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ihre Macht über die Gemüter in den Stürmen der letzten Jahre mit großem Geschick zu vermehren gewußt hatte, in Baden [* 2] den Versuch zur Aufrichtung eines hierarchischen Regiments zu wagen. Die Schwäche der Regierung, die Zerrüttung aller Verhältnisse durch die Revolution, die allgemeine Entmutigung und Unzufriedenheit schienen das Unternehmen der Ultramontanen zu unterstützen, zumal das Haupt der badischen Kirche, Erzbischof Vicari von Freiburg, [* 3] durch sein ehrwürdiges Alter ein besonders geeignetes Werkzeug im Kampf gegen den Staat zu werden versprach.
Der kirchliche Streit brach nach dem Tode des Großherzogs Leopold aus, der starb. Ihm folgte, da der Erbgroßherzog Ludwig (gest. regierungsunfähig war, sein zweiter Sohn, Prinz Friedrich, zunächst als Regent, seit 1856 als Großherzog. Die Regierung verlangte für den 10. Mai von der Geistlichkeit beider Konfessionen [* 4] eine Totenfeier für den verstorbenen Großherzog, wie sie bei den frühern Landesfürsten stattgefunden hatte. Der Erzbischof ordnete aber an, daß nur am Abend vorher ein Abendgottesdienst ohne Gesang abgehalten werden dürfe, und legte allen Priestern, welche dem Befehl der Regierung Folge geleistet hatten, Bußübungen in St. Peter im Schwarzwald auf.
Die Regierung ließ sich dies nicht nur gefallen, sondern gewährte auch auf eine Vorstellung der fünf Bischöfe der oberrheinischen Kirchenprovinz, in welcher sich diese über die die Kirche beeinträchtigenden Gesetze des Staats beschwert und die Abschaffung des ganzen bisher herrschenden Systems gefordert hatten, der katholischen Kirche erhebliche Zugeständnisse: das landesherrliche Placet sollte beschränkt, der Verkehr der Katholiken mit dem heiligen Stuhl freigegeben, die Verbindung eines Konvikts mit der katholisch-theologischen Fakultät angeordnet und die Mitwirkung der Staatsbehörden bei der Seminarprüfung in eine bloße Kenntnisnahme umgewandelt werden.
Außerdem erließ die Regierung Verordnungen über die Verleihung von Kirchenpfründen, wodurch die bischöflichen Rechte bedeutend erweitert wurden, und über die Erteilung des katholischen Religionsunterrichts an den Volks- und Gelehrtenschulen, wodurch dem Erzbischof ein überwiegender Einfluß darauf eingeräumt wurde; das Institut der landesherrlichen Dekanate wurde aufgehoben, die Verwendung des Kirchenvermögens an die Zustimmung der erzbischöflichen Behörde gebunden und derselben unbeschränkte Kenntnisnahme von der Verwaltung dieses Vermögens zugestanden.
Alle diese die staatlichen Hoheitsrechte unverantwortlich preisgebenden Zugeständnisse fanden aber die zu erwartende Anerkennung von seiten des Erzbischofs nicht. Vielmehr erließ derselbe sofort einen Protest dagegen und darauf eine Erklärung, daß die Bischöfe in den Angelegenheiten, welche die Kirche und den Staat gemeinsam berührten, nicht mehr nach den bestehenden Gesetzen und landesherrlichen Verordnungen, sondern nach den Normen, die sie als dem Dogma und dem Verfassungsrecht ihrer Kirche entsprechend aufgestellt, ihr Amt verwalten würden.
Als die badische Regierung diese Erklärung unbeantwortet ließ, schritt der Bischof von Freiburg eigenmächtig vor; er wies bei den Seminarprüfungen selbst die Gegenwart eines landesherrlichen Kommissars zurück, besetzte Pfarreien, die früher von dem Landesherrn vergeben worden waren, etc., ja er verlangte statt einer Mitaufsicht über das Kirchenvermögen die Oberaufsicht über dasselbe und erließ an den Oberkirchenrat, der das landesherrliche Schutz- und Aufsichtsrecht über die Kirche auszuüben hatte, unter Androhung der Exkommunikation die Weisung, daß derselbe sein Verhalten nur nach den Erklärungen der erzbischöflichen Kurie zu regeln habe.
