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legte der Reichsverweser 20. Dez. sein längst ohnmächtiges, für die preußische Unionspolitik aber immerhin störendes Amt nieder. Als der Verwaltungsrat der Union 19. Okt. die Wahlen für das Volkshaus auf ausschrieb und dann den künftigen Reichstag zum 20. März nach Erfurt [* 2] berief, wogegen Österreich [* 3] sofort protestierte, nahmen Sachsen [* 4] und Hannover [* 5] an diesen Akten schon nicht mehr teil, weil ihre Voraussetzung der Vereinigung aller deutschen Staaten durch Bayerns und Württembergs Weigerung nicht erfüllt sei, sagten sich im Februar 1850 ganz vom Dreikönigsbündnis los und schlossen mit den süddeutschen Königreichen das Vierkönigsbündnis ab, in welchem ein neuer Verfassungsentwurf mit einer Volksvertretung von 300 durch die Kammern der Einzelstaaten zu wählenden Mitgliedern aufgestellt wurde. Österreich erklärte sich bereit, dem Bund beizutreten, wenn ihm der Eintritt mit dem ganzen Umfang seiner Staaten ermöglicht würde.
Die zaudernde, schwächliche Politik der Regierung zu Berlin, [* 6] wo sich zwei Parteien, zwischen denen der König schwankte, bekämpften, indem die eine die Unionspolitik bis an die Grenze des Möglichen verfocht, die andre die Union als ein Gewächs der Revolutionszeit verabscheute, mußte ihre Gegner immer mehr ermutigen. Zwar wurde das Erfurter Parlament mit einer entschieden unionistischen Rede des Generals v. Radowitz eröffnet, und die Majorität desselben nahm 17. April den Verfassungsentwurf des Dreikönigsbündnisses mit Verzicht auf jede Einzelberatung an, setzte aber dadurch die unentschlossene preußische Regierung in solche Verlegenheit, daß dieselbe das Parlament 29. April plötzlich vertagte, um es nicht wieder zusammenzuberufen.
Als Österreich hierauf sämtliche Mitglieder des Deutschen Bundes einlud, zum 10. Mai ihre Gesandten nach Frankfurt [* 7] zu schicken, antwortete Preußen [* 8] mit der Berufung der Unionsfürsten nach Berlin, und die Kleinstaaten folgten fast alle seinem Ruf, während die vier Könige, ferner Dänemark, [* 9] die Niederlande [* 10] und die beiden Hessen [* 11] die österreichische Partei ergriffen. Die Unionsfürsten wurden aber den ganzen Sommer hindurch mit leeren Verhandlungen hingehalten und ihnen der Rücktritt von der Union förmlich nahegelegt.
Einer nach dem andern benutzte diese Freiheit, um sich dem Frankfurter Kongreß anzuschließen oder Beziehungen zu ihm anzuknüpfen, um so mehr, da derselbe energisch vorging, sich für den alten nur suspendierten, nicht aufgehobenen Bundestag erklärte und als solcher unter Vorbehalt des demnächstigen Eintritts der wenigen Staaten, welche noch zur Union hielten, seine Sitzungen unter dem Vorsitz Österreichs wieder eröffnete. Er bekam sofort Gelegenheit, seine Macht der preußischen Unionspolitik gegenüber zu erproben.
Der Kurfürst von Hessen hatte mit Hassenpflugs Hilfe die Verfassung von 1831 zu stürzen versucht, war aber bei dem einmütigen, entschlossenen Widerstand des Landes 12. Sept. nach Frankfurt entflohen und rief nun hier die Hilfe des Bundes an. Er erwirkte auch 21. Sept. einen ihm günstigen Bundesbeschluß. Auf einer Zusammenkunft des Kaisers von Österreich mit den Königen von Bayern [* 12] und Württemberg [* 13] in Bregenz [* 14] (10.-14. Okt. 1850) wurde verabredet, in Kurhessen von Bundes wegen zu intervenieren und das Land durch ein österreichisch-bayrisches Heer besetzen zu lassen. Am 25. Okt. beschloß der Bund die Intervention, und 1. Nov. überschritt das Exekutionsheer die kurhessische Grenze. Zu gleicher Zeit ratifizierte der Bund den Frieden mit Dänemark, den Preußen, nachdem der Krieg 1849 von neuem ausgebrochen, aber bereits 10. Juli d. J. durch einen Waffenstillstand beendet worden war, zu Berlin abgeschlossen hatte; man überließ die Herzogtümer nicht bloß ihrem Schicksal, sondern erwog auch bereits eine Bundesexekution, um sie dem Verlangen der europäischen Mächte gemäß zur Unterwerfung unter Dänemark zu zwingen.
Preußen schien zu mannhafter Verteidigung seiner Unionspolitik entschlossen: am 26. Sept. war Radowitz, die Seele derselben, zum Minister des Auswärtigen ernannt worden, und preußische Truppen rückten in Kurhessen ein und besetzten die vertragsmäßigen Etappenstraßen. Angesichts des drohenden Konflikts wendeten sich beide Mächte, Österreich und Preußen, an Rußland. Kaiser Franz Joseph begab sich selbst zu einer Zusammenkunft mit Kaiser Nikolaus nach Warschau [* 15] (26.-28. Okt. 1850), Friedrich Wilhelm schickte seinen Ministerpräsidenten, den Grafen Brandenburg, [* 16] dahin.
Der hochmütige Zar, der sich berufen glaubte, die Revolution in ganz Europa [* 17] bis zur Wurzel [* 18] auszurotten, stellte sich entschieden auf die Seite Österreichs. Friedrich Wilhelm wurde nun wieder schwankend. Die Armee wurde zwar 6. Nov. mobil gemacht, aber Radowitz entlassen und durch Manteuffel ersetzt. Dieser erbot sich zur Befolgung der Bundesbeschlüsse betreffs Kurhessens und Schleswig-Holsteins und verlangte nur noch freie Verhandlung über die Verfassungsfrage.
