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Die politische Presse [* 2] hat ihren Hauptsitz in Rio de Janeiro. [* 3] Es erscheinen in Brasilien [* 4] 464 Zeitungen und Zeitschriften, unter ihnen namentlich das seit 1821 erscheinende »Jornal do Commercio«, das »Diario official« (beide in Rio de Janeiro) und das »Diario de Pernambuco« [* 5] (Pernambuco), sodann 12 deutsche Zeitungen (besonders in den südlichen Provinzen), mehrere englische, französische, italienische.
Vgl. F. Wolf, Le [* 6] Brésil littéraire (Berl. 1864).
Die Kunst der Malerei und Bildhauerei wird in in allen Abstufungen ausgeübt, am häufigsten auf der untersten. In den kultivierten Teilen Brasiliens zog man die ersten Künstler, wie in Portugal, [* 7] aus Italien [* 8] herbei, weshalb man auch an den brasilischen Werken der Baukunst [* 9] die römische Schule des Bramante und Buonarroti erkennt. Mit Verschwendung bauten die Jesuiten; die von ihnen errichteten Gebäude sind meist schön und mit Geschmack verziert, stehen aber denen im spanischen Amerika [* 10] nach.
Prachtvolle Kirchen wurden in Portugal entworfen und ausgeführt, dann Stein für Stein, mit Zahlen bezeichnet, nach Brasilien übergeschifft, um hier zusammengefügt zu werden. Hervorragendes in Architektur, Bildhauerei und Malerei haben die Brasilier bisher selbständig nicht geleistet. Unter Dom Pedro I. wurde zwar die Akademie der schönen Künste 1824 gegründet, sie erhielt ein majestätisches Gebäude in Rio de Janeiro, ward feierlich eingeweiht und veranstaltete bis 1833 drei Kunstausstellungen; indes war es immer der Fremde, welcher handelte, die Brasilier hielten sich an den Genuß.
Die spätern politischen Ereignisse gaben dem ohnehin schwachen Interesse für Kunst eine andre Richtung. Auch in der Musik hat Brasilien kein ausgezeichnetes Talent hervorgebracht, Joseph Mauricio, den Stolz der Brasilier, ausgenommen. Trotz der großen Zahl der selbst in kleinern Städten von ca. 10,000 Einw. bestehenden Theater, [* 11] auf denen die ausübenden, meist sehr mittelmäßigen Künstler portugiesischen oder französischen Ursprungs sind, besitzt Brasilien nur einen Komponisten, Carlos Gomes, dessen Opern: »O Guarany« und »Salvator Rosa« aber außerhalb Brasiliens noch nicht zur Aufführung gelangt sind.
Die brasilische Kirche ist die römisch-katholische; sie besteht aus dem Erzbistum von Bahia [* 12] (mit dem Metropoliten und Primas von an der Spitze) und aus den elf Bistümern von Rio de Janeiro, Pernambuco, Fortaleza, Maranhão, Pará, São Paulo, Marianna mit Diamantina, Goyaz, Cuyaba, Ceará und Portalegre. Man zählt 1600 Parochien, von denen aber viele wegen Mangels an Priestern nicht besetzt sind. Die Heranbildung der Geistlichen ist dem Klerus überlassen, und es gibt in jedem Bistum staatlich subventionierte Seminare.
Ein kirchliches Obergericht (Relação metropolitana) besteht in Bahia. Die Bischöfe und alle andern geistlichen Vorstände werden vom Kaiser eingesetzt. Als Fundament der brasilischen Kirche gelten die Bestimmungen des Konzils von Trient. [* 13] Die Klöster verlieren stetig an Bedeutung, da ihnen seit 1855 nicht mehr gestattet ist, Novizen aufzunehmen. Auch werden seit 1870 die liegenden Klostergüter verstaatlicht. Die Zahl der Katholiken gab der Zensus von 1872 auf 9,902,712 Freie und Sklaven, die der Protestanten auf nur 27,766 Freie an. Den Protestanten war es bis 1808 verboten, sich in Brasilien niederzulassen; etwas später erlaubte man ihnen Ansiedelung und Errichtung eines Gotteshauses.
Gegenwärtig ist allen Konfessionen [* 14] Religionsfreiheit und in neuester Zeit auch öffentlicher Gottesdienst und Teilnahme an Staats- und öffentlichen Ämtern gestattet. In neuerer Zeit unterstützt sogar der Staat auch pekuniär den Bau protestantischer Gotteshäuser in den deutschen Kolonien und besoldet die Geistlichen, welche entweder vom Berliner [* 15] Oberkirchenrat gesandt, oder durch Barmener und Baseler Missionszöglinge präsentiert werden. Die deutsch-evangelische Synode hat sich seit 1869 freiwillig unter den Oberkirchenrat von Berlin [* 16] gestellt. In fast allen Handelsstädten gibt es auch englische Kapellen.
Industrie. Ackerbau. Kolonisation.
Die Gewerbthätigkeit Brasiliens steht noch auf sehr niedriger Stufe. Die beträchtlichen Bedürfnisse, welche die Industrie zu befriedigen bestimmt ist, werden nicht durch einheimische Thätigkeit, sondern durch Einfuhr fremder Produkte befriedigt. Brasilien ist ein ackerbauendes Land, folglich ist auch die Produktion von Rohstoffen die Hauptaufgabe und wird es, da bis jetzt kaum der hundertste Teil des ungeheuern Gebiets urbar gemacht ist, vielleicht noch auf Jahrhunderte bleiben, zumal da die Arbeitskräfte sogar für die dem heutigen Landbau wünschenswerte Entwickelung kaum ausreichen.
Daher ist auch außer den notwendigsten und gewöhnlichsten Handwerken die Industrie in Brasilien auf Bergbau, [* 17] Metallurgie, die Bearbeitung edler Metalle zu Geräten und Schmuck, Zuckersiederei, Branntweinbrennerei, Bierbrauerei, [* 18] Tabaksfabrikation, auf vereinzelte Anfänge in Maschinenfabrikation und Baumwollweberei, Schiffbau und Gerberei beschränkt. Immerhin ist nicht zu verkennen, daß sich die Industrie Brasiliens im letzten Jahrzehnt unter dem Einfluß eines hohen Schutzzolles lebhaft zu entwickeln begonnen hat und bereits ein beachtenswerter Faktor im Importhandel geworden ist.
