Zufolge der Staatsrechnung für 1883 betrugen die
Einnahmen 20,925,908
Frank (darunter: direkte
Steuern 3,685,078,
Salz
[* 3] 1,805,463,
Wirtschaftspatente etc. 1,123,160,
Ohmgeld1,084,528Fr.); die
Ausgaben 20,900,005
Fr. (darunter
Erziehung 1,998,403, Bauwesen
1,701,549,
Justiz und
Polizei 1,749,012
Fr.). Das Stammvermögen belief sich Ende 1883 auf 156,930,431
Fr.
Aktiva und 107,290,315
Fr. Passiva, mithin wirkliches
Vermögen 49,640,116
Fr., ungerechnet 4,161,408
Fr. an Spezialfonds. Das
Kantonswappen: ein roter
Schild,
[* 4] worin im goldenen Rechtsschrägbalken ein schwarzer
Bär schreitet (s. Abbildung). Eingeteilt
wird der
Kanton
[* 5] in 30
Amtsbezirke.
Die Stadt Bern,
in 540 m Meereshöhe gelegen, ist zwar immer noch Sitz und
Zentrum reicher Patriziergeschlechter, aber
eine Handelsstadt im gewöhnlichen
Sinne nicht mehr. Dennoch laufen mehrere
Eisenbahnen (die
LinienOlten-Bern-Thun, Bern-Luzern,
Jura-Bern und Bern-Lausanne) hier zusammen, eine
Folge ihrer
Lage und ihrer
Eigenschaft als Bundeshauptstadt. Sie wird auf drei
Seiten von der tief gebettetenAare umrauscht und ist eine der schönsten Schweizerstädte wegen der massiven,
stolzen
Wohnhäuser,
[* 6] der breiten, geraden
Straßen und Wege, der
Arkaden oder Bogengänge
(»Lauben«),
welche an den
Häusern zu
beiden Seiten der
Straße sich hinziehen. Von der
Plattform aus, 30 m über der
Aare, genießt man eine herrliche Aussicht auf
die
Alpen.
[* 7] Unter den Sehenswürdigkeiten steht der Bundespalast, ein neuer Prachtbau auf weit schauender
Terrasse, mit zwei
Flügeln und vor dem Eingang des Mittelbaues durch das eherne Standbild der Berna (von R.
Christen) geschmückt,
obenan. Diesem Gebäude (1852-57 nach den
Plänen von Kubli und
Stadler gebaut) reihen sich das ehrwürdige (reformierte)
Münster
[* 8] im spätgotischen
Stil mit unvollendetem
Turm und
[* 9] schönem
Portal, das Bürgerspital, das
Kunst- und das naturhistorische
Museum, das
Gymnasium, das Frauenspital, die
Blindenanstalt und das Verwaltungsgebäude der
Jura-Bern-LuzernerBahn, verschiedene
vornehme
Hotels, die 1841-44 erbaute Nydeck-, die 1883 erbaute prächtige Kirchenfeldbrücke (s. Tafel
»Brücken«)
[* 10] und die
Eisenbahnbrücke an. Außerhalb der Stadt sind sehr bemerkenswert die Militäranstalten
auf dem Beundenfeld und das neue Inselspital bei der
Linde. Eine prachtvolle
Fontäne sprudelt beim
Bahnhof. Auf dem Platz vor
dem
Münster steht das Denkmal
Rudolfs vonErlach, des Siegers in der
Schlacht bei
Laupen. Ein andres Denkmal ist das
Bertholds
V. von
Zähringen (auf der Münsterterrasse), des
Gründers von und aus
der großen
Schanze dasjenige des
BundespräsidentenStämpfli. Die Stadt zählt (1880) 44,087 Einw. (darunter 3456 Katholiken
und 387
Juden). - Die
Industrie erstreckt sich auf die Fabrikation von
Stroh- und Seidenhüten,
Seiden- und Baumwollwaren,
Bijouterien,
ferner Buchdruckerei.
