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Bodenbeschaffenheit.
Der größte Teil Englands hat eine leicht wellige Oberfläche, ein andrer ist völlig eben, im N. und SW. findet sich Gebirgsland. Im allgemeinen ist der landschaftliche Charakter nicht großartig, aber lieblich und durch Abwechselung angenehm. Ebenen im Schmuck des frischesten Grüns, von ansehnlichen, ruhig hinfließenden Strömen durchzogen, von bläulich grünen Waldgruppen umsäumt und von zahlreichen Viehherden belebt, dehnen sich weit aus. Ohne große Wälder zu enthalten, ist England doch gut bewaldet; charakteristisch sind die Hecken und Baumreihen, welche die gartenähnlichen Felder umgeben und dem Fußreisenden die Aussicht oft entziehen; ferner die zahlreichen und prächtigen Landsitze des Adels, gewöhnlich von unübertrefflichen samtartigen Grasplätzen und Gruppen mächtiger alter Bäume umgeben, zwischen denen sich malerisch geordnetes Buschwerk und Unterholz hinzieht.
Nicht selten stößt diese englische Landschaft mit ihrem milden und zugleich luxuriösen Charakter unmittelbar ans Meer. Im S. wechseln häufig schon höhere Hügel mit Thälern; im N. und W. aber ragt eigentliches Gebirgsland kahl über die umgebende grüne Landschaft hervor. Wohl in keinem andern Land läßt sich die Abhängigkeit der Terrainformen von der geologischen Beschaffenheit des Bodens mit mehr Vorteil studieren als in England, wo fast alle geologischen Bildungen, von den ältesten bis zu den jüngsten, vertreten sind.
Von den Alluvialflächen an der Themsemündung in nordwestlicher Richtung fortschreitend, durchkreuzen wir sie sämtlich der Reihe nach, bis wir von den kambrischen Felsen der Insel Anglesey herab auf das Irische Meer blicken. Von Schottland wird England durch die Cheviot Hills (s. Cheviots) getrennt, welche in ihrem Kulminationspunkt eine Höhe von 813 m erreichen. Ihre Gipfel sind teilweise kegelförmig, felsig und kahl; die Abhänge, steil und durch tiefe Schluchten und Thäler getrennt, bieten zahlreichen Herden eine fruchtbare Weide. [* 2]
Eine Einsenkung, durch welche die Eisenbahn von Carlisle nach Newcastle [* 3] läuft (136 m), trennt dieses Grenzgebirge von dem breitbuckligen Zug der der Kohlenformation angehörigen Penninischen Kette (s. d.). Dieses »Rückgrat« Nordenglands erstreckt sich 245 km weit bis nach Derbyshire hinein, wo es mit dem 351 m hohen Weaver Hill endet. Es bildet die Wasserscheide zwischen der Nordsee und dem Irischen Meer. Sein höchster Punkt ist der Croß Fell (892 m). Nach O. fällt es sanft in die breite, ergiebige Thalebene von York ab, westlich grenzt es steiler an die fruchtbare, vom Eden durchflossene Cumbrische Ebene und an das Tiefland von Lancashire und Cheshire.
Das Penninische Gebirge mit seinen meist abgerundeten Formen und großen Strecken von Torfboden und Heideland macht auf den Beschauer einen höchst trostlosen Eindruck. Es wird aber durchzogen von malerischen Thälern, die im üppigsten Grün prangen, und sein Reichtum an Steinkohlen und Eisen [* 4] hat selbst in seinen Einöden Hauptsitze der Industrie erwachsen lassen. Durch den Sattel von Yap Fell, an den Quellen von Eden und Lune, steht die Penninische Kette mit dem Cumbrischen Gebirge in Verbindung, welches die Halbinsel von Cumberland erfüllt und im Sca Fell zu 984 m ansteigt.
Heiden kommen zwar auch hier vor, aber malerische Seen, saftige Wiesen und bewaldete Thäler sind tonangebend und haben diesen »Lake District« zu einer der besuchtesten Touristengegenden werden lassen. Die Ebene von Cheshire trennt die Gebirge Nordenglands von den Kambrischen Gebirgen in Wales (s. d.), welche im Snowdon bis 1074 m ansteigen. Als Vorhügel dieses Gebirgslandes kann man die Clee Hills (550 m) und die Malvern Hills (426 m) jenseit des Severn auffassen. Den Kanal [* 5] von Bristol kreuzend, erreichen wir die an malerischen Schönheiten so reiche Halbinsel Devon-Cornwall, wo der Dartmoor, eine wüste, sumpf- und heidereiche Granitinsel, über eine üppig grüne Landschaft hervorragt und im Yeo Tor eine Höhe von 633 m erreicht. Andre Höhenzüge sind hier der Exmoor im N., ein Schutz gegen Nordwinde, und die Cornischen Höhen (Cornish Heights) im äußersten Westen (Brown Willy, 416 m).
Diese aus den ältern Gesteinen bestehenden Bergländer Englands sind von Thälern oder niedern Tafelländern begrenzt, durch die sie von den Hügellandschaften des südöstlichen England getrennt werden. Im N. liegt die fruchtbare Thalebene von York, die in ausgedehnten, an der Verbindung von Ouse und Trent gelegenen Marschen ihre Fortsetzung findet. Die Mitte des Landes nimmt das ausgedehnte Tafelland von Birmingham [* 6] ein, 100-200 m hoch, mit dem Wrekin (400 m) als isoliertem Gipfel nahe seinem Westrand. Im O. geht dieses Tafelland in den Distrikt der Fens (s. d.) über, ein kleines »Holland« mit zahlreichen Kanälen und saftigen Weiden, während es im W. mit den Tiefebenen von Lancashire und Cheshire in Verbindung steht.
