Bertuch durch seine Übersetzungen und
Zeitschriften sowie durch die von ihm ins
Leben gerufenen
Institute verdient gemacht. Von
den Übersetzungen verdient vor allen die des
»Don Quichotte« von
Cervantes nebst der Fortsetzung des
Avellaneda (Leipz. 1775,
wiederholt 1780-81, 6 Bde.) hervorgehoben zu werden, weil sie
zuerst die
Aufmerksamkeit derDeutschen auf die
spanische Litteratur hinlenkte. Mit
Wieland und
Schütz entwarf
Bertuch 1784 den
Plan zu der »Jenaischen allgemeinen
Litteraturzeitung« und gab seit 1786 mit
Kraus das
»Journal des
Luxus und der
Moden« heraus, das bis 1827 bestand und für die
Sitten- und
Kulturgeschichte zur Zeit der französischen
Revolution und des
Kaiserreichs von bleibendem historischen
Interesse ist. Gleichzeitig veröffentlichte er das
»Magazin der spanischen und portugiesischen
Litteratur«
(Dessau
[* 2] 1780-82, 3 Bde.),
Werke, zu deren Herstellung
und Vertrieb er 1791 das »Landesindustriekontor« begründete.
Bald verbanden sich mit dem
Institut verschiedene andre Anstalten,
welche zahlreiche Schriftsteller,
Künstler und
Handwerker beschäftigten, darunter das noch jetzt bestehende
»GeographischeInstitut« (für Kartenverlag) sowie seit 1805 eine Buchhandlung in
Rudolstadt.
[* 6] Seine zuerst mit
Zach, dann mit
Gaspari,
Ehrmann
u. a. herausgegebenen
»GeographischenEphemeriden« (1798-1824) wie nicht minder die
»NeueBibliothek der wichtigsten
Reisebeschreibungen«
(Wien
[* 7] 1815 ff., von Bertuch bis zum 32. Bd.
herausgegeben) trugen viel zur Beförderung der geographischen
Studien bei.
(Beschreien), einem noch jetzt sehr verbreiteten
Aberglauben zufolge ein
Schade, den man sich selbst oder andern,
namentlich kleinen
Kindern, absichtlich oder auch unabsichtlich durch unvorsichtiges und übertriebenes
Loben oder Bewundern,
durch allzu bestimmte
Hoffnung auf einen glücklichen
Ausgang einer
Sache etc. zufügen kann. Dieser weitverbreitete
Glaube gründet
sich auf die alte
Anschauung von dem
Neide der
Götter oder der Schicksalsschwestern.
Schon im
Altertum brauchte man als Vorbeugungsmittel eine Demütigung, indem man sich nach einem unbedachten oder übermütigen
Ausdruck in den eignen
Busen spie, und noch jetzt ist dreimaliges Ausspeien zur Abwendung des Berufens im
Volk sehr üblich.
In denFällen, wo man bei unheilbarem Siechtum der
Kinder ein Berufen von seiten böser Leute als
Ursache annahm,
wurden
Räucherungen und Waschungen mit sogen. Berufskräutern vorgenommen, unter denen
Erigeron Conyza und Stachys recta die
gebräuchlichsten waren.
heißen die auf
Grund des deutschen Unfallversicherungsgesetzes vom für
bestimmte
Bezirke gebildeten und auf Gegenseitigkeit beruhenden Unternehmerverbände, welche innerhalb dieser
Bezirke alle
Betriebe der Industriezweige umfassen, für die sie errichtet sind, und welche die in diesen Betrieben beschäftigten
Arbeiter
und Beamten, deren Jahresarbeitsverdienst an
Lohn und
Gehalt 2000 Mk. nicht übersteigt, gegen die
Folgen der
bei dem Betrieb sich ereignenden Unfälle zu versichern haben. Eine Anleitung zur
Aufstellung von
Statuten nach
dem erwähnten
Gesetz gibt das im
Januar 1885 vom
Reichsversicherungsamt veröffentlichte »Normalstatut«. Vgl.
Unfallversicherung.
ein dogmatischer
Kunstausdruck, welcher sich an das in den
Parabeln Jesu vorkommende
Bild vom Einladen zum
messianischen
Mahl und an die Paulinische Lehrsprache anlehnt. In der
Dogmatik heißt Berufung die erste
Station aus dem Heilsweg,
da der
Mensch das
Wort von der
Gnade vernimmt und auf solche
Weise eingeladen wird, dieselbe zu ergreifen. Gegenüber den Calvinisten
(Prädestinatianern) wird von den
Lutheranern behauptet, die Berufung sei ernsthaft gemeint, Verlangen wirkend,
erstrecke sich auf alle
Sünder, trete an jeden heran, könne aber abgewiesen werden.
