehört und die zuerst von Ennius (239-169) nach
griechischem Muster episch erzählte Äneassage behandelt, durch welche die italische an die hellenische Sage (von Troja) sich
anschließt. Das Wunderbare, das bei Homer im Einklang mit dem reinen Volksglauben hervortrat, ist für die nüchterne Aufklärung
der Kaiserära zur hohlen Maschinerie geworden; im Vergilischen Epos scheint (nach Hegel) »der gewöhnliche Tag«.
Dasselbe hat daher vielfach dem der neuern, in ihrer Reflexion
[* 58] dem klassischen ZeitalterRoms verwandten Zeit und Bildung zum
Muster gedient, während das ursprünglich heidnische und seit der Annahme des Christentums christianisierte der Slawen, Kelten
und Germanen durch seinen religiös-gläubigen Hintergrund dem Homerischen Epos näher steht.
Die Slawen, wie sie am spätesten ihre ursprünglichen Sitze verlassen haben und zum Teil erst seit kurzem
geschichtliche Völker geworden sind, stehen der Bildungsstufe des epischen Zeitalters im ganzen am nächsten; ja, einige Stämme
derselben, wie die Serben, »leben ihre Poesie« (Talvj),
daher sich bei ihnen eine der Homerischen verwandte Heldendichtung bis
auf unsre Tage im Schwange erhalten hat. Die Heldensage der Russen gruppiert sich um Wladimir (»die helle Sonne der weißen Stadt
Kiew«,
[* 59] um 1000 n. Chr.) und, im Gegensatz gegen die Könige, Fürsten und Edlen der übrigen arischen Heldengesänge, um den Bauernsohn
Ilja, den edelsinnigen Helden, die Verkörperung der Volkskraft wie des Volksgemüts, hat aber kein zusammenhängendes
Epos geschaffen.
Träger
[* 60] des epischen Volksgesanges waren bei den Kelten die den Rhapsoden der Griechen und den »Blinden« der Serben ähnlichen
wandernden Volkssänger, die Barden. Ihnen glichen die nordischen Skalden, die Träger des ältesten germanischen
Heldengesanges der skandinavischen Stämme,
dessen Lieder auf Island
[* 61] um 1100 n. Chr. unter dem Namen der (ältern) Edda (»Großmutter«)
gesammelt wurden. Gegenstand derselben ist der Kampf der guten Götter (der Asen) mit den bösen (Loki),
der mit der »Götterdämmerung«,
d. h. dem Untergang der erstern, endet. Aus den Liedern von Sigurd, dem Drachentöter, der das Gold
[* 62] der
Überirdischen geraubt und seiner Verlobten, der Heldenjungfrau Brunhilde, die Treue gebrochen hat, indem er sie unerkannt
für einen andern gewinnt und sich selbst mit dessen Schwester vermählt, aber, dafür auf ihr Anstiften heimtückisch ermordet,
in den Flammen des Scheiterhaufens, in welche sie freiwillig sich stürzt, wieder mit ihr vereinigt wird,
ist das deutsche der »Nibelungen« hervorgegangen. Die Völkerwanderung der germanischen und hunnischen Stämme brachte die gotische
Stammsage von Dietrich von Bern (dem Ostgoten Theoderich) und die hunnische von Etzel (Attila), die mit der nordischen zum
germanischen Volksepos verschmolzen wurden.
Die höchste
Stufe des christlichen als des erlösenden Epos nach mittelalterlich-katholischer Auffassung stellt die »Göttliche
Komödie«, DantesGang durch Hölle, Fegfeuer und Paradies, als Symbol der Vollendung aller Dinge in Gott dar. Durch die Auflösung
der Scholastik und die Wiedererweckung des klassischen Heidentums im Zeitalter der Renaissance einerseits,
die innere religiöse Vertiefung in das Wort der Schrift und den Gegensatz gegen die Verweltlichung der Kirche in jenem der Reformation
anderseits wurden zwei neue Gattungen des Epos begründet, deren eine vornehmlich bei katholischen, die andre bei protestantisch
gewordenen Völkern Pflege und Anklang fand.