Letzteres läßt sich in südlicher Richtung längs des Severn (als Thalebene von Gloucester) verfolgen und setzt sich als Thalebene von Taunton etc. jenseit des Kanals von Bristol bis zur Südküste Devons fort. In diesen weiten Gebieten herrschen Sandsteine, Kalksteine, Thon und Mergel der Trias- und Liasbildungen vor, und wellenförmige Wiesen wechseln mit ergiebigen Ackerfeldern und Obsthainen ab. Die Hügellandschaften des südöstlichen und östlichen England gehören fast ausschließlich zwei geologischen Formationen an, nämlich der Oolithenbildung und der Kreide. [* 7]
Die oolithischen Kalksteinhügel erstrecken sich von der Küste Dorsets in nordnordöstlicher Richtung bis zum Humber und treten nördlich desselben nochmals in dem »Moor« von Yorkshire (457 m) auf. Nach W. fallen sie steil ab, nach O. haben sie eine sanfte Abdachung. Sie sind weidereich. Ihr wichtigstes Glied [* 8] sind die Cotswold Hills (346 m), welche das bereits erwähnte fruchtbare Thal [* 9] von Gloucester überschauen. Östlich von dieser Kalksteinregion betreten wir die Region der Kreide, welche sich von der Küste des Kanals bis an die Nordküste Norfolks erstreckt und jenseit der seichten Meeresbucht the Wash noch abgetrennt in den Wolds von Lincoln und Yorkshire auftritt. Am massenhaftesten entwickelt ist die Kreidebildung in der Ebene von Salisbury (180 m), von wo ein Hauptarm nach NO. ausläuft, während sich zwei Arme in östlicher Richtung abzweigen.
Zum erstern gehören die Marlborough Downs, die Chiltern Hills (275 m) und die Ostanglischen Höhen (East Anglian Heights). Die östlichen Arme bilden die North Downs (Inkpen, 305 m), die in den Felsen von Dover [* 10] enden, und die South Downs (Butser Hill, 296 m), die im steilen Beachy Head ihr Ende finden. Diese Kreidehügel sind mit zartem Gras bewachsen und nähren zahlreiche Schafherden. Sie umschließen sowohl die sogen. Becken von London [* 11] und von Hampshire, wo Kreide von Thon, Sand und Kalksteinen jüngern Alters überlagert ist, als den reizenden Bezirk des Wälderthons (s. Weald), an dessen Nordrand Leith [* 12] Hill (295 m), der höchste Punkt des südöstlichen England, liegt.
Die Küsten haben eine Ausdehnung [* 13] von etwa 3060 km, und kein Punkt des Landes ist über 110 km von der Küste entfernt. Ihre Natur entspricht ¶
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vollkommen der geologischen Bildung und den Höhenverhältnissen des Landes. Die Ostküste ist nur wenig gegliedert, und der Mangel an natürlichen Häfen wird nur unvollkommen durch die Flutmündungen einiger großer Flüsse [* 15] ersetzt, so daß man zu künstlichen Hafenbauten hat seine Zuflucht nehmen müssen. Die Flachküste, teilweise Marschland, herrscht vor, und wo Steilküsten vorkommen, sind dieselben aus Kreide, Sand oder Thon gebildet, die dem Anprall der Wellen [* 16] nur wenig Widerstand leisten.
Viel günstiger gestaltet ist die Südküste und namentlich die Westküste, wo steile Felsen aus härtestem Gestein dicht ans Meer herantreten und Buchten tief ins Land hineinschneiden. Aber auch hier, namentlich in Lancashire, kommen Flachküsten vor, und es ist bemerkenswert, daß gerade an einer solchen, an der Mündung des Mersey, der größte Handelshafen des Landes, Liverpool, [* 17] entstanden ist, während der prächtige, fjordartige Milfordhafen an der Küste von Wales nur wenig Anziehungskraft ausgeübt hat.
Bewässerung.
Wenn auch die Flüsse Englands sich mit denen des Kontinents nicht messen können, so sind sie doch infolge ihres Wasserreichtums und langsamen Laufs auf bedeutende Strecken schiffbar und leisten dem Verkehr wesentliche Dienste. [* 18] Eine Beschreibung der wichtigern Flüsse findet der Leser in besondern Artikeln, und wir beschränken uns daher hier auf die Namhaftmachung der wichtigsten unter ihnen mit Angabe der Größe ihres Flußgebiets und der Länge ihres Laufs.
Flüsse | Länge Kilom. | Flußgebiet QKilom. | QMeil. |
---|---|---|---|
Ostküste Tyne | 117 | 2727 | 49.52 |
Wear | 105 | 1181 | 21.44 |
Tees | 127 | 1927 | 34.99 |
Humber (Ouse, Trent etc.) | 298 | 24068 | 437.09 |
Witham | 103 | 2795 | 50.75 |
Welland | 116 | 1968 | 357.47 |
Nen | 161 | 2732 | 47.63 |
Ouse (Great Ouse) | 230 | 7164 | 130.10 |
Yare und Waveney | 85 | 2291 | 41.39 |
Themse | 323 | 13600 | 247.17 |
Medway | 71 | 1761 | 31.98 |
Südküste Avon von Salisbury | 98 | 1745 | 31.65 |
Stour | 87 | 1189 | 21.50 |
Westküste Ex | 89 | 1512 | 27.47 |
Parret | 61 | 1453 | 26.40 |
Severn | 299 | 21027 | 381.78 |
Towy | 93 | 1330 | 24.08 |
Dee | 129 | 2105 | 38.14 |
Mersey | 90 | 4460 | 71.00 |
Ribble | 87 | 1515 | 27.52 |
Eden | 111 | 2370 | 42.94 |
Die Mehrzahl der englischen Seen befindet sich im Cumbrischen Gebirge, in dem sogen. Seebezirk (Lake District). Windermere, der größte von ihnen, ist indes nur 15 km lang, kaum 1,5 km breit und bedeckt eine Fläche von nur 10 qkm. Auch in Wales liegen einige kleine Seen, unter welchen der 6 km lange Bala Lake der bedeutendste ist. England hat eine nicht unbedeutende Anzahl von heißen Quellen und Mineralwässern. Zu erstern gehören diejenigen von Bath (47° C.) und Bristol (24° C.) im W. Englands, die von Buxton (27° C.), Matlock (20° C.) und Bakewell (16° C.) in Derbyshire und die St. Taafe's Well bei Cardiff (26° C.) im südlichen Wales.
Sie treten sämtlich in der Steinkohlenformation auf. Von kalten Schwefelwässern sind zu erwähnen: das von Gilsland in Cumberland, Harrowgate in Yorkshire und Holbeck bei Leeds; [* 19]
von Laugenwässern: das von Malvern in Worcestershire;
von Eisenwässern: Cheltenham in Gloucestershire, Scarborough und Harrowgate in Yorkshire, Tunbridge Wells in Kent und Brighton in Sussex;
von Bittersalzwässern: Epsom in Surrey;
endlich von Kochsalzquellen: Leamington in Warwickshire, Landridnod in Radnorshire, namentlich aber Ashby de la Zouch und Droitwich in Cheshire.