so ragte die
BernerAristokratie mehr auf dem
Felde der
Krieger und
Regenten hervor. Doch
besitzt Bern seit 1834 eine
Universität, die 1884: 81
Dozenten und 409 Studierende (darunter 36 weibliche, wovon 28 Russinnen)
zählte. Zur
Universität gehört die Tierarzneischule mit 8
Lehrern und 44 Hörern. Die Kantonschule wurde
durch städtische
Mittelschulen ersetzt. Von
Bibliotheken sind zu erwähnen: die eidgenössische Zentralbibliothek mit 20,000
Bänden, die Stadtbibliothek (75,000
Bände), die
Bibliothek der Lesegesellschaft (45,000
Bände) und die Studentenbibliothek
(10,000
Bände). Bern ist Sitz der Bundesbehörden (seit 1848), eines altkatholischen
Bischofs und der bei der
Schweiz
[* 14] akkreditierten
Gesandten.
Die Zeit der römischen Herrschaft in Helvetien hat im Gebiet des heutigen
Kantons Bern nur geringe
Spuren hinterlassen. In der
Völkerwanderung begegneten sich hier
Alemannen und
Burgunder, mit deren Unterwerfung das Land unter fränkische Herrschaft
kam. Seit 888 ein
Bestandteil des neuburgundischenReichs, fiel es mit diesem 1032 an
Deutschland.
[* 15] Die
Zähringer,
welche 1156 von
Barbarossa das »Rektorat« über das diesseit des
Jura gelegene
Burgund erhalten hatten, suchten den widerspenstigen
Adel durch Anlegung fester
Waffenplätze
[* 16] im
Zaum zu halten; so gründete im Mai 1191 Berchtold V. die Stadt Bern, welche er wohl
zum Andenken an die ehemals von seinem
Haus besessene Markgrafschaft
Verona
[* 17] (Welschbern) so benannte. Da
die Stadt auf Reichsgrund lag, wurde sie mit dem
Tod ihres
Gründers, in welchem das
Geschlecht erlosch, 1218 thatsächlich
reichsfrei, obschon die »goldene
Handfeste« des
KaisersFriedrich II. vom 17. Mai d. J. als eine
Fälschung aus
späterer Zeit erwiesen worden ist.
Um den Nachstellungen der mächtigen
Grafen von
Kyburg zu entgehen, welche die schweizerischen Allodien der
Zähringer geerbt
hatten, begab sie sich 1255 in ein Schirmverhältnis zu
Savoyen, wodurch sie in den Streit dieses
Hauses gegen
Rudolf vonHabsburg
verwickelt wurde und wiederholte Belagerungen von seiten des letztern zu erdulden hatte (1288-89). Ein
Sieg, den Bern 1298 über das österreichische Freiburg
[* 18] und den mit ihm verbündeten
Adel am Dornbühl erfocht, begründete seine Macht.
Es benutzte dieselbe, um die benachbarten
Dynasten zu zwingen,
Bürger in der Stadt zu werden, was sie zur Kriegsfolge verpflichtete
und ihr Gebiet indirekt unter die Herrschaft von Bern brachte.
Andre Besitzungen wurden durch
Kauf erworben,
wie
Thun (1323),
Laupen (1324), die Reichsvogtei über Hasli (1334). 1339 vereinte sich fast der gesamte
Adel des schweizerischen
Burgund mit Freiburg
gegen Bern, wurde aber von diesem mit
Hilfe der
Ursprünglich stand die höchste Gewalt bei der Bürgergemeinde, welche Rat und Schultheiß wählte; aber darin, daß das Regiment
naturgemäß den zahlreichen edlen Geschlechtern, die sich in der Stadt eingebürgert hatten, zufiel,
und daß die Handwerker nie dazu gelangen konnten, ihren Innungen politische Bedeutung zu verleihen, lag der Keim zur aristokratischen
Entwickelung. Schon 1294 gingen die Befugnisse der Bürgergemeinde größtenteils auf einen Bürgerausschuß von 200 Mitgliedern
über, der fortan Schultheiß und (Kleinen) Rat wählte. Im 15. Jahrh. wurden die 200 vom KleinenRat und
den »Sechzehnern« gewählt, welch letztere wiederum, 4 aus jedem Viertel, von den 4 Vorstehern der 4 Stadtviertel, den »Vennern«
(Bannerträgern), ernannt wurden; diese mußten aus den 4 Gesellschaften der Pfister (Bäcker), Gerber, Metzger und Schmiede genommen
werden, ihre Wahl aber stand beim Rate der 200. So hatte die Gemeinde alle Einwirkung auf die Wahlen verloren,
die verschiedenen Wahlkollegien ernannten oder bestätigten sich gegenseitig, und die Ämter wurden faktisch lebenslänglich.
