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den Provinzen Antwerpen [* 2] und Brabant, Roggen in Brabant und Ostflandern, Hafer [* 3] in Luxemburg, [* 4] Namur [* 5] und Hennegau, Spelz in Namur, Gerste [* 6] und Flachs in Flandern und Hennegau, Buchweizen in Ostflandern und Antwerpen, Runkelrüben in Hennegau, Lüttich [* 7] und Brabant, Kartoffeln in Brabant, Flandern und Antwerpen angebaut. Von den 2,945,539 Hektar, welche die Gesamtfläche des Königreichs umfaßt, wurden 1866: 2,663,753 Hektar bebaut und zwar zur Hälfte in Pacht. Die Ausfuhr von Ackerbauprodukten (Getreide [* 8] und Mehl) [* 9] hat sich im letzten Jahrzehnt sehr gehoben, sie stieg von 278,650 metr. Ztr. (1870) auf 5,226,680 metr. Ztr. im Wert von 134 Mill. Fr. (1882). Noch stärker hat die Einfuhr zugenommen, sie hat 1882 den Wert von 346½ Mill. Fr. erreicht.
An Haustieren gab es Pferde [* 10] 1880: 271,974 (relativ die meisten in Namur und Luxemburg, im ganzen 5 auf 100 Einw.). Für die Veredelung der Pferde wird durch Gestüte (Staatsgestüt zu Tervueren) viel gethan. Hornvieh gab es 1880: 1,382,815 Stück (die meisten in Ostflandern), im ganzen 25 Stück auf je 100 Einw. Schafe [* 11] gab es in Belgien 1880: 365,400 (die meisten in Luxemburg), Schweine [* 12] 646,375 (die meisten in Ostflandern). Von Flandern gehen auch abgehäutete Kaninchen [* 13] in großen Mengen nach England, während die Felle nach Frankreich, Rußland und Amerika [* 14] versandt werden.
Die Bienenzucht [* 15] blüht in der Campine. Groß ist der Reichtum an See- und Flußfischen. Den Seefischfang betrieben 1882: 300 Fischerboote von 10,047 Ton. und einer Besatzung von 1733 Mann, wovon zwei Drittel auf Ostende [* 16] entfallen. Der Ertrag ist sehr wechselnd; so betrug er 1882 an Kabeljau 868 T. (gegen 3143 in 1856), während der große Heringsfang seit 1864 ganz aufgehört hat. Die Kleinfischerei auf Hering brachte 1882: 100,000 Fr., der Fang ungesalzener Seefische 3,038,000 Fr. an Wert.
Die Waldungen, welche sich im Laufe von 40 Jahren von 20 Proz. des Areals auf 12 Proz. vermindert haben, sind in den südlichen Provinzen und Brabant am bedeutendsten. Darunter finden sich große Anpflanzungen von Weiden und kanadischen Pappeln, von denen erstere zum Korbflechten, letztere zum Verfertigen von Holzschuhen, womit sich im Waesland Tausende von Menschen beschäftigen, verwendet werden. An wilden Tieren finden sich hier und da noch Wölfe in den Eichenwäldern der Ardennen, Wildbret ist nicht zahlreich vorhanden.
Der mineralische Gehalt Belgiens ist bedeutend und ziemlich mannigfaltig, namentlich in den Provinzen Hennegau, Namur, Luxemburg und Lüttich, wo er einen ansehnlichen Bergbau [* 17] hervorgerufen hat. Obenan unter den unterirdischen Schätzen des Landes steht die Steinkohle, deren weites Lager [* 18] von W. nach O. sich beinahe durch ganz Belgien erstreckt. Es teilt sich in zwei Hauptbassins, westlich und östlich vom Fluß Sambre in der Provinz Namur. Das beträchtlichere westliche zieht über Namur in das Sambrethal, erreicht bei Charleroi eine Breite [* 19] von 22 km von N. nach S. und wendet sich dann in einer Breite von etwa 15 km gegen Mons [* 20] und weiter gegen Valenciennes und Douai. Es mißt 45 km in Namur und 97 km im Hennegau und hat in Belgien eine Ausdehnung [* 21] von 900 qkm (16,4 QM.). Das östliche Becken bildet mit dem erstern einen Winkel [* 22] von etwa 32°. Es folgt dem Thal [* 23] der Maas, erweitert sich bis über Lüttich hinaus, wo es eine Breite von 22 km von N. nach S. erreicht, und verläuft sich im holländischen Limburg [* 24] und in Rheinpreußen. Es hat 97 km Länge, wovon 15 in Namur, 81 in Lüttich liegen, und eine Oberfläche von 540 qkm (10 QM.); das Ganze beträgt fast ein Zwanzigstel des Areals.
Die Mächtigkeit dieses Kohlenlagers ist nicht durchweg gleich. Oft finden sich nur Spuren von Kohle, während sie an andern Stellen wieder in fast 2 m Mächtigkeit auftritt. 1882 zählte man 271 konzedierte Minen mit 103,701 Arbeitern, davon die meisten im Hennegau und in Lüttich, welche eine Ausdehnung von 1445 qkm hatten und an Kohlen 17,590,989 Ton. im Wert von 176 Mill. Fr. lieferten. Der Überschuß der Ausfuhr (meist nach Frankreich) über die Einfuhr betrug 1883 jedoch nur 3,2 Mill. T. Auch an Lagern verschiedener Erze, als Eisen, [* 25] Blei, [* 26] Kupfer [* 27] etc., ist Belgien reich; doch hat die Bebauung derselben seit ca. 15 Jahren sehr abgenommen. Die Arbeiterzahl ist daher seit 1865 von 11,813 auf (1882) 2312 gesunken. Die Produktion von Mineralien [* 28] betrug:
1865 | 1882 | |||
---|---|---|---|---|
Tonnen | Wert Frank | Tonnen | Wert Frank | |
Eisen | 1018231 | 9829516 | 208867 | 1591250 |
Blende | 14657 | 851348 | 2171 | 105890 |
Galmei | 41528 | 2267574 | 18272 | 601130 |
Bleiglanz | 14658 | 2314200 | 2918 | 486150 |
Schwefelkies | 31818 | 640493 | 2555 | 21290 |
Belgien besaß 1880: 417 Etablissements zur Verarbeitung der Mineralien, darunter 317 für Eisen und 66 für Glas. [* 29] Hochöfen waren 36 (1882: 33) thätige vorhanden, welche 1882: 726,946 Ton. Erz im Wert von 43,8 Mill. Fr. produzierten. Gießereien gab es 179, welche 1880: 82,100 T. im Wert von 15,22 Mill. Fr. produzierten, an Eisenfabriken speziell 1882: 84 mit einer Produktion von 503,113 T. im Wert von 83,9 Mill. Fr. Außerdem bestanden 1880:
Etablissements | zur Bearbeitung von | Produktion Tonnen | Wert Frank |
---|---|---|---|
2 | Stahl | 99096 | 17771000 |
5 | Blei | 8204 | 3132920 |
5 | Kupfer | 2085 | 3895000 |
21 | Zink | 85008 | 37820090 |
1 | Alaun | 1500 | 180000 |
Die Zahl der in sämtlichen mineralogischen Etablissements (die Glasindustrie inbegriffen) beschäftigten Arbeiter betrug 1882: 41,259. Marmor ist an manchen Orten im Überfluß vorhanden und wird ausgeführt; der gesuchteste ist der von Dinant und Gochenée. Bedeutende Schieferbrüche befinden sich in Namur, Luxemburg und Lüttich, Steinbrüche im Hennegau und in Namur. Endlich liefert der Boden Belgiens auch Porzellanerde (Lüttich, Brabant, Namur), Fayenceerde, Töpferthon, Kalk, vorzügliche Flintensteine und feine Wetzsteine (die besten Europas in Lüttich und Luxemburg, besonders bei Vielsalm), Magnesia (Lüttich), Alaun [* 30] und Schwefel (Namur und Lüttich), Torf etc. Im ganzen besaß Belgien 1882: 1641 Steinbrüche mit 27,433 Arbeitern, welche einen Wert von 42,3 Mill. Fr. produzierten.
