Deutschland [* 2] um das Jahr 1000
Römisch-Deutsches Kaiserreich.
KGR. Königreich, HZ. Herzogtum, MGR. Markgrafschaft.
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Zuruf. Konrad II. (1024-1039), der erste Kaiser aus dem fränkischen oder salischen Haus, glich dem ersten Sachsen, [* 5] Heinrich I., in nüchterner Besonnenheit, Ausdauer und weiser Beschränkung. Die Nord- und Ostgrenze des Reichs sicherte er, indem er mit dem mächtigen Beherrscher von Dänemark, [* 6] Knut d. Gr., Frieden und Freundschaft schloß und durch Abtretung der nördlich der Eider gelegenen Teile der Mark Schleswig [* 7] sich dessen Beistand gegen die Slawen verschaffte.
Das Polenreich zerfiel nach Boleslaws Tod ebenso schnell wieder, wie es aufgebaut war, und geriet von neuem in Abhängigkeit von Deutschland 1032 erwarb er nach dem Tode des Königs Rudolf III. auf Grund alter Verträge, die dieser schon mit Heinrich II. geschlossen, das Königreich Burgund, das, ohne mit Deutschland verschmolzen zu werden, das dritte Königreich des Kaiserreichs bildete. Auf seinem ersten Römerzug erwarb er 1027 die Kaiserkrone. Mehrere Empörungen von Großen, worunter die seines Stiefsohns Ernst von Schwaben vom Volk in Lied und Sage gefeiert wurde, unterdrückte er mit Kraft [* 8] und Strenge.
Die Erblichkeit der Fürstentümer konnte er allerdings ebensowenig beseitigen, wie die Unbeschränktheit der kaiserlichen Gewalt erreichen. Der aufstrebenden Selbständigkeit der Herzogtümer brach er aber dadurch die Spitze ab, daß er die Mehrzahl derselben an seinen Sohn Heinrich (so Bayern [* 9] und Schwaben) oder an nahe Verwandte brachte. Auch setzte er, oft ohne Rücksicht auf ihre kirchliche Befähigung, Anverwandte und Freunde in die höchsten geistlichen Reichsfürstentümer ein. Die kleinern Vasallen (Ministerialen) suchte er von ihren fürstlichen Lehnsherren unabhängig zu machen, indem er auch ihre Lehen für erblich erklärte. In Oberitalien [* 10] geschah dies 1037 durch ein besonderes Gesetz. Die Erblichkeit der Krone selbst konnte Konrad aber nicht durchsetzen, er mußte sich begnügen, daß sein Sohn schon früh gewählt und gekrönt wurde u. ihm nach seinem Tod als Heinrich III. (1039-1056) ohne weiteres auf dem Thron [* 11] folgte.
Heinrich III. führte das Werk seines Vaters mit Energie und Erfolg fort. Dänemark, Polen und Böhmen [* 12] wurden in Gehorsam erhalten, selbst Ungarn [* 13] durch mehrere Kriegszüge 1044 zur Anerkennung der deutschen Oberhoheit gezwungen. Rücksichtslos und streng verfuhr er gegen die Fürsten; wiederholt entsetzte er Herzöge ihres Amtes, und Bayern verlieh er sogar, um es nicht wieder aus der Hand [* 14] zu lassen, seiner eignen Gemahlin Agnes. Freilich reizte diese Strenge zu immer neuen Empörungen, und nur die Hand am Schwert vermochte der Kaiser die erbitterten Fürsten niederzuhalten.
Eine kluge Beschränkung auf dies Ziel, die ausschließliche und andauernde Verwendung aller Machtmittel des neuerstarkten Kaisertums auf die Unterdrückung der Aristokratie, endlich wohlwollende Förderung der niedern Stände hätten die Begründung einer starken erblichen Monarchie in Deutschland zur Folge haben können. Aber wie 100 Jahre früher Otto I., so setzte auch Heinrich III. die neugewonnene Macht für die Erreichung eines universellern Ziels ein, nämlich für die Regeneration der entarteten Kirche im Sinn der Cluniacenser, welche durch Erweckung streng religiösen Sinnes die Herrschaft der Kirche über die Gemüter verstärken und durch Errettung des Papsttums aus seinem Verfall die bedrohte Einheit der abendländischen Christenheit fester begründen wollten.
Selbst streng asketisch gesinnt, setzte Heinrich nur kirchlich eifrige Bischöfe ein, und 1046 auf der Synode zu Sutri zum Schiedsrichter zwischen drei um die Tiara [* 15] streitenden Päpsten aufgerufen, beseitigte er alle drei, um in einem frommen deutschen Bischof dem Stuhl Petri wieder einen würdigen Inhaber zu geben und das Ansehen des Papsttums wiederherzustellen. Seine Oberhoheit über die Kirche benutzte er nur, um sie von Mißbräuchen zu befreien, sittlich zu heben und sie zur erhabensten Institution auf Erden zu machen. Die von ihm eingesetzten Päpste unterstützte er eifrigst in dem Bestreben, ihre hierarchische Gewalt über die Kirche zu verstärken; selbst den Vertrag des Papstes mit den Normannen, durch welchen deren Reich in Unteritalien in ein päpstliches Lehen umgewandelt wurde, hinderte er nicht. So verhalf er selbst der Macht zur Herrschaft, welche seinem Nachfolger so verderblich wurde.