Die Vorstellungen der Mitglieder des Oberkirchenrats blieben erfolglos, ebenso ein weiterer Versuch der Regierung, den Erzbischof auf den Weg der Unterhandlung zurückzuführen. Der Erzbischof erklärte offen, er werde sich die Rechte, welche die Regierung ihm verweigere, selbst zu verschaffen wissen, und nun erst, und nachdem eine nochmalige Aufforderung an den Erzbischof ohne Erfolg geblieben war, verfügte die Regierung daß weder der Erzbischof, noch das Ordinariat, noch in ihrem Namen ein Dritter einen Erlaß ohne Zustimmung und Billigung des Regierungsspezialkommissars (Stadtdirektors Burger in Freiburg) ergehen lassen dürfe. Gleichzeitig ward ein Erlaß des Ministeriums des Innern an die katholische Geistlichkeit gerichtet, worin derselben Treue gegen die Regierung, die sie zu schützen wissen werde, dringend empfohlen wurde. Der Erzbischof antwortete mit Aussprechung des Bannes gegen den Stadtdirektor Burger und gegen die Mitglieder des Oberkirchenrats, während er zugleich einen Hirtenbrief erließ, der eine offene Kriegserklärung gegen die Regierung enthielt. Der Bann wie der Hirtenbrief wurden auf vielen Kanzeln verlesen, worauf die Regierung die Pfarrer, welche dies gethan hatten, verhaften, jedoch bald wieder in Freiheit setzen ließ. Renitente Gemeinden wurden durch Einquartierung zum Gehorsam gebracht. Die Auszahlung der Gehalte an die vom Erzbischof eingesetzten Priester wurde verweigert und die fremden Geistlichen, die auf manchen Pfarreien zur Aushilfe dienten, ausgewiesen. Zugleich wurde die Aufsicht über die kirchlichen Stiftungen dem Staat übertragen. Die Regierung nahm zwar durch Verordnung vom die Verfügung vom 9. Nov. d. J. zurück und widerrief auch die Ausweisung der fremden Geistlichen. Das reizte aber nur den Erzbischof, der von fanatischen Ratgebern vorwärts getrieben wurde, zu um so schrofferm Vorgehen, indem er den Priestern den Verkehr mit Staatsstellen in kirchlichen Dingen verbot und die Verwaltung des Kirchenvermögens ganz allein in die Hand [* 5] nehmen wollte. Nun schien die Regierung sich endlich aufraffen zu wollen. Am 22. Mai wurde dem Erzbischof wegen Aufreizung gegen die Staatsgewalt seine Verhaftung angekündigt und er bis 31. Mai seinem Zimmer durch Gendarmen bewacht. Inzwischen ließ sich die Regierung auf Verhandlungen mit der päpstlichen Kurie ein und schloß im Juli 1854 einen Vertrag mit derselben ab, in welchem sie alle Verordnungen und Strafen zurücknahm, den Erzbischof in seinen vollkommenen Rechtsstand wieder einsetzte, ihm die provisorische Besetzung aller Pfründen überließ und die Aufsicht über die kirchlichen Stiftungen zurückgab. Ja, nachdem 1856 der österreichisch gesinnte, klerikale Meysenbug als Leiter des Auswärtigen und Stengel [* 6] für das Innere in das Ministerium getreten waren, ließ sich Baden sogar nach dem Beispiel Österreichs und Württembergs zu einem Konkordat mit der päpstlichen Kurie herbei, das abgeschlossen und 3. Dez. veröffentlicht wurde. Dasselbe gewährte in seinen 24. Artikeln der katholischen Kirche alles, was der Erzbischof je gewünscht hatte. Er erhielt nämlich kraft desselben das Besetzungsrecht bei 209 Pfarreien, das Recht, im Einvernehmen mit der Regierung religiöse Orden [* 7] einzuführen, die Entscheidung in Ehesachen, volle Disziplinargewalt über die Geistlichen und die ¶
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Aufsicht über den Religionsunterricht in den Schulen sowie über die theologische Fakultät in Freiburg, die Mitverwaltung des Kirchenvermögens etc.
Die Aufregung im Land über dieses Preisgeben der wichtigsten Staatsrechte und Kulturinteressen war ungeheuer und zwar nicht nur unter den Protestanten, sondern auch unter den aufgeklärten Katholiken. Durch Deputationen und in Adressen wurde der Großherzog gebeten, das gefürchtete Unglück des Konkordats von seinem Land abzuwenden. Die Denkschrift der Liberalen, welche in Durlach [* 9] eine Zusammenkunft abgehalten hatten, und eine besondere Schrift des Vizepräsidenten der Ersten Kammer, Stabel, bewiesen, daß die Verfassung durch das Konkordat verletzt sei, und daß dies durch den Landtag genehmigt werden müsse.