(Appellation), im Rechtswesen dasjenige
Rechtsmittel, wodurch ein gerichtliches
Urteil angefochten werden kann,
um eine nochmalige
Prüfung und
Entscheidung der
Sache durch das zuständige höhere
Gericht herbeizuführen. Das höhere
Gericht,
an welches die Berufung geht, ist das
Obergericht (Appellationsgericht, Berufungsrichter, judex, ad quem); dasjenige
Gericht, gegen dessen
Urteil Berufung eingelegt (appelliert) wird, ist das Untergericht
(Vorderrichter, judex, a quo).
Die
Gerichte, welche zu einander in dem
Verhältnis der Unter- und Überordnung stehen, werden
Instanzen genannt, und man spricht
vom Instanzenzug als von der Reihenfolge, in welcher die gerichtlichen
Entscheidungen in ebenderselben
Rechtssache herbeigeführt werden können. Die Berufung muß binnen einer gesetzlich bestimmten ausschließlichen
Frist (Appellationsfrist,
Notfrist) eingelegt werden. Diese
Frist war früher eine zehntägige. Die hat Suspensiveffekt, d. h.
sie hat suspensive oder aufschiebende
Wirkung, sie hemmt (suspendiert) die
Rechtskraft des erstinstanzlichen
Urteils.
Sie hat aber auch Devolutiveffekt, d. h. sie überträgt (devolviert) die
richterliche
Entscheidung vom
Unterrichter auf das
Obergericht. Das
Rechtsmittel der Berufung kommt nicht nur in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten,
sondern auch in
Strafsachen vor, ebenso in Angelegenheiten der freiwilligen
Gerichtsbarkeit und im Verwaltungsstreitverfahren,
indem z. B. in
Preußen
[* 8] gegen erstinstanzliche
Entscheidungen der Kreisverwaltungsgerichte die an die Bezirksverwaltungsgerichte
und die Berufung gegen erstinstanzliche
Entscheidungen der letztern an das
Oberverwaltungsgericht geht (s.
Verwaltung).
Übrigens wird der
Ausdruck Berufung neuerdings auch zur Bezeichnung der
Beschwerde oder des
Rekurses gegen
Entscheidungen der Verwaltungsbehörden
gebraucht, so auch zur Bezeichnung der
Beschwerde, welche gegen
Mißbrauch der geistlichen
Gewalt an die
weltliche Behörde gerichtet wird (s.
Recursus ab abusu). Die gerichtliche Berufung (lat. appellatio) ist aus dem römischen
Recht in das moderne Rechtsleben übergegangen. Der römische
KaiserAugustus setzte zuerst ein bestimmtes
Verfahren und einen
bestimmten Instanzenzug fest, welcher bis an den
Kaiser selbst ging. In
Deutschland
[* 9] fand derGrundsatz,
daß namentlich in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten eine mehrfache
Entscheidung durch Unter- und
Obergerichte möglich sein
müsse, durch die Errichtung des
Reichskammergerichts als oberster Appellationsinstanz in wichtigern
Rechtssachen für das
ganze
Reich eine ausdrückliche
Anerkennung. Wenn sich nun auch in der Folgezeit nicht wenige Territorien durch Privilegien
de non appellando von derGerichtsbarkeit des
Reichskammergerichts und des neben ihm bestehenden
Reichshofrats
zu befreien
¶
mehr
wußten, so wurde doch stets der Grundsatz anerkannt, daß auch diese Territorien eine Appellationsinstanz haben müßten.
Die deutsche Bundesakte vom (Art. 12) aber bestimmte ausdrücklich, daß es in jedem Bundesstaat drei Instanzen geben
und daß sich kleinere Staaten unter 300,000 Einw. zur Bildung gemeinsamer Appellationsgerichte zusammenschließen sollten.
Die Oberberufung an die dritte Instanz, Oberappellation) war in bürgerlichen Rechtssachen jedoch nur bei einem bestimmten höhern
Wertbetrag des Streitgegenstandes zulässig (Appellationssumme, summa appellabilis). Je mehr sich jedoch in dem modernen
Prozeß der Grundsatz der Mündlichkeit des VerfahrensBahn brach, desto mehr machte sich auch das Streben nach einer
Einschränkung der Berufung geltend.
