fortgefahren, bis
Wasser erreicht ist, wovon man sich durch ein in das
Rohr hinabgelassenes
Senkblei leicht überzeugen kann.
Hat manWasser gesunden, so schraubt man eine
Pumpe
[* 2] an das hervorstehende Ende des
Rohrs und wird mittels derselben zuerst meist
schlammiges, sehr bald aber reines
Wasser erhalten. Steht der in sehr feinem
Sand, so kann dieser dauernd
mitgerissen werden; in solchem
Fall gibt man dem durchlöcherten
Rohr mit der Stahlspitze bei etwa 1 m
Länge einen etwas größern
Durchmesser und schiebt in dasselbe ein zweites messingenes, ebenfalls vielfach durchbohrtes
Rohr, welches mit einem
Gewebe
[* 3] von
Pferdehaaren überzogen ist. Der Röhrenbrunnen durchbricht zwar nicht feste Steinbildungen, dringt
aber in harte Bodenarten ein.
Will man das
Rohr herausheben, so genügt es, das
Fallwerk
[* 4] umgekehrt wirken zu lassen.
Das in den Erdboden eindringende
Wasser wird sehr oft von undurchlässigen
Schichten aufgehalten und ist
dann gezwungen, diesen zu folgen. Ist die wasserführende
Schicht auch noch von einer undurchlässigen
bedeckt, so kann das
Wasser bei passender
Neigung der
Schichten einem sehr hohen hydrostatischen
Druck ausgesetzt werden. Das
an der Erdoberfläche bei a
[* 1]
(Fig. 2) in die
Schicht eindringende
Wasser bewegt sich zwischen den undurchlässigen
Schichtenb und c und steht z. B. amPunkte d unter einem
Druck, welcher einer Wassersäule von der
Höhe e f entspricht.
Treibt man nun bei
g ein Bohrloch nieder, so wird das
Wasser nach Durchbohrung der
Schicht b alsbald im Bohrloch aufsteigen,
zu
Tage treten und je nach Umständen sich auch noch im
Strahl erheben. Derartige Brunnen, welche also auf das
Gesetz der kommunizierenden
Röhren
[* 5] zurückzuführen sind, nennt man artesische. Die
Anlage derselben hängt von dem geognostischen
Ban der Gegend ab. Die meiste Aussicht auf Erfolg bieten weite, kegelförmige Thalmulden oder
Becken, deren
Wände der
Schichtung
der Gebirgsmassen konform sind.
Man hat indes artesische auch in weiten
Ebenen und selbst in dem in einer Meereslagune gelegenen
Venedig
[* 6] erbohrt, und daß hier, wo die erforderlichen
Höhen ganz zu fehlen scheinen, das
Wasser dennoch emporgetrieben wird, erklärt
sich aus der außerordentlich weiten, oft
Hunderte von Quadratmeilen umfassenden
Ausdehnung
[* 7] der ältesten
Schiefer- und Schichtgesteine,
welche meist in ihrer horizontalenLagerung gestört und in eine geneigte
Lage gebracht sind. Das
Wasser
des artesischen Brunnens stammt also unter Umständen aus sehr weiten
Entfernungen und aus einem großen Gebiet.
Diesem letztern Umstand verdanken die Brunnen ihren nie versiegenden Wasserreichtum. Zur Herstellung der artesischen
Brunnen dient der
Erdbohrer,
[* 8] welcher ein mehr oder minder enges Bohrloch erzeugt. Bisweilen gräbt man zunächst
durch das obere lockere Erdreich einen gewöhnlichen Brunnenschacht und beginnt das
Bohren erst an der
Sohle desselben. Der
Brunnenschacht wird dann ausgemauert und dient
zur Ansammlung des durch ein Pumpwerk weiter zu hebenden
Wassers, das Bohrloch
aber muß, wenn das Erdreich es erfordert, mit eisernen
Röhren ausgefüttert werden.