Industrie.
Von höchster Bedeutung ist in Belgien die Industrie. In welchem Maß die Großindustrie in den letzten Jahrzehnten zugenommen, läßt sich aus der Vermehrung der für dieselbe arbeitenden Dampfmaschinen [* 31] ersehen. Während man 1850 in ganz Belgien 2250 Maschinen mit 54,300 Pferdekräften zählte, belief sich deren Zahl 1882 auf 14,940 mit 724,817 Pferdekräften. Über die Bergwerks- und Hüttenindustrie s. oben. Zu erwähnen ist außerdem die Nägelfabrikation, die bei ¶
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Lüttich und Charleroi betrieben wird. Seit 1844 ist die Drahtfabrikation eingeführt, vornehmlich in und bei Lüttich und Brüssel; [* 33] älter sind die Blechfabriken um Huy, an der Ourthe und dem Hoyoux. Für kleinere Eisenwaren ist Herstal bei Lüttich und Umgegend berühmt, für Zink die Gesellschaft »Vieille Montagne« in der Provinz Lüttich. Weltbekannt ist die Lütticher Waffenfabrikation, welche von 1789 datiert und 10,945 Arbeiter beschäftigt, aber gegen früher etwas abgenommen hat.
Unter den Maschinenbauanstalten steht das großartige Etablissement John Cockerills (s. d.) in Seraing obenan, dann folgen der »Phönix« in Gent, [* 34] die Gesellschaft »St. Leonhard« in Lüttich, die Fabrik in Couillet bei Charleroi, andre in Brüssel, Verviers, Tirlemont, Nivelles, Tubize etc. In dieser Hinsicht hat sich Belgien gänzlich vom Einfluß Englands befreit. Die Ausfuhr von Maschinen und mechanischen Vorrichtungen, welche 1882 einen Wert von 77,4 Mill. Fr. hatte, hat sich seit 40 Jahren mehr als verzehnfacht; sie geht meist nach Spanien, [* 35] Frankreich, Rußland, den Niederlanden und Havana. [* 36]
Ambosse werden zu Chénée, Kessel zu Dinant, Kupferwaren zu Mecheln [* 37] gefertigt. Von einschlägigen Staatsanstalten sind zu nennen: die königliche Kanonengießerei und die Waffenmanufaktur in Lüttich und das Arsenal de construction in Antwerpen, welche dem Kriegsministerium unterstellt sind. Vorzügliche Gold- und Silberwaren liefern Brüssel, Lüttich und Antwerpen; doch ist dieser Zweig seit früher gesunken, und Belgien bezieht jetzt einen großen Teil seines Schmuckes aus dem Ausland.
Die Steingut- und Fayencefabrikation ist im Aufschwung begriffen und besonders im Hennegau (Tournai) heimisch. Daselbst und in den Provinzen Brabant und Namur (Brüssel und Hal, St.-Servais und Andenne) gibt es mehrere Porzellanfabriken. Eine Spezialität bildet die Fabrikation von Thonpfeifen in den Provinzen Namur und Hennegau. Unerreicht ist in der Erzeugung von Tafelglas und Gußspiegeln. Die 79 Glashütten, die überwiegend der Provinz Hennegau (besonders dem Arrondissement Charleroi), daneben den Provinzen Lüttich und Namur angehören, lieferten 1882 Produkte im Wert von 48,8 Mill. Fr. Chemische [* 38] Fabriken befinden sich in Auvelais (Provinz Namur), Antwerpen, Mecheln, Brüssel und Gent, decken aber den Bedarf des Landes bei weitem nicht; Seife und Lichte werden in Antwerpen, Brüssel und Gent in großen Mengen fabriziert, Möbel [* 39] in Gent, Lüttich, Mecheln, Brüssel, Schnitzwaren in Spaa, Strohhüte in der Provinz Lüttich.
Die Papierindustrie beschäftigte 1882: 41 Fabriken und hat ihren Sitz in Brüssel und in der Provinz Lüttich, und Tapeten (Brüssel und Löwen) [* 40] bilden einen wichtigen Exportartikel. Beträchtlich sind die Gerbereien in Stavelot, Brüssel und Namur, und in der Fabrikation farbiger Leder erfreut sich Belgien eines guten Rufs. Die Wollindustrie, die ehemals in Ypern, Löwen, Gent, Tournai ihren Sitz hatte, blüht jetzt besonders in Verviers und Umgegend, wo sie allein 20,000 Menschen beschäftigt, Lüttich und Dolhain-Limburg.
Sie verarbeitet jährlich mehr als 60 Mill. kg Wolle und produziert einen Wert von 300 Mill. Fr. In der Garnspinnerei sind gegen 300,000 Spindeln im Betrieb. Die Ausfuhr an verarbeiteten Stoffen (Tuch, Kasimir etc.) belief sich 1882 auf 30,4 Mill. Fr. Die einheimische Wolle wird fast nur zu Mützen und Decken verarbeitet (1882: 3,8 Mill. kg im Wert von 15,4 Mill. Fr.). Wollzeuge liefern besonders Hodimont, Stavelot, Tirlemont, Thuin, Ypern und Poperinghe; Wolldecken Brüssel, Lüttich, Mecheln und Verviers; Teppiche Tournai.
