(franz. Choc, spr. schock), eigentlich der gewaltsame
Zusammenstoß zweier
Körper, daher das gewaltsame Anrennen einer Reiterlinie.
Soll der Chok wirksam sein, so muß er mit der
höchsten Vehemenz ausgeführt werden. Der
Anlauf
[* 6] zum Chok in voller
Karriere beginnt erst etwa 80 m vom Feinde. DieReiter
halten den
Degen oder
Säbel weit vorgestreckt (Auslage vorwärts), die
Ulanen führen den Chok mit eingelegter
Lanze aus.
Kavallerie
in
Kolonne geht zum Chok meist nur im
Galopp,
[* 7] in
Linie stets in der
Karriere; vgl.
Attacke.
Als dieser von Obeidullah (1511) geschlagen war, verlor Chokand seine Selbständigkeit, welche es erst nach dem
Sturz der Scheibaniden
(s.
Bochara) wiederherstellte. Unter der schlaffen
Regierung der letzten
Aschtarchaniden (s. d.) waren die Herrscher Chokands
nur wenig oder gar nicht beunruhigt. Mit dem Auftreten des
HausesMangit (s. d.) änderte sich aber das
Verhältnis.
Emir Maasum führte wegen
Chodshent einen blutigen
Krieg, und sein Enkel Nasrullah suchte sich Chokands zu bemächtigen,
dem Mehemmed
AliChan von Chokand durch Grenzerweiterung und durch
Hebung
[* 9] des innern Wohlstandes einen gewissen
Glanz verliehen hatte.
Dieser aber ergriff 1841 selbst die
Offensive, indem er die bocharische
Garnison aus
Ura Tjube vertrieb.
Nasrullah nahm die Stadt wieder, machte sich aber durch seine Grausamkeit die Bewohner zu bittern Feinden. Kaum war er wieder
in
Samarkand, als letztere im Einverständnis mit den Chokandern die bocharische
Besatzung niedermachten. Nasrullah kehrte
sofort zurück, MehemmedAli, der zur Überwachung der bereits am
Sir Darja aufwärts rückenden
Russen
einen großen Teil seiner Streitkräfte verwenden mußte, wurde bei
Chodshent geschlagen, mußte die
Suzeränität Nasrullahs
anerkennen und
Chodshent mit vielen andern
Orten abtreten.
SeinBruder und Thronrival wurde zum
Gouverneur der eroberten
Provinz ernannt.
Bald aber versöhnten sich die
Brüder, und
Chodshent mit den übrigen
Orten vereinigte sich abermals mit Chokand. Sofort brach Nasrullah wieder auf, Mehemmed mußte
fliehen, wurde aber bei Mergolan eingeholt und samt seinem
Bruder und zwei
Söhnen in der eignen Hauptstadt hingerichtet. Der
Emir kehrte nach
Bochara zurück und ließ eine
Garnison in der eroberten Stadt. Bis dahin waren die
Kiptschaken
ruhige Zuschauer gewesen.
Durch den Übermut der Bocharen indessen gereizt, bemächtigten sie sich bald der Stadt und setzten
Schir AliChan, einen Sohn
Mehemmeds, auf den
Thron.
[* 10]
Wieder rückte ein bocharisches
Heer ein, dessen Anführer Musulman
Kul aber gemeinsame
Sache mit den
Chokandern machte. Ein zweites
Heer gelangte nur bis nach
Ura Tjube, indem der
Tod des
Emirs (1860) dem
Krieg
ein Ende machte. Musulman
Kul riß nun die Herrschaft in Chokand
an sich, wurde aber bald beiseite geschafft und der dritte Enkel
Mehemmed
Alis, Chudajar
Chan, an seine
Stelle gesetzt.
Dem Vorschreiten der
Russen einen
Damm entgegenzusetzen, vermochte Chokand nicht: 1864 fiel die Stadt
Turkistan in ihre
Hände, dann
Tschemkent undTaschkent, ohne daß die
Kiptschaken Chudajar beigestanden hätten. Jetzt nahm sich der
Emir von
Bochara seines Schützlings an: er züchtigte zunächst die
Kiptschaken, eroberte das östliche Chokand und setzte Chudajar
hier als
Chan ein. Gegen die
Russen aber verlor er die
Schlacht bei Jirdschar bald fiel auchChodshent.
Chudajar mußte die Thalgegend des
Sir Darja von Mehrem ab abtreten, seine
Städte den
Russen öffnen und eine Kriegskontribution
zahlen. Die äußere
Politik wurde ausschließlich von
Taschkent aus geleitet, in den innern Angelegenheiten blieb er indes
sein eigner
Herr. Infolge seiner Bedrückungen empörte sich jedoch 1875 sein
Volk und zwang ihn, auf russisches
Gebiet zu fliehen; an seiner
Stelle wurde sein Sohn
Nassr ed din von dem
Kiptschaken Abdurachman zum Herrscher von Chokand eingesetzt.