Wohl sprachen für die Beibehaltung der und Oberberufung die gewichtigen Gründe einer gründlichern, sorgfältigern und wiederholten
Prüfung der Sache. Aber dem stand das Bedenken entgegen, daß der erste Richter auf Grund mündlicher Verhandlung, der zweite
und dritte dagegen wesentlich auf Grund des Aktenmaterials entscheide, und daß somit die Erkenntnisquelle
des ersten Richters eine andre sei als die des Obergerichts. Dazu fand das französische System in Deutschland mehr und mehr
Anerkennung, welches die Thätigkeit des Obergerichts auf eine nochmalige Prüfung und Entscheidung der Rechtsfrage, d. h. der
Frage, ob die rechtliche Beurteilung der Thatumstände eine richtige sei, beschränkt, eine wiederholte
Feststellung und Prüfung der Thatfrage dagegen ausschließt. Gleichwohl hat die neue deutsche Justizgesetzgebung das Rechtsmittel
der Berufung nicht beseitigt, sondern nur beschränkt, und zwar ist diese Beschränkung im Strafprozeß eine erheblichere als im
Zivilprozeß. Der gegenwärtige Stand der deutschen Gesetzgebung ist folgender.
Berufung in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten.
Nach der deutschen Zivilprozeßordnung ist ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstandes eine einmalige
Berufung gegeben. Diese Berufung ist der Regel nach statuiert gegen Endurteile erster Instanz im Gegensatz zur Beschwerde (s. d.), welch letztere
gegen Zwischenurteile, Beweisbeschlüsse und sonstige dem Endurteil vorausgehende richterliche Entscheidungen gerichtet ist,
insofern dieselben überhaupt anfechtbar sind. Ein Versäumnisurteil kann von der dadurch betroffenen
Partei nur dann mit der Berufung angefochten werden, wenn dagegen ein Einspruch nicht statthaft war, und auch dann nur aus dem Grund,
weil die Voraussetzungen eines Versäumnisurteils nicht vorhanden gewesen.
Die Berufung geht gegen das einzelrichterliche Urteil des Amtsgerichts an das kollegiale Landgericht und in denjenigen
Fällen, in denen das Landgericht in erster Instanz entscheidet, an das Oberlandesgericht. Die ausschließende Berufungsfrist
beträgt einen Monat vom Tag der Zustellung des erstinstanzlichen Urteils an. Diejenige Partei, welche die Berufung einlegt, wird Berufungskläger
(Appellant) genannt; die Gegenpartei ist der Berufungsbeklagte (Appellat). Die Berufung erfolgt, ähnlich wie
die Klagerhebung, durch die Zustellung eines Schriftsatzes (Berufungsschrift), welcher nicht bei dem Untergericht, sondern
bei dem Berufungsgericht zur Bestimmung des Termintags für die Berufungsverhandlung übergeben wird.
Die Berufungsschrift muß von einem bei dem Berufungsgericht zugelassenen Rechtsanwalt unterzeichnet sein. Sie muß die Bezeichnung
des angefochtenen Urteils, die Erklärung der Einlegung der und die Ladung des Berufungsbeklagten vor das
Berufungsgericht zur mündlichen Verhandlung über
die Berufung enthalten. Als vorbereitender Schriftsatz soll die Berufungsschrift
auch das zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung Erforderliche, insbesondere die einzelnen Beschwerdepunkte (gravamina)
und die Berufungsanträge auf Abänderung des angefochtenen Urteils, enthalten.
Der Gerichtsschreiber des Berufungsgerichts hat binnen 24 Stunden die Akten vom Untergericht einzufordern.
Sodann wird gleichfalls binnen 24 Stunden vom Vorsitzenden des Berufungsgerichts der Terminstag bestimmt. Durch die Berufung wird
der ganze Rechtsstreit zu anderweiter Verhandlung und Entscheidung vor das Berufungsgericht gebracht. Die Rechtskraft des angefochtenen
Urteils ist dadurch zu gunsten beider Parteien suspendiert. Der Berufungsbeklagte kann sich der Berufung »anschließen«,
d. h. auch seinerseits Abänderungen des angefochtenen Urteils beantragen, selbst wenn er auf die Berufung verzichtet hatte, und
selbst wenn die Berufungsfrist verstrichen ist.
Anschließung (Adhäsion) während der Berufungsfrist gilt als selbständige Berufung (Prinzipaladhäsion), während die sonstige
Anschließung (accessorische Adhäsion) hinfällig wird, wenn die Berufung vom Berufungskläger zurückgenommen
oder vom Berufungsgericht als unzulässig verworfen wird. Zwischen der Zustellung der Berufungsschrift und dem Verhandlungstermin
muß dem Berufungsbeklagten eine Einlassungsfrist von mindestens einem Monat, in Meß- und Marktsachen von mindestens 24 Stunden
frei bleiben.