Im 17. Jahrh. bestand der (Kleine) Rat aus 2 Schultheißen, die jährlich miteinander abwechselten, 2 Säckelmeistern, 4 Bennern, 17 Ratsherren
und 2 Heimlichern, welch letztere die besondern Vertreter der 200 waren, und wurde jährlich von diesen
ergänzt und bestätigt; die 200 aber ergänzten sich teils selbst, teils durch die von ihnen aus ihrer Mitte gewählten
Sechzehner, teils durch den (Kleinen) Rat. So war es möglich, daß sich eine Anzahl von Familien ausschließlich
der Regierung bemächtigten.
Nachdem die Erwerbung des Bürgerrechts immer schwieriger gemacht worden war, erfolgte 1680 ein Beschluß, wonach nur diejenigen
Familien, welche vor 1643 Bürger geworden waren, für »regimentsfähig« erklärt wurden. Die
Namen derselben, 360 an der Zahl, wurden in das »rote Buch« eingetragen. Alle später aufgenommenen bildeten die
niedrigere Klasse der »ewigen Habitanten«, die jedoch wieder vor den bloßen »Ansässen«
durch die Erlaubnis, Handel und Handwerk zu treiben und Häuser zu besitzen, bevorzugt waren.
Von den »regimentsfähigen« waren aber nur 80 wirklich »regierende«;
von diesen konnten wieder 30 ihre adlige Herkunft erweisen und maßten sich ausschließend den Namen »Patrizier«
an, zerfielen aber wiederum in »wohledelfeste«, »edelfeste«
und »feste«. Die
Staatsämter, welche Alleinbesitz dieser Familien wurden, waren sehr einträglich; man schlug das »Barett«,
das Abzeichen der ratsherrlichen Würde, zu 30,000 Thlr. an; insbesondere boten die 62 Landvogteien, die auf 6 Jahre vergeben
wurden, eine reiche Einnahmequelle.
Das nach dem bernischen Staatsschatz lüsterne französische Direktorium bot den unzufriedenen Waadtländern die Hand,
[* 22] und indem
Bern trotz heldenmütigen Widerstandes bei Fraubrunnen und Neueneck der französischen Übermacht
erlag, stürzte die Aristokratie zusammen. Durch die helvetische Verfassung wurden Waadt,
Aargau
und Oberland als besondere Kantone von Bern losgerissen.
Die Mediationsakte hielt 1803 die Selbständigkeit der Waadt
und des Aargaus aufrecht, vereinte dagegen wieder das Oberland mit
und gab dem Kanton, der vor 1798 ein Aggregat der verschiedenartigsten Bestandteile mit mannigfaltigen Lokal-
und Partikularrechten gewesen war, seine gegenwärtige Einheit. Am erklärte die Regierung unter dem DruckÖsterreichs
die Mediationsverfassung für aufgehoben und legte ihre Gewalt in die Hände des patrizischen Rats von 1798 nieder, der sofort
seine Souveränität auch über Waadt
und Aargau
geltend zu machen suchte.
Allein diese Ansprüche scheiterten an dem entschiedenen Widerstand jener Kantone und an der Einsicht der Mächte. Dagegen
erhielt Bern vom Wiener Kongreß als Entschädigung den größten Teil des ehemaligen Fürstbistums Basel
[* 23] (BernerJura). Im Innern wurde
die alte Verfassung hergestellt mit der Milderung, daß das Bürgerrecht der Stadt geöffnet und dem Rate
der Zweihundert 99 Vertreter der Landschaft hinzugefügt wurden Die Julirevolution gab auch in Bern den Anstoß
zur demokratischen Umgestaltung des Staatswesens.
