befreundeter ausländischer
Staaten wird auch im Inland geachtet. Es ist in dieser Beziehung namentlich an das heutige
Gesandtschaftsrecht,
an die
Exterritorialität des Gesandtschaftspersonals, an die
Gerichtsbarkeit der
Konsuln und an die sonstigen wichtigen Befugnisse
der
Gesandten und
Konsuln zur Wahrung der
Interessen ihrer Staatsangehörigen im A. zu erinnern. Es wird
ferner auch im Inland die Rechtsordnung des Auslandes insofern anerkannt, als der Ausländer, welcher gegen sie gefrevelt
hat, in schweren
Fällen regelmäßig an die ausländische
Regierung ausgeliefert wird (s.
Auslieferung von Verbrechern).
Endlich gehören auch die strafrechtlichen Bestimmungen (deutsches
Strafgesetzbuch, § 102 ff.) hierher, welche in betreff
der feindlichenHandlungen gegen befreundete ausländische
Staaten gegeben sind. Auf der andern Seite ist
aber auch der Ausländer im Inland nicht mehr, wie im
Altertum, rechtlos; er genießt vielmehr den
Schutz des
Staates und wird
auch zur Ausübung aller derjenigen
Rechte zugelassen, deren
Genuß nicht durch die
Staatsangehörigkeit des Berechtigten bedingt
ist.
Umgekehrt steht aber auch der Ausländer im Inland unter der inländischen
Staatshoheit und
Gesetzgebung.
Deshalb
ist er bei Eingehung von
Rechtsgeschäften, wenigstens bezüglich der Form, an die inländische
Gesetzgebung gebunden
(locus regit actum); dieselbe ist für ihn in Ansehung des
Erwerbs und des Verlustes von
Rechten im Inland maßgebend, und
ebenso ist der Ausländer wegen etwaniger im Inland begangener strafbarer
Handlungen nach der Rechtsordnung
des letztern zu behandeln und zu bestrafen.
Was dagegen die im A. verübten
Verbrechen anbelangt, so ist deren Behandlungsweise in der
Theorie wie in der
Gesetzgebung eine
verschiedene. Das deutsche
Reichsstrafgesetzbuch (§ 3 ff.) nähert sich in dieser Hinsicht
dem sogen. Territorialitätsprinzip. Es bestraft nämlich die im A. begangenen
Verbrechen derRegel nach nicht, doch kann (nicht
»muß«) 1) ein Ausländer bestraft werden, welcher im A. eine hochverräterische
Handlung gegen das
Deutsche Reich
[* 2] oder gegen einen einzelnen
Bundesstaat, oder ein
Münzverbrechen begangen hat;
(lat. Stolones), die an manchen
Gewächsen aus den untersten Blattwinkeln seitwärts
hervortreibenden
Stengel,
[* 3] welche an ihrem Gipfel Blattknospen tragen, in der
Regel an den Ansatzstellen ihrer
Blätter im
BodenWurzeln schlagen und, nachdem durch
Absterben des
Stengels die
Verbindung mit der Mutterpflanze aufgehört hat, selbständige
Pflanzen werden.
ManchePflanzen, wie Trientalis,
Mentha u. a., besitzen auch unterirdische Ausläufer. Die
Gärtner benutzen
die Ausläufer zum
Ablegen und Absenken.
(Ausziehen,
Extrahieren), techn.
Operation, bei welcher die in einer
Substanz enthaltenen löslichen
Stoffe durch
ein Lösungsmittel ausgezogen werden. Bei mineralischen
Massen, und wenn eine
Substanz von darin enthaltenen löslichen Teilen
befreit, gereinigt werden soll, spricht man von Auslaugen, bei organischen (meist vegetabilischen), und
wenn es sich um die Gewinnung der löslichen Teile handelt, von
Ausziehen oder
Extrahieren. Die auszulaugenden
Substanzen werden
in der
Regel zunächst zerkleinert, um dem Lösungsmittel leichtern Zutritt zu den einzelnen Teilen zu verschaffen; doch muß
darauf gesehen werden, daß die
Substanz mit dem Lösungsmittel nicht einen wenig durchdringlichen Brei
bildet.
Deshalb ist die Pulverform häufig unzweckmäßig. Im einzelnen gestaltet sich das Auslaugen sehr verschieden.
Kräuter,
Wurzeln etc.
werden fein zerschnitten oder grob gepulvert, mit kaltem oder heißem
Wasser zu Brei angerührt und nach 24
Stunden ausgepreßt.
Den Preßrückstand behandelt man noch einmal in gleicher
Weise und vereinigt dann den zweiten
Auszug mit
dem ersten. Sehr harte
Rinden oder
Hölzer läßt man, mit kaltem
Wasser benetzt, 30-60
Stunden stehen
(Insukkation), ehe man
sie mit heißem
Wasser zu einem Brei anrührt.
Ist die Anwendung der
Presse
[* 4] ausgeschlossen, so muß man mit bedeutend größern
MengenFlüssigkeit arbeiten, um die löslichen
Bestandteile möglichst vollständig zu gewinnen. Weil aber diese
Flüssigkeit in der
Regel wieder verdampft
werden muß, so ist es von großer Wichtigkeit, mit möglichst wenig
Flüssigkeit zum
Ziel zu gelangen. Dies kann nur durch
ein systematisches
Verfahren erreicht werden. Enthält z. B. eine auszulaugende
Erde 12 Teile
Salz,
[* 5] so bedarf man, um die
Erde zunächst nur zu durchnässen, eine gewisse
Quantität, vielleicht 100 Teile,
Wasser.