Dies Resultat ist auch zum großen Teil den Bemühungen der sehr rührigen Zentralgesellschaft für Handel und Ackerbau zu danken. In 51 Zuckerfabriken ist gegenwärtig ein mit staatlicher Zinsgarantie versehenes Kapital von 30,000 Contos (60 Mill. Mk.) angelegt; in 47 Baumwollfabriken sind 3600 Arbeiter beschäftigt, welche Gewebe [* 19] einfachster Art herstellen. Eine dem Land eigentümliche Industrie ist die Fabrikation von Federblumen. Die größten Industrie-Etablissements werden übrigens vorzugsweise von Ausländern, besonders von Engländern und Deutschen, betrieben.
Eine großartige Viehzucht, [* 20] allerdings meist in äußerst primitiver Weise betrieben, besitzen die Campos der südlichen Provinzen, wo auch die Xarqueadas ihren Sitz haben, große Fleischereien, in denen Tausende von Tieren an einem Tage geschlachtet und die einzelnen Teile derselben, Talg, Fleisch, Haut, [* 21] Hörner, Knochen, [* 22] Blut, fabrikmäßig für den Export verwertet werden. In Bezug auf Ackerbau aber gibt es kein Land der Erde, das trotz der geringen Fürsorge der Regierung, der vielen politischen Unruhen und des Charakters der Bevölkerung [* 23] so riesenhaft fortschreitet wie Brasilien. Die Art und Weise der Bodenbestellung allerdings steht noch auf sehr niederer Stufe, und das gegenwärtig betriebene Raubbausystem, welches Düngung, Berieselung und die Hilfe der modernen Technik mit wenigen Ausnahmen völlig verschmäht, wird voraussichtlich noch für lange Zeit das vorherrschende sein. Angebaut werden: Mais, die schwarze Bohne, die Mandioka, Knollenfrüchte, Reis, Weizen, Roggen, Gerste, [* 24] Hafer, [* 25] letztere Cerealien besonders in den südlichen Provinzen;
in erster Linie aber sind die Kolonialprodukte von Wichtigkeit, welche neben den Viehzuchtprodukten die größten Werte zum brasilischen Export liefern.
Vorzüglich ist der Kaffeebau ¶
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in außerordentlicher Zunahme begriffen; der Kaffee ist geradezu Brasiliens wichtigstes Produkt geworden, obschon die Preise stetig gesunken sind. Brasilien exportierte in dem Dezennium 1830-40 jährlich ca. 53 Mill. kg Kaffee; Ende der 70er Jahre aber entwickelte sich die Kaffeeproduktion trotz der Sklavenemanzipation in erstaunlicher Weise und erreichte 1882 die Höhe von 360 Mill. kg im Wert von 104,753 Contos (235,7 Mill. Mk.). Der Hauptexport findet nach den Vereinigten Staaten, [* 27] nach England und nach Deutschland [* 28] statt, sein Wert beträgt über 60 Proz. des Gesamtausfuhrwerts des Kaiserreichs. 1882 partizipierte Brasilien mit fast 55 Proz. am Kaffeehandel der Erde.
Der schon seit langer Zeit in Brasilien eingeführte Zuckerbau ist zwar hinter dem Kaffeebau zurückgeblieben, allein immerhin bedeutend, so daß er nächst dem Kaffeebau das wichtigste Exporterzeugnis liefert. Der Wert der gegenwärtigen Zuckerproduktion und ihrer Nebenzweige kann auf 120-130 Mill. Mk. veranschlagt werden. Der Thee wurde 1810 aus China [* 29] hierher verpflanzt und ist allerdings in mehreren Provinzen (z. B. São Paulo) vortrefflich gediehen; doch dürfte eine nennenswerte Produktion schwerlich eintreten, solange die ausgedehnten Herva-Matéwälder in Südbrasilien noch ein bei den Bewohnern so beliebtes und auch als Exportartikel wichtiges Genußmittel, den Paraguaythee, liefern. Zu den Gegenständen des Landbaues gehören ferner noch Baumwolle, [* 30] Vanille, Kakao, in Südbrasilien noch Orange, Banane, Ananas, Feige, Pfirsich, auf dem Hochland auch Äpfel und Birnen.
Für den Weinbau sind die südlichen Provinzen São Paulo, Parana, Rio Grande do Sul gut geeignet; man pflanzt dort die nordamerikanische Catawbarebe. Es fehlt dem brasilischen Ackerbau, um durch Mannigfaltigkeit und Qualität seiner Produkte dem Ackerbau der reichsten Länder der Erde gleichzustehen, außer an einem rationellen und verständigen Betrieb hauptsächlich an Arbeitskräften. Diese hat man in neuester Zeit mit allerdings nicht ausreichendem Erfolg aus Europa [* 31] zu gewinnen gesucht.
Brasilien war seit 1812 unter König Johann VI. vielfach der Schauplatz von Kolonisationsversuchen, die jedoch meist gescheitert sind, wenn auch nicht immer durch die Schuld der Regierung. Nur den Deutschen ist es bis jetzt gelungen, in und zwar namentlich in den klimatisch günstigsten südlichen Provinzen erfolgreich Kolonien zu gründen. Die blühendsten Ansiedelungen von Deutschen aber finden sich in den Provinzen Parana, Santa Catharina und Rio Grande do Sul. Die Zahl der jetzt in Brasilien lebenden Deutschen wird auf 210,000 geschätzt.
Ihren Hauptsitz haben sie in der Provinz Rio Grande do Sul, wo sie die Kolonien São Lourenco, São Feliciano, São Leopoldo, Taquary, Hamburger Berg, Santa Cruz, São Angelo, Santa Maria da Boca do Monte, Germania, [* 32] Montalverne, Teutonia, Neuberlin, Estrella, Santa Maria da Soledade, Feliz, Escadinha, Bom Principio, Marata, São Leopoldo, Nova Petropolis, Mundo Novo, Tres Forquilhas, São Pedro u. a. bewohnen. Deutsche [* 33] Kolonien sind ferner in der Provinz Santa Catharina: Santa Thereza, Theresopolis, Angelina, Santa Izabel, Brusque, Blumenau, Badenfurt, Warnow, Dona Fransisca mit dem Hauptort Joinville und den kleinern Neudorf, Pedreira, São Bento und Annaberg; [* 34]
in der Provinz Parana: Assunguy und Rio Negro;
in Rio de Janeiro: Petropolis, Theresiopolis, Nova Friburgo, Cantagallo;
in Espirito Santo: Santa Izabel, Leopoldina mit dem Hauptort Cachoeira;
in Bahia: Leopoldina, wo neben Deutschen auch viele Schweizer leben;
endlich in Minas Geraës: die Mucurykolonie mit dem Hauptort Ottoni (früher Philadelphia) [* 35] und Dom Pedro II. In diesen Kolonien hat das Leben seine deutsche Gestaltung behalten;
Schulen sind zahlreich, Kirchen (auch evangelische) genügend vorhanden.