Bemerkenswert sind noch die jod- und bromhaltigen Wässer von Purton Spa in Wiltshire und die alaunhaltigen Vitriolquellen von Sandrocks auf der Insel Wight.
Klima.
Das Klima Englands ist wesentlich durch die See bedingt, die von drei Seiten das Land umgibt, und namentlich dem Golfstrom verdankt es jene Milde, Gleichmäßigkeit und Feuchtigkeit, welche dem Wachstum von Menschen, Tieren und Pflanzen so ausnehmend günstig sind. Im Frühjahr, ehe noch die Strahlen der nach N. schreitenden Sonne [* 20] das Festland Europas erwärmt haben, herrschen kalte Winde [* 21] aus N. und O. vor. Im Sommer und Herbst sind kühle und feuchte Winde von entgegengesetzter Richtung, im Winter dagegen Nord- und Südwinde vorherrschend.
Die Nordostwinde streichen, ehe sie England erreichen, über eine ausgedehnte Meeresfläche und verlieren dadurch an Kälte, was bei reinen Ostwinden nicht der Fall ist. Diese Winde sind meistens trocken, werden aber zu gewissen Zeiten von Nebel (im N. auch von Schnee) [* 22] begleitet. Die West- und Südostwinde sind feucht und bringen Regen. Der Niederschlag an der Westküste ist bedeutender als im Innern des Landes und an der Ostküste, und während es in Liverpool jährlich an 228 Tagen regnet, ist dies in London nur an 190 Tagen der Fall. Den Einfluß, welchen Gebirge auf die herabfallende Regenmenge auszuüben vermögen, erkennt man recht deutlich an den meteorologischen Stationen der Cumbrischen Gebirge, wo am Westabhang Regenmengen herabstürzen, wie sie sonst nur innerhalb der Tropen wieder angetroffen werden; denn während für ganz England die jährliche Regenmenge 760 mm nicht überschreitet, fallen hier, am Styepaß, 5702 mm. Das Maximum der Niederschläge fällt im größten Teil Englands auf den Winter und nur an einem Teil der Ostküste auf den Sommer.
Schnee ist verhältnismäßig selten und bleibt nur in den Gebirgen längere Zeit liegen. Die Temperatur fällt nur selten unter den Gefrierpunkt, und der Unterschied zwischen dem höchsten und niedrigsten Stande des Thermometers im Jahresdurchschnitt ist für London 35,5° C., für den Südwesten Englands nur 27,7°. Die Schwankungen des Thermometers im Januar und Februar belaufen sich in London auf 13,8; im SW. auf 13,4,° im N. auf 18,9° und im April und Mai bez. auf 20,1,° 13,8° und 21,5° C. Das Klima [* 23] ist im Vergleich zu andern unter gleicher Breite [* 24] gelegenen Ländern ungemein mild, so daß man fast den ganzen Winter hindurch pflügen und säen kann, das Vieh immer auf den Weiden Nahrung findet und das ganze Jahr hindurch unter freiem Himmel [* 25] bleibt.
Seiner gemäßigten Seeluft verdankt England seine große Fruchtbarkeit und das herrliche Grün seiner Wiesen und Triften; aber eben infolge der gleichmäßigen Temperatur gedeihen gewisse Früchte nicht, welche einer hohen Sommertemperatur bedürfen, und wenn auch die Weintraube in einem großen Teil des Landes fast immer reift, so läßt sie doch an Saft und Süßigkeit viel zu wünschen übrig. In der folgenden Tabelle geben wir die Durchschnittstemperatur einer Anzahl von Orten in Celsiusgraden, den Niederschlag daselbst in Millimetern: ¶
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Breite | Jan. | Juli | Jahresmittel | Niederschlag | |
---|---|---|---|---|---|
Carlisle | 54° 54' | 2.32 | 14.61 | 8.32 | 771 |
Lancaster | 54° 3' | 2.52 | 14.29 | 7.98 | 1001 |
Liverpool | 5.° 25' | 4.42 | 16.34 | 10.45 | 866 |
Bristol | 51° 27' | 2.23 | 19.45 | 10.93 | 590 |
Penzance | 50° 11' | 5.90 | 16.72 | 10.99 | 1168 |
Gosport | 50° 47' | 3.89 | 17.80 | 11.01 | 823 |
London | 51° 31' | 2.32 | 16.35 | 9.13 | 483 |
Hull | 53° 46' | 4.05 | 16.23 | 9.55 | 465 |
Oxford | 51° 46' | 2.78 | 16.21 | 9.20 | 602 |
Manchester | 53° 30' | 2.74 | 15.90 | 9.29 | 902 |
Pflanzen- und Tierwelt.
In seiner Flora stimmt England mit dem kontinentalen Europa [* 27] überein, doch nimmt man vier Pflanzengebiete an, die aus einer Zeit stammen, als das Land noch mit dem Kontinent zusammenhing. Devon, [* 28] Cornwall und Südwales zeigen in ihrer Flora viel Übereinstimmendes mit der Bretagne und Normandie. Die zweite Einwanderung der Pflanzen kam aus Nordfrankreich und verbreitete sich namentlich über die Kreideregion. Während der Eiszeit [* 29] siedelten sich Pflanzen aus Norwegen [* 30] an, und schließlich verbreitete sich die mitteleuropäische Flora, die in den günstigsten Boden fand und die vorhandenen Floren nach W. und SW. verdrängte. Während die kühlen Sommer manche Früchte, wie Aprikosen, Pfirsiche, Trauben, im Freien nur unter dem Schutz einer Mauer reifen lassen, haben die warmen Winter es möglich gemacht, zahlreiche subtropische Gewächse zu akklimatisieren. Myrten und immergrünende südeuropäische Sträucher findet man fast überall im Freien, während im gesegneten Cornwall auch Kakteen, [* 31] die amerikanische Aloe, Proteen und Kamelien gedeihen.