Diese lösen die 12 Teile
Salz vollständig, aber man erhält keine
Lauge. Gießt man dagegen 400 Teile
Wasser auf, so werden 300 Teile
als
Lauge abfließen und ¾ des
Salzes, also 9 Teile, ausziehen. 3 Teile
Salz bleiben mit 100 Teilen
Wasser
in der
Erde zurück. Wenn man dagegen zunächst nur 200 Teile
Wasser auf die
Erde gießt, so erhält man 100 Teile
Lauge mit 6 Teilen
Salz; ein zweiter
Aufguß von 100 Teilen
Wasser auf die schon mit
Wasser gesättigte
Erde liefert 100 Teile
Lauge mit 3 Teilen
Salz, ein dritter
Aufguß von 100 Teilen
Wasser abermals 100 Teile
Lauge mit 1½ Teil
Salz, und man hat nun im ganzen wieder 300 Teile
Lauge, welche aber 10½ Teile
Salz enthalten.
Beim fabrikmäßigen Betrieb wendet man stets das
Prinzip des systematischen oder kontinuierlichen Auslaugens an. Man braucht
hierzu eine
Reihe von
Gefäßen mit doppeltem
Boden und Abflußhahn, welche mit der auszulaugenden
Substanz
gefüllt werden.
In dasGefäß
[* 6] 1 bringt man reines
Wasser, welches lösliche
Stoffe aus der
Substanz aufnimmt und nun in das
Gefäß 2 gelangt, wo es sich weiter mit löslichen
Stoffen bereichert. Die
Lösung gelangt dann in
Gefäß
3, endlich in
Gefäß 4, aus welchem sie hinreichend konzentriert abfließt. Inzwischen ist nun das
Gefäß 1 viermal mit reinem
Wasser gefüllt und dadurch die in demselben enthaltene
Substanz vollständig erschöpft worden. Es wird also entleert, mit
frischer
Substanz beschickt und fungiert nun als letztes
Gefäß, d. h. man leitet reines
Wasser in
Gefäß 2 und
die aus
Gefäß 4 abfließende
Lauge zum
Schlu߶
mehr
noch in Gefäß 1. Hat das Gefäß 2 viermal reines Wasser empfangen, so wird es ebenfalls entleert, mit frischer Substanz beschickt,
und während nun das reine Wasser in Gefäß 3 fließt, gelangt die Lauge zuletzt aus Gefäß 1 in Gefäß 2. In dieser Weise fährt
man fort und erreicht damit, daß das reine Wasser stets auf fast erschöpfte Substanz fließt und diese
vollständig auswäscht, während sich die schon ziemlich konzentrierte Lauge zuletzt bei Berührung mit frischer Substanz
vollständig mit löslichen Teilen sättigt. Diese Methode wird auch in der Weise ausgeführt, daß man die auszulaugende Substanz
in Sieb- oder Drahtkörbe packt und diese aus einem Gefäß in das andre hebt, während sich die Flüssigkeit
in entgegengesetzter Richtung durch die terrassenförmig aufgestellten Gefäße bewegt, indem in das obere Gefäß reines Wasser
einfließt und der konzentrierte Auszug aus dem untersten Gefäß abfließt.
Zum Extrahieren von Vegetabilien wendet man häufig die Deplacierungs- oder Verdrängungsmethode an. Man
benutzt hierzu ein thönernes, innen glasiertes Gefäß, welches etwa die Form eines Zuckerhuts besitzt, stellt dasselbe mit
der Spitze nach unten in ein geeignetes Gestell, verschließt die untere Öffnung, füllt das Gefäß mit der zerkleinerten
Substanz, übergießt diese mit Wasser und überläßt den Apparat einige Zeit der Ruhe. Dann zieht man den
ersten Auszug durch die Öffnung in der Spitze des Gefäßes ab, gießt von neuem Wasser auf und wäscht, nachdem auch dieses
nach längerer Einwirkung abgezogen ist, die extrahierte Substanz durch gleichmäßiges Ausgießen von Wasser so lange aus,
bis die abfließende Flüssigkeit nur noch wenig gefärbt ist.
Statt des Thongefäßes wendet man auch ein Faß an,
[* 8] welches nahe über dem Boden mit einem Hahn
[* 9] versehen ist und über diesem
einen Siebboden enthält, auf welchen die zu extrahierende Substanz geschüttet wird. Bedeckt man dieses Faß oder das Thongefäß
mit einem am Rand luftdicht schließenden Deckel, aus dessen Mitte sich eine möglichst lange, am andern
Ende mit einem Trichter versehene Röhre vertikal erhebt, und gießt dann so viel Wasser ein, daß nicht nur das Gefäß, sondern
auch die Röhre bis in den Trichter hinein gefüllt ist, so steht die zu extrahierende Substanz unter hohem Druck und wird schneller
vom Wasser durchdrungen.
Man nennt diese Vorrichtung Realsche oder hydrostatische Presse, während bei der aerostatischen, Romershausenschen oder Luftpresse
der Raum zwischen den beiden Böden des Fasses mit einer Luftpumpe
[* 10] verbunden wird, so daß, wenn diese in Thätigkeit tritt,
der Atmosphärendruck die Flüssigkeit durch die zu extrahierende Substanz hindurchtreibt. Den Atmosphärendruck kann
man auch mit Hilfe von Wasserdampf zur Wirkung bringen, wie es bei manchen Kaffeemaschinen geschieht, und anderseits laugt
man z. B. Nutzholz, um es dauerhafter zu machen, unter hohem Druck aus, indem man es in Form von Eisenbahnschwellen etc. in
einen Dampfkessel
[* 11] packt und dann aus einem andern Dampfkessel Wasserdampf einleitet. Der Dampf
[* 12] verdichtet
sich zuerst, indem er seine Wärme
[* 13] an das Holz
[* 14] abgibt, durchdringt dasselbe dann und entfernt daraus die löslichen, leicht
zersetzbaren Saftbestandteile. In diesem Fall handelt es sich nicht um die Gewinnung des Auszugs, und insofern gehört die
Operation einem andern Kreis
[* 15] an.