Aber Schwarzenberg forderte die sofortige Anerkennung des Bundestags und Auflösung der Union, also bedingungslose Unterwerfung. Schon kam es in Kurhessen bei Bronnzell 8. Nov. zwischen preußischen und Bundestruppen zu einer Plänkelei. Aber da die Mobilmachung erhebliche Schäden im preußischen Heerwesen aufgedeckt hatte, wagte der König keinen Krieg und zog die demütige Unterwerfung unter Österreichs Bedingungen vor. Am 29. Nov. unterzeichnete Manteuffel den Olmützer Vertrag, welcher Preußen den Verzicht auf sein Unionsprojekt und auf die mit Baden, [* 19] Anhalt, [* 20] Mecklenburg [* 21] und Braunschweig [* 22] abgeschlossenen Militärkonventionen, die Räumung von Baden und Hessen und die Rückführung der schleswig-holsteinischen Armee hinter die Eider durch preußisch-österreichische Kommissare auferlegte; die deutsche Verfassungsfrage sollte auf freien Ministerkonferenzen verhandelt werden.
Ende November kehrten der Kurfürst und Hassenpflug unter dem Schutz der Exekution nach Kassel [* 23] zurück und schalteten nach Beseitigung der Verfassung von 1831 nach Willkür und Laune im Land. Am trafen die österreichisch-preußischen Kommissare in Kiel [* 24] ein, lösten die schleswig-holsteinische Landesversammlung und das Heer auf und überlieferten das Land wehrlos den Dänen. Die zur Beratung der Verfassungsfrage berufenen freien Dresdener Konferenzen wurden eröffnet, brachten aber bei dem hochmütigen Verhalten Österreichs, das auch nicht die geringste Konzession zu machen gewillt war, nach monatelangen Verhandlungen (bis nur einen Stoß Protokolle zu stande, die als »schätzbares Material« für die deutsche Frage in das Bundesarchiv wanderten. Schon Ende März 1851 forderte Preußen die Staaten der Union auf, gleich ihm selbst den alten Bundestag wieder zu beschicken.
Unter dem Schutz des alten Bundestags, der am eine Bundeszentralkommission einsetzte, welche die Aufgabe hatte, die bestehenden ¶
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Verfassungen zu revidieren und alles Staatsgefährliche daraus zu entfernen, feierte die Reaktion in der Verfolgung aller nationalen und freiheitlichen Bestrebungen ihre Triumphe. Das Schicksal Schleswig-Holsteins wurde durch das Londoner Protokoll besiegelt. Die aus den freiwilligen Gaben der Nation gebildete deutsche Flotte ward zur Versteigerung verurteilt. Die kurhessische Verfassung von 1831 wurde durch Bundesbeschluß vom für mit den Grundgesetzen des Bundes unvereinbar erklärt.
Die konstitutionelle Verfassung Mecklenburgs mußte der alten feudalständischen wieder weichen. Das hannöversche Ministerium Borries wurde bei seinem neuen Verfassungsbruch vom Bund eifrig unterstützt. Fast in allen deutschen Staaten suchte ein reaktionäres Polizeiregiment die Erinnerungen an das Jahr 1848 wieder auszutilgen und durch Beschränkung der Volksrechte, Präventivmaßregeln und strenge büreaukratische Kontrolle der Wiederkehr einer solchen Katastrophe vorzubeugen.
Der Thron [* 26] schloß zu diesem Zweck einen Bund mit dem Altar, [* 27] und während an protestantischen Höfen die buchstabengläubige, herrschsüchtige Orthodoxie sich breit machte, verstand es die katholische Kirche vortrefflich, die in der Revolutionszeit errungene Freiheit von staatlicher Aufsicht durch besondere Konkordate sich zu sichern. Der Nation bemächtigte sich aber teils eine pessimistische Verzweiflung, da die edelste, schönste Erhebung des gesamten Volkes ein so erbärmliches Ende gefunden, teils eine stumpfe Resignation, die sich auf die nächstliegenden Sorgen beschränkte. Die Auswanderung (1851: 113,000 Personen) bewies, welcher Überdruß sich aller Kreise [* 28] bemächtigt hatte.
Nur auf einem Gebiet wurde die Selbständigkeit der deutschen Entwickelung gewahrt, auf dem der wirtschaftlichen Politik. Auch hier hatte Österreich den Versuch gemacht, das besiegte Preußen sich dienstbar zu machen. Im Mai 1850 stellte es den Antrag, mit seinem Gesamtstaat in den Zollverein aufgenommen zu werden. Sämtliche Mittelstaaten, mit Ausnahme von Hannover, erklärten sich auf einer Konferenz in Darmstadt [* 29] bereit, dies Verlangen bei der 1854 erforderlichen Erneuerung der Zollvereinsverträge zu unterstützen.
Entweder also war zu befürchten, daß das wenig entwickelte Österreich den Deutschen Zollverein zu seinem Vorteil ausbeutete und beherrschte, oder daß Deutschland [* 30] in zwei Zollgebiete, ein österreichisches und ein preußisches, geteilt wurde. Preußen ließ es auf diese letztere Gefahr ankommen und vereitelte dadurch den Plan seiner Gegner. Nach längern Verhandlungen gab Österreich sein Verlangen auf und schloß mit Preußen und den Zollvereinsstaaten einen Handels- und Schiffahrtsvertrag auf dessen Grundlage später eine engere Annäherung herbeigeführt werden sollte. Münz- und Postverträge folgten. 1856 wurde auf Antrag Bayerns ein Ausschuß eingesetzt, der ein allgemeines deutsches Handelsgesetzbuch ausarbeiten sollte; dasselbe kam 1861 zu stande. Während das öffentliche Leben der Nation nur unerfreuliche Bilder darbot, war die stille Friedensarbeit in Kunst und Wissenschaft, Gewerbe und Handel von günstigem Erfolg begleitet und die Saat einer bessern Zukunft gestreut.
Vergebliche Versuche einer Bundesreform.