Steigt das
Wasser über die Erdoberfläche empor, so muß noch ein besonderes
Steigrohr errichtet werden, und in solchem
Fall
ist dann das
Wasser auch sehr wohl zum Betrieb von
Maschinen geeignet. Ebenso kann die
Wärme
[* 9] des
Wassers, welche der großen
Tiefe, aus der es emporsteigt, entspricht, in verschiedener
Weise nutzbar gemacht werden. Bohrbrunnen
sind seit alten
Zeiten in
China
[* 10] gebräuchlich gewesen; auch die alten Ägypter kannten sie, und die
Wüsten von
Theben und Gorbe
sind von solchen Brunnen sozusagen ganz durchlöchert. In
Europa
[* 11] wurde zuerst 1126 ein artesischer Brunnen zu
Lillers im
DepartementPas de Calais erbohrt; in größerer
Ausdehnung aber scheinen die artesischen Brunnen zuerst im Modenesischen und in
Österreich
[* 12] angelegt worden zu sein.
Die Benennung nach der
GrafschaftArtois, wo die Bodenverhältnisse die
Anlage der Bohrbrunnen besonders begünstigten, ist
daher nur wenig berechtigt. In
England, welches gegenwärtig sehr viele artesische Brunnen besitzt, kamen sie
erst gegen Ende des 18. Jahrh. in
Gebrauch. In
Deutschland
[* 13] wurden sie schon 1724 vom kursächsischen Bergkommissar Leupold
empfohlen, doch vornehmlich zur Erbohrung von
Solquellen. Die
KannstatterAnlage datiert von 1777. Das Bohrloch zu Neusalzwerk
besitzt 672, 9 m Tiefe.
Bisweilen entströmen den
Bohrlöchern auch gewaltige
Mengen von
Kohlensäure; der eine
Nauheimer Sprudel
liefert in jeder
Minute 2,19cbm, also jährlich 2,5 Mill. kg
Kohlensäure, zu deren Erzeugung die
Verbrennung von 15,000 Ztr.
Steinkohlen erforderlich sein würde. In ähnlicher
Weise liefern manche artesische Brunnen brennbare
Kohlenwasserstoffgase und die
amerikanischen
Erdöl.
[* 14] Einer der großartigsten artesischen Brunnen ist der zu
Grenelle bei
Paris,
[* 15] welcher von 1833 bis 1841 erbohrt
wurde, eine Tiefe von 545 m besitzt und in einer
Minute 640
Lit.
Wasser von 22½° R. liefert, welches in einem
Rohr 16 m über
den
Boden emporsteigt.
Diese Wasserlieferung verminderte sich auf 430L., als das noch großartigere Unternehmen von
Passy bei
Paris durch
Kind vollendet wurde. Der wasserreichste artesische Brunnen ist der zu
Congé sur
Cher im
DepartementIndre-et-Loire, welcher
bei einer Tiefe von 308 m in der
Minute4050L. liefert. Die Bedeutung der artesischen Brunnen für wasserarme Gegenden hat sich
besonders in
Algerien
[* 16] gezeigt, wo französische
Ingenieure seit 1855 an den Rändern der
Sahara mit dem
glücklichsten Erfolg sehr ergiebige Brunnen gebohrt haben. Diese Brunnen ergießen jetzt täglich 100,000
cbmWasser über den
Boden, und wo bisher im dürren
Sand kein Hälmchen gedieh, wachsen jetzt 150,000
Palmen.
[* 17]
Unter die bedeutendsten in der neuern Zeit erbohrten artesischen Brunnen gehört der von
Zsigmondy 1879 in der
außerordentlichen Tiefe von 970,48 m hergestellte
in Form von gefaßten Quellen oder Ziehbrunnen waren schon im frühsten Altertum hochgeschätzt. Die nomadischen
VölkerschaftenAsiens mußten in anbetracht ihrer Herden zuerst darauf bedacht sein, das hier und da aus
der Erde quellende und das als Regenwasser sich auf derselben niederschlagende Wasser zu sammeln, und so waren die Zisternen
die ersten Anfänge der Brunnen. In wasserarmen Gegenden waren dieselben von der höchsten Wichtigkeit, und es erhoben
sich über ihre Benutzung nicht selten ernste Streitigkeiten.