Darauf überschritten die Aufständischen die russische
Grenze. Aber das
Gefecht bei Teljan, die
Einnahme der
Feste Machram und
von
Kokan zwangen
Nassr ed din zur Abtretung des rechten
Ufers des
Sir Darja von der russischen
Grenze bis
zum Naryn.
Bald brachen aber im südlich des
Sir Darja gelegenen Gebiet
Unruhen aus, die sich selbst in dem nunmehr russischen
Territorium ausbreiteten. Pulat
Bek wurde von Abdurachman zum
Chan ausgerufen, nach der
Einnahme von Andydjan jedoch
mit diesem gefangen genommen und die
Ruhe wiederhergestellt.
Nassr ed din kehrte als
Chan zurück, geriet jedoch bald wieder
in die
Hände der russenfeindlichen
Partei und verpflichtete sich sogar, den
Krieg von neuem zu beginnen. Daraufhin
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erging unter dem 3. März von Petersburg
[* 13] aus der Befehl, das bisherige Chanat Chokand als Gebiet Ferghana dem Generalgouvernement Turkistan
einzuverleiben.
(nach einigen v. hebr. cholé-ra, »die
böse Krankheit«, nach andern v. griech. cholé; »die
Galle«),
ursprünglich und lange Zeit Bezeichnung sehr verschiedener Krankheiten des Darms, welche unter
stürmischen Durchfällen und Erbrechen verlaufen; allmählich sind einzelne bestimmte Krankheitsgruppen; z. B. die
Arsenikvergiftung, welche die gleichen Erscheinungen hervorbringt, ausgeschieden worden, und man hat den Namen Cholera für zwei
Formen übrig behalten, deren eine als einheimische Cholera (Cholera nostras), deren andre als asiatische
Cholera bekannt ist. Ob die einheimische Cholera wirklich als eine einheitliche Krankheit anzusehen ist, erscheint
zweifelhaft, da man ihre Ursache noch nicht genügend kennt; von der asiatischen Cholera dagegen steht es fest daß sie nach Ursache,
epidemischer Verbreitung und Verlauf eine ganz einheitliche Infektionskrankheit ist.
Beide sind in ihren Krankheitserscheinungen ungemein ähnlich, bei beiden sind schnell aufeinander folgende
reichliche, anfangs dünne, später geradezu wässerige Stühle das Hauptsymptom, bei beiden kommen Erbrechen, Wadenkrämpfe,
starke Erschöpfung vor, und dennoch sind sie durchaus verschiedene Formen: die einheimische ist gutartig, sie tritt sporadisch
auf, ist nicht ansteckend;
die asiatische dagegen ist eminent bösartig, tritt als verheerende Seuche auf, welche
aufs leichteste übertragbar ist, und kommt niemals sporadisch vor, ohne daß eine Übertragung des Cholerakeims stattgefunden
hätte.
Da es ungemein wichtig ist, trotz der Ähnlichkeit
[* 14] in den Symptomen beide Krankheiten aufs bestimmteste voneinander zu
unterscheiden, selbst wenn die Ansteckung nicht nachgewiesen werden kann, so werden wir späterhin gerade hierüber genaueste
Angaben machen.
Die einheimische Cholera.
Die einheimische Cholera (Brechdurchfall, Brechkolik, Cholerine, Cholera nostras s. europaea, sporadica) tritt in der Regel in den heißen
Sommermonaten auf, nach Diätfehlern, besonders nach unvorsichtigem Genuß rohen und unreifen Obstes, schlechten Biers, bei
Kindern nach Genuß sauer gewordener Milch und andrer Speisen, welche die Verdauung
stören. Es ist höchst
wahrscheinlich, daß in allen Fällen abnorme Gärungen oder Zersetzungen des Magen- und Darminhalts vorliegen, welche zuweilen
durch Erkältungen des Bauches mit starker Darmbewegung eingeleitet oder kompliziert werden; allein es ist sehr zweifelhaft,
ob die Natur dieser Zersetzungen allemal die gleiche ist.
Wahrscheinlich gibt es eine ganze Reihe säurebildender und andrer Bakterien und Sproßpilze, welche die
Nahrung gerade im warmen Sommer befallen, und es ist sehr wohl möglich, daß solche abnorme Gärungen nur deshalb so heftige
Krankheitserscheinungen bewirken, weil der Magen
[* 15] und Darm
[* 16] durch schwerverdauliche Speisen, unmäßiges Trinken von Wasser oder
Bier und die erschlaffende Wirkung der Hitze auf den ganzen Körper besonders empfindlich geworden ist. Zuweilen
gehen der Krankheit Vorboten voraus, die mehrere Tage anhalten können und in Unbehaglichkeit, Leibschneiden, Kollern im Leib,
Appetitlosigkeit, leichten Diarrhöen und Übelkeit bestehen.