Die Gärung unter den unzufriedenen Fürsten, namentlich in Sachsen, war auf das höchste gestiegen und wurde nur durch die Furcht vor Heinrichs eiserner Strenge im Zaum gehalten, als dieser plötzlich in Bodfeld im Harz, noch nicht 40 Jahre alt, starb und das Reich einem sechsjährigen Kind, Heinrich IV. (1056-1106), unter Vormundschaft einer Frau, der Kaiserin Agnes, hinterließ. Je empfindlicher die Fürsten den gewaltigen Arm des verstorbenen Kaisers gefühlt hatten, desto mehr beeilten sie sich, die Schwäche der neuen Regierung zur Vermehrung ihrer Macht und Selbständigkeit zu benutzen.
Ein sächsischer Großer, Otto von Nordheim, zwang die Kaiserin, ihm das Herzogtum Bayern, ein burgundischer Fürst, Rudolf von Rheinfelden, ihm mit der Hand ihrer Tochter Schwaben, endlich der Zähringer Berthold, ihm Kärnten zu übertragen. Durch den Raub in Kaiserswerth (1062) bemächtigte sich der ehrgeizige, finstere Erzbischof Anno von Köln [* 16] des königlichen Knaben, dessen Erziehung er fortan leitete, und für den er in Gemeinschaft mit den übrigen Großen die Regierung führte.
Unter dieser konnte, wer wollte, seine Habgier an dem Königsgut befriedigen; weder in Italien [* 17] noch in Ungarn vermochte Anno das Ansehen des Reichs zu behaupten; durch eine Empörung der Wenden östlich der Elbe (1066) ging die deutsche Kultur in jenen Gegenden für lange Zeit verloren. Mit Hilfe Adalberts von Bremen [* 18] befreite sich Heinrich von den verhaßten Fürsten, und sowie er zum Mann herangereift war, strebte er, die verlorne Macht seiner Väter wiederzugewinnen.
Die habsüchtigen, trotzigen Großen verfolgte er mit leidenschaftlicher Rachsucht. Otto von Nordheim beraubte er 1070 Bayerns, das er Welf verlieh; die Billunger wurden geächtet und durch Anlage von Burgen [* 19] die Unterjochung der Sachsen, welche der Herrschaft der Franken hartnäckig widerstrebten, begonnen. 1073 kam es infolge von Gewaltthätigkeiten der Anhänger des Königs zu einem allgemeinen Aufstand der Sachsen, welcher den König in große Gefahr stürzte, da die deutschen Fürsten sich wankelmütig und treulos zeigten. Durch den glänzenden Sieg Heinrichs bei Hohenburg a. d. Unstrut 1075 wurde jedoch die Empörung unterdrückt, und die sächsischen Großen wurden streng bestraft.
Wäre es Heinrich, dessen glänzende Herrschereigenschaften sich jetzt zeigten, nun vergönnt gewesen, seine Gewalt ungestört zu befestigen, so würde er das während seiner Minderjährigkeit Verlorne wieder haben einbringen können. Da aber verwickelten ihn die Ansprüche auf die höchste Autorität in der Christenheit, welche ihm von seinen Vorfahren überkommen waren, in einen neuen, weit gefährlichern Kampf mit einem Gegner, dem er weder an Macht noch an Charakterstärke ebenbürtig war, mit Papst Gregor VII. Schon als Kardinal Hildebrand hatte dieser die mönchisch-strenge ¶
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Reformation der Kirche, die Heinrich III. unternommen, eifrig befördert und durch das Dekret Nikolaus' II. 1059, welches die Wahl der Päpste dem Kardinalskollegium übertrug und die Befugnis des Kaisers auf ein unbestimmtes, bald gänzlich mißachtetes Bestätigungsrecht beschränkte, die Unabhängigkeit des Papsttums erreicht. Als er 1073 selbst den Stuhl Petri bestieg, beschloß er, der Kirche als der allein sittlich berechtigten Macht in der Welt nicht bloß völlige Freiheit von aller weltlichen Gewalt zu verschaffen, sondern, da auch er an der Idee einer Weltherrschaft festhielt, die sich nur in der päpstlichen Hierarchie, nicht im Kaisertum verkörpern müsse, die Unterordnung aller weltlichen Gewalten, selbst der höchsten, unter das Papsttum durchzusetzen.
Durch das Gebot des Cölibats suchte er die Geistlichkeit vom Volk loszureißen und ganz an die Kirche zu fesseln. Die Einsetzung (Investitur, s. d.) der Bischöfe und Äbte wollte er nicht bloß durch strenges Verbot der Simonie von unerlaubter Vermischung mit egoistischen Motiven befreien, sondern beanspruchte sie als alleiniges Recht für die Kirche. Hiermit focht er nicht bloß die kaiserliche Oberhoheit an, sondern beeinträchtigte in einem wichtigen Punkte die Machtstellung des deutschen Königtums, das der hohen Geistlichkeit bedeutende weltliche Rechte und Besitzungen zugestanden hatte, welche die Bischöfe und Äbte den mächtigsten Reichsfürsten gleichstellten, dafür aber die Ernennung und Belehnung der geistlichen Reichsfürsten beanspruchte und auch bisher unbeanstandet vollzogen hatte.