Auch die Fauna ist die europäische. Viele der wilden Tiere sind indes längst verschwunden, so der Auerochs, der Bär, der Wolf, das Wildschwein und der Biber. Andre, namentlich der Fuchs, [* 32] überleben nur noch, weil man ihre Ausrottung hindert. Die einzigen wild lebenden Raubtiere [* 33] sind der Fuchs, der Dachs, der Fischotter, [* 34] das Wiesel, [* 35] der Iltis, [* 36] der Marder [* 37] und die wilde Katze, [* 38] alle sehr selten. Edelhirsche leben noch wild im Exmoor, sonst werden Damhirsche und Rehe gehegt.
Die Nagetiere [* 39] sind vertreten durch Hasen, Kaninchen, [* 40] Eichhörnchen, Murmeltiere und zahlreiche Mäuse und Ratten. Vögel [* 41] sind allenthalben zahlreich und werden teilweise der Jagd zuliebe gehegt, so namentlich Fasanen. Das rote Heidehuhn (red grouse) soll England eigentümlich sein. Störche sind nur seltene Besucher, dagegen soll die Nachtigall zuweilen bis nach Yorkshire hinaufgehen. Der Auerhahn und die Trappgans sind in historischer Zeit verschwunden. Von den Reptilien ist nur die Natter giftig. Meer und Flüsse sind fischreich oder waren es, ehe noch Fabriken ihren Unrat in dieselben entleerten. Die englische Auster [* 42] war schon zur Zeit der Römer [* 43] berühmt.
Bevölkerung.
Die Bevölkerung von England und Wales hat trotz bedeutender Auswanderung seit dem Anfang dieses Jahrhunderts stetig zugenommen. Im J. 1801 betrug sie 8,892,536, 1881 aber 25,974,439 Seelen, also 192 Proz. mehr, so daß sich die durchschnittliche Jahreszunahme auf 1,37 Proz. belaufen hat. Auf die seit 1831 zwischen den Volkszählungen liegenden Jahrzehnte verteilt sich diese Zunahme wie folgt:
1831-41: | 14.52 Proz. |
1841-51: | 12.65 |
1851-61: | 11.93 |
1861-71: | 13.19 |
1871-81: | 14.36 |
Selbstverständlich verteilte sich diese Zunahme nicht gleichmäßig über das ganze Land. Am bedeutendsten war dieselbe in den großen Handelsstädten und in den Fabrikbezirken, während die ländlichen Gebiete vielfach eine Abnahme zeigten. So nahm die Bevölkerung [* 44] in den Städten 1871-81 um 19,63, auf dem Land nur um 7,42 Proz. zu, und in 13 Grafschaften und in 985 von den 2175 Bezirken, in welche das Königreich behufs Aufnahme des Zivilstandes geteilt ist, wurde sogar eine Abnahme konstatiert. Am raschesten wuchs die Bevölkerung in Surrey, Durham, Essex, Lancashire und Derby, während sich eine Abnahme in Cornwall, Radnorshire, Huntingdonshire, Cardiganshire und Herefordshire zeigte.
Daß die Auswanderung die Bewegung der Bevölkerung sehr wesentlich beeinflußt hat, liegt auf der Hand, [* 45] wenn wir bedenken, daß 1851-61: 640,316, 1861-71: 649,742 und 1871-81: 996,038 Engländer von Geburt auswanderten. Daß aber die Folgen dieser Auswanderung durch Rückwanderung aus überseeischen Ländern und durch Zuwanderung von Irland, Schottland und dem kontinentalen Europa großenteils verwischt werden, ersieht man aus folgender Betrachtung. Im J. 1871 betrug die Bevölkerung 22,712,266 Seelen, und der Überschuß der Geburten belief sich 1871-81 auf 3,426,480 Seelen, so daß also die Bevölkerung 1881: 26,138,746 Seelen hätte zählen müssen, wenn keine Auswanderung stattgefunden hätte.
In der That aber belief sich die Bevölkerung nur auf 25,974,439 und beziffert sich somit der Verlust durch Auswanderung, insoweit er nicht durch Rück- und Zuwanderung ersetzt ward, auf nur 164,307 Seelen. Die Rück- und Zuwanderer aber beliefen sich auf 831,731 Seelen, und wenn auch unter ihnen das national-englische Element das Übergewicht hatte, so befanden sich unter ihnen doch auch zahlreiche fremde Elemente (namentlich Iren), durch welche die Zusammensetzung der Bevölkerung in nicht geringem Grad beeinflußt wird. Auswanderer englischer Geburt zählte man 1853-84: 2,664,016, nämlich 1853-75: 1,604,602, 1876-80: 425,550,1881: 139,976, 1882: 162,992, 1883: 183,236, 1884: 147,660 oder im Jahresdurchschnitt seit 1853: 83,250.
Dem Geschlecht nach kamen auf 1000 Bewohner männlichen Geschlechts 1821: 1044, 1841: 1046, 1861: 1056 und 1881: 1055 Bewohner weiblichen Geschlechts. Diese Schwankungen sind wesentlich durch die Auswanderung hervorgerufen, deren Einfluß noch deutlicher zu Tage tritt, wenn wir die Bevölkerung nach Altersklassen einteilen. Von je 100 Bewohnern waren unter 20 Jahre alt 1821: 49,0, 1841: 46,0, 1861: 45,2, 1871: 45,7, 1881: 46,2. Im J. 1881 war die Verteilung nach Altersklassen wie folgt (pro Mille):
Geschlecht | Altersklassen (in Jahren) | |||||
---|---|---|---|---|---|---|
unter 5 | 5-15 | 15-25 | 25-45 | 45-65 | über 65 | |
Männlich | 139.1 | 235.0 | 188.3 | 246.3 | 138.9 | 52.4 |
Weiblich | 132.2 | 223.2 | 187.1 | 262.1 | 146.4 | 49.0 |
Was körperliche Gebrechen betrifft, so kamen 1881 auf je 1 Mill. Bewohner: 879 Blinde, 572 Taubstumme, 1260 Blödsinnige und 1994 Irrsinnige.