Die Ende 1859 zusammentretenden Kammern schlossen sich dieser Ansicht an und nahmen im Frühjahr 1860 mit großer Majorität den Antrag an, das Konkordat für nicht rechtsverbindlich zu erklären und den Großherzog zu bitten, dasselbe nicht in Wirksamkeit treten zu lassen, vielmehr die kirchlichen Angelegenheiten durch die Gesetzgebung zu regeln. Der Großherzog erfüllte die Bitte der Kammern und der überwiegenden Mehrheit des badischen Volks. Im April wurden Meysenbug und Stengel ihrer Ministerposten enthoben, Oberhofrichter Stabel zum Staatsminister der Justiz (mit einstweiliger Leitung des Auswärtigen) und Lamey, Professor in Freiburg und Mitglied der Zweiten Kammer, zum Präsidenten des Ministeriums des Innern ernannt.
Eine Proklamation des Großherzogs vom 7. April enthielt das Programm der neuen Regierung. Dieselbe wies den Protest des Erzbischofs, welcher in seinem Ausschreiben vom 21. April das Konkordat als zu Recht bestehend erklärte, in einem Erlaß vom 7. Mai zurück und legte 22. Mai Zweiten Kammer sechs Entwürfe zur Regelung der kirchlichen Verhältnisse vor, welchen der Landtag bereitwillig seine Zustimmung gab, während der Erzbischof dagegen Protest erhob und Antonelli auf die Notifikation, daß Baden das Konkordat nicht zur Ausführung zu bringen entschlossen sei, auf die schroffste Weise antwortete. Wegen Besetzung der Kirchenpfründen, Verwaltung des Kirchenvermögens und Einsetzung eines katholischen Oberstiftungsrats kam es nach langen Verhandlungen zu einer Vereinbarung mit dem Erzbischof, welcher die am publizierten gesetzlichen Bestimmungen in einem Schreiben vom 4. Dez. anerkannte, wenn auch unter obligatem Vorbehalt.
Ein neuer Streit mit den katholischen kirchlichen Behörden brach aus, als die Regierung mit den Kammern 1864 ein neues Schulgesetz vereinbarte, welches die örtliche Schulaufsicht, statt den Pfarrern allein, kollegialisch organisierten Schulbehörden übertrug, in denen der Pfarrer nur eine Stimme hatte. Doch fügte sich schließlich die erzbischöfliche Kurie und erlaubte den katholischen Geistlichen den Eintritt in diese Behörden, um nicht allen Einfluß auf die Schule zu verlieren.
Die deutsche Politik Badens.
Der Ministerwechsel von 1860 bewies nicht bloß in der kirchlichen Frage einen vollständigen Umschwung, sondern bezeichnete auch den Beginn einer konstitutionellen und nationalen Ära in Baden. Der Großherzog und das Ministerium, welches sich 1861 durch den Eintritt Roggenbachs als Minister der auswärtigen Angelegenheiten und 1863 durch den Mathys ergänzte, der die Finanzen, dann auch den Handel übernahm, waren aufrichtig bemüht, eine echt volkstümliche, friedliche Entwickelung zu befördern. Zu diesem Zweck wurde 1862 eine bedingungslose Amnestie erlassen und 1863 die Neugestaltung der Administration im Sinn der Selbstverwaltung der Gemeinden durchgeführt. Am Bundestag, an dem Robert v. Mohl seit 1861 Baden vertrat, wirkte die badische Regierung fortan für die Beförderung der freiheitlichen und nationalen Aufgaben des deutschen Volks.
Sie beantragte beim Bunde die Wiederherstellung der kurhessischen Verfassung und bemühte sich, in Sachen der Bundesreform zwischen den preußischen Vorschlägen und der schroff ablehnenden Haltung der Mittelstaaten zu vermitteln. Auf dem Frankfurter Fürstenkongreß im August 1863 erschien der Großherzog, wenngleich er gegen das österreichische Bundesreformprojekt, namentlich gegen die Delegiertenversammlung, ernste Bedenken hegte und es im ganzen nicht billigte.
In der schleswig-holsteinischen Frage trat Baden mit der Mehrzahl des deutschen Volks und der deutschen Regierungen für das Erbfolgerecht des Herzogs von Augustenburg ein, und dies führte zu einer Entfremdung gegenüber Preußen, [* 10] zumal der dortige Verfassungskonflikt die Sympathien der liberalen Majorität der badischen Kammern für Preußen erheblich abkühlte. Daher trat der preußenfreundliche Roggenbach im Oktober 1865 zurück, und Edelsheim übernahm die Leitung der auswärtigen Angelegenheiten, der, als 1866 der Konflikt zwischen Preußen und Österreich [* 11] immer schärfer wurde, sich ganz an die übrigen Mittelstaaten anschloß und entschieden damit einverstanden war, daß der Bund die ihm von Österreich angetragene Regelung der schleswig-holsteinischen Sache auch gegen Preußen übernehmen solle.