Wird als Lösungsmittel nicht Wasser, sondern eine wertvolle flüchtige Flüssigkeit, z. B. Alkohol, Äther,
Schwefelkohlenstoff, Benzin, angewandt, so benutzt man Auslauge- oder Extraktionsapparate, deren einzelne Gefäße,
um Verluste
durch Verdunstung zu vermeiden, luftdicht verschließbar sein müssen. Auch für kontinuierlichen Betrieb sind derartige Apparate
ausgebildet worden. Man versieht z. B. ein cylinderförmiges, aufrecht stehendes, luftdicht
verschließbares Gefäß in halber Höhe mit einem Siebboden und schüttet auf diesen die zu extrahierende
Substanz, während der Äther sich in dem untern Raum befindet, der mittels Doppelbodens durch Dampf geheizt wird.
Die Ätherdämpfe gelangen durch ein weites Rohr, welches die Mitte des Siebbodens durchsetzt, in den Raum über der zu extrahierenden
Substanz und werden hier an einem horizontal liegenden, mit kaltem Wasser gespeisten Schlangenrohr und an
dem ebenfalls gut gekühlten Deckel des Gefäßes verdichtet, so daß der Äther in Tropfen auf die Substanz herabfällt. Er
durchdringt dieselbe, nimmt die löslichen Stoffe auf und sickert durch den Siebboden in den untern Teil des
Apparats, wo er von neuem in Dampf verwandelt wird, während die gelösten Stoffe zurückbleiben. Man läßt den Apparat arbeiten,
bis der von dem Siebboden herabfallende Äther farblos ist. Die Extraktionsapparate für flüchtige Flüssigkeiten sind besonders
für die Gewinnung von Fett aus Samen,
[* 16] Knochen,
[* 17] Wolle mit Hilfe von Schwefelkohlenstoff, Äther, Benzol etc.
ausgebildet worden.
Methode (Evacuatio), eine in früherer Zeit, besonders unter der Herrschaft der Humoralpathologie, hochgeschätzte
und vielfach mißbrauchte Heilmethode, welche auf der reichlichen Anwendung von Abführmitteln, Brechmitteln, Harn und Schweiß
treibenden Mitteln beruhte und eine im Körper vorausgesetzte Materia peccans zu entfernen suchte.
(Interpretation), die Auffindung und Darstellung des in irgend etwas (Worten, Zeichen etc.) liegenden Sinnes,
insbesondere des Sinnes einer Schriftstelle. Im Gegensatz zu einer sinngetreuen, wissenschaftlich genauen oder
authentischen (d. h. vom Verfasser selbst herrührenden) Auslegung nennt man populäre
Auslegung diejenige, welche den Sinn einer Stelle, z. B. einer Bibelstelle, so vielseitig behandelt, als lehrreich und fruchtbar
erscheint, ohne sich an den Sinn, welchen der Verfasser hineinlegen wollte, streng zu binden. Die Auslegung macht sich als Kunst besonders
geltend in der Philologie, wo sie als Interpretation das richtige Verständnis der klassischen Schriftwerke
zu vermitteln hat; in der Theologie als Exegese der Heiligen Schrift und der als norma fidei sanktionierten Glaubensartikel
(s. Hermeneutik); in der Jurisprudenz als Gesetzesauslegung (s. d.).
oder Extraditionsscheine, auch Bezugsanweisungen, Bezugsscheine genannt, sind Scheine, welche
die Auslieferung einer Ware zum Zweck haben. Vgl. Lagerschein.
vonVerbrechern. Vermittelst der Auslieferung wird ein Strafverfahren oder auch die Strafvollstreckung gegen solche
Personen ermöglicht, welche sich nach begangener Missethat durch Flucht der Verfügung des Gerichts oder
der Vollzugsbehörde entzogen haben. An dem Hergang der Auslieferung sind also notwendigerweise drei Kategorien von Personen beteiligt:
die Beamten oder Organe desjenigen Landes, welches sich der Verfügung über einen Rechtsflüchtigen entschlägt;
desjenigen Landes, welches den Rechtsflüchtigen in seine Verfügungsgewalt zu bringen sucht, und endlich die Rechtsflüchtigen
selbst. Im weitern Sinn genommen, begreift der Ausdruck Auslieferung auch die gesetzlich geordnete, in Gemäßheit strafprozessualischer
Grundsätze zu bewirkende Übergabe eines Verbrechers von einem Gericht eines Staates oder Bundesstaats an ein andres Gericht innerhalb
desselben Gesetzgebungsterritoriums. Im engern Sinn versteht man dagegen unter Auslieferung eine Maßregel der Völkerrechtsordnung,
in Gemäßheit welcher unabhängige Staaten sich wechselseitig für die Zwecke der Strafrechtspflege Unterstützung leihen,
damit Verbrecher in demjenigen Staat, in welchem sie eine Missethat begangen haben, und aus welchem sie entflohen sind, zur
Rechenschaft gezogen werden können.
Was die geschichtliche Entwickelung der Auslieferung anbelangt, so folgt diese überall dem jeweiligen Zustand der strafrechtlichen
Kultur, der Strafprozeßgrundsätze und der völkerrechtlichen Beziehungen. Im Altertum fehlte es durchaus an regelmäßigen
Einrichtungen der Auslieferung. Man dachte nicht an die Verfolgung solcher, die sich der Bestrafung durch Flucht in das Ausland entzogen
hatten. Das Exil war die hauptsächliche und vielfach sogar einzig mögliche Gestalt der Freiheitsstrafe. Selbstverbannung
war zur Zeit der römischen Republik sogar das Recht derjenigen, die sich einer Verurteilung in Kapitalsachen entziehen wollten.