Wenn in den 20er und 30er Jahren die Mittelstaaten als die Zufluchtsstätte freiheitlicher konstitutioneller Entwickelung gegolten hatten, so hatten sie jetzt, wo die Minister Pfordten in Bayern, Beust in Sachsen, Linden in Württemberg und Borries in Hannover den reaktionärsten Anschauungen huldigten und die liberalen Elemente im Volk nach Kräften zu unterdrücken suchten, alle Sympathien im deutschen Volk verwirkt. Man erwartete nichts Heilbringendes von ihnen, und die Versuche, die einige Mittelstaaten, besonders Bayern, machten, nach der Niederlage Preußens [* 31] den Dualismus der beiden deutschen Großmächte dadurch unschädlich zu machen, daß die Mittel- und Kleinstaaten zu einer dritten, rein deutschen Macht vereinigt und Deutschland so in drei Teile (Trias) geteilt wurde, hatten nicht den geringsten Erfolg.
Die Ohnmacht der Mittel- und Kleinstaaten neben Österreich und Preußen zeigte sich deutlich während des Krimkriegs (1854-56). Österreich glaubte seine Interessen im Orient durch eine entschieden antirussische Haltung in Anlehnung an die Westmächte wahren zu müssen, während Preußen an einer strikten Neutralität festhielt. Dies ermutigte die Mittelstaaten, Ende Mai 1854 auf den Bamberger Konferenzen den Versuch zu machen, auch Großmachtspolitik zu treiben: sie verlangten in russischem Interesse, daß, wenn von Rußland die Räumung der Donaufürstentümer verlangt werde, die Westmächte auch das türkische Gebiet räumen müßten, und daß dem Deutschen Bund beim Friedensschluß eine Stimme eingeräumt werde.
Indes Österreich und Preußen, die sich inzwischen über ein Schutz- und Trutzbündnis geeinigt hatten, nötigten 24. Juni dem Bund den Beitritt zu ihrer Allianz auf, »um jeden Zweifel zu beseitigen, daß alle Bundesgenossen fest entschlossen seien, kräftig zusammenzustehen in den Prüfungen, welche die nächste Zukunft dem Vaterland bringen könnte«. Von einer Beteiligung des Bundes am Pariser Friedenskongreß war keine Rede. Für Deutschland hatte übrigens der Krimkrieg die Wirkung, daß er das russisch-österreichische Bündnis, welches 1850 so verhängnisvoll gewirkt, zerriß und die von Österreich geleitete Reaktion des russischen Rückhalts beraubte.
Das öffentliche Leben nahm einen freiern Aufschwung, und die Hoffnungen der Nation lebten wieder auf. Die innern Verhältnisse Preußens und seine Stellung zum deutschen Volk erhielten mit dem Regierungsantritt des Prinz-Regenten (1858) eine ganz andre Richtung, und wiederum wendeten sich die Blicke der national gesinnten, liberalen Deutschen auf den Hohenzollernstaat, während in Österreich das künstliche absolutistische Machtgebäude mehr und mehr ins Wanken geriet.
Der Krieg zwischen Österreich und Frankreich um Italien [* 32] (1859) drohte Deutschland von neuem in Zwist und Verwirrung zu stürzen, brachte aber schließlich eine heilsame Krisis hervor. Der unerwartete Angriff Napoleons III. auf Österreichs Herrschaft in Italien rief in Süddeutschland anfangs lebhafte Besorgnisse hervor; man befürchtete, daß der Napoleonide damit nur nach dem Muster seines Oheims die Reihe seiner Eroberungen beginnen wolle, daß nach Niederwerfung Österreichs Deutschland ihm wehrlos preisgegeben sei, und glaubte, daß der Rhein am Po verteidigt werden müsse.
In der Presse [* 33] wie in manchen Kammern kam diese Anschauung zum lebhaftesten Ausdruck, und Österreich säumte nicht, sie zu seinen gunsten auszubeuten, indem es für seinen Krieg mit Frankreich die bewaffnete Hilfe des Bundes in Anspruch nahm. Auch beschloß der Bund 24. April Marschbereitschaft der Bundeskontingente und Armierung der Bundesfestungen. Aber die von Hannover 13. Mai beantragte Aufstellung eines Beobachtungsheers am Rhein lehnte Preußen ab. Dies war entschlossen, das deutsche Bundesgebiet gegen jeden Angriff zu verteidigen; als nach der Schlacht bei ¶
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Magenta das französisch-italienische Heer sich der südlichsten deutschen Bundesgrenze näherte, machte es seine eigne Armee mobil und beantragte 25. Juni auch die der Bundesarmeekorps. Doch beanspruchte es die Führung dieses Kriegs als selbständige Großmacht, während Österreich dem preußischen Prinz-Regenten nur die Stellung eines Bundesfeldherrn im Dienste [* 35] des unter seinem Einfluß stehenden Bundestags einräumen wollte. Als Franz Joseph erkannte, daß Preußen sich hierzu unter keinen Umständen verstehen würde, zog er es vor, um seine herrschende Stellung in Deutschland zu behaupten, mit Napoleon die Friedenspräliminarien von Villafranca zu schließen und in einem Manifest den unglücklichen Ausgang des Kriegs dem Abfall seines »ältesten und natürlichen Bundesgenossen« aufzubürden. Preußen nahm dagegen die Vorfälle während des Kriegs zum Anlaß, die Reform des Bundes von neuem anzuregen und vor allem auf eine Reorganisation der Kriegsverfassung zu dringen. Es trat damit wieder in den Vordergrund der deutschen Politik und konnte dem österreichischen Einfluß durchaus ebenbürtig entgegentreten.
Die nationalen und liberalen Elemente der Nation fühlten sich hierdurch aufgefordert, nach zehnjährigem Druck an die Öffentlichkeit zu treten und die Lösung der deutschen Frage in die Hand [* 36] zu nehmen. Nicht wenig aneifernd wirkte dabei das Beispiel Italiens, [* 37] wo die Nation nach tausendjähriger Zerrissenheit sich einmütig um das thatkräftige Sardinien [* 38] scharte und durch einheitliches, entschlossenes Handeln Großes erreichte. Mit richtigem Takt erkannte man, daß es bei Gründung eines deutschen Bundesstaats vor allem darauf ankomme, den Dualismus der Großmächte zu beseitigen und sich für eine derselben als Spitze zu entscheiden; daß dies nur Preußen sein könne, konnte kaum zweifelhaft sein.