Der Wohlstand der Kolonisten ist im Steigen begriffen, der Gesundheitsstand vorzüglich, indem z. B. in Dona Francisca, Blumenau, Santa Cruz im Durchschnitt aus je 100 Geborne nur 30-40 Todesfälle kamen, so daß die Bevölkerung einen jährlichen natürlichen Zuwachs von 3 Proz. erhielt.
Handel und Verkehr.
Dem Handel Brasiliens stehen mannigfache teils mit dem Grund und Boden, teils mit der Gesinnung und dem Geiste der Bewohner selbst im Zusammenhang stehende Hindernisse hemmend entgegen; dennoch gewinnt er infolge der reichen Erzeugnisse und der günstigen Lage des Landes immer mehr an Ausdehnung. [* 36] Der Großhandel befindet sich fast ausschließlich in den Händen der Engländer, Franzosen, Portugiesen, Nordamerikaner, Holländer und Deutschen und konzentriert sich in 19 Hafenplätzen, unter denen die wichtigsten sind: Rio de Janeiro, Bahia, Pernambuco, außerdem Pará, São Luiz de Maranhão, Alagoas, Rio Grande do Norte, Sergipe, Fortaleza, Aracati und Parahyba und die Häfen der Provinzen Rio Grande do Sul, Santa Catharina und São Paulo.
Die Entwickelung der Schiffahrtsbewegung geht namentlich aus folgenden Daten hervor. In langer Fahrt liefen 1862-63 in den Häfen Brasiliens ein: 3033 Schiffe [* 37] mit 943,649 Ton.; es liefen aus: 2697 Schiffe mit 1,094,492 T. 1882-1883 stellte sich die Zahl der einlaufenden Schiffe auf 2989 mit 2,367,296 T., die der auslaufenden auf 2522 mit 2,065,237 T. Auch der Küstenhandel, welcher früher ausschließlich der nationalen Flagge vorbehalten war, aber seit 1873 zwischen den Häfen, wo Zollämter errichtet sind, auch ausländischen Schiffen gestattet ist, steigt von Jahr zu Jahr, ganz besonders in den beiden nördlichsten Provinzen, zum Teil infolge der Entwickelung der Dampfschiffahrt auf dem Amazonenstrom. [* 38]
Dabei hat die Beteiligung ausländischer Schiffe am Küstenverkehr sehr bedeutend zugenommen. Die Küstenschiffahrt zählte 1872: 5245 Schiffe mit 1,182 Mill. T., welche ein-, und 4648 Schiffe mit 1,219 Mill. T., welche ausliefen. 1882-83 hat sich dieselbe auf 5210 einlaufende Schiffe mit 1,935 Mill. T. und 4863 auslaufende Schiffe mit 1,958 Mill. T. gesteigert. Der Wert der Einfuhr belief sich 1863-64 auf 125,613,655 Milreis, der der Ausfuhr auf 131,120,395 Milreis; 1882 bis 1883 hatte sich derselbe gesteigert auf 185,801,901, resp. 195,498,600 Milreis.
Die Ausfuhr richtete sich hauptsächlich auf Großbritannien, [* 39] Frankreich, Argentinien, Portugal, Vereinigte Staaten, Deutschland. Die Hauptausfuhrartikel rangieren dem Wert nach folgendermaßen: Kaffee, Zucker, [* 40] Kautschuk, Häute, Tabak, [* 41] Baumwolle, Paraguaythee, Paranüsse, Diamanten, Kakao, Holz, [* 42] Branntwein, Mandiokamehl, Haare, [* 43] Wolle etc. Die Einfuhr umfaßt die meisten Industrieerzeugnisse Europas und alle dem Luxus dienenden fremden Produkte. An der Einfuhr ist in weitaus hervorragendster Weise England beteiligt, dann folgen Frankreich, die nordamerikanische Union, Deutschland u. a. Außer eignen Fabrikaten führen die Engländer auch manche deutsche Waren dahin, sowie von ihrer brasilischen Einfuhr vieles nach Deutschland abgesetzt wird. ¶
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Der Binnenhandel findet ein großes Hemmnis in dem Mangel an guten Fahrstraßen, doch sind neuerdings auch in dieser Hinsicht durch Vervollkommnung der Verkehrsmittel bedeutende Schritte zum Bessern geschehen. Insbesondere hat man sich in dem letzten Jahrzehnt die Erforschung der großen Flüsse [* 45] und Hebung [* 46] der Flußschiffahrt angelegen sein lassen; die Nebenflüsse des Amazonas: Jurua, Yawari, Jutay, Trombetas u. a., sind von Barrington Brown und William Lidstone im Auftrag der Dampfschiffahrtsgesellschaft des Amazonas 1873-75 aufgenommen worden.
Die Vereinigten Staaten beauftragten General Selfridge, Vermessungen des untern Amazonas bis zur Mündung des Madeira [* 47] und auch dieses Flusses bis zu den Fällen vorzunehmen; diese Vermessungen wurden Ende 1878 vollendet. Im Auftrag des Kaisers von Brasilien unternahm sodann der nordamerikanische Oberst Roberts eine Untersuchung des Stromsystems Brasiliens mit Rücksicht auf die Schiffbarkeit desselben. Zu gleicher Zeit erforschte Urbano da Cucarnacao mit gleich günstigem Erfolg den Purus und Ituxi.
Der Madeira ist von São João da Beira (Provinz Matogrosso) ab fahrbar bis auf eine Strecke bei São Antonio, wo Katarakte die Schiffahrt unterbrechen; 1868 drang ein Dampfer den Araguaia über 1200 km weit hinauf, und 1869 wurde auch der Rio das Velhas auf 750 km von einem Dampfer befahren. Die Flußschiffahrt entwickelt sich unter diesen Umständen mehr und mehr, man berechnet die der Dampfschiffahrt zugänglichen Strecken des Amazonas und Tokantins auf 43,250 km. Der Amazonas wird schon seit 23 Jahren bis Tabatinga (Grenze), 3828 km, befahren (s. Amazonenstrom). Es sind auf allen brasilischen Flüssen 19,140 km Dampfschifflinien im Betrieb; auf dem Paraguay [* 48] gehen Dampfer jetzt bis Cuyaba (Matogrosso), auf dem São Francisco bis Piranhas.