Rechtlosigkeit des Flüchtlings in der Fremde erschien im Vergleich zur Todesstrafe als das schlimmere Übel. Dazu kam,
daß die einzelnen Staaten den Interessen ausländischer Rechtspflege entweder teilnahmlos oder gar feindlich gegenüberstanden.
Außerhalb der von der Strafrechtspflege verfolgten Zweckrichtungen finden sich freilich im Altertum einige gelegentlich vorkommende
Fälle, in denen Schuldige zur Bestrafung an das Ausland abgegeben oder bis in einen ausländischen Zufluchtsstaat verfolgt
werden. Die Verfolgung Hannibals durch die Römer,
[* 20] die häufig herbeigezogen wird, erscheint jedoch als
Akt rein praktischer Verfolgung eines besiegten Feindes, an dessen Vernichtung den Römern auch dann noch viel gelegen war,
als er den Oberbefehl über Armeen längst verloren hatte. Es ist selbstverständlich, daß das Asylrecht (s. Asyl) nicht bloß
der Bestrafung im Inland, sondern auch der Verfolgung durch ausländische Regierungen eine Schranke setzen
mußte.
Ebensowenig wie das klassische Altertum kennt das Mittelalter bestimmte Rechtsregeln für die Handhabung der Auslieferung. Jede der zahlreichen
Justizgewalten war eifersüchtig darauf bedacht, ihre Selbständigkeit zu wahren. Kaiser und Könige, Kirchen und Kloster, Grundherren,
Vasallen und Städte glaubten es sich und ihrer Würde schuldig zu sein, Rechtsflüchtige so lange zu beschirmen
und zu beherbergen, als es das eigne Interesse und die allgemeine Sicherheit irgend zuließen.
Das weit ausgedehnte Asylrecht der mittelalterlichen Kirchen wirkte für andre Lebenskreise vorbildlich. Auch darf nicht übersehen
werden, daß die herkömmlichen Vorstellungen von Gastfreundschaft und das durch barbarische Strafmittel
in jener Zeit herausgeforderte Mitleid dem Flüchtling überall zu statten kommen mußten. Auslieferung galt daher vielfach als Akt der
Schwäche gegenüber dem Andrängen andrer Staaten oder als feiger Verrat an Schutzflehenden, die seltener von dem Spruch einer
unparteiisch erwägenden Justiz als von der Rache mächtiger Verfolger bedroht waren. In demselben Maß,
wie in den größern Staaten, vornehmlich in Frankreich und in England, die
königliche Gewalt ständige Gerichtsorganisationen
herzustellen und zu führen vermochte oder das Gebiet der grundherrlichen und kirchlichen Justiz beschränkte, wuchs auch
die Erkenntnis, daß die Rechtspflege des Staates, unabhängig von lokalen Hindernissen und räumlichen
Schranken, eine allgemein menschliche Aufgabe zu erfüllen hat.
Anderseits begann man im 14. und 15. Jahrh. zu begreifen, daß die öffentliche Unsicherheit
(Straßenraub, Wegelagerei, Gaunerwesen) durch Unvollkommenheiten und Hemmungen in der Strafrechtspflege befördert werden
mußte, Straflosigkeit also ein schweres Gebrechen darstelle. Vorderhand suchte man sich in höchst zweckwidriger Weise
dadurch zu helfen, daß man die strafprozessualische Lage des Ausbleibenden und Flüchtigen durch allerlei Nachteile verschlimmerte,
womit dann hinwiederum das öffentliche Mitleid auf seine Seite gedrängt wurde.
Dennoch kennt die mittelalterliche Rechtsgeschichte einige Beispiele von Auslieferungsverträgen. Als solche sind zu erwähnen:
2) der Vertrag zwischen Karl V. von Frankreich und dem Grafen von Savoyen Immerhin waren solche Verträge selten.
Häufiger kam es vor, daß Fürsten in eine Beschränkung des Asylrechts willigten oder aber sich ausdrücklich
verpflichteten, gewisse Gattungen von Verbrechern auszuweisen oder überhaupt in ihren Staaten nicht aufzunehmen. Dieser Art
war beispielsweise das zwischen Ludwig VI. von Frankreich und dem König von England getroffene Abkommen, wonach
man sich Unterstützung gegen rebellische Unterthanen angelobte.
Während man in der Verbannung gemeiner Verbrecher selten etwas Anstößiges fand, erkannte man die Gefährlichkeit
des Exils gerade bei politischen Verbrechern vergleichungsweise frühzeitig. So war es denn eben das Interesse absoluter Herrscher,
ihre Gegner mit allen denkbaren Mitteln außerhalb der Landesgrenzen zu verfolgen, worin die spätere Auslieferung ihren Anknüpfungspunkt
fand Ludwig XIV. ließ gelegentlich Rechtsflüchtige jenseit der französischen Grenze ergreifen, ein willkürlicher
Gewaltmißbrauch, dessen sich auch Napoleon schuldig machte, als er sich des Herzogs von Enghien versicherte.
Einen Wendepunkt in der Geschichte des Auslieferungswesens bezeichnet das 18. Jahrh. Die Zweckwidrigkeit
einer Verbannung gemeiner Verbrecher ward allgemein begriffen. Friedrich d. Gr. schaffte in seinen Ländern die Landesverweisung
ab. Das Interesse, den flüchtigen Verbrecher zu verfolgen, traf zusammen mit dem präventiv-polizeilichen
Zweck, fremdes Gesindel von der Zuwanderung abzuhalten. Ebenso einleuchtend war, daß dem Abschreckungszweck; dem die
Strafrechtspflege im vorigen Jahrhundert mit Vorliebe huldigte, in vollkommenem Maß erst dann genügt sei, wenn dem Verbrecher
die Hoffnung abgeschnitten würde, sich nach begangener Missethat in die Fremde flüchten zu können.