Innerhalb der ersten zwei Dritteile dieser Frist muß der Berufungsbeklagte dem Berufungskläger die ebenfalls
von einem Rechtsanwalt unterschriebene Beantwortung der Berufung zustellen lassen. Es ist dies ein vorbereitender Schriftsatz,
welcher namentlich die Anträge enthält, die der Berufungsbeklagte im Verhandlungstermin zu stellen gedenkt, desgleichen
die neuen Thatsachen und Beweismittel, welche er vorbringen will. Die mündliche Verhandlung vor dem Berufungsgericht richtet
sich im wesentlichen nach den für den landgerichtlichen Anwaltsprozeß geltenden Grundsätzen.
Der Rechtsstreit wird in thatsächlicher wie in rechtlicher Hinsicht vor dem Berufungsgericht nochmals neu verhandelt. NeueAngriffs- und Verteidigungmittel, Thatsachen wie Beweismittel (nova), können nachgebracht werden; doch ist eine Änderung
der Klage selbst nicht zulässig. Der Prozeßstoff erster Instanz gilt auch für die Berufungsinstanz als
solcher. Es kann jedoch auch in der letztern ein neuer Beweisbeschluß und eine neue Beweisaufnahme erfolgen.
Abgeändert wird das Urteil erster Instanz nur insoweit, als die Abänderung beantragt ist und rechtlich wie thatsächlich
als begründet erscheint. Nur ausnahmsweise (Zivilprozeßordnung, § 500) wird die Sache an das Gericht erster Instanz
zurückverwiesen. Je nachdem das zweitinstanzliche Urteil (in appellatorio) bestätigend oder abändernd ausfällt, wird es
konfirmatorisch (sententia confirmatoria) oder reformatorisch (sententia reformatoria) genannt; doch kann der Vorderrichter
auch teilweise reformiert und teilweise in seinem Urteil bestätigt werden.
Versäumt der Berufungskläger den Verhandlungstermin, so wird er auf Antrag seines Gegners abgewiesen. Versäumt
sich der Berufungsbeklagte, so werden die Thatsachen der Berufung für zugestanden erachtet. Erscheint keine Partei, so wird das
Verfahren ausgesetzt. Eine nochmalige Anfechtung des zweitinstanzlichen Erkenntnisses im Weg der Oberberufung (Oberappellation)
ist ausgeschlossen. Nur gegen zweitinstanzliche Urteile des Oberlandesgerichts ist das Rechtsmittel der Revision (s. d.) bei
einem Beschwerdewert
¶
mehr
von über 1500 Mk. gegeben. Hierdurch kann jedoch nur eine nochmalige Prüfung der Rechtsfrage herbeigeführt werden.
Die Bedenken, welche gegen die Berufung überhaupt bestehen, liegen im Strafprozeß noch offener zu Tage als im Zivilstreitverfahren.
Denn der gegenwärtige Strafprozeß wird von dem Grundsatz der Mündlichkeit des Verfahrens und der Unmittelbarkeit
der richterlichen Entscheidung auf Grund der mündlichen Verhandlung beherrscht. Darum wollte der Entwurf der deutschen Strafprozeßordnung
die Berufung gänzlich beseitigen und gegen Urteile in Strafsachen nur das Rechtsmittel der Revision (s. d.) statuieren, also nur dasjenige
Rechtsmittel, welches sich mit der Frage beschäftigt, ob die thatsächlichen Feststellungen rechtlich richtig
beurteilt sind, während es sich bei der Berufung wesentlich auch um die Frage handelt, ob die thatsächlichen Feststellungen selbst
richtig sind. Es erschien als widersinnig, eine nochmalige Prüfung und Verhandlung in zweiter Instanz auf Grund des Aktenmaterials
zuzulassen., nachdem der erste Richter auf Grund mündlicher Verhandlung sein Urteil gesprochen.
Selbst eine vollständige oder teilweise Wiederholung der mündlichen Beweisaufnahme kann dem zweitinstanzlichen
Richter nicht ebendieselbe Erkenntnisquelle verschaffen, aus welcher der erste Richter schöpfte. Denn das Gedächtnis der Zeugen
kann z. B. nicht ausreichend sein, ein Zwischenfall kann der Anschauungsweise der letztern
eine andre Richtung gegeben haben, und dieses oder jenes Beweismittel ist vielleicht gar nicht mehr oder
doch nicht mehr in derselben Art und Weise vorhanden wie bei der Verhandlung in erster Instanz.
Die deutsche Strafprozeßordnung hat diesen Gründen auch insoweit Rechnung getragen, als sie Erkenntnissen der Strafkammern
der Landgerichte und Urteilen der Schwurgerichte gegenüber das Rechtsmittel der Berufung ausschließt. Dafür hat
sie dem Beschuldigten im landgerichtlichen Verfahren besondere Garantien für eine gründliche und gewissenhafte Prüfung gegeben,
indem sie namentlich eine stärkere Besetzung des erstinstanzlichen Gerichts (mit fünf Richtern) anordnet, und indem sie vorschreibt,
daß zur Verurteilung des Beschuldigten eine Mehrheit von vier Stimmen erforderlich sei.