Die Strumpfwirkerei und Fabrikation von Band- und Posamentierwaren sind im Aufschwung begriffen. Große Kattundruckereien bestehen zu Gent und Brüssel. Die Baumwollindustrie, 1798 von Liévin Bauwens in Gent eingeführt, steht gegenwärtig sehr im Flor; Hauptsitz derselben ist Gent (für die Bonneterie Tournai und Brüssel). Sie beschäftigte 1846: 14,680 Menschen, jetzt 28-30,000 und verarbeitet ungefähr jährlich 20. Mill. kg Rohstoff im Wert von 36½ Mill. Fr. mittels ungefähr 800,000 Spindeln, produziert für 50 Mill. Fr. Wolle in Fäden und fabriziert für 100 Mill. Fr. Gewebe. [* 41]
Berühmt sind die belgischen Hosenstoffe, ein wichtiger Exportartikel. Der älteste Industriezweig ist die Leinenindustrie. Die beste Arbeit wie auch den besten Flachs (namentlich um Courtrai) liefert Flandern. 1881 zählte man 300,000 Spindeln, welche durchschnittlich jährlich 30 Mill. kg Garn erzeugten. Die Leinweberei beschäftigt an 350,000 Personen, von denen 280,000 Vlämen sind. 1882 wurden 14,3 Mill. kg Garn von Flachs und Hans im Wert von 52,6 Mill. Fr. exportiert, davon drei Viertel allein nach England.
Mittelpunkt der Flachsspinnerei ist Gent. In der Leinweberei waren, von den Handstühlen abgesehen, 4755 mechanische Stühle im Betrieb. Damast liefern Brüssel, Brügge, Neuve Eglise, besonders Courtrai; Zwirn vornehmlich Alost, Ninove und St.-Nicolas. Die Spitzenfabrikation, zwar noch wie vor alters berühmt, hat nicht mehr den ehemaligen Umfang. Die Brüsseler Spitzen, die geschätztesten von allen, werden zu Brüssel, die Mechelner zu Mecheln, Antwerpen, Lierre und Turnhout, die Valenciennesspitzen zu Brügge, Menin, Ypern, Courtrai, Gent, Alost, St.-Nicolas gearbeitet.
Man schätzt die Anzahl der belgischen Spitzenklöpplerinnen auf 150,000, deren Arbeit ein Kapital von nahe 50 Mill. Fr. repräsentiert. Die Anfertigung von Strumpfwaren wird im Arrondissement Tournai emsig betrieben, ein großer Teil der Fabrikate geht nach den Niederlanden. Die Zuckerindustrie (1881: 161 Fabriken) steht besonders im Hennegau in hoher Blüte, [* 42] und die Ausfuhr von Rohzucker übersteigt (1882) um 43,132,000 kg (im Wert von 20,7 Mill. Fr.) die Einfuhr.
Bedeutende Schokoladefabriken gibt es in Brüssel und Tournai. Die Zahl der Bierbrauereien in Belgien war 1881: 2575, meist von geringerm Umfang, welche zusammen 9,3 Mill. hl Bier erzeugten (die meisten in Flandern, Brabant und im Hennegau);
Branntweinbrennerei (1881: 301 Etablissements im Betrieb) wird besonders in Ostflandern und Brabant betrieben.
Zigarrenfabriken befinden sich in Antwerpen, Brüssel, Gent, Brügge, vermögen aber den einheimischen Bedarf nicht zu decken.
Handel und Verkehr.
Belgien ist durch seine Lage zwischen dem Norden [* 43] und Süden Europas und zwischen dem Kontinent und Westeuropa zu einem Mittelpunkt für den See- und Landverkehr wie geschaffen und erfreute sich schon im Mittelalter eines blühenden Handels und einer ausgedehnten Schiffahrt. Der Westfälische Friede vernichtete diesen Verkehr fast völlig, da Holland die Sperrung der Schelde durchsetzte. Günstigere Zeiten traten ein seit der Vereinigung der Niederlande [* 44] mit Frankreich gegen Ende des 18. Jahrh., wodurch die Scheldeschiffahrt wieder frei wurde, und seit der Herstellung des Hafens von Antwerpen durch Napoleon I.; noch kräftiger auf das Aufblühen des belgischen Handels (auf Kosten Amsterdams) wirkte die Vereinigung Belgiens und Hollands durch den Wiener Kongreß. Störend trat wieder die Revolution von 1830 dazwischen. Durch den Londoner Vertrag vom wurde die für den belgischen Handel ¶
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entscheidende Scheldefrage insofern zu gunsten Hollands gelöst, als letzteres von jedem Schiff [* 46] 1½ Fl. pro Tonne erheben durfte. Diese Abgabe wurde 1863 durch Rückkauf beseitigt. Seitdem hat sich der belgische Handel in großartiger Weise entwickelt, was nachstehende Tabelle veranschaulicht (Wert in Millionen Frank):
1840 | 1850 | 1870 | 1883 | |
---|---|---|---|---|
Generalhandel | 429.9 | 912.5 | 3282.0 | 5410.9 |
Spezialhandel | 345.2 | 500.2 | 1610.9 | 2895.2 |
Einfuhr | 205.6 | 236.5 | 920.8 | 1552.1 |
Ausfuhr | 139.6 | 263.7 | 690.1 | 1343.1 |
Durchfuhr | 43.9 | 206.5 | 831.7 | 1262.0 |
Am bedeutendsten ist der Handel mit Frankreich, der dem Wert nach über ein Viertel des gesamten Handels ausmacht; nächstdem mit England, dem Deutschen Zollverein und den Niederlanden. Die Hauptverkehrsgebiete nahmen 1883 in folgender Weise am belgischen Handel teil (Wert in Millionen Frank):
Länder | Einfuhr | Ausfuhr | Länder | Einfuhr | Ausfuhr |
---|---|---|---|---|---|
Frankreich | 307.1 | 415.5 | La Plata-Staaten | 71.5 | 11.1 |
England | 197.9 | 273.6 | Spanien | 9.5 | 38.7 |
Skandinavien | 35.5 | 10.8 | |||
Deutscher Zollverein | 222.8 | 214.9 | Italien | 22.9 | 30.8 |
Niederlande | 210.0 | 177.1 | Brasilien | 22.3 | 10.1 |
Verein. Staaten | 159.6 | 43.3 | Schweiz | 2.7 | 22.1 |
Rußland | 133.7 | 8.1 | Rumänien | 24.5 | 3.3 |
Die Einfuhr aus Asien, [* 47] welche in den letzten Jahren außerordentlich schnell gewachsen ist, betrug 93,1, die Ausfuhr dahin 16,7 Mill. Fr.; der Gesamthandel mit Afrika [* 48] dagegen nur 15,7 Mill. Fr. Der nicht unbedeutende Handel zwischen und den deutschen Zollausschlüssen Hamburg [* 49] u. Bremen [* 50] ist oben nicht inbegriffen.