Nach Strabon hatten die alten Ägypter tief ausgegrabene und ausgemauerte Brunnen, von welchen
die zwei merkwürdigsten auf Elephantine und bei Syene sich befanden; der erstere, aus Quadersteinen aufgeführt, stand mit
dem Nil in Verbindung und zeigte durch einen an der Mauer angebrachten Maßstab
[* 23] das Steigen und Fallen
[* 24] des Flusses; der Boden des
andern ward zur Zeit der Sommersonnenwende von der Sonne
[* 25] beschienen, weil er unter dem Wendekreis lag. Auch
artesische Brunnen sind von den alten Ägyptern angelegt worden. An Brunnen versammelten sich in frühern Zeiten namentlich die jungen
Leute, und nicht selten wurden auch Kriegslager und feste Wohnplätze daselbst aufgeschlagen, wie dies die Namen vieler
Städte bis auf den heutigen Tag beweisen. Im Orient spielen die Brunnen im Verkehrsleben noch gegenwärtig eine äußerst wichtige
Rolle, weshalb das Graben derselben für höchst verdienstlich, das Verschütten derselben aber für ruchlos und gottlos erklärt
wird.
Nach der griechischen Mythe ist Danaos der Erfinder der Brunnen. Während die Griechen früher wohl nur lebendige
Quellen und Zisternen kannten, hatte später jede bedeutendere Stadt wenigstens einen Brunnen, der dekoriert und einer bestimmten
Gottheit geweiht war. In Rom
[* 26] behalf man sich lange Zeit mit Tiber- und Quellwasser, bis durch WasserleitungenWasser nach Rom geführt
und dort in Kasten und Brunnen aufbewahrt wurde. Unter den Kaisern hatte fast jedes Haus in Rom seinen oder wenigstens
Wasserbehälter, die das Wasser in Zimmer, Säle, Gärten etc. führten und auch Fontänen bildeten.
Die Kunst des Brunnengrabens ist erst auf eine hohe Stufe von Vollkommenheit gebracht worden, nachdem die Städtebefestigungen,
Bergschlösser- und Burgenbauten zu den kühnsten Werken in jenem Zweig der Baukunst
[* 33] notgedrungene Veranlassung gegeben
hatten.
Spetzler, Anleitung
zur Anlage artesischer Brunnen (Lübeck
[* 35] 1832);
v. Bruckmann, Vollständige Anleitung zur Anlage, Fertigung und neuern Nutzanwendung
der gebohrten oder sogen. artesischen Brunnen (2. Aufl., Heilbr.
1838);
Paulucci, Das technische Verfahren bei Bohrung artesischer Brunnen, mit besonderer Rücksicht auf den
dermaligen Stand der Brunnenbohrkunst in Frankreich (Wien
[* 36] 1838), und besonders Beer, Erdbohrkunde (Prag
[* 37] 1858);
»Handbuch der Ingenieurwissenschaften«,
Bd. 3: Franzius und Sonne, Wasserbau (Leipz. 1879).
Vermischung des Brunnenwassers mit giftigen Stoffen, wie Abgängen aus chemischen Fabriken, Zeugdruckereien
etc., oder infolge des Durchsickerns des Inhalts in der Nähe befindlicher Senkgruben oder im Verwesungsprozeß befindlicher
organischer Stoffe auf Begräbnisplätzen etc. Über die Anwesenheit solcher schädlicher
Stoffe im Brunnenwasser gibt die chemische und bakterioskopische Untersuchung des letztern Aufschluß. Oft verfiel das
Volk, durch Seuchen, wie Cholera, Pest, geängstigt, auf den unbegründeten Verdacht einer geschehenen Brunnenvergiftung, welche unter anderm
in der Mitte des 14. Jahrh. in den rheinischen Städten zu blutigen Judenverfolgungen führte. In manchen Fällen,
auch noch in der Neuzeit, richtete sich die Volkswut auch wohl gegen die Ärzte als Brunnenvergifter. Absichtliche Brunnenvergiftung mag
im allgemeinen selten vorkommen, soll aber von den Spaniern bei ihrer Erhebung gegen die Napoleonische Herrschaft zur Vertilgung
ihrer Unterdrücker zu Hilfe genommen worden sein. Das
¶
(Wasserzoll, Pouce d'eau), eine ehemals von französischen Brunnenmeistern bei der Verteilung des Wassers
in den öffentlichen Wasserwerken eingeführte Einheit, um den Wasserabfluß aus dem Brunnen zu messen.