Auf das stürmische Verlangen einer am zu Münsingen abgehaltenen Volksversammlung berief der GroßeRat einen Verfassungsrat
von 240 Mitgliedern, der nach der Volkszahl von den Gemeinden gewählt wurde. Die neue, am 31. Juli angenommene
Verfassung hob die Vorrechte der Stadt gänzlich auf und setzte proportionale Vertretung im GroßenRat fest, dessen Wahl jedoch
indirekt durch Wahlmänner erfolgte. Die gestürzten Patrizier trugen sich eine Zeitlang mit gewaltsamen Umsturzplänen, deren
Entdeckung (August 1832) einen Monsterprozeß herbeiführte, welcher ihren Einfluß vollkommen brach. 1834 wurde die Hochschule
gegründet.
Bei den spätern Neuwahlen wurde die konservative Partei immer schwächer und zuletzt ganz aus der Regierung
gedrängt, worauf auch ihre Schöpfungen, das Preßgesetz etc., fielen. Durch eine vom Volk angenommene Partialrevision
wurde das obligatorische Referendum über Gesetze, größere Ausgaben und das vierjährige Budget eingeführt. Der Kanton Bern wurde
von den kirchlichen Kämpfen, welche 1872 in der Schweiz ausbrachen, besonders berührt. Als die Regierung
nach der Amtsentsetzung des Bischofs Lachat den katholischen Geistlichen des Kantons jeden Verkehr mit demselben untersagte,
kündigten 97 Geistliche aus dem Jura, dem katholischen Landesteil Berns, in einer Zuschrift an die Regierung dieser den Gehorsam
auf, worauf sie, soweit sie Pfarrstellen bekleideten, gerichtlich derselben entsetzt wurden (September 1873).
Zugleich regelte ein Kirchengesetz, welches vom Volk mit ca. 70,000 gegen 17,000 Stimmen angenommen wurde, die Beziehungen
zwischen Staat und Kirche, so daß Zivilstand, Ehe und Begräbnis bürgerlich geordnet, den Gemeinden die Pfarrwahlen übertragen
und als höchste kirchliche Behörde für beide Konfessionen
[* 26] die Kantonsynoden eingesetzt wurden und jede
bischöfliche Jurisdiktion von der Bewilligung der Regierung abhing. Da nur die Altkatholiken sich den Bestimmungen dieses
Gesetzes unterwarfen, während die Römisch-Katholischen erklärten, dasselbe niemals annehmen zu können, so gingen
alle landeskirchlichen Privilegien, Staatsbesoldungen, Kirchen, Pfarrhäuser und das Kirchenvermögen an die altkatholische
Kirche über, während sich die Römischen in die Stellung eines Privatvereins gedrängt sahen.
An der Universität Bern wurde im November d. J. eine altkatholisch-theologische Fakultät errichtet. Die Unruhen im Jura wurden
durch Militär unterdrückt und die abgesetzten Geistlichen ihrer Agitation wegen aus den jurassischen Amtsbezirken ausgewiesen.
Da jedoch der Bundesrat auf den Rekurs der Betroffenen hin diese Ausweisung für ungesetzlich erklärte
und die Bundesversammlung ihm beistimmte, mußte die bernische Regierung das Ausweisungsdekret zurücknehmen; sicherte
sich aber vorher durch das Kultuspolizeigesetz vom 14. Sept. gegen neue Ausschreitungen. Da indes die Subventionierung der Jura-
und Bern-LuzernerBahn, der Rückkauf der letztern, als sie zum Konkurs kam (Januar 1877), sowie andre bedeutende
Ausgaben den Staat mit Schulden überhäuften und die Staatsrechnung Jahr für Jahr bedeutende Defizits aufwies, so entstand
Unzufriedenheit im Volke gegen die
herrschenden Persönlichkeiten, und dasselbe versagte dem vierjährigen Budget seine
Genehmigung.