Wert der hauptsächlichsten zum Konsum eingeführte Waren (in Tauenden Frank).
Waren | 1840 | 1850 | 1870 | 1883 |
---|---|---|---|---|
Butter | 764 | 806 | 9749 | 25826 |
Getreide aller Art | 10840 | 12123 | 89756 | 275436 |
Gemüse und Kartoffeln | 498 | 1311 | 6702 | 14431 |
Spinnstoffe | 29197 | 40835 | 188640 | 233761 |
Eisen | 790 | 615 | 24691 | 30585 |
Fett und Talg | 137 | 492 | 16304 | 29907 |
Chemische Produkte | 717 | 1783 | 11489 | 34473 |
Gewebte Stoffe | 22740 | 20943 | 49855 | 46618 |
Kunstgegenstände | 551 | 1145 | 6203 | 5082 |
Wert der hauptsächlichsten ausgeführten belgischen Produkte (in Tausenden Frank)
Waren | 1840 | 1850 | 1870 | 1883 |
---|---|---|---|---|
Wachs- und Talglichte | 13 | 75 | 11978 | 14432 |
Kohlen und Koks | 11692 | 29808 | 60320 | 85329 |
Kupfer und Nickel | 164 | 1107 | 4512 | 7425 |
Eisen und Eisenblech | 3245 | 1395 | 45464 | 82719 |
Spinnstoffe | 10343 | 19858 | 86897 | 90189 |
Baumwollgespinste | 748 | 629 | 3645 | 6680 |
Wollene Gespinste | 363 | 1730 | 30603 | 55240 |
Hanf- und Flachsgespinste | 2250 | 5510 | 32466 | 59420 |
Fett und Talg | 198 | 676 | 10173 | 29666 |
Gemüse und Kartoffeln | 3 | 2535 | 3960 | 12660 |
Maschinen aller Art | 4004 | 13845 | 23138 | 72407 |
Kunstgegenstände | 837 | 1697 | 2930 | 3404 |
Eier | 210 | 645 | 1863 | 5200 |
Papier | 438 | 1525 | 19260 | 21041 |
Häute (rohe) | 414 | 715 | 36253 | 45909 |
Steine | 666 | 812 | 13102 | 74870 |
Chemikalien | 346 | 523 | 3738 | 9996 |
Harz und Pech | 94 | 294 | 22562 | 17985 |
Sirup und Theriak | 33 | 163 | 2017 | 3768 |
Baumwollene Gewebe | 7438 | 12899 | 10727 | 20854 |
Wollene Gewebe | 846 | 20363 | 30366 | 25168 |
Flachs- und Hanfgewebe | 26197 | 15838 | 21061 | 20760 |
Die Mehreinfuhr entfällt hinsichtlich der Hauptartikel größtenteils auf die Rohstoffe, während die Mehrausfuhr größtenteils bei den Fabrikaten stattfindet. Die Eingangszölle betrugen 1883: 28,219,184 Fr. (wovon 12 Proz. auf Kaffee, 10,7 Proz. auf raffinierten Zucker [* 51] kamen). Der gegenwärtig gültige Zolltarif datiert vom
Obwohl Industrie und Handel sich eines gleichmäßigen Fortschrittes erfreuen, ist die Handelsflotte doch unbedeutend. 1850 hatte Belgien noch 161 Schiffe, [* 52] nur noch 62. Allein diese Verminderung ist nur scheinbar, da die Tragfähigkeit der einzelnen Fahrzeuge zugenommen hat; sie stieg nämlich von 34,919 auf 86,360 Ton. Darunter waren 15 Segelschiffe von 6458 T. und 47 Dampfer von 79,902 T. Von den Seeschiffen gehören 57 von 85,860 T. Antwerpen an. Der Handel wird meistens mit fremden Schiffen betrieben.
Haupthäfen sind Antwerpen und Ostende; nächstdem Gent, Löwen, Brüssel, Nieuport. Eingelaufen sind 1883 in die belgischen Häfen 6451 Schiffe mit einer Ladung von 3,938,339 T. (darunter 4868 Dampfer mit 3,441,724 T. Ladung), ausgelaufen 6393 Schiffe mit einer Ladung von 2,418,628 T. (darunter 4838 Dampfer mit 2,188,150 T. Ladung). Lebhafte Förderung findet der Handel und Verkehr Belgiens durch verschiedene Anstalten und Einrichtungen, z. B. durch die Kreditinstitute der Banken (Nationalbank, die Société générale etc.), die Börsen (in Antwerpen, Brüssel, Gent, Brügge, Ostende, Mons, Termonde, Löwen, Lüttich), durch zahlreiche Associationen, Handels- und Fabrikkammern, das Handelskontor zu St. Thomas in Guatemala, [* 53] durch Handelsverträge, besonders aber durch ein sehr weitverzweigtes Netz von Straßen, Kanälen, schiffbaren Gewässern und Eisenbahnen, das nur in dem Englands seinesgleichen findet. Am befanden sich 4319 km (darunter 3063 km Staatsbahnen) [* 54] im Betrieb, davon sind 35 Proz. doppelgeleisig. Im Verhältnis der Schienenlänge zum Areal steht demnach unter allen Ländern der Erde obenan. An Telegraphen [* 55] besaß Belgien 5942 km Linien, die Länge der Drähte betrug 26,929 km und die Zahl der Büreaus 865. Die Zahl der Postanstalten betrug 1883: 869, durch welche 122,889,586 Briefe und Korrespondenzkarten, 46,570,000 Warenproben und Drucksachen und 91,319,000 Zeitungen befördert wurden.
Außer den Hauptflüssen Maas, Schelde und Yser (s. oben), deren schiffbare Strecke 406 km beträgt, sind noch 12 schiffbare Nebenflüsse vorhanden, wovon die zur Schelde gehörigen auf 388 km, die zur Maas gehörigen auf 307 km schiffbar sind. Die vorhandenen 44 Kanäle, welche die Schiffahrtsverbindung vervollständigen, haben eine Länge von 901 km. 1880 gehörten davon 119 km den Provinzen, 93 km den Kommunen. Die ältesten sind: der von Ypern nach Nieuport (1251 erbaut) und der Kanal [* 56] von Stekenen in Ostflandern (1315 vollendet).