Dem Zivilstand nach verteilt sich die Bevölkerung 1881 wie folgt in Prozenten:
Zivilstand | Gesamtbevölkerung | Davon über 15 Jahre | ||
---|---|---|---|---|
männlich | weiblich | männlich | weiblich | |
Ledig | 61.93 | 59.23 | 39.18 | 36.74 |
Verheiratet | 34.63 | 33.28 | 55.32 | 51.64 |
Verwitwet | 3.44 | 7.49 | 5.50 | 11.62 |
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Das durchschnittliche Alter bei der Eheschließung war 1871-81 bei Männern 27,9, bei Frauen 25,7 Jahre; das durchschnittliche Alter der Ehemänner 1881: 43,1, der Ehefrauen 40,7 Jahre.
Was die Bewegung der Bevölkerung betrifft, so kamen auf je 1000 Lebende 1872-81: 8,0 Heiraten, 35,3 Geburten und 21,3 Todesfälle;
1882 aber 7,7 Heiraten, 33,7 Geburten und 19,6 Todesfälle;
1883: 7,7 Heiraten, 32,2 Geburten und 19,5 Todesfälle.
Somit hätten in jüngster Zeit die Heiraten sowohl als die Geburten abgenommen, was wohl wesentlich auf Rechnung der wirtschaftlichen Verhältnisse zu setzen ist. Damit hängt selbstverständlich auch die geringere Anzahl der Todesfälle zusammen. Daß indes hierbei auch gesundheitliche Maßregeln eine Rolle spielen, ergibt sich aus dem Umstand, daß 1838-73 bei durchschnittlich 33,8 Geburten 22,4 Todesfälle vorkamen. Auf je 1000 Kinder weiblichen Geschlechts wurden 1871-81: 1038 Kinder männlichen Geschlechts geboren.
Wohnplätze. Die Verteilung der Bevölkerung auf Stadt und Land gestaltet sich von Jahr zu Jahr zu gunsten der großen Städte. Im J. 1861 gab es 70 Städte von über 20,000 Einw., 1881 aber 145. Im J. 1861 lebten in denselben 7,354,182 Menschen (36,5 Proz. der Bevölkerung), 1881 aber 12,453,501 Menschen (47,9 Proz.). Die volkreichsten Städte Englands sind: London, Liverpool, Manchester [* 47] mit Salford, Birmingham, Leeds, Sheffield [* 48] und Bristol. Im J. 1881 zählte man 4,831,519 bewohnte, 386,676 unbewohnte und 46,414 im Bau begriffene Häuser. Es kamen auf je ein bewohntes Haus 5,38 Bewohner (in London 7,85). Außerdem aber schliefen in der Zensusnacht 77,368 Personen in Schiffen und 10,924 in Wagen oder im Freien.
Nationalität.
Nach Boyd Dawkins waren die ursprünglichen Bewohner Englands den Eskimo stammverwandt, und in der That findet man noch in abgelegenen Gegenden einen mongolischen Typus mit schrägen Augen und hervorstehenden Backenknochen. Später wanderte ein Volk mit dunkler Hautfarbe und gelocktem Haar [* 49] ein, welches Funde in alten Gräbern als Stammverwandte der Iberer erscheinen lassen. Erst viel später kamen zu diesen alten Bewohnern die Kelten, zuerst Gälen, dann Kymren.
Aber schon lange, bevor die letzten Gälen aus Wales nach Irland vertrieben worden waren, hatten sich an den Küsten des südöstlichen England blauäugige, hellhaarige Belgen festgesetzt. Die römische Herrschaft übte nur geringen Einfluß auf die Zusammensetzung der Bevölkerung aus, um so mehr aber die großen Wanderungen, die nach dem Zusammenbruch des römischen Reichs das Land überfluteten. Jüten setzten sich auf der Insel Thanet, in Kent, auf der Insel Wight und in Hampshire fest; Sachsen [* 50] und Friesen ergriffen Besitz vom Themsebecken, von Sussex und Essex; Angeln breiteten sich über das mittlere und nördliche England aus (s. Angelsachsen).
Dazu kamen später noch Dänen und Norweger, die sich an den Küsten und in dem ganzen Strich von Durham bis nach Hertford niederließen, und schließlich noch Wilhelm der Eroberer mit seinen 55,000 französisch-normännischen Abenteurern. Seit jener Zeit hat eine kriegerische Einwanderung nicht mehr stattgefunden, wohl aber haben Tausende von protestantischen Vlämen und Hugenotten, später auch Pfälzer in England eine zweite Heimat gefunden. Aus einer Mischung dieser verschiedenen Elemente ist der Engländer hervorgegangen, der sich wohl selbst vorzugsweise Angelsachse nennt, der aber doch ein gut Teil keltischen, d. h. britischen, Bluts in seinen Adern hat, und den Huxley daher vorschlägt Anglobriten zu nennen. Beddoes mühevolle Untersuchungen (»The races of Britain«, Lond. 1885) zeigen deutlich, wie nur in Teilen von Nord- und Ostengland der teutonische Typus überwiegt, während in dem größten Teil des Landes Teutonisch und Keltisch sich das Gleichgewicht [* 51] halten und der keltische Typus immer reiner auftritt, je weiter wir nach Westen fortschreiten. Im eigentlichen England lebt allerdings das Andenken der keltischen Bewohner nur noch in Fluß- und Bergnamen fort; aber in Wales (s. d.) wird kymrisch von der Mehrzahl der Bewohner gesprochen. In Cornwall war das Kymrische schon am Anfang des 18. Jahrh. fast erloschen, und im J. 1791 lebte nur noch eine Person, welche der alten Sprache [* 52] mächtig war.
Daß die Umgestaltung des englischen Volkes durch friedliche Einwanderung noch bis auf den heutigen Tag fortdauert, zeigt recht deutlich eine Klassifikation der Bevölkerung nach dem Lande der Geburt. Diese gestaltet sich wie folgt:
Geburtsland | 1841 Zahl | Proz. | 1861 Zahl | Proz. | 1881 Zahl | Proz. |
---|---|---|---|---|---|---|
England und Wales | 15441530 | 97.07 | 19120052 | 95.28 | 24855822 | 95.69 |
Schottland | 103768 | 0.65 | 169202 | 0.84 | 253528 | 0.98 |
Irland | 290891 | 1.83 | 601634 | 3.00 | 562374 | 2.17 |
Man und Kanalinseln | 11705 | 0.07 | 18423 | 0.09 | 29316 | 0.11 |
Kolonien und Indien | 17248 | 0.11 | 51572 | 0.28 | 94399 | 0.36 |
Ausland | 39446 | 0.25 | 101832 | 0.51 | 174372 | 0.67 |
Auf dem Meer | 2153 | 0.01 | 3509 | 0.02 | 4628 | 0.02 |
Recht deutlich zeigt diese Tabelle die Zunahme des irischen Elements seit der großen Hungersnot im J. 1847, und da dasselbe, schon infolge der verschiedenen Religion, sich nur sehr langsam mit dem englischen Element vermischt, so ist die Zahl der in England lebenden Iren natürlich um ein Mehrfaches größer, als hier angegeben, und beträgt wohl 2 Mill. Am zahlreichsten sind die Iren in Lancashire und namentlich in Liverpool. Aber auch die Zahl der im Ausland Gebornen hat sehr zugenommen.