Dazu ist die rechtliche Stellung des Angeklagten in mehrfacher Hinsicht verbessert, auch die Wiederaufnahme
eines durch rechtskräftiges Urteil abgeschlossenen Strafverfahrens in erweitertem Umfang gestattet worden. Dagegen erschien
es bedenklich, die auch gegenüber den Urteilen der Schöffengerichte auszuschließen und ebenso denjenigen Urteilen gegenüber,
welche der Amtsrichter mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft ohne Zuziehung von Schöffen bei bloßen Übertretungen
erlassen kann, wenn der vorgeführte Beschuldigte die That zugesteht (Strafprozeßordnung, § 211, Abs. 2). Die summarische
Art und Weise der Verhandlung und die sonstigen Eigentümlichkeiten des Verfahrens schienen hier gegen die Ausschließung der
Berufung zu sprechen.
Die Berufung geht vom Schöffengericht, resp. Amtsrichter an die Strafkammer des zuständigen Landgerichts. Sie
ist bei dem erstinstanzlichen Gericht schriftlich oder zu Protokoll des Gerichtsschreibers innerhalb einer Woche von der Verkündigung
oder, wenn diese bei Abwesenheit des Angeklagten erfolgte, von der Zustellung des Urteils an denselben an einzulegen. Die Berufung kann
auch von der Staatsanwaltschaft und von dem Privatkläger eingewendet werden. Eine Ausführung der Berufung binnen
einer weitern achttägigen Frist ist gestattet.
Ist
die Berufung verspätet, so wird sie vom Gericht erster Instanz verworfen. Doch kann der Beschwerdeführer in diesem Fall binnen
einer Woche auf die Entscheidung des Berufungsgerichts hierüber antragen. Weist das Berufungsgericht die Berufung nicht zurück,
so ist über die Berufung durch Urteil zu entscheiden. Die Entscheidung erfolgt nach vorgängiger zweitinstanzlicher
Hauptverhandlung. Die in erster Instanz vernommenen Zeugen und Sachverständigen sind zu dieser Verhandlung nur dann nicht mit
vorzuladen, wenn deren wiederholte Vernehmung zur Aufklärung des Sachverhalts nicht erforderlich erscheint.
Neue Beweismittel sind zulässig. Erscheint der Angeklagte zur Hauptverhandlung nicht, und ist sein Ausbleiben
nicht genügend entschuldigt, so ist, insofern der Angeklagte die Berufung eingelegt hatte, dieselbe sofort zu verwerfen.
Insoweit die Staatsanwaltschaft die Berufung eingewendet hatte, ist über dieselbe zu verhandeln oder die Vorführung
oder Verhaftung des Angeklagten anzuordnen. In der Appellationsverhandlung erfolgt zunächst der Vortrag des Berichterstatters
(Referenten) über die Ergebnisse des bisherigen Verfahrens, sodann die Vernehmung des Angeklagten und die
Beweisaufnahme.
Hieran schließen sich die Ausführungen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten an, welch letzterm das letzte Wort gebührt.
Erachtet das Gericht die Berufung für begründet, so wird das erste Urteil aufgehoben, und es wird in der Sache selbst
erkannt. Leidet das Urteil an einem Mangel, welcher die Revision wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren begründen
würde, so kann das Berufungsgericht die Sache an die erste Instanz zur anderweiten Entscheidung zurückverweisen. Erscheint
das erste Gericht als unzuständig, so erfolgt Verweisung an den zuständigen Richter. War das erstinstanzliche Urteil
nur von dem Angeklagten oder zu gunsten desselben von der Staatsanwaltschaft angefochten, so darf dasselbe nicht zum Nachteil
des Angeklagten abgeändert werden (Unzulässigkeit der Reformatio in pejus).
Neuerdings haben sich gewichtige Stimmen für die Wiedereinführung der auch in denjenigen Strafsachen ausgesprochen, welche
in den landgerichtlichen Kompetenzkreis gehören. Namentlich im deutschen Anwaltstand ist die Ansicht
vielfach vertreten, und auch auf dem deutschen Anwaltstag und auf dem deutschen Juristentag ist es zum Ausdruck gekommen, daß
es ein Mißstand sei, wenn in schweren Fällen, wo es sich um langwierige und entehrende Freiheitsstrafen handeln könne, kein
zur Geltendmachung neuer Thatsachen und Beweismittel und zur Aufklärung und Berichtigung thatsächlicher
Irrtümer geeignetes ordentliches Rechtsmittel gegeben sei.