Durch die Verletzung kaiserlicher Rechte in Oberitalien von seiten Gregors schon längst gereizt, durch eine hochmütige Vorladung des Papstes an ihn, um sich wegen Simonie vor seinem Richterstuhl zu verantworten, und durch päpstliche Einmischung in die Angelegenheit der unterworfenen sächsischen Bischöfe aufs äußerste erbittert, nahm Heinrich IV. im Vollgefühl seines Siegs über die Sachsen den Kampf gegen das Papsttum auf, indem er durch eine Synode deutscher Bischöfe in Worms [* 21] im Januar 1076 Gregor VII. absetzen ließ.
Dieser antwortete mit dem Bannstrahl, welcher den deutschen Fürsten den ersehnten Vorwand gab, von neuem vom König abzufallen und das drückende Joch einer starken Monarchie abzuschütteln. Mit Einem Schlag sah sich Heinrich der Früchte seines Siegs beraubt. Ebenso kleinmütig und verzagt im Unglück wie übermütig im Glück, ließ er es geschehen, daß die Fürsten im Oktober 1076 in Tribur über ihn zu Gericht saßen, und unterzog sich allen Demütigungen, um nur seine sofortige Absetzung zu verhindern.
Doch wurde dieselbe bloß aufgeschoben; auf einem Reichstag in Augsburg [* 22] im Februar 1077 sollte sie unter Vorsitz des Papstes erfolgen. Dies vereitelte Heinrich, indem er durch seine schimpfliche Buße zu Canossa Gregor zur Aufhebung des Bannes nötigte. Als die enttäuschten Fürsten dennoch zur Absetzung Heinrichs und zur Wahl eines neuen Königs in der Person Rudolfs von Schwaben schritten, der das Wahlrecht der Fürsten ausdrücklich anerkennen mußte, ermannte sich Heinrich IV. und griff, unterstützt von dem niedern Adel und den Städten, tapfer zum Schwert.
Nach hartnäckigen Kämpfen fiel Rudolf in der Schlacht bei Zeitz [* 23] (1080), und wenn auch die Sachsen den Widerstand noch einige Zeit fortsetzten, sogar in Hermann von Lützelburg einen neuen Gegenkönig wählten, so war doch die Kraft der Empörung in Deutschland gebrochen. Heinrich zog daher 1081 nach Italien und nahm Rom [* 24] ein, wo er einen Gegenpapst, Clemens III., auf den päpstlichen Thron setzte und sich von ihm zum Kaiser krönen ließ; Gregor VII. wurde von den Normannen aus der Engelsburg gerettet und starb 1085 in Salerno im Exil.
Aber einen dauernden Sieg über die Kirche hatte der Kaiser damit nicht erzielt. Die Macht des Papsttums bestand in seiner Herrschaft über die Geister und Gemüter, welche durch den gleichzeitigen religiösen Aufschwung der Kreuzzugsbewegung aufs höchste gesteigert wurde. Dieser Hydra gegenüber war die auf die schwankende Treue habsüchtiger Vasallen begründete Gewalt des Kaisers machtlos. Immer neue Empörungen reizte die Hierarchie gegen Heinrich IV. auf, den sie mit unversöhnlichem Haß verfolgte; seine eignen Söhne erhoben, von der Kirche verführt, gegen ihn die Fahne des Aufruhrs, erst Konrad (1092), dann Heinrich (1105). Diesem Schlag erlag der schwer geprüfte Mann 1106.
Heinrich V. (1106-25) verdankte zwar der päpstlichen Partei und den Fürsten die Krone, aber sowie er sich allgemein anerkannt sah, versuchte er sowohl der Kirche als den Vasallen gegenüber die kaiserlichen Rechte unverkürzt zur Geltung zu bringen. Durch Klugheit und rücksichtslose Energie erzwang er auf seinem Römerzug 1111 von Papst Paschalis einen Vertrag, der ihm die Einsetzung der Geistlichkeit ausdrücklich zugestand. Aber gerade da zeigte sich, wie wehrlos die materielle Gewalt der Kaiser gegen die geistige der Kirche war.
Paschalis brach zwar den Vertrag nicht, wohl aber eröffneten die Kardinäle und ein Teil des Klerus den Kampf von neuem mit Bannflüchen und aufrührerischen Agitationen. Als das kaiserliche Heer im Kriege gegen die aufständischen sächsischen Großen 1115 am Welfesholz unterlag, als der Friede mit dem Papste durch den Streit über die Mathildische Erbschaft wieder gebrochen wurde, sah sich Heinrich V. genötigt, mit Papst Calixtus II. über einen Vergleich zu unterhandeln und im Wormser Konkordat 1122 den entscheidenden Anteil an der Einsetzung der geistlichen Fürsten der Kirche einzuräumen. 1125 starb er kinderlos in Utrecht. [* 25]
Mit ihm erlosch das fränkische Kaiserhaus, dessen Regierung so glänzend begonnen hatte, das aber die politische und Kulturentwickelung Deutschlands [* 26] nicht förderte. Die weltlichen Großen hatten durch die Erblichkeit aller Lehen ihre Unabhängigkeit und Macht verstärkt, die Bischöfe hingen nicht mehr vom Kaiser, sondern vom Papst ab, der die Kirche mit monarchischer Gewalt regierte und in dem Streben nach Weltherrschaft das Kaisertum überholt hatte; die Kolonisationen des deutschen Volkes im Osten waren zerstört, die dortige Grenze seit der Ottonenzeit zurückgegangen und durch slawische Barbarei gefährdet; durch die innern Kämpfe war Deutschland dem großartigen geistigen Aufschwung der romanischen Völker, der sich im ersten Kreuzzug offenbarte, fern gehalten worden und in der Pflege der Künste und Wissenschaften hinter den andern Kulturvölkern des Abendlandes zurückgeblieben und nun gab das Erlöschen der Dynastie den Großen Gelegenheit, ihren Anspruch auf die freie Wahl des neuen Herrschers geltend zu machen.