Die Kammern stimmten ihm bei und bewilligten die im Mai und Juni geforderten außerordentlichen Kredite für die Ausrüstung und Mobilmachung des badischen Kontingents. Der Großherzog gab nur ungern seine Zustimmung zu der kriegerischen Haltung des Kabinetts. Indes nachdem die preußische Regierung erklärt hatte, daß sie im Fall eines Kriegs Baden militärisch zu schützen nicht im stande sei, nachdem ein vom Großherzog selbst in Dresden [* 12] unternommener Versöhnungsversuch gescheitert war, gab er den Wünschen der meisten Minister und der Volksströmung nach, zumal Baden seine Neutralität gegen die überlegenen Nachbarstaaten nicht hätte behaupten können.
Zwar enthielt sich Baden 14. Juni der Abstimmung über den österreichischen Mobilmachungsantrag, stimmte aber 16. Juni dafür, daß Sachsen [* 13] die erbetene Bundeshilfe gegen Preußen geleistet werde, worauf Mathy und die Ministerialräte Jolly und Freydorf ihre Entlassung nahmen. Das badische Kontingent unter Prinz Wilhelm vereinigte sich in Frankfurt [* 14] mit dem 8. Bundeskorps unter Alexander von Hessen. [* 15] Allerdings vermied es der Prinz, seine Truppen durch verkehrte Märsche nutzlos aufzureiben und einen feindlichen Zusammenstoß mit der preußischen Mainarmee absichtlich herbeizuführen, weswegen er von den Demokraten und Partikularisten des schnödesten Verrats beschuldigt wurde.
Auf dem Rückzug des 8. Korps von Darmstadt [* 16] nach Würzburg [* 17] lieferte die badische Division der Mainarmee die Gefechte von Hundheim (23. Juli) und Werbach (24. Juli). Da aber inzwischen schon die Entscheidung in Böhmen [* 18] und Mähren gefallen war und auch ein weiterer Kampf am Main gänzlich zwecklos schien, so nahm der Prinz seit 25. Juli an den kriegerischen Operationen nicht mehr teil, schloß 28. Juli einen Waffenstillstand mit den Preußen und führte seine Truppen in die Heimat zurück. Schon vorher war hier ein Ministerwechsel erfolgt. Auf die Kunde von dem ¶
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Waffenstillstand von Nikolsburg zwischen Österreich und Preußen bat die Mehrheit der Zweiten Kammer 22. Juli einer Adresse den Großherzog, den nutzlosen Krieg aufzugeben und den Anschluß an Preußen herbeizuführen; zahlreiche Gemeindebehörden, Handelskammern und Volksversammlungen sprachen in Petitionen denselben Wunsch aus. Edelsheim erbat und erhielt daher 24. Juli seine Entlassung, und 27. Juli ward Mathy mit der Bildung eines neuen Ministeriums beauftragt, in dem er selbst den Vorsitz, Handel und Finanzen, Freydorf das Auswärtige, Jolly das Innere und die Justiz übernahmen. Sofort erklärte Baden seinen Austritt aus dem Deutschen Bund und schloß 17. Aug. mit Preußen Frieden, in welchem es sein Gebiet unverletzt behielt und sich nur zu einer Kriegskontribution von 6 Mill. Fl. verpflichten mußte. Dem Frieden folgte sogleich das geheime Schutz- und Trutzbündnis mit Preußen.
Die 9. Okt. zu einer kurzen Session einberufenen Kammern genehmigten nicht bloß den Friedensvertrag einstimmig, sondern sprachen auch 24. Okt. mit großer Mehrheit gegen die Regierung den Wunsch aus, daß sie den Eintritt der süddeutschen Staaten, insbesondere Badens, in die Verbindung der norddeutschen Staaten zur möglichen Wiederherstellung eines Gesamtdeutschland mit aller Entschiedenheit erstrebe und bis zur Erreichung des bezeichneten Ziels jede irgend mögliche Annäherung Badens an Preußen und den Norddeutschen Bund, sowohl aus volkswirtschaftlichen Gebieten als durch vertragsmäßige Sicherung des Zusammengehens für den Fall eines Kriegs und Verabredung dem entsprechender militärischer Einrichtungen, zu erreichen suche.