Unter den berufsmäßigen Richtern, so wird weiter angeführt, treten oft einseitige Anschauungen hervor; der Angeklagte entnehme
zudem nicht selten erst aus den Verhandlungen erster Instanz mit Sicherheit, worauf es eigentlich ankomme; endlich könne auch
eine allzu strenge Bemessung des Strafmaßes nur durch Berufung aufgehoben werden. Auch im Reichstag (Antrag
Munkel-Lenzmann) ist diese wichtige Frage verhandelt worden, ohne daß es jedoch zu einer entscheidenden Abstimmung darüber
gekommen wäre. Die österreichische Strafprozeßordnung vom statuiert die Berufung gegen die Endurteile der Gerichtshöfe
erster Instanz und der Schwurgerichte, soweit es sich dabei um den Ausspruch der Strafe und um etwanige Privatansprüche
handelt.
Vgl. die »Mémoires du maréchal de Berwick, écrits par lui-même«, herausgegeben von einem Enkel Berwicks (Par.
1778, 2 Bde.; deutsch, Bern
[* 28] 1779, 2 Bde.);
Derselbe, Duke of Berwick, marshal of France (das. 1883). -
Sein Sohn JamesFitzjames Berwick, geb. 1695, diente unter seinem Vater, nahm 1715 an der Expedition des Prätendenten
teil, wurde 1724 spanischer General, dann spanischer Gesandter in Petersburg
[* 29] und Wien, befehligte 1734 in Italien, eroberte Gaeta,
war nach beendigtem Krieg spanischer Gesandter in Neapel
[* 30] und starb daselbst 1738.
uponTweed (spr. berrick öpönn tuihd), Hafenstadt in der engl. GrafschaftNorthumberland, an der Mündung des
Tweed in die Nordsee, hat (1881) 13,975 Einw. Eine Brücke
[* 35] und ein großartiger Eisenbahnviadukt von 658 m Länge verbinden
es mit Tweedmouth. Berwick upon Tweed verschifft namentlich Salme, Seefische, Krabben und Hummern nach London.
[* 36] Auch hat es eine Eisengießerei
[* 37] und Schiffswerfte. Der Hafen wird durch Batterien verteidigt und genügt für Schiffe
[* 38] von 500 Ton. Gehalt. Es gehören zu demselben
(1883) 21 Seeschiffe und 502 Fischerboote. Berwick upon Tweed ist Sitz eines deutschen
Konsuls. Früher wichtige Grenzfestung (die alten Wälle stehen noch), war Berwick upon Tweed lange Zeit ein Zankapfel
zwischen Schottland und England, bis es endlich zu einer Freien Stadt erklärt wurde. Mit Schottland selbst fiel es an England.
Mineral aus der Ordnung der Silikate (Cordieritgruppe), kristallisiert in säulenförmigen, hexagonalen Kristallen,
welche eingewachsen oder zu Drusen
[* 39] vereinigt, auch in stängeligen Aggregaten vorkommen, ist mitunter farblos,
aber meist grün, auch gelb, blau, selten rosenrot, mit Glasglanz, durchsichtig oder durchscheinend, Härte 7,5-8,0, spez. Gew.
2,68-2,72, besteht aus kieselsaurer Beryllerde mit kieselsaurer Thonerde Be3Al2Si6O18 mit
Spuren von Eisen
[* 40] und Chrom.
(Glycium) Be, Metall, findet sich als Kieselsäuresalz im Beryll, Phenakit, Euklas, Helvin und Gadolinit, als Aluminat
im Chrysoberyll, wird wie Aluminium dargestellt und bildet ein weißes, hämmer- und dehnbares Metall vom spez. Gew. 2,1, Atomgewicht
9,2, ist an der Luft unveränderlich, schmilzt etwas leichter als Silber, oxydiert sich auch beim Erhitzen
an der Luft nur oberflächlich, löst sich in Salzsäure, Schwefelsäure
[* 54] und Kalilauge, schwer inSalpetersäure, ist zweiwertig
und bildet mit Sauerstoff das Berylliumoxyd, Beryllerde, Süßerde BeO, die wie das Berylliumhydroxyd BeH2O2 farb-
und geruchlos und in Wasser unlöslich ist. Die Berylliumsalze sind farblos, schmecken zusammenziehend,
sehr süß, sind teilweise in Wasser löslich und werden beim Erhitzen zersetzt. Das Chlorid BeCl2 entsteht,
wenn man Beryllerde, mit Kohle gemengt, im Chlorstrom erhitzt, und sublimiert in farblosen, zerfließlichen Nadeln.
[* 55] Berylliumoxyd
wurde 1797 von Vauquelin zuerst von der Thonerde unterschieden, und 1827 wurde das Beryllium von Wöhler dargestellt.