Die staufische Zeit.
Die natürlichen Erben der Salier waren die staufischen Brüder Friedrich von Schwaben und Konrad von Franken. Sie waren Neffen Heinrichs V.; auf sie gingen dessen Eigengüter über, und Friedrich hatte der sterbende Kaiser die Reichsinsignien übergeben. Aber gerade weil Friedrich ein Anhänger des erloschenen Kaiserhauses gewesen, weil er der Erbe desselben, überdies ein mächtiger Reichsfürst war, wählten die in Mainz [* 27] versammelten Fürsten auf Antrieb des ¶
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päpstlichen Legaten nicht ihn, sondern das Haupt der fürstlichen Opposition, den Herzog von Sachsen, Lothar von Supplingenburg, zum König. Im Kampf gegen die Staufer, welche sich weigerten, ihn anzuerkennen, stützte sich Lothar (1125-37) auf das welfische Haus, dessen Haupt, Heinrich dem Stolzen von Bayern, er seine einzige Tochter und Erbin, Gertrud, vermählte. Gegen die Kirche verhielt sich Lothar allzu nachgiebig und unterwürfig. In der Regierung Deutschlands aber bewährte er Einsicht und Thatkraft. Er brachte die Staufer zur Unterwerfung, hielt Ordnung und Frieden im Reich aufrecht und nahm die Wiedereroberung der wendischen Grenzlande auf.
Als er starb, wiederholte sich der Vorgang bei seiner eignen Wahl. Nicht sein Schwiegersohn und Erbe Heinrich der Stolze, dem er noch auf dem Sterbebett zu Bayern das Herzogtum Sachsen übertragen, und der reiche Allode in Deutschland und Tuscien in Italien besaß, wurde gewählt, sondern der Staufer Konrad von Franken. Die Regierung dieses ersten Staufers, Konrad III. (1138-1152), war keine glückliche. Obwohl Heinrich der Stolze die Reichskleinodien auslieferte, sprach ihm der König Sachsen ab, und als der Welfe sich weigerte, zu verzichten, nahm er ihm auch Bayern.
Der jähe Tod des stolzen Herzogs (1139) verschaffte Konrad einen teilweisen Sieg. Nach ihrer Niederlage bei Weinsberg (1140) verzichtete die welfische Partei im Frankfurter Frieden (1142) auf Bayern, das die österreichischen Babenberger erhielten, und Heinrich der Löwe behielt bloß Sachsen, von welchem überdies die Nordmark oder Mark Brandenburg [* 29] als selbständiges Reichslehen unter Albrecht dem Bären abgetrennt wurde. Aber der feindliche Gegensatz zwischen den Staufern (Waiblingern) und Welfen, deren Namen später Parteinamen von prinzipieller Bedeutung geworden sind, blieb bestehen und ließ das Reich unter Konrad nie zur Ruhe kommen. Die Beteiligung des Königs am zweiten Kreuzzug (1147-49), der ganz erfolglos blieb, konnte sein Ansehen nicht erhöhen. Als er 1152 starb, empfahl er den Fürsten nicht seinen unmündigen Sohn, sondern seinen Neffen, Herzog Friedrich von Schwaben, zum Nachfolger, und dieser wurde auch in Frankfurt [* 30] a. M. unter allgemeiner Zustimmung gewählt und in Aachen [* 31] gekrönt.
Mit Friedrich I. (1152-90) bestieg einer der bedeutendsten Herrscher, die Deutschland gehabt hat, den Thron. Er faßte seine kaiserliche Würde als die erste Macht der Christenheit, als den Quell aller Gewalt auf und war entschlossen, sie zu dieser Höhe wieder zu erheben. So erhaben stand er über den deutschen Fürsten, daß er darauf verzichtete, ihre bereits bestehenden Rechte zu verkümmern, sondern vielmehr nur danach strebte, die Kräfte aller ihm untergeordneten Vasallen für die Erreichung seines hohen Ziels, der kaiserlichen Weltherrschaft, zusammenzufassen. Er versöhnte sich daher sofort mit den Welfen, indem er Heinrich dem Löwen [* 32] Bayern zurückgab; die Babenberger wurden entschädigt, indem Österreich [* 33] zu einem selbständigen Herzogtum erhoben ward.
Gegen die Nachbarreiche machte er die kaiserlichen Hoheitsrechte mit Mäßigung, aber Festigkeit [* 34] geltend: Polen wurde durch einen glänzenden Zug bis nach Posen [* 35] hin (1157) zur erneuten Anerkennung seiner Lehnsunterthänigkeit genötigt;
einen Streit zwischen zwei dänischen Prinzen, Swen und Knut, entschied er zu gunsten des erstern, krönte ihn und empfing von ihm den Lehnseid;
Böhmen kettete er durch Verleihung des Königstitels enger an das Reich;
in Burgund wurde das Ansehen des kaiserlichen Namens wiederhergestellt.