Auf Betrieb des liberalen hannöverschen Abgeordneten R. v. Bennigsen trat im August 1859 ein kleiner Kreis [* 39] liberaler Männer in Eisenach [* 40] zusammen mit dem Zweck, auf dem Wege gesetzmäßiger Agitation eine Reform des Bundes, die Herstellung einer Zentralgewalt und eines Reichsparlaments durch preußische Initiative zu erstreben. Bald breitete sich dieser Verein als »Deutscher Nationalverein« über alle Teile Deutschlands, [* 41] besonders Preußens, aus und zählte zuletzt über 20,000 Mitglieder.
Die erhebende Säkularfeier des Geburtstags Schillers steigerte das Nationalgefühl und die Sehnsucht nach der deutschen Einheit. Auf den zahlreichen Versammlungen, welche wissenschaftliche, volkswirtschaftliche und gesellige Vereine, Sänger- und Schützenbünde Deutschlands veranstalteten, wurde das Interesse für die nationale Sache wenigstens wach erhalten. Die großdeutschen Elemente in Süddeutschland gründeten, um ihren Eifer für dieselbe Sache zu bethätigen, den »Reformverein«.
Auch die Mittelstaaten mußten sich nun zu einer veränderten Politik bequemen. Im Innern lenkten sie wieder in liberale konstitutionelle Bahnen ein. Die Konkordate Württembergs und Badens mit dem römischen Stuhl wurden im letzten Augenblick noch rückgängig gemacht. Baden ging unter dem vortrefflichen Ministerium Lamey-Roggenbach auf der Bahn freiheitlicher Entwickelung und nationaler Politik allen andern Staaten mit leuchtendem Beispiel voran. Die deutsche Verfassungsfrage kam auch am Bundestag wieder in Fluß.
Die Mittelstaaten, Pfordten und Beust an der Spitze, bemühten sich, die Forderungen der Nation durch kleine Zugeständnisse zu beschwichtigen. Im Spätherbst 1860 vereinbarten mehrere mittelstaatliche Minister auf den Würzburger Konferenzen einen Verfassungsentwurf, welcher unter anderm die Einsetzung eines Bundesgerichts und die Verbesserung der Reichskriegsverfassung enthielt. Hannover, welches sich als den deutschen Admiralstaat betrachtete, beantragte die Begründung einer Flotte.
Beust legte ein umfassendes, auf dem Triasgedanken beruhendes Bundesreformprojekt vor, welches den größern Mittelstaaten einen Anteil an der Exekutive verschaffte und dem Bundestag eine aus Delegierten der Landtage bestehende Abgeordnetenversammlung, jedoch nur mit beratender Stimme, zur Seite stellte. Österreich verhielt sich diesen Anträgen gegenüber meist neutral; es wußte, daß sie nicht ernst gemeint waren. Preußen sprach sich entschieden gegen sie aus und bewirkte ihre Ablehnung. Umgekehrt lehnten die Mittelstaaten alle preußischen Anträge auf Reform der Bundeskriegsverfassung und Gründung einer Flotte ab und trafen Anstalten, als Preußen 1862 im Namen des Zollvereins einen Handelsvertrag mit Frankreich schloß, sich auch dieser Hegemonie Preußens zu entziehen und den Eintritt Österreichs in den Zollverein zu erzwingen.
Preußen ließ sich hierdurch aber nicht einschüchtern, schritt ruhig auf dem Weg selbständiger Ausbreitung seines Einflusses fort und begnügte sich zunächst mit kleinen Erfolgen. Es zwang den Kurfürsten von Hessen im November 1862, endlich der zehnjährigen innern Krisis durch Wiederherstellung der Verfassung von 1831 ein Ende zu machen, und schloß mit einigen Kleinstaaten Militärkonventionen. In der Note des Grafen Bernstorff, welche das Beustsche Reformprojekt ablehnte, präzisierte es seinen Standpunkt in der deutschen Frage: eine Reform der Bundesverfassung auf dem bundestäglichen Weg sei absolut unmöglich, da sie Einhelligkeit sämtlicher Bundesglieder voraussetze;
das Richtige sei vielmehr, den völkerrechtlichen Charakter des Bundes in seiner Reinheit festzuhalten und die engere Vereinigung seiner Glieder [* 42] auf dem Weg freier Vereinigung zu suchen. Es kam also auf die Unionspolitik zurück.
Jedoch ein wirkliches Vorgehen auf diesem Weg wurde durch den innern Konflikt in Preußen unmöglich gemacht. Als erstes Erfordernis für eine kräftige und erfolgreiche Politik sah der Prinz-Regent, seit König Wilhelm I., die Heeresreorganisation an. Über diese kam es aber zum Streit mit dem Abgeordnetenhaus, der durch beiderseitiges Festhalten an dem Gewollten zu einem förmlichen Kampf zwischen Königtum und Volksvertretung anwuchs und 1862-66 die innere Geschichte Preußens ausfüllte.
Die schroffe Art, mit welcher Bismarck der parlamentarischen Opposition entgegentrat, die polizeilichen Maßregelungen u. a. ließen die Wiederkehr der schlimmsten Reaktion befürchten und entfremdeten Preußen die liberalen Elemente des deutschen Volkes. In diesen wurde jetzt die Anschauung herrschend, daß die Hegemonie in Deutschland nicht ein ehren- und mühevolles Amt sei, das dem mächtigsten deutschen Staat zukomme, sondern ein Preis für Wohlverhalten, der jederzeit wieder entzogen werden könne.