Über die neuere Art, einen Wasserabfluß zu messen, vgl. Wasserleitungen.
Sebastian, kathol. Theolog und Schriftsteller, geb. zu
Wien, studierte daselbst Theologie, fungierte, 1838 zum Priester geweiht, an verschiedenen Orten der WienerDiözese als Kaplan
und wurde 1843-48 von Metternich verwendet, um die Gesandtschaftsberichte über die religiöse und politische
Bewegung zusammenzustellen und zu beurteilen. 1846 vom Staatskanzler nach Deutschland und Frankreich gesandt, machte er über
seine Beobachtungen ein Referat, worin er das Losbrechen der Revolution in längstens zwei Jahren voraussagte. Im J. 1848 begründete
er die »Wiener katholische Kirchenzeitung«, die er bis 1865 herausgab, und wurde Doktor der Theologie, bekleidete
darauf 1853-65 die Stelle eines Universitätspredigers zu Wien und wurde dann zum apostolischen Protonotar und päpstlichen
Hausprälaten, 1875 zum fürsterzbischöflichen Konsistorialrat in Wien ernannt.
Als Schriftsteller erinnert Brunner durch kapuzinerhaften Humor und Witz an Abraham a Santa Clara, während er in
Bezug auf edle Gesinnung das Gegenteil von ihm bildet. Wir nennen von seinen zahlreichen, fast alle Erscheinungen des modernen
Lebens vom ultramontanen Standpunkt aus bekämpfenden Schriften: das didaktische Gedicht »Die Welt ein Epos«, eine fanatisch-geistlose
Verketzerung der Philosophie (Wien 1844; 4. Aufl., Regensb. 1857);
die gegen die politischen, litterarischen
und religiösen Zustände gerichteten Dichtungen: »Der Nebeljungen Lied« (das. 1845, 3. Aufl. 1852) und »Der
deutsche Hiob« (2. Aufl., das. 1846; daraus besonders abgedruckt:
»JohannesRonge, der Luther des 19. Jahrh.«);
Sein Werk vornehmlich war auch das LondonerProtokoll vom durch welches die Interessen Rußlands und Englands im Norden
[* 50] Europas solidarisch verbunden werden sollten. Infolge der orientalischen Verwickelungen 1854 abberufen, ward er im Oktober 1855 zum
russischen Gesandten am Bundestag zu Frankfurt
[* 51] ernannt. Der Thronwechsel in Rußland führte Brunnow auf den
Schauplatz der großen diplomatischen Thätigkeit zurück. Im Verein mit dem GrafenOrlow vertrat er Rußland auf dem Friedenskongreß
zu Paris von 1856, ging dann 1857 als Gesandter nach Berlin,
[* 52] kehrte aber im März 1858 in gleicher Eigenschaft nach London
zurück und ward zum Rang eines Botschafters erhoben. Es gelang ihm indessen nicht, das alte gute Einvernehmen zwischen
Rußland und England herzustellen; namentlich 1863 während der Verhandlungen über Polen hatte er einen harten Stand.
MehrSympathien bei dem englischen Volk fand er als Vertreter Rußlands bei den Konferenzen, welche 1864 wegen
Schleswig-Holsteins stattfanden, und wo er mit großem Eifer, obwohl vergeblich, das dänische Interesse verfocht. Auch wohnte
er wegen der luxemburgischen Angelegenheiten dem LondonerKongreß von 1867 bei. Im Juni 1870 ging er als Botschafter nach Paris,
wurde aber im Februar 1871 in gleicher Eigenschaft abermals in London akkreditiert und wohnte hier der Pontuskonferenz
bei. Er wurde 1871 in den Grafenstand erhoben. Im Juli 1874 zog er sich wegen hohen Alters von seinem Botschafterposten zurück
und starb in Darmstadt.