Mit dem Papst wünschte er in Frieden zu bleiben; er bestritt nicht dessen Herrschaft über die Kirche, sondern beanspruchte nur für den Schutz, den er als Schirmvogt der Kirche verlieh, die Anerkennung seiner Macht als einer ebenbürtigen. Auf seinem ersten Römerzug leistete er Papst Hadrian IV. einen wesentlichen Dienst, indem er die dem Papsttum feindliche Bewegung des kühnen Reformators Arnold von Brescia unterdrückte. Aber die Päpste waren nicht gewillt, die Herrschaft über die Welt mit einer andern Macht zu teilen, und der von Friedrich anfangs gemiedene Konflikt brach aus, als dieser seine kaiserlichen Rechte im vollen Umfang über die lombardischen Städte verwirklichen wollte.
Während diese sich empörten, ward nach Hadrians IV. Tod von der Mehrzahl der Kardinäle Alexander III. (Kardinal Roland) gewählt, den Friedrich als einen anmaßenden Priester anzuerkennen sich weigerte. Der Kampf zwischen dem kühnen Papst und dem lombardischen Städtebund einer-, dem Kaiser und den ihm treu anhängenden deutschen Fürsten anderseits endete nach wunderbaren Glückswechseln 1176 mit der Niederlage Friedrichs bei Legnano und der Unterwerfung unter den Papst 1177 in Venedig, [* 36] der 1183 im Frieden zu Konstanz [* 37] die Anerkennung der Selbständigkeit der oberitalischen Städte folgte.
Dennoch trug dieser Kampf einen andern Charakter als der Heinrichs IV. und war für das deutsche Volk nicht ohne segensreiche Folgen. Unter der Führung der glänzenden, genialen Persönlichkeit Friedrichs wurde das deutsche Volk in das Kulturleben des Abendlandes hineingezogen, von dem es sich nur zu lange zurückgehalten hatte. Die Getreuen, die dem Kaiser in den Krieg folgten, kämpften für ein ideales Ziel, für den Glanz der höchsten Krone der Christenheit, für den Ruhm des deutschen Namens.
Hingebende Begeisterung für den kaiserlichen Feldherrn und edle Ruhmbegierde erfüllten Friedrichs Heer, das zumeist aus den Dienstmannen der größern Vasallen, den Ministerialen, gebildet war. Hatte schon früher die Ehre des Waffendienstes diesem ursprünglich nicht vollfreien Ritterstand eine Stellung über den Gemeinfreien errungen, so wurde er jetzt im Dienste [* 38] der edlen staufischen Herrscher noch höher geadelt und durch Streben nach feiner Sitte und Bildung der Träger [* 39] der geistigen Kultur Deutschlands.
Überhaupt entfesselte die nach freien, großartigen Gesichtspunkten geleitete Herrschaft der Staufer die Kräfte des deutschen Volkes. Durch den Aufschwung des Handels und Verkehrs nahm der Wohlstand zu; die Bewohner der Städte verschmolzen zu einem neuen Stande, dem Bürgerstand, der sich von den Fürsten, besonders von den Bischöfen, das Recht der Selbstregierung zu erringen wußte und bald auch im Reich durch seine feste Anhänglichkeit an das Königtum eine politische Bedeutung erlangte.
Wissenschaften und Künste begannen von neuem aufzublühen und nicht mehr bloß in den einsamen Zellen der Klöster: die Bürger schmückten ihre Städte mit Kirchen, die Ritter pflegten nach dem Vorgang der Franzosen die Poesie. In besonders großartiger Weise zeigte sich die deutsche Volkskraft bei der Kolonisation und Germanisierung der rechtselbischen Gebiete, welche das tapfere Schwert Albrechts des Bären und Heinrichs des Löwen wieder der christlichen Kultur und deutschen Herrschaft unterworfen hatte. Das östliche Holstein, Mecklenburg [* 40] und Pommern, [* 41] das Havel- und Spreegebiet, endlich Schlesien [* 42] wurden von deutschen Ansiedlern bevölkert und das Gebiet des Reichs um ausgedehnte Territorien vergrößert. Mochte auch Friedrich I. den Vertrag von Venedig als eine tiefe ¶
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Demütigung seines Stolzes empfunden haben, in den Augen der Welt und seines Volkes galt er doch als der erste weltliche Monarch der Christenheit, dem die deutschen Ritter Ruhm und herrlichen Siegeslohn, das deutsche Volk innern Frieden und einen großartigen Aufschwung seiner Kraft zu danken hatte.
Daß die Macht des staufischen Kaisers durch den Ausgang des Streits mit dem Papst nicht erschüttert wurde, zeigte sich, als Friedrich den mächtigsten Reichsfürsten, Heinrich den Löwen, für seinen Verrat zu züchtigen beschloß. Denn weil Heinrich, uneingedenk der Großmut Friedrichs und voll Zuversicht auf seine fast königliche Macht, 1176 die Heeresfolge verweigert hatte, verlor der Kaiser die Entscheidungsschlacht bei Legnano. Da fast alle Fürsten dem Kaiser treu zur Seite standen, unterlag der Herzog trotz seiner Tapferkeit und Macht und behielt 1180 nur die welfischen Allode in Sachsen (Braunschweig [* 44] und Lüneburg); [* 45] Bayern erhielt Otto von Wittelsbach, Sachsen wurde zerstückelt: die geistlichen Territorien, mehrere Städte u. a. wurden reichsunmittelbar, Westfalen [* 46] bekam das Erzstift Köln, der Name des Herzogtums Sachsen beschränkte sich fortan auf das Elbgebiet, welches den Askaniern verliehen wurde.