Häufig stellt sich die Krankheit plötzlich, oft während der Nacht ein, indem reichliche Stuhlausleerungen erfolgen, welche
anfänglich aus den gewöhnlichen Kotmassen bestehen, später aber eine schleimige, gelbliche oder bräunliche
Flüssigkeit darstellen. Seltener sind dieselben ganz ungefärbt, reiswasserähnlich. DiesenDiarrhöen geht zuweilen heftiges
Erbrechen voraus, oder dieses tritt ein, nachdem schon einigemal Stuhlentleerungen erfolgt waren.
Das Erbrochene besteht anfänglich aus den genossenen Nahrungsmitteln, wird später schleimig-wässerig, grünlich gefärbt
und von saurem Geschmack. Die Kranken fühlen sich dabei äußerst matt und hinfällig, klagen über brennenden Durst, eingenommenen
Kopf, bittern Geschmack. Der Leib ist weich, dabei gegen Druck meist unempfindlich. Jedes Trinken erregt von neuem Erbrechen.
Die Kranken sehen blaß aus, hohläugig, zusammengefallen, sind sehr unruhig; Füße und Hände sind kalt,
oft durch schmerzhafte Krämpfe der Muskeln
[* 17] der Waden etc. zusammengezogen.
Der Puls ist sehr beschleunigt, fadenförmig klein, kaum fühlbar, der Urin äußerst sparsam, oft fehlend, die Zunge trocken;
kalter, klebriger Schweiß bedeckt den ganzen Körper. Fast immer geht der Anfall vorüber, die Haut
[* 18] wird wieder warm, ein leichter
Schweiß erscheint, die Urinabsonderung stellt sich wieder ein, die Entleerungen werden seltener, die
Kranken verfallen in einen ruhigen Schlaf, aus dem sie mit besserm Aussehen und kräftiger erwachen. Doch bleibt in den meisten
Fällen noch eine Zeitlang ein mehr oder weniger hoher Grad von Hinfälligkeit und Empfindlichkeit der Verdauungsorgane zurück.
Die einheimische Cholera verläuft in der Regel in 8-24 Stunden und tötet nur geschwächte Individuen, namentlich
Kinder und Greise.
In der Behandlung empfiehlt es sich anfangs, d. h. solange noch Speiseinhalt des Magens entleert wird, das Erbrechen durch
warme Theeaufgüsse, etwa von Kamillen, zu unterstützen und erst dann, wenn die Ausleerungen gallig und
flüssig werden, diese zu hemmen. Man gebe dem Kranken Eisstückchen in den Mund, kohlensäurehaltiges Wasser in kleinen Mengen
zum Getränk oder Brausepulver in Wasser während des Aufbrausens zu trinken. Auf den Leib lege man warme Tücher oder warme Breiumschläge
von Leinsamenmehlabkochungen. Innerlich dient als sicherstes Mittel das Opium (5-10 Tropfen der Tinktur).
Droht der Kranke zu schwach zu werden, und verfällt derselbe sichtlich, so reiche man einige Eßlöffel voll Wein, am besten
moussierenden, oder einige TropfenÄther und reibe den Körper mit gewärmten Tüchern.
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In der ersten Zeit nach dem Anfall muß noch strenge Diät eingehalten werden: der Kranke muß sich auf flüssige Nahrung,
Fleischbrühe mit Schleim, Milch etc., beschränken, sich sorgfältig vor Erkältung, besonders des Unterleibes, hüten und kann
erst allmählich zur frühern Lebensweise zurückkehren. - Auch die sogen. Cholera der
Kinder (Cholera infantum), welche im Sommer in großen Städten geradezu ungeheure Sterblichkeitsziffern erreicht,
ist auf abnorme Zersetzung der Nahrung zurückzuführen. Am häufigsten betrifft diese KrankheitSäuglinge jeden Alters, welche
künstlich aufgefüttert werden, sowie Kinder, welche schnell von der Mutterbrust entwöhnt worden sind.
Die Kinder erbrechen bei dieser Krankheit alles, was in ihren Magen kommt. Die etwa genossene Milch kommt
nicht verkäst, wie bei gesunden Kindern, sondern ungeronnen wieder zum Vorschein. Gleichzeitig mit dem Erbrechen werden auch
die Ausleerungen abnorm. Dieselben bestehen aus einer sauer riechenden, grünlichen oder gelblichen Masse, vermischt mit weißlichen
Klumpen, später aus wässerigen Ausscheidungen. Die Kinder verfallen dabei sehr schnell, magern ab, das
Gesicht
[* 20] wird faltig und greisenhaft, Lippen und Hände sind bläulich und fühlen sich kühl an, es treten krampfhafte Zuckungen
ein, und bald folgt der Tod durch Erschöpfung.
Der ganze Verlauf der Krankheit drängt sich oft auf wenige Stunden zusammen. Manchmal geht der choleraähnliche Anfall vorüber,
und es schließt sich eine leichtere Form des Darmkatarrhs an. Die Behandlung der Cholera der Kinder hat die
doppelte Aufgabe, 1) die einmal eingeleiteten sauren oder sonst schädlichen Gärungen zu hemmen und 2) der Wiederholung solcher
Zersetzungen vorzubeugen. Den ersten Zweck erreicht man zuweilen durch das Erbrechen und die Durchfällean sich,
zuweilen empfiehlt sich die Entleerung mittels der Magenpumpe oder bei kräftigen Kindern durch Abführmittel.