Viele Flüsse sind aber durch die zahlreichen Wasserfälle (Parana, São Francisco, Araguaia, Madeira) teilweise nur für Binnenschiffahrt zugänglich. Mit Europa steht in Verbindung durch die Royal Mail Steam Packet Co. (Southampton), durch die Linie Lamport u. Holt (Liverpool), [* 49] den Norddeutschen Lloyd, die Hamburg-Südamerikanische Dampfschiffgesellschaft, Kosmos, Compagnie des Messageries maritimes de France (Bordeaux), [* 50] Société générale de Transports maritimes (Marseille), [* 51] Lavarello u. Piaggio (Genua) [* 52] u. a.; mit den Vereinigten Staaten durch die United States and Brazil Mail Line (New York).
Mit nicht geringerm Eifer wird die Erweiterung des Eisenbahnnetzes betrieben, dessen Entwickelung neuerdings die Provinzen in die Hand [* 53] genommen haben, die alle bestrebt sind, eine Schienenverbindung mit der Küste herzustellen. Die Gesamtlänge der im Betrieb befindlichen Bahnen betrug 1873: 1206 km, 1879: 3058 km, Ende 1883: 5600,8 km (dazu im Bau 2402 km). Die erste derselben (Rio de Janeiro-Petropolis) wurde 1854 dem Verkehr übergeben. Die wichtigsten andern Linien sind: die Bahn Dom Pedros II. von Rio de Janeiro nach Sotio (Provinz Minas Geraës), die Cantogallobahn (Villa Nova-Neufreiburg), die Mauabahn (Mauhia-Petropolis), die Bahiabahn (Bahia-São Francisco), die Pernambucobahn, die São Paulo-Bahn (Santos-Campinas) etc. Der Einfluß, welchen diese Bauten auf die Umgestaltung der Verkehrsverhältnisse einiger Gegenden hatten, ist außerordentlich; vor 15 Jahren verkaufte man aus den Anfang Mai abgehaltenen Jahrmärkten 80-100,000 Maulesel, heute höchstens 10-12,000. Da die Eisenbahnen aber über eine Küstenzone von etwa 300 km Breite [* 54] kaum hinausreichen, so geschieht die Beförderung der Lasten noch viel durch Maultierkarawanen (tropas) und Ochsenkarren.
Bis 1870 wurden viele Kunststraßen gebaut, seitdem wandte man sich den schmalspurigen Eisenbahnen zu. Pferdeeisenbahnen in größerer oder geringerer Ausdehnung sind in allen bedeutenden Städten Brasiliens angelegt. Brasilien gehört zum Weltpostverein, die Regierung zahlt den größern europäischen Dampferlinien beträchtliche Subventionen; doch ist das Postwesen noch sehr ungenügend organisiert. Die Zahl der Postbüreaus betrug 1882-83: 1678; es wurden im ganzen 36,767,325 Briefe expediert. In demselben Jahr waren 7821 km Telegraphenlinien in Betrieb, mit 139 Stationen, von denen 338,053 Depeschen befördert wurden. Telephonanlagen besitzen alle größern Handelsstädte, in Rio de Janeiro schon sehr viele Privathäuser.
Die Münzeinheit bildet in ganz Brasilien der Real (Plural Reis), eine nur nominelle Münze von geringem Wert (kaum ¼ Pfennig), weshalb im Verkehr nach Milreis (1000 Reis, geschrieben Rs. 1$000) oder nach Contos de Reis (1000 Milreis, geschrieben Rs. 1:000 $000) gerechnet wird. Nach dem Münzgesetz von 1847 dient als Basis des Systems die Oktava Gold [* 55] von 0,917 Reingehalt und 0,83 Legierung von Kupfer [* 56] und Silber im Wert von Rs. 4 $000. hat eigentlich Goldwährung, doch herrscht gegenwärtig Papiervaluta.
Papiergeld bildet bei dem jetzigen Mangel an gemünztem Golde das Hauptzahlungsmittel; es sind in Zirkulation Staatsschuldscheine und Notas do Banco do Brazil, Scheine von 1, 2, 5, 10, 50, 100, 200, 500 und 1000 Milreis. An Münzen [* 57] zirkulieren: das 10-Reisstück (»halber Vitem«),
20-Reisstücke, in Kupfer geprägt (Vitem), 100 Reis, in Nickel geprägt (Tustao), 1000 Reis in Silber, Silbermünzen von 2 Milreis (Patacaos), 200 Reis aus Nickel, 500 Reis in Silber. Daneben zirkulieren auch noch zahlreiche kleine ausländische Münzen, deren Wert bedeutenden Schwankungen unterworfen ist. An Goldmünzen sind im Umlauf: 20 und 10-Milreisstücke neben verschiedenen fremden Münzen, die an Wert aber auch bedeutenden Schwankungen unterworfen sind.
Der Normalwert von 1 Milreis in Gold beläuft sich auf ca. 27 engl. Pence oder 2,25 Mk. deutscher Goldmünze, ein Wert, den das in großen Massen emittierte Papiergeld aber nicht hat, der außerdem auch beständigen Schwankungen unterworfen ist, wodurch dem überseeischen Handel große Schwierigkeiten erwachsen. Bei dem Kurs von 24, der seit Jahren als Durchschnittskurs angenommen wird, pflegt man, wo es sich nicht um genaue kaufmännische Kalkulationen handelt, das brasilische Milreis mit 2 Mk. zu berechnen. Die brasilischen Maße sind ursprünglich die portugiesischen, alle Hohlmaße zeigen aber bedeutende Abweichung. Durch Gesetz vom wurde das französische metrische System angenommen, das bis 1874 vollständig eingeführt sein sollte; doch wird noch vielfach nach den frühern Maßen und Gewichten gerechnet.
Staatsverfassung und Verwaltung.