Selbst im Nationalverein wagte man kaum noch von preußischer Spitze zu reden, und wenn das Votum Preußens bei der Abstimmung über das Beustsche Delegiertenprojekt die Worte enthielt: »Nur in einer Vertretung, welche aus unmittelbarer Wahl hervorgeht, kann die deutsche Nation das berechtigte Organ ihrer Einwirkung auf die gemeinsamen Angelegenheiten finden«, erklärte das die öffentliche Meinung in Preußen selbst für Bismarcksche Spiegelfechterei. ¶
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Dennoch erkannten die österreichischen und mittelstaatlichen Politiker, daß Preußen in Bismarck einen energischen, kühnen Staatsmann besaß, von dem man das Schlimmste befürchten mußte, und sie faßten daher den Plan, um Österreich seine Stellung an der Spitze Deutschlands zu retten und die Mittel- und Kleinstaaten vor einer preußischen Union zu bewahren, Preußen, solange es noch durch den Verfassungskonflikt gelähmt war, mit einer großdeutschen Bundesreform zuvorzukommen. Am trat auf Österreichs Einladung der deutsche Fürstentag unter Vorsitz des Kaisers von Österreich in Frankfurt a. M. zur Beratung des von Schmerling verfaßten österreichischen Bundesreformprojekts zusammen.
Was bisher den Männern des Volkes und den Kabinetten mißlungen war, sollte hier durch den persönlichen Meinungsaustausch der Fürsten zu stande gebracht werden; es schien unmöglich, daß eine so ungewöhnliche Versammlung, welche in der Nation hochgespannte Erwartungen erregte, resultatlos auseinander gehen konnte. In der That erschienen fast alle deutschen Fürsten und Vertreter der Freien Städte; aber es fehlte der König von Preußen, welcher selbst eine persönliche Einladung Franz Josephs im Bad [* 44] Gastein (2. Aug.) ablehnend beantwortet hatte. Das österreichische Reformprojekt, welches den Fürsten in Frankfurt vorgelegt wurde, schlug vor, die Leitung der Bundesangelegenheiten mit erweiterter Befugnis einem Direktorium zu übertragen, welches aus dem Kaiser von Österreich, dem König von Preußen, dem von Bayern und zwei andern alternierenden Fürsten bestehen sollte; ihm zur Seite sollte die Bundesversammlung der Vertreter der Regierungen stehen und in beiden Verhandlungen Österreich zur formellen Leitung der Geschäfte den Vorsitz führen; alle drei Jahre würde eine aus 300 Mitgliedern der Landtage bestehende Bundesdelegiertenversammlung zur Beratung und Beschlußfassung über die ihr vorzulegenden Gesetzvorlagen zusammentreten und deren Beschlüsse dann einem Fürstenrat zu freier Verständigung unterbreitet werden. Auch ein Bundesgericht war vorgeschlagen. In geheimen Sitzungen unter persönlicher Leitung des Kaisers Franz Joseph ward der Entwurf bis 1. Sept. durchberaten und in manchen Punkten verbessert; ein Krieg des Bundes zu gunsten eines Bundesstaats, welcher außerhalb des Bundesgebiets Besitzungen hat, sollte nur mit Zweidrittelmajorität beschlossen werden dürfen, besagte die endgültige Fassung und kam damit dem Interesse Österreichs schon weit genug entgegen.
Das Bundesreformprojekt wurde schließlich fast mit Stimmeneinheit angenommen, aber die Zustimmung Preußens trotz einer Kollektiveinladung des Fürstentags an König Wilhelm nicht erreicht. In einem Bericht des preußischen Ministeriums vom 15. Sept. unterwarf Bismarck die österreichische Bundesreform einer scharfen Kritik, in welcher schließlich nochmals betont wurde, daß eine Bürgschaft dafür, daß Preußen nicht fremden Interessen geopfert werde, nur in einer aus direkter Beteiligung der ganzen Nation hervorgegangenen Nationalvertretung liege, da die Interessen und Wünsche des preußischen Volkes wesentlich und unzertrennlich identisch mit denen des deutschen Volkes seien.
Das war auch das Urteil des deutschen Abgeordnetentags, welcher, aus liberalen Mitgliedern der deutschen Landtage bestehend, sich gleichzeitig mit dem Fürstentag 21. und 22. Aug. in Frankfurt versammelte und bei aller Anerkennung der Tendenz des österreichischen Entwurfs denselben doch nicht für genügend erachten konnte. Aber eine Verständigung zwischen Bismarck und den Vertretern der Nation war unmöglich, solange der preußische Verfassungskonflikt nicht beendigt wurde, wozu bei der Hartnäckigkeit beider Teile keine Aussicht war. So war das Verdienst Preußens nur ein negatives; es hatte die österreichische Bundesreform verhindert, die nur ein Scheinwesen geschaffen hätte, und durch seinen erfolgreichen Widerspruch von neuem klar dargelegt, daß die deutsche Frage im Grund eine Machtfrage zwischen Österreich und Preußen war. Seine eignen positiven Vorschläge wurden aber von der Nation nicht ernst genommen, und die Entfremdung zwischen der preußischen Regierung und den eifrigsten Vertretern der deutschen Einheitsidee wurde durch die schleswig-holsteinische Frage vergrößert, die Ende 1863 durch den Tod des dänischen Königs Friedrich VII. wieder brennend wurde.
Die schleswig-holsteinische Frage und der deutsche Entscheidungskampf.