Unterstützt wird das Verfahren durch Darreichung von Wein und Mitteln, welche die Zersetzung hemmen, Kreosotwasser, Kalomel etc.
in vorsichtigen Gaben, die nur der Arzt bestimmen kann. Die Verhütung fernerer Zersetzungen verlangt sorgfältiges Überwachen
der Nahrung; wenn keine Mutter- oder Ammenmilch gegeben werden kann, so muß die Kuhmilch, oder was sonst
gegeben wird, jedesmal vor dem Genuß aufgekocht, Gläser, Pfropfen
[* 21] etc. müssen aufs sauberste gereinigt werden. Selbstverständlich
sucht man das Kind durch Baden,
[* 22] gute Luft und aufmerksame Pflege möglichst zu kräftigen.
Die asiatische Cholera.
Die asiatische Cholera (Cholera morbus, Cholera orientalis, asiatica, indica, epidemica)
hat ihre Heimat in Ostindien.
[* 23] Hier ist sie, wie es scheint, von jeher sowohl in vereinzelten Fällen als auch in kurz dauernden
und wenig verbreiteten Epidemien aufgetreten. Aber erst 1817 trat die Cholera in Indien in größerer, seuchenartiger Ausbreitung
auf und fing an, sich auf die Nachbarländer auszudehnen. Am Schluß des Jahrs 1818 war schon die ganze
ostindische Halbinsel von der Krankheit durchzogen und furchtbar verheert worden.
Die Seuche, deren eigentliche Ursache unbekannt war und blieb, begann fast an jedem Ort, wo sie sich zeigte, mit der äußersten
Bösartigkeit, nahm dann an Heftigkeit ab und dauerte meist nur 2-3 Wochen; an einzelnen Orten freilich,
z. B. in Kalkutta,
[* 24] hatte sie einen jahrelangen Bestand. Schon damals bemerkte man, daß die Seuche sich vorzugsweise im Verlauf
der großen Verkehrswege, der Flüsse
[* 25] und Landstraßen, verbreitete. Von 1817 bis jetzt ist die Cholera in Indien nie mehr
ganz erloschen; sie trat vielmehr
bald an diesem, bald an jenem Punkt in großer Ausbreitung auf.
In das Jahr 1831 fallen auch die ersten deutschen Epidemien, namentlich die von Berlin,
[* 34] Wien
[* 35] etc. Die Verbreitung
der Krankheit in diesem Jahr war eine ungeheure: im Norden reichte sie bis Archangel, im Süden bis Ägypten,
[* 36] über die Türkei
[* 37] und einen Teil von Griechenland.
[* 38] Im J. 1832 kam die Cholera zum erstenmal nach London
[* 39] und über Calais
[* 40] nach Paris, auch erschien sie
damals zuerst von England aus importiert in Amerika
[* 41] (Quebec). Nun folgten sich in Europa bis 1838 viele bald
mehr zerstreute, bald in offenbarem Zusammenhang stehende Epidemien von denen teils bisher verschonte Strecken (wie z. B. Spanien
[* 42] 1833-34, Schweden
[* 43] 1834, Oberitalien
[* 44] 1836, München
[* 45] 1836), bald schon früher durchseuchte Orte befallen wurden (wie z. B. Berlin 1832 und
1837). Vom Jahr 1838 an aber blieb Europa fast zehn Jahre lang frei von der Cholera. - Im J. 1846 begann ein neuer Zug
der Cholera von Indien
aus.
Auch in Deutschland
[* 50] gewann die Cholera in den Jahren 1849 und 1850 große Verbreitung. Das Jahr 1851 war für
Deutschland cholerafrei; dagegen brach sie im folgenden Jahr von Polen her in den östlichen Teilen Deutschlands
[* 51] aus, kam aber
diesmal nicht über Berlin hinaus. Bis zum Jahr 1859 traten in den verschiedensten Ländern innerhalb und außerhalb Europas
größere Seuchen auf. In diesem Jahr aber schien die Krankheit ihren zweiten großen Verheerungszug im
wesentlichen beendigt zu haben. Ihren dritten großen Zug
über den asiatischen und europäischen Kontinent trat sie 1865 an. Namentlich
wurden 1866 viele Opfer durch die Cholera hinweggerafft, z. B. während des Kriegs in Böhmen,
[* 52] in Leipzig,
[* 53] Berlin, an den Küsten der
Ostsee etc. Die Krankheit ist seitdem in
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Europa, obschon sie sich entschieden milder zeigte als früher, nicht mehr ganz erloschen. Während des Kriegs 1870/71 blieb
Deutschland frei; erst 1873 ist die Krankheit wieder von Galizien aus teils nach Wien, Prag,
[* 55] München, Speier,
[* 56] Würzburg
[* 57] verschleppt
worden, teils gelangte sie die Weichsel entlang in die Städte der preußischen Ostseeküste. Die letzte
europäische Epidemie brach, von Indien eingeschleppt, 1884 in Toulon
[* 58] aus, diesem sanitär so ungünstigen Hafen, welcher schon
früher das Einfallsthor der Seuche gewesen war. Im August blieb sie auf Toulon, Marseille
[* 59] und Umgegend beschränkt, im September
traten einige Erkrankungsfälle in Paris auf, während eine ziemlich heftige Epidemie in Unteritalien,
namentlich in Neapel,
[* 60] wütete. Anfang 1885 wurde Spanien heimgesucht, im August 1885 abermals Marseille.