Brasilien ist nach dem Verfassungsgesetz vom (beschworen durch die Akte vom und mannigfach abgeändert) ein konstitutionell-monarchischer Föderativstaat. Die Verfassung erkennt vier Staatsgewalten an, außer den drei der europäischen Grundgesetze, der gesetzgebenden, vollziehenden und richterlichen, noch eine ausgleichende Gewalt (Poder moderador), die ¶
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dem Kaiser zusteht, und die er ohne Mitwirkung der Minister bei der Ernennung von Senatoren, bei Berufung einer außerordentlichen Sitzung der Reichsversammlung, bei Sanktionierung von Beschlüssen der letztern, die ihnen Gesetzeskraft gibt, bei Vertagung oder Auflösung der Versammlung, bei Ernennung und Entlassung der Minister, bei zeitweiser, verfassungsmäßig vorgesehener Enthebung der Magistrate von ihrem Amt, bei Begnadigungsfällen und noch einigen andern, minder bedeutenden Gelegenheiten ausübt.
Die Thronfolge bleibt nach dem Rechte der Erstgeburt, ohne Berücksichtigung des Geschlechts, bei den Nachkommen des Kaisers Pedro II. aus dem Haus Braganza. Der Kaiser ist nebst der Gesetzgebenden Versammlung der Vertreter der Nation, seine Person unverletzlich und unverantwortlich. Er führt den Titel: konstitutioneller Kaiser und beständiger Verteidiger Brasiliens. Ihm ist die vollziehende und die ausgleichende Gewalt anvertraut; erstere übt er mittels der Minister, die sieben an der Zahl und verantwortlich sind.
Das Ministerium vom setzt sich zusammen aus dem Präsidenten des Konseils (gleichzeitig Minister der Finanzen), den Ministern des Innern, der Justiz, des Äußern, der Marine, des Kriegs und dem Minister der öffentlichen Arbeiten, des Handels und des Ackerbaues. Bei Ausübung seiner ausgleichenden Gewalt steht dem Kaiser ein Staatsrat von vom Kaiser ernannten Mitgliedern und zwar ordentlichen (nicht über 12) und außerordentlichen zur Seite, welcher jedesmal vom Kaiser, wenn derselbe seine ausgleichende Gewalt üben will, aber auch sonst in allen wichtigen Angelegenheiten gehört werden muß.
Seine Mitglieder sind nur dem Kaiser verantwortlich. Der mutmaßliche Thronerbe tritt von Rechts wegen mit dem 18. Jahr ein. Die Repräsentation wird von zwei aus direkter Wahl der Bürger hervorgegangenen Kammern, dem Senat und der Deputiertenkammer, gebildet. Der Senat besteht aus 58 auf Lebenszeit ernannten Mitgliedern; der Kaiser wählt sie aus drei von jedem Wahlkreis vorgeschlagenen Kandidaten. Die Sessionszeit ist vier Monate, wird aber oft verlängert. Ausschließliches Recht des Senats ist es, über individuelle Vergehen der Mitglieder der kaiserlichen Familie, der Minister, Staatsräte, Senatoren und der aktiven Abgeordneten zu erkennen sowie die Berufungsschreiben für die Volksvertretung auszusenden, wenn der Kaiser es zwei Monate nach dem verfassungsmäßigen Termin nicht gethan hat.
Die Deputiertenkammer, die sich in der Regel alle vier Jahre erneuert, setzt sich aus den durch die verschiedenen Provinzen nach dem Verhältnis ihrer Bevölkerung und nach dem Wahlgesetz vom gewählten Mitgliedern zusammen. Die Zahl der Senatoren darf die Hälfte derjenigen der Deputierten nicht übersteigen. Senatoren und Deputierte erhalten Diäten und Reisezuschüsse. Das Recht der Initiative steht dem Kaiser sowohl als beiden Kammern zu;
in Steuersachen und für etwanige Wahl einer neuen Dynastie bei Erlöschen der regierenden haben die Mitglieder der Deputiertenkammer allein die Initiative;
vor diese Kammer müssen auch zuerst die Vorlagen der ausübenden Gewalt gebracht werden;
sie allein entscheidet über die Abstellung administrativer Mißbräuche, ihr steht die Untersuchung der abgelaufenen Verwaltung zu, von ihr geht die Entscheidung aus, ob Grund zu einer Anklage gegen die Minister oder Staatsräte vorliegt.
Der letzte Artikel der Verfassung enthält die Grundrechte des brasilischen Volkes. Nach denselben ist kein Bürger verpflichtet, etwas zu thun oder etwas zu lassen, außer kraft eines Gesetzes. Kein Gesetz darf rückwirkende Kraft [* 59] haben. Jeder kann seine Gedanken durch Wort, Schrift und Veröffentlichung in der Presse ohne Zensur mitteilen und ist nur für solchen Mißbrauch dieses Rechts verantwortlich, den das Gesetz bestimmt. Niemand kann aus Rücksichten der Religion verfolgt werden, wenn er die Staatsreligion respektiert und der öffentlichen Sittlichkeit keinen Anstoß gibt.
Jeder kann nach Belieben im Reich bleiben oder dasselbe verlassen und seine Habe mit sich nehmen, wenn er nur die polizeilichen Vorschriften beobachtet und keine Rechte Dritter verletzt. Jeder Bürger hat in seinem Haus ein unverletzliches Asyl. Niemand darf verhaftet werden, ohne daß sein Vergehen konstatiert ist, ausgenommen in den gesetzlich bestimmten Fällen. Mit Ausnahme der Ergreifung auf der That kann Gefängnisstrafe nicht ohne einen von der kompetenten Behörde gezeichneten Verhaftsbefehl verhängt werden.
Niemand darf von einer andern als der zuständigen Behörde verurteilt werden und nur kraft eines Gesetzes und in der rechtlich vorgeschriebenen Weise. Das Gesetz ist für alle gleich. Jeder Bürger wird zu allen öffentlichen Ämtern zugelassen. Niemand ist davon ausgenommen, zu den Staatsausgaben nach seinem Vermögen beizutragen. Alle Privilegien sind und bleiben abgeschafft, wenn sie nicht wesentlich durch öffentliche Rücksichten für Staatsmänner gefordert werden.
Die Strafe kann nicht über die Person des Schuldigen hinausgehen. Keine Art von Arbeit, Kultur, Gewerbe oder Handel darf verboten werden, wenn sie den Sitten, der Sicherheit und der Gesundheit der Bürger nicht zuwider ist. Das Briefgeheimnis ist unverletzlich. Die öffentlichen Beamten sind streng für Mißbrauch und Unterlassungen bei Ausübung ihrer Gewalt verantwortlich. Das Petitionsrecht ist unbeschränkt. Das Eigentumsrecht auf liegende Güter und Erfindungen ist gewährleistet.