Das neue Ministerium nahm die Durchführung dieser Politik energisch in die Hand. Unter Mitwirkung des Generals v. Beyer, der als preußischer Militärbevollmächtigter nach Karlsruhe [* 20] geschickt wurde, erhielt die badische Armee preußische Bewaffnung und Organisation. Das vollständig an die norddeutsche Wehrverfassung sich anschließende neue Wehrgesetz, welches die allgemeine Wehrpflicht einführte, die Friedensstärke des badischen Heers auf 1, die Kriegsstärke auf 2 Proz. der Bevölkerung [* 21] festsetzte und das ordentliche Budget des Kriegsministeriums um 2 Mill., auf 9½ Mill., das außerordentliche auf 5 Mill. erhöhte, wurde im November 1867 und im Januar 1868 von den Kammern angenommen, worauf Beyer selbst das Kriegsministerium übernahm. Der geheime Allianzvertrag mit Preußen und die Verträge über die Erneuerung des Zollvereins und die Bildung des Zollparlaments wurden von den Kammern fast einstimmig genehmigt. Den sofortigen Eintritt Badens in den Norddeutschen Bund verhinderte bloß die ablehnende Haltung Bismarcks, der Frankreich auch nicht den geringsten Vorwand zu einer Einmischung in die deutschen Angelegenheiten geben wollte.
Daneben gingen innere Reformen her. Ein Ministerverantwortlichkeitsgesetz, ein Preßgesetz und ein Schulgesetz, welches den allgemeinen Schulzwang einführte, kamen zu stande. Um für eine wissenschaftliche und nationale Bildung der Geistlichkeit zu sorgen, ward derselben durch Verordnung vom eine staatliche Prüfung über ihre allgemein wissenschaftliche Vorbildung auferlegt. Dagegen trug die Regierung Bedenken, den Wunsch der Kammern nach Einführung der obligatorischen Zivilehe sofort zu erfüllen. Dies bewog, als nach dem Tod Mathys Jolly an die Spitze der Regierung trat und das Ministerium durch mehrere neue Männer ergänzt wurde, ohne daß eine vorherige Verständigung mit der Kammermajorität erfolgt war, einen Teil der Liberalen auf einer Versammlung in Offenburg [* 22] Ende 1868, dem Ministerium Opposition anzukündigen, falls es nicht gewisse Forderungen, wie Abkürzung der Präsenzzeit, Verminderung der Militärausgaben, eine liberale kirchliche Politik etc., erfülle.
Indessen war die Spaltung der liberalen Partei nicht von Dauer, da die klerikale Partei zu früh verriet, daß sie sich dieselbe zu nutze zu machen beabsichtige. Nachdem nämlich der Streit mit der Freiburger Kurie wegen jener Examenverordnung der Regierung, deren Befolgung Vicari allen katholischen Geistlichen verbot, und wegen der Besetzung des Freiburger Erzbistums nach dem Tod Vicaris welche das Domkapitel durch Ausstellung einer unannehmbaren Kandidatenliste unmöglich machte, von neuem ausgebrochen war, erließen, ermutigt durch den Ausfall der Zollparlamentswahlen, bei denen sie sechs Sitze gewannen, die Ultramontanen, unterstützt von der großdeutsch-demokratischen Partei, einen Aufruf, in welchem sie »Auflösung der jetzigen Ständeversammlung und Einberufung eines außerordentlichen Landtags zur Schaffung eines neuen Wahlgesetzes auf Grundlage des direkten, geheimen Wahlverfahrens« verlangten und ein Mißtrauensvotum gegen das Ministerium Jolly beantragten.
Zugleich wurde ein Adressensturm an den Großherzog organisiert und von 123 Gemeinden völlig gleichlautende Adressen abgeschickt. Angesichts dieser Agitation gab eine neue Versammlung der Liberalen in Offenburg 23. Mai die frühere Mißstimmung vollständig auf, erklärte sich wieder eins mit dem Ministerium und beschloß gleichfalls eine Adresse an den Großherzog. Der Großherzog ließ in einem Schreiben vom 29. Mai Unterzeichnern der Offenburger Adresse für ihre Treue und Hingebung danken und in einem Schreiben vom 1. Juni den Unterzeichnern der klerikal-demokratischen Adressen mitteilen, daß er ihrer Bitte keine Folge geben könne.
Die Regierung entschloß sich nun, dem neuen Landtag, der im September 1869 zusammentrat, wichtige Reformen vorzuschlagen. Durch ein Verfassungsgesetz sollte die Zweite Kammer die selbständige Wahl des Präsidenten, die Selbstbestimmung hinsichtlich der Geschäftsordnung, die Initiative in der Gesetzgebung erhalten und der Grundsatz des allgemeinen Wahlrechts und der geheimen Abstimmung, jedoch nicht der direkten Wahlen in das Wahlgesetz aufgenommen werden.