Die Geschichte der Cholera weist demnach in jeder neuen Epidemie wieder auf eine Einschleppung der Seuche von Indien her hin und
lehrt aufs bestimmteste, daß die Krankheit in Europa nicht selbständig entsteht und immer wieder nach
kürzerer oder längerer Dauer verschwindet. Einzelne Erkrankungsfälle können überall, auf Schiffen und am Land, vorkommen,
wohin immer Cholerakranke oder Wäsche von solchen oder Gegenstände, welche mit dem Darminhalt verunreinigt waren, gelangen;
zur Bildung eines ganzen Choleraherdes, von welchem aus sich eine Epidemie ausbreitet, gehören aber gewisse Vorbedingungen:
Es ist seit langem bekannt, daß sumpfige, niedrig gelegene Ortschaften sehr stark heimgesucht wurden,
daß dagegen andre (Lyon,
[* 61] Versailles,
[* 62] Salzburg),
[* 63] namentlich Gebirgsplätze, nahezu verschont blieben, woraus sich ergibt, daß
die Bodenverhältnisse bei der Verbreitung der Seuche eine wesentliche Rolle spielen.
Umfassende Untersuchungen Pettenkofers haben ergeben, daß eine ganz bestimmte Beschaffenheit des Bodens
vorhanden sein muß, um der Aufnahme und Vermehrung des Ansteckungsstoffs aus den Darmausleerungen Cholerakranker Vorschub
zu leisten: der Boden muß nämlich porös, für Wasser und Luft durchdringbar sein, und man muß in einer nicht zu beträchtlichen
Tiefe (1,5-15 m) auf Grundwasser
[* 64] stoßen. Wo diese Bodenbeschaffenheit nicht
vorhanden ist, kommen Choleraepidemien
erfahrungsmäßig nicht vor.
Denn in Orten, welche unmittelbar auf kompaktem Gestein oder auf Felsen liegen, welche von Wasser nicht durchdringbar sind, hat
man höchstens vereinzelte dahin verschleppte Fälle, aber keine Epidemien von Cholera beobachtet. Das im Boden liegende begünstigende
Moment für die epidemische Verbreitung der Cholera ist also nicht dessen geognostischer oder
mineralogischer Aufbau, sondern ausschließlich seine physikalische Aggregation. Indessen erweist sich die Empfänglichkeit
eines porösen Bodens für eine Choleraepidemie keineswegs zu allen Zeiten gleich groß; dieselbe schwankt vielmehr nach den
Untersuchungen Pettenkofers je nach der Entfernung der Oberfläche des Bodens vom Niveau des Grundwassers und demnach auch nach
dem jeweiligen Stand, nach den Schwankungen des letztern und ist außerdem abhängig von der Durchschwängerung
des Bodens mit organischen Substanzen, namentlich mit solchen, welche von tierischen Ausleerungen herstammen.
Über den Stand des Grundwassers und seine Schwankungen an einem bestimmten Ort läßt sich von vornherein niemals etwas Bestimmtes
aussagen, dies muß vielmehr für jeden einzelnen Ort durch direkte Beobachtungen festgestellt werden.
Im allgemeinen aber darf man sagen, daß jeder Ort und jeder Ortsteil um so mehr von der Cholera leiden wird, je näher er dem
Grundwasser liegt. Die Höhe des Grundwasserstandes und die Schwankungen desselben können also als Hilfsursache für die Ausbreitung
der Cholera wirken; sie begünstigen die Entstehung eines Infektionsherdes um so mehr, je mehr der poröse Boden mit organischen
Abfällen des menschlichen Haushalts, namentlich mit festen und flüssigen Exkrementen, geschwängert ist.
Die eigentliche Ursache der Cholera wurde schon lange in einem vermehrungsfähigen niedern Pilz
[* 65] gesucht, jedoch standen der Erforschung
einmal deswegen große Schwierigkeiten entgegen, weil die Kenntnis der krankheiterregenden Bakterien noch
wenig vorgeschritten war, und ferner weil die Cholera auf keins der zu Experimenten verfügbaren Tiere zu übertragen ist. Es war
der deutschen Expedition, welche unter Leitung
¶
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vonRob. Koch 1883 nach Ägypten gesandt wurde, vorbehalten, diese Fragezu lösen.Koch fand in dem Darminhalt von Cholerakranken,
in der Darmwand von Choleraleichen, in der Wäsche und im Boden infizierter Ortschaften einen eigentümlichen, noch bei 1000facher
Vergrößerung sehr kleinen Spaltpilz, welcher wegen leichter Krümmungen seiner Fädchen von ihm als Kommabacillus
bezeichnet wurde. Dieser Pilz fand sich konstant in jeder Choleraleiche, aber nur im Darm, nicht im Blut oder in andern Organen.