[* 53]
Doch hatte er lange zu kämpfen, um die unruhigen GroßenLothringens zu unterwerfen, und wurde auch wiederholt zur bewaffneten
Einmischung in die französischen Thronstreitigkeiten genötigt. Gleichzeitig unterstützte er Otto in der Reichsregierung
und übte namentlich auf die Besetzung der Bistümer maßgebenden Einfluß aus. Auf einem neuen Besuch
in Frankreich, um seine hadernden Neffen zu vergleichen, starb er 11. Okt. 965 in Reims.
[* 63] SeinLeben beschrieb Ruotger in der »Vita
Brunonis« (abgedruckt in Pertz' »Monumenta Germaniae historica, Scriptores«, Bd. 4; deutsch von Jasmund, Berl. 1851).
Giordano (Jordanus Brunus), berühmter Philosoph, geboren um 1550 zu Nola im Neapolitanischen
(daher Bruno Nolanus), trat seiner freimütigen Ansichten wegen 1580 aus dem Dominikanerorden, dem er seit Jahren angehörte, aus
und entfloh nach Genf;
[* 69] da er dort gleiche Unduldsamkeit und starre Orthodoxie antraf, weiter nach Lyon,
[* 70] Toulouse
[* 71] und endlich 1582 nach
Paris, wo er mit Beifall philosophische Vorträge hielt, aber bald mit den Anhängern des Aristoteles in
heftigen Streit geriet.
Hier gab er auch seine an mutwilligen Einfällen und komischen, oft cynischen Zügen reiche Komödie »Candelajo« (»Der
Lichtzieher«) heraus sowie einige philosophische Schriften, größtenteils Bearbeitungen der Logik und Mnemonik des Lullus. Bedrängt
von den Aristotelikern, begab er sich 1583 nach London, wo er von dem französischen GesandtenMichel de
Castelnau, Herrn de la Mauvisière, wohlwollend aufgenommen wurde. Dort schrieb er seinen »Spaccio della bestia trionfante« (Par.
1584; engl. von Toland, 1713; franz. Auszug u. d. T.: »Le
[* 72] ciel réformé«
vom AbbéLouisValentin de Vaugny, 1750),
drei Gespräche, in welchen die Tugenden durch die Laster, beide
als himmlische Konstellationen dargestellt, vom Firmament verjagt werden, mit satirischen Anspielungen auf die Hierarchie; »La
cena delle ceneri«, in welcher er als Verteidiger des kopernikanischen Weltsystems und mit der Behauptung von der Mehrheit
bewohnter Weltkörper auftrat, und seine wichtigsten Werke: »Della causa, principio ed uno« (Vened. 1584;
deutsch von Lasson, Berl. 1873) und »Del infinito universo e mondi« (Vened. 1584). Seine Neigung zum unsteten Leben trieb ihn 1585 abermals
nach Paris, 1586 nach Wittenberg,
[* 73] 1588 nach Prag, wo er seine »Articuli centum et sexaginta contra mathematicos et philosophos«
und seine Schrift »De specierum scrutinio et lauripode combinatoria Raym. Lulli« herausgab, hierauf nach
Helmstedt, wo er eine Professur mit Gehalt erhielt, die er aber schon im nächsten Jahr wieder aufgab, weiter nach Frankfurt
a. M. (1590), Padua
[* 74] (1592) und endlich nach Venedig, wo er 1598 von der Inquisition ergriffen und nach Rom ausgeliefert ward.
Wegen Abfalls von der katholischen Kirche und Bruches der Ordensgelübde zum Tod verurteilt, ward er in
Rom auf dem Campo dei Fiori lebendig verbrannt. SeinenRichtern rief er zu, sie fällten mit größerer Furcht das Urteil, als
er es empfange. Das befreite Italien errichtete ihm als Märtyrer der freien Überzeugung eine Statue zu
Neapel,
[* 75] vor welcher Studenten die päpstliche Encyklika vom verbrannten.