Dasselbe wurde nach längern Debatten über direkte und indirekte Wahlen von beiden Kammern genehmigt. Der Gesetzentwurf über Einführung der obligatorischen Zivilehe und der bürgerlichen Standesbeamtung wurde von der Zweiten Kammer 17. Nov. mit allen gegen 6, von der Ersten Kammer 4. Dez. gleichfalls mit allen gegen 6 Stimmen angenommen. Das Gesetz über eine neue Einteilung der Wahlbezirke, welches bestimmte, daß behufs der Wahl der 63 Abgeordneten das Land in 56 Wahlbezirke eingeteilt werden solle, wovon die Wahlbezirke der zwei größten Städte, Karlsruhe und Mannheim, [* 23] je 3, die Wahlbezirke der drei nächstgrößten Städte, Freiburg, Pforzheim, [* 24] Heidelberg, [* 25] je 2, alle übrigen Wahlbezirke je 1 Abgeordneten zu wählen hätten, wurde mit dem Amendement, die Mandatsdauer der Abgeordneten von 8 auf 4 Jahre herabzusetzen und alle 2 Jahre die eine Hälfte austreten zu lassen, im März 1870 genehmigt. Außerdem wurde das sogen. Stiftungsgesetz, wonach diejenigen Stiftungen, welche nicht kirchlichen Zwecken gewidmet waren, sondern in das Gebiet der Schule ¶
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und des Armenwesens gehörten, der kirchlichen Verwaltung entzogen und unter weltliche Verwaltung gestellt werden sollten, sowie Gesetze über Ausdehnung [* 27] der Kompetenz der Schwurgerichte bei politischen und Preßvergehen, über das an die norddeutschen Bestimmungen sich anschließende Militärstrafgesetzbuch und über die Unterstützung des Gotthardbahnunternehmens mit 3 Mill. Fl. vom Landtag angenommen. Der Schluß der fruchtbaren Session fand statt.
Baden als Glied des Deutschen Reichs.
Als der Krieg gegen Frankreich 1870 ausbrach, war Baden zunächst bedroht. Aber da es vortrefflich vorbereitet war, so gingen die Rüstungen [* 28] und die Mobilmachung in aller Ruhe vor sich. Der Großherzog erklärte sofort den Fall des Bündnisses von 1867 eingetreten und stellte die badische Division, deren Oberbefehl General v. Beyer, später v. Glümer führte, unter preußischen Befehl. Dieselbe wurde der dritten Armee unter dem Kommando des Kronprinzen von Preußen zugeteilt, war zuerst mit der württembergischen Division zu einem besondern Korps vereinigt, löste sich nach dem Tag von Wörth [* 29] von diesem Korpsverband ab und wurde in Verbindung mit zwei preußischen Divisionen zur Belagerung Straßburgs verwendet. Am 28. Sept. zogen die badischen Truppen in Straßburg [* 30] ein.
Darauf wurden dieselben als 14. Armeekorps mit drei preußischen Detachements vereinigt, zogen unter General v. Werder über die Vogesen in der Richtung nach Besançon [* 31] und Dijon, [* 32] nahmen letztere Stadt 31. Okt., schlugen die Garibaldianer 26. Nov. von Dijon bis Autun zurück und siegten 18. Dez. über das Korps des Generals Cremer im Treffen bei Nuits. Bei dem Anmarsch der Bourbakischen Armee gab die badische Division Dijon auf und nahm nebst den übrigen Teilen des 14. Armeekorps die berühmte Defensivstellung ein, welche von Frahier über Héricourt und Montbéliard bis nach Delle an der Schweizer Grenze sich hinzog. An den denkwürdigen Kämpfen vom 15., 16. und nahmen die badischen Truppen auf dem rechten Flügel ruhmvollen Anteil. Nach dem Rückzug Bourbakis und nach dem Aufmarsch der beiden Korps des Generals v. Manteuffel bezog die Division am Fluß Doubs bei Besançon eine Reservestellung und verharrte darin bis zum Ende des Kriegs; ihr Gesamtverlust betrug 3438 Mann an Toten, Verwundeten und Vermißten.