Anderseits begann die öffentliche Meinung unter dem Eindruck, den derWiderruf des Edikts von Nantes
[* 21] und die Dragonaden gemacht
hatten, der politisch und religiös Verfolgten sich anzunehmen. Selbst die Päpste vermochten sich dieser Strömung der Gedanken
nicht zu entziehen. Die Kirche ordnete eine Beschränkung ihres alten Asylrechts an. Überall suchte man,
zumal nach dem Auftreten Beccarias, die allgemeinen menschlichen Interessen in der Strafrechtspflege und
¶
mehr
Strafgesetzgebung geltend zu machen und den Eigennutz der einzelnen Staaten in der Verfolgung ihrer besondern Interessen zurückzudrängen.
Frankreich, Dänemark,
[* 23] Spanien,
[* 24] die deutschen Staaten, Schweden,
[* 25] Rußland schlossen mehrfach Auslieferungsverträge miteinander
ab. Als einer der vollständigsten in dieser Kategorie darf derjenige bezeichnet werden, den Frankreich 1759 mit Württemberg
[* 26] abschloß und 1765 erneuerte. Unter den acht Verbrechensgattungen, auf welche derselbe Bezug nahm, befanden
sich sogar Deserteure und Vagabunden, ein Anzeichen dafür, daß polizeiliche Zwecke sich mit den strafrechtlichen Gesichtspunkten
vermischten. Selbst die nordamerikanische Union schloß ihren ersten Auslieferungsvertrag mit England wonach Mörder
und Fälscher wechselseitig ausgeliefert werden sollten.
Für die im 19. Jahrh. fortschreitende Entwickelung der waren vorzugsweise zwei Verhältnisse von Wichtigkeit:
einmal die Verbreitung der konstitutionellen Verfassungsgrundsätze in West- und Mitteleuropa, anderseits die ungeheure Verkehrsentwickelung
infolge des Eisenbahnbaus und der Einrichtung transatlantischer Dampferlinien. Jede der zahlreichen politischen Bewegungen
seit 1815 nötigte die hervorragenden Führer aufständischer Parteien oder der gestürzten Reaktion, in
das Ausland unter den Schutz freierer Staatsordnungen zu flüchten.
Aber auch das gemeine Verbrechen fand in der Leichtigkeit, die Staatsgrenze zu überschreiten, einen Anreiz zur Bethätigung.
England, Belgien
[* 27] und die Schweiz
[* 28] verteidigten das Asylrecht für politische Verbrecher, während sie gleichzeitig die thatkräftige
Verfolgung gemeiner Verbrecher zuzugestehen bereit waren. Mit 1815 beginnend, steht das europäische
Auslieferungsrecht unter diesem überall durchschimmernden Gegensatz zwischen dem Mißtrauen derer, welche im Hinblick auf
das politische Verbrechen der Verfolgungssucht despotischer Regierungen zu wehren suchen, und dem sicherheitspolizeilichen
Bestreben, sich schleunigst mit Hilfe ausländischer Staatsregierungen des Rechtsflüchtigen zum Zweck seiner Aburteilung zu
versichern.
Die Thatsache der Flucht erschien somit überall, je nach dem Standpunkt des Beurteilers, in dem Zwielicht
einerseits berechtigter Selbsterhaltung gegen despotisch und willkürlich gehandhabte Übermacht siegreicher Parteigegner,
anderseits als Eingeständnis der Schuld durch solche, die sich der Untersuchung vor dem Richter entzogen. Von hervorragender
Wichtigkeit für die spätere Ausbildung der Auslieferungspraxis nach 1848 ward die belgische Gesetzgebung,
die jenen verschiedenen Gesichtspunkten gerecht zu werden suchte und deswegen in neuerer Zeit vielfach als mustergültig betrachtet
wurde, während, im Unterschied dazu, die osteuropäischen Staaten bis vor kurzem das polizeiliche Verfolgungsinteresse über
Gebühr betonten und England sowie die nordamerikanische Union den Schutz auch gemeiner Verbrecher gegenüber
der ausländischen Justiz in bedenklicher Weise ausdehnten.
Gegenwärtiger Zustand des Auslieferungsrechts.
Schwerlich wird heutzutage bestritten, daß die von einem Staat (Zufluchtsstaat) an einen andern Staat (Verfolgungsstaat) einen
wesentlichen Bestandteil geordneter Strafrechtspflege darstellt. Immerhin aber bleibt bei der Bemessung der dabei innezuhaltenden
Grenzen
[* 29] auch heutzutage noch mancher Zweifel bestehen. Streitig ist insbesondere, ob eine Auslieferungspflicht,
vom Standpunkt allgemeiner völkerrechtlicher Grundsätze ausgehend, auch ohne vertragsmäßige Vereinbarung
angenommen werden
könne.