Die Menge der Pilze
[* 67] war eine ungeheure, sie stand in geradem Verhältnis zur Schwere der Darmerkrankung, zuweilen waren alle
andern sonst im Darm vorkommenden Bakterien durch den Kommabacillus verdrängt. Es gelangKoch, den Pilz rein
zu züchten, wobei sich ein Aussehen und ein Verhalten beim Wachstum herausstellten, durch die sich dieser Pilz von allen
bisher bekannten in charakteristischer Weise unterscheidet (S. 63,
[* 66]
Fig. 1). Übertragungen des Pilzes in den Magen von Tieren
blieben unschädlich, jedoch scheint z. B. beim Meerschweinchen eine wirkliche Cholera zu entstehen, wenn der
Mageninhalt vor dem Einbringen der Kommabacillen neutralisiert oder alkalisch gemacht und durch Opium die Darmbewegung gehemmt
wird.
Eine natürliche Übertragung, welche Koch inIndien beobachtete, ersetzt indessen den Mangel exakter Tierversuche, da der Bacillus
sich in den Pfützen und Wasserlöchern, aus welchen die sehr unsaubern indischen Bewohner Kalkuttas trinken,
in solchen Ortschaften, welche von der Seuche befallen waren, massenhaft vorfand, während er an cholerafreien Orten fehlte.
Da der Bacillus später in Toulon, in Paris und Italien
[* 68] ganz regelmäßig bei allen Cholerakranken gefunden wurde und sonst nirgends
vorkommt, wo nicht Cholera herrscht, so ist nicht zu zweifeln, daß er die Ursache der Seuche u. das bei der
Übertragung wirksame »Choleragift« darstellt.
Hierdurch ist nun auch die Möglichkeit gegeben, die asiatische Cholera von jeder Art von anderm Brechdurchfall zu unterscheiden,
da nur der eigentlichen Cholera der Kommabacillus eigen ist. Sehr leicht ist diese Unterscheidung übrigens
nicht, da es andre in Komma- oder Spirillenform auftretende Pilze gibt, welche mit den echten Cholerapilzen verwechselt werden
können.
Am ähnlichsten ist ihm ein Kommabacillus, welchen Prior und Finkler 1884 bei Fällen von einheimischer Cholera fanden
[* 66]
(Fig. 2),
und demnächst eine Spirille, welche Miller aus dem Mundspeichel
[* 66]
(Fig. 3) gesunder Personen zuerst rein
züchtete. Diese Ähnlichkeit bezieht sich jedoch nur auf die Gestalt der einzelnen Kommastäbchen, denn wenn die Pilze auf
Gelatine in einem Reagenzglas kultiviert werden (s. Figuren, S. 63), so bildet der Cholerapilz höchst charakteristische Figuren,
eine Luftblase, von welcher ein dünner weißer Faden
[* 69] abgeht, während die andern ähnlichen Bakterien
schneller wachsen und die
Gelatine mehr gleichmäßig verflüssigen und Figuren bilden, welche einem länglichen Beutel
[* 70] gleichen.
Auch wenn die Bakterien auf Glasplatten in dünnen Schichten von Gelatine kultiviert werden
[* 66]
(Fig. 4), bilden die Cholerabacillen
sehr eigentümliche Figuren, leicht ausgezackte Ringe mit weißem Pünktchen, welche durch Verflüssigung
der Gelatine tief eingesunken sind und so im Durchschnitt die Gestalt eines Napfes
[* 66]
(Fig. 5) erlangen; diese Figuren in Reinkulturen
sind von denen aller übrigen Bakterien bestimmt zu unterscheiden, u. nur durch solche Kulturen kann in zweifelhaften Fällen
festgestellt werden, ob einheimische oder asiatische Cholera vorliegt.
Dieser Pilz vermehrt sich außerhalb des menschlichen Körpers in Flüssigkeiten, welche das nötige Nährmaterial
enthalten, z. B. Trink-, Grund- und andern Wassern mit tierischen Abfallstoffen, äußerst schnell, vermag dagegen sich nicht
in trocknem Zustand zu erhalten und geht bei Temperaturen von 17° und darunter zu Grunde. Die Entstehung des Kommabacillus
verlegt Koch in den südlichen Teil des Gangesdelta, wo eine zwischen den Flußläufen gelegene Niederung
mit üppigster Vegetation regelmäßigen Überschwemmungen zur Zeit der Meeresflut unterliegt und bei der hohen Temperatur eine
wahre Brutstätte für alle Bakterien bildet, denn von hier aus verbreitet sich die Cholera regelmäßig nach Norden über das übrige
Gangesdelta, und zwar wird die Verschleppung in Indien selbst durch ein außerordentlich frequentiertes
Pilgerwesen sehr begünstigt.