JohannJakob, Freiherr von, Chemiker, geb. zu Väfversunda Sorgård im schwedischen StiftLinköping,
wo sein VaterSamuel Berzelius Kaplan war, studierte seit 1796 Medizin in Upsala,
[* 58] widmete sich jedoch bald vorzugsweise der Chemie, untersuchte 1799 das
Wasser der Heilquellen von Medevi und schrieb darüber: »Nova analysis aquarum Medeviensium« (Upsala 1800).
Nachdem er eine neue Dissertation: »De electricitatis galvanicae in corpora organica effectu« (Upsala 1802), herausgegeben,
wurde er 1802 zum Adjunkten der Medizin und Pharmazie in Stockholm
[* 59] ernannt, welches Amt das Sanitätskollegium eigens für ihn
errichtet hatte. Er gab nun Privatunterricht in der pharmazeutischen Chemie, hielt aber auch öffentliche
Vorträge in der Experimentalchemie. Im J. 1806 wurde er Lehrer der Chemie an der Kriegsakademie zu Karlberg, 1807 Professor der
Medizin und Pharmazie in Stockholm, 1808 Mitglied der königlichen Akademie der Wissenschaften in Stockholm, 1810 deren Vorstand
und 1818 deren beständiger Sekretär.
[* 60] 1815 erhielt er die Professur der Chemie an dem medikochirurgischen
Institut zu Stockholm. 1818 ward in den Adelstand und 1835 in den Freiherrenstand erhoben. Im J. 1832 übergab er seine
Professur
an seinen Schüler Mosander, um sich ganz seinen Untersuchungen widmen zu können.
Als Abgeordneter in der Ständeversammlung sowie seit 1838 als Reichsrat hat er keine bedeutende Thätigkeit
entwickelt. Er starb in Stockholm, wo ihm 1855 ein ehernes Standbild errichtet wurde. Berzelius' zahlreiche Arbeiten waren
epochemachend und für lange Zeit maßgebend auf dem gesamten Gebiet der Chemie. Er schuf das elektrochemische System, untersuchte
die Atomgewichte der einfachen Körper mit großer Sorgfalt und entdeckte Selen, Thorium und Cerium.
Ganz besondere Verdienste hat er sich auch um die chemische Analyse, die Nomenklatur und die Klassifikation der chemischen Verbindungen
erworben. Besonders hervorzuheben ist, daß er es nicht bei der Aufstellung vereinzelter Untersuchungen
bewenden ließ, sondern immer die durchgreifendsten Erörterungen über größere Gebiete gab, wodurch die chemische Wissenschaft
als Ganzes außerordentlich gewann. Chemiker aller Länder haben seinen Unterricht gesucht.
die in Gemeinschaft mit mehreren andern Gelehrten herausgegebenen
»Afhandlingar i fysik, kemi och mineralogi« (das.
1806-18, 6 Bde.);
die »Föreläsningar i djurkemien« (das. 1806-1808, 2 Bde.),
an welche sich die »Öfversigt om djurkemiens framsteg« (das.
1812; deutsch von Siegwart, Nürnb. 1815) anschließt;
»Försök att genom anvendandet af den elektro-kemiska
theorien, samt läran om de kemiska proportionerna, grundlägga ett rent vetenskapligt system for mineralogien« (Upsala 1814; 2. Aufl.,
deutsch von Rammelsberg u. d. T.: »Versuch, durch Anwendung der elektrochemischen Theorie ein System der Mineralogie zu begründen«,
Nürnb. 1847);
»Essai sur la cause des proportions chimiques
et sur l'influence chimique de l'électricité« (das. 1819, 2. Aufl.
1835; deutsch von Blöde, Dresd. 1820);
»Om blåsrörets användande i kemien och mineralogien« (Stockh.
1820; deutsch von Rose u. d. T.: »Von der Anwendung des Lötrohrs in der Chemie und Mineralogie«, Nürnb. 1821, 4. Aufl. 1844);
»Über die Zusammensetzung der Schwefelalkalien« (deutsch von Palmstedt, das.
1822);
»Untersuchung der Mineralwässer von Karlsbad, Teplitz und Königswart« (deutsch von Rose, Leipz. 1823-1825) u. a. Sein
Hauptwerk ist aber das »Lärebok i kemien« (Stockh.
1808-18, 3 Bde.; 2. Aufl. 1817-1830, 6 Bde.,
deutsch von Wöhler; 3. und 4. Aufl. nur deutsch von Wöhler; die 5. Aufl. deutsch von Berzelius, Leipz.
1843-48, 5 Bde.; in fast alle lebenden Sprachen übersetzt).