Bei den Neuwahlen zum GroßenRat Ende Mai 1878 behielt zwar die radikale Partei die Oberhand, die Regierung
aber wurde fast völlig neu bestellt. Zugleich traten auch die kirchlichen Angelegenheiten in eine neue Phase, indem die Römisch-Katholischen
sich dem Kultusgesetz unterwarfen, wogegen der GroßeRat die abgesetzten Geistlichen für wieder wählbar erklärte. Im März 1879 beteiligten
sich die Ultramontanen bei den Erneuerungswahlen der Geistlichen und siegten in vielen Gemeinden, doch
sicherte die Regierung den altkatholischen Minderheiten die Mitbenutzung der Kirchen.
Die seit einiger Zeit in der ganzen Schweiz bemerkliche rückläufige Strömung ermutigte die bernischen
Konservativen 1883 zu einem erneuten Sturm auf das liberal-radikale Regiment. Sie konstituierten sich als sogen. Volkspartei,
bemächtigten sich der schon seit Jahren schwebenden Frage einer Revision der Verfassung von 1846 und sammelten die zum Verlangen
einer Volksabstimmung nötigen Unterschriften. Da nun auch die radikalen Wortführer und Organe sich für
die RevisionAussprachen, wurde dieselbe in der Volksabstimmung vom 3. Juni mit großer Mehrheit beschlossen und einem besondern
Verfassungsrat übertragen.
Die Wahlen zu diesem fielen jedoch zu Ungunsten der Volkspartei aus, indem zwei Drittel der Gewählten den Radikalen angehörten.
Der Verfassungsrat begann sein Werk und beendete es Das neue Grundgesetz sollte
namentlich Reformen im Gemeinde- und Armenwesen bringen und bestimmte die Erträgnisse der Bürgergüter, die bis dahin ausschließlich
den Korporationen der Bürgergemeinden zu gute kamen, für die Bedürfnisse der Gesamtgemeinden, wurde aber mit
55,612 gegen 31,547 Stimmen vom Volk abgelehnt.
Vgl. v. Tillier, Geschichte des eidgenössischen Freistaats
Bern (Bern
1838-40, 6 Bde.);
Antonio Bernabei, geb. 1659, welcher ihm in seiner MünchenerStellung folgte und daselbst 1732 starb, ist ebenfalls als Komponist
von Opern und verschiedenen Werken für die Kirche bekannt.
(spr. -nacki),Antonio, Sänger (Kastrat), geb. 1690 zu Bologna, wurde in der Schule des Pistocchi im Kunstgesang
ausgebildet, sang bereits 1716-17 in London,
[* 30] wurde darauf an die kurfürstlich bayrische und später an
die kaiserliche Hofkapelle in Wien
[* 31] berufen und 1729 von Händel aufs neue für London engagiert als der zur Zeit berühmteste
italienische Sänger. Im J. 1736 kehrte er nach Bologna zurück und folgte hier seinem Lehrer in der Leitung jener
ausgezeichneten Kunstgesangschule, welche im Lauf desJahrhunderts ganz Europa
[* 32] mit Gesangsvirtuosen versah. Er starb im März 1756. Die 1834 von
Manstädt veröffentlichte »Große Gesangschule des Bernacchi von Bologna« rührt nicht von Bernacchi her, sondern hat sich nur dessen Lehrmethode,
soweit dieselbe durch Tradition erhalten ist, zum Muster genommen.
Man pries ihn als den französischen Anakreon; Madame de Pompadour ließ ihn zum königlichen Bibliothekar ernennen,
und Voltaire gab ihm den Beinamen »Gentil«, der ihm geblieben ist. Sein lascives Gedicht »L'art d'aimer« (nach Ovid) las er
mit großem Erfolg in den Salons vor; als es aber schwarz auf weiß vorlag (1775, mit Bildern; neue Ausg. 1874),
wurde es
als geistlos und gesucht bald vergessen. Außerdem hat man von ihm das Ballett »Les surprises de l'amour«,
ein Gedicht in vier Gesängen: »Phrosine et Mélidor« (1772), und kleinere Gedichte, Episteln und Oden. Er starb
nachdem er schon in den letzten vier Jahren infolge seiner Ausschweifungen Anfälle von Geistesstörung erlitten hatte. Seine
Werke (1776) sind wieder herausgegeben von Fayolle (1803, 2 Bde.).