In Dänemark hatte die eiderdänische Partei eben eine neue Verfassung zu stande gebracht, welche Holstein und Lauenburg [* 45] ihre Selbständigkeit ließ, Schleswig [* 46] aber völlig in den dänischen Staat einverleibte, und damit sowohl die alten Rechte auf die Vereinigung der Herzogtümer als die völkerrechtlichen Verpflichtungen Dänemarks verletzt, als der Tod des Königs Friedrich VII. (15. Nov.) den Prinzen von Glücksburg, Christian IX., auf Grund des Londoner Protokolls von 1852 auf den Thron rief. Da dieser sich vom Kopenhagener Pöbel zur Bestätigung der Gesamtstaatsverfassung bewegen ließ, so weigerten sich die Stände und Einwohner der Herzogtümer, ihn als Landesherrn anzuerkennen, und proklamierten den Prinzen Friedrich von Augustenburg als ihren Herzog, dessen Thronfolge zugleich die ersehnte Trennung von Dänemark herbeiführte. Auch in Deutschland erklärte sich die öffentliche Stimme allgemein für ihn; mehrere Volksvertretungen drangen auf seine Anerkennung, Sachsen beantragte 28. Nov. beim Bundestag die Lossagung vom Londoner Protokoll, welches der Bund übrigens niemals anerkannt hatte, und 21. Dez. versammelten sich in Frankfurt 500 Abgeordnete aus allen Parteien, klein- und großdeutsche, sprachen sich für die gänzliche Trennung der Herzogtümer von Dänemark durch Anerkennung Friedrichs VIII. aus und setzten den Sechsunddreißiger-Ausschuß ein, um mit allen Mitteln hierfür zu agitieren. Indes die beiden Vormächte Österreich und Preußen schlossen sich dieser Bewegung nicht an, weil sie an das Londoner Protokoll gebunden waren und die Mächte, namentlich England, nicht zur Unterstützung Dänemarks zwingen wollten. Sie beharrten dabei, daß man sich mit dem Einspruch gegen die Novemberverfassung und mit der auf Grund desselben schon beschlossenen Bundesexekution begnügen müsse. Sie setzten auch ihren Willen 7. Dez. beim Bunde durch, und Ende Dezember rückten sächsische und hannöversche Truppen in Holstein ein, welches die Dänen ohne Widerstand räumten. Als sich jedoch der Bund weigerte, sich dem Standpunkt der Großmächte anzuschließen und bloß die Aufhebung der Novemberverfassung von Dänemark zu fordern, erklärten Österreich und Preußen, daß sie fortan die Geltendmachung der deutschen Rechte in ihre eigne Hand nähmen. Trotz des Protestes der Bundestagsmajorität richteten sie Ende Januar an Dänemark die Aufforderung, die Novemberverfassung für Schleswig außer Kraft [* 47] zu setzen, und als dieselbe erfolglos blieb, ließen sie ohne Verständigung mit den Bundesexekutionskommissaren ihre Truppen in Holstein einrücken und 1. Febr. die schleswigsche Grenze überschreiten. ¶
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Dies Verfahren erregte in Deutschland allgemeine Entrüstung, da man Bismarcks eigentliche Absichten nicht begriff. Indem das preußische Abgeordnetenhaus jede Verständigung mit der Regierung über die schleswig-holsteinische Frage grundsätzlich ablehnte, die geforderten Geldmittel verweigerte und die Resolution faßte, einer solchen deutsche Interessen preisgebenden Politik mit allen gesetzlichen Mitteln entgegentreten zu wollen, beraubte es Bismarck der Gelegenheit, das Haus über seine Pläne aufzuklären.
Man glaubte nicht anders, als daß Österreich und Preußen ihr Verfahren von 1850-51 wiederholen würden und die Bundestruppen nur beiseite schöben, um die Herzogtümer wie damals wehrlos an Dänemark auszuliefern. Der Sechsunddreißiger-Ausschuß forderte geradezu zum Kriege gegen Österreich und Preußen auf, um sie an diesem Verrat zu hindern. Daß Bismarck sich auf den Boden des Londoner Protokolls stellte, um den Mächten jeden Vorwand zur Intervention zu benehmen, daß er die schwerfällige Bundesexekution beseitigte, um die Dinge zu einer raschen Entscheidung zu bringen und vor allem einen allgemeinen Krieg zu verhüten, ahnten wenige. Denn niemand hielt es für möglich, daß Dänemark im Vertrauen auf fremde Hilfe so hartnäckig sein würde, selbst die Novemberverfassung nicht ändern zu wollen.
Auch der glückliche Fortgang des schleswig-holsteinischen Kriegs, die Eroberung der Düppeler Schanzen (18. April) und die Besetzung eines großen Teils von Jütland, besänftigte die erzürnten Gemüter nicht ganz. Erst als auf der Londoner Konferenz, wo auch der Deutsche [* 49] Bund durch einen besondern Gesandten, Beust, vertreten war, Dänemark alle Vermittelungsvorschläge hartnäckig zurückwies und die deutschen Mächte sich vom Londoner Protokoll lossagten und gänzliche Trennung der Herzogtümer und Einsetzung des Herzogs von Augustenburg forderten, schwand das Mißtrauen im Volk gegen die geheimen Pläne der Großmächte. Am 1. Aug. kamen bereits die Friedenspräliminarien mit Dänemark und 30. Okt. der Wiener Friede zu stande, in welchem Dänemark beide Herzogtümer nebst Lauenburg gemeinsam an Österreich und Preußen abtrat; die Herzogtümer übernahmen eine Quote der dänischen Staatsschuld (29 Mill. Reichsthaler) und sollten den beiden Mächten für die Erstattung der Kriegskosten haften.
Daß die Mächte sich die Erstattung ihrer Kosten vorbehielten, daß besonders Preußen von dem neuzubegründenden Mittelstaat gewisse Zugeständnisse für seine militärische und maritime Machtstellung verlangte, erschien selbstverständlich, und Preußen würde in einem großen Teil des Volkes, welcher sich für das immerhin zweifelhafte Erbrecht des Augustenburgers nur deshalb erwärmt hatte, weil es der einzige Rechtsboden für die vollständige Losreißung der Herzogtümer von Dänemark zu sein schien, jetzt, nachdem dieses Ziel auf anderm Weg erreicht war, auch für seine weiter gehenden Annexionspläne Sympathien gefunden haben, wenn nicht der Verfassungskonflikt noch immer bestanden hätte.