Der Elementarunterricht ist für alle Bürger unentgeltlich. Die verfassungsmäßigen Gewalten können die Verfassung, soweit sie sich auf die vorstehenden bürgerlichen Rechte der Individuen bezieht, nicht aufheben, ausgenommen, wenn es sich um einen Aufstand oder einen Einfall des Feindes in das Reich handelt. Die obersten Beamten, die Präsidenten der Provinzen, werden von der Zentralregierung ernannt und verwalten die Provinzen gemeinschaftlich mit den gesetzgebenden Körperschaften der letztern.
Die Abgeordneten zu den Provinzialständen, einer demokratischen Errungenschaft der Föderalisten seit 1834, werden nach demselben System gewählt wie die zur Reichsvertretung. Ihnen ist die Lokalverwaltung und die ganze Sorge für die Ausführung der öffentlichen Arbeiten in der Provinz zugeteilt. Die von den Provinzialständen votierten Gesetze können nur dann vom Senat und von der Deputiertenkammer für nichtig erklärt werden, wenn jene ihre Befugnis überschritten haben, die ziemlich ausgedehnt ist, da ihnen das Recht zusteht, Steuern aufzulegen und sogar Anleihen zu machen. Die Verwaltung der Städte und Marktflecken liegt in den Händen von Munizipalräten, welche von der Bevölkerung auf je vier Jahre gewählt werden.
In dem Gerichtswesen Brasiliens haben sich in neuerer Zeit vielfache Änderungen vollzogen. Der oberste Gerichtshof wird gegenwärtig durch das aus 17 Mitgliedern zusammengesetzte Oberjustiztribunal (Supreme tribunal de Justica) zu Rio de Janeiro repräsentiert, das formell oder sachlich fehlerhafte Urteile niederer Instanzen an andre Gerichtshöfe seiner Wahl verweisen kann, und dessen Urteil die ¶
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höhern Beamten des Reichs unterstehen. Die nächste Instanz bilden die Appellationstribunale. Es gibt deren gegenwärtig 11 und zwar in Rio de Janeiro (17 Mitglieder), Bahia (11 Mitglieder), Pernambuco (15 Mitglieder), Maranhão, Pará, Ceará, Minas Geraës, São Paulo, São Pedro do Sul (je 7 Mitglieder), Matogrosso und Goyaz (je 5 Mitglieder). Daneben fungieren 7 Handelsgerichte und zwar in Rio de Janeiro, Bahia, Pernambuco, Maranhão, Pará, Ceará, São Pedro do Sul.
Für Militärjustiz besteht als höchster Gerichtshof das Militärtribunal, dessen Präsident der Kaiser ist. Die niedern Richtergrade sind durch die Friedensrichter, Gemeinderichter, Zivilrichter und Waisenrichter repräsentiert, welch letztere nur in Sachen der Waisen und Geisteskranken sowie der Abwesenden verfügten. In Kriminalsachen entscheidet das Geschwornengericht, dessen Leitung dem Kriminalrichter obliegt. Mit Ausnahme der Friedensrichter, die gewählt werden, und der Gemeinderichter, die wieder abberufen werden können, sind die Richter und Räte der Gerichtshöfe Brasiliens unabsetzbar, dürfen aber von einem Ort an den andern versetzt werden.
Der Kriminalkodex, dem Code Napoléon nachgebildet, unterscheidet folgende Strafarten je nach der Art des Verbrechens: Strafzahlung, Suspension vom Dienst oder Absetzung, Verbannung, einfache Gefängnishaft, Haft mit Arbeit, Zuchthaus, Todesstrafe. In zivilrechtlichen Sachen gilt der »brasilische Kodex«, ein unabsehbares Konglomerat von ältern portugiesischen Gesetzen, mit neuen unvollständigen, widersprechenden Paragraphen und Auslegungen vermehrt.
Vgl. »Code criminel de l'empire du Brésil« (Par. 1834) und »Kritische Zeitschrift für Rechtswissenschaft und Gesetzgebung des Auslandes« (Bd. 7, S. 297).
Die Finanzverhältnisse Brasiliens sind bei einem fortwährenden bedeutenden Defizit bis in die letzten Jahre keineswegs befriedigend zu nennen. Der Grund zu ihrem Verfall wurde durch die maßlosen Bedürfnisse des Hofs Johanns VI. gelegt. Man suchte sich durch Spekulationen zu helfen, welche unglücklich ausfielen und die Einführung des Papiergeldes statt der Münze zur Folge hatten. Mannigfache Unruhen im Innern und die fortwährenden Kriege mit den Nachbarstaaten, besonders der lange, erst 1870 beendete mit Paraguay, welcher dem Staat fast 489 Mill. Milreis gekostet haben soll, mehrten die Staatsschuld beständig und untergruben den Kredit immer mehr. Die Abschlüsse der letztverflossenen Jahre zeigen indessen, daß die großen natürlichen Hilfsquellen des Landes, welche die Regierung immer mehr zu benutzen versteht, in nicht zu ferner Zeit einen Ausgleich gestatten. Die Einnahmen sind in stetem Wachsen begriffen; sie betrugen:
Milreis | |
---|---|
1840-41 | 16310577 |
1858-59 | 39428000 |
1864-65 | 56995925 |
1866-67 | 61845426 |
1870-71 | 101033695 |
1872-73 | 103333888 |
1874-75 | 109767300 |
1881-82 | 131986964 |
Diesen ordentlichen Einnahmen standen folgende Ausgaben gegenüber:
Milreis | |
---|---|
1858-59 | 40097000 |
1864-65 | 83346159 |
1866-67 | 102873050 |
1870-71 | 83570376 |
1874-75 | 101484792 |
1881-82 | 139470648 |
Infolge der zur Fortsetzung des Kriegs mit Paraguay bewilligten außerordentlichen Kredite stellte sich in den 60er Jahren ein besonders hohes Defizit heraus. Es betrug z. B. 1866-69 fast 59,25 Mill., 1867-68 sogar über 107 Mill. Milreis. In dem Budget für 1883/84 aber stehen sich 132,115,400 Milreis an Einnahmen und 130,185,060 Milreis an Ausgaben gegenüber. Auch in dem Voranschlag für 1885/86 übertreffen die Einnahmen um etwa 5 Mill. Milreis die Ausgaben. Die wesentlichste Einnahmequelle bilden die sehr hohen Zölle, welche sowohl auf die Einfuhr als auf die Ausfuhr gelegt sind.