Die bedeutendsten Kanäle sind: der Charleroi-Brüssel- (74 km, mit Abzweigungen 89 km lang), der Maastricht-Herzogenbusch- (45 km), der Maas und Schelde verbindende Campinekanal (86 km), der von Gent über Brügge nach Ostende (77 km), der von Turnhout nach Antwerpen (37 km), die Kanäle von Furnes (96 km). Unter den zahlreichen Abzugskanälen oder Wateringues, welche dazu dienen, das Wasser aus den Polders abzuführen, damit die Kultur möglich werde, sind am bemerkenswertesten der Selzaetekanal (39 km) und der von Deynze zum Kanal von Brügge (27 km). Auf den belgischen Wasserstraßen wurden 1882: 32,4 Mill. Ton. an Waren ¶
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befördert. Die Länge der Landstraßen betrug Ende 1881: 8734 km, davon gehörten 6803 km dem Staat. Für Münzen, [* 58] Maße und Gewichte gilt jetzt das französische System. Es werden Silberstücke zu 5, 2½, 2, 1, ½ und ⅕ Fr., Nickelmünzen zu 20, 10 und 5, Kupfermünzen zu 2 und 1 Cent. geschlagen. Goldstücke sind 1848-51 zu 25 und 10 Fr. geprägt worden, doch wurde das fernere Prägen derselben durch Gesetz von 1850 aufgehoben, die Zirkulation des französischen Goldes indessen 1861 von den Kammern bewilligt. Von den Maßen heißt das Meter in Belgien Aune, das Liter (für Getreide) Litron und das Hektoliter (für Flüssigkeiten) Baril.
Staatsverfassung und Verwaltung.
Der Staatsverfassung zufolge ist Belgien eine konstitutionelle Monarchie. Die Dynastie ist Sachsen-Koburg-Gotha, jetziger König: Leopold II. (Ludwig Philipp Maria Viktor), König der Belgier, Herzog zu Sachsen, [* 59] Prinz von Sachsen-Koburg und Gotha [* 60] (geb. 1835, katholischer Konfession), der seinem Vater Leopold I. succedierte. Der Kronprinz führt den Titel »Herzog von Brabant«, der nächstgeborne Prinz den Titel »Graf von Flandern«. Der König bezieht eine Zivilliste von 3,5 Mill. Fr. Die belgische Konstitution vom gewährt unter allen europäischen Konstitutionen die größte Summe politischer Freiheiten.
Die Hauptzüge derselben sind folgende: Alle Belgier sind vor dem Gesetz gleich. Die persönliche Freiheit ist jedem zugesichert. Außer der Ergreifung auf der That kann niemand anders verhaftet werden als infolge einer richterlichen motivierten Verfügung. Die Wohnung ist unverletzlich. Die Freiheit eines jeden religiösen Kultus sowie seiner öffentlichen Ausübung ist zugesichert. Die bürgerliche Trauung muß immer der priesterlichen Einsegnung vorhergehen.
Der Unterricht ist frei, der auf Kosten des Staats erteilte öffentliche Unterricht wird durch ein Gesetz geregelt. Die Presse [* 61] ist frei; die Zensur kann nie eingeführt, noch darf vom Verfasser, Verleger oder Drucker Kaution verlangt werden. Ist der Verfasser einer Schrift bekannt und in Belgien wohnhaft, so kann der Herausgeber, Drucker oder Verbreiter derselben nicht verfolgt werden. Die Belgier haben das Recht, sich friedlich und ohne Waffen [* 62] zu versammeln, sich zu associieren, und bedürfen keiner besondern obrigkeitlichen Erlaubnis dazu.
Alle Staatsgewalt geht von der Nation aus; die gesetzgebende Gewalt wird von dem König, der Kammer der Repräsentanten und dem Senat gemeinschaftlich ausgeübt. Ein jedes auf die Staatseinnahmen und Ausgaben sowie auf das Kontingent der Armee bezügliche Gesetz muß zuerst in der Repräsentantenkammer votiert werden. Der König besitzt die ausübende Gewalt, wie sie in der Verfassung bestimmt ist. Die richterliche Gewalt wird durch die Appellationshöfe und die Bezirksgerichte ausgeübt.
Die ausschließlich die Gemeinden und Provinzen betreffenden Angelegenheiten werden durch Gemeinde- und Provinzialräte geordnet. Die Kammer der Repräsentanten besteht aus 132 unmittelbar von den Bürgern gewählten Abgeordneten, welche mindestens 21 Jahre alt sein müssen und den durch das Wahlgesetz bestimmten direkten Steuerbetrag (nicht unter 42 Fr.) zahlen. Das Wahlgesetz bestimmt nach der Bevölkerung [* 63] die Zahl der Abgeordneten, welche das Verhältnis von einem Abgeordneten auf 40,000 Einw. nicht übersteigen darf. Um gewählt werden zu können, muß man Belgier von Geburt oder durch die große Naturalisation sein, im Genuß der bürgerlichen und politischen Rechte sich befinden, volle 25 Jahre alt sein und in Belgien seinen Wohnsitz haben.
Die Mitglieder der Repräsentantenkammer werden auf 4 Jahre gewählt und alle 2 Jahre zur Hälfte erneuert; sie beziehen Diäten (monatlich 240 Fr.). Die Mitglieder des Senats werden nach Maßgabe der Bevölkerung einer jeden Provinz durch dieselben Bürger gewählt, welche die Mitglieder der Repräsentantenkammer wählen. Der Senat besteht aus der Hälfte der Mitgliederzahl der Repräsentantenkammer (66). Die Senatoren werden auf 8 Jahre gewählt und alle 4 Jahre zur Hälfte erneuert.
Diäten beziehen die Senatoren nicht. Die Bedingungen der Wahlfähigkeit sind dieselben wie bei der Kammer der Repräsentanten; nur muß man wenigstens 40 Jahre alt sein und wenigstens 2116 Fr. direkte Steuern bezahlen. In den Provinzen, wo die Zahl der Bürger, welche diese Steuer bezahlen, nicht das Verhältnis von 1 auf 6000 erreicht, wird sie durch die am höchsten Besteuerten der Provinz vervollständigt. Die verfassungsmäßigen Gewalten des Königs sind erblich in seiner rechtmäßigen Nachkommenschaft von Mann zu Mann nach der Ordnung der Erstgeburt, mit beständiger Ausschließung der Frauen und ihrer Nachkommenschaft. In Ermangelung männlicher Nachkommen kann der König mit Zustimmung der Kammern seinen Nachfolger ernennen.