Viele von ihnen sind selbstverständlich die Kinder britischer Eltern, andre haben in England Staatsbürgerrechte erworben, und nur für den Rest (118,031) gibt der Zensusbericht Aufschluß über das Geburtsland. Danach gab es 37,301 Deutsche, [* 53] 2368 Deutsch-Österreicher, 4089 Schweizer, 14,596 Franzosen, 10,679 Polen und 17,267 Amerikaner (aus den Vereinigten Staaten). [* 54] Unter den Deutschen waren 3978 Dienstboten, 2091 Kaufleute und Kommis, 2048 Lehrer, 2043 Bäcker, 1860 Matrosen, 1719 Schneider, 886 Uhrmacher und 880 Musiker. Von den Deutschen sind kaum 4500 naturalisiert.
Religion.
Über die Anzahl der Anhänger der verschiedenen Kirchen lassen sich nur Schätzungen nach den Heiratsregistern und unvollständigen kirchlichen »Jahrbüchern« machen, doch glauben wir der Wahrheit nahezukommen, wenn wir annehmen, daß es 1881: 1,100,000 Katholiken, 6 Mill. Dissidenten und 65,000 Juden gab, so daß also 18,809,000 Seelen für die anglikanische Staatskirche verblieben. Indes wurden 1882 nur 17 Proz. der gebornen Kinder von anglikanischen Geistlichen getauft und 176,464 junge Leute konfirmiert, obgleich 532,000 im 15. Lebensjahr standen. Dagegen hatten die fünf Hauptsekten der Dissidenten, nämlich die Methodisten, die Independenten (Kongregationalisten), Baptisten, Presbyterianer und ¶
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Quäker, in demselben Jahr 12,900 Kirchen, 8996 Geistliche (neben Tausenden von freiwilligen Predigern oder Lay Preachers), 1,500,000 Mitglieder und 2,500,000 Sonntagsschüler. Überhaupt aber zählte man 1881: 21,663 anglikanische Geistliche, 2089 katholische Priester, 9737 Geistliche der Dissidenten, 4625 Missionäre, Bibelvorleser etc. und 3795 Nonnen. Im J. 1884 gab es etwa 15,000 anglikanische und 23,341 andre gottesdienstliche Gebäude. Was nun die anglikanische Kirche (s. d.) betrifft, so steht dieselbe unter 33 Bischöfen, die vom König, als Oberhaupt der Kirche, ernannt werden.
Der Erzbischof von Canterbury ist Primas von ganz der von York Primas von England. Ersterm unterstehen die Diözesen von Bangor, Bath mit Wells, Canterbury, Chichester, Ely, Exeter, Gloucester mit Bristol, Hereford, Lichfield, Lincoln, Llandaff, London, Norwich, [* 56] Oxford, [* 57] Peterborough, Rochester, St. Albans, St. Asaph, St. Davids, Salisbury, Southwell, Truro, Winchester und Worcester, während das Erzbistum York die Bistümer Carlisle, Chester, Durham, Liverpool, Manchester, Newcastle, Ripon, Sodor und Man und York umfaßt.
Die Bistümer zerfallen in 85 Erzdiakonate und 613 ländliche Dekaneien (Rural Deaneries), deren Vorsteher meist Inhaber einer Pfründe sind und keinen oder doch nur einen geringen Gehalt von höchstens 300 Pfd. Sterl. beziehen. Die Kapitelgeistlichkeit besteht aus 30 Dekanen (Deans) mit durchschnittlichem Gehalt von 1450 Pfd. Sterl., 131 Domherren (Canons) mit 350-1260 Pfd. Sterl., Stiftsherren (Prebendaries) u. a. Das gesamte Eigentum der Domkapitel wird von Ecclesiastical Commissioners verwaltet, zu denen außer den Bischöfen auch noch 5 Staatsminister, 3 Richter und 12 Laien gehören.
Sein Ertrag belief sich 1883 auf 1,044,534 Pfd. Sterl., aus welchem die Gehalte der Bischöfe (2-15,000 Pfd. Sterl.), der Kapitelgeistlichkeit etc. bestritten werden. Die niedere Geistlichkeit wird nach bestandenem Examen von den Bischöfen ordiniert. Sie teilt sich in Incumbents (Pfarrer) und Curates (Hilfsgeistliche), welche im Dienst eines Pfarrers stehen. Erstere beziehen den an Stelle des abgelösten Zehnten zahlbaren Erbzins und andre Kircheneinnahmen, letztere einen meist sehr bescheidenen Gehalt.
Die Zahl der Pfarreien beläuft sich auf 13,728 mit einer Jahreseinnahme von 4,525,395 Pfd. Sterl. Das Patronatsrecht bei Besetzung derselben wird ausgeübt von den Bischöfen (in 3454 Fällen), den alten Universitäten (723), den Kollegien von Eton und Winchester (59), der Krone (127), dem Prinzen von Wales (63), dem Lordkanzler (655) und von Gutsherren (8521), die in manchen Fällen die Stellen an den Meistbietenden versteigern. Das Parlament der Geistlichkeit heißt Konvokation, besitzt aber keine Autorität. Sitz in ihm haben die Bischöfe, die Dekane, die Erzdiakonen, von den Domkapiteln ernannte Anwalte (Proctors) und je zwei von der niedern Geistlichkeit eines jeden Bistums gewählte Vertreter. Die Laien haben in diesen Parlamenten weder Sitz noch Stimme, wie sie denn auch bei Besetzung der Pfarreien nicht befragt werden. Die gesamten Einnahmen der Kirche schätzt man auf 8 Mill. Pfd. Sterl.