Sie betrugen im Budget von 1883/84: 93,709,800, dazu kommen an innern Einnahmen an Grundsteuer, Patentsteuer, Posten, Eisenbahnen etc. 35,395,600 Milreis. Die Staatsschuld hatte sich infolge der erwähnten Umstände in den letzten Jahrzehnten außerordentlich vermehrt. Während die Summe derselben in einer offiziösen Ausstellung vom zu 166 Mill. Milreis angegeben wurde, finden sich 1869 nicht weniger als 724,753,954 Milreis aufgeführt, wovon allerdings ein großer Teil für Eisenbahnen verwendet wurde; Ende 1870 war sie bereits reduziert auf 581,323,430 Milreis, wozu im Februar 1871 noch ein englisches Anlehen von 3 Mill. Pfd. Sterl. kam. Am belief sie sich wieder auf 863,168,809 Milreis, so daß deren Verzinsung einen großen Teil der jährlichen Einnahmen absorbiert.
Die Staatsschuld zerfällt in die äußere (ca. 170 Mill.), die in Gold zu bezahlen ist, und die innere (ca. 406 Mill.), die in Papier bezahlt wird. Der Rest entfällt auf die schwebende Schuld (darunter Gouvernementsnoten im Wert von 188 Mill.). Dazu kommen noch die Noten der Bank von und der Banken von Bahia und Maranhão im Betrag von 22 Mill. Milreis. Die Staatsaktiva bestanden außer den rückständigen Steuern (fast 14 Mill.) und dem Guthaben des Staatsschatzes an den Eisenbahnen (14 Mill.) in einer Schuldforderung an Uruguay und Paraguay im Betrag von zusammen ca. 17 Mill. Milreis.
Die brasilische Armee ist durch das Gesetz vom reorganisiert. An Stelle des frühern Werbesystems ist die allgemeine Wehrpflicht eingeführt, welche jedoch Ausnahmen zuläßt und Stellvertretung in einzelnen Fällen gestattet. Die Friedensstärke ist auf 13,000 Mann normiert, die Kriegsstärke auf 32,000 Mann. Die Dienstzeit beläuft sich aus 6 Jahre bei der Armee und 3 Jahre bei der Reserve. Die frühere Nationalgarde ist aufgelöst, um nach den Ergebnissen der neuen Zählung reorganisiert zu werden.
Die Zahl der Aktiven betrug 1884 (Friedensstärke): 1900 Offiziere und 11,864 Mann, welche sich auf 21 Bataillone Infanterie, 5 Regimenter Kavallerie, 3 Regimenter reitende und 5 Bataillone Fußartillerie, 1 Bataillon Pioniere, 2 Jäger- und 14 Garnisonkompanien verteilen. Dazu kamen 10,792 Mann Gendarmerie, davon 1063 in Rio de Janeiro. Die Flotte bestand 1884 aus 60 aktiven Fahrzeugen, darunter 8 Panzerschiffe, [* 61] 6 Kreuzer, 12 Kanonenboote und 8 Torpedofahrzeuge, mit einer Besatzung von 3022 Mann und 93 Kanonen. Im Bau befanden sich 1 Panzerschiff [* 62] und 5 Kanonenboote. Das Personal der Marine belief sich auf 5673 Mann, 15 Offiziere des Generalstabs, 382 Offiziere erster Klasse, Marinekorps 3181 Mann, Seebataillon 578 Mann und 1060 Mann Seekadetten- und Jungenkorps. - Das Wappen [* 63] (s. Tafel »Wappen«) zeigt im grünen Felde die Himmelskugel Heinrichs des Seefahrers, durch das silberne, mit einem roten Rand eingefaßte Kreuz [* 64] des Christusordens in vier Teile geteilt und von einem blauen, runden Reif umgeben, welcher mit 19 silbernen Sternen belegt ist und auf beiden Seiten eine silberne Einfassung hat. Den Schild [* 65] deckt eine Kaiserkrone, zur Rechten umgibt ihn ein Zweig des Kaffeebaums, zur Linken der Zweig einer Tabakspflanze, ¶
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beide in natürlicher Farbe, unten sich kreuzend und mit einem grün und goldenen Band [* 67] gebunden. Die Flagge ist grün mit eingeschobener goldener Raute, in dieser der Wappenschild (s. Tafel »Flaggen [* 68] II«). [* 69] Die Landesfarben sind Grün und Gold. Von Orden [* 70] bestehen: der Orden des Südlichen Kreuzes (gestiftet der Orden Dom Pedros I. der Orden der Rose
die frühern geistlichen Orden Unsers Herrn Jesu Christi, des heil. Benedikt von Aviz und des heil. Jakob vom Schwert werden seit nur als Zivil- und Militärorden vergeben.
Seit der letzten Organisation des Reichs zerfällt in den Bezirk der Stadt Rio de Janeiro (Municipio Neutro) und 20 Provinzen, die an Größe sehr verschieden sind (s. die statistische Übersicht, S. 336). Diese Provinzen werden in Gemeindebezirke (municipios), diese in Kirchspiel (parochias) und diese wieder in Bezirke (districtos) geteilt; die Teilung der Provinz in Comarcas besteht bloß für die Justiz. Haupt- und Residenzstadt ist Rio de Janeiro, Ende 1883 mit 350,000 Einw. Die nächstgrößten Städte sind: Bahia (140,000), Pernambuco (Recife, 130,000), Belém (40,000), São Paulo (40,000), Maranhão (35,000), Portalegre (35,000), Ouro Preto (20,000 Einw.).
[Litteratur.]