Die Person des Königs ist unverletzlich, seine Minister sind verantwortlich. Kein vom König ausgehender Akt ist gültig ohne die Mitunterzeichnung eines Ministers, der für dessen Inhalt verantwortlich ist. Der König ernennt und entläßt die Minister, er verleiht die Grade in der Armee und ernennt zu den Ämtern für die allgemeine Staatsverwaltung und die auswärtigen Angelegenheiten. Er befehligt die Land- und Seemacht, erklärt Krieg, schließt Frieden, Bündnisse und Handelsverträge.
Diese sowie alle diejenigen Verträge, welche den Staat belasten oder einzelne Belgier verpflichten, treten erst in Kraft, [* 64] wenn sie die Zustimmung der Kammern erhalten haben. Der König sanktioniert die Gesetze und verkündigt sie, darf auch die Kammern auflösen, kann sie aber auf nicht länger als einen Monat vertagen. Er hat das Recht, richterlich zuerkannte Strafen zu mildern oder zu erlassen, Münzen schlagen zu lassen und Adelstitel zu verleihen, ohne aber irgend ein Vorrecht daran knüpfen zu können.
Seine Zivilliste wird für die Dauer seiner Regierung festgesetzt. Beim Tode des Königs versammeln sich die Kammern ohne Zusammenberufung spätestens am zehnten Tag nach dem Ableben. Vom Tode des Königs bis zur Eidesleistung des Thronfolgers oder Regenten wird die königliche Gewalt im Namen des belgischen Volks vom Ministerrat ausgeübt. Der König ist volljährig mit zurückgelegtem 18. Jahr; er nimmt nicht eher vom Thron [* 65] Besitz, als bis er in der Mitte der Nationalrepräsentation einen feierlichen Eid auf die Verfassung geleistet hat. Bei der Minderjährigkeit oder Regierungsunfähigkeit des Königs treffen die Kammern Vorkehrungen für die Einsetzung der Regentschaft und der Vormundschaft. Die Regentschaft kann nur einer Person übertragen werden; während derselben kann keine Abänderung des Grundgesetzes stattfinden. Residenz des Königs ist Brüssel, als Lustschloß und Sommerresidenz dient Laeken.
Was die Staatsverwaltung betrifft, so bilden die vom König gewählten Minister (7) mit dem Kabinettssekretär und dem Intendanten der Zivilliste das Staatsministerium; allen Ministern, mit Ausnahme des Kriegsministers, sind Generalsekretäre beigegeben. Die Minister haben in den Kammern nur dann Stimmrecht, wenn sie Mitglieder derselben sind; sie haben aber Zutritt zu jeder Kammer und müssen ¶
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auf ihr Verlangen gehört werden. Sie sind verantwortlich und können von der Kammer der Repräsentanten angeklagt werden. Der König kann einen durch den Kassationshof verurteilten Minister nur auf Verlangen einer der beiden Kammern begnadigen. Die Provinzial- und Gemeindeverfassung Belgiens stellt Provinz und Gemeinde als selbständige Autoritäten hin, die nur insofern einer Einwirkung der Zentralgewalt unterliegen, als ihre Beschlüsse Veranlassung zu Konflikten mit den allgemeinen Interessen des Landes geben können.
Die Grundzüge der Provinzialverfassung bestehen nach dem Provinzialgesetz vom (zuletzt 13. und abgeändert) in folgenden Bestimmungen. In jeder Provinz bestehen ein Provinzialrat und ein Kommissar der Regierung, welcher den Titel Gouverneur führt und vom König ernannt und abgesetzt wird. Das Wahlrecht zum Provinzialrat steht jedem Belgier zu, welcher 21 Jahre alt ist und 20 Fr. an direkten Steuern bezahlt. Der Provinzialrat wählt aus seiner Mitte einen beständigen Ausschuß von sechs Mitgliedern, welcher unter dem Präsidium des Gouverneurs alle Funktionen und Rechte des Provinzialrats vertritt, deren Vollziehung keinen Aufschub gestatten.
Wahlfähig sind die, welche zur Wahl für die Repräsentantenkammer geeignet sind, mindestens seit 1. Jan. des Jahrs, in welchem die Wahl stattfindet, in der betreffenden Provinz ihren Wohnsitz haben und weder zu den Verwaltungs- noch zu den Finanzbeamten der Provinz gehören. Der Provinzialrat versammelt sich jährlich in dem Hauptort der Provinz am ersten Dienstag des Monats Juli zu ordentlicher Session; der König kann in außerordentlicher Weise zusammenberufen.
Die Dauer der ordentlichen Sitzung ist 14 Tage, kann aber ohne Zustimmung des Gouverneurs nicht um mehr als 8 Tage verlängert werden. Der Provinzialrat ernennt die Provinzialbeamten, reguliert die Rechnungen der Provinz und stellt ihr Budget fest. Er verteilt das Kontingent der direkten Steuern unter die Gemeinden und erläßt die Reglements für die innere Verwaltung und die öffentliche Polizei in der Provinz. Seine Beschlüsse sind in finanziellen und Verwaltungsangelegenheiten der königlichen Bestätigung unterworfen.
Die Aufhebung eines solchen Beschlusses von seiten der Krone muß aber innerhalb 40 Tagen, nachdem er gefaßt ist, geschehen. Die Provinzialräte werden auf 4 Jahre ernannt und von 2 zu 2 Jahren zur Hälfte erneuert. Der Gouverneur der Provinz allein ist mit der Ausführung der vom Rat oder vom Ausschuß gefaßten Beschlüsse beauftragt. Der Gouverneur wacht ferner über die Aufrechthaltung der öffentlichen Ordnung in der Provinz; er verfügt zu diesem Zweck über die Bürgergarde und die Gendarmerie und kann die bewaffnete Macht requirieren.
An der Spitze eines jeden Verwaltungsdistrikts (Kantons) der Provinz steht ein königlicher Kommissar (commissaire d'arrondissement), welcher unter der Oberaufsicht des Gouverneurs und des beständigen Ausschusses die Verwaltung in den Gemeinden, deren Einwohnerzahl nicht 5000 Seelen übersteigt, beaufsichtigt und über die Vollziehung der Gesetze etc. wacht. Die Gemeindeverfassung stützt sich auf das Gemeindegesetz vom (zuletzt revidiert).
Die Gemeindeobrigkeit besteht in jeder Kommune aus dem Gemeinderat, dem Bürgermeister und den Schöffen. Bei einer Bevölkerung bis 20,000 Seelen hat die Gemeinde 2 Schöffen, bei mehr 4. Der Gemeinderat mit Bürgermeister und Schöffen hat 7 Mitglieder in Gemeinden bis zu 1000, 9 in Gemeinden bis zu 3000, 11 in Gemeinden bis zu 10,000, 13-17 in Gemeinden zwischen 10,000 und 25,000 Seelen. In noch größern Gemeinden nimmt der Gemeinderat um je 2 Mitglieder für 5000 Seelen zu; steigt die Zahl über 40,000, so vermehrt er sich um 2 Mitglieder nur für jede fernern 10,000 Seelen. Alle Belgier, die 21 Jahre alt, im Besitz der bürgerlichen Rechte, in der Gemeinde wohnhaft sind und 10 Fr. an direkten Steuern entrichten, sind Gemeindewähler. Die ganze Gemeindeverfassung ist nach dem Vorbild der Provinzialverfassung geregelt; die Attributionen des Bürgermeisters entsprechen denen des Gouverneurs.