Als Sekretär der Akademie der Wissenschaften gab Berzelius die »Ars berättelser
om framstegen i fysik och kemie« (Stockh. 1820-47, 27 Jahrg.)
heraus, die von Gmelin, Wöhler u. a. als »Jahresberichte über die
Fortschritte der Chemie und
¶
mehr
Mineralogie« (Bd. 1-27, Tübing. 1821-48) ins Deutsche übersetzt wurden.
(spr. berschenji),Daniel, einer der vorzüglichsten ungar. Dichter, geb. zu
Hétye im EisenburgerKomitat, besuchte die Schule zu Ödenburg,
[* 64] zeigte hier aber keine besondere Neigung
zum Studium und ward daher zum Landwirt bestimmt. Seit 1802 zu Nikla lebend, erwarb er sich durch Privatstudium ein bedeutendes,
namentlich philosophisches, Wissen und pflegte die Dichtkunst mit solchem Eifer und Erfolg, daß ihn 1830 die ungarische Akademie
zu ihrem Mitglied ernannte. Er starb in Nikla, wo ihm 1869 ein Denkmal errichtet wurde. Berzsényi gehört
mit zu den Begründern der nationalen Lyrik der Ungarn.
Seine ersten dichterischen Produktionen (»Versei«, in 3 Büchern) erschienen 1813, von Helmeczy ohne des Dichters Vorwissen
herausgegeben (2. vermehrte, von Berzsényi selbst besorgte Ausg. 1816),
und wurden von der Nation mit enthusiastischem
Beifall aufgenommen. Sie berührten zum Teil auch die politischen Verhältnisse des Landes in bedeutsamer Weise; namentlich
fand die »Klageode über den VerfallUngarns« bei der malkontenten und zum nationalen Chauvinismus aufgestachelten Jugend lebhaften
Widerhall. Neuere Ausgabe der Dichtungen Berzsényis besorgten Döbrentei (zuletzt Pest 1862) und Toldy (das. 1864, 2 Bde.).
[* 61] Gott der alten Ägypter, von zwerghafter, verkrüppelter und grotesker Gestalt, mit einem
Pantherfell bekleidet und mit hoher Federkrone geschmückt (s. Abbildung). Er ist jedenfalls fremden Ursprungs u.
erscheint in Ägypten
[* 67] häufiger seit der 20. Dynastie. Besa ist namentlich ein Gott der Kunst, des Gesangs und des Tanzes, überhaupt
der Freude; er spielt aber auch als Gott der Entbindung eine Rolle und hatte als solcher in den Tempeln besondere
Gemächer, die man Mommisi (Geburtsort) u. wohl weniger korrekt Typhonia genannt hat. Sein häufiges Vorkommen bei den Phönikern
u. Cypriern spricht dafür, daß er mit dem pygmäenhaften Vulcanus-Patäk im Zusammenhang steht, wie er denn auch
mit Venus in Beziehung gesetzt wird. Frühere Forscher haben Besa für den Typhon der Griechen gehalten; er ist aber von ihm verschieden.
Der Doubs hat hier nämlich durch eine Serpentine ein hohes, fast kreisförmiges Plateau ausgeschnitten, das überall steil
zum Fluß abfällt und nur durch einen schmalen Isthmus, der aber einen noch höhern Felsen (und darum jetzt die die
Halbinsel absperrende Citadelle, 125 m über dem Fluß) trägt, mit dem Land verbunden ist. Auf dieser natürlich festen Halbinsel
steht die Oberstadt, während sich, als der Raum zu eng wurde, am Scheitel der Schlinge und auf dem rechten Flußufer die Unterstadt
entwickelt hat.
Wie zahlreiche römische Altertümer und namentlich ein jetzt als Thor (Porte noire) dienender Triumphbogen
zeigt, war die Stadt unter dem NamenVesontio schon unter den Römern wichtig; bereits vor 1870 durch detachierte Forts verstärkt,
wurde sie in der jüngsten Zeit zu einem gewaltigen verschanzten Lager
[* 71] ausgebaut. Unter den Gebäuden ragen hervor: das Präfekturgebäude;
die Magdalenenkirche mit herrlichem Schiff;
[* 72]
der Justizpalast (aus dem 16. Jahrh.);
der ehemalige Palast des Kardinals Granvella
(von 1534), jetzt Sitz der gelehrten Gesellschaften von Besançon. Die Stadt zählt (1881) 47,332 Einw.,
hat zahlreiche Fabriken, darunter Eisenwerke, Maschinenfabriken und Brettsägen, und ist namentlich Mittelpunkt
der Uhrenindustrie des Departements, welche 13,000 Arbeiter beschäftigt und jährlich 335,000 Uhren
[* 73] (darunter ca. 114,000 goldene)
im Wert von mehr als 14 Mill. Fr. (d. h. über drei Viertel der gesamten Uhrenproduktion Frankreichs) liefert.