2) Charles de, eigentlich Ch. Bernard du Grail de la Villette, franz. Schriftsteller, geb. 1805 zu Besançon,
[* 39] machte sich durch seine
nach 1830 in verschiedenen Zeitschriften erscheinenden Romane einen berühmten Namen. Er starb Ein SchülerBalzacs
in seinem Realismus und in der Feinheit psychologischer Charakterstudien, unterscheidet er sich von ihm
durch Klarheit und Energie der Komposition und seinen eleganten, durchgebildeten Stil. Sein erster Roman: »Le
[* 40] Gerfaut« (1838, 2 Bde.),
fand wegen der vorzüglichen Schilderung der litterarischen Welt großen Beifall. Viel gelesen (auch ins Deutsche
[* 41] übersetzt)
wurden die Novellen: »La femme de quarante ans«, »Un
acte de vertu«, »L'arbre de science«, »Une
aventure de magistrat«;
Gesammelt erschienen: »Poésies et théâtre« (1855) und zwei Sammlungen der Novellen (1854).
3) Claude, Physiolog, geb. zu St.-Julien bei Villefranche, studierte in ParisMedizin, wurde 1854 Professor der allgemeinen
Physiologie an der Universität und 1855 Professor der Experimentalphysiologie am Collège de France. Unter
Napoleon III. gehörte er dem Senat an. Er starb in Paris. Seine ersten Untersuchungen betrafen die Rolle, welche
die verschiedenen Absonderungen im Magen
[* 42] und Darmkanal bei der Verdauung spielen. Es folgten dann andre Arbeiten über den
Speichel, den Darmsaft und über die Einwirkung der Nerven
[* 43] auf die Verdauung, den Atmungsprozeß und den Blutumlauf. Er bewies,
daß der Saft der Bauchspeicheldrüse das eigentliche Verdauungsmittel für die genossenen Fettstoffe ist, und machte in derselben
Zeit die wichtige Entdeckung von der zuckerbereitenden Thätigkeit der Leber. Er wies ferner den Einfluß
des Nervensystems auf die Thätigkeit der Leber nach, und es gelang ihm, durch experimentale Verletzung gewisser Nerventeile
im Gehirn
[* 44] bei Tieren willkürlich die Krankheit der Zuckerharnruhr (Diabetes) zu erzeugen. 1852 publizierte er seine Arbeit über
den sympathischen Nerv und über den Einfluß, den die Durchschneidung desselben auf die tierische Wärme
ausübt. Seine »Leçons de physiologie expérimentale appliquée à la médecine« (Par. 1850, neue Aufl. 1865) sind hinsichtlich
der methodischen Behandlung des Stoffes mustergültig und geben überall Andeutung, wie sich die Früchte der physiologischen
Wissenschaft für die Heilkunde verwerten lassen. Er schrieb noch: »Leçons sur les effets des substances toxiques
et médicamenteuses« (1857, 2. Aufl. 1883);
»Introduction à l'étude de la médecine expérimentale« (1865),
Landsitz Overroß in Herefordshire. Er schrieb: »Lectures on diplomacy« (1868);
»Neutrality of Great Britain in the American
war« (1870) u. a.
5) Thalès, franz. Dichter und Schriftsteller, geb. zu
Paris, bekleidete 1846-49 einen Posten im Kriegsministerium, widmete sich dann der litterarischen Thätigkeit und starb in
Paris. Außer verschiedenen Übersetzungen aus dem Deutschen und den Romanen: »Couronne de St.-Étienne«
(1852) und »Les rêves du commandeur« (1855) sind von ihm besonders mehrere
Bände origineller Gedichte, wie: »Adorations. Poésies« (1855),
übertragen, der, 1715 zu
Wien geboren, eine MengeStücke (Bernardoniaden) lieferte, die mit ihren Feuerwerken, Pantomimen, Fratzen, Zoten etc. damals
in Wien wie anderwärts großen Beifall fanden. Sein Hauptwerk führt den Titel: »Eine neue Tragödia, betitelt: Bernardon, die getreue
Prinzessin Pumphia, und HannsWurst, der tyrannische Tatar-Kulikan. Nebst einer Kinderpantomime, betitelt:
Kolekin, der glücklich gewordene Bräutigam« (1756, neuer Abdruck 1883). AndreStücke sind: »Bernardon im Tollhaus«;
»Die Judenhochzeit, oder Bernardon, der betrogene Rabbiner«, Singspiel;
oder der ohne Holz
[* 55] lebendig verbrannte Zauberer«
etc. Bernardon spielte auch in Prag
[* 56]
und München und begab sich später nach Polen, wo er um 1786 in Warschau
[* 57] starb.