Die Wohlthätigkeitsanstalten, die von Provinzen und Gemeinden unterhalten werden, sind sehr zahlreich. Die Bürgermeister und Schöffen in jeder Kommune sind verpflichtet, ein sogen. Wohlthätigkeitsbüreau zu halten; in Gemeinden über 2000 Einw. müssen Wohlthätigkeitskomitees die Armen in ihren Wohnungen unterstützen. 1880 bestanden 180 anerkannte Unterstützungsvereine auf Gegenseitigkeit mit einem Vermögen von 1⅙ Mill. Fr. Hervorzuheben sind: Taubstummen- und Blindeninstitute (11: in Antwerpen, Brüssel, Woluwe-Saint Lambert, Gent, Brügge, Lüttich, Namur, Bouges lez Namur, Maeseyk), Irrenhäuser, Gebär-, Findel- und Waisenhäuser, Kinderbewahranstalten, Anstalten für Augenkranke, die Irrenkolonie zu Gheel (wo die Kranken gegen Entgelt bei den Bauern untergebracht werden), Lehr- und Arbeitshäuser für Arme, Bettler- und Landstreicherhäuser, Versorgungs- und Versicherungsanstalten, Leihhäuser (20) etc. Was die Paupertätsverhältnisse anlangt, so ist in Westflandern der 8. Mensch ein Hilfsbedürftiger, in Ostflandern der 16., im Hennegau der 20., in Limburg der 24., in Lüttich der 28., in Brabant der 36., in Antwerpen der 41., in Namur der 91., in Luxemburg der 660. Mensch.
In betreff der Gerichtsverfassung und Rechtspflege ist zu bemerken, daß die Streitigkeiten über bürgerliche und staatsbürgerliche Rechte in erster Instanz vor die Ziviltribunale (26 an der Zahl), deren Richter vom König ernannt werden, in zweiter Instanz vor die Appellhöfe (3 an der Zahl, zu Brüssel, Gent und Lüttich) gehören. Polizeivergehen werden von den Zuchtpolizeigerichten abgehandelt. Daneben bestehen ein Militärgerichtshof, zahlreiche Handelsgerichte, 204 Friedensgerichte sowie Sachverständigenräte (conseils de prud'hommes); Assisenhöfe gibt es 9. Für alle Kriminalsachen sowie für politische und Preßvergehen ist das Geschwornengericht angeordnet.
Für ganz Belgien besteht ein Kassationshof zu Brüssel, welcher, mit Ausnahme der Ministerprozesse, nicht über die Materie der Rechtssachen erkennt. Die Räte der Appellhöfe, die Präsidenten der ihnen untergeordneten Tribunale werden vom König nach einer doppelten Liste ernannt, die von diesen Gerichtshöfen selbst und von den Provinzialräten eingereicht wird. Die Räte am Kassationshof ernennt der König aus einer vom Senat und vom Kassationshof verfaßten Liste.
Die Richter werden auf Lebenszeit ernannt und können nur durch Urteilsspruch ihres Amtes entsetzt oder suspendiert werden. Seit der französischen Herrschaft gelten in Belgien der Code Napoleon und die französischen Gesetze aus der Zeit von 1795 bis 1814, welche nur teilweise örtliche Abänderungen erlitten haben. Die unter der holländischen Herrschaft aufgehobene Jury wurde schon 1831 wiederhergestellt und nach den neuen Grundlagen organisiert. Die Modifikationen, welche der Code pénal 1832 in Frankreich erfuhr, veranlaßten auch in Belgien eine Revision desselben. Das ¶
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1834 den Kammern vorgelegte »Projet de loi apportant des modifications aux codes pénals etc.« hebt die Brandmarkung, den Pranger, die Abhauung des Daumens bei Parricide, die Deportation und Verbannung auf und setzt für politische Verbrechen die Detention fest. Die Todesstrafe ward nur für Mord beibehalten. Die bedeutendsten Landrechte sind die von Lüttich, Limburg (von 1682), Stavelot, Flandern; die wichtigsten Stadtrechte die von Antwerpen, Brüssel, Gent, Lille, [* 68] Mecheln und Lüttich, wo unter dem Namen Paix alte Statuten bestanden, aus denen ein Rechtsbuch, Bawillart, entstand.
Vgl. Warnkönig, Flandrische Staats- und Rechtsgeschichte (Tübing. 1832-39, 3 Bde.);
Rapsaet, Analyse des droits des Belges (Gent 1824-26, 3 Bde.).
An Gefängnissen bestehen: Zentralgefängnisse in Gent und Löwen, Maisons de sûreté bei jedem Assisenhof und Maisons d'arrêt in jedem Arrondissement, wo nicht eine Maison de sûreté besteht. Besserungsanstalten für jugendliche Verbrecher befinden sich in St.-Hubert, Namur und Gent.
Finanzen. Das Budget für 1884 enthält an Einnahmen 316,136,727, an Ausgaben 326,870,741 Fr. Hauptposten der Einnahmen sind: direkte Steuern 48,2, indirekte 117,3, Verkehrsanstalten 135,4 Mill. Fr. Die Einnahmen Belgiens haben sich seit 35 Jahren mehr als verdoppelt. Während 1854 die direkten Steuern etwa 25 Proz., die indirekten 28 Proz. der Einnahmen betrugen, sanken 1884 jene auf 12, stiegen letztere aus 37 Proz. Von den direkten Steuern ist (1884) veranschlagt die Grundsteuer auf 23,3, Personalsteuer auf 18,3, Gewerbesteuer auf 6,3 Mill. Fr. Unter den indirekten Steuern sind: Eingangszölle 23,6, Verbrauchssteuern 38,7 (davon Branntweinsteuer 22,6, Bier- und Essigsteuer 9,2, Zuckersteuer 3,7 Mill. Fr.), Erbschaftssteuer 19,4 und Registrierung 27,2 Mill. Fr. Der Ertrag der Eisenbahnen wurde veranschlagt auf 122, der der Post auf 8,3 Mill. Fr. Unter den Ausgaben erfordern
Staatsschuld und Pensionen | 100.5 Mill. Frank |
Dotationen | 4.8 |
Justizministerium | 15.5 |
Ministerium des Äußern | 2.4 |
Ministerium des Innern u. Unterrichts | 28.0 |
Ministerium der öffentlichen Arbeiten | 17.6 |
Ministerium der Verkehrsanstalten | 90.8 |
Ministerium des Kriegs | 49.5 |
Ministerium der Finanzen | 15.9 |
Die Abrechnung für 1881 ergab: Einnahmen 378 Mill. Fr., Ausgaben 402,3 Mill. Fr., somit ein Defizit von 24,3 Mill. Fr.; doch ist letzteres überwiegend durch die außerordentlichen Ausgaben, die 99,5 Mill. Fr. betrugen, herbeigeführt.