Das Abgeordnetenhaus gefiel sich in einer kleinlichen Opposition gegen Bismarcks so erfolgreiche auswärtige Politik, die Regierung anderseits mochte sich auch nicht zum kleinsten Zugeständnis in der Militärfrage verstehen. Die heftigsten Gegner der preußischen Forderungen auf gewisse Oberhoheitsrechte in Schleswig-Holstein [* 50] waren die Mittelstaaten, einmal, weil ein solches Verhältnis eines deutschen Staats zu Preußen ein gefährliches Präjudiz abgegeben und die Unionspolitik wieder ins Leben gerufen hätte, dann, weil sie in ihrem Selbstbewußtsein durch die Beiseiteschiebung der Bundesexekution und die Ende 1864 von den Mächten geforderte und auch erzwungene Räumung Holsteins von seiten der sächsischen und hannöverschen Exekutionstruppen auf das empfindlichste gekränkt waren.
Eine offene Opposition gegen Preußen wagten die Mittelstaaten 1864 noch nicht, denn gerade damals bedrohte sie Preußen mit Auflösung des Zollvereins, wenn sie bei ihrer Opposition gegen den französischen Handelsvertrag beharrten, und zwang sie zur Unterwerfung. Überdies hatten sie sich noch nicht mit Österreich verständigt. Aber auf ihren Antrieb geschah es, daß der Augustenburger die preußischen Forderungen, die Bismarck ihm in einer persönlichen Unterredung vorlegte, anzunehmen sich weigerte.
Bismarck faßte nun die Erwerbung der Herzogtümer für Preußen ernstlich ins Auge: [* 51] eine Adresse von preußischen Konservativen und eine andre von schleswig-holsteinischen Prälaten und Rittern verlangten einen möglichst engen Anschluß an Preußen. Die Ansprüche des Großherzogs von Oldenburg [* 52] wurden gegen die augustenburgischen ins Gefecht geführt, und ein Gutachten der preußischen Kronjuristen erklärte die letztern überhaupt für unberechtigt, da die frühere Verzichtleistung des Vaters des Herzogs Friedrich noch zu Recht bestehe, daß also König Christian IX. der berechtigte Erbe gewesen und durch den Wiener Frieden die beiden Mächte in dessen Recht eingetreten seien.
Zwar erhoben sich nicht bloß die Mittelstaaten gegen diese Deduktion, auch die Bevölkerung [* 53] Schleswig-Holsteins sprach sich in überwiegender Majorität für die Selbständigkeit des Landes aus, und der deutsche Liberalismus, der im Sechsunddreißiger-Ausschuß sein Organ hatte, forderte vor allem Berufung der schleswig-holsteinischen Stände, um das unveräußerliche Recht der Selbstbestimmung den Schleswig-Holsteinern zu wahren. Indes das Wichtigste für Preußen war die Auseinandersetzung mit dem Mitbesitzer Österreich, und so spitzte sich die schleswig-holsteinische Frage ebenso wie die deutsche zu einer Machtfrage zwischen den beiden Großmächten zu.
Österreich erkannte allmählich, daß es einen Fehler begangen hatte, als es sich in der schleswig-holsteinischen Frage von den deutschen Mittel- und Kleinstaaten, die es eben noch unter seiner Hegemonie hatte vereinigen wollen, trennte und aus Rücksicht auf seine Stellung als europäische Großmacht sich der preußischen Politik anschloß. Der Besitz Schleswig-Holsteins war ihm wertlos, ein territoriales Äquivalent von Preußen nicht zu erlangen, und die von diesem angebotene Allianz und Garantie seiner Besitzungen glaubte es entbehren zu können.
Nachdem Graf Rechberg Ende Oktober 1864 durch einen Militär, Mensdorff-Pouilly, ersetzt worden war, suchte dieser sich durch Begünstigung des Augustenburgers mit den Mittelstaaten zu verständigen und die Entscheidung in der Frage dem Bund in die Hände zu spielen. Am schlug Österreich in Berlin vor, die Lande nunmehr thatsächlich dem Herzog Friedrich als dem bestlegitimierten Prätendenten zu übergeben und die Entscheidung über die übrigen Rechtsansprüche dem bundesmäßigen Austrägalgericht zu überweisen. Preußen lehnte das ab. Anderseits wies Österreich die in einer preußischen Note vom zusammengefaßten Bedingungen zurück, unter welchen Preußen allein die Errichtung eines selbständigen holsteinischen Staats gestatten wollte. Nicht ohne Zuthun Österreichs beschloß der Bundestag ¶
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mit neun gegen sechs Stimmen, daß dem Herzog von Augustenburg die Verwaltung des Landes übertragen werden solle.
Das Kondominat der beiden Mächte gestaltete sich immer unhaltbarer. Die beiden Zivilkommissare, der preußische, v. Zedlitz, und der österreichische, v. Halbhuber, gerieten bald in Differenzen, da dieser die augustenburgischen Agitationen und Demonstrationen begünstigte oder wenigstens duldete, der preußische darin eine Präjudizierung der preußischen Rechte erblickte. Gleichzeitig ging Preußen entschlossen vor, um seine Interessen in Schleswig-Holstein energisch zu wahren.
Eine Kabinettsorder verfügte die Verlegung der preußischen Ostsee-Flottenstation von Danzig [* 55] nach Kiel, und Bismarck erklärte bei der Begründung einer Kreditforderung von 6 Mill. Thlr. für die Befestigung des Kieler Hafens im Abgeordnetenhaus, das sie natürlich ablehnte, 5. April, daß Preußen im Besitz des Kieler Hafens sei und in demselben zu bleiben gedenke. Die Spannung zwischen Preußen und Österreich wurde immer schärfer. Während ersteres in Holstein einige augustenburgische Agitatoren unter nachdrücklichem Protest des österreichischen Zivilkommissars unschädlich machte, stellten 27. Juli Bayern, Sachsen und Hessen-Darmstadt am Bunde den Antrag, daß eine frei gewählte Vertretung der Herzogtümer berufen und gehört, zugleich Einleitung zur Einverleibung Schleswigs in den Bund getroffen werden solle. Stimmte Österreich diesem Antrag zu, so war der Krieg erklärt. Indes es fühlte sich noch nicht genügend vorbereitet, und so verständigten sich beide Monarchen, Franz Joseph und Wilhelm I., noch einmal in der von Bismarck mit Graf Blome abgeschlossenen Konvention von Gastein dahin, daß, vorbehaltlich der gemeinsamen Rechte, Preußen die Regierung Schleswigs, Österreich die Holsteins übernehmen, ersteres den Kieler Hafen, das Mitbesatzungsrecht in Rendsburg, [* 56] Militäretappen, Post und Telegraphenrouten in Holstein erhalten und Lauenburg gegen Zahlung von 2½ Mill. dän. Reichsthaler an den König von Preußen fallen sollte.