(spr. -näh, das alte Bernacum), Arrondissementshauptstadt im franz.
DepartementEure, an der Charentonne und der Westbahn, Sitz eines Handelsgerichts, mit mehreren schönen
Kirchen, einer ehemaligen Benediktinerabtei (1078 gestiftet), jetzt Amtsgebäude, einem Collège, einer Bibliothek und (1881) 6494 Einw.
Der Ort hat Baumwollspinnereien, Band-, Kattun- und Leinwandfabriken, Bleichereien, Glashütten etc. und treibt ansehnlichen Handel.
Namentlich ist Bernay einer der bedeutendsten Pferdemärkte Frankreichs und ein fast ebenso wichtiger Woll- und Getreidemarkt.
Bernay ward 1449 den Engländern entrissen, 1563 von Coligny und 1589 vom Herzog von Montpensier erstürmt und
verbrannt.
1) Jakob, Philolog, geb. zu Hamburg
[* 66] von jüdischen Eltern, studierte 1844-48 in Bonn,
[* 67] habilitierte
sich daselbst 1849, war seit 1853 Lehrer am jüdisch-theologischen Seminar zu Breslau
[* 68] und las zugleich an der
Universität, kehrte 1866 als außerordentlicher Professor und Oberbibliothekar nach Bonn zurück und starb daselbst Er
hat sich besonders um die philosophische Litteratur der Griechen verdient gemacht. Seiner Erstlingsschrift: »Heraclitea« (Bonn
1848),
folgten: das »Florilegium renasc. latinitatis« (das. 1849);
Übersetzungen der drei ersten Bücher von
Aristoteles' »Politik« (das. 1872) und der unter Philons Werken stehenden Schrift »Über die Unzerstörbarkeit des Weltalls«
(das. 1877);
Seine »Gesammelten Abhandlungen« gab Usener heraus (Berl. 1885).
2) Michael, Litterarhistoriker, Bruder des vorigen, geb. zu Hamburg, studierte 1853-56 in Bonn
und Heidelberg
[* 70] Litteraturgeschichte mit dem Vorsatz, sich künftig der akademischen Lehrthätigkeit zu widmen, habilitierte
sich 1872 zu Leipzig
[* 71] und folgte im Mai 1873 einem Ruf als außerordentlicher Professor der Litteraturgeschichte an die Universität
zu München, wo er 1874 zum ordentlichen Professor ernannt wurde. Von seinen Publikationen sind anzuführen: »Über Kritik
und Geschichte des Goetheschen Textes« (Berl. 1866),
der erste gelungene Versuch, den Text eines neuern Autors nach der im Gebiet
der klassischen Philologie festgesetzten Methode zu behandeln;
Karl von, pseudonym KarlCarl, bekannter Theaterdirektor, Schauspieler und Bühnenschriftsteller, geb.
beteiligte sich als Fähnrich in österreichischen Diensten an dem Feldzug von 1809, ward gefangen und sollte
erschossen werden. Infolge von Fürsprache freigelassen, trat er im Josephstädtischen Theater in
[* 72] Wien als Schauspieler auf,
ging dann nach München und ward 1812 an der zweiten Hofbühne daselbst engagiert. Zunächst thätig im Fach tragischer Liebhaber,
trat er später mit großem Erfolg in das Fach des Derbkomischen über, dem er sich nun vollständig widmete.
Er ward darin so sehr der Liebling des Publikums, daß man ihm 1822 das Isarthortheater in Pacht gab.