Sicherlich ist die Auslieferung keine Sache der bloßen Willkür oder der Gefälligkeit. Jeder Staat ist heutzutage nicht nur an der Aufrechterhaltung
des Friedens zwischen dritten Staaten, sondern auch an der Sicherung ausländischer Rechtsordnung gegen
schwere Schädigungen interessiert. KeinStaat kann wünschen, daß sich fremde Verbrecher in seinem Gebiet niederlassen oder
aufhalten, um die Frucht ihrer Missethaten ruhig zu genießen. Thatsächlich ist indessen der Zustand der europäischen Strafgesetzgebungen
noch ein so ungleicher, daß nicht nur die Bestimmungen darüber, was gestraft werden soll, sondern auch
die Festsetzungen der Strafarten und der Strafmaße weit auseinander gehen. Da gerade das Strafrecht in besonders starkem
MaßAusdruck ethischer Prinzipien ist, so kann von den höher entwickelten Kulturstaaten füglich nicht begehrt werden, daß
sie die Flüchtlinge in solchen Fällen ausliefern, in denen sie weder das Vorhandensein sittlicher und
rechtlicher Verschuldung noch die Zulässigkeit gewisser Strafmittel anzuerkennen vermögen. Gäbe es in Europa
[* 30] irgend einen
Staat, der sich qualvoller Todes- oder Leibesstrafen bediente, so wäre ihm gegenüber die Auslieferung sicherlich einzuschränken. Hieraus
ergibt sich, daß von einer allgemeinen Auslieferungspflicht so lange noch nicht die Rede sein kann, als
nicht eine Ausgleichung der hauptsächlichsten Strafrechtsverschiedenheiten in den einzelnen Ländern eingetreten ist.
Somit sind die Staaten zur Auslieferung aneinander nur so weit gehalten, als sie sich vertragsmäßig dazu verpflichtet haben.
Die Übernahme solcher Verpflichtungen ist jedoch keine Sache der Willkür. In der konstitutionellen Monarchie erfordert der
Abschluß von Ablieferungsverträgen die Mitwirkung der Volksvertretung. Diese Mitwirkung kann in doppelter
Gestalt hervortreten: entweder in der Vereinbarung und Publikation eines Auslieferungsgesetzes, worin die Bedingungen im voraus
genau festgestellt werden, unter denen die Staatsregierung Auslieferungsverträge mit dem Ausland abschließen darf (wie in
Belgien, Holland, England, deren Beispiel auch die französische und italienische Regierung zur Vorlage derartiger
Gesetzentwürfe 1882 und 1883 bewogen hat), oder in dem Erfordernis nachträglicher Zustimmung zu jedem einzelnen Auslieferungsvertrag,
wie nach der Vorschrift der deutschen Reichsverfassung, wobei zu bemerken ist, daß für beide Systeme gewichtige Gründe angeführt
werden können. Sieht man in der Auslieferung vorzugsweise einen Rechtsakt, nicht eine politische oder administrative
Maßregel, so dürfte freilich dem belgischen System der Vorzug einzuräumen sein.
Die Hauptpunkte, auf deren Ordnung in den Auslieferungsverträgen zu achten ist, sind folgende:
1) Die Bestimmung derjenigen Personenklassen, die der Auslieferung unterliegen sollen. Zunächst muß man davon
ausgehen, daß (dem Ausland gegenüber) Staaten keine Unterstützung beanspruchen dürfen, die darauf bedacht
sind, ein außerhalb ihrer Grenzen begangenes Verbrechen zu ahnden. Sodann geht die überwiegende Praxis dahin, die Auslieferung eigner
Unterthanen an das Ausland zu verweigern. Das deutsche Strafgesetzbuch (§ 9) verbietet sie geradezu. Selbstverständlich ist
aber unter der Bezeichnung Ausland in dieser Hinsicht das Verhältnis der einzelnen Mitgliederstaaten in
einem Bund nicht zu verstehen. Das Deutsche Reich, die amerikanische Union, die Schweiz haben besondere Vorschriften für das
interne Auslieferungswesen. Abweichend von der allgemeinen Praxis, liefern
¶
2) Die Bestimmung derjenigen Verbrechensfälle, in denen Auslieferung verlangt werden kann und anderseits zu
gewähren ist. Die geringfügigen Übertretungen scheiden dabei schon mit Rücksicht auf den Kostenpunkt aus. Ebenso hat sich,
freilich erst in unserm Jahrhundert, die Maxime verbreitet, in Gemäßheit welcher die Auslieferung politischer
Verbrecher ausgeschlossen wird. Welche Thatbestände als politische zu gelten haben, ist nicht leicht zu sagen. In allen zweifelhaften
Fällen wird die Entscheidung des Zufluchtsstaats ausschlaggebend sein.
3) Die Feststellung des Auslieferungsverfahrens zwischen den beteiligten Regierungen. In dieser Hinsicht bestehen noch in der
Gegenwart fundamentale Gegensätze in Theorie und Praxis. Nach dem bisherigen französisch-kontinentalen
Rechtszustand wird die Auslieferung lediglich als diplomatisch-administrative Angelegenheit zwischen den Staatsregierungen
betrieben, so daß sich der Hergang zwischen den auswärtigen Ministerien, der Justizverwaltungsstelle und den Polizeibehörden
abspielt.
Wesentlich dabei ist nur dies, daß die Identität des Flüchtlings auf Grund genauer Beschreibung nachgewiesen,
der ihm zur Last gelegte Verbrechensthatbestand angegeben und die den Angeschuldigten verdächtigenden Beweismittel so weit
ersichtlich gemacht werden, daß der Erlaß eines richterlichen Haftbefehls gerechtfertigt erscheint. Anders nach englisch-amerikanischem
Recht, wo das Prinzip der persönlichen Freiheit auch dem Ausländer gegenüber dadurch gewahrt wird, daß der Richter zu
prüfen hat, ob die vorhandenen Beweismittel zum Erlaß eines Haftbefehls nach den in Amerika oder England geltenden Gesetzen
ausreichend sind.
Der auf Requisition einer ausländischen Regierung zum Zweck seiner Auslieferung Festgenommene wird daher vor dem Richter mit
seinen Einwendungen gehört und kann auch darthun, daß es sich bei dem ihm zur Last gelegten Thatbestand
um ein politisches Verbrechen handeln würde. Auch in Belgien und Holland konkurriert die richterliche Gewalt bei der Erledigung
der Auslieferung In der That erscheint es ungerecht, den Fremden, ohne ihm ein gerichtliches Gehör
[* 34] zu eröffnen, lediglich auf Ersuchen
einer ausländischen Behörde seiner persönlichen Freiheit zu berauben.