Damit ward auch das letzte große Stammesherzogtum vernichtet: wie schon früher Franken, so war auch seit der Thronbesteigung der Staufer Schwaben nicht wieder vergeben worden;
Lothringen hatte sich längst in eine Reihe kleinerer Gebiete aufgelöst;
Bayern war durch Abtrennung von Österreich, Meran, [* 47] Kärnten etc. und durch die Vergrößerung der Stifter auch auf einen kleinen Teil seines frühern Umfangs beschränkt worden. An Stelle der wenigen Herzöge bildete sich jetzt eine neuere, zahlreichere Reichsaristokratie in dem Reichsfürstenstand, der sich aus den Herzögen, Pfalzgrafen, Landgrafen, Markgrafen, Erzbischöfen, Bischöfen und Fürstäbten zusammensetzte und gegen Grafen und Herren streng abschloß, so daß fortan die Reichsfürstenwürde besonders verliehen wurde.
Auf dem glänzenden Hoftag, den Friedrich 1184 in Mainz abhielt, trat des Kaisers erhabene Stellung über dieser Aristokratie glänzend hervor; sie war um so eifriger beflissen, ihm zu dienen, als er, obwohl er in der Ritterschaft und in den Städten unbedingt ergebene Anhänger hatte, dennoch die Rechte der deutschen Fürsten in keiner Weise antastete. Denn immer wieder richtete sich der Blick der Staufer auf Italien, auf ihre Weltherrschaftsansprüche, auf ihre Pflichten als die Führer der Christenheit. In diesem Sinn erwarb Friedrich 1186 durch die Heirat seines Sohns Heinrich mit der Erbtochter Konstanze für sein Haus die Anwartschaft auf das normännische Königreich beider Sizilien; [* 48] aus diesem Grund stellte er sich 1189 an die Spitze des dritten Kreuzzugs, auf dem er sein ruhmvolles Leben 1190 glorreich endete.
Friedrichs Nachfolger Heinrich VI. (1190-97) trat die Regierung in dem Königreich Neapel [* 49] und Sizilien nach blutiger Unterdrückung des Widerstandes einer Adelspartei an und entwarf von hier aus großartige, kühne Eroberungspläne, deren Verwirklichung ihn zum Herrn des ganzen Orients erhoben hätte. Gleichzeitig war er nach nochmaliger Besiegung der Welfenpartei bemüht, die Herrschaft seines Hauses in Deutschland dadurch dauernd zu befestigen, daß er die Kaiserkrone im staufischen Geschlecht erblich machte, wogegen er den Fürsten die unbedingte Erblichkeit der Lehen auch in weiblicher Linie zuzugestehen bereit war.
Wiederum, wie 983 und 1056, führte der plötzliche frühe Tod des Kaisers, welcher eine großartige Machtentfaltung in ihren Anfängen erstickte, einen verhängnisvollen Wendepunkt in der deutschen Geschichte herbei. Die zahlreichen Feinde der Staufer waren noch nicht unterdrückt, aber gewarnt, und so säumten sie nicht, die günstige Gelegenheit zum Sturz des hochstrebenden Geschlechts auszubeuten. Während die staufische Partei an Stelle des dreijährigen Sohns des Kaisers dessen Bruder Philipp von Schwaben (1198-1208) auf den Thron erhob, wählten die Anhänger der Welfen einen Sohn Heinrichs des Löwen, Otto IV. Ein wilder, langwieriger Kampf brach aus;
Papst Innocenz III. erhob den Anspruch auf das oberste schiedsrichterliche Amt auch über die deutsche Krone und erlangte von Otto die Anerkennung desselben;
die Fürsten erpreßten von den beiden Königen als Preis ihres Beistandes immer neue Zugeständnisse und beraubten das Königtum des größten Teils seiner Domänen;
die Nachbarreiche, namentlich Dänemark, rissen sich vom deutschen Lehnsverband los.
Als endlich Philipp das Übergewicht über seinen Gegner erlangt hatte und sich zur völligen Bezwingung desselben anschickte, ward er 1208 von Otto von Wittelsbach aus Privatrache ermordet. Otto IV. (1208-15) ward nun auch von der staufischen Partei in Deutschland anerkannt und empfing 1209 von Innocenz III. die Kaiserkrone. Aber sobald er die alten kaiserlichen und welfischen Rechte auf die Mathildischen Güter geltend machte und die kaiserliche Oberhoheit im Kirchenstaat und in Neapel beanspruchte, wurde er in den Bann gethan, und Innocenz stellte den Sohn Heinrichs VI., Friedrich, als Gegenkönig auf. Otto, von den wankelmütigen deutschen Fürsten im Stiche gelassen, suchte bei England Schutz und Hilfe. Sein Gegner verband sich mit dem mächtigen König Philipp II. von Frankreich. Dessen Sieg über die Engländer bei Bouvines 1214 entschied auch über die deutsche Krone. Otto IV. endete arm und ungeehrt 1218 auf der Harzburg, der junge Staufer Friedrich II. (1215-50) ward allgemein anerkannt und 1215 in Aachen mit großer Pracht gekrönt.