Brunos Philosophie ist in ihrem logischen Teil eine Wiedererweckung der »großen
Kunst« des Lullus, die er als unfehlbare Methode sowohl zum Finden als zum Behalten der Wahrheit pries; in ihrem metaphysischen
Teil eine Verschmelzung der Theorie des Nikolaus von Cusa (s. d.) von der Entstehung des Endlichen durch Selbsteinschränkung
des Unendlichen mit dem kopernikanischen Weltsystem, die er zu einer
¶
mehr
phantastisch-pantheistischen Naturphilosophie ausbildete. Grund und Ursache von allem ist nach ihm das Eine, in welchem Alles
und das selbst in Allem ist, weder stofflose Seele noch seelenloser Stoff, sondern beseelt und beseelend, natura naturans und
natura naturata, Kleinstes, weil es im Kleinsten, und Größtes, weil alles Kleinere in ihm ist, das ins
Unendliche sich ausdehnende, raumzeitliche Universum. EinesGottes im Sinn der von ihm verachteten peripatetischen Scholastiker,
eines extramundanen Bewegers bedarf es nicht; das All ist sein eigner Beweger und sein eignes Bewegtes ohne Anfang und Ende
in der Zeit wie ohne Grenze und Mittelpunkt im Raum.
Seine endlichen Teile sind die unzählbaren nebeneinander existierenden, relativ abgeschlossenen Welten,
deren eine unser (kopernikanisch um die Sonne als Zentrum sich bewegendes) Sonnensystem ist; Teile jeder derselben die rotierenden
planetarischen und kometarischen Weltkörper, deren einer unsre (exzentrische) Erde ist, und die sämtlich gleich dieser beseelt
und sich selbst bewegend und ihrerseits die Wohnstätte der beseelten und lebendigen Naturkörper bis
herab zu den kleinsten nicht weiter teilbaren metaphysischen Einheiten (Monaden) der Pflanzen-, Tier- und Menschenindividuen
sind.
Jedes der letztern stellt folglich eine (engste) Konzentration des gesamten Alls (die Welt im Kleinen) sowie dieses umgekehrt
eine schrankenlose Erweiterung des Einzelnen (des Individuums im Großen, monas monadum) dar; das Endliche
ist dem Unendlichen wie dieses jenem innerlich verwandt und daher das Ganze ebenso in jedem Teil wirkend wie der Mensch als
Teil des Universums im ganzen letztern »erkennend« gegenwärtig. Dem unzerreißbaren
Zusammenhang zwischen dem Größten und Kleinsten, Entferntesten und Nächsten, der ebenso Notwendigkeit als um der
schlechthinnigen Selbständigkeit und Unabhängigkeit des Universums willen Freiheit heißen darf, im Realen entspricht das
ununterbrochene Aufsteigen vom Kleinsten zum Größten, vom Nächsten zum Fernsten (vom Menschen zur Gottheit) im Idealen; wie
der wirkende Einfluß vom ersten Grunde, dem Fernsten, so hebt die erkennende Einsicht von dem Eindruck der Sinne, dem
Nächsten, an, dort, um bis zu den nächstgelegenen Wirkungen hinab-, hier, um bis zu den höchsten Vernunftfolgerungen hinaufzusteigen.