Von hier aus wird die Cholera auf den verschiedensten Wegen des Verkehrs von Land zu Land verschleppt, bald durch Personen, bald
durch Kleider und Waren; ja, es kann durch eine Person die Verschleppung über Hunderte von Meilen erfolgen,
wie dies z. B. 1866 geschah, wo die Cholera von Odessa
[* 71] direkt nach Altenburg
[* 72] importiert wurde. Es ist nicht nötig, daß die Person,
welche die Verschleppung bewirkt, selbst an schwerer Cholera erkrankt; vielmehr können schon die Dejektionen von einem leichten
Choleraanfall, der als solcher noch gar nicht erkannt ist, in einem bisher davon freien Orte die Cholera importieren.
In seltenen Fällen geschieht die Übertragung in der Weise, daß die Krankheit von dem Ankömmling unmittelbar auf die mit ihm
in Berührung kommenden Menschenübertragen wird (wenigstens erlangt auf diese Weise die Cholera niemals eine epidemische Verbreitung);
vielmehr wird an dem bisher gesunden Orte durch die ankommenden Cholerakranken ein sogen. Infektionsherd
gebildet, d. h. wahrscheinlich eine Bodenvergiftung bewirkt, und von diesem Boden aus, besonders wenn derselbe durch Feuchtigkeit
zur Vermehrung derKeime beiträgt, werden die umwohnenden Menschen gefährdet. Während nun in den 30er Jahren die Cholera gemäß
der damaligen Verkehrsart langsam vorrückte und vornehmlich auf der Karawanenstraße über Rußland
bei
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uns eingeschleppt wurde, ist heute der Weg durch den Suezkanal so erheblich abgekürzt und durch die Dampfschiffahrt die Fahrzeit
eine so kurze geworden, daß in 18-20 Tagen ein Cholerakeim von Indien nach Italien und dem südlichen Frankreich importiert
werden kann, während wir von der Verbreitung auf dem Landweg von Indien her kaum noch etwas zu fürchten
haben dürften. Man hielt bis vor kurzem die Schiffe
[* 74] im allgemeinen für wenig geeignet, den Ansteckungsstoff weiter zu übertragen,
und für gewöhnliche Fahrzeuge hat sich dies auch bestätigt; indessen sind nachKoch solche Fahrzeuge, welche Massentransporte
von Menschen bewirken, durchaus geeignet, den Krankheitskeim auch für eine längere Seereise zu konservieren.
Die Ansteckung des einzelnen Menschen geschieht in der Weise, daß der Krankheitskeim in die Speisewege entweder durch Trinkwasser,
oder durch Übertragung mittels Insekten
[* 75] auf feuchte Speisen, oder durch Berührung der letztern mit infizierten Händen gelangt
und unverdaut durch den Magen in den Darmkanal dringt, wo er seine spezifische Thätigkeit entwickelt.
Hierzu ist es aber nötig, daß der Magen nicht in normaler Weise funktioniert, da bei ungestörter Verdauung die Pilze zu Grunde
gehen, und wir sehen deshalb die Cholera nur bei solchen Personen auftreten, welche an Verdauungsstörungen leiden, und deshalb
werden auch während einer Epidemie die meisten Erkrankungen an den Montagen konstatiert, nachdem der Magen
durch sonntägliche Exzesse geschwächt war.
Eine Übertragung der Krankheitserreger durch die Luft ist unwahrscheinlich, da dieselben nach Koch in trocknem Zustand (und
anders können sie durch die Luft nicht fortgeführt werden) zu Grunde gehen. Im Darmkanal, zumal wenn derselbe bereits
durch Verdauungsstörungen gelitten, vermehren sich die Kommabacillen äußerst schnell, gelangen aber selbst nicht in die
Blutbahn; vielmehr werden die schweren Krankheitssymptome und der häufig so plötzliche Tod wahrscheinlich durch die Aufnahme
von giftigen Stoffen bedingt, welche diese Bakterien erzeugen, und welche dann in die Blutbahn gelangen.
Auf diesen immerhin noch nicht völlig geklärten Erfahrungen, welche man über das Wesen und die Verbreitungsweise
des Choleragifts gesammelt hat, beruhen die Maßregeln, welche man zur Abwehr dieses schlimmen Feindes ergriffen hat, und
welche in neuester Zeit, als die Epidemie von 1884 von Frankreich her das Deutsche Reich
[* 76] bedrohte, in dem Erlaß des preußischen
Kultusministers zur Abwehr der Cholera einen geläuterten Ausdruck gefunden haben. Zunächst ist hiernach dem Eisenbahngrenzverkehr
an denjenigen Orten besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden, wo ein erheblicher Zutritt von Reisenden stattfindet.