Nichtanhänger der Staatskirche genießen jetzt sämtliche bürgerliche Rechte, zahlen auch seit 1868 keine Kirchensteuer mehr, und die kirchliche Trauung ist fakultativ. Sie erhalten indes vom Staat keine Unterstützung für ihre gottesdienstlichen Gebäude und sind daher ausschließlich auf freiwillige Beiträge angewiesen. Ganz verschieden von der Staatskirche, spielt bei ihnen das Laienelement eine bedeutende Rolle. Die Geistlichen (Ministers) werden von der Gemeinde angestellt und abgesetzt, das Kirchenvermögen von einem von der Gemeinde gewählten Vorstand verwaltet.
Sehr häufig stehen die Geistlichen der Dissidenten denjenigen der Staatskirche an Bildung und sozialer Stellung nach, und vielfach bedient man sich der sogen. Lokalprediger, welche während der Woche irgend ein Handwerk betreiben, welches sie nährt. Man zählt in England und Wales über 100 verschiedene Sekten, und während einige davon dem finstersten Calvinismus huldigen, vertreten andre die freisinnigsten Grundsätze. Eine hervorragende Rolle spielen in jüngster Zeit namentlich einige nach militärischer Art organisierte Armeen, wie die vom »General« Booth geführte »Heilsarmee« (s. d.),
die in allen größern Städten ihre »Kasernen« (d. h. Kirchen) und in vielen Orten ihre »Vorposten« unterhält, und deren »Soldaten« sonntäglich mit klingendem Spiel und fliegenden Fahnen die Straßen durchziehen. Anderseits haben aber auch die Sekularisten (s. d.) in vielen Städten ihre »Hallen«, die Positivisten (s. Comte) halten ihre Versammlungen ab, und die Agnostiker nehmen an Zahl zu. Sicherlich kann man behaupten, daß das religiöse Leben in England ein sehr reges ist, und wenn auch noch immer in einigen Schichten Engherzigkeit und Beschränktheit das Übergewicht behaupten, so ist doch nicht zu verkennen, daß freiere Ansichten (auch in der Staatskirche) immer mehr zu Tage treten.
Die Römisch-Katholischen stehen seit Herstellung der Hierarchie im J. 1850 unter dem Erzbischof von Westminster und 14 Bischöfen (Birmingham, Clifton, Hexham, Leeds, Liverpool, Middlesborough, Newport, Northampton, Nottingham, [* 58] Plymouth, [* 59] Portsmouth, [* 60] Salford, Shrewsbury und Southwark). Sie haben sich infolge der irischen Einwanderung bedeutend vermehrt, auch sind mehrere anglikanische Geistliche und hervorragende Laien neuerdings zu ihnen übergetreten. Eine statistische Untersuchung (begründet auf die Heiratsregister) zeigte jedoch, daß diese Proselytenmacherei mehr als ausgeglichen wird von der Zahl der Abtrünnigen. Im J. 1780 zählte man in England und Wales 69,380 Katholiken (0,89 Proz. der Bevölkerung), 1851: 766,000 (4,26 Proz.), 1881: 1,100,000 (4,24 Proz.).
Sehr zahlreich sind die religiösen Vereine, und ihre Einnahmen erreichen eine Höhe, um welche sie die Geistlichkeit aller andern Länder beneiden könnte. Die bedeutendsten dieser Gesellschaften sind die 1804 gestiftete Bibelgesellschaft, der 1789 gestiftete Traktätchenverein (Religious Tract Society), die 1689 gestiftete Gesellschaft für Förderung christlicher Kenntnisse (Society for promoting Christian knowledge); ferner zahlreiche Missionsgesellschaften der anglikanischen Kirche und der Dissidenten, unter welchen die Church Missionary Society und die London Missionary Society hervorragen.
Vereine für innere Mission, für Bekehrung der Juden, für Kirchenbau, für Unterstützung armer Geistlichen etc. erfreuen sich zahlreichen Anhanges. Die Church Institution verteidigt die Staatskirche, die Liberation Society befürwortet Trennung von Kirche und Staat, die English Church Union verteidigt das Treiben der Ritualisten (s. d.), die Church Association sucht deren Ausschreitungen zu verhindern. Hierher gehören ferner die seit 1844 gegründeten Jünglingsvereine (Young men's Christian Association) mit über 200,000 Mitgliedern, welchen die Annehmlichkeiten eines Klubs, allerdings mit einer gehörigen Dosis Religion und ¶
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ohne Tabak [* 62] und geistige Getränke, geboten werden. Auch die zahlreichen Mäßigkeitsvereine (Teetotal Societies) haben teilweise einen religiösen Anstrich.
Bildung.
Das Schulwesen Englands hat sich ungemein rasch gehoben, seitdem die Schulakte vom Jahr 1870 die Gemeinden zwingt, für Herstellung und Verwaltung der nötigen Elementarschulen Sorge zu tragen. Wo die bestehenden Schulen dem Bedürfnis nicht genügen, muß ein von den Steuerzahlern gewählter Schulrat (School Board), in welchem auch Frauen Sitz und Stimme haben, dem Mangel abhelfen. In diesen Gemeindeschulen (Board Schools) darf zwar die Bibel [* 63] gelesen und erklärt werden, dogmatischer Religionsunterricht ist indes ausgeschlossen.
Außer ihnen gelten aber auch die von Gesellschaften oder Privaten unterhaltenen Schulen als »öffentliche«, wenn die Schüler nicht gezwungen sind, dem Religionsunterricht beizuwohnen, und dem Inspektor der obersten Schulbehörde (Board of Education) der Zutritt zu jeder Zeit gestattet ist. »Öffentliche« Schulen haben Anspruch auf einen Zuschuß aus Staatsmitteln, dessen Höhe sich nach der Zahl der Schüler und den Leistungen derselben richtet. Unter den Gesellschaften, welche sich um das Unterrichtswesen durch Gründung von Schulen wesentliche Verdienste erworben haben, stehen die 1808 gegründete konfessionslose British and Foreign School Society und die 1811 ins Leben getretene anglikanische National Society obenan.