Friedrich II., geistreich und glänzend begabt, aber mehr Italiener als Deutscher, hatte, wie seine Vorfahren, die Errichtung einer Weltherrschaft als letztes Ziel vor Augen. Er begnügte sich daher, seine Herrschaft in Deutschland dadurch zu sichern, daß er seinen Sohn Heinrich 1220 zum deutschen König wählen ließ, und begab sich sofort nach Italien zurück, wo er 1220 in Rom von Honorius zum Kaiser gekrönt wurde. Den Kreuzzug, welchen zu unternehmen er dem Papst versprochen hatte, verschob er und widmete sich ganz seinem sizilischen Königreich, das er durch eine nach durchaus modernen Staatsgrundsätzen durchgeführte Reorganisation zu einem finanziell und militärisch kräftigen Staat umschuf, der das Fundament seiner weitern politischen Pläne bilden sollte.
Wegen der wiederholten Verschiebung des Kreuzzugs that ihn endlich Gregor IX. 1227 in den Bann, dessen Aufhebung aber Friedrich nach glücklicher Beendigung des Zugs nach Jerusalem, [* 50] wo er sich selbst zum König krönte, im Frieden von San Germano 1230 erzwang. Als ihn ein Abfallsversuch des jungen Königs Heinrich nach Deutschland rief, strahlte das durch einen so edlen Fürsten vertretene Kaisertum im höchsten Glanz. Auf dem Reichstag zu Mainz verkündete er den ersten allgemeinen Landfrieden in deutscher Sprache, [* 51] setzte ein ständiges kaiserliches Hofgericht ein, welches die oberste Gerichtsbarkeit in Deutschland ausüben sollte, und versöhnte die Welfen durch Erhebung Braunschweig-Lüneburgs zum Herzogtum.
Freilich war diese Machtstellung durch überaus schwerwiegende Zugeständnisse an die Fürsten ¶
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erkauft, denen er landeshoheitliche Gewalt in ihren Territorien einräumte und die niedern Stände, besonders die Städte, preisgab, und hing ganz von deren gutem Willen ab. Als sie sich dazu verstanden, den zweiten Sohn des Kaisers, Konrad, zum deutschen König zu wählen, sicherten sie sich die Unverletzlichkeit ihrer Rechte durch einen feierlichen Wahlvertrag. Als daher der Kaiser, nach Italien zurückgekehrt, die Unterwerfung Oberitaliens begann, aber darüber wieder mit dem Papst in Streit geriet und, während er gegen die lombardischen Städte mit Aufbietung aller Kräfte, aber ohne entscheidenden Erfolg rang, erst in den Bann gethan, dann 1245 auf dem Konzil zu Lyon [* 53] von Innocenz IV. förmlich abgesetzt wurde, gehorchte ein Teil der Fürsten dem päpstlichen Befehl, einen neuen König zu wählen, und setzte erst Heinrich Raspe von Thüringen (1246-47), dann Wilhelm von Holland (1248-56) die Krone auf.
Nur einen kleinen Teil Deutschlands behauptete Konrad in heftigen Kämpfen mit den Gegenkönigen. Auf die Kunde von dem Tod Friedrichs, der 1250, wütend verfolgt von der Kirche und von den schmerzlichsten Schicksalsschlägen niedergeschmettert, zu Fiorentino in Apulien starb, eilte Konrad IV. (1250-54), Deutschland preisgebend, nach Italien, um sein sizilisches Erbreich zu retten. Aber er starb schon 1254. In erbittertem Ringen mit dem unversöhnlichen Papsttum, das den französischen Prinzen Karl von Anjou zu Hilfe rief, unterlag der edle Manfred, Friedrichs natürlicher Sohn, nach kurzem Glück und verlor 1266 bei Benevent Sieg und Leben. Konrads IV. Sohn Konradin, der letzte Staufer, büßte den Versuch, sein Erbreich den Franzosen zu entreißen, mit dem Tode durch das Henkerbeil (1268).
Während dieser erschütternden Ereignisse, die dem Untergang des glänzendsten Herrschergeschlechts vorausgingen, drohte auch das deutsche Königtum ganz zu Grunde zu gehen. Zwar ward nach dem Tod Wilhelms von Holland (1256) eine Neuwahl vorgenommen: die welfische Partei wählte den reichen englischen Prinzen Richard von Cornwallis, die staufische den König Alfons von Kastilien;
doch kam dieser nie nach Deutschland, jener nur einige Male, um Königsrechte an seine Anhänger zu verschleudern.