Diese Konvention, welche den Bundestag ganz außer acht ließ, rief wieder zahlreiche Proteste der schleswig-holsteinischen Bevölkerung, einzelner deutscher Landtage und des deutschen Abgeordnetentags, der sich 1. Okt. in Frankfurt versammelte, gegen die Vergewaltigung des Volksrechts hervor. Das Verhältnis der beiden Mächte in den Herzogtümern besserte sich keineswegs. Der preußische Gouverneur v. Manteuffel in Schleswig führte ein strenges Regiment und schritt rücksichtslos gegen den Augustenburger und seine Anhänger ein, der österreichische, v. Gablenz, in Holstein machte sich durch Nachgiebigkeit gegen die Volksstimmung populär.
Die Beschwerden Bismarcks über die Begünstigung des Herzogs Friedrich durch Österreich, welches damit den Voraussetzungen des Wiener Friedens und des Gasteiner Vertrags zuwiderhandle, wurden vom Wiener Kabinett in gereiztem Ton zurückgewiesen. Anfang 1866 wurde die Kriegsfrage sowohl in Berlin als in Wien [* 57] ernstlich in Erwägung gezogen, und im Februar begannen die militärischen Vorbereitungen und Beratungen. Bismarck hatte sich auf einer Zusammenkunft mit Napoleon III. in Biarritz (Oktober 1865) vergewissert, daß Frankreich vorläufig eine zuwartende Haltung beobachten werde, und diese sich noch dadurch gesichert, daß er mit Italien, das den General Govone nach Berlin geschickt, ein Bündnis schloß, welches demselben den Besitz Venetiens versprach. Österreich wandte sich dagegen den Mittel- und Kleinstaaten zu und nahm seinen natürlichen Platz an der Spitze der deutschen Territorien gegenüber den Unionsbestrebungen ein; zugleich schuf es sich durch Sistierung der Februarverfassung (September 1865) freie Hand im Innern.
In Deutschland gänzlich isoliert, in seinem Innern durch den Verfassungskonflikt und die scheinbare entschiedene Abneigung des Volkes gegen einen Krieg gelähmt, schien Preußen nachgeben oder unterliegen zu müssen. Am richtete Graf Mensdorff eine vertrauliche Note an die befreundeten deutschen Höfe, in welcher er die Absicht kundgab, die schleswig-holsteinische Sache dem Bund anheimzugeben und eine bestimmte Anfrage an Preußen über seine Politik zu richten, und sein Vertrauen aussprach, daß, im Fall die preußische Antwort nicht befriedigend ausfalle, die deutschen Staaten Österreichs Maßregeln unterstützen würden.
Bismarck erwiderte diesen Schritt mit einer Anfrage an die deutschen Regierungen (24. März), ob und in welchem Maß Preußen im Fall eines österreichischen Angriffs auf ihre Unterstützung rechnen dürfe, und mit der Ankündigung eines zeitgemäßen Bundesreformvorschlags. Die Antworten der Regierungen lauteten ablehnend oder ausweichend. Dennoch erfolgte der angekündigte Reformantrag im Bundestag 9. April und zwar dahin, »hohe Bundesversammlung wolle beschließen, eine aus direkten Wahlen und allgemeinem Stimmrecht der ganzen Nation hervorgehende Versammlung auf einen noch zu bestimmenden Tag einzuberufen, um die Vorlagen der Regierungen über eine Reform der Bundesverfassung entgegenzunehmen und zu beraten, bis zum Zusammentritt derselben aber durch Verständigung der Regierungen untereinander diese Vorlagen festzustellen«.
Hatte Bismarck von diesem Schritt einen Umschwung der öffentlichen Meinung erwartet, so täuschte er sich allerdings. Die Stimmung des Volkes in den meisten Ländern Deutschlands war zwar einem »Bruderkrieg«, wie man den bevorstehenden Entscheidungskampf zwischen Preußen und Österreich um die Herrschaft in Deutschland nannte, abgeneigt, aber darum nicht weniger antipreußisch, und die meisten sahen in Bismarcks Antrag nur eine neue List, um Deutschland dem preußischen Militärdespotismus zu unterwerfen.
Die Unterhandlungen zwischen den beiden Mächten über eine gleichzeitige Abrüstung hatten keinen Erfolg, da Österreich dieselbe in Italien verweigerte und die Lösung der schleswig-holsteinischen Frage zwar unter möglichster Berücksichtigung der preußischen Ansprüche, aber nur innerhalb des bestehenden Bundesrechts anbot. So schritten denn beide Teile Anfang Mai zu allgemeiner Mobilmachung ihrer Streitkräfte, und auch in den Mittelstaaten wurde eifrig gerüstet.
Der Beschluß der mittelstaatlichen Konferenz zu Bamberg [* 58] (14. Mai), auf gegenseitige Abrüstung hinzuwirken, blieb erfolglos, da einige dieser Staaten, wie Sachsen und Hannover, mit den Rüstungen [* 59] selbst angefangen hatten. Auch ein Vermittelungsversuch Frankreichs, Englands und Rußlands, die 28. Mai zu einer Konferenz der Mächte nach Paris [* 60] einluden, scheiterte an der Forderung Österreichs (1. Juni), daß es sich auf derselben um keine Territorialveränderung, vor allem nicht um die Abtretung Venetiens, handeln dürfe.
An demselben Tag that Österreich in Frankfurt den letzten entscheidenden Schritt, welcher den Krieg unvermeidlich machte: es gab die Entscheidung der schleswig-holsteinischen Frage dem Bund anheim, sicherte im voraus dem Spruch desselben seine bereitwilligste Anerkennung zu und teilte mit, daß der ¶