Die Reisenden sind in den Eisenbahnkoupees von Ärzten zu besichtigen, wobei das Zugpersonal und die Mitreisenden wichtige
Aufschlüsse über etwanige Krankheitserscheinungen geben können. Koupees, in denen Kranke gefunden sind,
müssen geräumt und desinfiziert werden. Die Sanitätsbehörden, welche durch besondere Sanitätskommissionen in den einzelnen
Ortschaften unterstützt werden müssen, haben dafür zu sorgen, daß nicht durch gelegentliche, an sich unerhebliche Erkrankungen,
namentlich der Verdauungsorgane, individuelle Dispositionen für die Cholera hervorgerufen werden.
Sie haben die örtlichen Verhältnisse genau zu überwachen, besonders für möglichste Sauberhaltung
der Straßen und Plätze, häufige Reinigung der Rinnsteine zu sorgen; ferner ist zu verhüten, daß Abtritte und Dunggruben
in der Nähe
von Brunnen
[* 77] angelegt werden, überhaupt muß ein Durchsickern dieser unreinen Stoffe ins Erdreich möglichst sorgfältig
vermieden werden. Brunnenwasser ist vor allen Verunreinigungen zu schützen und ist da, wo Wasserleitungen
bestehen, möglichst vom Gebrauch auszuschließen.
Jedes Feilhalten von gesundheitsschädlichen Nahrungsmitteln ist strengstens zu ahnden. Herbergen, Logierhäuser und Massenquartiere
von Arbeitern sind vor Überfüllung zu bewahren und auf ihre Sauberkeit hin zu kontrollieren. Für den Fall des Ausbruchs
der Cholera an einem Ort ist für Entsendung hinreichend zahlreicher Ärzte, besonders in die ärmern Distrikte,
zu sorgen, Märkte und Messen sind eventuell aufzuheben, ebenso erforderlichen Falls die Schulen zu schließen.
Die Kranken selbst sind entweder in ihrer Wohnung zu isolieren, oder nach einer Krankenanstalt überzuführen. Alle Gegenstände,
welche mit einem Cholerakranken in Berührung gekommen waren, sind zu desinfizieren, so z. B.
die transportierenden Tragen und Wagen, Betten, Wäsche etc. Das Spülen von Gefäßen etc., welche mit Cholerakranken in Berührung
waren, an Brunnen ist strengstens zu verbieten und das Genießen von Speisen in Krankenräumen, auch wenn dieselben bereits
geleert sind, nach Möglichkeit zu vermeiden.
Die Leichen sind womöglich in besondere Räume zu bringen, die Ausstellung derselben vor dem Begräbnis
zu untersagen und das Leichengefolge möglichst zu beschränken. Eine Beunruhigung der Bevölkerung
[* 78] ist durchaus zu vermeiden,
es muß darauf hingewirkt werden, daß jeder sich der größten Mäßigkeit und Reinlichkeit an seinem Körper befleißigt
und bei jeder Verdauungsstörung, auch wenn dieselbe ihm gering erscheint, den Arzt aufsucht. Was die
Desinfektion
[* 79] anbetrifft, so sind die Exkremente und wertlosen Gegenstände am besten zu verbrennen; über die Desinfektion der
Wäsche, Räume etc. s. Desinfektion.
Wenn nun diese Schutzmaßregeln auch bei einmal ausgebrochener Epidemie die Ausbreitung derselben in wirksamer Weise verhindern
können, so ist doch die Erklärung einigermaßen schwierig, durch welche Verhältnisse eine Epidemie definitiv zum Verschwinden
gebracht wird. Wenn man annehmen kann, daß nach längerm Bestehen einer Epidemie fast alle Leute wenigstens an ganz leichten
Anfällen erkrankt sind, und daß das Überstehen eines Anfalls wenigstens für kurze Zeit einen Schutz
gegen neue Erkrankung bietet (obwohl es auch vorgekommen ist, daß jemand während einer Epidemie zweimal erkrankte), so muß
ein derartig »durchseuchter« Ort nach einiger Zeit naturgemäß eine gewisse Immunität gegen Cholera erlangen und letztere schließlich
erlöschen, womit auch die Thatsache übereinstimmt, daß gegen Ende einer Epidemie die Erkrankungen stets leichter
sind. Ferner findet der Cholerakeim an der Kälte unsrer Gegenden den wirksamsten Bekämpfer.
Der Ausbruch einer Epidemie geschieht in verschiedener Weise. Häufig gelangen die ersten Fälle sehr vereinzelt zur Kenntnis,
und es dauert geraume Zeit, bis plötzlich gleichzeitig eine große Anzahl von Menschen erkranken, öfters in den einzelnen
Stadtteilen zerstreut, öfters an einem Punkte der Stadt, und man spricht dann von einer Explosion der
Cholera. Fast nie wird eine Stadt sogleich in großer Ausdehnung
[* 80] ergriffen, sondern es kann vorkommen, daß mehrere Monate lang nur
vereinzelte Fälle in schwachen Epidemien fortbestehen, in dieser Weise die kalte Jahreszeit überdauern und dann, besonders
bei Eintritt der wärmern Jahreszeit, sich zu einer
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