Inzwischen hatte Baden schon 2. Okt. seinen Eintritt in den Norddeutschen Bund, ohne irgend eine Änderung der Verfassung desselben zu verlangen oder mit Ausnahme der Besteuerung des inländischen Branntweins und Biers Reservatrechte zu beanspruchen, beantragt. Die Unterhandlungen wurden noch im Oktober in Versailles [* 33] eröffnet, 15. Nov. der Verfassungsvertrag mit dem Norddeutschen Bund, am 25. die Militärkonvention mit Preußen abgeschlossen. Die Bestimmungen des Vertrags lauteten ganz im Sinn des badischen Antrags; nach der Militärkonvention wurde das badische Kontingent ein unmittelbarer Bestandteil der preußischen Armee, so daß der König von Preußen als Bundesfeldherr alle Rechte und Pflichten des Kontingents- und Kriegsherrn, einschließlich der Fürsorge für die Festung [* 34] Rastatt [* 35] unter Vorbehalt der badischen Territorialhoheit, übernahm.
Beide Verträge wurden dem am 13. Dez. wieder zusammentretenden Landtag vorgelegt und wenige Tage darauf genehmigt. Die Ausführung der Verträge folgte auf dem Fuß. Am gingen die badischen Truppen der Militärkonvention gemäß als 14. Armeekorps in die preußische Armee über. Am nämlichen Tag wurde das Ministerium des Auswärtigen aufgelöst und 24. Okt. alle Gesandtschaften, welche Baden bisher noch unterhalten hatte, in Wien, [* 36] München, [* 37] Stuttgart, [* 38] Darmstadt und im Haag, [* 39] aufgehoben.
Die Auflösung des Kriegsministeriums erfolgte Bei den Wahlen zum ersten deutschen Reichstag errangen trotz der lebhaftesten Agitation der katholischen Geistlichkeit die Nationalliberalen in 12 Wahlbezirken den Sieg, die Ultramontanen nur in 2. Die Demokraten unterlagen überall. Die deutsch-nationale Haltung der Regierung seit 1866 hatte damit einen glänzenden Erfolg errungen und dieselbe sich um die Herstellung der deutschen Einheit ein unsterbliches Verdienst erworben.
Im Innern sah sich die Regierung durch die Pflicht, die Altkatholiken in Schutz zu nehmen und den Anmaßungen der römischen Hierarchie entgegenzutreten, zu neuen kirchlichen Gesetzen gezwungen. Sie legte dem am eröffneten Landtag zwei Gesetzentwürfe über die Ausschließung religiöser Ordensmitglieder vom Elementarunterricht und von der Aushilfe in der Seelsorge und über das Verbot von Missionen vor, die trotz des Widerspruchs der Ultramontanen von beiden Kammern angenommen wurden.
Hierauf erließ sie an sämtliche Mitglieder religiöser Orden und Kongregationen den Befehl, ihre bisherige Lehrthätigkeit binnen vier Wochen einzustellen. Da die Freiburger Kurie den Widerstand gegen die Examinarordnung vom hartnäckig fortsetzte, so gestattete das Ministerium fortan keinem neuangestellten Pfarrer oder Pfarrverweser, der sich nicht jener Verordnung unterwarf, die Ausübung einer geistlichen Verrichtung, so daß allmählich zahlreiche Pfarrvakanzen eintraten.
Durch ein 1874 vom Landtag gebilligtes Gesetz wurden die Strafbestimmungen gegen unbefugte geistliche Handlungen noch verschärft und die Schließung aller Knabenseminare und Konvikte angeordnet. Den Altkatholiken wurden mehrere Kirchen eingeräumt und die Bildung altkatholischer Gemeinden gestattet. Den altkatholischen Bischof Reinkens erkannte die Regierung an. Da das Freiburger Domkapitel sich hartnäckig weigerte, eine neue Kandidatenliste für die Erzbischofswahl vorzulegen, so wurde von 1875 ab der sogen. erzbischöfliche Tischtitel vom Budget gestrichen. Der Landtag von 1874 nahm auch noch ein Gesetz über den Schutz der Altkatholiken, eine Kapitalrentensteuer und eine neue Städteordnung für die sieben größten Städte an, welche die Wahlrechte der Einwohner vermehrte.