Während aber das Ganze als Ganzes stets unverändert bleibt, sind die Teile desselben (die einzelnen Welten, Weltkörper und
Weltwesen) in steter Wandlung begriffen; die ganze Fülle der Möglichkeit, die im unendlichen Raum an den
verschiedensten Orten und Individuen zugleich nebeneinander existiert, wird an und von jedem derselben in der unendlichen
Zeit nacheinander verwirklicht. Folge davon ist, daß allmählich die Pflanzen- zur Tier-, diese zur Menschenseele etc., letztere
selbst aber stufenweise vom niedersten zum höchsten Grade der (erkennenden und sittlichen) Vollkommenheit emporsteigt. Diese
an Platon und die Stoiker anklingende, auch an Leibniz (bei welchem der AusdruckMonade für die metaphysischen Einheiten wieder
erscheint) mahnende, von Bruno mehr in mystischer Seher- als nüchterner Denkerweise vorgetragene Lehre
[* 77] ist unter den Neuern zuerst
von Jacobi im Anhang zu dessen »Spinoza« (Werke, IV, Abt. 1),
dann von Schelling im »Bruno« (Berl. 1802)
und Steffens (»Nachgelassene Schriften«, das. 1816) der Vergessenheit entrissen worden. Die Originalausgaben der
Schriften Brunos sind selten. Die italienischen sind von Wagner in den »Opere di G. Bruno« (Leipz. 1830, 2 Bde.)
mit Einleitung herausgegeben, die
lateinischen von Fiorentino (Neap. 1883 ff.),
zum Teil auch von Gfrörer
in dem »Corpus philosophorum« (Stuttg. 1834-35) gesammelt. Die Schrift »De umbris idearum« (Par. 1582), die nur noch in vier
Exemplaren existiert, hat S. Tugini neuerdings (Berl. 1868) herausgegeben.
Vgl. Bartholmeß, Jordano Bruno (Par. 1846, 2 Bde.);
(spr. bröng-rollä),Anton, Reisender, Franzose von Geburt, war viele Jahre hindurch
sardinischer Konsul in Chartum, von wo er mehrmals den WeißenNil befuhr und 1856 in den Bahr el Gazal gelangte, welchen er eine
Strecke stromauf verfolgte und für den wahren Nil erklärte.
1) PaulViktor von, Chirurg, geb. zu Helmstedt, studierte seit 1831 in Braunschweig,
[* 79] Tübingen,
[* 80] Halle
[* 81] und Berlin, ließ sich 1837 in Braunschweig als Arzt nieder, lehrte daselbst seit 1839 Anatomie und schrieb sein »Lehrbuch der
allgemeinen Anatomie« (Braunschw. 1841), wandte sich aber dann ausschließlich der Chirurgie zu und wurde 1843 als ordentlicher
Professor der Chirurgie nach Tübingen berufen. Hier wirkte er bis 1882 und starb Auf allen Gebieten der Chirurgie
thätig, hat sich Bruns besonders als Spezialarzt für Kehlkopfkrankheiten einen über Deutschlands
[* 82] Grenzen
[* 83] weit hinausgehenden Ruf erworben. Er verfügte über eine außerordentlich sichere und glänzende Technik im Gebrauch des Kehlkopfspiegels,
dessen Anwendung er vielfach, namentlich auch in Bezug auf den hierzu erforderlichen Beleuchtungsapparat, vervollkommt hat.
Er schrieb: »Handbuch der praktischen Chirurgie« (Tübing. 1854-60, 2 Bde.; mit Atlas
[* 84] 1853 ff.);
(v. altd. brinnan, ursprünglich s. v. w.
Brand), die Äußerung des Geschlechtstriebes bei weiblichen Tieren, wobei die Geschlechtsteile durch vermehrten Blutzufluß
nach denselben anschwellen und in einen leichten entzündungsartigen Zustand geraten. Während dieser
Zeit findet Abgang von Schleim und Blut aus den Genitalien des Weibchens statt. Erst wenn die Höhe dieser Periode vorüber ist,
nehmen die Weibchen die Männchen an. Diese Zeiten kehren bei vielen Tieren mehrmals des Jahrs, bei manchen sogleich, nachdem
sie geboren haben, wieder, bei andern, besonders bei den größern Tieren, jedoch nur einmal im Jahr.
Vgl. Brunft.
plattdeutscher, englischer und französischer Name für Braunschweig. ^[= # (hierzu die Karte "Braunschweig etc."), zum Deutschen Reiche gehöriges Herzogtum ...]
In der Kriegskunst heißt ein Angriff ein brüsker oder brüskierter, wenn er ohne methodische
Einleitung durch Feuer den Erfolg durch gewaltsames Vorgehen erzwingen will.