Zur Geographie und Statistik Brasiliens vgl. Wappäus, Das Kaiserreich (in Stein-Hörschelmanns »Handbuch der Geographie«, Leipz. 1871);
de Macedo, Geographische Beschreibung Brasiliens (deutsch, das. 1873);
Cazal, Corographia brasilica (Rio de Janeiro 1833);
P. de Reybaud, (a. d. Franz., Hamb. 1857);
M. de Saint-Adolphe, Diccionario geographico hist. de descript. do imperio do Brazil etc. (Par. 1845, 2 Bde.);
Pereira da Silva, Situation sociale, politique et économique de l'empire du Brésil (Rio de Janeiro 1865);
Fletcher und Kidder, Brazil and the Brazilians (9. Aufl., Philad. 1879);
Hadfield, Brazil and the river Plate 1870-76 (Lond. 1877);
»Das Kaiserreich Brasilien auf der Weltausstellung 1876 in Philadelphia«, offizieller Bericht (1876);
Canstatt, Brasilien, Land und Leute (Berl. 1877);
Sellin, Das Kaiserreich Brasilien, geographisch-statistische Skizze (Leipz. 1882);
Derselbe, Das Kaiserreich Brasilien (»Wissen der Gegenwart«, Bd. 36, das. 1885);
von Reisewerken (außer den ältern Werken von Pohl, Spix und Martius, dem Prinzen von Wied, de Saint-Hilaire u. a.) Kletke, Reise des Prinzen Adalbert von Preußen [* 71] nach Brasilien (Berl. 1857);
Avé-Lallemant, Reisen durch Nordbrasilien (Leipz. 1860, 2 Bde.);
Derselbe, Reisen durch Südbrasilien (das. 1859, 2 Bde.);
Bates, The naturalist on the river Amazonas (3. Aufl., Lond. 1873; deutsch, Leipz. 1866);
Tschudi, Reisen in Südamerika [* 72] (das. 1866-69, 5 Bde.);
Agassiz, A journey in Brazil (1.-6. Aufl., Boston [* 73] 1866);
Derselbe, Scientific results of a journey in Brazil (Lond. 1870);
Burton, Explorations of the highlands of Brazil (das. 1868, 2 Bde.);
Zöller, Die Deutschen im brasilischen Urwald (Stuttg. 1882);
ferner: W. Schultz, Natur- und Kulturstudien über Südamerika (Dresd. 1868);
v. Martius, Die Physiognomie des Pflanzenreichs in Brasilien (Münch. 1842);
Derselbe, Beiträge zur Ethnographie [* 74] und Sprachenkunde Amerikas, zumal Brasiliens (Leipz. 1867, 2 Bde.);
Liais, Climats, géologie, faune et géographie botanique du Brésil (Par. 1872);
Lange, Südbrasilien etc., mit Rücksicht auf die deutsche Kolonisation (2. Aufl., Berl. 1885);
Koseritz, Bilder aus Brasilien (Leipz. 1884);
»Revista trimensal do Instituto historico, geographico e etnographico do Brazil« (Rio de Janeiro, seit 1839).
Geschichte.
Brasilien wurde auf einer Fahrt nach Ostindien [* 75] zufällig von Pedro Alvarez Cabral entdeckt, der, von der Meeresströmung des Atlantischen Ozeans nach Westen getragen, die Küste erblickte und 25. April im Hafen Porto Seguro landete. Cabral nahm es für den König von Portugal feierlich in Besitz und nannte es Ilha da vera Cruz (»Insel vom wahren Kreuz«); den Namen Brasilien erhielt es elf Jahre später von dem roten Farbholz Caesalpina brasiliensis oder Pao do Brazil, d. h. Holz der glühenden Kohle, das man daselbst in Menge fand.
Eine Untersuchung des Landes nahm im Auftrag König Emanuels 1501-1502 Amerigo Vespucci vor und fuhr die Küste bis in die Gegend des La Plata-Stroms entlang; doch schickte man anfangs bloß Verbrecher und von der Inquisition Verurteilte nach Brasilien, welche Papageien und Farbhölzer einsammeln mußten. Im J. 1548 verbannte man die Juden dahin. Erst unter Johann III., dem Brasilien von dem Papst förmlich zugesprochen wurde, erhielt es 1531 eine Art administrativer Organisation auf Grund des Lehnssystems. So ließen sich mehrere sogen. Capitanos daselbst nieder; einer davon war Alfonso de Souza, von welchem das Land Rio de Janeiro den Namen erhielt.
Doch kam Brasilien bei der aus verschiedenartigen Elementen gemischten Bevölkerung, bei den fortdauernden Kämpfen gegen die Eingebornen und besonders wegen der Unbotmäßigkeit der Capitanos zu keiner Ruhe und Ordnung, bis im Auftrag König Johanns III. der Gouverneur Thomas de Souza dem Land eine bessere Organisation gab. Er erbaute 1549 die Stadt Bahia, brachte Jesuiten mit, welche die Eingebornen zivilisierten, und bewirkte überhaupt Einheit des Regiments. Im J. 1553 erhielt Brasilien seinen ersten Bischof.
Als aber Portugal (1580) unter spanische Hoheit kam und nun die Feinde Spaniens auch die portugiesischen Kolonien feindlich behandelten, fielen nacheinander Engländer, Franzosen und Holländer über das hilflose Land her. Die holländische Westindische Kompanie bemächtigte sich 1624 der Stadt Bahia und behauptete sich namentlich unter dem Statthalter Moritz von Nassau, welcher auch für die materielle und geistige Hebung des Landes sehr wohlthätig wirkte, im Besitz eines großen Teils des Landes.
Da aber seine Nachfolger weniger Geschick zeigten, so entstand (obgleich das wieder auf den portugiesischen Thron [* 76] gekommene Haus Braganza den Besitz der Holländer 1640 anerkannt hatte) 1645 eine von England und Portugal aus angestiftete Empörung der Plantagenbesitzer, welche nach dem Sieg des tapfern brasilischen Helden Vieira bei Guararabi 1648 mit der Vertreibung der Holländer endete. Pernambuco, die letzte holländische Besitzung, wurde von den Brasiliern genommen, und 1661 trat Holland ganz Brasilien gegen eine Summe von 350,000 Pfd. Sterl. an Portugal ab. Später gründeten französische Hugenotten Ansiedelungen in Brasilien, welche jedoch von den portugiesischen Brasiliern aus Religionshaß vernichtet wurden. Dies hatte einen privaten, aber vom Staat unterstützten Kriegszug der Franzosen unter Duguay-Trouin zur Folge, die 1711 Rio de Janeiro nach einem heftigen Bombardement einnahmen, aber gegen Lösegeld wieder abzogen. Die Entdeckung der Goldminen in Minas Geraës 1696 und der Diamantgruben 1727 erhöhte die Wichtigkeit des Landes. Aber Portugals Aufmerksamkeit war nur darauf gerichtet, in Abhängigkeit zu erhalten und die Gold- und ¶