Die Mitwirkung des Richters bei der Entscheidung der Frage, ob einem Auslieferungsbegehren recht gegeben werden könne, ist
daher so weit notwendig, als es sich um Präjudizialfragen rechtlicher Art handelt oder der Verfolgte im stande ist, die
bezeichnete Identität seiner Person zu widerlegen. Dagegen kann es nicht gebilligt werden, wenn in England
und Amerika der
Richter eine Voruntersuchung führt, um zu ermitteln, ob die vorhandenen Anschuldigungsbeweise zur Verhaftung
genügend sind. In dieser Richtung muß vielmehr die Versicherung des ausländischen Richters als hinreichend erachtet werden.
4) Die Behandlung der Kostenfrage. Am einfachsten und zweckmäßigsten übernimmt jeder Staat die in seinem eignen Gebiet
für den Transport verausgabten Kosten, ohne deren Ersatz im einzelnen Fall zu betreiben. Anders verhält es sich mit den Zwischenstrecken,
durch deren Gebiet auslieferungsflüchtige Verbrecher zu transportieren sind. Von kleinern Ländern, wie der Schweiz und Belgien,
kann billigerweise nicht verlangt werden, daß sie die Kostenfür fremde Großstaaten ohne jede Möglichkeit
der Reciprozität betreiben.
Mit der Auslieferung der Personen ist jeweilig auch die Beschlagnahme derjenigen Sachen verbunden, welche als Beweismittel für
Untersuchungszwecke oder als spätere Ersatz quellen für den verbrecherisch verursachten Schaden in Anspruch genommen werden.
Im übrigen kann sich das Auslieferungsverfahren je nach den Umständen und Verhältnissen verschieden gestalten.
Eine abgekürzte Prozedur pflegt bei entlaufenen Matrosen im Interesse der Seeschiffahrt überall zugelassen zu werden.
Das gegenwärtige Recht ist in vielen Stücken als ungenügend und mangelhaft zu bezeichnen. Als reichstes Ziel für die internationale
Praxis erscheint die Ausgabe, nach dem Vorbild des Weltpostvereins einen Verein solcher Staaten zu begründen, die
sich in Beziehung auf die Grundsätze eines allgemeinen Auslieferungsrechts miteinander verständigen und den Thatbestand derjenigen
Verbrechen einheitlich feststellen, in denen Auslieferungspflicht anzunehmen sein würde.
Das 1873 zu Gent
[* 35] gestiftete Völkerrechtsinstitut hat es versucht, in seiner Jahresversammlung zu Oxford
[* 36] (1880) die Grundsätze
zu formulieren, die vom Standpunkt der Völkerrechtswissenschaft dem heutigen Auslieferungsrecht der
Kulturstaaten zu Grunde gelegt werden sollten. Danach wird die Auslieferung von gemeinen Verbrechern (Mördern, Brandstiftern,
Dieben) als ein internationaler Rechtsakt bezeichnet, welcher zwar auch ohne besondere Vertragsschließungen rechtmäßig
besteht, aber nur durch den Abschluß von Staatsverträgen und bestimmte, innerhalb der einzelnen Staaten zu erlassende Gesetze
über das Auslieferungsverfahren eine befriedigende Regelung erfahren kann.
Dabei ist Gegenseitigkeit keine unerläßliche Bedingung. Wenn die in mancher Hinsicht wünschenswerte Auslieferung der eignen
Unterthanen nicht zugestanden wird, so erscheint es doch billig, die nach Begehung der That erworbenen Bürgerrechte unberücksichtigt
zu lassen; auch wird die Berechtigung des eine Auslieferung verlangenden Staates nach dessen Gesetzgebung zu bemessen
sein, sofern diese Gesetzgebung sich nicht mit der des ersuchten Staates in Widerspruch befindet.
Wegen politischer Vergehen findet keine Auslieferung statt; ist aber das politische Verbrechen zugleich mit einem gemeinen verbunden,
so darf die Auslieferung nur dann gewährt werden, wenn die bestimmte Versicherung vorliegt, daß der Ausgelieferte
nicht durch ein Ausnahmegericht abgeurteilt wird. Die Auslieferung erfolgt nach Prüfung des Gesuchs durch einen Richter und dessen Zustimmung
und zwar auf diplomatischem Weg. Die Regierung, welche den Ausgelieferten in ihre Gewalt brachte, darf denselben ohne Zustimmung
der ausliefernden Regierung weder wegen andrer als der zuerst bezeichneten Vergehen aburteilen, noch auch
an eine dritte
¶
Deutschland,
[* 38] das wegen seiner zentralen Lage in Europa häufiger als die Mehrzahl aller andern Kontinentalstaaten
darauf hingewiesen ist, die Unterstützung des Auslandes zur Verfolgung flüchtiger Verbrecher in Anspruch zu nehmen, hat
verhältnismäßig nur wenige und teilweise ungenügende Auslieferungsverträge mit dem Ausland abgeschlossen, so daß wir
hinter andern Ländern, wie insbesondere Italien und Belgien, ziemlich weit zurückstehen. Deutschlands
[* 39] Auslieferungsverträge
beziehen sich bis jetzt nur auf ItalienGroßbritannien
[* 40] die SchweizBelgienLuxemburgBrasilien
[* 41] Schweden und NorwegenSpanien und Uruguay
[* 42]
Mit Nordamerika
[* 43] bestehen ältere, aus der Zeit von 1866 und 1870 ursprünglich nur auf Preußen
[* 44] und den
Norddeutschen Bund bezügliche, vielfach zweifelhafte und unsichere Abmachungen. Außerdem sind noch verschiedene von einzelnen
deutschen Staaten mit dem Ausland abgeschlossene Verträge in Gültigkeit. Auffallend muß es erscheinen, daß das Deutsche Reich
bisher noch nicht erreicht hat, mit den drei größten Nachbarmächten Frankreich, Rußland und Österreich
[* 45] Auslieferungsverträge abzuschließen. Indessen hat Preußen im Januar 1885 mit Rußland einen Auslieferungsvertrag abgeschlossen.