(türk. Bursa, das alte Prusa), Hauptstadt des türk. WilajetsChodawendikjâr in Kleinasien,
liegt malerisch am Nordfuß des mysischen Olympos (jetzt Keschisch Dagh), etwa 20 km vom Marmara-Meer, und bildet einen 4 km
langen, aber meist kaum 20 Minuten breiten Häusergürtel. Die eigentliche Stadt liegt zum Teil aus senkrecht abgeschnittenem
Felsen, ist mit Mauern und Wällen umgeben und wird von einem alten Kastell beherrscht. Die Häuser und Straßen
Brussas sind in besserm Zustand
als in den übrigen OrtenKleinasiens; die Bazare stehen zum Teil denen in Konstantinopel
[* 91] nicht
nach, und die Garten,
[* 92] Bäder, Kioske etc., die aus dem die Ebene nördlich der Stadt bedeckenden Wald von
Maulbeerbäumen hervortauchen, vollenden das schöne landschaftliche Bild des Ganzen. Brussa zählt nahe an 200 Moscheen, wovon
freilich einige nur wenig mehr als Ruinen sind.
Die ausgezeichnetsten Moscheen sind die Oli Dschami (»die Prächtige«),
Von ganz besonderer Bedeutung ist die Stadt den Türken als Ausgangspunkt des osmanischen Reichs und durch die vielen berühmten
und prachtvollen Grabmäler. Es ruhen hier nämlich die sechs ersten Sultane: Osman, Urchan, Bajesid, Murad
I., Murad II. und Mohammed I.;
Viele dieser
Denkmäler sowie an fast 80 Moscheen haben durch das Erdbeben,
[* 93] welches 1855 vier Monate lang die Stadt heimsuchte,
sehr gelitten. An den Abhängen des Olymps bei Brussa entspringen berühmte warme Quellen, unter denen das große und kleine Schwefelbad
(Böjük und Kütschük Kökürdli) am besuchtesten und für die kleinasiatischen Griechen zugleich Wallfahrtsorte sind, weil
der heil. Patricius hier den Märtyrertod fand. Das Wasser ist klar, lichtgelb gefärbt und hat eine Temperatur
von 66° R. Die Ärzte empfehlen den Gebrauch bei allerlei chronischen Hautkrankheiten
[* 94] und Rheumatismen. In großem Ruf stehen
auch die Quellen von Kara Mustafa (35°) und Jeni Kaplidschah (65½°), obwohl ihr geringer Gehalt an Gas und mineralischen
Bestandteilen ihnen in Bezug auf therapeutische Wirksamkeit einen sehr niedrigen Platz anweist.
Die Zahl der Bevölkerung
[* 95] betrug 1882 nur wenig über 37,000 (darunter 4292 Griechen, ferner Armenier, spanische Juden, einige
HundertFranken). Von dem blühenden Handel und der Gewerbsthätigkeit des 16. Jahrh. ist in Brussa jetzt nur noch ein
schwacher Abglanz vorhanden. Die von Schweizern und Franzosen eingeführte Seidenzucht ist jetzt bedeutend
herabgekommen; der Import bedruckter Baumwollstoffe lohnt nicht mehr wegen der Verarmung des Landes. Eine Bahn nach dem Hafen
Mudania ist zwar 1874 begonnen, aber nie in Betrieb gesetzt worden. Von Bedeutung ist die Weinproduktion (sogen.
»Olympwein«, der nördlich von Brussa bei dem
von Griechen bewohnten Demirtasch, am Südabhang des Höhenzugs Katürli Dagh wächst und in Masse nach Rußland geht). Auch
Rosinen, Maulbeeren, Aprikosen etc. werden viel ausgeführt. - Brussa gehörte als Prusa zum KönigreichBithynien und wurde von König
Prusias II. nach den Plänen des zu ihm geflüchteten Hannibal erbaut. Um 950 ward es von den Arabern zerstört
und erst von den byzantinischen Kaisern wieder ausgebaut und befestigt. Osman belagerte Brussa von 1317 an, nach zehnjähriger
Belagerung
¶