Eine monarchische Gewalt bestand thatsächlich nicht, und daher heißt diese Zeit das Interregnum (1254-1273). Die landesherrlichen Gewalten (Territorien) gelangten zu fast völliger Unabhängigkeit und vereinigten alle Regierungsrechte in ihrer Hand. Unter den Reichsfürsten nahmen diejenigen eine hervorragende Stellung ein, auf welche sich allmählich das Recht, den König zu wählen, beschränkt hatte, die sieben Wahl- oder Kurfürsten; es waren das die Inhaber der alten Erzämter, die drei Erzbischöfe von Mainz, Köln und Trier [* 54] als Erzkanzler Deutschlands, Italiens [* 55] und Burgunds, der König von Böhmen als Erzschenk (doch wurde die böhmische Kurstimme noch lange angefochten und von Bayern beansprucht), der Herzog von Sachsen als Erzmarschall, der Pfalzgraf vom Rhein als Erztruchseß und der Markgraf von Brandenburg als Erzkämmerer.
Die Wahlfürsten waren bei der Kaiserwahl an kein Erbfolgerecht mehr gebunden; das Herkommen, welches früher den Mitgliedern oder Verwandten des herrschenden Geschlechts ein gewisses Anrecht verlieh, das ohne triftige Gründe nicht verletzt wurde, war in den Stürmen der letzten Zeit untergegangen. Neben den geistlichen und weltlichen Fürsten behaupteten noch eine große Zahl von Grafen und Rittern ihre Reichsunmittelbarkeit, und trotz der Ungunst der Zeiten und der geringen Unterstützung von seiten der Reichsgewalt erlangten etwa 60 Städte besonders im Süden und Westen des Reichs die Stellung von unabhängigen Gemeinwesen, die, nur dem Kaiser unterthan, sich ganz frei selbst verwalteten und in ihrem Gebiet die landeshoheitlichen Rechte ausübten.
Der Selbständigkeitstrieb im deutschen Volk zeigte sich so mächtig, daß in den Gebieten selbst der mächtigen Reichsfürsten Adel, Geistlichkeit und Städte, die Landstände, nach möglichst großer Ungebundenheit und Freiheit strebten und sich den Geboten der Territorialgewalt ebensowenig fügten wie die Reichsstände den kaiserlichen. Namentlich das Fehderecht, d. h. das Recht, ohne Rücksicht auf den Landfrieden nach ordnungsmäßiger Aufkündigung des Friedens sich mit gewaffneter Hand zu dem angesprochenen Recht zu verhelfen, nahmen gleich den Reichsfürsten auch die niedern Reichs- und die Landstände in Anspruch, und der Ritterstand, seit dem Untergang der Staufer und dem Ende der Kreuzzüge nicht mehr im Dienst großer, idealer Unternehmungen beschäftigt, verwilderte gänzlich durch den Mißbrauch dieses Fehderechts zu rohen Plünderungs- und Raubzügen. Das »vom Stegreif leben« ward ritterliches Handwerk und das Faustrecht das Zeichen der Zeit.
Indes trotz des Mangels einer gesetzlichen, durch berufene Organe energisch aufrecht erhaltenen Ordnung im Reich und trotz des schmählichen Zusammenbruchs der einst so stolzen Kaisermacht entwickelte das deutsche Volk eine so strotzende Kraft, ein so reges geistiges und materielles Leben, daß jene Zeit in mehrfacher Hinsicht als ein Höhepunkt in der deutschen Volksgeschichte bezeichnet werden darf. Derselbe Selbständigkeitstrieb, welcher die Begründung einer geschlossenen Staatsordnung verhinderte, verlieh dem Einzelnen die Energie, sich selbst zu helfen und durch die eigne Kraft allein oder im Bund mit andern schwere Gefahren von Deutschland abzuwehren.
Die Städte schufen sich, unbeirrt durch die Feindseligkeiten der Reichsfürsten und die Räubereien der Ritter, einen Handelsverkehr und eine Gewerbthätigkeit, welche den ganzen Norden [* 56] und Osten Europas beherrschten. Der vernichtende Einfall, mit dem 1241 die Mongolen nach der Bewältigung ganz Osteuropas das Reich bedrohten, wurde von einer Anzahl schlesischer und mährischer Fürsten unter Führung des Herzogs Heinrich von Liegnitz [* 57] in der Schlacht auf der Walstatt zurückgewiesen.
Das Gebiet rechts der Elbe, welches Friedrich II. 1212 Dänemark preisgegeben, ward durch den Sieg norddeutscher Fürsten und Städte über König Waldemar 1227 bei Bornhövede demselben wieder entrissen und Holstein, Mecklenburg und Pommern für Deutschland und für die Germanisierung zurückgewonnen. Die Eroberung Preußens [* 58] durch den Deutschen Ritterorden und die Begründung blühender, mächtiger deutscher Kolonien in Kurland, [* 59] Livland und Esthland im Nordosten, in Siebenbürgen im Südosten erfolgten ohne jede direkte und materielle Unterstützung von Kaiser und Reich.
Während die Geistlichkeit die Wissenschaften pflegte, fertigten Laien die ersten umfassenden Rechtsaufzeichnungen (so den Sachsen-, später den Schwabenspiegel) an. Der Ritterstand schuf die Poesie des Minnegesangs, in welcher sich die feine höfische Bildung jener Zeit ausprägte, und die zuerst eine deutsche Schriftsprache künstlerisch ausbildete. In den Städten brachte die Baukunst [* 60] unvergängliche Werke in den herrlichen Domen hervor, welche die Schwesterkünste der Bildhauerkunst [* 61] und Malerei auszuschmücken strebten. Diese üppige Entwickelung und Tüchtigkeit der Volkskraft, diesen idealen, auf die höchsten Ziele der ¶