Litteratur: Kleut, Dissertatio de deditione profugorum (Utr. 1829);
öffentliche Aufforderung zu einer Leistung mit dem Versprechen einer Gegenleistung. Dem römischen Recht
war dies Rechtsinstitut fremd, doch haben sich in dieser Beziehung gewohnheitsrechtliche Satzungen ausgebildet,
indem derartige Auslobungen in dem entwickelten Verkehrsleben der Neuzeit täglich vorkommen, z. B.
das Versprechen einer Belohnung für die Entdeckung eines Verbrechers, für den Finder einer verlornen Sache, das Ausschreiben
einer Preiskonkurrenz für eine Leistung auf dem Gebiet der Kunst oder Wissenschaft u. dgl. Die Auslobung ist
die Vorbereitung zu dem Abschluß eines Vertrags zwischen dem Auslobenden und demjenigen, welcher der Auslobung entsprechend leistet.
Letzterer erwirbt hierdurch einen Anspruch auf die verheißene Gegenleistung. Solange aber die fragliche Leistung noch
nicht effektuiert worden ist, kann die Auslobung selbst zurückgenommen werden, was aber ebenfalls
öffentlich geschehen muß. Doch hat derjenige, welcher in solchem Fall bereits Anstrengungen gemacht und Auslagen gehabt
hat, einen Anspruch auf entsprechenden Schadenersatz. In einem andern Sinn ist Auslobung s. v. w. Abfindung (s. d.).
der oft geringfügige äußere Anstoß, durch welchen die in einem Körper unthätig
aufgespeicherte Wirkungsfähigkeit (potentielle Energie, Spannkraft, s. Kraft)
[* 47] zu plötzlicher Kraftäußerung (Arbeitsleistung)
veranlaßt wird. Eine leise Berührung des Drückers einer gespannten Armbrust
[* 48] genügt, um die beim Spannen aufgewendete und
in der straff gezogenen Sehne gleichsam schlummernde Arbeit zu entfesseln oder auszulösen und als Wucht des fortgeschleuderten
Bolzens wieder erwachen zu lassen.
Die Auslösung ist sonach nicht die Ursache, sondern nur die Veranlassung der erzielten Arbeitsleistung, sie gibt nur den Anstoß
zur Verwandlung der bereits vorhandenen, durch die vorausgegangene Spannung erzeugten potentiellen Energie in eine gleichgroße
Menge Bewegungsenergie. Bei einem Körper, der sich im Zustand des labilen Gleichgewichts befindet, wie z. B.
ein auf seiner Spitze balanciertes Ei,
[* 49] genügt ein Hauch, um ihn umzuwerfen und hiermit die Wirkungsfähigkeit, die er vermöge
der erhöhten Lage seines Schwerpunkts innehat, als Wucht der Fallbewegung auszulösen.
Das Fünkchen, welches Knallgas, Schießpulver,
[* 50] Nitroglycerin etc. zum Explodieren bringt, bewirkt die der in diesen explosiven
Körpern angesammelten chemischen Energie. In der Physiologie betrachtet man das Nervensystem als einen Auslösungsapparat,
da Erregungen von äußerst feinen NervenfasernKräfte von außerordentlichem Umfang in Freiheit setzen können. Die Berührung
der Glottis mit einem feinen Haar
[* 51] bewirkt die heftigsten Hustenanfälle, an denen nicht allein die Respirationsmuskeln, sondern
fast die ganzen Körpermuskeln beteiligt sind.
Die verschwindend kleine auslösende Kraft, hier die Erregung von nur wenigen sensibeln Nervenfasern der Glottis, bewirkt eine
Reihe von Veränderungen in den Ganglienzellen
[* 52] des Zentralnervensystems, und es gelangt nunmehr durch Reizung zahlreicher
zentrifugaler Fasern eine mächtige Summe von Spannkräften, die in den Muskeln
[* 53] aufgespeichert liegen, in explosiver Weise zur
Entladung.
die Vorrichtung in der Mechanik des Pianoforte, welche bewirkt, daß die Hämmerchen sofort nach der Berührung
der Saiten in ihre frühere Lage zurückfallen. S. Klavier.
Gesetzesvorschrift, welche nicht für die Gesamtheit, sondern nur für eine bestimmte Klasse der Staatsangehörigen
erlassen wird. Den Gegensatz bildet das allgemeine oder gemeinsame Recht, welches, dem Grundsatz der Rechtsgleichheit entsprechend,
für alle Staatsbürger gleiche Bedeutung hat und alle in gleichmäßiger Weise trifft. Das Ausnahmegesetz ist ein Bruch mit der allgemeinen
Rechtsordnung, das Aufgeben eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes gegenüber einer gewissen Kategorie von Personen. Das Ausnahmegesetz charakterisiert
sich daher als eine Abweichung von dem im Rechtsstaat geltenden Prinzip der Gleichheit, und ebendarum kann der Erlaß eines solchen
nur ausnahmsweise aus besonders triftigen und dringenden Gründen als gerechtfertigt erscheinen. Auch wird ein Ausnahmegesetz zuweilen
nur auf eine bestimmte Zeit erlassen, um den Bruch, welcher dadurch in die allgemeine Rechtsordnung gemacht wird, möglichst
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