Insgesamt gab es 1884: 18,761 öffentliche Elementarschulen mit Raum für 4,826,738 Kinder. Beim Besuch des Inspektors waren 3,925,045 Kinder anwesend, und der durchschnittliche Schulbesuch betrug 3,273,124. Einige sind zu wirklichen Mittelschulen erweitert worden, und mit den meisten Stadtschulen stehen Fröbelsche Kindergärten in Verbindung. Doch macht sich der Mangel an guten Mittelschulen immer mehr fühlbar. Die zahlreichen Privatanstalten und Pensionen dieser Art entsprechen häufig selbst nicht den bescheidensten Forderungen, während die alten Stiftsschulen und die durch Schulfreunde ins Leben gerufenen sogen. Proprietary Schools dem Bedürfnis nicht genügen. Unter den sogen. 401 Colleges und Grammar Schools, welche etwa den deutschen Gymnasien oder Realgymnasien entsprechen, nehmen die von Eton, Winchester, Harrow, Westminster, Christ College in London, die City of London School und die Merchant Taylors' School den vornehmsten Rang ein, und namentlich die vier zuerst genannten widmen sich der Erziehung der Söhne vornehmer Eltern.
Universitäten bestehen in Oxford, Cambridge, Durham und Manchester (Viktoria-Universität). Die sogen. Universität von London ist dagegen bloß eine Examinationsbehörde, vor welcher die Studenten der höhern Colleges, der Fachschulen u. a. promovieren. Diese höhern Colleges sind in der That »kleine« Universitäten mit 1-4 Fakultäten. Es gibt deren 14, einschließlich 4 für Damen. An Fachschulen ist England gerade nicht reich. In London und den größern Städten bestehen in Verbindung mit den Hospitälern 25 Schulen für Ärzte, deren Studenten nach einem vor dem College of Physicians, dem College of Surgeons oder der Apothekergesellschaft abgelegten Prüfung zur Praxis zugelassen werden.
Eine »Rechtsschule« besteht in Lincoln's Inn (London), in der Regel aber gehen Juristen bei einem Advokaten (barrister) oder Notar in die Lehre [* 64] und treten nach einem Examen in eine der juristischen Korporationen ein. Theologische Seminare gibt es 56 protestantische und 23 katholische, in welchen auch Schüler, die sich nicht dem Priesterstand zu widmen gedenken, Aufnahme finden. Lehrer und Lehrerinnen werden in 39 Training Colleges ausgebildet. Polytechnische Anstalten in größerm Maßstab [* 65] bestehen jetzt in Birmingham, Leeds und London; eine Akademie für die Ausbildung von Ingenieuren für Indien findet sich bei Coopers' Hill. Außerdem sind noch zu erwähnen 2 landwirtschaftliche Akademien, 1 College für Tierärzte, 4 höhere Militärschulen in Woolwich und Sandhurst und 4 Konservatorien der Musik.
Wenn die Anzahl der technischen Schulen gering erscheint für ein Land mit so hoher gewerblicher Entwickelung, so darf nicht vergessen werden, daß auch in den meisten höhern Colleges technische Fächer [* 66] gelehrt werden. Außerdem aber entwickelt das Science and Art Department eine sehr ersprießliche Thätigkeit, indem unter seiner Leitung eine Bergbauschule, eine Schifffahrtsschule, eine Hochschule für Kunstgewerbe, über 100 technische Schulen (science schools) und 150 Zeichenschulen ins Leben gerufen worden sind.
Alles in allem leitet diese Behörde, deren Mittelpunkt das Gewerbemuseum in South Kensington bildet, den Unterricht von über 1 Mill. Studierenden und Schulkindern. Auch die von den alten Gilden Londons gegründete Anstalt hat bereits über 150 technische Unterrichtskurse in Provinzialstädten eingerichtet. Im J. 1881 zählte man in England und Wales 46,074 Lehrer und 122,846 Lehrerinnen, 2925 Studenten der Theologie, 5992 Studenten der Medizin, 1953 des Rechts und 1337 Kunstschüler.
Unter den gelehrten Gesellschaften behauptet die 1663 gegründete Royal Society den ersten Rang. Außer ihr gibt es zahlreiche Gesellschaften, welche sich die Pflege der verschiedensten Zweige des menschlichen Wissens und der Kunst angelegen sein lassen. Die zahlreichen über das ganze Land verbreiteten Literary and Mechanics Institutions suchen durch belehrende und musikalische Vorträge auf ihre Mitglieder bildend einzuwirken. Aus Gemeindemitteln unterhaltene Freibibliotheken gibt es jetzt in 102 größern Städten. Was nun auch noch die Mängel des englischen Schulwesens sein mögen, so muß doch anerkannt werden, daß die Fortschritte, die man seit 1870 in jeder Richtung gemacht hat, ganz bedeutende sind. (Weiteres s. Großbritannien.) [* 67]
Charakter und Sinnesart.
Es hält schwer, den Charakter eines Volkes zu bestimmen, welches aus so mannigfachen Elementen besteht wie das englische; denn gerade was am meisten in die Augen springt, sind eben oft nur Absonderlichkeiten, welche eine Minderheit auszeichnen, denen aber die große Masse des Volkes fremd ist. Man darf wohl sagen, daß der Engländer über Mittelgröße und kräftig gebaut ist. Die Größe bei 40 Jahre alten Männern beträgt 1727 mm (bei Wohlhabenden 1745, Handwerkern 1704, Feldarbeitern 1717 mm), das Gewicht 74,4 kg (bez. 77,1, 69,9 und 73,0 kg) und der Brustumfang 767 mm. Dieser kräftige Körperbau ist wesentlich eine Folge der nahrhaften, wenn auch derben Kost. Weizenbrot und geröstetes Fleisch (an dessen Stelle beim Arbeiter häufig Speck tritt) sowie schwere Puddinge sind die Nationalgerichte. Roastbeef und aus Rosinen, Mehl, [* 68] Nierenfett etc. zubereiteter Plumpudding fehlen auch dem armen Mann beim Weihnachtsfest nicht, selbst nicht in den Armenhäusern. Schweres Bier (Ale und Porter) und Wacholderschnaps (Gin) sind die Nationalgetränke. Nur die wohlhabenden Klassen trinken häufig Wein, aber während früher die schweren Portweine am beliebtesten waren, begnügt man sich jetzt mit leichtern ¶