Für dieses schuf er seine köstlichen komischen Staberliaden. 1825 reiste er mit seiner Gesellschaft nach Wien, wo er nach
seiner 1826 erfolgten Pensionierung als bayrischer Hofschauspieler das Theater an der Wien mit dem JosephstädterTheater vereinigte und dirigierte. 1832 gab er das JosephstädterTheater auf, kaufte 1838 das LeopoldstädterTheater und erbaute
an der Stelle desselben, nachdem er 1845 das Theater an der Wien verloren hatte, das Carltheater, welches 1847 eröffnet wurde.
Bernbrunn starb in Ischl
[* 73] als mehrfacher Millionär. Unter seinen Possen machte »Staberl in
Floribus«
ein unerhörtes Glück. Als Schauspieler wirkte er besonders durch seinen Geist und die Gabe, sich auf lächerliche Weise umgestalten
zu können; als Direktor war er ausschließlich spekulierender Geschäftsmann.
Vgl. Kaiser, Theaterdirektor Carl (2. Aufl.,
Wien 1854).
[* 69] Kreisstadt im Herzogtum Anhalt,
[* 74] früher Hauptstadt der LinieAnhalt-Bernburg, liegt 55 m ü. M. an beiden Ufern der
Saale, über welche eine Brücke
[* 75] führt, und an der LinieWittenberg-Aschersleben der Preußischen Staatsbahn und besteht aus
der Alt- und Neustadt
[* 76] mit der Vorstadt Waldau auf dem linken und der Bergstadt auf dem rechten Saaleufer,
welch letztere bis 1824 eigne Stadtgerechtigkeit und Obrigkeit hatte. Unter den 4 evang. Kirchen sind die Marienkirche in der
Altstadt und die Schloßkirche hervorzuheben; außerdem 1 kath. Kirche. Unter den öffentlichen Gebäuden ist besonders das
uralte Schloß bemerkenswert, das am südlichen Ende der Bergstadt auf hohem Felsen steil über der Saale
liegt und mit seinem nördlichen Turm (dem RotenTurm oder sogen. Eulenspiegel) weithin sichtbar ist; ferner das Rathaus mit einem
astronomisch-geographischen Kunstuhrwerk, das Stadttheater etc. Bernburg zählte 1880 mit
der Garnison (1 Bataillon Nr. 93) 18,593 Einw. (492 Katholiken und 344 Juden) und hat eine ansehnliche Industrie:
Eisengießerei
[* 77] und Maschinenfabrik, Fabriken für Dampfkessel,
[* 78] Zucker
[* 79] (3), Thonwaren,
[* 80] Papier, Kohlenstein, Steingut- und Thonwaren,
Soda, Blei- und Zinkwalzwerke;
Auch gibt es eine Landes-Heil- und Pfleganstalt und Asyle für Leidende und zu Bessernde.
Bernburg ist Sitz eines Amtsgerichts nebst Strafkammer und einer Reichsbanknebenstelle. Die Umgebung ist angenehm und äußerst
fruchtbar und die Lage der Stadt, namentlich die der Bergstadt, sehr gesund. Die Altstadt Bernburg wurde schon 992 von KaiserOtto
III. befestigt, die Neustadt wahrscheinlich im 13. Jahrh. angelegt. Im J. 1138 in der Fehde zwischen Albrecht
dem Bären und HerzogHeinrich dem Stolzen wurde das Schloß Bernburg, das damals der Eilike, MutterAlbrechts, gehörte, von den Leuten
des Herzogs erobert und verbrannt. Im Dreißigjährigen Krieg nahmen die Schweden unter Holk die Stadt ein und nochmals 1636,
wo sie aber bald wieder von den Sachsen
[* 82] daraus vertrieben wurden. Bernburg war bis 1448 Residenz der Fürsten
der alten Bernburger Linie und dann (seit 1498) Witwensitz. Seit der Teilung von 1603 war es Hauptstadt der jüngern Bernburger
Linie, welche 1863 erlosch (s. Anhalt); jetzt ist Bernburg Hauptort eines Kreises. In der Nähe liegt die berühmte
SalineLeopoldshall.