Dem 1875-76 versammelten Landtag wurde von der Regierung ein Gesetzentwurf über die Aufbesserung der Pfarrgehalte, ein zweiter, von der Zweiten Kammer im Jahr zuvor gewünschter über die Einführung konfessionell gemischter Volksschulen, ferner Entwürfe einer Steuerreform und der Organisation der Oberrechnungskammer vorgelegt. Den wichtigsten Gegenstand der Verhandlungen bildete das Schulgesetz, gegen welches vor allen die Ultramontanen eiferten. Das Gesetz befahl zwar die Verschmelzung der Schulen verschiedenen Bekenntnisses in Einer Gemeinde und Einführung eines gemeinschaftlichen Unterrichts für alle Schüler; doch betraf diese Bestimmung nur 153 Gemeinden, der Religionsunterricht ward ausdrücklich ausgenommen, und bei der Wahl der Lehrer sollte auf die Konfession der Mehrheit der Schüler Rücksicht genommen, einer Minderheit von wenigstens 20 Schülern auch ein ¶
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Lehrer ihrer Konfession zugestanden werden. Die Kammern gaben ihre Zustimmung. Auch das Pfarrdotationsgesetz wurde mit einigen Modifikationen angenommen, ebenso das Gesetz über die Oberrechnungskammer und die Erwerbsteuer, worauf der Landtag geschlossen wurde. Da aber inzwischen am Hof [* 41] eine strengere kirchliche Richtung Einfluß erlangt hatte, welche mehrere Zugeständnisse Jollys bei der Schulgesetzverhandlung mißbilligte und dessen Forderung, daß auch die evangelischen Geistlichen den für eine Erhöhung der Dotation geforderten Revers unterzeichnen sollten, besonders übel aufnahm, so erhielt Jolly plötzlich seine Entlassung.
Infolgedessen reichte das gesamte Ministerium seine Entlassung ein, und der Präsident des Handelsministeriums, Turban, ward am 23. beauftragt, »auf Grundlage der bisher maßgebend gewesenen Richtung der Regierung sowohl in betreff der innern Politik als auch in Bezug auf die nationalen Entwickelungsaufgaben ein freisinniges Ministerium neu zu bilden«. Außer Jolly schied nur noch Freydorf aus dem Ministerium aus, die übrigen Minister blieben. Das Ministerium des Innern übernahm Stösser, das der Justiz Grimm; Turban wurde Staatsminister und Ministerpräsident.
Das neue Ministerium vereinbarte 1878 und 1879 mit dem Landtag die umfassenden Einführungsgesetze zur Reichsjustizreform und das Gesetz über die Aufbringung des Gemeindeaufwandes. Darauf trat es 1880 mit den seit langem vorbereiteten Vorschlägen über eine Aussöhnung mit der Kurie hervor, indem es beantragte, die durch die Verordnung von 1867 und durch Gesetz von 1874 befohlene besondere Staatsprüfung für Geistliche fallen zu lassen und sich mit der Anwesenheit eines Staatskommissars bei der gewöhnlichen Prüfung zu begnügen.
Die Zweite Kammer indes lehnte den Antrag ab, da die Freiburger Kurie selbst die Nachsuchung des Dispenses für die ältern Geistlichen nicht erlauben wollte, und nahm einen neuen Gesetzentwurf, welcher bloß den Nachweis des Maturitätsexamens und dreijährigen Universitätsbesuchs forderte, erst an, nachdem die Kurie die Einholung des Dispenses gestattet hatte. Die Folge dieser Verhandlungen war der Sturz Stössers. Indes bewirkte die nachgiebige Haltung der Regierung doch ein solches Erstarken der Ultramontanen und ihr zeitweiliger Zerfall mit der liberalen Kammermajorität eine solche Schwächung der letztern, daß bei den Ergänzungswahlen 1881 die Nationalliberalen die unbedingte Mehrheit verloren und die Ultramontanen auf 22 Mitglieder stiegen. Es trat daher eine Stockung in der Gesetzgebung ein, bis 1883 die Nationalliberalen sich wieder auf Kosten der Ultramontanen auf 34 (von 63) verstärkten. Regierung und Landtag gingen nun an eine Reform der innern Verwaltung.
Vgl. Vierordt, Badische Geschichte bis zum Ende des Mittelalters (Tübing. 1865);
Bader, Badische Landesgeschichte (2. Ausg., Karlsr. 1838);
Preuschen, Badische Geschichte (das. 1842);
Drais, Geschichte von unter Karl Friedrich (das. 1816-18);
Nebenius, Karl Friedrich von Baden (das. 1868), v. Weech, unter den Großherzögen Karl Friedrich, Karl, Ludwig, 1738-1830 (Freiburg 1863);
Schöchlin, Geschichte von unter Großherzog Leopold (Karlsr. 1856);
Mone, Quellensammlung zur badischen Landesgeschichte (das. 1848-67, Bd. 1-4);
Häusser, Denkwürdigkeiten zur Geschichte der badischen Revolution von 1844 bis 1849 (Heidelb. 1851);
Bekk, Die Bewegung in Baden (Mannh. 1850);
v. Weech, in den Jahren 1852-77 (Karlsr. 1877);
Derselbe, Geschichte der badischen Verfassung (das. 1868);
Derselbe, Badische Biographien (Heidelb. 1875, 2 Bde.; Nachtrag 1881).