Die öffentliche Schuld betrug 1884: 2116,9 Mill. Fr. (mit Ausschluß von Zinsgarantien u. a. auf ein 5proz. Kapital reduziert, 1686,8 Mill. Fr.) und erforderte 1883: 85,1 Mill. an Zinsen und Tilgung. Die Staatsschuld, 1831 durch Übernahme von 220 Mill. Fr. aus der holländischen entstanden, absorbiert jetzt jährlich 31 Proz. der ordentlichen Einnahmen (1854: 29 Proz.). Die zuletzt 1875 angestellte Erhebung über die finanzielle Lage der belgischen Gemeinden (Städte inbegriffen) ergab eine jährliche Einnahme von 197 Mill. Fr. (darunter 117 Mill. außerordentlich), welcher die Ausgabe mit 161,4 Mill. Fr. (darunter 103,9 Mill. außerordentlich) gegenüberstand. Von den ordentlichen Ausgaben erfordern das Unterrichtswesen 14,7 Mill., Wegebau und Gesundheitspflege 12,2 Mill., Gemeindeverwaltung 14,4 Mill. und Armenpflege 5,5 Mill. Fr.
Das Heerwesen ist durch die Gesetze vom und geregelt. Der Truppenbestand unterliegt der jährlichen Bewilligung der Volksvertretung. Der Ersatz erfolgt durch Konskription mit Stellvertretung. Die Vertreter besorgt der Staat gegen die Loskaufsumme von 1800 Fr. Die Dienstpflicht dauert 5 Jahre aktiv bei der Armee, 5 Jahre in der Reserve; ausgehoben werden jährlich 12,000 Mann. Die Dienstzeit beträgt je nach den Waffen 28 Monate bis 4 Jahre. Pflichten der Mannschaften des beurlaubten Standes sind ähnlich wie in Deutschland. [* 69]
Das Land ist in zwei Generalkommandos, die Provinzen in kleinere Aushebungsbezirke geteilt. An Truppen bestehen 1) Infanterie: 4 Divisionen, 3 zu 2, 1 zu 3 Brigaden, mit 14 Regimentern Linie, 1 Grenadiere, 3 Jäger zu Fuß (jedes 4 Bataillone, davon 1 in Kadre, und 1 Depot) und 1 Regiment Karabiniers zu 6 Bataillonen, davon 2 in Kadres und 1 Depot. Alle Bataillone zu 4 Kompanien. Zusammen 19 Regimenter mit 58 aufgestellten, 20 Kadrebataillonen, 19 Depots; 1882: 1828 Offiziere, 26,955 Mann aktiv, 48,456 Mann beurlaubt.
2) Kavallerie: 2 Divisionen zu 2 Brigaden, jede 2 Regimenter zu 5 Eskadrons (davon 1 im Krieg Ersatz), zusammen 8 Regimenter (2 Jäger zu Pferde, 2 Guiden, 4 Lanciers), 40 Eskadrons;
364 Offiziere, 5037 Mann aktiv (2852 beurlaubt), 5440 Pferde.
3) Artillerie: 3 Brigaden, 1. und 2. zu 2 Feld-, die 3. zu 3 Festungsregimentern. Die Feldregimenter Nr. 1 und 3 haben 8 Fuß-, 2 Reserve- (Kadre-), Nr. 2 und 4: 7 Fuß-, 2 reitende, 1 Reservebatterie, zusammen Feldartillerie: 34 bespannte (à 6 Geschütze) [* 70] und 6 Kadrebatterien mit 204 Geschützen;
Festungsartillerie: 48 formierte, 3 Kadrebatterien, 3 Depots.
Die Artillerie zählte 1882: 495 Offiziere, 6951 Mann aktiv (11,628 beurlaubt). Die Depots bilden auch den Ersatz der Feldartillerie aus. Ferner gehören zur Artillerie je 1 Kompanie Pontoniere, Feuerwerker, Handwerker und Zeugschmiede.
4) Genie: 1 Regiment von 3 Bataillonen und 1 Depot, je 1 Eisenbahn-, Feld- und Festungstelegraphisten-, Festungspontonier- und Geniehandwerkerkompanie;
84 Offiziere, 1357 Mann aktiv (2495 beurlaubt).
Gendarmerie (3 Divisionen zu 3 Kompanien), Train (1 Bataillon von 6 Kompanien und 1 Depot), Verwaltungsbataillon (8 Kompanien) zusammen 613 Offiziere und 3241 Mann aktiv (5435 beurlaubt). Gesamtstärke im Frieden: 3384 Offiziere, 43,541 Mann, 8907 Pferde;
im Krieg 114,407 Mann mit 13,800 Pferden und 240 Geschützen.
Außerdem besteht eine Bürgergarde, welche die untern Chargen bis zum Hauptmann selbst ernennt; ca. 120,000 Mann, wovon etwa 31,000 Mann aktiv dienen. Eine Marine ist erst im Entstehen. Hauptfestung ist Antwerpen (s. d.), daneben die Citadellen von Dendermonde, Namur, Diest und Lüttich. Völkerrechtlich ist Belgien neutral. Das Wappen [* 71] ist der goldene stehende Brabanter Löwe mit ausgestreckter roter Zunge, auf schwarzem Grund mit der Devise: »L'union fait la force« (s. Tafel »Wappen«). Die Farben des Landes sind (seit 1831) Rot, Gelb und Schwarz senkrecht nebeneinander und zwar so, daß Schwarz die Stelle unmittelbar an der Flaggenstange, Gelb die Mitte und Rot den äußern Platz einnimmt (s. Tafel »Flaggen«). [* 72] - Von Ritterorden bestehen nur: Ehrenstern zur Belohnung derer, welche dem Vaterland 1830 besondere Dienste [* 73] geleistet haben;
der Leopoldsorden (gestiftet 1832) und der Orden [* 74] für Zivilverdienste (1867 gestiftet).
Vgl. die offizielle »Statistique générale de la ¶